Der elektronische Rechtsverkehr – rechtliche Grundlagen und tatsächliche Herausforderungen

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Der elektronische Rechtsverkehr – rechtliche Grundlagen und tatsächliche Herausforderungen Dr. Wolfram Viefhues Mitglied des Vorstands des Deutschen EDV-Gerichtstages [email protected]

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Dr. Wolfram Viefhues, Vorstandsmitglied des EDV-Gerichtstags Vortrag anlässlich des Praxis-Workshop zum elektronischen Rechtsverkehr für die deutsche Justiz. https://blog.de.ts.fujitsu.com/branchen/egov/erfolgreiche-premiere-praxis-workshop-zum-elektronischen-rechtsverkehr-fuer-die-deutsche-justiz

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Der elektronische Rechtsverkehr – rechtliche Grundlagen

und tatsächliche Herausforderungen

Dr. Wolfram Viefhues

Mitglied des Vorstands des Deutschen EDV-Gerichtstages [email protected]

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Teil 1: Rechtliche Grundlagen

• Gesetz zur Förderung des elektronischen

Rechtsverkehrs mit den Gerichten

vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786)

• In Arbeit:

Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte im

Strafverfahren – Vorreiter für alle Verfahren !

• E-Government-Gesetz für die öffentliche Verwaltung

vom 25. Juli 2013 (BGBl I S. 2749)

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Was ändert sich wann?

• Am 17. Oktober 2013 ist die Beweisregel für Scan-Produkte in Kraft getreten.

• Ab 1. Juli 2014 gilt die Beweisregel für De-Mail-Nachrichten und die maschinelle

Papier- und Faxbeglaubigung.

• Am 1. Januar 2016 wird das elektronisches Anwaltspostfach eingeführt

• Das Schutzschriftenregister wird 1.1.2016 eingeführt und ab 1.1.2017 Pflicht.

• Ab 1. Januar 2018 müssen alle Gerichte elektronischer Dokumente

entgegennehmen, aber: Länder können bis Ende 2019 herausoptieren.

• Ab 1.1.2018 Zustellung an Anwälte und Behörden gegen elektronisches

Empfangsbekenntnis möglich.

• Ab 1. Januar 2022 (Termin kann durch Länder-VO vorverlegt werden!) ist die

elektronische Einreichung für Anwälte und Behörden verpflichtend.

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Elektronische Unterschrift (§ 130a ZPO)

• Elektronische Schriftsätze können mit qeS oder

über einen sicheren Übermittlungsweg

eingereicht werden:

• DE-Mail mit sicherer Anmeldung oder aus dem

besonderen elektronischen Anwalts- oder

Behördenpostfach („beA“).

• Auf dem sicheren Übermittlungsweg müssen

Dokumente nur einfach signiert werden

(= Name unter dem Text)

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Elektronische Formulare (§ 130c ZPO)

• ab Juli 2014 können elektronische Formulare eingeführt werden

• Die Angaben sind in strukturierter „maschinenlesbarer“ Form an die

Gerichte zu übermitteln (Daten statt Fließtext!)

– Z.B. Kostenfestsetzungsantrag

• Die Formulare sind im Internet zur Nutzung bereitzustellen;

• Kein Zwang zur Nutzung elektronischer Formulare

• Authentifizierung – soweit erforderlich - soll auch mit dem

elektronischen Personalausweis möglich werden

• Hinweis auf e-government-Gesetz, Normenscreening, Reduzierung

der Schriftformerfordernisse

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Anwaltspostfach (§ 31a BRAO)

• Besonderes elektronisches Anwaltspostfach („beA“)

– Technische Infrastruktur wird aufgebaut von der

Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)

– Vorbild: Infrastruktur der BNotK.

• Adressen werden nach Durchführung eines ID-Verfahrens bei

der örtlichen RA-Kammer vergeben

• Verpflichtend ab 1.1.2016

• Elektronische Kommunikation zwischen Anwalts- und

Gerichtspostfach via beA ist sichere Übermittlung iSd § 130a

ZPO – keine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich!

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Nutzungspflicht für Anwälte (§ 130d ZPO)

• Anwälte, Behörden und juristische Personen des öff. Rechts

werden in gerichtlichen Verfahren (aber nicht in

Patent/Markenverfahren) ab 1.1.2022 verpflichtet, Schriftsätze

nur noch elektronisch einzureichen. Eine Klage oder Berufung

auf Papier ist dann formwidrig.

• Länder können Beginn der Pflicht durch Verordnung auf 1.

Januar 2020 vorverlegen.

• Nur bei technischem Ausfall der sicheren Übermittlungswege ist

Papiereinreichung zulässig. Anwalt oder Behörde muss

Unmöglichkeit glaubhaft machen.

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Elektronische Zustellung (§ 174 ZPO)

• Elektronische Dokumente werden verschlüsselt über einen

sicheren Übermittlungsweg (an besonderes elektronisches

Anwalts – oder Behördenpostfach) zugestellt

• Rechtsanwälte und Behörden müssen ab 1. Januar 2018

elektronisch erreichbar sein.

• Gerichte können auch danach noch per Papier oder Fax

zustellen

• Elektronische Zustellung wird durch elektronisches

Empfangsbekenntnis als strukturierten Datensatz

nachgewiesen.

– Willensgesteuert beim Anwalt

– Automatisch auswertbar beim Empfänger

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Teil 2: tatsächliche Herausforderungen

• Welche Auswirkungen hat der elektronische

Rechtsverkehr (ERV) auf die Justiz?

• Was wollen wir eigentlich erreichen?

• Wo sind die Risiken?

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Auswirkungen

• Einbindung im automationsunterstütze Abläufe

• Zukünftig: die vollständige elektronische Akte

• Nachhaltige Veränderung unserer Arbeitsabläufe

• ERV ist mehr als reine Technik, sondern vor allem

Organisationsänderung!

• ERV ist auch Veränderungen in den Köpfen!

• ERV ist „Chefsache“!

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Befürchtungen der Serviceeinheit (SE)

• Elektronische Dokumente müssen wir für

die Beteiligte, die nicht am elektronischen

Rechtsverkehr teilnehmen, selbst

ausdrucken

• wir werden zur „Druckstrasse der

Anwaltschaft“

• Das macht viel zusätzliche Arbeit

• Das kostet viel Geld

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Die Lösung

• Gedruckt wird nicht am Arbeitsplatz der

Servicekraft, gedruckt wird an zentraler Stelle

• Voraussetzung: keine Unterschrift auf dem

Ausdruck erforderlich

• Zentraldruck schon jetzt möglich durch Wegfall der

Ausfertigung (§ 317 ZPO n.F. ab 1.1.2014)

• nur noch für die (eigene) Papierakte Ausdruck am

Arbeitsplatz

• Ausdruck entfällt bei elektronischer Aktenführung !!

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Vorteile bei Zentraldruck • Keine Postbearbeitung in der Serviceeinheit mehr

erforderlich!

• keine Weitergabe zur Wachtmeisterei nötig!

• automatische Steuerung

• Elektronische Weiterleitung zur Druckstraße

• Kostenersparnis bei Zentraldruck

– Druckkosten

– Portokosten

• Für alle gerichtlichen Dokumente schon ab 1.7.2014 möglich durch Wegfall der Ausfertigung und automatische Beglaubigung

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Behandlung eingehender Post

• Bisher: – Eingang des Schriftsatzes in der Poststelle

(Wachtmeisterei) • Eingangsstempel

• Sortierung nach Abteilungen

– Weitertransport zur Serviceeinheit • Aufwand / Arbeit

• Verzögerung

– manuelle Zuordnung zur Akte • Aufwand / Arbeit

• Verzögerung

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Vorteile bei elektronischen Eingängen

• Keine Bearbeitung in der Poststelle

• automatische Weiterleitung an die zuständige Serviceeinheit (keine Verzögerung !)

• automatische Zuordnung zu elektronischen Akte (keine Verzögerung !)

• bei herkömmlicher Aktenführung automatischer Ausdruck für die Akte in der SE

• automatische Weiterleitung an den Gegner – elektronisch an Anwälte

– zentraler Ausdruck für andere Beteiligte

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Eingehende Papierdokumente bei elektronischer Akte

• Befürchtungen der Serviceeinheit:

Wir müssen alle Papiereingänge einscannen!

• Einscannen erfolgt in zentralen Scanstellen

• vollautomatischer Vorgang

• Programm erkennt auch Informationen aus dem

Dokument wie z.B. Aktenzeichen

• damit wird automatische Zuordnung möglich

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Elektronische Zustellung (§ 174 ZPO)

• Elektronische Dokumente werden verschlüsselt über einen

sicheren Übermittlungsweg („beA“) zugestellt

• Auch Behörden müssen ab 1. Januar 2018 elektronisch

erreichbar sein.

• Gerichte können noch per Papier oder Fax zustellen

• Elektronische Zustellung wird durch elektronisches

Empfangsbekenntnis als strukturierten Datensatz

nachgewiesen.

– Willensgesteuert beim Anwalt

– Automatisch auswertbar beim Empfänger

Page 18: Der elektronische Rechtsverkehr – rechtliche Grundlagen und tatsächliche Herausforderungen

elektronische Zustellung an Anwälte

• Elektronische Zustellung wird im Justiz-Fachsystem

ausgelöst

– zuzustellende elektronische Dokumente werden vorbereitet

– Zustellung über beA wird angestoßen

• automatische Rückmeldung der elektronischen

Zustellung über beA

• automatische Registrierung im Justiz-Fachsystem

(Fristen, Nachfolgearbeiten)

• Zusammenfassende Übersicht über alle

Zustellvorgänge

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Die elektronische Akte

• e-Akte wird derzeit vielfach noch als Erschwernis in

der Alltagsarbeit gesehen

• Nutzen und Chancen der e-Akte

– Die Akte ist nie weg!

– Die Akte bleibt immer verfügbar!

– Parallele Aktenbearbeitung möglich!

– Kein Zeitverlust!

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Aktenbearbeitung durch Richter, Staatsanwalt, Rechtspfleger

• Aufgabe: die inhaltliche Auswertung der Akte

– Zusammenstellung des Sachverhaltes

– Aufbereitung der rechtlichen Fragen

– Formulierung der Entscheidung

• Das ist Arbeit mit dem Kopf!

• Nicht automatisierbar!

– kein „Entscheidungsautomat“ !!

• Aber: Unterstützung durch IT-Technik möglich

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Beispiel Votum

• Sachverhaltsaufbereitung nach bestimmten

Strukturen

– Nach Zeitablauf (chronologisch)

– Differenzierung nach Beteiligtenrolle

(Klägervortrag, Beklagtenvortrag, Zivilprozess)

– Differenzierung nach beteiligten Personen

(Täter, Zeugen)

– Differenzierung nach Sachverhaltskomplexen

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Differenzierung nach Sachverhaltskomplexen

• Beispiel Verkehrsunfall: Unfallhergang,

Haftungsquote, Schadenspositionen

• Beispiel Bauprozess: einzelne Mängelpositionen

• Beispiel Zugewinn: Vermögenspositionen

• Beispiel Strafverfahren: einzelne Tatkomplexe

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Mögliche Unterstützung durch IT (1)

• Unterstützung bei der Sachverhaltsaufbereitung

– Kopieren aus der Akte in das Votum

• durch Markierung des Kurztexts

– Verlinkung auf den Originalschriftsatz

- ein Klick zeigt sofort den Originaltext an

– Verbindung mit Stellungnahme des Gegners

• Stichworte und Kurztext im Votum

• Ein Klick führt zum Originaltext

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Mögliche Unterstützung durch IT (2)

• Unterstützung bei der rechtlichen

Aufarbeitung

– Strukturierung z.B. nach

• Zulässigkeit des Antrags

• Anspruchsgrundlage - z.B. Vertrag

– Zustandekommen des Vertrages

– Mängelrüge

» Erklärung wirksam

» Erklärung zugegangen usw. usw.

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Weitere Potentiale

• Zulieferung von elektronischen Akten

– Polizei – Staatsanwaltschaft – Gericht

– Gericht – Vollstreckungsorgan

– Bußgeldbehörde - Gerichte

• Gemeinsam mit den jeweiligen Kommunikations-

partnern durchgängige elektronisch unterstützte

Informations- und Arbeitsabläufe erarbeiten

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Fazit

• In den Gerichten, Behörden und Anwaltskanzleien stehen gewaltige Veränderungen an

– Entwicklungsaufwand für Programme

– Technik in den Gerichten

– Organisation

– Personal – nicht nur Schulungen, sondern alle Beteiligten müssen wir „mitnehmen“, überzeugen und begeistern

• Wir haben echte Herausforderungen zu bewältigen

• Vieles ist sicherlich noch Zukunftsmusik

• Es ist noch ein langer Weg zu gehen!

• Aber: Wer nicht losgeht, bleibt stehen!

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Veränderungen als Chance nutzen

„Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt,

der andere packt sie an und handelt.“

Dante Alighieri, Dichter und Philosoph * 1265 † 1321

Große Aufgaben mit Veränderungen und

Umwälzungen bieten aber auch eine Chance, unsere

Geschäftsabläufe und Arbeitsprozesse den

geänderten technischen Möglichkeiten anzupassen

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