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Der Fremde als «Anderer». Eine Studie der diskursiven Konstruktion des Mauren und des Türken im Echo romanischer Volksliteraturen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Eingereicht von Mag. Petrea Lindenbauer Begutachter: O. Univ.-Prof. Dr. Michael Metzeltin O. Univ.-Prof. Dr. Karl R. Wernhart Wien, August, 1998

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Der Fremde als «Anderer».

Eine Studie der diskursiven Konstruktion des Mauren und des Türken

im Echo romanischer Volksliteraturen

Dissertation

zur Erlangung des Doktorgrades

an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät

der Universität Wien

Eingereicht von Mag. Petrea Lindenbauer

Begutachter:

O. Univ.-Prof. Dr. Michael Metzeltin

O. Univ.-Prof. Dr. Karl R. Wernhart

Wien, August, 1998

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ....................................................................................................................... 5

EINLEITUNG .................................................................................................................... 6

TEIL I: KONTEXTUALISIERUNG DES THEMAS ........................................................... 8

VORMARSCH DES ISLAM ............................................................................................ 8

1. Vormarsch des Islam in Europa ................................................................................. 8

2. Die Lage auf der Iberischen Halbinsel ..................................................................... 10

3. Die Lage auf dem Balkan ......................................................................................... 16

4. Parallelismen und Gegensätze ................................................................................. 22

5. Islam und Islamiten .................................................................................................. 28

KONZEPTUALISIERUNG DER FIGUR DES ANDEREN .......................................... 31

6. Der Andere: ein neutraler Oberbegriff ..................................................................... 31

7. Reaktionen auf und mögliche Darstellung von «Fremdheit» ................................... 33

8. Konzeptualisierung: ein kognitiver Prozeß .............................................................. 34

9. Fremdwahrnehmung und Stereotypie ...................................................................... 37

Repräsentativität der Quellen ........................................................................................... 39

10. Der Mohammedaner in frühen Textwelten der Romania ...................................... 39

11. Die Figur des Mohammedaners im Cantar de Mio Cid ........................................ 41

12. Romanzen und Balladen als Quellen für Stereotypien .......................................... 44

13. Vergleichbarkeit der Quellen: der prototypische Andere ...................................... 45

METHODOLOGIE .......................................................................................................... 46

14. Möglichkeiten der textuellen Inszenierung des Anderen ....................................... 46

15. Diskursivität der Figur des Anderen ...................................................................... 47

16. Semantische Beschreibungsparameter ................................................................... 49

17. Weitere methodologische Anmerkungen ............................................................... 51

DIE KORPORA ............................................................................................................... 54

18. Bezeichnung, Ursprung, Tradierung und Klassen des Genres ............................... 54

19. Die ausgewählten Textreihen ................................................................................. 57

20.Texttypologie der Romanzen («Maurendichtung») ................................................ 59

21. Texttypologie der Balladen («Heldenlieder») ........................................................ 62

Arabisierte und turzisierte Textwelten ............................................................................. 66

22. Charakteristische Arabismen der Romanzen ......................................................... 66

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23. Charakteristische Turzismen der Balladen ............................................................ 71

TEIL II: EXEMPLARISCHE TEXTANALYSE ................................................................. 75

24. Untersuchung und Interpretation von Romanzen .................................................. 75

24.1. Romanze Azarque indignado y fiero .............................................................. 75

24.2. Romanze Por la placa de Sanlúcar ................................................................ 80

24.3. Die Romanze El mayor Almoralife ................................................................. 85

24.4. Romanze Aquel rayo de la guerra .................................................................. 88

24.5. Die Romanze Aquel Moro enamorado ........................................................... 94

24.6. Die Romanze Una parte de la vega .............................................................. 100

24.7. Die Romanze Galanes, los de la Corte ......................................................... 104

24.8. Die Romanze Ocho a ocho y diez a diez....................................................... 109

24.9. Die Romanze Abindarráez y Muca ............................................................... 114

24.10. Romanze Cubierta de treze en treze ........................................................... 118

24.11. Romanze El gallardo Abenhumeya ............................................................ 121

24.12. Romanze Abrasado en viva llama .............................................................. 125

24.13. Die Romanze En dos yeguas muy ligeras ................................................... 130

24.14. Romanze Aquel firme y fuerte muro ........................................................... 135

24.15. Romanze Con semblante desdenoso ........................................................... 138

24.16. Romanze Azarque, Moro valiente .............................................................. 141

24.17. Romanze El bizarro Almoralife .................................................................. 143

24.18. Romanze Mira, Tarfe, que a Daraja .......................................................... 146

25. Untersuchung und Interpretation von Balladen ................................................... 153

25.1. Ballade von Gruia lui Novac ........................................................................ 153

25.2. Ballade von Novac ........................................................................................ 156

25.3. Ballade von Gruia a lui Novac ..................................................................... 159

25.4. Ballade Novac vinde pe Gruia ...................................................................... 161

25.5. Ballade Turcul şi Novăceştii ......................................................................... 164

25.6. Ballade von Marcul Viteazul ........................................................................ 166

25.7. Ballade von Iancul Mare .............................................................................. 168

25.8. Ballade von Bîcul Haiducul .......................................................................... 172

25.9. Ballade von Vîlcan ........................................................................................ 176

25.10. Ballade von Badiul ...................................................................................... 181

25.11. Ballade von Ilincuţa Sandului ..................................................................... 187

25.12. Ballade von Marcu ...................................................................................... 191

25.13. Ballade von Stoian-Bulibaşa ...................................................................... 194

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25.14. Ballade von Roman Voinicul ...................................................................... 197

25.15. Ballade Tătarii şi robii ................................................................................ 199

25.16. Ballade von Şiret Pîrcălabul ....................................................................... 201

25.17. Ballade von Moldovean Dobrogean ........................................................... 205

25.18. Ballade von Serb-Sărac .............................................................................. 208

25.19. Ballade von Niculca .................................................................................... 211

25.20. Ballade von Gheorghiţă Zătreanu .............................................................. 215

25.21. Ballade von A lui Şoimănel ......................................................................... 219

25.22. Ballade von Manuilă şi Mustafa ................................................................. 222

25.23. Ballade von Român Grue Grozovanul ........................................................ 224

25.24. Ballade von Barbă Haiducul ...................................................................... 229

25.25. Ballade Ţarul Murad şi Radu Voivoda ....................................................... 233

KONKLUSION UND AUSBLICK ................................................................................... 239

DIE RE-KONSTRUKTION DES ANDEREN .............................................................. 239

26. Das Maurenporträt aus spanischer Sicht .............................................................. 239

27. Das Türkenporträt aus rumänischer Sicht ............................................................ 244

28. Strategien der Konzeptualisierung des Anderen .................................................. 249

BIBLIOGRAPHIE .......................................................................................................... 252

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VORWORT

Ich danke meinem Vater, Herrn Ing. Oswald Lindenbauer, meiner Mutter Frau Therese

Lindenbauer, Herrn Doz. Dr. Otto Drosg, Herrn Mag. Dieter Turk (für die technische

Unterstützung) sowie, in besonderem Maße, Frau Mag. Britta Lindenbauer und Herrn Prof.

Michael Metzeltin für unterstützende und klare Worte und Ermutigungen, die dazu

beigetragen haben, die folgende sprachwissenschaftliche Studie im Grenzbereich von

Psychologie, Humanbiologie, Kognitionswissenschaften, Geschichte und Ethnologie über

die Wahrnehmung des «Anderen», fertigzustellen.

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EINLEITUNG

Auf dem Hintergrund sich immer stärker international vermischender Kultur- und

Arbeitswelten, wie sie beispielsweise im Konzept der Europäischen Union vorgesehen

sind, war es unser Ziel, die Wahrnehmung und Konzeptualisierung der Figur des

«Anderen» aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu untersuchen. Dieser «Andere» sollte nicht

der exotische, entfernte, sondern in gewisser Weise (auch) ein nachbarlicher, greifbarer,

alltäglicher oder zumindest naher «Anderer» sein, welcher aus der Perspektive einer

wahrnehmenden, konzeptualisierenden Person - in unserem Fall eines Erzählers - exotisch,

fremd, kulturell andersartig erscheinen konnte. Von verschiedenen romanischen

Textwelten entsprachen insbesondere zwei Textreihen der Randromania, die nicht

miteinander verwandt sind, diesem Anspruch. In spanischen Romanzen und rumänischen

Balladen überlieferte sich aus geschichtlicher Motivation heraus das christlich konzipierte

Porträt des Muslimen. Die jahrhundertelange Herrschaft der Araber auf der Iberischen

Halbinsel und das ebenso jahrhundertewährende Machtringen der Hohen Pforte um die

benachbarten Rumänischen Länder hat den historischen Mauren von Al-Andalus und den

Türken osmanischer Zeiten in ein paraliterarisches Abbild gegossen. Dieses Abbild wird in

allen seinen Parametern, Gemeinsamkeiten und Divergenzen der spanischen und

rumänischen Porträtierung fokussiert und untersucht. Der analoge historische Kontext, in

der Romanzen und Balladen entstanden sind, und ihre jeweils spezifische Typologie und

Kontextualisierung ließ eine besonders aufschlußreiche kontrastive Untersuchung des

Fremdporträts vermuten. Aufgrund ihres Charakters volksmündlicher Kreationen sind

Romanzen und Balladen in hohem Maße stereotypisierend und daher besonders

repräsentativ. Die Begegnung, Wahrnehmung und Konzeptualisierung von Menschen

anderer Kultur ist aus verschiedenen wissenschaftlichen, historischen, humanbiologischen,

kognitionspsychologischen, ethnologischen Ansätzen heraus auf geschichtliche Fakten,

empirisch-beobachtbare Reaktionen von aufeinandertreffenden Menschen, auf kognitive

Prozesse oder die Genese und Akkulturation von Ethnien hin untersucht und behandelt

worden. Im Kontrast zu diesen Ansätzen fokussiert die vorliegende Studie in erster Linie

die Darstellung der Figur des «Anderen» mit sprachlichen Mitteln. Auf diskursanalytischer

Ebene werden alle zum Ausdruck kommenden Beschreibungsparameter erfaßt, auf die die

Erzähler konstant rekurrieren und die sie verwenden, um die Figur des Mauren und des

Türken in seiner Bildlichkeit zu konfigurieren. Ein abschließender Vergleich des

spanischen mit dem rumänischen Porträt enthüllt die stereotypen Mechanismen der

Konzeptualisierung des «Anderen», zeigt Konvergenzen, aber auch, möglicherweise

kulturspezifisch bedingte, Divergenzen im mentalen Umgang des Menschen mit dem

«Anderen».

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La construcción del Otro, trátese del bárbaro o el buen salvaje, es fenómeno universal,

que varía según las coordenadas históricas, culturales y sociales de la comunidad que lo

fabrica. El factor geográfico - vecindad, lejanía - desempeña lógicamente un papel

primordial. La no coincidencia de ciertos rasgos, normas, costumbres, suele transformarse

entre vecinos en un contraste irreductible de «esencias».

Juan Goytisolo (De la Ceca a La Meca, 1997)

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TEIL I: KONTEXTUALISIERUNG DES THEMAS

VORMARSCH DES ISLAM

1. Vormarsch des Islam in Europa

Im Jahre 611 n. Chr. hat der in Mekka geborene arabische Kaufmann Abul Kasim

Muhammad Ibn Abd Allah (geb. 570, gest. 632 in Medina) eine Offenbarung. Sie ist der

Ursprung des Islam, einer neuen Religion, die sich mit außergewöhnlicher Expansionskraft

verbreiten wird. Nach einer ersten Phase der Ablehnung - Muhammad emigriert 622 von

Mekka nach Medina (Hedschra) - gewinnt der Islam immer mehr Anhänger im

innerarabischen Raum und darüber hinaus und wächst in nur wenigen Jahrzehnten zu einer

der größten politischen Kräfte der mittelalterlichen Weltgeschichte heran.

In einigen Jahrzehnten ist die gesamte Arabische Halbinsel islamisiert. Nach der

Unterwerfung Syriens mit dem Zentrum Damaskus und nach der Eroberung der Gebiete

Mesopotamiens (ca 634-640) erreicht der Islam noch im 7. Jahrhundert die Ostgrenze des

Byzantinischen Reiches, das Schwarzmeergebiet und den Kaukasus. Auch Zypern wird zu

dieser Zeit erobert und bleibt drei Jahrhunderte unter arabischer Herrschaft. Weiter

ostwärts ziehende Verbände muslimischer Gläubiger erobern große Teile des Perserreichs

(637-651) und tragen den Islam bis ins Industal bzw. bis zur Westgrenze Chinas (7. / 8.

Jahrhundert). Im Westen werden bis etwa zur zweiten Hälfte des 7. bzw. bis zum Beginn

des 8. Jahrhunderts nach und nach der Norden Afrikas mit Ägypten, Libyen, Tripolitanien,

Tunesien, Algerien, Marokko unterworfen.

Von Nordafrika aus dringen im Jahre 711 muslimische Truppen über die Meerenge von

Gibraltar nach Spanien ein und erobern in nur wenigen Jahren fast die gesamte Iberische

Halbinsel. Die Pyrenäen überquerend erreichen sie sie ab ca. 720 auch fränkisches Gebiet.

Charles Martell gelingt es in der Schlacht zwischen Tours und Poitiers (732), die

Expansion des Islam in nördliche Richtung zu stoppen. Im Languedoc, der Camargue und

der Provence (vgl. das provenzalische Toponym Les Maures) errichten die Eroberer für

einige Jahrzehnte Stützpunkte für militärische Aktionen. Von hier aus starten sie

Expeditionen in nördliche und nordöstliche Richtung, nach Grenoble und Cluny,

beispielsweise. Muslimische Truppen überqueren die Alpen und erreichen über den Großen

Sankt Bernhard das Wallis (mit Sion) und Sankt-Gallen. Für zehn Jahre sind die Araber die

"Herrscher der Schweiz" (Mitte des 10. Jahrhunderts). Auch der Apennin liegt in der Nähe

der arabischen Expansionszone. Islamische Truppen erreichen von Südostfrankreich aus

den Piemont (Asti), später Neapel (fällt 856 unter arabische Herrschaft) und die südlichen

Regionen Kalabrien und Apulien. Auch die großen Inseln des Mittelmeeres, Kreta (750),

Sizilien (827), Malta fallen für mehrere Jahrhunderte unter arabische Herrschaft. Korsika

und Sardinien hingegen können nicht dauerhaft islamisiert werden. Seit dem 11.

Jahrhundert ist der Rückzug der Eroberer in ganz Europa spürbar.

Während in Westeuropa die rund achthundertjährige arabisch-muslimische Herrschaft im

Ausklang des 15. Jahrhunderts zu Ende geht, setzt am Anfang desselben Jahrhunderts für

Osteuropa eine ähnliche Gefahr der Eroberung durch eine islamisch Macht erst ein. Seit

Osman Ghazi I. (1258-1326) hatte sich aus einem kleinen Emirat in Bithynien, einer

historischen Region der heutigen Nordtürkei, ein ständig expandierendes Reich entwickelt.

Als Ursache der Expansionskraft des Osmanischen Reiches zieht der Buchautor Michael

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W. Weithmann die Organisationsfähigkeit und die militärische Potens der Osmanen in

Betracht (ib. 1995:117-120). Auch andere Autoren erwähnen diese beiden Faktoren in

Zusammenhang mit der Expansion des Reiches. Das berühmte Streitheer der Janitscharen

soll seit seiner Gründung unter Orhan, einem der Söhne des Osman, bis zur Zeit unter

Mohamed IV. (1648-1687) auf 40.000 Mann angewachsen sein (Mehmet Ali 1981:91ff).

Nach einem gewaltigen Rückschlag, den die Tataren unter Timur Lenk den Osmanen in der

Schlacht bei Ankara 1402 versetzten, gelingt es der Osmanischen Dynastie dennoch nach

und nach die Herrschaft in ganz Kleinasien, in den ehemals arabisch beherrschten Gebieten

Syrien (1516), Palästina, Irak, Iran zu übernehmen. Durch die Berührungen mit den hoch

entwickelten Kulturen des persisch-arabischen Raumes haben die Osmanen viele kulturelle

Einflüße aufgenommen (cf. Weithmann 1995:117ff). Auch den Norden Afrikas (Ägypten,

Tripolis, Tunis, Algier, etc.) machen sich die Osmanen untertan. Nach der Eroberung

Kleinasiens drängen die Osmanen gegen das nordwestlich gelegene Byzanz. Von

Kleinasien aus überqueren sie die Dardanellen und setzen 1354 Fuß in Europa. Murad I.

(1359-1389) besiegt um 1362 Adrianopel, danach ganz Thrakien. Bis zu Ende des 14.

Jahrhunderts wird Makedonien, durch die Einnahme von Vidin um 1396 Bulgarien

eingenommen und Nordserbien zum Vasall gemacht. Nach einem Angriff im Jahre 1422

fällt die Stadt Konstantinopel im Jahre 1453 in osmanische Hand. Die Zahl von 100.000

Soldaten sollen nach türkischen Quellen dabei eingesetzt worden sein (Mehmet Ali

1981:91ff), viel weniger Schiffe aber, als es z.B. in dem rumänischen Schulbuch Istoria

românilor von M. Manea angegeben wird (cf. ib. 1992:234). Sultan Muhammed II., der

Eroberer (1451-1481) löst die Herrschaft Konstantins XII. Dragasses, des letzten

oströmischen Kaisers, ab und macht die ehemalige Hauptstadt des "Neuen Rom" zum

hundertjährigen Sitz des osmanischen Kalifats. Nach der Eroberung von Byzanz führt

Muhammed eine Offensive durch, die ihm sukzessive die bedeutenden christlichen

Stützpunkte des Balkans in Serbien, Bosnien, Herzegovina, Albanien, etc. einbringt sowie

die rumänischen, an der Schwarzmeerküste gelegenen Stadt-Festungen Chilia und Cetatea

Albă. Ungefähr zur gleichen Zeit fällt auch das mongolische Khanat der Halbinsel Krim

unter türkische Herrschaft und wird in ein türkisches Vasallentum verwandelt. Im Jahre

1521 nützt Soliman I., der Prächtige (Herrscher von 1521-1566), die instabile Lage der

europäischen Staaten und erobert Belgrad sowie kurz darauf die - bis dahin in den Händen

des Johanniterordens befindliche - Insel Rhodos (ca. 1523), wesentliche

Schlüsselpositionen der christlichen Staaten.

Der Sieg der Türken in der ungarisch-türkischen Schlacht von Mohács im Jahre 1526 führt

zur politischen Auflösung Ungarns. Ganze Landstriche werden in das Osmanische Reich

integriert (der nördliche Teil geht an Habsburg, für den Ferdinand von Österreich einen

jährlichen Tribut von 30.000 Goldstücken aufbringen wird müssen), Ioan Zápolya, König

von Ungarn und Fürst von Transsilvanien wird dem Sultan gegenüber tributpflichtig. Das

Osmanische Reich erreicht zur Zeit Solimans des Prächtigen (1520-1566) seine größte

Ausdehnung und kulturelle Blüte. Nach der Zeit des goldenen Zeitalters beginnt in der

zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der langandauernde Verfall des großen Reiches. Erste

Anzeichen einer Stagnation des Macht ist die unfruchtbare Belagerung von Wien im Jahre

1683. Im Frieden von Karlowitz sieht sich die Pforte kurz darauf (1699) zum erstenmal

gezwungen, auf verschiedene Regionen zu verzichten, die zugunsten Österreich-Ungarns,

Polens, Rußlands abgetreten werden. Die politischen Konstellationen dieser Zeit werden

die orientalische Frage entstehen lassen, die lange Zeit die großen europäischen Mächte

interessieren wird. Von großer Bedeutung für die rumänischen Länder ist der Vertrag von

Kutschuk-Kainardschi (1774), mit dem die Pforte an ihrer politischen Vormachtstellung zu

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verlieren beginnt und aufgrund dessen die Machtansprüche Habsburgs und Rußlands auf

die Rumänischen Ländern neu verteilt werden.

2. Die Lage auf der Iberischen Halbinsel

Als die Araber in das Gebiet des heutigen Spanien eindringen, befindet sich das Land unter

der Herrschaft mehrerer westgotischer Stämme. Die Goten dürften als eine, die

einheimische Bevölkerung mit Sklaverei und Besteuerung schwer unterdrückende Elite

geherrscht haben. Nach drei Jahrhunderten westgotischer Herrschaft läßt der Tod des

Königs Witiza im Jahre 710 die internen Zerwürfnisse des Landes eskalieren. Der

Beschreibung einiger Quellen nach, könnte ein in Andalusien herrschender Graf namens

Julián, aus dem Lager Witizas oder von dessen Sohn Ajila, eine gegen den letzten König

der Westgoten gerichtete Allianz mit den Mauren Nordafrikas eingegangen sein. Ziemlich

wahrscheinlich ist die Existenz eines in Tanger herrschenden Berberführers namens Tariq,

der im Jahre 711 mit einigen Hundert Mann die Meerenge von Gibraltar überquert. Sein

Auftraggeber war Muza, der Herrscher über den - heutigen - Maghreb und Befehligter des

Kalifen von Damaskus.

Was möglicherweise als ein Akt der Allianz geplant war, begann eine Eigendynamik zu

entwickeln. Auf den Übergriff Tariqs folgten bald weitere Expeditionen nordafrikanischer

Truppen und eine Schlacht am Guadalete, die das Schicksal der Península bestimmen

sollte. Die angreifenden Berber siegten über die königlichen Truppen, das Lager Roderichs

wurde zerschlagen. Die Spuren des letzten Königs der Westgoten verloren sich. In nur

wenigen Jahren bringen unter den nicht immer in Einklang handelnden Befehlshabern

Tarik, Muza und dessen Sohn, Abd-al-Aziz, muslimische (berberisch-arabische) Truppen

den gesamten Süden Iberiens unter ihre Herrschaft. Nach Córdoba, der größten Stadt der

südlichen Baetica, werden zwischen 711 und 713 Sevilla, Beja, Mérida und Toledo, eines

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der bedeutendsten Zentren der ehemaligen westgotischen Herrschaft, eingenommen. Wenig

später errreicht die islamische Front die Ebro-Region mit den Zentren Zaragoza, Lérida und

Barcelona und die Region Aragón im Osten und Castilla la Vieja (mit León und Astorga)

und Asturias (mit Oviedo) im Westen und Norden der Halbinsel. Somit ist fast ganz

Spanien unter arabische Herrschaft gebracht und nur die Bergregionen Galiziens,

Kantabriens, Asturiens, des Baskenlandes und der Pyrenäen bieten der fliehenden

westgotischen Aristokratie Zuflucht. In den nächsten Jahrhunderten entrichten die

Herrscher der Nordregionen den Muslimen Tribute, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren

bis sich dieses Verhältnis umkehren wird. So entrichteten u.a. die Könige fast aller

arabischen Kleinreiche zur Zeit Alfonso VI. diesem König Tribut (cf. Dedieu in: Cardaillac

1992:41-55).

Das maurische Spanien (Al-Andalus) befindet sich zunächst unter der Herrschaft der

mächtigen und untereinander rivalisierenden Kalifendynastien von Damaskus und Bagdad.

Rund ein Jahrhundert herrschen von der Hauptstadt Syriens aus die Omajjaden (Omeyas)

über das neu eroberte Land (ca. 661-750). Um 750 löscht ein Überfall der Abbassiden auf

ihre Rivalen (golpe de los abasíes) die Dynastie der Omajjaden fast vollständig aus. Erstere

übernehmen die Herrschaft des östlichen Kalifats, dessen Sitz unter dem mächtigen

Herrscher Al-Mansur (754-775) in die neu errichtete Hauptstadt Bagdad verlegt wird. Im

Westen gelingt es einem Nachfolger der Omajjaden die Herrschaft im Süden der Península

zu übernehmen. Um 755 gründet Abd Al-Ramán I. (756-788) das unabhängige Emirat von

Córdoba. Abd Al-Ramán III. (912-961) wandelt dieses Emirat im Jahre 929 in ein Kalifat

um. Rund einhundert Jahre lang besteht das califato de Córdoba, bis es 1031 in eine Reihe

kleinerer Verwaltungseinheiten, den sogenannten reinos de taifas zerfällt. Die

bedeutendsten darunter sind Sevilla, Toledo, Zaragoza, Valencia, Granada, Badajoz. Um

den Zerfall ihrer Reiche aufzuhalten, rufen die Könige der taifas eine in Marokko zur

Macht gekommene Dynastie zu Hilfe. Ihre Herrschaft wird später von einer anderen

nordafrikanischen Dynastie abgelöst. Die Zeit der Almoraviden (1055-1147) und der

Almohaden (1147-1269) sind gekennzeichnet von Fanatismus und hartem militärischen

Vorgehen gegen die Christen, Verwüstungen und Belagerungen (z.B. Toledo). Das Ziel

dieser Herrscher war es, die Muslime von Al-Andalus zu größerer Sittlichkeit nach den

religiösen Gesetzen des Islam zu bringen (cf. J. L. Martín 1985). Christliche Ritter

schlossen sich am Beginn des 13. Jahrhunderts zu den Orden von Santiago und Calatrava

zusammen, um gegen diese afrikanischen Herrscher zu kämpfen.

Die muslimischen Eroberer von Al-Andalus stellen keine homogene Ethnie dar. Der Islam

hatte Angehörige unterschiedlicher Völker unter sich vereint, die in der eroberten Welt

unterschiedliche Ebenen der Gesellschaft besetzten. Eine arabische Aristokratie siedelte

sich verstärkt in den urbanen Gebieten an. Die für die militärische Eroberung der

spanischen Länder eingesetzten Berber hingegen nahmen, ihrem Nomadentum

entsprechend, die trockenen Meseta-Regionen ein. Truppen von Syrern und Yemeniten, die

für militärische Zwecke ins Land berufen wurden, siedelten sich im Süden der Halbinsel

im zukünftigen Reich Granadas an. Aus dieser Pluralität von Völkern und Stämmen

unterschiedlichen hierarchischen Status erwuchsen zahlreiche Konflikte (cf. z.B. die

Berberaufstände des Jahres 740) im Inneren der muslimischen Welt.

Der Widerstand der Christen gegen die Eroberer formiert sich, wie schon erwähnt wurde,

im hohen Norden der Península. Hier bilden sich unter der politischen und militärischen

Bedrohung durch die Eroberer des Südens bis zum 12. / 13. Jahrhundert unabhängige

Klein-Staaten christlicher Herrscher heraus: Asturien-León, Portugal, Kastilien, Navarra

und verschiedener katalanische Grafschaften. Sie entstanden durch die allmähliche

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Besetzung des verödeten Landes zwischen dem christlich besetzten Norden der Península

und dem maurischen Al-Andalus. Im Gebiet zwischen der Cordillera Cantábrica und dem

Duero siedelten die Herrscher des Nordens Christen der nördlichen Regionen und aus dem

Süden fliehende Menschen an. Zug um Zug mit der allmählichen Zurückdrängung der

Eroberer gewinnen diese Königreiche an Boden, respektive an Macht. Im nördlichen

Westen beginnen als erste asturianische, im nördlichen Osten karolingische Herrscher den

Widerstand gegen die Eroberer zu formieren. Die christliche Eroberung muslimischer

Gebiete (reconquista) verläuft in vertikaler Richtung vom Norden der Península nach

Süden. Nach der ersten, frühen Niederlage der Mauren durch den Sieg Pelayos gegen Al-

Cama bei Covadonga um 720, wird es aber noch Jahrhunderte dauern, bis die Muslime

vollständig zurückgedrängt sein werden. Toledo wird im Jahre 1085 unter Alfonso VI. von

den Christen eingenommen, bleibt aber noch lange "un lugar de frontera, una plaza

fronteriza, un lugar obligado entre las dos culturas", eine Stadt - im wahrsten Sinne des

Wortes - zwischen der christlichen und der muslimischen Welt (Dedieu in: Cardaillac

1992:41-55). Erst seit dem Sieg der kastilischen Truppen über die Almohaden bei Navas de

Tolosa (1212) rückt die christliche Eroberungslinie beständig weiter gegen Süden, etwas

später als im Lusitanien Alfonso Henriques’ (1128-1185). Nach und nach werden das

Festland und die Inseln eingenommen: Córdoba (1236), Sevilla (1248), Valencia (1238)

und Murcia (1266), Mallorca (1229). Im Süden der Halbinsel entsteht unter den Nasriden

noch einmal ein blühendes Reich maurischer Herrschaft. Diese letzte Enklave bleibt bis

1492 in der Hand der Besetzer. Im diesem Jahr fällt es an die Krone von Kastilien unter

den Katholischen Königen Isabel I. de Castilla und Fernando II. de Aragón.

Die maurisch-arabische Besetzung hat die christliche Bevölkerung in eine

Verteidigungshaltung gegenüber dem Eindringling gebracht, die jahrhundertelang bestand

und in unzähligen Militäraktionen beider Seiten zum Ausdruck kommt. Noch heute

bezeugen Ortsnamen wie Jérez de la Frontera diese historische Situation. Allein Al-

Mansur (976-1002), Schatzmeister des Kalifen Hisham II. und despotischer Herrscher

Córdobas, soll 50 Feldzüge gegen die Christen geführt haben. Er richtet sein mächtiges

Heer unter anderem gegen Santiago de Compostela und der Region von Barcelona. Auch in

Zeiten des Friedens konnte es zu spontanen militärischen Aktionen der Muslime kommen,

z.B. um Fehden christlicher Herrscher zu bekämpfen. Seit dem Einsetzen der Reconquista

überfallen die Christen ihrerseits in günstigen Momenten muslimische Städte oder

Regionen. Später wird der Papst (seit Urban II.) den Krieg der Christen gegen "die

Ungläubigen" unterstützen. In gewissen Zeitabständen, manchmal auch jahresbedingt

werden diese Überfälle von muslimischer Seite aus gerächt. Auf ihren Expansions-, Straf-

oder Raubzügen zu Pferde vernichten, versklaven und brandschatzen die Eroberer. Unter

der fanatischen Regierung nordafrikanischer Dynastien kommt es seit dem 12. Jahrhundert

wieder verstärkt zu Razzia-artigen Überfällen. Jahrhundertelang fürchteten die Christen die

sogenannten piratas berberiscos, die von der See aus Überfälle unternahmen. Diese

kriegerische Beziehungen von Christen und Mauren stehen in Zusammenhang mit einer bis

heute - z.B. in verschiedenen größeren Ortschaften der Provinz Almería - existierenden

Tradition. Es handelt sich dabei um (fingierte) Kämpfe, in denen (fingierte) Christen und

Mauren gegeneinander antreten. In ihrem 1993 erschienenen Buch La fiesta de Moros y

Cristianos en la Villa de Carboneras erläutern Cala y López & Flores González die

historische Entstehung dieser Spiele für die gleichnamige Ortschaft Villa de Carboneras.

Nach der Enteignung und Vertreibung der moriscos bzw. cristianos nuevos zwischen 1492

und 1570 verödeten im südöstlichen Spanien ganze Regionen (um Vera, Mojácar,

Almería), die mit Christen angesiedelt wurden. Anfangs waren diese zahlenmäßig sehr

gering. Nordafrikanische Muslime fielen immer wieder in diese Region ein und

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verschleppten die Bevölkerung. Die Ciudad de Vera beispielsweise wurde 1523 von mehr

als 1000 Piraten belagert, Mojácar in den Jahren 1501, 1520, 1547 angegriffen. Aufgrund

der dünnen Besiedlung bzw. des schlechten Schutzes war Villa de Carboneras sehr

gefährdet. Vor allem die Bevölkerung an der Küste war einer "inseguridad reinante"

ausgesetzt. In dieser Zeit übte man, im Rahmen von Turnieren für den Ernstfall: "En este

ambiente, los alardes, los torneos de canas, los juegos de alcancías y otras prácticas

similares tenían una justificación como ejercicio y adiestramiento, pues había que estar

preparados para acudir a los “rebatos” y alarmas de presencia de moros, o para defenderse

de un asedio" (ib. Estudio preliminar: XXI). Ursprünglich dienten diese Veranstaltungen,

in denen die Mauren grundsätzlich verlieren (mußten), die Moral der Christen zu erhöhen

bzw. die christlichen Werte erhöht darzustellen. Besonders gefürchtet waren die Muslime

aufgrund ihrer Seestärke, ihrer guten Ausrüstung, v.a. ihrer Schwerter und nicht zuletzt

aufgrund ihres Mutes, einer Tugend, die an faste an die Beschreibung ritterlicher Tugenden

denken läßt: "Este tipo de duelos que tenían lugar de vez en cuando ante las tropas

enemigas enfrentadas, antes de que comenzaran el combate, revelan actitudes de tipo

caballeresco, semejanzas de mentalidad y comportamiento entre árabes y europeos"

(Dufourcq 1994:35).

Trotz zahlreicher interner Probleme war Al-Andalus in mehrfacher Hinsicht eines der

blühendsten Reiche seiner Zeit. Nach M. Vincent & R. Stradling ist das maurische Spanien

"im Frühmittelalter immer noch bei weitem das differenzierteste politische Gebilde in

Europa westlich des Byzantinischen Reiches" (ib. 1995:47). Al-Andalus, das Spanien

arabischer Herrschaft erlebt einen außergewöhnlichen Aufschwung. Der folgenden

(orientativen) Statistik zufolge, soll das omajjadische Córdoba des 10. Jahrhunderts eine

halbe Million Einwohner, über einhunderttausend Häuser, Hunderte von Moscheen und

Bäder und siebzig Bibliotheken gezählt und lange vor den großen Städten Nordeuropas

gepflasterte Straßen, Lampen gekannt und öffentliche Bäder genützt haben: "En el siglo X,

momento álgido de la ciudad, Córdoba contaba con una población de medio millón de

habitantes y en ella, según los historiadores árabes, había 113.000 casas, 700 mezquitas,

300 banos públicos, 70 bibliotecas y un montón de librerías. Y todo aquello, cuando en

toda la Cristiandad occidental no había ni una sola ciudad cuya población superara los

10.000 habitantes (...). La Córdoba musulmana tenía rasgos que no se encontraban en

ningún otro lugar de Europa, aparte de Bizancio. Por ejemplo, tenía kilómetros de calles

pavimentadas, iluminadas con lámparas desde las casas de los lados (setecientos anos

después, en Londra no había ni una lámpara pública y apenas se conocía el pavimento), y

cuando los cristianos occidentales todavía consideraban el baño como una costumbre atea,

los habitantes de Córdoba llevaban disfrutando de los banos públicos durante varias

generaciones." (Townson 1990:12).

Die Bewässerungstechnik und das agronomische Wissen der Araber läßt das Land

landwirtschaftlich gedeihen und eine für Spanien einzigartige Zone entstehen, la fértil vega

granadina (Dufourcq 1994:109). Neben der Falknerei, der Bienenzucht und der Zucht von

Tauben - zur Verständigung zwischen den alcázares -, ist die Pferdezucht ein großes

Anliegen der Araber: "la ganadería por excelencia es la caballar: los árabes idolatran al

«noble corcel», indispensable en las razias y en cualquier maniobra guerrera" (Dufourcq

1994:83). Der Handel mit wertvollen Materialien blühte. Aus der Region Málagas bezog

man Rubine, aus Jaén, Gold und Silber, man importierte Gold und Elfenbein aus

Westafrika. Aus dem Orient brachte man Seide, bis man um 750 gefangenen Chinesen das

Geheimnis der Seidenwurmzucht entriß und selbst Seide zu produzieren begann. Aus den

kostbaren Materialien und Edelstoffen stellten Kunsthandwerker reich verzierte

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Schmuckstücke, Schatullen, Boden- und Wandteppiche her. Die Kunst der Gerberei und

Färberei von Leder wurde erfunden, weiterentwickelt und Glas hergestellt (cf. Townson

1990:12-24). Die Produkte der Textilherstellung spiegeln orientalischen Luxus wider: "De

los talleres privados salen telas de lino y algodón, tejidos, mantas y alfombras de lana,

mientras que las manufacturas del Estado disfrutan del monopolio, completo o casi, de la

fabricación de tejidos de lujo: las sedas y los brocados (...) En las dependencias de los

palacios de Córdoba, Palermo, Sevilla y Zaragoza, así como de Granada, se tejen

fantásticas telas de seda y oro, sobre las que se bordan el nombre y los títulos del soberano,

acompañados por guirnaldas encomiásticas. En estas manufacturas «reales» se fabrican

también gualdrapas de seda y oro para los caballos, alfombras de seda, sillas de brocado,

tapices de lujo que reflejan la magnificencia del arte bizantino y cuyas formas llegan, a

través de Damasco y Bagdad, hasta Occidente" (Dufourcq 1994:126).

Auch kulturell erlebt Spanien unter der Herrschaft der Araber eine Hochblüte. Sie wird in

den Künsten, der Architektur, den Kunstgewerben, der Poesie, der Philosophie, den

verschiedenen Wissenschaften wie Mathematik, Astronomie, zum Ausdruck kommen. Ein

Großteil des klassischen Wissens wird durch die Arbeiten der Toledaner

Übersetzungsschulen an die geistigen Zentren des Abendlandes vermittelt werden. Das

Kalifat von Córdoba verfügt über ein differenziertes Unterrichtssystem mit Disziplinen, die

aufgegleidert waren in: "autochthone oder muslimischen (Theologie, Grammatik,

Staatsverwaltung, Poesie, usw.) und übernommene, d.h. solche Disziplinen, die als

Ergebnis der im 8. und 9. Jahrhundert entstandenen Übersetzungen in die islamische Welt

eingedrungen waren (Vernet 1984:44). Auch sportlich-spielerische Vergnügungen führten

die Muslime in ihrer neuen Heimat ein. Sie widmeten sich verschiedenen Arten des

Ballspiels (pelota), des Glücksspiel, das nach dem Koran nicht erlaubt war, dem

Schachspiel, etc. Sie veranstalteten Pferderennen und Turniere, pflegten aber auch einfache

Formen von Geselligkeit: "Otra actividad que sirve de solaz a jinetes y espectadores por

igual es la carrera de caballos, máximo exponente del arte de la equitación. También, como

en el resto de Occidente, se realizan torneos" (Dufourcq 1994:129); "Otra de las

distracciones, tanto de ricos como de pobres, consistía en reunirse para celebrar fiestas y

cenas en los jardines" (Townson 1990:16). Während abendlicher gesellschaftlicher Treffen

war es Brauch, zu Musikbegleitung zu tanzen. Bei solchen Gelegenheiten dürfte der Genuß

von Alkohol nicht unbekannt gewesen sein, obwohl der Koran den Genuß von Wein

explizit verbietet: "Por mucho que lo prohibía el islam, el vino forma siempre parte de

estas diversiones". Desweiteren pflegte man die Benutzung des öffentlichen Bades, das den

Menschen aller Bevölkerungsschichten offen stand (cf. Dufourcq 1994:128-136). Aus der

Sicht europäischer Autoren werden immer wieder hohe Herrscherpersönlichkeiten erwähnt,

die mit großer Freizügigkeit der Sinnes- bzw. der Liebesfreude frönten (cf. das Kapitel

über Sensualidad y largueza in Díaz-Plaja 1993:13-32).

Man kann innerhalb der muslimischen Herrschaft in Spanien eine frühere, mildere und eine

spätere - nach Francisco-Javier Simonet - "despotische" Phase erkennen (cf. Dufourcq

1994:155-186). Letztere koinzidiert mit der schon erwähnten Herrschaft der Almoraviden

und Almohaden, die mit Fanatismus und militärischer Potenz dem Niedergang des Islam in

Spanien zu entgegnen versuchen. In den ersten Jahrhunderten arabisch-muslimischer

"contextura" (A. Castro 1983:19-81) genießen hingegen verschiedene Regionen auch im

Inneren von Al-Andalus eine relative Unabhängigkeit. In diesem Zusammenhang wird

manchmal das Fürstentum Ronda erwähnt. Aber auch in synchroner Perspektive sind der

Kontakt und die Beziehung zwischen Mauren und Christen vielschichtig, kriegerisch

während der militärischen Aktionen, friedlich im Zusammenleben der urbanen Zentren und

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während des Waffenstillstandes und als solche auf allen Ebenen der Gesellschaft zu finden:

"Dos sociedades se entreveran merced a múltiples contactos. Miles de nobles y de soldados

cristianos venidos del norte, amigos o enemigos según el día, viajan y permanecen en tierra

musulmana. Aprendan la lengua del otro, aprecian sus costumbres y sus gustos" (Dedieu

in: Cardaillac 1992:47). Mitunter forderten arabische Eroberer von den Christen junge

Frauen und Kinder als Tribut oder Geiseln, die sie mit sich nahmen, um sie in der Welt des

Islam aufwachsen zu lassen. Der König trug seinerseits zu einer direkten Vermischung des

arabischen mit dem christlichen Element bei. Er integrierte mit besonderer Vorliebe und

zur Symbolisierung seiner Macht gefangene christliche Frauen und Sklavinnen in sein

Harem, wo diese ein völlig arabisiertes Leben führten. Nach der Geburt eines Sohnes des

Herrschers änderte sich der juridische Status dieser Frauen und sie konnten theoretisch ihre

Freiheit zurückbekommen und in ihre Welt zurückkehren. Als Al-Mansur im Jahre 980 bis

tief nach Kastilien vordrang, soll ihm der König von Navarra, Sancho Garcés, seine

Tochter angeboten haben, die jener als Frau nahm und die zum Islam übertrat (Castro

1983:47-81).

Die Arabisierung von Al-Andalus, wie auch die Hispanisierung der Muslime werden in der

Literatur je nach Autor unterschiedlich quantifiziert. Möglicherweise waren die arabischen

Herrscher darum bemüht, den Islam keinem christlichen Einfluß auszusetzen und ließen

die verschiedenen Ethnien aus diesem Grunde in eigenen Wohnvierteln siedeln - vgl. z.B.

die morería, aber auch das Judenviertel in Toledo -. Dies hinderte die mehrheitlich

christliche Bevölkerung (cf. Vincent 1995:42-59) jedoch nicht daran, wie oben bereits

erwähnt wurde, das Arabische als Sprache des Alltags, der Liturgie, der Wissenschaften

und der Kultur anzunehmen und zu tradieren. Die arabische Poesie war so beliebt, daß sie

schnell Nachahmer unter den Christen fand. Zwar hat das Arabische die grammatikalische

Struktur der romanischen Varietäten der Península kaum verändert, doch gibt es auch im

heutigen Spanisch - und Portugiesisch - lexikalische Anleihen aus dem Arabischen in

vielen semantischen Bereichen: agricultura, construcción de edificios, artes y oficios,

comercio, administración pública, ciencias, guerra (Castro 1983:62). Die Einfluß der

arabisch-islamischen Kultur endete erst mit der vollständigen Vertreibung der mudéjares,

der nach dem Islam lebenden Moslems unter christlicher Herrschaft. Die Emigration dieser

Menschen - zunächst aus den ländlichen Gebieten - begann seit der zweiten Hälfte des 13.

Jahrhunderts.

Die (frühen) arabischen Herrscher können am wirtschaftlichen Aspekt der eroberten

Länder nicht uninteressiert gewesen sein, wenn Blanco Freijeiro meint, daß "su finalidad

era afianzar el control de las tierras ocupadas, mediante la creación de dependencias

fiscales" (1990:233). Von gefangenen Adligen wissen wir, daß sie sich mittels der Zahlung

eines Lösegeldes freikaufen konnten (cf. López Estrada 1982:26) bzw. christliche Bürger

sich auf diese Weise ihren Schutz (dimmí) und ihre Rechte innerhalb der muslimischen

Gesellschaft sichern konnten. In den sogenannten capitulaciones werden die

Machtverhältnisse der christlichen und der arabischen Herrscher festgehalten sowie der

jährliche Tribut und die Abgabe eines Teils der landwirtschaftlichen Produkte bestimmt.

Die Anerkennung des Islam - und sei es in Form einer Steuerabgabe - räumte den Christen

zumindest theoretisch das Recht auf den eigenen Besitz und auf die eigenen Traditionen

ein. In diesem Zusammenhang taucht in Darstellungen des Islam in Spanien in einigen

Geschichtsdarstellungen immer wieder der Begriff der Toleranz auf: "El Islam es tolerante.

No ha forzado a los cristianos a convertirse. En país musulmán, el clérigo ofrece su

ministerio, los monasterios funcionan, se enseña teología, se especula sobre las relaciones

entre el Hijo y el Padre, y el culto prosigue..., aunque sin poderse manifestarse

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públicamente, es cierto" (Dedieu in: Cardaillac 1992:43). Auch Charles-Emmanuel

Dufourcq weist in seinem Buch La vida cotidiana de los árabes en la Europa medieval auf

diesen Aspekt des Umgangs der Eroberer mit den Christen hin, die nicht daran gehindert

werden, ihr religiöses Dasein weiterzuführen: "Si es cierto que durante la conquista árabe

algunas iglesias fueron transformadas en mezquitas, también lo es que los musulmanes

dejaron otras a disposición de los cristianos". Christliche Klöster waren zudem vom Tribut

befreit, wenn sie muslimischen Reisenden Quartier gewährten und sie blieben die geistigen

Zentren der Christen (gegen den Islam). Und auch in zivilrechtlichen Fragen bleibt den

Christen eine gewisse Autonomie gewährt (Dufourcq 1994:155-187). Neben dieser

Haltung kennt das muslimische Regime aber auch sehr harte Vorgehensweisen, vor allem,

wie schon erwähnt wurde, in der Zeit der nordafrikanischen Herrschaft in Spanien. Die

allmähliche Erhöhung des Tributs und der Bestimmung kirchlicher Angelegenheiten

erschweren nach und nach die Lebensbedingung der nicht-muslimischen Bevölkerung

(Cairns 1990:50-66). Der bewaffnete Widerstand gegen Muslime, religiöse Beleidigungen

oder der nicht erbrachte Tribut konnten strenge Strafen, wie z.B. den Verlust des Schutzes,

Tötung durch den Strang, das Feuer, etc. nach sich ziehen.

In der sozialen Hierarchie waren die Christen den Mauren deutlich untergeordnet: "el

estatuto jurídico del cristiano lo sitúa en un estado de inferioridad señalada: paga un

impuesto especial, no tiene derecho a casarse con una musulmana..." (Dedieu in: Cardaillac

1992:43). Bei Begegnungen auf der Straße sollten sie diesen den Vortritt lassen, in Schnitt

und Form keine den Muslimen übliche Kleidungen oder Farben tragen, noch sich in ihrer

Art rasieren und niemals ein Schwert oder eine andere Waffe tragen, herstellen oder

besitzen (Dufourcq 1994:179), etc. Und scheinbar den Vorschriften zum Trotz, imitieren

seit dem 9. Jahrhundert die Einwohner des Südens ihre herrschenden Nachbarn in vielen

Aspekten ihres Daseins: "En al-Andalus, es decir en la España musulmana, a partir del

siglo IX y aunque se mantengan fieles al cristianismo, los indígenas copian a los árabes en

los detalles esenciales de la indumentaria y el arreglo personal, tanto en cuanto al corte

como al color de los vestidos". Nach der Mode der reichen Aristokratie beginnt die

mozarabische Jugend Kleidung aus Seide, Schmuck und Parfum zu tragen (Dufourcq

1994:161).

3. Die Lage auf dem Balkan

Nachdem die Türken in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (ca. 1357) in Europa Fuß

gefaßt haben, erreichen sie im letzten Jahrzehnt desselben Jahrhunderts die Donau. Dieser

Fluß wird während des rumänisch-türkischen Tauziehens der nächsten Jahrhunderte um

staatliche Macht immer wieder eine wichtige Grenze sein, an dessen Ufern oder in dessen

Nähe sich die Feinde bekämpfen. Viele der militärischen rumänisch-türkischen Aktionen

zentrieren sich um das an der Donau oder in Donaunähe gelegene Giurgiu, Silistra, Brăila,

Hîrşova, Chilia, Nicopole, Vidin, etc. Das Osmanische Reich oder die Hohe Pforte

(rumänisch Sublima oder Înalta Poartă) wird rund fünfhundert Jahre und mit mehr oder

weniger Erfolg die Unabhängigkeit aller rumänischen Länder militärisch und politisch

bedrohen. In diesem Zeitraum werden die rumänischen Herrscher viele Male zum Zwecke

von Schutzbünden Allianzen untereinander, Bündnisse mit angrenzenden Staaten wie

Ungarn, Polen, Litauen, mit dem Papst oder der Handelsmacht Venedig anstreben und

oftmals die Oberhoheit dieser anderen Mächte akzeptieren müssen. Während die

Landesfürsten der Walachei häufig Ungarn und Transsilvanien als Bündnispartner suchen,

geht die Moldau häufiger Allianzen mit Polen bzw. den Mächten in ihrem Nordosten ein.

Im Jahre 1600 vollzieht der Fürst Mihai Viteazul / Michael der Tapfere, Herrscher der

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Walachei (1558-1601) die erste, kurzlebige Vereinigung aller rumänischen Länder, als er

sich zur Verteidigung gegen die Osmanen mit Sigismund Bathory von Transsilvanien und

Aron Vodă von der Moldau verbündet.

Aufgrund ihrer Diplomatie und ihrer Allianzpolitik gelingt es den rumänischen Ländern

über den ganzen Zeitraum türkischer Expansionspolitik hindurch ihre staatliche

Unabhängigkeit zu bewahren. Während andere südosteuropäische und Balkanstaaten - wie

z.B. Ungarn und über mehrere Jahrhunderte lang Bulgarien - unter die direkte Herrschaft

der Pforte gestellt werden, gelingt es den Osmanen nicht, die Walachei und die Moldau in

türkische Verwaltungseinheiten (rumänisch paşalâcuri) zu verwandeln. Das unter

ungarische Herrschaft gekommene Transsilvanien wird nach der Besetzung Ungarns durch

die Pforte von dieser als autonomes Fürstentum anerkannt. Ein anderes Schicksal ereilt das

Gebiet der Dobrudscha, das am Ende des 14. Jahrhunderts aufgrund der Schlüsselposition

seiner Handelsstädte am Schwarzen Meer zu einem bedeutenden politischen Faktor am

Balkan geworden war. Die Dobrudscha wird am Beginn des 15. Jahrhunderts von den

Osmanen erobert und bleibt bis 1877 türkisch besetzt. Diese Besetzung setzte eine

Kolonisierung durch Muslime fort, die bereits im 13. Jahrhundert begann. Noch heute

erinnern in der Dobrudscha als einziger Region Rumäniens Bauwerke islamischer Kultur

(z.B. die Moschee in Mangalia) an das türkische Leben in dieser Provinz.

Nach der Einnahme von Serbien und Bulgarien bezogen die Türken im Jahre 1394 Stellung

entlang des gesamten Donauufers. Damit war die Walachei Mirceas des Älteren (Mircea

cel Bătrân, 1386-1418) das erste Ziel der türkischen Eroberungslinie. Der Widerstand der

Walachei konnte die weiter nordöstlich gelegene Moldau noch mehrere Jahrzehnte vor der

türkischen Bedrohung abschirmen. Sultan Baiazid Ilderim (1389-1402) plante eine große

Expedition gegen Mircea den Älteren, der die Serben militärisch unterstützt hatte.

Mit einem Heer von ungefähr 40.000 Soldaten - diese Zahl gibt ein modernes und vom

Unterrichtsministerium in Bukarest herausgegebenes Schulbuch über rumänische

Geschichte (Daicoviciu 1993:104-143) an - überquerte der Sultan die Donau, um in

Richtung der Hauptstadt Argeş zu ziehen. Die Schlacht bei Rovine um 1395 brachte den

Rumänen einen kurzfristigen Sieg ein. Wenig später kommen die Europäer den Rumänen

endlich zu Hilfe, um die Muslime über die Donau und aus Europa zu vertreiben. Am

Kreuzzug von Nicopolis beteiligten sich französische, burgundische, bayrische, steirische,

britannische, italienische, polnische, ungarische, venezianische, byzantinische und

muntenische Streiter (C. Giurescu & C. Giurescu, 1977:106). Die Unorganisiertheit der

Alliierten als auch die Kampfdisziplin der Türken brachte Baiazid den Sieg ein und

verstärkte die drohende Präsenz der Türken an der Donau (Vasile 1993:107-112). Seit der

Niederlage bei Nicopolis erlebt die Ţara Românească viele militärische Aktionen und

Raubüberfälle durch türkische Soldaten, die den muntenischen Herrscher dazu veranlassen,

ein ganzes System von befestigten Häfen entlang der Schwarzmeerküste und der Donau,

darunter Chilia, Silistra und Giurgiu, erbauen zu lassen. Während eines um 1400

stattfindenden Gemetzels entlang der Donau sollen viele Angreifer gefangengenommen

und getötet worden, andere ertrunken sein (Manea 1992:226). Dank des diplomatischen

Geschicks von Mircea gelingt es ihm, die von der Pforte abverlangten Tributzahlungen

eine Zeitlang hinauszögern. Zu diesem Zweck fördert er auch die Interessenskonflikte im

Inneren der Pforte und unterstützt Musa, einen der Söhne Baiazids, im Kampf um den

Sultansthron. Im Jahr 1415 kommt der Herrscher erstmals den Forderungen der Pforte nach

und entrichtet Sultan Muhammed I. (1413-1421) die Summe von 3000 Dukaten.

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Von Muntenien verlagert sich der antitürkische Widerstand in der ersten Hälfte des 15.

Jahrhunderts nach Siebenbürgen und Ungarn. Im Westen des heutigen Rumäniens ist es

Iancu von Hunedoara, Woievod von Transsilvanien (1441-1456) und Herrscher von

Ungarn (1446-1453), der in einer Reihe von bedeutenden Schlachten zwischen 1442 und

1456 die Verteidigung der Grenzen Siebenbürgens und der Walachei gegen die Truppen

von Sultan Murad II. übernimmt. In seine Zeit fallen unter anderem die für die Rumänen

siegreiche Schlacht auf serbischem Boden Campania cea lungă sowie die verlorene

Schlacht bei Varna (1444) auf bulgarischem Boden. In der zweiten Hälfte des 15.

Jahrhunderts wird die Walachei wieder verstärkt in die antitürkische Defensive verwickelt.

Nach Mircea cel Bătrân und einer Reihe von kurzlebigen Herrschern übernimmt Vlad der

Pfähler (Vlad Ţepeş, 1456-1462) die Verteidigung der Ţara Românească. Auch seine

Politik alterniert zwischen Tributzahlungen an die Pforte und temporären Kriegsallianzen

mit Nachbarstaaten. Der walachische Herrscher wird eine Reihe von Erfolgen gegen die

Türken verzeichnen, so z.B. die Eroberung der Burg Giurgiu, die Mehmed II. mit einem

Überfall auf die Walachei (ca. 1462) bestrafen will. Eine Flotte brachte zu diesem Zweck

eine große Anzahl türkischer Truppen über das Schwarze Meer und die Donau in das

Kriegsgebiet (Giurescu 1977:114). Die über 150 Schiffe trugen 60.000 Soldaten heran

(Manea 1992:238). Im Laufe des 15. Jahrhunderts unternahmen in der Dobrudscha

stationierte Türken immer wieder Raubzüge in muntenische Gebiete.

Nach der Abwehr der ersten türkischen Angriffe auf die Moldau unter Alexander dem

Guten (1400-1432), wird dieses Fürstentum in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zur

wichtigsten Bastion der antiosmanischen Front. Durch ihre geographische Lage nahm sie

eine Schlüsselposition für alle politischen Mächte der damaligen Zeit und insbesondere für

die Pforte ein. Auf ihrem Territorium befanden sich die beiden wichtigen und heftig

umfochtenen Burgen Chilia und Cetatea Albă (Akkermann) an der Mündung der Donau ins

Schwarze Meer. Mit der Verteidigung der Moldau und der rumänischen Länder verbindet

sich der Name einer der glorreichsten Persönlichkeiten und Feldherrn der mittelalterlichen

Geschichte Rumäniens. In die rund fünzigjährige Regierungszeit Stephans des Großen

(Ştefan cel Mare, 1457-1504) fällt eine lange Reihe von militärischen Aktionen zwischen

Türken und Rumänen. So stecken die Türken beispielsweise um 1480 die Stadt Suceava in

Brand. Ihrerseits erzielen die Rumänen einen großen Erfolg, als sie die türkischen Truppen

in der Schlacht bei Vaslui schlagen. In diesem Kampf errang Stephan der Große, der

Schilderung der Autoren C. Giurescu & C. Giurescu zufolge, mit nur einem Drittel der

Soldaten des Aufgebots, das die Türken stellten, den Sieg über Pascha Soliman. Trotzdem

sei die Niederlage vernichtend gewesen, viele türkische Soldaten seien in den Wassern des

Siret und der Donau ertrunken.

Auch das 1899 erschienene Werk Die österreichisch.-ungarische Monarchie erwähnt das

ungleiche Zahlenverhältnis der Gegner in dieser Schlacht: "In der berühmten Schlacht an

der Racova bei Vaslui erfocht Stefan (III. der Große) am 10. Januar 1475 über ein

türkisches Heer von 120.000 Mann, das unter Suleiman Pascha in die Moldau einbrach,

mit einem Heere von 40.000 Mann moldauischen Truppen, 2000 Polen und 5000 Ungarn

(meist um Sold geworbene Szekler nebst ungarischen Hilfstruppen in der Stärke von 1800

Mann) seinen glänzendsten Sieg. Nach der Schlacht schickte Stefan Gesandte an die

christlichen Fürsten und an den Papst mit dem Ansuchen um Beistand gegen den

drohenden Feind, der schon Anstalten treffe, die Niederlage zu rächen und "dieses

Festungsthor der Christenheit" - wie Stefan sein Land nennt - in seine Gewalt zu bringen";

"Er (Stefan der Große) konnte einer Feindesmacht von etwa 200.000 Mann kaum 40.000

Moldauer entgegenstellen" (ib.: 86-87). Den Darstellungen der rumänischen

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Historiographie nach waren in vielen Schlachten die Türken den Verteidigern auf

rumänischer Seite zahlenmäßig weit überlegen. So erwähnen die schon genannten Autoren

C. Giurescu & D. Giurescu "o covîrşitoare superioritate numerică" des türkischen Feindes

in der erwähnten Schlacht bei Vaslui. Auch Sultan Mehmed II. hätte die Ţara Românească

"cu trupe foarte numeroase" überfallen. Die Pforte verfügte über "foarte mari rezerve de

oameni şi de armament", etc. (ib., 1977:106-118). Auch andere Autoren erwähnen immer

wieder die numerische Asymmetrie zwischen der rumänischen und der auf türkischer Seite

kämpfenden Soldaten. In der um 1595 stattfindenden Schlacht bei Călugăreni sollen die

Männer Mihai Viteazuls den Türken in dem Verhältnis 16-18.000 gegen 50.000 - 80.000

gegenübergestanden sein (Pascu 1993:144).

Der außenpolitische Druck, den die Pforte auf die Moldau ausübt, verschlimmert sich noch

weiter, als es dem Osmanischen Reich, das um 1400 beinahe selbst den Tataren unterlegen

war, gelingt, das tatarische Khanat auf der Halbinsel Krim zu unterwerfen und zu

vasallisieren. Seit ihrer Unterwerfung unternehmen die Tataren im 16. und 17. Jahrhundert

im Auftrag der Pforte immer wieder Expeditionen und Raubzüge in rumänische Ländereien

und insbesondere in die Moldau. Dieser Kontakt ist nicht der erste, den die Rumänen mit

den Tataren hatten. Schon seit dem frühen 13. Jahrhundert (um 1240) durchstreiften im

Ausklang der tausendjährigen Völkerwanderungszeit wilde Horden aus Asien in

aufeinanderfolgenden Wellen rumänische Gebiete. Nach ihrer Eroberung des Fürstentums

Galitsch herrschten sie rund 150 Jahre über das moldauische Gebiet zwischen den

Karpaten und dem Nistru und fielen über die Karpaten "prădînd, arzînd şi luînd robi" auch

in Transsilvanien und Ungarn ein (Giurescu & Giurescu 1977:94). Während seiner

Regierungszeit verstärkt Stefan der Große die Befestigungsanlagen von Suceava, Neamţ,

Hotin, Chilia, Cetatea Albă, etc., zentrale Angriffspunkte osmanischer Attacken. Besonders

Chilia und Cetatea Albă dienten, wenn sie in türkische Hand fielen, als Brückenköpfe, von

wo aus sehr gut militärischer Druck und politische Kontrolle über das Donaudelta und den

Donauraum ausgeübt werden konnte: Durch die Inbesitznahme von Chilia, so schreiben C.

Giurescu & C. Giurescu, "Poarta îşi asigură controlul complet al Dunării, din Delta şi pînă

aproape de Belgrad" (ib. 1977:122). Im Kampf um die Bewahrung der staatlichen

Unabhängigkeit ging der moldauische Landesfürst immer wieder Kriegsallianzen mit der

Walachei, Transsilvanien und Ungarn ein, leistete aber auch Tributzahlungen, um den

Krieg zu vermeiden und sein Land zu schonen. Seine Politik konnte die interne staatliche

Organisation, ihre Institutionen und die Aufrechterhaltung der Armee bewahren. Erst in der

Regierungszeit Bogdans III. zu Beginn des 16. Jahrhunderts muß die Moldau endgültig

kapitulieren.

Eroberer und Eroberte einigten sich in bestimmten Verträgen, den sogenannten

Kapitulationen (rumänisch capitulaţii), in denen der Status, die Pflichten und die Summe

der zu entrichtenden Tribute bestimmt wurden. Für die Moldau ist uns der Inhalt eines

solchen Vertrages mit der Pforte durch die Aufzeichnungen des moldauischen Chronisten

M. Costin vermittelt worden. Sie sind in dem über die Bukowina handelnden Band des

Werks Die österreichisch.-ungarische Monarchie in Wort und Bild wiedergegeben: "Der

türkische Hatischerif mit den Stipulationen des Unterwerfungsvertrages soll im Jahre 1686,

als die Polen die Moldau besetzten, auf Befehl Johann Sobieski´s verbrannt worden sein;

doch ist ein Auszug daraus durch den moldauischen Geschichtschreiber, den Groß-

Logotheten Nikolaus Costin (gestorben 1712) uns erhalten. Darnach wurde dem

Fürstenthume die innere Selbständigkeit mit dem Rechte der Fürstenwahl und die Integrität

des Territoriums garantirt, wogegen der Fürst die Investitur vom Sultan zu erhalten hatte,

einen jährlichen Tribut in der Höhe von 11.000 Piastern (nach Costin = 4000 türkische

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Ducaten; im Jahre 1514 wird der Tribut in der Höhe von 8000 Ducaten angegeben) zahlen

und nöthigenfalls Heeresfolge leisten sollte" (ib. 1899:94). Die politische Situation der

Moldau verschlechtert sich im Laufe des 16. Jahrhunderts und kleinere Gebiete (Tighina,

Bugeac) fallen in osmanische Hand. Türkische Garnisonen, die in Tighina, Cetatea Albă,

Chilia, Dobrogea, Brăila, Giurgiu, Turnu, dem Banat stationiert sind, schaffen eine gute

Kontrollmöglichkeit der Bewegung der Rumänen.

Die Eroberung von Belgrad, einer der wichtigsten christlichen Bastionen auf dem Balkan

im Jahre 1521 ebnet den Türken den Weg Richtung Ungarn und das Ardeal. Die am rechte

Donauufer stattfindende Schlacht von Mohács im Jahre 1526 geht zum Nachteil der

Ungarn aus. Der ungarische König wird getötet, der Sultan kehrt in Buda ein. Ungarn wird

politisch aufgelöst, der zentrale und südliche Teil in eine türkische Provinz (Paşalâcul de

la Buda, 1541) umgestaltet. Der nordwestliche Teil fällt an Ferdinand von Habsburg, den

Bruder Karls des V. Das Banater Temeschvar / Timşoara wird wenig später zu einer

türkischen Provinz (Paşalâcul Timişoarei, 1552). Die zwei in diesen Provinzen

regierenden Paschas werden ihren Sitz in den beiden eingenommenen Städten haben.

Transsilvanien erhält Autonomie unter osmanischer Souveränität. Wie es die Moldau und

Muntenien zu dieser Zeit schon sind, wird das Fürstentum damit der Pforte gegenüber

tributpflichtig. Wichtige innere Probleme werden intern gelöst, andererseits muß der vom

Landtag gewählte Fürst von der Pforte bestätigt werden. Er konstituiert sich aus einem

Ratsstab von 12 Mitgliedern, je vier aus dem Osmanischen Reich, Ungarn und Rumänien.

Während im auslaufenden 14. und im 15. Jahrhundert die Rumänen noch vielfach

militärisch gegen die Türken vorgehen, nehmen im Laufe des 16. Jahrhunderts die

militärische Aktionen gegen die Türken allmählich ab. Dagegen wächst der politische

Druck, den die Pforte auf die rumänischen Länder ausübt, stark an, sodaß nach und nach

das Fremdregime einsetzt. Zu dieser Entwicklung dürfte die allmählich vollständige

Einkesselung der Rumänischen Länder von türkisch beherrschten Gebieten, der in

paşalâcuri umgewandelten Zonen des ehemaligen Ungarns im Westen, Bulgariens im

Süden und der am unteren Nistru in der Moldau gelegene Distrikt Tighina im Osten geführt

haben. Die wachsende politische Einflußnahme der Pforte in den rumänischen Provinzen

führte zu einem Machtverlust der fürstlichen Institutionen an die osmanischen

Entscheidungsgewalten während dem 16. und 17. Jahrhundert. Der Einfluß der Pforte blieb

aber indirekt und die innere staatliche wie auch religiöse Organisation der Länder

aufrechterhalten: "Muntenia şi Moldova îşi continuă existenţa ca state separate, cu teritorii

precis delimitate, cu alcătuiri sociale, administraţie şi instituţii proprii, cu armată, cu toate

manifestările vieţii statale ale epocii" (Giurescu 1977:125).

Trotz einer relativen Autonomie, die die rumänischen Länder genießen, hat die osmanische

Souveränität weitreichende Konsequenzen. Die rumänischen Landesfürsten sind in ihrer

Außenpolitik an die Entscheidungen der Pforte gebunden. Diese nimmt auch nach und

nach Einfluß auf die politische Gestaltung und Organisation sowie insbesondere auch auf

die Wirtschaftspolitik der Rumänischen Länder. Wie auch Transsilvanien wählen die

Moldau und die Walachei lange Zeit ihre Landesherren selbst, jedoch mit der Bestätigung

von Konstantinopel. Im Laufe des 16. Jahrhunderts beginnt die Pforte, in den rumänischen

Ländern verstärkt Regenten protürkischer Gesinnung einzusetzen, um eine ihr

zuwiderlaufende Politik zu verhindern. Aus diesem Grund werden im Fürstenrat neben

Rumänen auch Beamte anderer Nationalitäten eingesetzt, die Konstantinopel wohlgesinnt

sind. Der Status der rumänischen Fürstentümer ändert sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts,

als die Pforte zunächst in der Moldau (1711) und kurz darauf auch in der Walachei (1716)

die sogenannte Fanariotenherrschaft einsetzt. Erst das Revolutionsjahr 1821 wird diese

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Herrschaft abschaffen. Bis dahin werden von der Pforte direkt - nicht autochthone -

Landesherren bestimmt und in den rumänischen Fürstentümern eingesetzt. Meist sind es

aus Fanar, einem Stadtteil Konstantinopels stammende Griechen, die hier hohe Ämter

erworben haben.

Bei der Durchsetzung ihrer Oberhoheit begegneten muslimische Herrscher den Christen

mit relativer Toleranz: "the conquerors were willing to work with people of any

monotheistic religion whose leaders submitted to their authority“. Konstantinopel

respektierte im allgemeinen die Institution der orthodoxen Kirche. So war es dem

Patriarchen z.B. erlaubt seinen - hohen - Rang durch das Tragen von (zwei) Rangzeichen

zu symbolisieren. Ihm gegenüber trugen der osmanische General vier, der Sultan sechs

Abzeichen. Bis zum 18. Jahrhundert hatte die Pforte das Patriarchat von Konstantinopel,

das mit großer Autonomie als Vermittler zwischen den Muslimen und den Christen des

Balkans fungierte, in das osmanische Staatssystem integriert. Die Orthodoxe Kirche erwarb

eine Position, die der Pforte näher stand, als der Katholischen Kirche (cf. Jelavich 1993

vol. I:53).

Für die Christen der rumänischen Länder bedeutete die osmanische Souveränität kein

Hindernis ihrer Religionsausübung. Eine unmittelbare Folge des Fremdregimes war die

Pflicht der steuerlichen Zwangsabgaben. Zahlungen und Tribute (rumänisch haraci) waren

immer ein wichtiges Mittel in der Politik (mit) der Pforte gewesen: "Haraciul era

considerat instrument al menţinerii păcii, fără alte condiţionări" (Giurescu 1977:116, siehe

auch Jelavich 1993 vol. I:100). Die rumänischen Landesfürsten hatten oft Tribute

entrichtet, um den Krieg zu vermeiden. Auch Ämter konnten innerhalb einer Epoche

osmanischer Herrschaft käuflich erworben werden. Dies galt auch für das Patriarchat von

Konstantinopel. Für die Erwerbung eines Throns oder für Erhaltung einer schon

erworbenen Machtposition gegenüber anderen Bewerbern waren mitweilen sehr hohe

Summen im Spiel (cf. Manea 1992:262-263). Im folgenden Zitat schildert uns der Autor

die Bestrebungen verschiedener Prätendenten um den Fürstenstuhl der Moldau im 16.

Jahrhunderts: "Eine Anzahl von Bewerbern traten auf, die bei der Pforte sich als

Nachkommen gewesener Wojwoden meldeten und hohe Summen anboten. Die höchste

Summe hat ein Prätendent Aron (der spätere Aron der Tyrann) aufgetrieben, der sich für

den (natürlichen) Sohn Alexanders IV. Lăpuşneanu ausgab und auch die Unterstützung des

englischen Agenten in Constantinopel gewann. Mit einer Million Thaler, die er bei

Geldleuten in Constantinopel für Geschenke an den Sultan und die Pfortenfunctionäre

aufnahm, und durch den Einfluß des englischen Agenten erwirkte Aron seine Einsetzung

als Wojwode. Er verpflichtete sich überdies, außer dem ordentlichen Tribut von 15.000

Ducaten noch die zwei- bis dreifache Summe jährlich als außerordentliche Contribution zu

leisten" (Die österreichisch.-ungarische Monarchie in Wort und Bild, 1899:103-104).

Die hegemoniale Macht der Hohen Pforte über die rumänischen Länder äußerte sich für

den gemeinen Rumänen direkt in wirtschaftlicher Hinsicht. Die anfänglich relativ geringe

Steuer- und Abgabepflicht erhöht sich im Laufe der Zeit. Eine Statistik für die Entrichtung

des jährlich zu entrichtenden haraciu in der Þara Româneascã zeigt das stetige Anwachsen

dieser Summe im Laufe des 16. Jahrhunderts: "Ţara Românească plătea în 1503 un tribut

de 8000 de galbeni, în 1542 ajunge la 24000 de galbeni, în 1583 la 125.000 de galbeni iar

în 1593 tributul se ridica la 155.000 de galbeni" (Vasile 1993:139). Außer der Erhöhung

schon bestehender Steuern, führte die Pforte nach und nach auch neue Tribute ein, die

periodisch in Form verschiedener Naturprodukte, wie Butter, Honig, Wachs, Weizen,

Pferde, Schafe (rumänisch daruri / peşcheşuri) dem Sultan von den Landesherren

abzuliefern waren. Vom 14. bis zum 18. Jahrhundert waren die Rumänischen Länder sehr

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produktiv in der Viehzucht (Rinder, Pferde), der Landwirtschaft (mit vielen

Getreidesorten), der Bienenzucht (Honig, Kerzenwachs), dem Fischfang (Fisch und

Kaviar), der Erdöl-, Salz- und Metallgewinnung (Kupfer, Gold, Eisen) gewesen. Einerseits

wurden bestimmte Artikel wie Kaffee, Zucker, Baumwoll- und Seidenstoffe aus der Türkei

oder anderen Ländern (Deutschland, Italien, Holland, Polen...) bezogen,

landwirtschaftliche Tiere und Produkte wurden aber auch im Inland gehandelt und ins

Ausland exportiert. Schon nach 1500 sicherte sich die Pforte das Erstkaufrecht und damit

das Handelsmonopol für bestimmte rumänische Waren, nicht für Wein: "Oficialităţile din

Istanbul consideră Ţările române drept "chelerul" împărăţiei, locul de aprovizionare

(îndeosebi al capitalei de pe malurile Bosforului). Pentru unele produse (oi, grîne, lemn de

construcţie) se ajunge la un drept de preempţiune, în sensul că ele nu pot fi vîndute în altă

parte decît după ce aprovizionarea imperiului este asigurată" (Giurescu & Giurescu

1977:176). Um die steigenden Tributforderungen der Pforte aufbringen zu können, müssen

die Rumänen ihre Waren an die Pforte verkaufen.

Das Vorgehen der Osmanen hatte die rumänischen Länder in eine starke wirtschaftliche

Abhängigkeit gebracht. Neben dieser nahm seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

auch der politische Druck ständig zu. Nach der Einführung neuer steuerlicher Forderungen

- seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden z.B. der kleine und der große

mucarer, die notwendige Geldsumme für die Bestätigungen des Sultans eingeführt - und

einer wachsenden Einmischung der Pforte in die innenpolitischen Angelegenheiten der

Rumänischen Länder, erreicht am Beginn des 18. Jahrhunderts die fiskale Ausbeutung und

politische Korruption einen Höhepunkt mit dem Einsetzen der sogenannten

Phanariotenherrschaft. Seit 1711 in der Moldau und seit 1716 in der Walachei besetzt

Konstantinopel die hohen Funktionen und Ämter der rumänischen Fürstentümer mit - aus

dem Stadtteil Fanar stammenden - Griechen, die die Interessen der Pforte vertreten.

Während dieser Zeitphase herrschte allerdings auf den Fürstensitzen in Bukarest und Jassi

großer Luxus (Jelavich 1993 vol. I:103; Vasile 1993:162).

4. Parallelismen und Gegensätze

Vergleicht man Spanien und Rumänien in bestimmten Abschnitten ihrer von islamischen

Kulturen beeinflußten Geschichte, lassen sich einerseits analoge Verhältnisse, andererseits

auch divergierende Verhältnisse vermuten. Hispanische wie rumänische Christen bauten

ihre Staatlichkeit unter dem Druck der politischen Vereinnahmung, nicht nur, aber v.a.

durch islamische Machtsysteme auf. Dies geschah auf der Iberischen und der

Balkanhalbinsel zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Zeitphasen.

Denn, wie schon erwähnt wurde, endet die achthundertjährige Herrschaft der Araber auf

der Iberischen Halbinsel am Ende des 15. Jahrhunderts. Im selben Jahrhundert erst setzte

sich die Pforte in den rumänischen Ländern als souvärene Macht durch, die sie bis zu

Beginn des 19. Jahrhunderts blieb. Während auf der Iberischen Halbinsel der Kampf gegen

den arabischen Süden zur einer Vereinigung der kleinen christlichen Zentren des Nordens

und damit zur Enstehung der ersten politischen Formationen führte, gelang auch die erste

Vereinigung der rumänischen Fürstentümer unter Michael dem Tapferen unter dem Druck

der Expansionsbestrebungen der Pforte und anderer Nachbarstaaten. Sowohl auf der

Iberischen als auch auf der Balkanhalbinsel versuchten islamisch geprägte Ethnien andere,

christliche Völkerschaften - mit mehr oder weniger Erfolg - zu vereinnahmen, zu

dominieren und kulturell zu überschichten. Während es den Arabern gelang, im Süden

Spaniens ein Reich zu gründen, innerhalb dessen eine christlich-hispanische und eine

islamisch-arabische Bevölkerung koexistierten, ist es den Osmanen nicht gelungen, die

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rumänischen Länder so intensiv zu vereinnahmen, daß es zu einer ethnischen Synthese von

Christen und Muslimen gekommen wäre. Anders als es auf der Iberischen Halbinsel

geschah, durften in den rumänischen Provinzen, Transsilvanien, Moldau und Walachei,

generell keine Türken siedeln oder Gebiete besetzt werden: "im Lande sollen sich Türken

nicht niederlassen und keine Moscheen bauen dürfen (Die österreichisch.-ungarische

Monarchie in Wort und Bild, 1899:94). Die Stationierung von Militärtruppen der Pforte

war örtlich und v.a um die Befestigungsanlagen, wie es beispielsweise Kilia war, begrenzt

(Jelavich 1993 vol. I:100). Andererseits bildete auch das andalusische Reich keine

vollständig homogene Synthese von verschiedenen Kulturen. In den urbanen Zentren

waren, wie wir gesehen haben, die verschiedenen Ethnien verschiedenen Wohnvierteln

zugeordnet. Es gab vermutlich auch regional bedingte Bevölkerungsverteilungen.

Spanien und den rumänischen Ländern gemeinsam war, wenn auch zu unterschiedlichen

Zeiten und in unterschiedlicher Form und Intensität, eine jahrhundertlange Feindbeziehung

mit einem muslimischen Eindringling. Christen der Iberischen Halbinsel wie auch der

rumänischen Fürstentümer führten über Jahrhunderte Kriege gegen einen Feind anderer

Kultur und Religion. Beide erlitten harte Strafen, Versklavung oder Massakrierung, gingen

sie gegen die Träger des Islam vor. Hispanische Christen flohen in vielen Wellen vor den

Represalien der Herrschenden von Al-Andalus in die unbesiedelten oder christlich

beherrschten Zonen des Nordens. Und auch das Procedere der Osmanen gegen die

Rumänen hinterließ Kunde von harten Racheakten. Von Petru Cercel, dem Herrscher der

Walachei von 1583-1585 wird berichtet, um ein Beispiel herauszunehmen, er sei von den

Türken nach Istanbul geführt, auf Befehl des Sultans stranguliert und in das Wasser des

Bosporus geworfen worden (Pascu Vasile 1993:134).

Der Kontakt der Christen mit den Muslimen war aber nicht nur feindlicher Natur. Die

Kriege auf der Iberischen Halbinsel spielten sich stärker als im Inneren von Al-Andalus an

den Grenzen zu christlichen Gebieten ab. Die Entwicklung des Reiches zu einem

blühenden Kulturzentrum hätte nicht ohne friedliche Zeiten in ihrem Inneren vonstatten

gehen können. Die rumänisch-türkischen Kriege nahmen, wie wir erwähnt haben, aufgrund

des wachsenden politischen Drucks seit dem 16. Jahrhundert langsam ab. Immer wieder

gab es in der Geschichte beider hier behandelter Länder auch Allianzen von Christen und

Muslimen. Selbst der legendäre Rodrigo Díaz, el Cid Campeador, soll mehrmals unter

muslimischer Flagge gekämpft haben, bis er sich um 1085 mit Alfonso VI. wieder

versöhnte (cf. Luis Martín, La Castilla del Cid, Cuadernos historia 16, 296). Auf dem

Balkan ist es Mircea der Alte, der sich mit Musa und Mahomed, zwei Söhnen von Baiazid,

gegen deren Bruder Mahomed, verbündet, der schlußendlich aber Sultan wird. Eine Reihe

rumänischer Herrschergestalten haben den muslimischen Glauben angenommen.

Die direkte Verflechtung der arabischen mit der christlichen Kultur hat in Spanien u.a. in

der Architektur ein deutliches Erbe hinterlassen. Die prächtigen, noch heute existierenden

Moscheen Südspaniens sind nur ein Beispiel der mozarabischen Kunst. Rumänien, das nie

unter direkter Herrschaft der Osmanen war, besitzt wenige Zeitzeugen dieser Art. Der

Einfluß, den die Osmanen den rumänischen Provinzen vermittelten war schwächer bzw.

dürfte als schwächer erlebt worden sein, als der Einfluß, den die arabische Herrschaft und

Kultur dem südlichen Spanien vermittelte. Auch der Muslime dürfte in persona in Al-

Andalus stärker präsent (sein Bild konkreter faßbar) gewesen sein, als in den rumänischen

Regionen. Alltägliche Kontakte zwischen Türken und Christen dürften hier nicht der

Regelfall gewesen sein. Ein solcher Kontakt läßt sich im Falle Rumäniens vor allem für die

Träger von Handelsbeziehungen vermuten, während in den urbanen Zentren von Al-

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Wien, am 02.06.11, Seite 24 von 259

Andalus die verschiedenen Ethnien - wenn auch in verschiedenen Stadtvierteln -

nebeneinander lebten.

Während es in Al-Andalus alle Schichten der christlichen Bevölkerung gewesen sein

dürften, denen die Muslime in verschiedenen Kontaktsituationen begegnet sind, scheinen

es in den rumänischen Provinzen eher spezifische Bevölkerungsschichten gewesen sein,

die mit den Osmanen - und darunter v.a. mit osmanischen Beamten - in einen direkten

Kontakt getreten sind. Der vom Reichstag um 1540 an die Spitze des Siebenbürgischen

Fürstentums gewählte Herrscher, mußte, wie es im folgenden Zitat lautet, von der Pforte

bestätigt werden. Dabei übergab der Sultan dem neuen Landesfürsten die Insignien der

Macht: das Banner, das Zepter, ein Schwert und ein Pferd mit vollständiger Ausrüstung.:

"În fruntea principatului (Transilvaniei, um 1540) era ales de către Dietă un principe,

confirmat apoi de către Poartă, sultanul acordîndu-i însemnele puterii: steagul, sceptrul, o

sabie şi un cal cu întregul harmaşament" (Vasile 1993:136). Der Sultan berief, wenn er es

wollte, die rumänischen Landesfürsten - samt ihren Familien - zu sich, 1591 beispielsweise

Mihnea II., den zweimaligen Herrscher von Muntenien, der in Konstantinopel zum Islam

übertrat. Andererseits profitierten die Sultane auch von den Gefangenen aus den

christlichen Reihen, die sie, waren diese noch jung, am Hofe aufwachsen ließen. Hier

wurde ihnen eine hohe Bildung zuteil, aufgrund der sie später die Möglichkeit hatten, hohe

staatliche bzw. administrative Positionen innerhalb des Osmanischen Reiches zu besetzen

(Jelavich 1993 vol. I: 39-45). Durch diesen positiven Aspekt verlockt, institutionalisierten

die rumänischen Landesherren die Sitte, ihre Söhne oder andere Familienmitglieder nach

Konstantinopel zu entsenden, wo diese ihre Jugend in der Eigenschaft von Leibbürgen und

Garanten der Treue zum Sultan verlebten. Eine der berühmtesten Persönlichkeiten der

rumänischen Kultur früher Zeit, Dimitrie Cantemir (1673-1723) wuchs derart in der

muslimisch-orientalischen Welt von Konstantinopel auf. Die Tradition der Knabenlese

verebbte in Rumänien im 17. Jahrhundert.

Während die Bevölkerung von Al-Andalus zu einem direkten Träger eines blühenden

Kulturzentrums der arabischen und anderer Kulturen wurde, nahmen die Rumänischen

Länder kulturelle Einflüsse aus der muslimisch-orientalischen Welt vielfach in indirekter

Weise auf. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts begann die Pforte die Landesherren der

Fürstentümer direkt einzusetzen. Diese brachten orientalische Traditionen mit sich an die

Fürstenhöfe Jassy und Bukarest. Nach mehreren Jahrhunderten der diplomatischen

Beziehung mit dem Osmanischen Reich machte sich in der Folge ein starker orientalischer

Einfluß in der gehobenen Gesellschaftsschicht des 19. Jahrhunderts bemerkbar, wie es uns

die Reisebeschreibungen des Grafen Karaczai zu Beginn dieses Jahrhunderts vermitteln:

"Überhaupt schien es mir interessant zu bemerken, wie außerordentlich sich der hohe Adel,

Grieche und Moldauer bestrebt, alles so viel möglich seinem Herrn, dem Türken,

nachzuahmen. Wie der immer mäßige Türke, raucht auch dieser den ganzen Tag, trinkt

Kaffeh und Scherbet (...). Alle Männer rauchen trefflichen türkischen Tabak durch lange

kostbare Röhren von Kirschholz (...). Die Nachahmung des Türken wird noch mehr in das

Kleine getrieben; man läßt zum Beispiel das Haupt, so wie es der Türke trägt, ganz glatt

abscheren; man sitzt mit unterschlagenen Beinen auf seinem Sofa; man ruft seine

Dienstleute nie mit dem Nahmen, sondern klascht nur in die Hände" (Beiträge zur

Europäischen Länderkunde 1818:30ff; cf. auch Die österreichisch.-ungarische Monarchie

in Wort und Bild 1899:94).

Die Herrschaft der Araber in Spanien hat weitreichende Konsequenzen auf die

Gesellschaftsstruktur von Al-Andalus. An ihrer Spitze stehen die Deszendenten arabischer

Herrscherdynastien und die hohen Beamten der zivilen und administrativen Verwaltung,

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Wien, am 02.06.11, Seite 25 von 259

ebenso aus den Reihen der arabischen Aristokratie. Den zweiten Platz in der stark

strukturierten Gesellschaftshierarchie nahmen die alfaquíes, arabische, aristokratische

Gebildete. Dieser Richterklasse allein war es vorbehalten, den Koran zu interpretieren.

Gegenüber den Muslimen nahmen die Christen einen niedereren Status ein (cf. Cairns

1990:50-66). Aufgrund ihrer inneren Autonomie ergab sich für die rumänischen

Fürstentümer keine so stark von den hegemonialen Kräften geprägte Gesellschaftsstruktur,

wie in Al-Andalus. Aus der muslimischen Herrschaft bzw. Oberherrschaft in den beiden

hier behandelten Ländern ergaben sich andererseits auch analoge Machtstrukturen. Überall

war es die Pflicht der Christen, den politisch Mächtigeren eine Sondersteuer zu entrichten,

die andererseits eine Autonomie der christlichen Religion und des Bürgerstatus garantieren

sollte. Die Bekehrung bzw. Islamisierung der Christen wurde keinerorts erzwungen und

nur zeitweise, unter fanatischen Herrscherdynastien, in Al-Andalus forciert. Eine Parallele

in der diplomatischen Organisation ergab sich auch darin, daß der Kalif oder Sultan als

Spitze der muslimischen Hierarchie von wichtigen Ereignissen immer unterrichtet werden

mußte (cf. Cairns 1990:50-66).

Der Balkan ist immer ein Raum gewesen, in dem Einflüsse leicht über die Grenzen von

Staaten diffundierten bzw. ausgetauscht wurden. Erzählfiguren, Motive, Themen der

rumänischen volkssprachlichen Literatur treten, um nur ein Beispiel zu nennen, auch in der

serbischen Literatur auf. Auch historische Ereignisse auf dem Balkan weisen auf eine

relative Einheit dieser geographischen Region hin: Michael W. Weithmann unterscheidet

in seiner Balkan-Chronik, in der er die Geschichte des Islam in ganz Osteuropa behandelt,

grundsätzlich drei Phasen der "Turkokratie" auf dem Balkan: eine erste Expansions- und

Eroberungsphase des Osmanischen Reiches im 14. bis Mitte des 15. Jahrhunderts, eine

zweite Phase der Konsolidierung und Festigung der Sultansherrschaft von etwa Ende des

15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts und eine dritte Phase des Niedergangs,

in der die Sultane mit allen Mitteln versuchten, ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten

(Weithmann 1995:143-171). Natürlich gibt es auch andere Periodisierungsversuche dieser

Zeit (cf. Ali Ekrem 1981:92-108). Diese unterschiedlichen Phasen waren, folgen wir den

Darstellungen der rumänischen Historiographie, auch in den rumänischen Ländern

bemerkbar. Die Geschichte und die Kulur der rumänischen Provinzen läßt sich meiner

Meinung nach nicht vollständig von der Geschichte und den Kulturen des übrigen, türkisch

bestimmten Balkanraumes trennen. Dies läßt die Vermutung zu, daß außer den konkreten

Erfahrungen mit dem Türken, die im Falle Rumäniens (nur) bestimmte (Personen der)

Gesellschaftsschichten machen konnten, gewisse Informationen über den / die Türken von

anderen nachbarlichen Balkanstaaten oder Regionen die, wie Bulgarien, Serbien, Ungarn,

die Dobrudscha, etc. unter direkter türkischer Herrschaft oder, wie Transsilvanien, unter

stärkerem Einfluß der Pforte gestanden haben, einsickerten. Denn in diesen Ländern war

der Kontakt mit dem Muslimen von direkter Natur, das bedeutet seine Präsenz intensiv

oder intensiver, als in den meisten rumänischen Gebieten. Der Sultan vergab das eroberte

Land auf dem Balkan als Lehen, Timar, an besondere Würdenträger, Statthalter, Vezire

oder an Offiziere und Beamten, sowie an berittene Krieger, die Spahis. Letztere waren aber

nicht nur muslimische Krieger, die sich in der Eroberungszeit bewährt hatten, sondern auch

einheimische Konvertierte und Christen. Auf den Balkanregionen, die unter direkter

Herrschaft der Pforte stehen, können folglich Christen und Muslime Nachbarn sein.

Den externen, außerrumänischen Geschichtsdarstellungen zufolge, brachte die frühe Phase

der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan (15. Jahrhundert) den eroberten Völkern

zunächst eine Verbesserung ihrer Situation: eine funktionierende Verwaltung, ein

gesichertes und geregeltes Leben gegen die Entrichtung eines Tributes, keine

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Zwangsislamisierung, etc. Die Autorin B. Jelavich geht von einem zeitweise friedlichen

Zusammenleben von Christen und Muslimen auf dem türkisch regierten Balkan aus, in

dem Christen und Muslime unterschiedliche Lebensbereiche vorbehalten waren: "There

was no equivalent of the Inquisition (...) throughout the long years of Ottoman domination

the Christian and Muslim societies lived side by side in relative peace and understanding,

although with considerable mutual exclusion" (ib. 1993 vol. I:45). Die Osmanische

Herrschaft auf dem Balkan hatte phasenweise also durchaus profitable und positive

Aspekte für die christliche Bevölkerung. Gab es einerseits eine "kompromißlose

Gewaltbereitschaft der Sultans-Regierung (...) gegen jegliche Abspaltungsbewegung und

Eigenmächtigkeit höherer Potentaten", eine strenge Organisation des Staates, Rechtsschutz

aller Bürger, gab es andererseits wohltätige Einrichtungen, die allen Untertanen, Muslimen

wie Christen zugute kamen. Gegen die Anerkennung der Oberherrschaft des Islam und die

Entrichtung eines Tributs hatten die "Bürger zweiter Klasse" das Recht auf persönlichen

Schutz. Der Adel behielt seinen Besitz und seine persönliche Integrität. Wurde man

offizielles Mitglied des Staatsvolkes hatte man dadurch eine bessere Stellung vor Gericht,

durfte Waffen tragen und konnte theoretisch bis zu den höchsten Staatsämtern aufsteigen.

Wir gehen im folgenden kurz auf die differenzierte soziale, administrative und militärische

Gliederung des Osmanischen Reichs, wie sie von Mehmet Ali (1981:109-240) beschrieben

wird, insofern diese Hierarchisierung dem Rumänen hätte bewußt werden können bzw. sie

eine Reproduktion in unseren Texten möglich hätte machen können

. Als die Personifikation der höchsten Hierarchie des Staates war der Sultan der oberste

politische, wie auch geistige Führer. Nach ihm folgt in der Hierarchie und Würde der

Großwesir, der bei Abwesenheit des Sultans einige seiner Verantwortungen übernehmen

kann. Der Diwan, bestehend aus dem Großwesir und einer Reihe von anderen hohen

Beamten oder Wesiren, stellt den höchsten Rat dar. Ein Minister, rumänisch defterdar, ist

für die Staatsfinanzen, ein Richter für die militärischen Aktionen, cadiaskeri bzw.

rumänisch cadiascher zuständig, ein weiterer Beamter, rum. nisangiu für legistische

Verantwortlichkeiten, ein anderer Richter, rumänisch cadiu, für Glaubensangelegenheiten.

Diese Beamten kommen in der staatlichen Hierarchie und Würde nach dem Großwesir. Die

Sultane verwalten ihr Reich nach territorialen Einheiten von größeren und kleineren

Gebieten (vom sangeac über cazale bis zum bugeac). Es sind die zwei höchsten

Landverwalter, rumänisch beilerbei, die bis zur Hälfte des 15. Jahrhunderts die Verwaltung

von Kleinasien und Rumelien, dem europäischen Teil des Reiches, übernehmen. Sie

befehligen eine Klasse berittener Soldaten, rumänisch spahii. Diese wohnen auf

staatlichem Grundbesitz und müssen dafür dem Heer eine Anzahl bewaffneter Reiter

liefern. Die Muslime haben ein Zehntel ihres Ertrags abzugeben, Andersgläubige einen

Prozentsatz ihres Naturalertrages zwischen 20 und 50 %. Außer diesem waren die Christen

zur einer Art Kopfsteuer, rum. capitaţie, verpflichtet, die mit dem später eingeführten

Tribut, rum. haraci, zusammenfiel. Die Armee besteht aus verschiedenen Einheiten, die

sich aus unterschiedlichen Rekruten zusammensetzen. Ein wichtiger Bestandteil der Armee

ist die Einheit der Janitscharen, die bis ins 19. Jahrhundert (1826) existiert. Sie bildeten

anfänglich die Infanterie des Sultans in den militärischen Aktionen bzw. bewachten sie die

Residenz des Monarchen. Als sie unter Mohammed dem II. zu eigenmächtig und stolz

geworden waren, vereinte der Sultan die Truppen der Infanteristen mit Einheiten der

Artillerie und der Kavallerie. Der Kommandant dieses neu zusammengesetzten

Heerkörpers ist der Aga (rum. aga), neben ihm sorgt ein Stellvertreter für die Disziplin der

militärischen Einheit. Ihm untersteht ein weiterer Offizier, rum. ceauş. Innerhalb des

Verteidigungsapparates betrauten eigene Einheiten, rum. gebegi, die Waffenversorgung

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und -instandhaltung, die Janitscharen sind Infanteristen und die Leibgarde des Sultans, im

Krieg bzw. in Friedenszeiten erfüllen verschiedene berittene Truppen unterschiedliche

Funktionen. Die Einheiten der Hauptstadt unterscheiden sich von denjenigen der

Randzonen oder den in der Provinz stationierten Truppen. E. Mehmet Ali zählt sie uns

namentlich auf, ohne jedoch mehrheitlich ihre Funktionen näher zu erläutern: "Principalele

unităţi ale armatei de provincie erau spahii cu timaruri, infanteria, unităţile numite

musellem sau nomade, cerahar, geambaz, akîngiii de tătari, deliler sau başbuzucii, apazii,

voluntarii şi beşliii" (1981:117). Mit der Bewachung von Festungen, der Warnung vor

Überraschungsangriffen, der Grenzabwehr waren z.B. die azapii, beşlii und başbuzucii

betraut. Letztere werden von E. Mehmet Ali als fanatische, aus türkischen, islamisierten

und christlichen Soldaten bestehende Einsatzeinheiten beschrieben. Im Kampf sollen sie

Kleidung und Mützen aus Bären- oder Wolfsfell getragen haben und damit angsteinflößend

aussehen. Ein wichtiger Bestandteil des osmanischen Verteidigungs- und

Expansionsapparates ist die Marine. Zur Zeit der Eroberung von Konstantinopel (1453)

soll die Pforte über 300 Segelschiffe verfügt haben. In direkter Weise hatte der Rumäne in

erster Linie mit türkischen Soldaten, in indirekter Weise mit den osmanischen Finanz- und

Verwaltungsbeamten zu tun. Von außen hätte er von seinen Nachbarn auch von den

positiven Aspekten des Türkenregimes hören können.

Das direkte Regime der Araber in Al-Andalus und die politische Souveränität der Pforte in

den rumänischen Provinzen waren sicherlich nicht vollkommen ident. Dennoch zeigt der

Vergleich verschiedener Aspekte der Geschichte der beiden geographischen Räume

strukturelle Parallelismen: eine - mehr oder weniger intensive - politische Vereinnahmung

einer christlichen Ethnie durch islamische Kulturen. In beiden geographischen Räumen

hatte diese Vereinnahmung vergleichbare Konsequenzen, eine facettenreiche Begegnung

des Christen mit dem Muslimen und seiner Welt. In Al-Andalus ist diese direkter,

intensiver, in Rumänien schwächer, indirekter. Während in dem erstgenannten Reich der

arabische, berberische, syrische, etc. Muslime über lange Zeit in persona präsent war,

dürfte der Türke in den rumänischen Provinzen eine nicht so starke Gegenwart gehabt

haben. Außer den konkreten Erfahrungen, die bestimmte Schichten der rumänischen

Bevölkerung mit dem Osmanen machten, scheinen Erfahrungen über diesen vielfach auch

vermittelt worden sein, z.B. von Personen, die aus dem Osmanischen Reich zurückgekehrt

sind. Obwohl sich der Sitz des Sultans niemals auf dem Balkan befand, drangen bestimmte

Vorstellungen, z.B. über den großen Reichtum der Sultane von Konstantinopel (cf. Nicolae

Iorga, Istoria lui Mihai Viteazul, Chişinău, Universitas 1992:41-54) in das rumänische

Bewußtsein.

Sowohl auf der Iberischen Halbinsel, als auch in Rumänien hinterließ der Kontakt mit dem

Muslimen ein deutliches Echo in der Literatur des christlichen Volkes. In den voneinander

vollkommen unabhängigen Volksliteraturen des hispanischen und rumänischen

Sprachraums tritt in einer Reihe von Darstellungsfacetten der Muslime auf. In spanischen

Romanzen, spanisch romances, wird er von der Figur des Mauren, spanisch moro,

verkörpert. Die Bezeichnung moro impliziert sowohl die geographische Herkunft von

Mauretanien (cf. die Angabe bei Wahrig "Berber; Berber-Araber Nordafrikas"), also auch

eine Religionszugehörigkeit (ib. "Anhänger des Muhammad / des Islam"). Dieselbe

Bedeutung gibt Aut.: "adj. El natural de Mauritánia, Provincia del Africa. Tómase

regularmente por el que sigue la secta de Mahóma. Lat. Maurus." (s.v. moro). In

rumänischen Balladen tritt mit großer Frequenz der Türke, rumänisch turc, sowie -

statistisch weniger häufig, aber ebenfalls - die Figur des Tataren, rumänisch tătar genannt,

auf. Da die Darstellung des Tataren eine große Ähnlichkeit mit der Darstellung des Türken

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aufweist, werden wir die beiden zuletzt genannten Figuren in der Analyse nicht getrennt

voneinander, sondern gemeinsam behandeln. Auch die Bezeichnung turc hat eine, nach

Candrea & Adamescu geographische und zugleich religiöse Bedeutung: "Locuitor din

Turcia; pr. ext. Mahomedan"; unter tătar wird in demselben Wörterbuch nur die

mongolische Ethnie und ihre geographische Herkunft aus Zentralasien, Süd- und

Westsibirien, Turkistan, Ost- und Nordwestrußland, nicht die religiöse Zugehörigkeit

genannt (Candrea & Adamescu 1931, s.v.). Eine textanalytische Untersuchung soll zeigen,

ob ein vergleichbarer bzw. analoger geschichtlicher Kontakt mit dem Muslimen in den

zwei hier behandelten und voneinander vollkommen getrennten Räumen der christlichen

Welt zur selben Darstellung dieser Person führen. Die wesentlichen Fragen sind dabei, wie

die Figuren in der jeweiligen Literatur beschrieben werden und ob Parallelismen oder

Differenzierungen ihrer Darstellung erkennbar sind und wenn ja, welche.

5. Islam und Islamiten

In der vorliegenden Untersuchung setzen wir uns mit dem Bild des Muslims und seiner

Welt auseinander. Aus dieser Absicht heraus stellen wir uns die Frage, welche allgemeinen

Züge der Beschreibung einer dem Islam zugewandten Person zukommen könnten. Wir

suchen bewußt keine vollständige Darstellung, sondern nur einige Wesenszüge des

mohammedanischen Gläubigen und seiner Welt und beziehen uns im folgenden auf die

Darstellungen einer Reihe von kleineren, enzyklopädischen Werken über diese Religion.

Wie in den vorherigen Abschnitten zum Ausdruck gebracht wurde, hat die Religion

Muhammads seit ihrem Bestehen eine gewaltige Expansionskraft entwickelt. In der frühen

Phase des Islam (7.-15. Jahrhundert) schufen die Araber, wie oben gezeigt wurde, ein sich

über drei Kontinente erstreckendes Reich. In einer zweiten Phase vereinigte der Islam eine

Vielzahl von Ländern, um im Osmanischen Reich erneut ein Weltreich entstehen zu lassen.

Einige Historiker vermuten, daß die arabische Expansion stärker religiös, die osmanische

stärker wirtschaftlich ausgerichtet gewesen ist. Dennoch scheint in beiden Reichen der

Umgang der Eroberer mit den eroberten Völkern analog gewesen zu sein. Seit dem

siebenten nachchristlichen Jahrhundert hätten, Albrecht Noth zufolge, die Muslims in ihrer

Beziehung mit den Christen "Bereitschaft (und Fähigkeit) zum Kompromiß und

Arrangement" gezeigt; sie hätten "durchweg Unterwerfung, nicht aber Konversion zum

Islam" verlangt. Entscheidend in der arabischen Diplomatie sei gewesen die "so typische

und für ihren Erfolg so entscheidende Vertragspraxis der Eroberer, der bei aller

Verschiedenheit der Abmachungen das einfache Schema zugrunde lag: Die Muslims

erhalten Abgaben (...), ihre Vertragspartner erhalten Schutz (...), dies bei wechselseitiger

Abhängigkeit der Konditionen (...). Der muslimischerseits gewährte Schutz bezog sich vor

allem auf Leben, mobilen und immobilen Besitz, ferner Kultstätten und Religionsausübung

der jeweiligen ´Schriftbesitzer´; in diesem Sinne zu schützen waren die Vertragspartner

nicht nur vor Übergriffen von Muslims, sondern vor Angriffen jeglicher Art, also auch von

seiten potentieller Feinde der Muslims - das umfassende tribalistische Schutz / dimma-

Konzept liegt hier zugrunde" (Albrecht Noth in: Haarmann 1992:76-81). Auch die

rumänischen Länder erleben vergleichbare Bedingungen, als sie unter osmanische

Oberherrschaft geraten. Die Osmanen zwangen die Christen, wie überhaupt Anhänger

anderer monotheistischer Religionen, die als Schrift- bzw. Buchbesitzer galten, nicht dazu,

sich zu bekehren, sondern tolerierten gewissermaßen deren "niedriegere Erkenntnisstufe"

(cf. Hourani 1991:64-70; Weithmann 1995:117-120). Auch wenn den muslimischen

Herrschern in der einschlägigen Literatur nicht immer ein Toleranzverhalten gegenüber den

Christen zugesprochen wird (cf. z.B. Weithmann 1995:146-147), so scheint doch klar zu

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sein, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen dem Andersgläubigen gewissermaßen eine

Integrität zubilligten.

In dem dreibändigen Islam-Lexikon. Geschichte - Ideen - Gestalten (Freiburg, 1991) von

A. T. Khoury wird uns ein anderes, negatives, Bild des Muslims im Umgang mit den

Christen gegeben. Die Beziehung zwischen beiden Ethnien wird uns als eine im Laufe der

Zeitgeschichte im Wesentlichen problematische und feindliche geschildert: "Das

Verhältnis zwischen Christentum und Islam war von früher Zeit an von Konflikten geprägt.

Bereits zu Lebzeiten Muhammads kam es zu Auseinandersetzungen und schließlich zum

Befehl, die Christen zu unterwerfen, um dem Islam zur alleinigen Herrschaft auf der

Arabischen Halbinsel zu verhelfen. Dieses konfliktreiche Verhältnis zwischen Christentum

und Islam sollte über Jahrhunderte hindurch von gegenseitiger Bedrohung und

kriegerischer Auseinandersetzung geprägt bleiben...; wenn es auch Phasen friedlichen

Zusammenlebens gegeben hat, so überwiegt doch bis in unsere Zeit hinein die gegenseitige

Befehdung und ein mißtrauisches und rivalisierendes Nebeneinander" (Khoury 1991, s.v.

Christentum). Demnach hätte sich der Muslim gegenüber dem Christen - wie auch

umgekehrt - vorwiegend agressiv verhalten. Schon aufgrund einiger weniger

enzyklopädischer Beschreibungen werden uns also sehr unterschiedliche Darstellungen des

Muslims gegeben.

Blicken wir in verschiedene enzyklopädische Werke, die dem Islam gewidmet sind, wie

beispielsweise das Diccionario de las religiones von P. Rodríguez Santidrián (1988), das

Islam-Lexikon von A. T. Khoury (et alii, 1991), das Lexikon der islamischen Welt von K.

Kreiser & R. Wielandt und das Kleines Lexikon Islam von Monika und Udo Tworuschka

(beide 1992 erschienen) oder das Diccionario de las tres religiones monoteístas von Vidal

Manzanares (1993), ergibt sich dem Leser rasch ein Bild, das den Muslim und seine Welt

in einer Reihe von Aspekten skizziert. Die soziale Struktur muslimischer Gesellschaften ist

ursprünglich die Clanverbindung. Dem Manne des nach islamischem Glaubensprinzip

lebenden Menschen ist die polygame Ehe gestattet, das bedeutet "höchstens vier Frauen

sowie Konkubinat mit eigenen Sklavinnen"; Aber nur in Palästen und vornehmen Häusern

ist solcher Harem, ein für unterschiedlich viele und desöfteren miteinander verwandten

Frauen bestimmter Wohnbereich zu finden: "Wie im alten Iran bestehen die Frauenhäuser

der Abbasiden und späterer Dynastien nicht nur aus den Haupt- und Nebenfrauen des

Herrschers, sondern auch aus weiblichen Verwandten. Mit Sklavinnen, Kindern, Eunuchen

wuchs die Zahl der Haremsinsassen auf mehrere Hundert oder Tausende (wie bei den

Osmanen). Intern regiert eine fein abgestufte Hierarchie..." (cf. Kreiser & Wielandt 1992,

s.v. Ehe und Harem). Der höchste Kanon des islamischen Prinzips ist es, Allah, den

einzigartigen, allwissenden, schicksalsbestimmenden, barmherzigen, richtenden Gott

(Kontraktion von al-ilah 'der Gott') zu verehren. Um der Verehrung Allahs Ausdruck zu

verleihen, bedient sich der Muslim einer Reihe von kultischen Handlungen. Zu seinen

Hauptpflichten gehört sein aktiver Glaube bzw. sein Glaubensbekenntnis, ein Abfall vom

Glauben (Apostasie) ließ strenge Folgen von der Gesellschaft erwarten. Als Herzstück der

religiös aktiven Gemeinschaft dient die Moschee mit ihrer spezifischen Architektur, der

Kuppel und dem schmalen Minarett, von dem herab der Muezzin fünfmal am Tage zum

Gebet ruft. Das Gesicht des Betenden soll während des heiligen Aktes nach Mekka

gerichtet sein. Zu den Hauptpflichten des Muslims gehören außer dem rituellen Gebet auch

das Fasten, die Wallfahrt, die Almosenabgabe, zu der muslimische Bürger gegenüber dem

Staat verpflichtet ist. Zur Zeit der arabischen Herrschaft wurde die Almosensteuer von den

Herrschenden in Form von Früchten, Vieh, Edelmetallen, Kaufmannswaren eingehoben

(Zakat). Sie war für Sklaven, Schuldner, Reisende und freiwillige Glaubenskämpfer

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bestimmt. Neben dieser Steuer wurde in einer späteren Phase des Islam auch eine

freiwillige Abgabe (Sadaqa) bzw. eine Kopfsteuer und Wehrsteuer für Schutzbürger

(Djizya) eingeführt. Ebenso sakrale, rituelle Motivation hat die Waschung bzw. der

Bäderbesuch. Den verschiedenen Kulthandlungen sollen, nach muslimischem Glauben,

wörtliche Bekenntnisse bzw. bestimmte Formeln vorausgehen. Sie entsprechen einer

Absichtserklärung der nachfolgenden, heiligen Handlung bzw. der bewußten Hinwendung

zu Gott. In solchen Kurzformeln (Basmala) wird häufig, und oft in einer Umschreibung,

Allah genannt. Viele, islamische Gesellschaften kannten und führten die Beschneidung

durch, obwohl dieser Ritus niemals als eine absolute Pflicht des Muslims galt. Man kennt

diese Tradition beispielsweise von den Abbasiden, den Fatimiden und den Osmanen, die

Prinzen armer, elternloser Herkunft diesem Akt unterzogen. Der Aberglaube scheint ein

konstitutives Element muslimischer Weltvorstellung zu sein. Man fürchtet beispielsweise

die Djinnen, die als Wesen des Feuers gelten, oder den "Bösen Blick", der durch den Neid

einer anderen Person Schaden zufügen kann. Abwehr gegen solche Kräfte schaffen

Amulette, Sprichwörter, Zeichnungen. Die Darstellungen der oben genannten

Nachschlagewerke vermitteln auch verschiedene moralische Prinzipien, die Islamiten leiten

würden: "Wichtiger als wirtschaftlicher oder politischer Erfolg ist in der Werteskala der

arabischen Gesellschaft (...) die Ehre (hurma). Die Ehre eines Mannes hängt ab von seinem

würdevollen Verhalten, seiner Frömmigkeit, Geduld, Klugheit, besonders aber vom

Verhalten der Frauen seiner Familie. Wenn diese bescheiden und zurückhaltend sind, vor

allem aber, wenn sie vor und nach ihrer Verheiratung ihren Ruf makellos bewahren, ist die

Ehre der Männer der Familie gesichert. Um diesen Ruf zu sichern, gibt es unterschiedliche

Mittel, von denen eins die Verheiratung des Mädchens mit seinem Cousin väterlicherseits

(ibn`amm) ist. Diese Heiratspräferenz findet sich, von den Arabern übernommen, in

zahlreichen anderen islamischen ethnischen Gruppen" (Khoury 1991, s.v. Araber). Auch

Beispiele aus der Geschichte zeigen, daß die Ehre des (arabischen ?) Muslims eine

wesentliche Motivationskraft sein kann. Um den schiitischen Schah Ismail von Persien

(gest. 1524) zu einem Kampf herauszufordern, sah der türkische Sultan Selim I (1512-

1520) eine Möglichkeit darin, diesen in einem Brief zu beleidigen. Mit dem stark betonten

Ehrgefühl des Mohammedaners hängt vermutlich eine Konzeption zusammen, die der

Rache weitgehende Ausdrucksmöglichkeiten verleiht. Der Islam räumt bei widerrechtlicher

und vorsätzlicher Tötung eines Menschen dem Geschadeten die Möglichkeit der Blutrache

ein, wenn sich der nächste Verwandte des Getöteten nicht mit der Zahlung eines Blutgeldes

abfindet. Aber auch Gutherzigkeit und (materielle) Bescheidenheit gehören theoretisch

zum moralischen Verhalten des Islamiten: "Die Barmherzigkeit ist das Merkmal der

Solidarität der Muslims untereinander (...) Zur Brüderlichkeit gehört auch, daß man die

Großmut untereinander nicht vergißt (...), den verletzenden Spott meidet (...)" (Khoury

1991: s.v. Arbeit, s.v. Barmherzigkeit); "Jeder übertriebene Aufwand in der Lebenshaltung

wird vom Islam kritisch beurteilt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde wird die Verwendung

von Gegenständen aus Gold oder Kleidung aus Brokat vom Islam verboten" (ib.).

Möglicherweise hat aber gerade die im Glauben verankerte Ablehnung jeglicher

Luxusgüter zu einer Aufwertung und Zirkulierung von luxuriösen Waren geführt.

Edelmetallschmuck sei zu allen Zeiten getragen worden, schreiben K. Kreiser & R.

Wielandt (1992, s.v. Edelmetalle). Trotz aller regionaler Unterschiede in den

Bekleidungsgewohnheiten dürfte sich für lange Zeit für Männer wie Frauen eine

Charakteristik im Tragen einer am Knie oder am Knöchel schließenden Hose und einem

Hemd ergeben. Häufig werden auch eine Kopfbedeckung, manchmal ein Schleier, von

Frauen ein Tuch getragen. Die Kleidung spiegelte den Status eines Menschen wieder: "Der

Besserangestellte trägt zusätzlich einen mantelartigen, aber dünnen Kaftan, knie- bis

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knöchellang, mit langen fülligen Ärmeln (...); "Hof und Staatsdienst sowie militärische

Formationen entwickelten eigene Monturen, die jedoch eher durch Buntheit als

Einheitlichkeit auffallen"; Der Mantel ist ein bekanntes Kleidungsstück: "Mäntel kennen

aber auch die heißen Zonen, so Arabien einen dunklen Wollmantel, Nordafrika den hellen

Kapuzenmantel"; Die männliche Kopfbedeckung, Kappenform, Farben, Ornamentik - wie

auch die Kleidung - ist je nach Ethnie und Region verschieden. Osmanische Beamten

trugen ganz besonders kunstvoll gefertigte Kopfbedeckungen. Das Tragen von Seide war

dem einfachen Manne theoretisch nicht gestattet, am Hof aber wurde sie exzessiv getragen.

Einige Farben, wie Weiß, Schwarz, Rot, Grün haben in verschiedenen islamischen

Kulturen verschiedene Bedeutungen angenommen, die der Kleidung, der Kopfbedeckung

symbolische Bedeutungen gaben: "Besonders Weiß stand als ein Symbol für Muhammad

in hoher Achtung. Schwarz galt als Farbe der Abbasiden. Ihre Beamten trugen Schwarz,

ihre Kalifen (im 10. Jh.) Schwarz-Weiß" (ib.). Grün hat sich generell als die Farbe des

Propheten, seiner Abkömmlinge und von Muhammad durchgesetzt. Ähnlich wie im

europäischen Mittelalter gab es strenge Kleidervorschriften, die beispielsweise das Tragen

bestimmter Farben Mohammedanern vorbehielten. Noch im 18. Jahrhundert war es Juden

im Osmanischen Reich verboten, die Farbe Grün zu tragen (cf. Kreiser & Wielandt 1992,

s.v. Farben, Kleidung, Kopfbedeckung). Nach Monika und Udo Tworuschka läßt sich die

Farbe Blau mit der Signalisierung von Neid in Zusammenhang bringen: Bis heute sei es in

islamischen Gesellschaften Sitte, "Neugeborenen als Amulett gegen den „bösen Blick“

blaue Perlen mit dem Abbild eines Auges in die Wiege zu legen (...). Als Ursache des

bösen Blicks betrachtet man den Neid" (1922, s.v. Blick, böser). Nachdem schon in

vorislamischer Zeit der Wein sehr beliebt und verbreitet war - er wurde im gesamten

arabischen Raum angebaut -, führten übermäßiger Weingenuß zur schrittweisen

Einführung eines Weinverbots noch in der Zeit Muhammads. Ein zwischen Verbot und

Duldung alternierender Umgang der Herrscher mit dem Weinkonsum, bezeugt die große

Beliebtheit, die dieser Alkohol zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen

Regionen hatte. Als Verbot hat sich in islamischen Gesellschaften vollständig durchgesetzt,

kein Schweinefleisch zu essen, da dieses Tier als unrein galt.

Auch wenn wir hier einen sehr oberflächlichen und äußerst kurzen Blick in die Islamkunde

vorgenommen haben, zeigt er uns Wesentliches über die Lehre Muhammads und seiner

Repräsentanten. Der Islam war (und ist) ein sehr differenziertes Kultur-und

Glaubenssystem mit vielen - sich in der Zeit sicherlich verändernden - Bräuchen und

Sitten. Als stark gelebte Religion, hat die Lehre von Muhammads ihre Anhänger in vielen

Bereichen ihres Seins von Anfang an in charakteristischer Weise geprägt.

KONZEPTUALISIERUNG DER FIGUR DES ANDEREN

6. Der Andere: ein neutraler Oberbegriff

Für die Bezeichnung des Mauren und des Türken, den wir in unseren Quellen untersuchen,

sollte ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Der Terminus sollte eine Art neutraler

Oberbegriff sein, der alle Assoziationen und Konnotationen des jeweiligen Interpreten, alle

auftretenden Gemeinsamkeiten und Divergenzen der spanischen und rumänischen

Darstellungen einschließen könnte. Das Spanische wurde dafür herangezogen, um diesen

Terminus auszuwählen. Um eine Person zu beschreiben, die aus der Perspektive

desjenigen, der sich äußert, denkt bzw. wahrnimmt, etc. nicht „Seinesgleichen“ ist, gibt es

im Kastilischen die Adjektive diferente, distinto, extranjero, forastero, otro. Zu diesen

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Lexemen geben uns das Diccionario Espanol de sinónimos y de antónimos (Sainz de

Robles 1988) und das Diccionario de las lenguas espanola y alemana, Barcelona, Herder

(91993) die folgenden Definitionen bzw. Übersetzungen ins Deutsche:

Diferente > (unter anderem) Diverso (u.a. verschieden, -artig // ungleich, unähnlich //

anders // abweichend von). Otro. Vario (u.a. verschieden, unterschiedlich // mannigfaltig).

Distinto (u.a. unterschieden // unähnlich, verschieden). Desigual. Desemejante (beide

Wörter bedeuten nach Slaby und Grossmann u.a. ungleich, unähnlich, verschieden).

Disconforme (nicht einverstanden // uneins // nicht passend). Incomparable (u.a.

unvergleichlich, ohnegleichen). Opuesto. Contrario. Divergente (u.a. auseinanderlaufend //

gegensätzlich).

Distinto > (unter anderem) Diferente (verschieden, abweichend von, unterschiedlich).

Diverso. Separado (u.a. getrennt // auseinanderliegend // besonders). Opuesto (u.a.

entgegengesetzt // gegenüber/liegend, -gestellt). Contrario (u.a. entgegengesetzt, widrig,

Gegen- // abgeneigt, feindlich (gesinnt)). Encontrado (Slaby und Grossmann verzeichnen

nur den Infinitiv encontrar, und geben unter anderem das Verbalsyntagma encontrar sus

pareceres (opiniones) - verschiedener Meinung sein).

Extranjero > unter anderem Extrano (u.a. fremd, ausländisch // fremdartig, nicht arteigen //

auswärtig, ungewohnt, außerordentlich // seltsam, sonderbar // país extrano - Fremde,

Ausland // me parece extrano - es befremdet mich // Fremder, Ausländer). Forastero

(auswärtig, fremd // fremdartig // fig. Fremd // Fremde(r), Auswärtiger(r)). Bárbaro (u.a.

barbarisch, Barbaren-, // grausam // fig wild, ungebildet // fig roh, grob // fig verwegen,

dreist // Barbar // Wüterich // roher Mensch //). Advenedizo (u.a. fremd, zugereist //

hergelaufen // Fremdling). Alienígeno (fremd, unnatürlich). Albarrán (Slaby und

Grossmann verzeichnen nur das Lemma albarrano, das sie als lateinamerikanischen

Regionalismus für Zigeuner angeben). Intruso (u.a. ohne Berechtigung eingedrungen //

Eindringling // Besitzstörer // ungebetener Gast).

Forastero > Foráneo (fremd, Außen-). Extrano. Alienígeno. Extranjero. Exótico

(ausländisch, fremdartig, exotisch // fig sonderbar, exotisch, fremd). Ajeno u.a. (andern

gehörend, fremd // verschieden). Bárbaro. Gringo. Nuevo. Refugiado. Advenedizo. Intruso.

Albarrán. Naturalizado. Carcamán (2

Cu Spottname für mittellose Ausländer // Arg.

Spottname für Italiener). Als Antonyma des Wortes werden angegeben Indígena. Vecino.

Otro > Distinto. Diferente. Ajeno (u.a. andern gehörend, fremd // verschieden). Nuevo (u.a.

abweichend, verschieden // auffallend, befremdend //). Tercero (u.a. por cuenta de (un)

tercero - für fremde Rechnung // seguro de vida a favor de tercero - Versicherung auf

fremdes Leben). Demás (u.a. la demás gente - das übrige Volk // los demás - die übrigen

//las demás poblaciones - die ander(e)n, die übrigen Städte).

Um aus diesen lexikalischen Möglichkeiten eine oberbegriffliche Terminologie für den

Mauren und den Türken auszuwählen, haben wir uns gefragt, welche gemeinsamen

Assoziationen der (authochthonen) Bewohner der Iberischen Halbinsel bzw. der Rumäne

zum maurischen Nachbar bzw. zum türkischen Soldaten, Händler, Steuereintreiber oder

Diplomaten hatte entwickeln können. Es schien nahezuliegen, in der Figur des Mauren, des

Türken und Tataren den gemeinsamen Fremden - den extranjero oder forastero - zu

suchen. Den lateinischen Entsprechungen des Lexems extranjero, ra zufolge, käme der

Fremde etymologisch „von außen“ zu / in eine(r) Gemeinschaft: extraneus, externus,

extrarius; exterus; peregrinus; alienigenus; barbarus; barbaricus (cf. Blánquez Fraile

1985, s.v.). In den Rumänischen Fürstentümern war es, wie wir gesehen haben, den Türken

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nicht erlaubt, zu siedeln. Sie hielten sich nur stationär in bestimmten Grenzzonen auf, von

denen aus sie die Lage überwachen konnten (cf. die Abschnitte Die Lage auf dem Balkan

und Parallelismen und Gegensätze). Die arabisierten Ethnien, die die Iberische Halbinsel

erobert hatten, lebten in Al-Andalus, wie ebenso gezeigt wurde, jahrhundertelang neben der

authochthonen Bevölkerung (cf. den Abschnitt Die Lage auf der Iberischen Halbinsel). Im

Falle der Iberischen Halbinsel kamen islamisierte Ethnien also nur in einer anfänglichen

Phase von außen in die bestehenden Kulturgemeinschaften „hinein“. Im Vergleich zu der

Situation auf der Iberischen Halbinsel war die Präsenz der Osmanen in den Rumänischen

Ländern viel begrenzter. Der Türke scheint „qualitativ“ gemessen für den Rumänen

weitaus fremder gewesen sein, als es der arabische oder arabisierte Nachbar für den

spanischen Christen gewesen sein dürfte.

Der maurische und türkische Protagonist unserer Texte wird, wie wir später sehen werden,

häufig als Angehöriger der mohammedanischen Religion - zum Beispiel dadurch daß er

Allah anruft - dargestellt. Aus der Perspektive des christlichen, spanischen und

rumänischen Interpreten ist er ein Andersgläubiger, ein kulturell Anderer also. Um den

maurischen und türkischen Protagonisten gemeinsam zu bezeichnen, scheint uns daher die

Terminologie „des Anderen“ am adäquatesten. Wir wollen mit dieser Teminologie darauf

hinweisen, daß wir in der vorliegenden Untersuchung unsere maurischen und türkischen

Protagonisten in erster Linie als sich kulturell und religiös vom Christen unterscheidende

Personen definieren. Die gewählte Terminologie erscheint auch deshalb am adäquatesten,

da sie keine Identifizierung, keine Klassifizierungen unserer maurischen und türkischen

Figuren implizit vorwegnimmt. In den ausgewählten Textreihen werden wir diesen

„Anderen“, den Christen unserer Quellen mehr oder weniger explizit entgegengesetzten

Anderen (unter)suchen, der nicht notwendigerweise die Charakteristik eines Fremden per

se haben muß. Aus stilistischen Gründen, um frequente Wortwiederholungen zu

vermeiden, werden wir die beiden Termini, der Andere und der Fremde, als Synonyma

verwenden.

7. Reaktionen auf und mögliche Darstellung von «Fremdheit»

Die Autoren des 1991 editierten Sammelbandes Das Fremde: Erfahrungsmöglichkeiten

zwischen Faszination und Bedrohung setzen sich in ihren Beiträgen mit unterschiedlichen

Aspekten von «Fremdheit» auseinander. In seinem einleitenden Beitrag über Die Modi des

Fremderlebens definiert der Herausgeber des genannten Werks, Ortfried Schäffter, das

Phänomen «Fremdheit» und weist ihm eine Reihe von Funktionen zu. Diesem Autor

zufolge definierte sich Fremdheit grundsätzlich als „Beziehungsmodus“ bzw. „relationaler

Begriff“. Dieser Beziehungsmodus würde im wesentlichen von den „eigentümlichen

Wahrnehmungsmustern einer [einzelnen] Person, sozialen Gruppe oder Kultur“ abhängen.

Voraussetzung für das Erleben von (Be-)Fremden wäre, sich der Eigenheit, der eigenen

Integrität bewußt zu sein. Wir erkennen das Fremdartige nur im Kontrast zu dem, was wir

selbst sind, selbst erfahren haben (cf. die Abschitte Fremdheit als Beziehungsverhältnis,

Fremdheit als Unterscheidung, Fremdheit in ihrer Funktion für Ordnungskonzepte,

Fremdheit als Resonanzboden für Eigenheit, etc. 1991:11-28).

Unsere Reaktionen auf Fremdes, das Erlebnis / Erfahren von Fremdem wären ambivalent

(cf. auch den Artikel von Dieter Claessens Das Fremde, Fremdheit und Identität in

Schäffter 1991: 45-55). Fremdartiges würde zum Beispiel Sehnsucht auslösen - Sehnsucht

nach der Ferne, nach „fremden“ Welten, dem Ursprünglichen, der verlorenen

Ganzheitlichkeit des Menschen, dem Paradis -, Fremdartiges riefe aber auch Angst hervor.

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Die Wahrnehmung des Fremden (und der Fremde) als Kontrast zum Eigenen löste eine

negative Reaktion in uns aus. Ein zur eigenen Integrität / zur „Integrität der Eigenheit“

signifikant erlebter Kontrast, etwas „das dem Eigenen wesensmäßig nicht zugehörig ist“,

würde als „Fremdkörper die Integrität der eigenen Ordnung“ gefährden. Das als

fremd(artig) Erlebte würde in der Folge zur „konfliktiven Gegensätzlichkeit“, ein Fremder

zur Vorstellung eines „natürlichen Feindes“ (cf. auch die Abschnitte Fremdheit als

Gegenbild, Fremdheit als Ergänzung, Fremdheit als Komplementarität, 1991:11-28). Die

Fremdempfindung kann also, den Worten Ortfried Schäffters zufolge, leicht eine negative

Konnotation annehmen.

Zu einer sehr ähnlichen Aussage kommt auch Juan Goytisolo in seinem 1997 erschienenen

Buch De la Ceca a la Meca. Ihm zufolge hat sich der Islamit für den Christen als der

gegensätzliche Andere, der „intime“ Gegner definiert, der zu nahe sei, um ausschließlich

exotisch zu wirken und zu greifbar, um in seiner Entität reduziert zu werden: „En virtud de

la conocida dialéctica autoidentificatoria existente entre el yo y el no-yo, el islam ha

representado de cara al mundo cristiano occidental un papel de autoconcienciador en

términos de oposición y contraste: el del Otro, ese «adversario íntimo» demasiado cercano

para resultar totalmente exótico, y demasiado tenaz, coherente y compacto para que pueda

ser domesticado o reducido“ (ib.: 16-17). Diesen Worten zufolge erlebte der Christ den

Mohammedaner als Kontrast („el Otro / der Andere“) und dieser Kontrast riefe im Christen

Angst, Ablehnung, die Vorstellung des Islamiten als eines Feindes („der Feind /

adversario“) hervor.

Ist die Differenz dessen, was wahrgenommen wird, zum eigens Erfahreren sehr groß, kann

es geschehen, daß sich „Fremdartiges (...) beim besten Willen nicht verstehen läßt und daß

die interne Verarbeitungsfähigkeit in Konfrontation mit immer zahlreicheren komplexen

Außenbereichen (...) überfordert wird. So kann schließlich auch «Fremdheit» nur noch

selektiv und meist nur beiläufig zur Kenntnis genommen werden. Folglich wird gerade bei

intensiven Auseinandersetzungen mit der Unverständlichkeit des Anderen von einem

gewissen Punkt ab nicht mehr mit elastischen Akkomodationen geantwortet, sondern mit

der Feststellung von «Nicht-Verstehbarkeit»“. Unbekanntes, Fremdes, Andersartiges muß

nicht notwendigerweise wahrgenommen werden, manchmal wir uns das „außerhalb

unserer Erfahrung Liegende“ nur teilweise bewußt.

Wir können also davon ausgehen, daß wir angesichts des Fremdartigen, des Anderen leicht

in irgendeiner Weise (emotional) reagieren und in unserer Wahrnehmung selegieren. Wir

stellen in der Folge die Hypothese auf, daß auch die literarische Darstellung des Anderen

emotionalisiert und selektivierend ist. Die konkreten Textanalysen sollen zeigen, ob das -

aus spanischer und rumänischer Perspektive gezeichnete - Bild des Mauren, Türken und

Tataren, ein positives oder ein negatives ist und ob sich - aus der kontrastiven Perspektive

des Textproduzenten - der fremde Andere als Ähnlicher oder Divergenter zeigt.

8. Konzeptualisierung: ein kognitiver Prozeß

In der vorliegenden Studie gehen wir von der in der Psychologie häufig propagierten

Untrennbarkeit von sprachlichem Handeln und Denken aus (cf. Kagan & Havemann, 1968:

120-144). Wir gehen davon aus, daß aufgrund der engen Kohärenz zwischen Denk- und

Sprechakten personenbeschreibende Texte gewissermaßen schriftlich fixierte

Konzeptualisierungen über die, in diesen Texten dargestellten, Personen liefern. Die

Analyse von Darstellungen des Mauren, des Türken und Tataren in einer Reihe von Texten

soll die Konzeptualisierungsmuster der Textproduzenten freilegen. Die Mechanismen der

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Wien, am 02.06.11, Seite 35 von 259

Konzeptualisierung sind aufgrund der spezifischen, sprachlich kreierten Porträts unserer

Figuren „rekonstruierbar“. Die Porträtierungen unserer fokussierten Figuren müssen dafür

auf ihre charakteristischen - existenten und fehlenden - Beschreibungsparametern

untersucht und diese in systematischer Weise erfaßt werden.

Wir haben im vorangehenden Abschnitt die Hypothese erarbeitet, daß die Wahrnehmung,

die wir von einer anderen, fremden Person haben, selektiv sein kann. Wir schließen daraus,

daß auch in der Darstellung einer anderen Person Selektionsmechanismen funktionieren

könnten. Die konkrete Untersuchung einer Reihe von Texten soll dazu dienen, die

Beschreibungsparameter des Mauren, Türken und Tataren im Detail zu erfassen. Dabei soll

auch gezeigt werden, ob sich die Konzeptualisierung des Anderen aus spanischer

Perspektive grundsätzlich mit derjenigen (oder denjenigen) aus rumänischer Perspektive

deckt, oder ob unsere Quellen unterschiedliche Darstellungen der Figur des Anderen

reflektieren, und wenn dies der Fall ist, worin diese Divergenzen bestehen.

Wir gehen in unserer Untersuchung, wie schon erklärt wurde, von sprachlichen, also

mentalen Bildern oder Konzepten aus, Produkten unseres kognitiven Bewußtseins. In dem

Kapitel El pensamiento y el lenguaje des modernen Handbuchs der Psychologie von David

Myers wird das Konzept unmittelbar mit Denk- und Kognitionsprozessen in Verbindung

gebracht (vgl. Psicología, Madrid, Editorial Médica Panamericana, 31995, s 267-292).

Konzepte werden hier als Worte bzw. Wortklassen erklärt, auf denen unser Denken

aufbaute und die auf der Basis von Prototypen (prototipos) funktionierten. Im Glossar des

genannten Handbuchs werden nocheinmal - in der Definition eines kognitiven Phänomens

- Konzepte erwähnt. Unter Perseverancia de la creencia verstehen die Autoren des

Handbuchs die Resistenz der anfänglichen Vorstellungen über ein Objekt (conceptos

iniciales), nachdem sich diese als nicht gültig herausgestellt haben: „Aferrarse a los

conceptos iniciales del individuo, después de que la base sobre la cual se elaboraron quedó

desacreditada“ (ib., s 289).

Im Vorwort zu seinem Buch Concept Formation (Oxford, Pergamon Press, 11977)

definiert Neil Bolton denselben Begriff auf folgende Weise: „concepts are formed through

a process in which the person recognizes similarities or identical elements in a set of

objects“. Danach liefert uns der Autor - zunächst - die folgende, traditionelle Theorie zu

diesem Begriff: „The traditional theory (...) is that concepts are formed by the subject

abstracting certain resemblances among otherwise dissimilar stimuli. On this view, a

concept is a representation of the generalities we have observed to occur among our many

particular perceptions (...)“. Resümieren wir die angeführten Beschreibungen, ist das

Konzept eine durch Abstraktion gewonnene Bildlichkeit.

Bilder und Konzepte, daß heißt 'mentale Vorstellungen' über die Figur des Anderen sind

gewissermaßen das Produkt des Prozesses, den wir Konzeptualisierung nennen. Im

Unterschied zu einigen anderen Kognitionsabläufen, wie Perzeption, Identifizierung, ist die

Konzeptualisierung nicht notwendigerweise an die Unmittelbarkeit oder die Präsenz eines

Objektes, gebunden. Wie das Denken, die Wahrnehmung, das (Er-)Lernen, das Erinnern,

das Identifizieren, scheint die Konzeptualisierung, die Verbildlichung von Inhalten ein

Mechanismus unseres komplex ablaufenden Bewußtseins, daher kaum getrennt von den

anderen Kognitionsprozessen bestimm- bzw. beschreibbar zu sein. Die Bildung von

Konzepten dürfte sehr eng mit den anderen Kognitionsphänomenen unseres Bewußtseins

zusammenhängen und in ihrem Ablauf eng an diese „geschaltet“ funktionieren (vgl. dazu

das Kapitel über Imágenes, Lenguaje y pensamiento in: Krech & Crutchfield & Livson

1973, ss 423-436).

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Wien, am 02.06.11, Seite 36 von 259

Für die hier angestrebte Untersuchung der Darstellung / Konzeptualisierung von

Fremdporträts ist sehr interessant, daß sich bestimmte Mechanismen in (einigen) unseren

Bewußtseinsprozessen zu wiederholen scheinen. In dem Buch Princípios de psicologia

geral, vol. IV. (1973:9-21) beschreibt der Autor, S. L. Rubinstein, die Wahrnehmung als

eine Verkettung von geistigen Bildern. Er unterscheidet dabei grundsätzlich drei Phasen:

die eigentliche perzeptive Wahrnehmung, die Reproduktion und die Repräsentation von

Bildinhalten. In den beiden zuletzt genannten Phasen würden auf unserer Erfahrung

basierende geistige Bilder reproduziert werden. Die Identifizierung des wahrgenommenen

Objekts geschähe aufgrund eines "reconhecimento generalizado", des Erkennens einer

Klasse oder Kategorie von Objekten. Repräsentationen wären in der Regel weniger präzise

und gewissermaßen fragmentarisch im Vergleich mit dem Objekt der Wirklichkeit. Sie

dienten dazu, eine allgemeine Vorstellung von einem spezifischen und in der Wirklichkeit

komplexen Objekt - wie es beispielsweise ein Gemälde sein könnte, zu haben: "ter uma

ideia uniforme e geral de um conjunto muito complexo (....), por exemplo, a impressao

geral de uma obra de arte" (cf. 9-21). Dem Prozeß der Wahrnehmung wird diesen

Beschreibungen zufolge eine abstrahierende Dimension zugeschrieben.

Im Prólogo seines 1997 erschienenen Werks De la Ceca a la Meca beschreibt Juan

Goytisolo den Prozeß der Wahrnehmung auf ähnliche Weise. Unsere Wahrnehmung

fremder Kulturen beruhten, dem Autor zufolge, nicht auf einer objektiven Realität, sondern

auf einem mentalen Bild, das wir über diese Kulturen inne hätten. Je präziser dieses

verinnerlichte Bild, diese Vorstellung sei, umso überzeugter wären wir von uns selbst,

diese Kulturen zu kennen und zu verstehen. Jedes mentale Bild bestätigte erneut unser

„Wissen“ darüber, die sich wiederholenden Bilder verwandelten sich in Klischees und

ließen letztendlich auch den Mythos entstehen: "Nuestra percepción de las culturas ajenas

no suele fundarse en una realidad objetiva sino en la imagen mental que tenemos de ellas.

Cuanto más nítida y definida sea la imagen, mayor será nuestra convicción íntima de su

conocimiento y su comprensión; cualquier cala en el interior de las mismas será así una

mera confirmación del presunto saber que ya poseíamos (...): imágenes que, a fuerza de

repetidas, se transforman en clichés previos a nuestra visión de los hechos y cosas, la

suplantan y acaban por ofuscarnos con la fuerza cegadora del mito". Juan Goytisolo sagt in

dieser Beschreibung aus, daß wir unsere verinnerlichten Bilder gewissermaßen autonom

von ihrer objektiven Realität wiederholen und uns dadurch über die „Wahrheit“ versichern.

Er schreibt damit der Wahrnehmung einen Aspekt der Abstraktion, Stereotypisierung und

Verallgemeinerung zu.

Im Kapitel Das Gedächtnis und seine Phasen seines Buches Gedächtnis und Lernen in

psychologischer Sicht. Memoria und Mneme. Band I. (Stuttgart, Hirzel Verlag, 1976: 36-

71) schreibt H.-J. Flechtner: „Erlebtes und Erlebnisse werden (...) anscheinend „irgendwo“

und „irgendwie“ aufbewahrt, sie werden gespeichert“, „Das Erlebte und die Erlebnisse

werden irgendwie fixiert, etwa als physische Gebilde, z.B. im Zentralnervensystem (ZNS),

und sie werden dort abgelagert. Auf eine noch unbekannte Weise werden sie dann

„aktualisiert“ und erregen in ähnlicher Weise wie die ursprünglichen Reize oder Stimuli

die Psyche: die Erlebisse werden bewußt“. Der Autor stellt desweiteren fest, daß Erlebnisse

umstrukturiert werden können, daß ein erlebtes Ereignis zu unterschiedlichen Zeiten

unterschiedlich erzählt, verschiedene Details dieses Erlebnisses unterschiedlich

hervorgehoben werden. Für diesen Umstand sieht er: „Eine Möglichkeit“ darin „daß das

Erinnern selegierend funktioniert, also unter dem Gespeicherten auswählt, so daß z.B.

anstelle des damals Wichtigen das heute Wichtige zentral wird“ (ib. s 41-42). Im

Erinnerungsprozeß scheinen also Mechanismen der Selektion zu funktionieren. Der

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Wien, am 02.06.11, Seite 37 von 259

Konzeptualisierungsvorgang wurde von uns als ein Prozeß der Verbildlichung definiert.

Dieser Prozeß verläuft, wie wir erwähnt haben, auch gegenwartsunabhängig. Unser

Bewußtsein muß dabei also mit bereits verinnerlichten bzw. abrufbaren Bildinhalten

arbeiten. Das Konzeptualisieren verläuft in gewisser Weise also analog zur Erinnerung,

unter Umständen also ebenso selegierend.

Auf einen weiteren Aspekt von Konzeptualisierung macht Neil Bolton in einer

Definitionen des Begriffes Konzept aufmerksam: „(...) a concept is formed, not by the

(subject´s) having a particular hypothesis about certain features of his environment... In the

course of development subjects come to organize their hypothesis to form conceptual

systems and in this sense it can be said that the person constructs his view of the world“

(Oxford 11977, Vorwort). Im Laufe der kognitiven Prozesse unseres Bewußtseins bilden

wir Konzeptmuster. Außer dem zuvor erwähnten Erinnerungs- oder Abrufmechanismus,

hat der Prozeß des Konzeptualisierens auch einen dynamischen Aspekt. Die unmittelbar

wahrgenommenen oder aus dem Gedächtnis abgerufenen Bildinhalte werden zu einer

neuen Bildlichkeit zusammengesetzt.

Fassen wir die bisherigen Darlegungen dieses Abschnittes zusammen, ist

Konzeptualisierung ein abstrahierender, generalisierender, stereotyper und selektierender

Mechanismus. Zugleich ist Konzeptualisierung ein kognitiver Prozeß, bei dem mentale

Inhalte zu Mustern verknüpft werden, also (neue) Bildlichkeiten entstehen. Die Analyse

der sprachlichen Darstellungen des Mauren, Türken und Tataren soll die dahinterliegenden,

möglichen Konzeptualisierungsmuster (Abstraktion, Verallgemeinerung, Stereotypie,

Selektion) deutlich machen und zeigen, mit welchen sprachlich-mentalen Parametern die

Figur und Identität des Anderen konstruiert bzw. konfiguriert wird.

9. Fremdwahrnehmung und Stereotypie

In seinem Werk Balkan-Chronik. 2000 Jahre zwischen Orient und Okzident (1995:135)

beschreibt Michael W. Weithmann das Bild der Türken, das sich nach der Schlacht bei

Varna um 1444 in ganz Europa verbreitet hat, über Jahrhunderte bestehen blieb und sich

noch heute in Schulbüchern der Balkanländer widerspiegelt: "Von jetzt an herrscht in

Europa für dreieinhalb Jahrhunderte eine geradezu pathologische Türkenfurcht. Der

Nimbus der Unbesiegbarkeit der Osmanen nimmt seinen Lauf. Damit verbunden

Greuelpropaganda und Religionshaß. Dies freilich auf beiden Seiten (...) Noch heute

werden in populären Geschichtsdarstellungen und Schulbüchern der Balkanstaaten die

Osmanen als erbarmungslose Invasoren dargestellt, welche die blühenden mittelalterlichen

christlich-orthodoxen Reiche mit Feuer und Schwert vernichtet hätten".

Fürsten und ihre Kanzleien hätten, meint M. W. Weithmann, jahrhundertelang die Furcht

der Bevölkerung vor den Türken im eigenen Interesse gefördert. Im auftretenden

Nationalismus der Neuzeit wäre ebenso das Feindbild des Türken der gemeinsame Nenner

des Kampfes der Balkanländer gewesen: "Der im 19. Jahrhundert auftretende

Nationalismus der Balkanvölker kennt als das innerlich einzig einigende Band eigentlich

nur den gemeinsamen Kampf gegen die Türken (cf. das Kapitel über „Die Ideologisierung

des “Türkenjochs”). Während die langen Jahrhunderte prosperierender osmanischer

Friedenszeit bewußt verdrängt und offiziell ignoriert worden wären, hätte sich nur das Bild

der expandierenden und um die Aufrechterhaltung ihres Reichs erbittert kämpfenden

Türken überliefert: "Ausschließlich die blutrünstige Anfangs- und Endphase ist ins

historische Bewußtsein vorgedrungen und wird mit Traditionen und Mythen ostentativ

gepflegt" (cf. ib.:135-160). Anhand aktueller rumänischer Schulbücher lassen sich die

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Wien, am 02.06.11, Seite 38 von 259

Behauptungen von M. W. Weithmann rasch bestätigen. In dem rumänischen

Geschichtslehrbuch für Schüler, Istoria românilor, von Mihai Manea beispielsweise

werden die Türken - vor allem - mit dem Bild eines agressiven Feindes assoziiert (Manea

et al., Bucureşti, Editura didactică şi pedagogică, 1992; cf. agresiune otomană

beispielsweise auf s 220). Die Art und Weise der rumänischen Darstellung des Türken

scheint sich in Schulbuchtexten und der rumänischen Historiographie so konstant zu

wiederholen, daß sie an Stereotypien denken läßt.

Die Historikerin Christiane Villain-Gandossi (Villain-Gandossi et al., 1990:25-26)

definiert das Phänomen der Stereotype nach folgenden Kriterien: "Par stéréotype on entend

donc un jugement (négatif ou positif) lié a une conviction:

• sa génese est sociale, c’est-a-dire qu’il est transmis a l’individu, comme expression de l’

opinion publique, par la famille et le milieu social au moyen de l’éducation, quelles que

puissent etre les expériences personnelles de l’individu. (Il est vrai, l’enfant assimile l’

héritage culturel de la société en apprenant sa langue, sans avoir la possibilité de

discerner ce qui dans un message est objectivement cognitif et ce qui est subjectivement

émotionnel).

• il est toujours lié a une charge émotionnelle déterminée (négatif ou positif);

• il est soit totalement contraire aux faits, soit partiellement conforme tout en créant les

apparences de véracité totale de ses contenus;

• il est de longue durée et résiste aux changements, ce qui est lié au fait qu’il est

indépendant de l’expérience; toutes ces caractéristiques permettent la réalisation de la

fonction sociale du stéréotype qui consiste a défendre les valeurs et jugements acceptés par

la société ou un groupe et donc l’internalisation en tant que norme sociale de rigueur est

la condition de l’intégration de l’individu avec le groupe. (On retrouve là cette notion

chere à Erich Fromm du "caractère social" de l’homme). Le stéréotype est donc une

structure cognitive spécifique; mais justement, grâce a cette spécificité qui consiste

notamment en l’union dans son cadre du facteur cognitif et émotionnel, on obtient une

structure pragmatique. On a donc trois aspects: cognitif, émotionnel, pragmatique et

quatre fonctions pragmatiques qui sont socialement intégrante, défensive, idéologico-

créative et politique".

Diesen Kriterien zufolge, wurzeln Stereotypien in einem emotional „geladenen“ Urteil

bzw. einer Überzeugung, die von der Gesellschaft getragen wird. Stereotype Vorstellungen

sind äußerst resistent gegenüber Veränderungen und verstärken akzeptierte Werte und

Urteile. Stereotypes Denken hätte aufgrund dieser Charakteristiken einen kognitiven,

emotionellen und einen pragmatischen Aspekt sowie verschiedene Funktionen, wie eine

soziale, eine der (Selbst-)Verteidigung dienende, eine ideologische und eine politische.

Anders als in den vorangegangenen Erklärungen wird das Phänomen der Stereotypie im

Handbuch der Psychologie von David Myers (31995:545) nur kurz unter der folgenden

Definition des Begriffs Vorurteil erwähnt als “una actitud injustificada y generalmente

negativa hacia un grupo, generalemente un grupo diferente debido a su cultura, la

composición étnica o el sexo. Como todas las actitudes, el prejuicio es una mezcla de

creencias (a menudo generalizaciones excesivas, denominadas estereotipos), sentimientos

(hostilidad, envidia, o miedo), y predisposiciones hacia la acción (en el sentido de la

discriminación). Das Stereotyp wäre, der hier kurzen, aber expliziten Definition zufolge,

eine übertriebene Verallgemeinerung, in der das Vorurteil „wurzelt“, das explizit mit den

Begriffen des Urteils, des Affekts, mit der Vorstellung gesellschaftlicher Motivation, mit

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Wien, am 02.06.11, Seite 39 von 259

Resistenz in Zusammenhang gebracht wird und dem eine emotionale und kognitive Basis

zugeordet wird. Das Entstehen von Vorurteilen wird in dem erwähnten Handbuch als

gesellschaftsbedingt erklärt. Im Kontext von sozialem Ungleichgewicht hätte das Vorurteil

die Funktion, den eigenen Status, das eigene Verhalten gegenüber „Anderen“ zu

(be)stärken und rechtzufertigen: „Cuando algunas personas tienen dinero, poder y prestigio

y otros no, „los que tienen“ generalmente adoptan actitudes que justifican el estado actual

de las cosas. En situaciones extremas, los esclavistas percibían a los esclavos como

individuos perezosos e irresponsables (es decir, poseedores de los mismos rasgos que

„justificaban“ que se los esclavizara.)...“. Als grundsätzlich kognitives Phänomen diente

das Vorurteil dazu, die Wahrnehmung der Welt auf der Basis von Kategorien zu

vereinfachen. Auf menschliche „Objekte“ übertragen, bedeutet dies, daß wir Personen nach

Gruppen klassifizieren und mit diesem Akt stereotypisieren: „La investigación reciente ha

concentrado la atención en otra fuente del prejuicio. Las creencias estereotipadas son un

subproducto natural del modo en que cognitivamente simplificamos el mundo. División en

categorías. Un modo de simplificar nuestro mundo es clasificar las cosas en categorías

(...). Al dividir a la gente en grupos a menudo la estereotipamos“ (cf. Psicología, Myers,

David, Madrid, Editorial Médica Panamericana, 31995, p.545). Stereotypes Denken und

Vorurteile sind also zwei eng „zusammengeschaltete“ Phänomene des kognitiven

Bewußtseins. Sie scheinen natürliche Mechanismen zu sein, insofern sie uns helfen, uns zu

orientieren, die Welt zu kategorisieren und ihre komplexe Realität zu vereinfachen. Sie

sind gesellschaftlich bedingt, gesellschaftlich geformt und tief in uns verankert. Sie dienen

uns scheinbar als Strategien zur Verteidigung der eigenen Person in der Abrenzung nach

außen und bedingen einen verallgemeinernden, abstrahierenden, gegenwartsunabhängigen

Aspekt der Wahrnehmung (objektiver) Realitäten.

Repräsentativität der Quellen

10. Der Mohammedaner in frühen Textwelten der Romania

Die Figur des Mohammedaners ist in vielen Texten der Iberischen Halbinsel, Rumäniens

und auch anderen Sprachräumen der Romania präsent, beispielsweise die Figur des Türken

in Werken von Madame de la Fayette (cf. ib. Zaide, 1671). In den beiden hier untersuchten

Kulturräumen tritt sie schon in den frühesten überlieferten Texten auf. Im ersten schriftlich

überlieferten Text rumänischer Sprache aus dem Jahre 1521 sind „die Türken“, die zu

dieser Zeit beginnen, den Südosten Europas zu bedrohen, das wesentliche Thema. Ein

gewisser Neacşu unterrichtet in diesem Dokument den Bürgermeister des transsilvanischen

Kronstadt über die Türken, die mit Segelschiffen donauaufwärts fahren (Scrisoarea lui

Neacşu). Der Verfasser warnt Johannes Benkner in seinem Bericht vor dem lotru, dem

'Gauner, Dieb' Mahamet-Beg. Wie Neacşu hinzufügt, würde sich selbst Băsărab - es

handelt sich um Neagoe Basarab, den IV., Herrscher Munteniens; cf. Alexandru Mareş (cf.

Crestomaţia limbii române vechi, Vol. I., 1521-1639, Bucureşti, EAR, 1994:51) vor diesem

Türken fürchten. Das Bild des furchteinflößenden Türken, das, wie wir gesehen haben, in

neuzeitlichen rumänischen Schulbüchern zirkuliert, ist also schon in diesem ersten

Dokument zu finden.

Die Figur des Türken kehrt seit dem Beginn der rumänischen Textualität in

unterschiedlicher Intensität und unterschiedlichen Textwelten immer wieder. Um nur

einige Beispiele zu nennen, erinnern wir an die Berichte der moldauischen und

muntenischen Chronisten Miron Costin, Ion Neculce, Dimitrie Cantemir, in denen sich der

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Wien, am 02.06.11, Seite 40 von 259

Türke mit großer Frequenz, insbesondere in den Erzählungen über die Schlachten gegen

die Pforte widerspiegelt. Außer in den historiographischen Werken rumänischer Autoren,

ist der (türkische) Mohammedaner auch in vielen literarischen und mehr oder weniger

expliziten Beschreibungen präsent. Um 1800 verfaßt beispielsweise der rumänische

Schriftsteller Budai-Deleanu sein von der Aufklärung geprägtes Werk Ţiganiadă

('Zigeunerschaft'). Der Verfasser entwickelt darin in einem von mehreren „Erzählsträngen“

die historischen Kämpfe des Landesfürsten Transsilvaniens, Vlad Ţepeş, gegen die Türken.

Ein in neuzeitlichen Schulbüchern Rumäniens zirkulierendes Lied beginnt mit einem

Aufruf an den (= alle) Rumänen, sich der politischen Macht der Türken entgegenzusetzen.

Wörtlich übersetzt, lauten die ersten Verse des Liedes von Andrei Mureşanu: Rumäne,

Rumäne, erwache aus dem Schlaf des Todes, [denn...] das Schwert des barbarischen

Halbmondes konnte [sie = die Rumänen] nicht erreichen (= nicht vernichten): "Deşteaptă-

te Române din somnul cel de moarte (...) / N-ajunse iataganul barbarei Semilune". Der

Autor nennt den Halbmond, Symbol des Islam, um sich auf die (Welt der) Türken zu

beziehen.

Auch im ibero-romanischen Kontext hat die Figur des Mohammedaners von jeher eine

große Bedeutung und Repräsentanz gefunden. Wie im Falle Rumäniens, erscheint die Figur

des Mauren im und seit dem ersten bedeutenden Text spanischer „Zunge“. Auf die

maurischen Protagonisten, die im Cantar de Mio Cid auftreten, werden wir im nächsten

Abschnitt etwas genauer eingehen. An dieser Stelle wollen wir ein für den hispanischen

Raum interessantes Beispiel textuell kodifizierter Maurenthematik etwas genauer

betrachten. Die - bis heute - starke Präsenz des Mauren, des - ursprünglich - islamisierten

Einwohners afrikanischer oder arabischer Herkunft von Al-Andalus im spanischen

Bewußtsein, wird durch eine Reihe von umgangssprachlichen Sprichwörtern belegt, in

denen diese Figur erwähnt wird.

Unter dem Lemma Moros zitiert Aut. den Sinnspruch: „Moros van y moros vienen. Phrase

con que se dá a entender, que a alguno, aunque no está enteramente borracho, le falta

poco“. Desweiteren verzeichnet dasselbe Wörterbuch den Idiotismus „Haber Moros y

Christianos. Phrase con que se dá a entender que habrá o ha habido alguna gran pendencia,

rina u discórdia“. In diesen Zitaten wird die Figur des Mauren mit der Vorstellung von

Trunkenheit und Zank assoziiert. Der von der Real Academia Espanola herausgegebene

Refranero General Ideológico Espanol (cf. Martínez Kleiser MCMLXXXIX, s.v.)

verzeichnet unter moro vier Sinnsprüche: „Una huerta es un tesorero, si el hortelano - o si

el que la labra - es un moro“, „Judíos en pascuas, moros en bodas, cristianos en pleitos,

gastan sus dineros“; „Siempre en casa del moro, se habla algabaría“; „Ni de la zarza buen

manzano, ni de mal moro buen cristiano“ (Einträge Nummer 13.791, 34.791, 52.868,

52.554). Diese Sprichwörter „beschreiben“ den Mauren in der Eigenschaft eines fähigen

Gärtners sowie als jemanden, der Hochzeiten liebt, der fremdartig spricht und der - in

religiösem Sinne - beharrlich ist.

Auch das von Juana G. Campos und Ana Barella herausgegebene Diccionario de refranes

enthält unter den insgesamt 3475 Eintragungen eine Reihe von Sprichwörtern zum Lemma

mora: 2325. Mientras más moros, más ganancia und 2323. A más moros, más ganancia

(«Expr. ... tomada de las guerras espanolas con los moros, con la cual se desprecian los

riesgos, afirmando que a mayor dificultad es mayor la gloria del triunfo.»; 2324. A moro

muerto, gran lanzada «Hace burla de los que se jactan de su valor cuando ya no hay

riesgo.»; 2326. No es lo mismo oír decir moros vienen, que verlos venir «Ensena a

desconfiar o rebajar algo de la intrepidez de que muchos hacen alarde cuando se anuncian

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peligros todavía remotos.» (vgl. auch die Einträge zu moro in der EUI). Die Figur des

Mauren wird, den Bedeutungen dieser Sprichwörter zufolge, mit landwirtschaftlicher

Tätigkeit, Krieg, Stolz und Prahlerei verbunden.

11. Die Figur des Mohammedaners im Cantar de Mio Cid

Wir wollen im folgenden ein weiteres Beispiel der Präsenz des Mauren in der spanischen

Literatur betrachten. Es handelt sich um den frühesten bedeutenden Text, der im iberischen

Sprachraum entstanden ist, der Cantar de Mío Cid. Dieses auf Altspanisch verfaßte

Heldenlied erzählt die Geschichte und die Taten des Ruy Díaz, genannt el Cid Campeador,

der, von König Alfonso der Untreue bezichtigt, in die Verbannung zieht, um nach und nach

das maurische Land unter seine Hand zu bringen und die Gunst des Königs

zurückzugewinnen. Die Begegnungen und Beziehungen des Cid mit dem und zum Mauren

sind unterschiedlicher, oft feindlicher, aber auch freundschaftlicher Art. So stellt er der

anonyme Autor (oder die Autoren) des Cantar de Mio Cid beispielsweise dar, wie der

Auszug des Cid von Christen und Mauren betrauert wird und dieser Freunde und

Verbündete auch unter den Mauren hat. In den folgenden Erläuterungen beziehen wir uns

auf die deutsche Übersetzung des erwähnten Textes von Fredd Eggarter (1985).

Der Maure ist, wie schon erwähnt wurde, der explizite Feind, er wird in vielen Versen als

solcher bezeichnet / betrachtet und er führt Krieg gegen die Christen: „(Alvar Fánez)

Vierunddreißig Maurenfeinde /hat er in der Schlacht erschlagen“; „Von den fünfzigtausend

Feinden /hundertvier nur konnten fliehen“ und „Mit dem Cid an ihrer Spitze /ritten sie, um

froh zu kämpfen /mit den fünzigtausend Feinden“; „Und die Mauren von Marokko

/dringen stürmend in die Huertas, /hoch zu Pferde, ohne Vorsicht“ (I, 29; I, 40 - und II). Es

sind stark bewaffnete Feinde, vor denen sich die Christen, wie es aus den Worten des Cid

hervorgeht, fürchten. Der König von Valencia schickt gegen den Cid Mauren aus „an

dreitausend, gut bewaffnet“; „Laßt zurück, aus Angst vor Mauren, /nichts, was uns noch

nützen könnte“ (II, 95; I, 23). Der folgenden Erzählung nach, fallen die Mauren -

manchmal - in großer Zahl von der See ein und errichten auf dem Land, das sie belagern,

ihre Zelte: „Jetzt will ich euch Kunde geben /noch von Júcef, von dem Mauren. /Jenseits

unsres Meeres herrschte /in Marokko er als König. /Diesen König von Marokko /ärgerten

Rodrigos Siege. /«In die Länder, wo ich herrschte, /ist er frech mir eingedrungen /und will

nur Jesus Christus, /seinem Gott im Himmel, danken.» /Dieser König von Marokko /ließ

ein Heer zusammenrufen, /zählte fünfzigtausend Krieger. /Schifften ein sich in die Boote.

/Fahrn hinaus aufs Meer und segeln /nach Valencia, um zu suchen /von Bivar den Cid

Rodrigo. /Noch sind kaum sie an der Küste, /stürmen sie schon hin zum Strande. /Und sind

bald auch vor Valencia, /diesem Kleinod Cid Rodrigos. /Rammen ihrer Zelte Stangen /dort

voll Hochmut in die Erde“; „Aus Marokko kamen Krieger, /um Valencia zu belagern (...)

/Auf dem Feld, genannt «de Cuarto», /schlägt das Lager auf der Heerbann. /Fünzigtausend

große Zelte /stehen dort schon aufgerichtet“ (cf. Kapitel II, Abschnitte 87-89; II, 113). Die

Mauren scheinen, wie es aus einem der zitierten Verse hervorgeht, von stolzem Charakter

und habgierig zu sein: „Habgier treibt sie, so verlieren /sie noch alle ihre Köpfe“ (I, 23).

Verstandesmäßig scheinen die Mauren den Christen unterlegen zu sein. Sie lassen sich in

der Schlacht durch den Cid täuschen: „Diese List braucht Cid, die Mauren /in den

Hinterhalt zu locken“ (I, 29). Sie scheinen große Reichtümer zu besitzen, da den Christen

in den siegreichen Schlachten gegen ihre Feinde Rubine, Edelsteine, edle Pferde, Schätze,

Gold und Silber in großer Menge zufallen: „Und der gute Antolínez, /der versetzt dem

König Galve /harte Streiche, daß vom Helme /rot sich die Rubine lösen /und zu Boden

fallen, rollend“; „(der Cid) Hebt das Schwert und läßt es sausen /auf den Helm (des Königs

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Búcar), daß die Rubine /alle aus der Fassung springen“; „Währenddessen Alvar Fánez /war

noch draußen auf dem Schlachtfeld /mit den andern, die die Beute /zählen und in Listen

schreiben, /zwischen Zelten, zwischen Waffen, /edelsteingeschmückten Kleidern.

/Sammeln davon solche Mengen, /daß um vieles es zuviel ist“ (I, 39; II, 118; II, 95); „Viele

edle Rosse sprengten /ohne Reiter übers Schlachtfeld. /Und Mahoma und Santiago /rief

man an im heißen Ringen“, „(Cid Ruy Díaz) Sprengt zu einem Maurenführer, /der auf

einem edlen Pferd sitzt“ (I, 36 und 38); „Diesen Schatz des Maurenfeindes /haben sie

gleich mitgenommen. /Außer diesen Schätzen waren /noch fünfhundert edle Pferde“ (I,

40); „Ihrer Feinde Lager haben /seine Mannen ausgeplündert. /Soviel Schilde, soviel

Waffen, /reiche Schätze dort gefunden. /Diesen Schatz des Maurenfeindes /haben sie gleich

mitgenommen. /Außer diesen Schätzen waren /noch fünfhundert edle Pferde (...) Soviel

Gold und Silber haben /sie, daß ihnen Säcke fehlen“ (I, 40). Bestimmte Passagen des

Cantar de Mio Cid reflektieren bestimmte kulturelle Gepflogenheiten, die - mehr oder

weniger explizit - der maurischen Welt zugeordnet werden. Wie die Christen im Kampfe

Santiago anriefen, so riefen die Mauren Mohammed an, lauteten zwei der vorangehend

zitierten Verse. In der Bitte des Juden Raquel an den Cid spiegelt sich ein Brauch der

Bekleidung wider: „Zum Geschenk von Euch erbitt ich /einen Pelz von roter Farbe, /so wie

ihn die Mauren tragen“ (I, 10). Auch eine Gestik der Begrüßung, wie sie unter Mauren

typisch ist, wird uns beschrieben: „Und Abengalbón, der Maure, als er diesem gegenüber,

/den Minaya, den umarmt er, /mit dem Lächeln auf den Lippen /legt die Hand ihm auf die

Schulter, /wie es Brauch im Maurenlande“ (II, 83). Um sich untereinander zu verständigen,

scheinen die Mauren ein eigenes Musikinstrument zu benutzen: „Aufgescheucht die

Maurentrommeln /rollen...“ (II, 91). In vielen Versen „begegnet“ dem Leser der feindliche

Maure, der Maure der Schlachten und Kriege, als derjenige, der vor dem Christen flieht

oder versucht, zu fliehen und große Angst hat: „Welch ein großer Tag für alle /Christen

war es, als sie sahen /überall die Mauren fliehen /in Verzweiflung, da- und dorthin“; „In

den Hufen ihrer Pferde /nur ist ihre letzte Hoffnung. /Tot sind beide Maurenkön’ge,

/wurden auf der Flucht getroffen“; „Von den fünfzigtausend Feinden /hundertvier nur

konnten fliehen“; „Und der König von Sevilla /flieht, verwundet durch drei Hiebe“;

„Große Angst war in Valencia“; „(...) Valencia kann nicht länger /seine Ängste mehr

verbergen“, „In Valencia sind die Mauren /voller Angst und voller Schrecken. /Wagen

nicht, vors Tor zu gehen, /noch den Kampf mit ihm zu suchen.“ (I, 39; II, 95; II 68; II, 75;

II 70; II 72). In einer langen Reihe von Versen spielt sich eine Szene ab, in der ein, mehrere

oder viele Mauren von (einer Minderheit von) Christen getötet werden. Auffallend ist dabei

die - stellenweise beschriebene - scheinbare Leichtigkeit, mit der der Anführer der Christen

seine Gegner vernichtet: „(Cid Ruy Díaz) Sprengt zu einem Maurenführer, /der auf einem

edlen Pferd sitzt. /Mit nur einem Schwertstreich schneidet /er entzwei den Mauren...“;

„Schon sitzt auf dem Roß Minaya, /wieder mit dem Schwert in Händen, /und umdrängt von

vielen Mauren, /schlägt er sie nach allen Seiten. /Die sein Streich erreicht, des Todes /sind

sie, und mein Cid Rodrigo, /dieser Kämpfer ohnegleichen, /schlägt dreimal ein mit dem

Schwerte /auf den Maurenkönig Fáriz. /Er verfehlt ihn mit zwei Hieben, /doch der dritte

trifft den Mauren, /daß das rote Blut hinabfließt /an den Spangen seines Panzers“ (I, 38). In

vielen Versen des Cantar de Mio Cid werden die Mauren dargestellt als die von den

Christen gejagten, geschlagenen, getöteten und besiegten Feinde. Auffällig oft wiederholt

sich die Inszenierung sterbender, qualvoll verendender Mauren, die gnadenlos und „bis

aufs Blut“ bekämpft werden: „Bis zur Burg den Weg, den kürzen /jagen sie, und ohne

Gnade /schlagen sie und ihre Mannen /überall die Maurenscharen. /Auf so schmalem Felde

sterben /an dreihundert, und laut schreien, die sich in der Falle finden“, „Jeder von den

Christenrittern /wirft dort einen Mauren nieder. /Flutet dann zurück die Menge, /an

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Wien, am 02.06.11, Seite 43 von 259

dreihundert Tote liegen /dort im Felde hinter ihnen (...) /Hingestreckt aufs Schlachtfeld

fielen /tausend und dreihundert Mauren“; „In den Hufen ihrer Pferde /nur ist ihre letzte

Hoffnung. /Tot sind beide Maurenkön’ge, /wurden auf der Flucht getroffen. /Bis Valencia,

wie ein Sturmwind, sind die Christen hinter ihnen“; „In der Nacht schickt Cid die Reiter

/bis Cullera, und dann abwärts, /über Játiva und weiter, /bis sie Denia erreichen. /Dort

zerschlagen sie die Mauren /kämpfend schon am Strand des Meeres. /Nehmen ein

Benicadell noch, /alle Wege so beherrschend“; „Wo sie (= die Christen) dann die Mauren

treffen, /greifen an sie ohne Zögern, /werfen sie mit harten Schlägen /aus den Huertas, und

fünfhundert /bleiben liegen, sind getötet, /als der Tag sich neigt zum Abend“ (II, 69; II, 92).

„Kämpfte erst mit seiner Lanze /unser Cid, dann greift zum Schwert er, /und so viele

Mauren schlug er, /sie zu zählen ist unmöglich. /Dieser Mauren Blut, es tropfte /ihm hinab

am Ellenbogen“; „(der Cid tötet den König Búcar von Marokko) Hebt das Schwert und läßt

es sausen /auf den Helm, daß die Rubine /alle aus der Fassung springen. /Helm und Haupt,

es spaltet beide /in zwei Hälften. Bis zur Hüfte /dringt das Eisen, und so tötet /unser Cid

den König Búcar“ (I, 29 und 36; II, 68; II, 92; II, 95; II, 118, etc.). Die maurischen Gegner

treten, wie die folgenden Zitate zeigen, häufig in großer Vielzahl auf: „Hingestreckt aufs

Schlachtfeld fielen /tausend und dreihundert Mauren“ (37); „Schon sitzt auf dem Roß

Minaya, /wieder mit dem Schwert in Händen, /und umdrängt von vielen Mauren, /schlägt

er sie nach allen Seiten“; „(Alvar Fánez) Vierunddreißig Maurenfeinde /hat er in der

Schlacht erschlagen“; „Aber zahllos sind die Mauren“; „Dieser König von Marokko /ließ

ein Heer zusammenrufen, /zählte fünfzigtausend Krieger. /Schifften ein sich in die Boote“;

„Und die Mauren von Marokko /dringen stürmend in die Huertas, /hoch zu Pferde, ohne

Vorsicht“, „Wo sie dann die Mauren treffen, /greifen an sie ohne Zögern, /werfen sie mit

harten Schlägen /aus den Huertas, und fünfhundert /bleiben liegen, sind getötet, /als der

Tag sich neigt zum Abend“; „Kämpfte erst mit seiner Lanze /unser Cid, dann greift zum

Schwert er, /und so viele Mauren schlug er, /sie zu zählen ist“, „Mit dem Cid an ihrer

Spitze /ritten sie, um froh zu kämpfen /mit den fünzigtausend Feinden“, „Von den

fünfzigtausend Feinden /hundertvier nur konnten fliehen“; „Aus Marokko kamen Krieger,

/um Valencia zu belagern (...) /Auf dem Feld, genannt de Cuarto, /schlägt das Lager auf

der Heerbann. /Fünzigtausend große Zelte /stehen dort schon aufgerichtet“ (I, 29; I, 36; I,

38; I, 40; II, 68; II, 87-89; II, 91 und 92; II, 95; II, 113). In mehreren Textpassagen besiegt,

wie schon erwähnt wurde, der Cid oder ein anderer bedeutender christlicher Ritter mehrere

Maurenfeinde. „Don Jerónimo, der Bischof (...) /sprengt den Mauren dann entgegen (...)

zwei Mauren /tötet er im ersten Treffen (...). /Zwei erstach er mit der Lanze, /fünf erschlug

er mit dem Schwerte. /Da die Mauren viele waren, /kommen sie von allen Seiten.

/Schlagen sie auch mächtig auf ihn, /können sie ihn nicht bezwingen“, „So durchbricht die

ersten Reihen /unser Campeador, und sieben /aus dem Sattel wirft er, tötet /vier“ (II, 117).

Diese asymmetrischen Darstellungen des Christen und des Mauren lassen ersteren stark,

zweiteren schwach erscheinen. In vielen Versen unserer epischen Erzählung spiegelt sich,

wie wir gesehen haben, ein deutliches Bild des Mauren als Feindes wieder.

Außer diesen Darstellungen des Mauren feindlicher, kriegerischer Begegnungen, treffen

wir - in verhältnismäßig viel geringeren Quantitäten - auch auf andere narrative

Identifizierungen dieser Figur. Sie finden Ausdruck in den Porträtierungen von Personen,

die sich verhalten, Reaktionen zeigen, wie es die Christen tun: „Als er (= der Cid, I, 46)

Alcocer verlassen, /weinten alle laut und schluchzten /Mauren und der Mauren Weiber“.

Auch finden wir im Text des Mio Cid Passagen, in denen die maurische Welt - wie es nie

in den Feinddarstellungen geschieht - in (i)hrer familiären und sozialen Struktur

beschrieben scheint: „Klage tönt in ganz Valencia. /Wissen nicht, was anzufangen, /denn

von keiner Seite kann man, sie mit Brot und Wein versorgen. /Selbst der Vater kann dem

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Wien, am 02.06.11, Seite 44 von 259

Sohn nicht /und der Sohn dem Vater nimmer /Unterstützung jetzt gewähren. /Auch der

Freund hat für die Freunde /keinen Trost, denn schlimme Plage /ist es Männern, wenn das

Brot fehlt“ (II, 72).

Ein weiteres spezifisches Bild des Mauren entsteht in der Darstellung der Figur des

Abengalbón. Dieser Maure wird als liebevoller und wahrer Freund bezeichnet und

dargestellt: „Kommen auch die anderen schließlich, /graden Weges zu Minaya. /Und

Abengalbón, der Maure, als er diesem gegenüber, /den Minaya, den umarmt er, /mit dem

Lächeln auf den Lippen /legt die Hand ihm auf die Schulter, /wie es Brauch im

Maurenlande“; „Lächelnd spricht der Alvar Fánez; /Ihr, Abengalbón, ich weiß es, /seid ein

Freund ganz ohne Fehler“; „Grüßt mir dort Abengalbón auch, /jenen Mauren, der mein

Freund ist“ (II, 83, 84 und 126). Er verhält sich äußerst großzügig, würdevoll und wird

explizit als guter Mensch bezeichnet: „Schon sind sie im Ort Molina, /einer Stadt, reich

und bevölkert, /und Abengalbón, der Maure, /der bewirtet sie noch reichlich. /Alles, was

sie sich nur wünschen, /nichts davon soll ihnen fehlen. /Für die Rosse neue Eisen, /selbst

die zahlt der gute Maure. /Dem Minaya und den Damen, /wie erwies er ihnen Ehre !

/Weiter ritten andern Tags sie. /Bis Valencia begleitet /sie der Maure und bestreitet /alles

aus dem eignen Beutel“; „Cid Rodrigos beiden Töchtern /gibt der Maure noch Geschenke,

/gute Pferde den zwei Grafen“ (II, 84; III, 126). Er ist dem Cid treu ergeben: „Alles tut er

für Rodrigo“ und zeichnet sich noch durch weitere Qualitäten aus, die im Geiste des

Textrezipienten das Bild einer besonderen und wertvollen Person entstehen lassen: „Stieg

zu Pferd Abengalbón, ein /Maure, tapfer, kühn und mutig“; „(Abengalbón) kehrt heim

dann nach Molina /als ein Mann, klug und besonnen“ (III, 127; III, 128).

12. Romanzen und Balladen als Quellen für Stereotypien

In den vorangehenden Abschnitten haben wir gezeigt, daß die Figur des Mohammedaners

in sehr unterschiedlichen Texten der Romania ihr Echo findet. Die von uns ausgewählten

Quellen, spanische Romanzen und rumänische Balladen sind epische und ursprünglich

Schöpfungen des „Volksmundes“. Sie wurden von Interpreten aus dem Volk für Menschen

aus dem Volk erdacht, konzipiert und über Generationen überliefert und tradiert (im

Rumänischen lebt diese Tradition bis heute). Die Figur des Mohammedaners ist, wie schon

gezeigt wurde, auch in Chroniken und individuellen literarischen Werken der beiden

Länder, Spaniens und Rumäniens, präsent. Während diese Texte tendenziell die Schöpfung

einzelner Autoren sind, „leben“ (dieselben) Romanzen und Balladen in der Regel in den

Varianten einer Mehrzahl von Autoren. Während Chroniken und individuelle literarische

Werke tendenziell eher eine reduzierte, ausgewählte Gruppe von Interessenten erreichten,

zirkulierten Romanzen und Balladen als mündliche Unterhaltungsdichtung im breiten Volk

(ich werde meinen Standpunkt bezüglich der kultistischen Romanzen später darlegen.). Die

ausgewählten Textreihen sind aufgrund dieser Unterhaltungsfunktion stark kommunikativ

bzw. rezeptiv ausgerichtet (cf. den Abschnitt Die Korpora). Das, was - ursprünglich in

gesungener Form - erzählt wurde, sollte die gegenwärtigen Zuhörer auch fesseln können.

Die erzählten Handlungen und ihre Protagonisten sind in der Weise inszeniert und

beschrieben, wie sie der Akzeptanz, der Erwartung, den Vorstellungen und dem Interesse

des Publikums entsprachen. Romanzen und Balladen reflektieren also Vorstellungen,

Denkschemata und Konzeptualisierungen einer breiten Schicht von Rezipienten. Sie sind

aufgrund dieser Eigenschaften in hohem Maße repräsentativ dafür, ihre Darstellung(en) des

Anderen zu untersuchen.

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Wien, am 02.06.11, Seite 45 von 259

Romanzen und Balladen zeigen wie Märchen, Balladen, Legenden oder andere Dichtungen

des Volkes konservierenden Charakter. In seinem Buch Cristianos y musulmanes en la

Espana medieval (Madrid, Rialp, 21991:13) stellt der Autor Ron Barkai in den

Darstellungen chronistischer Texte eine consistencia cognoscitiva, eine 'Zähigkeit der

Kognition' fest, die Konzeptionsänderungen über ein und denselben Inhalt nur mäßig

zuließe. Diese texttypologische Charakteristik ist der Volksliteratur im allgemeinen

zuschreibbar. Eine wesentliche Funktion balladesker Literatur besteht darin, daß ein

mindestens teilweise schon bekannter Inhalt dargestellt bzw. erzählt wird. Varianten eines

ursprünglich gleichen Themas bestehen grundsätzlich in sich wiederholenden,

gleichbleibenden Erzählelementen (Kerne), die neu miteinander und, möglicherweise, mit

neuen Elementen verknüpft werden. Dieser Mechanismus liegt auch dem, Romanzen und

Balladen spezifisch charakterisierenden Phänomen zugrunde, das wir Intertextualität

nennen. Die jeweiligen Texte (oder der für unsere Studie ausgewählten Textkategorien

(oder Textklassen) scheinen Teile eines einzigen Erzähluniversums zu sein, in denen der

Autor seine Geschichte mit immer denselben Protagonisten, denselben Konstellationen

ebendieser zueinander, denselben Handlungen entwickelt. Die relative Unveränderlichkeit

der erzählten Inhalte bzw. Inhaltselemente unserer Quellen garantieren eine Darstellung des

Fremden nach bestimmten, wiederkehrenden Assoziationsmustern. In unserer Studie

werden wir im Besonderen die Darstellung der Protagonisten nach repetitiven bzw.

redundanten Parametern beachten, die eine stereotype Konzeptualisierung des Anderen

reflektieren.

Erzählungen epischer oder volkstraditioneller Typologie, zu denen wir unsere Quellen

zählen können, mythifizieren ihre Protagonisten häufig oder porträtieren sie mit

übertriebenen Charakterzügen: In unseren rumänischen Texten, beispielsweise, „zeichnet“

der Autor seine (christlichen) Protagonisten, wie die folgenden Zitate belegen, mit

hyperbelhaften Bildern: "Und während er im Gasthaus war, /hat er allen Wein

ausgetrunken, /in drei Tagen und Nächten, /hat er hunderte Maße getrunken, /hat er drei

Fässer Wein getrunken, /alten Wein mit Wehrmut, /und hat drei (...) Kühe gegessen, /und

drei Ofen Brot" (aus der Anthologie von Al. Amzulescu, Balade populare româneşti, vol.

II, 1964, Nr. 9, Gruia lui Novac); "Die Stirn mißt drei Handbreiten, /sein Blick /gleicht

dem eines Wolfes, /sein Schnurrbart (ist) wie beim Krebs /und er verknotet ihn hinter dem

Kopf, /ein Knoten (so groß) wie eine Faust, /und er grinst wie ein Bär, /er ist breit am

Rücken, /und schwer bei den Knochen" (ib.). Es sind diese Verzerrungen und hypertrophen

Darstellungen, die als Strategien der Konzeptualisierung relevant sein könnten und die wir

in bestimmten Klassen von Romanzen und Balladen mit Regelmäßigkeit feststellen

können.

13. Vergleichbarkeit der Quellen: der prototypische Andere

Wir gehen in unseren Analysen des Fremdporträts von der Darstellung literarischer

Figuren aus. Die Kreation dieser Erzählfiguren war, wie wir gesehen haben, historisch

bedingt. Sie wurzelt in der einstigen Begegnung des spanischen und rumänischen Volks

mit Arabern, Berbern bzw. Osmanen und Mongolen. In frühen spanischen Chroniken

werden die Eindringlinge, die einst aus dem Süden in die Iberische Halbinsel einfielen,

dem Modell byzantinisch-arabischer Chroniken zufolge, als sarracenos, hismaelitas,

sarracenos árabes oder sarracenos bereberes bezeichnet (Barkai 21991). Im Vergleich zu

den unterschiedlichen historischen, teilweise ethnisch identifizierenden Bezeichnungen der

ehemaligen Feinde fällt auf, daß der Fremde der spanischen Romanzen sehr oft nicht

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Wien, am 02.06.11, Seite 46 von 259

weiters differenziert, als moro 'Maure', bezeichnet wird. Dasselbe gilt noch stärker für den -

oder die - Fremden, die in unseren rumänischen Quellen auftreten und die ausnahmslos mit

den Ethnonymen turc oder tătar benannt werden. Wie die Analyse einer Serie von Texten

der zwei ausgewählten Literaturen zeigt, werden mit großer Regelmäßigkeit einzelne

Aspekte der Fremdfigur thematisiert, andere vernachlässigt. Es sind Teilaspekte, aufgrund

derer das sprachlich-mentale Bild des Anderen konstruiert bzw. konfiguriert wird. Die

repetitive Selektion ein- und derselben Beschreibungselemente führt zu einer

verallgemeinerten und vereinfachten Darstellung der inszenierten Figuren. Im Vergleich

mit der realen, historischen Entität / Totalität der Araber, Berber, Osmanen oder Mongolen,

etc., stellen unsere Erzählfiguren aufgrund dieser schematisierten Skizzierungen eine

Reduktion ihrer ursprünglichen Identitäten dar. Aufgrund dieser Eigenschaften unserer

Quellen, können wir die von uns fokussierte(n) Erzählfigur(en) als "prototypisch"

bezeichnen. Die (Art der) vereinfachten, abstrahierenden Porträtierungen des Mauren und

des Türken werden wesentliche Strategien der Konzeptualisierung des Anderen zeigen

können. Wir werden die Konzeptualisierungsmuster aufgrund der semantischen Gestaltung

der Gestalten des Anderen (unter)suchen. Mit der Auswahl unserer Textkorpora

kontrastieren wir bewußt Fremddarstellungen zweier Textreihen, die in unterschiedlichen

und voneinander unabhängigen Kulturräumen entstanden sind. Der angestrebte Vergleich

voneinander unabhängiger Projektionen des Anderen wird eventuelle Konvergenzen und

Divergenzen seiner Konzeptualisierung deutlicher erkennen lassen. Im Vergleich (cf.

Dritter Teil dieser Studie) werden sich die Parallelismen oder Differenzen der Darstellung

des Anderen aus der spanischen bzw. rumänischen Perspektive herauskristallisieren. Von

großer Relevanz wird sein, welche Elemente der Fremdbeschreibung von welchen

Interpreten zur Charaktersierung des Fremden herangezogen werden und welche nicht. Die

Frage nach der Identität des Gegenübers erzählt uns auch etwas über den Fragestellenden.

Es ist also zu erwarten, daß die Art der Darstellung des Anderen letzten Endes auch

Rückschlüsse auf den spezifischen, mentalen und kulturellen Umgang des Spaniers und des

Rumänen mit / gegenüber dem Anderen zulassen wird.

METHODOLOGIE

14. Möglichkeiten der textuellen Inszenierung des Anderen

Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Figur des Anderen, des Arabers, des Türken

bzw. Tataren, in einer Reihe von Texten zu erfassen. Aus dieser Absicht heraus, ist von

Interesse, wie Personenporträts überhaupt textuell bzw. mit sprachlichen Mitteln kreiert

werden (können). Grundsätzlich können wir zwei wesentliche Arten von sprachlicher

Porträtierung unterscheiden, die Deskription und die Narration (oder Erzählung). Im

Diccionario de narratología erklären die Autoren Carlos Reis & Ana Cristina M. Lopes

diese beiden Arten von Textgestaltung unter anderem als Gegensatzpaar („la díada

narración/descripción“): „En este caso, el criterio opositivo pasa por la dinámica imprimida

a la narrativa, entendiéndose la narración, en contraste con la descripción, como aquel

procedimiento representativo dominado por el relato expreso de eventos y conflictos que

configuran el desarrollo de una acción, lo que obviamente sólo se entiende en función de

un movimiento temporal que transmita a la narrativa la dinámica mencionada“(cf. Reis &

Lopes 1995, s.v. Narración). Während die Narration das Erzählgeschehen entwickelt, also

einen dynamischen Aspekt hat, ist die Beschreibung oder Deskription also eher statischer

Natur. Sie „liefert“ Informationen, die nicht zur Linearität des Geschehens beitragen (cf. ib.

s.v. Descripción).

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Wien, am 02.06.11, Seite 47 von 259

Auch Personenbeschreibung können stärker deskriptiv oder stärker narrativ sein.

Deskriptive Darstellungen erfolgen insbesondere attributiv, daß heißt, aufgrund der

Verwendung von insbesondere attributiv gebrauchten Adjektiven und Substantiven, mit

denen wir die dargestellten Figuren - explizit - charakterisieren. Narrative Darstellungen

erfolgen hingegen aufgrund der Erzählung einer Tätigkeit, zum Beispiel ließe die

Beschreibung eines Protagonisten, der seine Kleidung zerfetzt, verschiedene - kontextuell

abhängige - Interpretationen über den Handelnden zu.

Da wir an dieser Stelle von Handlungen oder Aktionen sprechen, sei auch angemerkt, daß

das Handeln einer Erzählfigur auch verbaler Art sein kann. Ein verbaler Akt äußert sich

beispielsweise in der direkten oder indirekten Rede eines Protagonisten, in dramatischer,

monologischer oder dialogischer Inszenierung. Auch die Art, wie ein Protagonist sich

gegenüber anderen Erzählfiguren verhält, wie er diese anspricht bzw. selbst von anderen

angesprochen wird, kann auf den Charakter des Senders rückschließen lassen. Eine

exklamative Aussage könnte, ebenso wie eine Handlung, den zornigen Wesenszug der

sprechenden Person zum Ausdruck bringen. Narrative Texte, Erzählung also per se, ist

immer beschreibend: „si [de la díada narración/descripción] la segunda puede ocurrir sin

incrustaciones de momentos de narración, ésta difícilmente deja de ser tributaria (...) de

cierto carácter descriptivo“ (ib. und vgl. Ion Coteanu: „naraţiune fără descriere nu se

poate“, 1990:152).

Die für unsere Untersuchung herangezogenen Quellen sind, was ihre Erzählarchitektur

betrifft, generell heterogen strukturiert, auch wenn die Romanzen stärker deskriptiv, die

Balladen stärker narrativ wirken. Die einzelnen Texte enthalten oft deskriptive und

narrative Sequenzen, manchmal in sehr asymmetrischem Verhältnis. So besteht die aus

dem dritten Band der Anthologie Romancero General entnommene und mit dem Vers

Cubierta de treze en treze beginnende Romanze beispielsweise aus insgesamt 56 Versen.

Der Erzähler der Geschichte beschreibt uns den einzigen auftretenden Protagonisten, den

Mauren Celindos, in 55 Verszeilen stark attributiv („el famoso Celindos", v 53). In nur

einem der 56 Verse läßt er den Mauren handelnd auftreten ("Sale el famoso Celindos", v

53). Für eine möglichst exhaustive Untersuchung der Porträtierungen wird es also wichtig

sein, alle Erzählsequenzen, folglich deskriptive, narrative oder verbale Darstellungen, die

explizite oder implizite Beschreibungen der dargestellten Personen liefern, zu

berücksichtigen.

15. Diskursivität der Figur des Anderen

Das „Objekt“ unserer Untersuchung ist, wie schon mehrmals erklärt wurde, die sprachliche

Gestaltung der Fremdfigur in einer Reihe von Texten. In der Regel werden die

Protagonisten unserer Quellen, bestimmte Aspekte dieser Figuren nicht nur in einzelnen

Textpassagen, sondern im Laufe der gesamten Erzählung immer wieder in einer Reihe von

Versen dargestellt. Nur wenn wir die Textwelt als kohärentes Ganzes und alle sich in ihr

reflektierenden Einzeldarstellungen der Fremdfiguren in Betracht ziehen, werden

vollständigere literarische Porträts erkennbar werden. Deshalb sprechen wir vom Diskurs

oder der Diskursivität des Anderen. In Anlehnung an die ursprüngliche Bedeutung von

lateinischem DISCURRERE 'auseinanderlaufen, sich zerstreuen' verstehen wir unter dieser

Terminologie die Totalität aller Einzeldarstellungen, die zusammen das Bild des Fremden

aufbauen. Der Eindruck über den Charakter einer Erzählfigur kann sich im Laufe einer

Geschichte verändern, beispielsweise, wenn eine Figur fälschlicherweise - von einer

anderen - der Lüge bezichtigt wird und sich im Endeffekt als nobel herausstellt.

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Wien, am 02.06.11, Seite 48 von 259

Wir verstehen unter Diskurs mit dieser Bedeutung im Sinne moderner

sprachwissenschaftlicher Theorien auch eine, dem Satz übergeordnete - und dem Text

parallelgeordnete - Einheit (ein Diskurs kann aus mehreren Sätzen, ein Text aus mehreren

Diskurswelten bestehen). Mit Diskurs bezeichnen wir hier in erster Linie eine semantische

Ebene - alle sprachlich kreierten Bildlichkeiten der Figur des Anderen -, die den

sprachlichen Ausdrucksformen auf Text-, Satz- und Wortebene - übergeordnet ist. In den

konkreten Analysen der Texte werden wir primär nach dem fragen, was über eine

Fremdfigur „ausgesagt“ wird und die unterschiedlichen Ausdrucksformen einunddesselben

Inhalts zusammenstellen (cf. den folgenden Abschnitt über Semantische

Beschreibungsparameter des Anderen). Eine syntaktisch satzwertige Aussage wie

beispielsweise der Maure spottet den Feind und das einfache Satzglied der höhnende

Maure fallen bedeutungsmäßig zusammen, in beiden Fällen wird das Bild einer

'rachsüchtigen' Person skizziert. Die Diskursivität des Anderen kann also aufgrund einer

Reihe von mehr oder weniger expliziten Beschreibungen aufgebaut werden.

Außer den inhaltlichen Bildlichkeiten, die die Figur des Fremden konfigurieren (cf.

Semantische Beschreibungsparameter), scheinen noch weitere Aspekte der diskursiven

Welt des Anderen für eine spätere Interpretation der Wahrnehmungsparameter von

Interesse zu sein. Es könnte sein, daß die Erzählfiguren eines Textes unterschiedliche

Rollenfunktionen, beispielsweise von Neben- oder Antifigur einnehmen. Daher wird in den

Analysen zu beachten sein, ob die fokussierte Person als einzige oder als eine unter

mehreren Protagonisten auftritt und in welchen Beziehungen die aufretenden Erzählfiguren

der einzelnen Geschichten sie stehen. Auch könnte relevant sein, in welcher Anzahl der

Andere auftritt - tritt er alleine oder tritt er in einer Mehrzahl auf -, welche Handlungen ihm

zugeteilt sind, bzw. ob er sich als dynamisch handelnder Agens oder ob er sich passiv als

Patiens verhält, da insbesondere das Verhalten eines Menschen auch Schlüsse über seine

Identität, seinen Charakter zuläßt.

Insbesondere sind die semantischen Felder wichtig, die zum Aufbau der Figur des Anderen

verwendet werden. Es wird auch wichtig sein, die Semantik stilistischer Hervorhebungen

zu beachten. Rekurrenzen, redundante und repetitive Beschreibungen können das „Profil“

der dargestellten Figuren, wie eine Vorstudie an unseren Texten zeigte, verschärfen. In der

Romanze El gallardo Abenhumeya (cf. Abschnitt Textanalysen des Romancero General)

kehrt beispielsweise in auffällig redundanter Weise - zehnmal insgesamt - das semantische

Feld von 'Liebesschmerz' wieder. Der auftretende Maure wird als in hohem Maße verliebt

dargestellt. In der Romanze Nummer 266. des dritten Bandes derselben Anthologie wird

aufgrund mehrfacher Wiederholungen das Bild einer besonders schlechten Person

erschaffen ("Enganóme tu semblante", "a sus amigos destruye", "a su nobleza infamaras",

"tu condición enganosa", "vileza", "traidores pasos"; v 9, 13, 20, 31, 39, 58. 72). In der

Ballade Nr. 4 des zweiten Bandes der Anthologie von Al. Amzulescu (1964) fordert ein

Pascha den rumänischen Protagonisten im Laufe der Erzählung dreimal, in jeweils einer

Reihe von Versen, auf, sich zum Islam zu bekehren: "Strigă paşea-al Diiului /Din vîrful

mecetului: /Turceşte-te, Iancule, /Turceşte-te... /Lasă-ţi legea romînească /Şi dă-te-n legea

turcească": 'Es schrie der Pascha des Divans, /von der Spitze der Moschee /werde Moslem,

Iancu, /werde Moslem... /laß ab vom rumänischen Glauben /und tritt über zum türkischen

Gesetz' (ib. v 2-8, cf. auch v 13 und 41). Der Pascha wird damit als jemand dargestellt, der

mit Vehemenz seinen Glauben zu verbreiten sucht. Nicht nur die Auswahl, sondern auch

die Häufigkeit der gezeigten Facetten einer Person - und das Fehlen anderer - lassen also

ganz bestimmte Porträts entstehen.

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Wien, am 02.06.11, Seite 49 von 259

Aus unserem Erkenntnisinteresse an inhaltlichen Aspekten der Personenbeschreibung

heraus müssen auch die rethorischen Figuren unserer Quellen berücksichtigt werden,

mittels derer sehr oft implizite Porträtierungen erfolgen. Die Interpreten spanischer

Romanzen und rumänischer Balladen bedienen sich häufig Vergleiche, Metaphern,

Hyperbeln, etc., um bestimmte Aspekte der auftretenden Personen zu unterstreichen.

Außerdem muß uns immer bewußt bleiben, daß der Diskurs über die Figur des Anderen

eine explizite Ausdrucksform hat (das, was ausgesagt wird), aber auch eine implizite

negative Seite hat (das, was nicht thematisiert wird). Es gibt Aspekte der Fremdfiguren, die

nicht thematisiert werden, die aber deshalb nicht weniger signifikant sind für eine - spätere

- Interpretation der Konzeptualisierung des Anderen.

16. Semantische Beschreibungsparameter

Um die Figur des Anderen in einer Reihe von volksliterarischen, spanischen und

rumänischen Texten systematisch erfassen zu können, stellten wir uns die Frage, welche

Beschreibungsmerkmale für Personen bzw. zur sprachlichen Konfiguration von

Personenporträts generell herangezogen werden (können). Es sollte ein Frageraster

gefunden werden, daß sich für die systematische Analyse der Quellen und möglichst

exhaustive Erfassung der fokussierten Erzählfiguren eignete. Diesen doppelten Anspruch

erfüllte das von Michael Metzeltin und Harald Jaksche (1983:63) bzw. von Michael

Metzeltin neu überarbeitete Analysemodell für Personenbeschreibungen (1996:27). Dieses

Modell stellt eine Liste aller deskriptiven Merkmale dar, die zur sprachlichen Porträtierung

einer Person dienen können. Es handelt sich um eine Art Sättigungsraster, das die

Erfassung der beschriebenen Person in ihrer maximalen Vollständigkeit bzw. in allen ihren

Aspekten anstrebt. Das präsentierte Kriterienraster ist im wesentlichen als ein

semantisches, ein nach dem Signifié orientiertes zu verstehen. Die angeführten Parameter

entsprechen einer Reihe von thematischen Inhalten oder Oberbegriffen, nach denen die

gesamte Tiefenstruktur der Fremddarstellung erfaßt und geordnet werden soll. Die

verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten, die Signifiants sind in unserem Schema den

inhaltlichen Fragen zugeordnet. Für die spanischen und rumänischen Texte haben wir das

Fragenschema in einigen wenigen Details verändert bzw. einzelne Kriterienpunkte in

anderer Weise zusammengestellt, immer den Anforderungen unserer Quellen

entsprechend. So hat sich zum Beispiel die Frage nach der Sozialen Herkunft der

auftretenden Protagonisten sowohl in den spanischen als auch in den rumänischen

Erzählungen durchgängig als irrelevant erwiesen und wurde deshalb nach der

Berücksichtigung in den Textanalysen von uns aus dem Kriterienschema herausgenommen,

um die durchgängigen Leerstellen zu eliminieren.

Für die Untersuchung der Fremddarstellung in unseren Texten hat sich folgendes Raster

von Beschreibungsmerkmalen als relevant erwiesen:

• Namen / Bezeichnung

• Genealogie / Familiensippen

• Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche

• Geographische Herkunft

• Aussehen / Alter

• Kleidung / Ausstattung

• Körperliche Eigenschaften

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Wien, am 02.06.11, Seite 50 von 259

• Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten)

• Moral und moralische Eigenschaften

• Religion / Ideale

• Leidenschaften

• Attribute

• Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum)

• Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.)

Jeder der für unsere Untersuchung herangezogenen Texte wird bezüglich der

Fremddarstellung(en) auf die hier genannten Kriterien hin untersucht. In der konkreten

Arbeit am Text halten wir zunächst, wie anhand des angeführten Rasters deutlich wird, alle

Bezeichnungen fest, die für die fokussierte(n) Person(en) verwendet werden,

Anthroponyma / Eigennamen, Ethnonyma, Hypokoristika, Diminutiva, etc. sowie,

beispielsweise, auch Anredeformeln, die die dargestellten Figuren namentlich beschreiben.

Untersucht und berücksichtigt werden als nächstes in zwei weiteren Fragepunkten alle

Hinweise, die uns etwas über die Familien-, Verwandtschafts-, Gesellschaftsstrukturen

sowie Sitten, Gewohnheiten oder kulturellen Gepflogenheiten der fokussierten Figuren

oder der Welt, der sie angehören, erzählen. In einem weiteren Kriterienpunkt verzeichnen

wir alle uns im Text vermittelten Angaben oder Hinweise über die geographische Herkunft

bzw. länderspezifische Zuordnung der dargestellten Personen. Solche Angaben kommen

mitunter auf indirekte Weise zum Ausdruck. Die (mögliche) Herkunft eines Protagonisten

kann beispielsweise in der Angabe einer Himmelsrichtung oder eines Objekts bestimmter

Herkunft, das die auftretende Person an sich trägt, angedeutet werden. Desweiteren

untersuchen wir das physiognomische Aussehen und das Alter der auftretenden Figuren,

insofern uns der Erzähler Hinweise zu diesen Kriterien gibt. Zwei weitere Aspekte der

äußeren Erscheinung sind die Kleidung und die Ausstattung einer Person, die diese

identifiziert und charakterisiert. Das Erscheinungsbild einer Person kann mitunter

mehrfach interpretierbar sein und Rückschlüsse auf Charakterzüge und moralische

Eigenschaften des / der Dargestellten zulassen. Ein zum Kampf bereitgehaltenes Schwert,

ein rachebeschwörendes Motto beispielsweise könnte den feurigen, kampflustigen,

rachedurstigen, etc. Wesenszug seines Trägers signalisieren. Ein weiteres

Darstellungskriterium personeller Sujets sind Eigenschaften, die wir, wie aus unserem

Analyseschema hervorgeht, in insgesamt drei Kategorien oder Parameter teilen, die

körperlichen, geistigen und moralischen. Auf der Suche nach diesen Merkmalen fragen wir

grundsätzlich nach menschlichen Qualitäten, um beispielsweise die Größe oder Kleinheit,

die Stärke oder Schwäche einer Figur (körperliche Eigenschaften), ihrer Klug- oder

Dummheit (geistige Eigenschaften) oder ihre Sanftmut oder Bösartigkeit (moralische

Eigenschaften) zu verzeichnen. Wie aus unserem Schema ersichtlich ist, trennen wir in

unserer Untersuchung (das Konzept der) Moral nicht von (demjenigen der) moralischen

Eigenschaften (cf. Supra Moral und moralische Eigenschaften). An dieser Stelle soll

angemerkt werden, daß wir den Begriff der Moral in seiner ursprünglichen Bedeutung des

lateinischen Wortes MORES als 'Gesinnung, Charakter, Lebenswandel, Betragen,

Benehmen' verstehen, infolgedessen also nicht als (rein) evaluativen und konnotativen

Begriff. Wir verstehen die schroffe Aufforderung, mit der sich eine Erzählfigur an eine

zweite richtet, primär als eine moralische (verbale) Handlung, der Aktor benimmt, verhält

sich, agiert in einer bestimmten Weise, erst in einem zweiten Schritt als eine zu

evaluierende, bestimmte Konnotationen implizierende Handlung. In vielen Fällen unserer

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Wien, am 02.06.11, Seite 51 von 259

Erzählungen können wir von der narrativen Darstellung, dem bestimmten Verhalten,

Betragen, Benehmen, dem moralischen Tun und Agieren der Erzählfiguren auf bestimmte

ihrer Eigenschaften, darunter insbesondere auf moralische Eigenschaften schließen. Die

schroffe Aufforderung eines Protagonisten gegenüber einem anderen (= verbale Handlung)

ist für uns zunächst eine - im modernen Sinne moralisch nicht konnotierte - Handlung (A

spricht B mit Schärfe an), erst später und vor allem - aus der Textkohärenz heraus - kann

sie möglicherweise als indirekte Darstellung des moralischen Charakters evaluativ

interpretiert werden. Desweiteren berücksichtigen wir in den Analysen alle vorhandenen

Hinweise auf religiöse, ideale Weltvorstellungen bzw. Leidenschaften, ebenso wie alle

Arten von Kennzeichen, mit der die dargestellten Figuren in charakteristischer Weise

verbunden bzw. textuell visualisiert werden. Zusätzlich ziehen wir die gesellschaftliche

Funktion bzw. Stellung, die eine Person einnehmen kann, in Erwägung und als letzten

Parameter auch die Örtlichkeit, die Stadt und Region, mit denen eine Erzählfigur

verbunden werden kann und die ihrem Aufenhaltsort oder Wohnort entsprechen kann.

Nach einer kurzen Inhaltsangabe der jeweiligen Erzählung, der Nennung ihrer wichtigsten

Protagonisten und der Erläuterung bestimmter inhaltlicher oder formaler Auffälligkeiten,

wird jeder der für unsere Studie herangezogenen Texte auf die erwähnten Punkte unseres

Analyseschemas hin untersucht. Das ausgewählte Schema dient uns als Instrument, um die

Figuren unserer Texte in ihrer größtmöglichen Vollständigkeit zu erfassen. Tatsächlich ist

die Beschreibung des Arabers, des Türken und Tataren in vielen der eingesehenen Texte

nur fragmentarisch und manchmal auf einzelne Wesensaspekte reduziert. Erst die

Beschreibungsmerkmale des Anderen, wie sie generell aufgrund der Darstellungen einer

ganzen Reihe von Texten reflektiert werden, werden ein vollständigeres Porträt der

inszenierten Personen entstehen lassen. Für unsere Fragestellung und spätere Interpretation

ist im wesentlichen von Interesse, was überhaupt über die dargestellten Figuren ausgesagt

wird bzw. welche Aspekte des Fremden grundsätzlich thematisiert werden und welche

nicht vorkommen. Die Untersuchung soll und wird zeigen, ob sich die Fremdbeschreibung

der spanischen Quellen mit derjenigen aus rumänischer Perspektive deckt, ob dieselben

Beschreibunsparameter zur Anwendung kommen oder nicht und worin sie sich

unterscheiden. Daher ist nicht nur die Erfassung der Fremdfigur aufgrund der tatsächlich

thematisierten Aspekte wichtig, sondern auch ihre "Nichterfassung", d.h. die

leerbleibenden Kriterien der jeweiligen Figuren. Unser Analyseraster ist sehr gut geeignet,

die "positive" wie auch die "negative" Seite der Fremddarstellung, ihre Erfassung wie auch

Nichterfassung systematisch vor Augen zu führen.

17. Weitere methodologische Anmerkungen

In der Geschichte der einzelnen Texte können wir unterschiedliche Konstellationen der

Protagonisten vorfinden. Die von uns in den Fokus gesetzte Fremdgestalt kann als einzige,

oder aber, was sehr häufig geschieht, als eine von mehreren Gestalten auftreten. In diesem

Fall kann es sich um eine entweder nur von Fremden, Mauren, Türken oder Tataren,

bevölkerte Welt handeln oder um eine Erzählung, in der Muslime und Christen

aufeinandertreffen. In vielen Fällen geschieht es, wie oben schon erwähnt wurde, daß die

Erzählfiguren eines Textes unterschiedliche Rollenfunktionen einnehmen und - vom Autor

- in bestimmten Relationen zueinander „positioniert“ werden. Angesichts dieses

Umstandes schien es uns relevant zu sein, jede in den einzelnen Texten als eigenständig

auftretende Fremdgestalt gesondert zu behandeln. Wir erwarten uns von dieser konsequent

detaillierten Analyse, daß sich eventuelle konvergente und divergente Darstellungen der

Fremdfiguren systematisch erfassen lassen. Im Analyseprozeß werden alle Erzählfiguren,

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Wien, am 02.06.11, Seite 52 von 259

die für die Handlung von primärer Bedeutung sind, in der Reihenfolge ihres Auftretens

verzeichnet. In den konkreten Textanalysen unterscheiden wir die wichtig(st)en

Fremdfiguren einer Erzählung nach lateinischen Buchstaben mit a) b) c) d) etc. In vielen

unserer Texte läßt ein christlicher Autor eine oder mehrere muslimische Figuren auftreten,

sich benehmen, sich fühlen, etc. und liefert uns damit (s)eine Vorstellung und

Beschreibung dieser Figuren (Er-, Sie-, Es- Perspektive). Es kann aber auch sein, was sehr

häufig in den spanischen Quellen geschieht, daß die Porträtierung, die Skizzierung einer

bestimmten Erzählfigur durch die Worte, daß heißt die Perspektive einer anderen Textfigur

erfolgt. Für ein besseres Verständnis der Zitate, die wir als implizite oder explizite

Beschreibungen des Anderen aufnehmen, werden wir in den Analysen explizit erklären,

von welcher anderen Figur im Text die jeweilige Beschreibung stammt. Wir stellen uns

jedoch nicht primär die Problematik des Senders, da hinter jeder maurischen, hinter jeder

türkischen oder tatarischen Erzählfigur, den scheinbaren Sendern personenbeschreibender

Inhalte, tatsächlich der spanische oder rumänische Autor / Interpret / Sender steht. Wie wir

schon erwähnt haben, dient unser Analysemodell dazu, alle zum Ausdruck kommenden

Aspekte der Fremdfigur zu filtern. In der konkreten Textbearbeitung streben wir eine

systematische und möglichst exhaustive Erfassung aller deskriptiven Textpassagen an. Zu

diesem Zweck stellen wir in chronologischer Folge alle Versstellen zusammen, deren

Inhalte einem der vorgestellten semantischen Beschreibungskriterien zuordenbar sind.

Dabei stoßen wir manchmal auf Probleme der Semantik. Die in unseren Quellen

reflektierten Beschreibungen und Beschreibungselemente des Anderen ließen sich

manchmal zu mehreren, als nur zu einem einzigen Kriterium unseres Fragerasters

zuordnen. Semantische Grenzen sind, wie das folgende Beispiel zeigen soll, oftmals

fließend. Der maurische Protagonist spanischer Romanzen wird in manchen Fällen

ausschließlich mittels eines substantivierten Eigenschaftswortes benannt. Bezeichnungen

wie beispielsweise der oder ein Tapferer sind per se auch qualitative bzw. Eigenschafts-

Beschreibungen des Genannten. Dies stellt uns vor das Problem der Zuordnung bestimmter

Verse nach unserem Analyseraster. Wir könnten das Syntagma der Tapfere als lexikalische

Einheit des Namens / der Bezeichnung verzeichnen. Die Verwendung einer

Qualitätsbestimmung anstelle einer Namensbezeichnung ist auffällig und interessant. Wir

könnten dasselbe Syntagma aber auch unter der Rubrik Moral und moralische

Eigenschaften verzeichnen. Tatsächlich fließen in der angeführten Bezeichnung mehrere

semantische Aspekte ineinander. In der Textanalyse gehen wir so vor, daß wir uns für die

Zuordnung eines bestimmten Inhaltes zu einem Feld entscheiden, aber auf andere,

mögliche Zuordnungen / Felder verweisen. Insbesondere sind auch bestimmte, mit

regelmäßiger Frequenz für die Charakterisierung des Mauren verwendete Adjektiva

polysem, d.h. sie implizieren unterschiedliche semantische Aspekte. Als Beispiel für ein

solches Eigenschaftswort können wir das spanische bizarro anführen, das grundsätzlich

zwei unterschiedliche semantische Aspekte bezeichnet. Einerseits bezeichnet das Lexem

mehrere Bedeutungsnuancen innerer / moralischer Qualität, wie 'edelmütig, tapfer,

vornehm', zugleich aber auch mehrere Bedeutungsnuancen eines äußerliches Erscheinens,

wie 'stattlich, prächtig, strahlend', etc. Diese semantischen Aspekte schließen sich per se

nicht gegenseitig aus. Ein bizarro ist eine - so könnte man etymologisierend rekonstruieren

- Person, die sich aufgrund ihrer inneren Größe bzw. Eigenschaften äußerlich auszeichnete

(ad bizarro cf. Romanze Nr. 6). Ein weiteres Beispiel mehrdeutiger Beschreibung ist

galán, ein Adjektiv, das sehr häufig zur Darstellung der maurischen Protagonisten

herangezogen wird. In der ersten der spanischen Textanalysen führen wir die verschiedenen

Bedeutungen dieses Eigenschaftswortes nach Aut. an (cf. Romanze Nr. 1.), aus denen wir

entnehmen, daß der galán sowohl ein Mann stattlichen Körperbaus und stattlicher

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Wien, am 02.06.11, Seite 53 von 259

Kleidung, aber auch derjenige ist, der mit seiner Erscheinung versucht / sich in der Weise

benimmt, daß er Frauen gefalle. Auch in diesem Fall bezeichnet ein und dasselbe Lexem

zwei unterschiedliche semantische Aspekte, eine äußere, phys(iolog)ische und eine

qualitative, moralische Seite der dargestellten Figur. Wie schon angemerkt wurde, weisen

wir bei jeder möglichen Mehrdeutigkeit auf die entsprechenden anderen semantischen

Felder bzw. Beschreibungskriterien unseres Rasters hin und damit auf die verschiedenen

Interpretationsmöglichkeiten der erzählten Inhalte. Bestimmte Kleidungen,

Ausstattungselemente oder Kennzeichen können über das äußere Erscheinungsbild hinaus,

etwas über innere Zustände, moralische Eigenschaften, Leidenschaften, etc. erzählen. Das

Tragen der Farbe Grün signalisiert beispielsweise häufig den verliebten Zustand / die

Leidenschaft des (maurischen) Protagonisten. Ausstattungselemente, die eine Figur an sich

trägt, können einerseits die Bildlichkeit ihrer äußeren Erscheinung verstärken, sie können

aber auch als charakteristische Elemente ihres Trägers verstanden werden. Je nach Kontext

und Textkohärenz können wir dieselben Elemente, wie beispielsweise, das Krummschwert,

den Turban, etc. unterschiedlichen Feldern zuordnen. Werden in einer Aufzählung mehrere

Ausstattungselemente erwähnt, verzeichnen wir sie unter der Rubrik Kleidung und

Ausstattung. Erscheinen sie wie unkohärent in den Text „eingebaut“, behandeln wir sie als

Elemente der Kennzeichnung. Die folgende Textpassage einer rumänischen Ballade soll

dafür als Beispel dienen. Die Erwähnung von Säbeln und Kopfbedeckungen erscheinen als

Symbole, die den Muslimen in charakteristischer Weise kennzeichnen. In einer

rumänischen Ballade fordert der christliche Protagonist, Iancu, die Türken auf, in großer

Anzahl seiner Konversion beizuwohnen. So viele sollen es sein, daß er mit ihren Turbanen

und Krummsäbeln die Fenster verstopfen kann: "D-alei, paşe, dacă vreţi, /Turc ca voi să

mă vedeţi, /Ia faceţi de-mi trimeteţi /Cam vro cincizeci de agale, /Cam vro cincizeci de

paşale, /Cît agaua, /Şi cealmaua, /Ca s-astup ferestrele /Numai cu cealmalele /Şi cu

iataganele".

Es wurde schon darauf hingewiesen, daß in ein und derselben Geschichte mehrere

Fremdgestalten auftreten können. In den rumänischen Texten nehmen diese tendenziell

dieselben Funktionen innerhalb des erzählten Geschehens ein. In den spanischen

Romanzen hingegen treten häufig maurische Figuren mit unterschiedlicher

Rollenbedeutung für die dargestellte Handlung auf. Wir untersuchen grundsätzlich auch in

den spanischen Erzählungen alle Figuren, das heißt Haupt- und Nebenfiguren. Die

Untersuchung der Nebenfiguren kann insofern von Interesse sein, da diese Figuren - noch

stärker als die eigentlichen bzw. primären Protagonisten - selektiv dargestellt werden.

Unser Interesse ist gerade auf diese Selektion von Beschreibungsmerkmalen gerichtet, die

vermutlich die Darstellungs- und Konfigurationssmuster der primären Figuren perpetuiert.

In der Analyse der spanischen Erzählungen hat sich insofern eine Schwierigkeit ergeben,

als daß nicht alle auftretenden Figuren eindeutig in ihrer Ethnizität identifiziert sind.

Manchmal lassen sich Protagonisten jedoch aufgrund der Intertextualität des Textgenres

identifizieren. In vielen Romanzen beispielsweise tritt die Figur eines Königs, eines Rey

auf, in einer Reihe dieser Texte wird diese Figur eindeutig als maurische / arabische

dargestellt. Bestimmte Beschreibungsparameter oder Erzählinhalte, die das Bild des

Königs konfigurieren bzw. auf denen die Geschichte aufbaut, lassen darauf schließen, daß

es sich um einunddieselbe oder analoge Erzählfigur handelt. Manchmal haben wir uns

aufgrund von Beschreibungsanalogien dafür entschieden, eine Figur, die nicht eindeutig

maurischer Abstammung zugeordnet ist, dennoch als solche zu klassifizieren. Zuletzt

wollen wir noch anmerken, daß wir in der spanischen Anthologie, aus der wir unsere

Quellen schöpfen, stellenweise fehlende Kohäsion, Uneinheitlichkeiten in der Benennung

von Protagonisten, etc. bemerkt haben. In der Romanze Mira que a Daraja (im Romancero

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General ist sie der Text Nummer 187.) beispielsweise spricht ein Almoradi zu einem Tarfe

("Mira, Tarfe... /Esto dixo Almoradí, /a escuchóle atento Tarfe“), der auf diese Verse

folgenden Darstellung zufolge, müßte es Tarfe sein, der um das Wort bittet und darum, daß

ihm der andere, Almoradi, jetzt zuhöre („Y arqueando entrambos cejas /con airoso le

responde, /pidiendo le escuche y calle“; v 1-20). Es folgt ein Monolog, den wir aus der

Textlogik heraus Tarfe zuschreiben (v 21-120), doch am Ende der Geschichte wird

Almoradí als der Sender des Monologs „definiert“: "El Almoradí acabó /dexando al galán

de Tarfe /entre turbado y furioso" (v 121-123). Um ein weiteres Beispiel von Unkohärenz

zu nennen, führen wir die Romanze Nr. 17. El bizarro Almoralife an. In dieser Erzählung

wird die einzige, explizit als Maurin bezeichnete Protagonistin zunächst - in Almoralifes

Worten - Felisalba, später aber Fátima genannt (cf. v 15 und 87). Wir glauben, daß es

wichtig ist, auch gewissermaßen fehlerhafte Texte zu untersuchen, da diese Fehler per se

auch signifikant sein können. Sie dokumentieren möglicherweise, wie vielleicht aus

Unachtsamkeit bei der Transkription der Texte, sich anstelle von arabischen, arabisierten

Namen, christliche einschleichen, wie Figuren nicht indentifiziert / individual erscheinen,

und somit auswechselbar werden.

DIE KORPORA

18. Bezeichnung, Ursprung, Tradierung und Klassen des Genres

Wir haben unsere spanischen Quellen als Romanzen, romances, die rumänischen als

Balladen, balade, bezeichnet. Der spanische Terminus romance deckt sich ursprünglich

mit dem Begriff von 'Sprache des Volks, im Gegensatz zum Latein' (cf. Díaz-Mas 1994:3),

der Terminus Ballade ist ein gebildeter Neologismus, dem volkssprachlich das cântec,

rumänisch 'Lied', entspricht. Beide Erzählformen entstehen ursprünglich als mündliche, vor

allem in gesungener Weise vorgetragene Dichtungen. In der rumänischen Bezeichnung

cântec < lat. CANTARE 'singen' ist dieser Ursprung dokumentiert - auf weitere,

differenziertere, volkssprachliche Bezeichnungen der rumänischen Balladen werden wir im

Laufe dieses Abschnitts eingehen -. Aufgrund der Entstehung des Genres aus mündlichen

Traditionen ist die Datierung der ersten, frühen Texte dieser Textserien oft schwierig.

Romanzen historischen Inhalts lassen manchmal das Entstehungsdatum eines Textes

rekonstruieren. Dies ist beispielsweise der Fall der ältesten überlieferten Romanze, in der

der Erzähler auf die Belagerung des andalusischen Baezas - Cerco de Baeza -, im Jahre

1368 Bezug nimmt (Díaz-Mas 1994:13). Auf der Iberischen Halbinsel liegt die Tradition

und Tradierung der Romanzen ursprünglich in den Händen der sogenannten juglares und

trobadores. Erstere leben von ihrer Unterhaltungskunst in der Straße. An ihr inspirieren

sich die Poeten des Hofes, um ihrer (gebildeten) Dichtung neue Impulse zu geben.

Während auf der Iberischen Halbinsel die Tradition der Romanzendichtung einem eigenen

Berufsstand zufiel, dürfte es in den Rumänischen Ländern eher der einfache Bauer gewesen

sein, der die Kunst dieser Narration pflegt und von Generation zu Generation weitergibt.

Die Kunst der balladesken mündlichen Erzählung lebt - in reduzierter Weise - bis heute in

bestimmten bäuerlichen Kontexten Rumäniens.

Die Textreihen, die allgemein zu den Romanzen und Balladen gezählt werden, umfassen so

unterschiedliche Thematiken, daß es selbst dem Spezialisten schwer fällt, eine kurze

präzise Definition dieser Literatur zu geben. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hätte die

Bezeichnung romance - im hispanischen Kontext - eine Spezifizierung erfahren und wäre

ab diesem Zeitpunkt als Terminus herangezogen worden für einen gewissen Typus

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narrativer Gedichte in gesungener Form ("un cierto tipo de poemas narrativos cantables",

cf. Díaz-Mas 1994:3). Der Theorie von Menéndez Pelayo und Menéndez Pidal zufolge,

dürfte der Ursprung der Romanzen in der Epöpee wurzeln und ihre ältesten Schichten die

Entwicklung einzelner Episoden aus der alten Heldenliteratur sein. Im Laufe der Zeit wäre

die Romanze zur Narration von so unterschiedlichen Inhalten herangezogen worden, daß

Paloma Díaz-Mas sie bezeichnet und beschreibt als: "molde narrativo en verso adecuado

para verter en él casi cualquier historia: „las hazañas épicas de caballeros castellanos o

franceses; determinados motivos de la lírica; las varias aventuras caballerescas, cortesanas

o amorosas de los romans franceses; las historias novelescas y maravillosas de las baladas

de otros países, llegadas a través de Francia o de Italia, a veces por la vía de Cataluña.

Posteriormente, a partir de finales del siglo XV y comienzos del XVI, otros autores con

otras mentalidades utilizarán el molde del romancero con otros intereses: convertirlo en

canción cortesana, recoger en él los casos históricos basados en fuentes eruditas que

pueden interesar como modélicos, o saciar el ansia de literatura del vulgo con anécdotas de

su gusto“ (Díaz-Mas 1994:20). In Romanzenform wurden also erzählt ritterliche

Heldentaten, lyrische Themen, Ritterabenteuer, höfische und Liebesabenteuer,

phantastische Erzählungen. Seit Ende des 15. und Beginn des 16. Jahrhunderts verwendete

man die balladeske Narration auch für das am Hof gedichtete, gebildete Lied, für

historische Inhalte und für Anekdoten, die das Volk unterhielten.

Die vielfältige Thematik der Romanzen hat dazu geführt, innerhalb dieser Textreihe

Klassen oder Kategorien zu unterscheiden. Schon die Herausgeber früher spanischer

Romanzensammlungen, der sogenannten Romanceros, liefern Vorschläge zur

Klassifizierung der aufscheinenden Erzählungen. Bevor wir auf die unterschiedlichen

Möglichkeiten der Texttypisierung näher eingehen, wollen wir noch auf einen Unterschied

zwischen der spanischen und rumänischen Situation aufmerksam machen. Während der

Romancero, das Sammeln von Romanzen sich in Spanien im 16. Jahrhundert voll

entwickelt, beginnt man in Rumänien erst im 19. Jahrhundert, sich diesen Texten zu

widmen bzw. sie in Anthologien zusammenzustellen. Heute ist es vor allem die

Forschergruppe von Diego Catalán, das Seminario Menéndez Pidal, das versucht einen

möglichst vollständigen Katalog der Romanzendichtung aufzustellen. Die erste Sammlung

rumänischer Balladen verdanken wir dem rumänischen Schriftsteller Vasile Alecsandri.

Sein Interesse für die rumänische balladeske Literatur ist von Alexandru Amzulescu

weitergeführt worden, der eine große Anzahl von Balladen aufgenommen, transkribiert und

in einer Reihe von Werken editiert hat.

Die Kategorisierung der spanischen Romanzen erfolgt vor allem nach thematischen

Kriterien. Um einen Eindruck der Klassifikationen nach Themen zu geben, listen wir im

folgenden die Textklassen auf, wie sie in vier, in chronologischer Reihenfolge

entstandenen Textanthologien unterschieden werden: In einem 1885 herausgegebenen

Werk mit dem Titel Romancero General - Titelblatt / Name des Herausgebers fehlen -

werden klassifiziert: Romances moriscos, caballerescos, históricos, doctrinales, amatorios,

jocosos. In dem im Jahre 1947 herausgegebenen Romancero General nimmt der

Herausgeber Angel González Palencia bezüglich der in der Sammlung aufgenommenen

Texte folgende Einteilung vor: romances de tema histórico, romances moriscos und

antimoriscos, romances pastoriles, romances amorosos, romances caballerescos,

romances satíricos de la vida social, romances de cautivos, romances de temas con los

turcos o argelinos, (romances) mitológicos, villanescos, marineros, filosófico-morales (cf.

Abschnitt III. Estructura del "Romancero General", S. XXII-XXXI). Giuseppe Di Stefano

nennt in seinem 1993 erschienenen Romancero die drei Klassen der romances novelescos,

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romances históricos, romances épicos und P. Díaz-Mas unterscheidet - in Anlehnung an

die Klassifizierung Menéndez Pidals (cf. S. 22-24) in der Buchausgabe Romancero

insgesamt sieben Thematiken, die romances épicos, romances históricos, fronterizos,

romances sobre materia de Francia, romances novelescos, bíblicos, clásicos. Auch die

rumänischen Balladen werden nach thematischen Klassen unterschieden. In dem 1964 von

Al. Amzulescu editierten, dreibändigen Werk Balade populare romîneşti werden die

Erzählungen nach (cîntece) fantastice, vitejeşti, păstoreşti, despre curtea feudală,

familiale, jurnale orale zusammengestellt. Der Autor unterscheidet in dieser Aufstellung

phantastische Erzählungen, Erzählungen über Helden, Hirten, das Leben am Hofe und vor

allem anekdotische Episoden.

Die Klassifizierungen der spanischen und rumänischen Narrationen sind, meiner Meinung

nach, eine wichtige Orientierungshilfe, aber nicht immer als absolut zu erachten. Wie oben

gezeigt wurde, nennt Angel González Palencia unter den Textreihen des Romancero die

Klassen der romances moriscos und der romances fronterizos, Erzählungen über die Figur

des Mauren und der Verteidigung gegen den Mauren. In mehreren Texten dieser Klassen

spiegelt sich auch (etwas) Geschichtliches der Iberischen Halbinsel wieder. Die Texte

könnten also auch als (bedingt) historisch bezeichnet werden. In seiner Textsammlung

Balade populare româneşti stellt der Herausgeber Al. Amzulescu eine Reihe von Balladen,

wie gezeigt wurde, unter dem Titel phantastische und 'Heldenlieder', cântece fantastice

und cântece voiniceşti, zusammen. In beiden Erzählreihen, nicht nur in der explizit

phantastisch genannten, geschehen Ereignisse, die wir phantastisch bezeichnen können.

Die spanische und die rumänische balladeske Literatur zeigen thematische Parallelen in

Erzählungen, beispielsweise, über feudale Gesellschaftsklassen, das Hirtenmilieu,

Episoden des Alltags. Stark analog in ihrer Funktion, das Volk zu unterhalten, dürften die

als romances vulgares bezeichneten „Volksromanzen“ und die rumänischen, den

„mündlichen Berichten“, jurnale orale, zugeordneten Texte sein. Ein Vergleich dieser

beiden Textserien verdeutlicht ihre thematische Analogie. Die seit dem 17. Jahrhundert

entstehenden romances vulgares haben eine äußest variable Thematik "que podía interesar

al vulgo de las distintas épocas: historias de cautivos, jaques y hampones (en el siglo

XVII); emocionantes aventuras de bandidos y salteadores de caminos (en los siglos XVIII y

XIX); hechos de actualidad política (en el XIX y el XX y, en toda época, asuntos

melodramáticos, truculentos y lacrimógenos: amores contrariados, doncellas seducidas,

niños abandonados, crímenes sangrientos, criminales arrepentidos, seres monstruosos,

hechos de página de sucesos" (cf. Díaz-Mas 1994:9). Die Texte der beiden untersuchten

Literaturen zeigen andererseits auch thematische Unterschiede. Insgesamt scheinen in der

spanischen Romanzendichtung epische, historische Themen, in der rumänischen Dichtung

hingegen phantastische Themen weitaus stärker vertreten zu sein (cf. der folgende

Abschnitt).

In den Studien über den romancero werden außer thematischen, noch weitere

Textklassifizierungen vorgenommen, möglicherweise als Resultat der - im Vergleich zum

Rumänischen - reicheren, zeitlich längeren schriftlichen Überlieferung von Romanzen -. In

diesen Typologisierungen werden außer thematischen, auch stilistische und zeitliche

Kriterien in Erwägung gezogen (cf. Díaz-Mas 1994:9). Aus zeitlicher, periodisierender

Perspektive werden „ältere“ von „neueren“ Romanzen, romances viejos und romances

nuevos unterschieden. Während erstere als authentische mittelalterliche Texte gelten,

werden zweitere als eine Mode des 16. Jahrhunderts erklärt, die die mittelalterlichen

Romanzendichtung in kultistischen Elaborationen nachahmt. Der Terminus der

„traditionellen“ Romanzen, romances tradicionales, bezieht sich auf Romanzen, die in

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Wien, am 02.06.11, Seite 57 von 259

moderneren mündlichen Versionen existieren, wahrscheinlich aber viel früher, im

auslaufenden Mittelalter, entstanden sind. Die spanischen Romanzen werden auch

stilistisch nach Klassen unterschieden (cf. Díaz-Mas 1994:10-12). Man spricht von stärker

volkstümlichen Texten, Romanzen im Stile juglaresco, deren Autoren nicht bekannt sind,

und den sogenannten gebildeten Dichtungen, romances eruditos oder artísticos, deren

Autoren identifiziert sind. Die jüngeren Romanzen, die romances nuevos, werden generell

als kultistische Dichtung definiert. Paloma Díaz-Mas unterscheidet in einer Ausgabe einer

Romanzensammlung der Biblioteca Clásica aus erzähltechnischer Perspektive drei

Textklassen. Sie stellt Erzählungen fest, die in Dialogform - romances-diálogos -, die

narrativ - romances narrativos- und deskriptiv aufgebaut sind (ib., S. 24). Diese „erzähl-

architektonischen“ Strukturen sind auch in rumänischen Balladen feststellbar. Meiner

Meinung nach sind Erzählungen, die rein als Dialog, narrativ oder deskriptiv aufgebaut

sind, seltener, häufiger die Texten, die aus einer Kombination dieser Erzählstrukturen

aufgebaut sind.

19. Die ausgewählten Textreihen

Als Quelle der Textanalysen haben wir eine, 1947 von Angel González Palencia in der

Reihe der Clásicos españoles herausgegebene Anthologie ausgewählt. Es handelt sich um

den Romancero general (1600, 1604, 1605), die erste umfassende Anthologie von

Romanzen. Sie enthält mehrere, frühe, in den Jahren 1600 und 1604 in Madrid und 1605 in

Valladolid entstandene Textsammlungen. Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt

wurde, enthält der Romancero general verschiedene Klassen von Romanzen, in denen die

Figur des Mauren in hoher Dichte auftritt (romances moriscos und antimoriscos). Der

Herausgeber der Textedition hat dem einleitenden Teil des Romancero general ein

Namensverzeichnis der in den Romanzen auftretenden Protagonisten hinzugefügt (cf.

Abschnitt VII. Nombres Poéticos utilizados en el "Romancero General": Nombres de

Moriscos, Nombres Pastoriles, Nombres Caballerescos, S. XLV-XLVIII). Diese

Namensliste und der thematische Index des Romancero sind eine wichtige

Orientierungshilfe für die Auffindung der Fremdfigur. Allerdings sind die klassifizierenden

Hinweise zu Personennamen und/oder Textklassen manchmal unvollständig oder

unkonsequent. So fehlen im Romancero general zum Beispiel Angaben über die

Romanzen Nummer 2. und Nummer 7., wie auch der Namenseintrag des Mudarra, des

Protagonisten des Textes Nummer 180. bzw. des Saler, des Protagonistes der Textnummer

241. Eine globale Untersuchung der 1392 Romanzen des dritten Bandes des Romancero

general hat gezeigt, daß die Figur des Mauren nicht nur in den 'Romanzen über den

Mauren', den romances moriscos, sondern - mit unterschiedlichen Porträtgestaltungen -

auch in den historischen Romanzen, den romances históricos oder den Romanzen über

Gefangene, den romances de cautivos, auftreten kann (cf. Romanze Nummer 23., der

Protagonist der Erzählung, Dragut, scheint, Maure zu sein).

In der Auswahl unserer Texte haben wir uns nicht primär an der im Romancero General

wiedergegebene Klassifizierung, und auch nicht nach den Titeln der Romanzen, sondern an

deren (vergleichbaren) Inhalten orientiert. Wir haben diejenigen Texte ausgewählt, in

denen der moro genannt, erwähnt, beschrieben wird, auftritt, agiert oder agieren läßt. Unter

der Bezeichnung moro verstehen wir in erster Linie den „Repräsentanten“ der

mohammedanischen Glaubenslehre. Wir folgen dabei einer von mehreren Definitionen des

Lemmas moro bei Autoridades: „El natural de Mauritánia, Provincia del Africa. Tómase

regularmente por el que sigue la secta de Mahóma. Lat. Maurus.“ (ib. s.v.). Um die

Romanzen mit „Maurenthematik“ zu bezeichnen, führte man den Terminus romances

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Wien, am 02.06.11, Seite 58 von 259

moriscos ein. Dieses Adjektiv oder substantivisch verwendete Wort wird bei Autoridades

folgendermaßen definiert: „Morisco, ca. adj. Lo que pertenece a los Moros. Lat. Maurus,

a, um“; „Moriscos. Se llaman aquellas gentes de los Moros, que al tiempo de la

restauración de España, se quedaron en ella bautizados: y por haberse hallado despues que

en lo interior observaban la secta de Mahóma, se expelieron ultimamente en tiempo del

señor Rey Don Phelipe III. In den Romanzen finden wir diesen Terminus kaum als

Bezeichnung der von uns fokussierten Figur.

Die Dichtung der romances moriscos erblüht im 15. Jahrhundert und endet mit der

endgültigen Vertreibung der moriscos durch Felipe III. im Jahre 1609. Traditionell wird

diese Klasse von Romanzen als maurophil, das heißt als Literatur beschrieben, die die

Figur des Mauren idealisiert (cf. die Beschreibung des género morisco als idealización

poética der Maurenfigur bei Francisco López Estrada, 1982:20; 80-88). Ihre Texte zählen

im allgemeinen zur „jüngeren“ und kultistisch elaborierten Dichtung von Romanzen, die

eine Nachahmung der älteren, traditionellen Romanzenkunst ist. Wesentlich erscheint es

mir, an dieser Stelle anzumerken, daß gerade auch die Romanzendichtung, die wir als

gebildete klassifizieren, aufgrund ihrer Imitation von ursprünglich volkstümlicheren

Erzählungen bestimmte Erzählelemente und Erzählmechanismen von Volksliteratur

aufweist. Außerdem sind, meiner Meinung nach, auch in den einzelnen Texten der

„Romanzen mit Maurenthematik“ des Romancero General stilistische Unterschiede

festzustellen. Stärker - kultistisch - elaboriert wirkende Dichtungen kontrastieren mit

volkstümlicheren.

Für die Untersuchung des Fremdbilds in rumänischen Quellen hat sich die von Al.

Amzulescu 1964 herausgegebene Anthologie Balade populare româneşti als sehr geeignet

erwiesen. Der Autor stellt in diesem dreibändigen Werk Erzählungen analoger Thematik in

Reihen zusammen. In dem „Zyklus über die türkisch-tatarischen Eroberer“, rumänisch

Ciclul Cotropitorilor (turci-tătari), ist die von uns fokussierte Figur des Fremden, des

kulturell und religiös Anderen, am stärksten präsent und identifizierbar (cf. Band II, S. 7-

231). Die Gestalt des Tataren scheint, wie der Titel der Textreihe zu zeigen scheint, der

Figur des Türken an Bedeutung gleichgestellt zu sein. Tatsächlich tritt sie aber quantitativ

weniger häufig / dicht auf, als diese. Die Beschreibung / Darstellung der Figur des Tataren

ist in vielen Parametern so stark analog, daß wir sie als ein und dasselbe Porträt betrachten

können.

Das Rumänische kennt, wie wir in einem vorangegangenen Abschnitt schon angedeutet

haben, unterschiedliche Bezeichnungen für die Textklassen, die wir für unsere

Untersuchung heranziehen. Dem gebildeten Terminus der Ballade, rumänisch baladă

entsprechen eine Reihe von volkstümlicheren, älteren Termini. Die Balladen oder, wie sie

auch genannt werden, „alten Lieder / Lieder der Alten“ (cântece bătrâneşti) sind im

Rumänischen auch als cântece voiniceşti, cântece haiduceşti, cântece şoimăneşti bekannt.

In diesen Bezeichnungen spiegeln sich die Figuren der (rumänischen) Protagonisten der

Texte wieder. Es sind Figuren, die, ihrer Bezeichnung nach, die Verkörperung bestimmter

Eigenschaften, wie Tapferkeit, Wagemut, Kampfestugend, Flinkheit, etc. zu repräsentieren

scheinen. Das rumänische, auch substantivisch verwendbare Adjektiv voinic ist ins

Deutsche mit 'mutig / der Mutige' zu übersetzen. Dem adjektivischen Derivat şoiman liegt

das Substantiv şoim, 'Falke', zugrunde (cf. den Protagonisten der gleichnamigen Ballade A

lui Şoimănel, Amzulescu 1964, Band II, S. 207). Wie voinic könnte auch şoiman in

metaphorischem Sinn mit der Bedeutung von 'tapfer, angriffslustig' in Zusammenhang

gebracht werden. Und der rumänische haiduc - deutsch Haiduke - scheint in den Balladen

als ein, mit diesen Eigenschaften versehener „Held“ aufzutreten. Die rumänischen

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Protagonisten werden mitunter auf redundante und stereotype Weise mit 'Heldenhaftigkeit'

verbunden. In Moldovean Dobrogean läßt der Dichter seinen gleichnamigen Protagonisten

schreien, wie ein Tapferer und auch sein Pferd antreiben, wie ein Mutiger: "strigă

iortomăneşte, /Săvai, ca Doamne fereşte ! /Calul fugea iepureşte, /Voinicul da voiniceşte"

(Moldovean Dobrogean, v 117-120).

In seinem Werk Balkan-Chronik. 2000 Jahre zwischen Orient und Okzident erwähnt

Michael W. Weithmann die Hajduken als historische Figuren in der Geschichte

verschiedener Balkanregionen: „Von den [türkisch] nicht eroberten Gebirgen Montenegros

und Albaniens, aber auch in Ungarn und Bulgarien aus machten Räuberbanden Überfälle

auf Handelstreibende. Die Überfälle dieser Wegelagerer oder Hajduken, die ursprünglich

Viehhirten waren, wurden erst viel später zu balkanischen Freiheitskämpfen stilisiert

(1995:145ff). Die rumänische Ballade scheint thematisch von slawischen und

orientalischen Einflüssen bestimmt zu sein (cf. beispielsweise Fochi 1985). Die Existenz

von Pan-Balkanismen unter anderem in den Literaturen der Balkanländer und der Inhalt

vieler rumänischer Balladen erlauben uns, den rumänischen voinic, şoiman oder haiduc als

(rumänischen) „Helden“ zu verstehen und zu interpretieren. In vielen dieser Balladen, die

die Taten eines rumänischen Helden schildern, tritt die Figur des turc oder des tătar, des

Türken und/oder Tataren auf.

Vergleichen wir romances moriscos mit den Heldenliedern des Rumänischen, ist

festzustellen, daß die arabischen bzw. türkisch-tatarischen Erzählfiguren unterschiedlich

inszeniert werden. Außer den verschiedenen Rollenfunktionen, die der Figur des Anderen

in Romanzen und Balladen zukommt, unterscheiden sich diese Literaturen auch

typologisch in einer Reihe von Kriterien. Im folgenden befassen wir uns mit den

wichtigsten Divergenzen und Konvergenzen unserer beiden Textreihen.

20.Texttypologie der Romanzen («Maurendichtung»)

In den Romanzen, die über die Figur des Mauren handeln, läßt sich vor allem eine

Thematik feststellen, die sich mit großer Regelmäßigkeit wiederholt. Zwar treten in

unseren Erzählungen nicht selten Maurinnen auf, doch sind es vor allem männliche Figuren

aus der Welt des Islam, die die Rollen der wesentlichen Protagonisten einnehmen. Mit

großer Frequenz wird - mehr oder weniger ausführlich bzw. mehr oder weniger

fragmentarisch - die Geschichte eines Mauren erzählt, der zu Turnierspielen aufbricht, an

diesen teilnimmt, sich auf dem Weg von seinem Heimatort zu einem andern Ort befindet

oder der mit einem oder mehreren anderen Mauren im Streit ist. Sehr oft ist der maurische

Protagonist verliebt und häufig ist seine Liebe der eigentliche Grund seines Tuns bzw.

seines emotionalen Zustands. So bringt er beispielsweise seine Gunst und Liebe seiner

Angebeteten gegenüber im Rahmen eines Festspiels, eines Wettkampfs oder eines Festes

(spanisch caña, zambra) zum Ausdruck. Desöfteren interagieren eine oder mehrere andere

(maurische) Personen mit dem „ersten“ Protagonisten, rivalisieren mit diesem, beleidigen

oder bekämpfen ihn. Auch in diesen Geschehen spielt Liebe eine sehr bedeutende Rolle.

Ein König verbannt aus Gründen der Eifersucht seinen vermeintlichen Nebenbuhler, ganze

Sippen verfehden sich aus Gründen der Liebe, etc.

Während die traditionelle Romanzendichtung als anonyme Dichtung gilt, sind viele Dichter

der jüngeren, kultistischen Texte bekannt. Eine Reihe von Romanzen des Romancero

General werden beispielweise Lope de Vega, Góngora, G. Lasso de la Vega, Pedro Liñán

de Riaza zugeschrieben (cf. VI. Autores identificados en el "Romancero general", RG,

XXXV-XLIV). Die von uns untersuchten Romanzen des Romancero General werden, wie

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schon erwähnt worden ist, als Gedichte kultistischen Stils bezeichnet. In vielen dieser

Textproduktionen können wir klass(izist)ische Elemente und rhetorische Figuren erkennen,

die einen gongoristisch / culteranistischen Stil kennzeichen. Im folgenden werden wir uns

kurz den stilistischen Besonderheiten widmen, die sich frequent in den romances moriscos

- oder romances cultos - feststellen lassen (wir beziehen uns im folgenden auf Texte des

Dritten Bandes des Romancero General). Zu diesen stilistischen Charakteristiken gehört

beispielsweise die Beschreibung der Protagonisten in Anlehnung an mythologische

Gestalten, sowie Personifizierungen, Metaphern, Vergleiche oder die Verwendung von

„gebildeten“ Wörtern nach klassizistischem Modell. So beschreibt beispielsweise der

maurische Protagonist der Romanze Nummer 13. die Maurin Celia als Zirze: "el Tarfe a

Celia le dize: /Celia y cielo te llamaba, /mas ya encantadora y Circe" (cf. Verse 98-100). In

dem Gedicht Nummer 56. wird die Göttin Diana genannt: “A las nueve de la noche,

/cuando comienca Diana /con su clarifica lumbre /tender los rayos de plata, /parte el Moro

venturoso“ (v 21-25). In der Romanze Nummer 213. wird der maurische Protagonist als ein

aschenbedeckter Phönix beschrieben: "Era (= Abencerraje Zulema), pues, el ave Fénix /ya

de ceniza cubierta /cubierta, mas no quemada, /y si quemada, no muerta" (v 45-48). Im

Text Nummer 520 tragen die maurischen Protagonisten das Bild des Cupido, des Gottes

der Liebe nach der römischen Mythologie, als Dievise ihrer Schilder ("por divisa va

Cupido /en una torre muy alta", v 37-38). Desöfteren verwendet der Poet Klassizismen,

gelehrte Wortbildungen. In der Romanze Nummer 298 beispielsweise ersetzt der Dichter

das allgemein gebräuchliche Wort sol 'Sonne' durch den Neologismus aurora: "Y antes que

la clara Aurora /su pecho se rasgue y abra, /entra el venturoso Moro /con su ilustre

camarada" (v 13-16; cf. auch die Romanze 366, v 57-60).

Die Dichter der Romanzen mit Maurenthematik benützen häufig Vergleiche, um

metaphorische Bilder zu kreieren. Die Verse 21-26 des Textes Nummer 63. beschreiben

die Maurin Xarifa mit einer Stirn, [wie] aus glattem Marmor entnommen, mit Lippen [wie]

aus Scharlachrot, Händen [wie] aus Kristall und einer Brust und dem Hals [wie] aus

Schnee: "Tiene Xarifa la frente /de un liso márfil sacada /con sus mexillas hermosas /y sus

labios de escarlata; /son las manos de cristal, /nieve el pecho y la garganta". In den Versen

57-67 des Textbeispiels Nummer 11. reagiert der Protagonist mit großer Trauer auf die

Abwesenheit seiner Angebeteten. Sein Schmerz ist so groß, seine Tränen so zahlreich, daß

sie den Brief der Geliebten, den er in den Händen hält, „befeuchten, erweichen,

durchtränken“ und der Maure den Brief, wie es wörtlich lautet, „fast verbrennt“: "el Moro

ausente /sacó del pecho una carta, /y con ella mil sospiros /con que el fresco viento abrasa.

/Quiso leella y no pudo, /porque lágrimas cansadas /y espesas nubes de pena /son que lo

impiden con agua. /La carta, con lo que llora, /moja, enternece y ablanda, /y con sospiros la

enxuga /y aún es mucho no quemalla". Die Bildlichkeit, die das Wort verbrennen

hervorruft, ist eine Metapher für den heftigen, intensiven, qualvollen Schmerz, den der

Maure wegen der Abwesenheit seiner Geliebten bzw. seiner tiefen Liebe zu ihr erlebt. Die

Auflistung von Lexemen des semantischen Feldes 'Wasser' (cf. lágrimas, agua, llorar,

mojarse, enxugar) und des semantischen Feldes 'Feuer' (cf. quemar) ist eine weitere, in

unseren Quellen vorkommende rhetorische Figur. Auch in der folgenden Romanze, dem

Textbeispiel Nummer 12. des Romancero General, Band III, Verse 1-8, können wir eine

solche, auf semantischer Gegensätzlichkeit aufgebaute Figur finden. Wie der Erzähler es

schildert, ist der Maure Tarfe [wie] in lebender Flamme entfacht, denn es ist [wie] aus Eis

gemacht, diejenige, die das Feuer entzündet: "Abrasado en viva llama, /bravo, feroz y

rebelde, /porque está hecha de yelo /la que tanto fuego enciende /sentado está el Moro

Tarfe... /frontero de los palacios /de Celia, por quien padece". Die semantische Bipolarität

basiert auf dem Kontrast von Feuer und Eis. In der Romanze Nummer 7 beklagt sich der

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maurische Protagonist darüber, daß seine Geliebte, die Maurin Zayda ihn wegen einem

anderen, an armen Gütern reichen Mauren, verlassen hätte: "Mi alma aborrece a Zayda, /y

de su amor se arrepiente, /que su desdén y tu amor /han hecho su fuego nieve. /pues me

dexó por un Moro /más rico de pobres bienes" (v 73-80). Auch in diesen Versen spiegelt

sich ein Kontrast, die semantische Opposition von 'arm' und 'reich'. Charakteristisch für

den Stil der romances moriscos sind Alliterationen, Wiederholungen von einzelnen

Phonemen, von Silben oder Wörtern. In den folgenden Versen wiederholt sich

beispielsweise ein und dasselbe Phonem in aufeinanderfolgenden Wörtern: "Causó el

desdén de la Mora /en el Moro una tal llaga /tan penetrante, /que llega /a lo último del

alma" (Textnummer 166., v 9-12). Wie die kursivierten Wörter der folgenden Zitate

zeigen, kommen Wortwiederholungen und Wortspiele mitunter auch in ein und demselben

Text frequent vor: "sacó el gallardo Arbolán /en una muestra gallarda, /muestra con que al

mundo muestra /lo que se muestra en su cara" (v 5-8) und "(...) mudo emprendió sus ansias

/y el ser mudo no le muda /la mudanca de su dama. /Callando, a su calle llega, /y al pasar

por ella, pasa /tan duros pasos de muerte, /que el menor pasa de raya" (ib. v 10-16). "La

cual, de cabellos bellos, /unos lazos desenlaza, /lazos que en lazos de amor /rendidas almas

enlazan" (Romanze Nummer 65., v 21-23); "El caballo... vuela /deseoso de llevarle /a vista

de lo que espera, /vista que sin vista dexa /al que procura de vella. El Moro, viendo la dama

/por quien no reposa y pena, /pena que de penas vive /quien apenas vida tiene" (Romanze

Nummer 179., v 5-14); "Bella Felisalba, dize, /por quien vivo y por quien muero, /muero,

porque muero vivo, /vivo, porque vivo muero" (Romanze Nummer 179., v 15-18);

"Descuidadas salen todas /al cuidado alborotadas, /aunque del cuidado nace /a cada mora

mil ansias" (Nummer 298., v 65-68).

In auffälliger Weise wird in den Romanzen, die wir analysieren, die Zahl tausend genannt.

Sie scheint eine „stereotype“ Angabe zu sein, die alle anderen quantitativen Hinweise

ersetzt und im Sinne von 'großer Intensität', aber nicht wörtlich verstanden werden kann.

Wir führen im folgenden mehrere Textpassagen an, um unsere Behauptung zu belegen. In

den zuvor zitierten Verse erzählt der Autor, wie mehrere Maurinnen von großer Unruhe

gepackt werden und jeder Maurin aus ihrer Sorge tausend Ängste erwächst (cf. supra); In

einem anderen Gedicht spricht der Protagonist mit tausend Seufzern zu seiner Geliebten:

"con mil sospiros le habla" (Nummer 47., v 12). Der Maure der Erzählung Nummer 56.

gibt auf dem Weg zu seiner Geliebten tausend Wörter von sich: “A las nueve de la noche

(...) /parte el Moro venturoso /a ver a su Celindaja (...) /Suelta la voz, echa al viento /mil

donaires, mil palabras /que el amor tenía esculpidas /como piedra en sus entranas“ (v 21-

36). Der liebende Maure der Erzählung Nummer 62. Bittet mit tausend Zärtlichkeiten um

die Hand der Geliebten: „Con mil caricias el Moro /la blanca mano demanda" (v 69-70).

Tausend Trophäen schmücken die Satteldecke eines Reiters: "Cubierta de treze en treze

/por los jirones y mangas /de mil roeles azules, /una marlota morada...", "(...) una mochilla

dorada /bordada de mil trofeos" (cf. Nummer 70., v 1-4, 44-45). Tausend Klagen der

Eifersucht sendet die schöne Bindarraja ihrem Geliebten: "Y la hermosa Bindarraja /desde

Antequera me escribe /con cien mil zelosas quexas" (Nummer 137., v 89-91). Die

Schönheit einer Maurin ließe sie tausend Herzen in Bann nehmen: "Es mora, cuya

hermosura /mil coraçones enlaza" (Romanze Nummer 285., v 29-30).

Vergleichen wir die spanischen Romanzen mit den Balladen, scheinen erstere, viel stärker

kultistisch elaboriert zu sein, klassische Metaphern, Vergleiche und rhetorische Figuren

sind viel häufiger festzustellen, als in den rumänischen Texten. Wir können Romanzen und

Balladen in Anlehnung an M. Metzeltin und M. Thir als Schichtenmodell verstehen (Wien

1996). Was die Thematiken betrifft, erscheinen die Romanzen rezenter als die Heldenlieder

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Wien, am 02.06.11, Seite 62 von 259

zu sein, die in viel stärkerem Maße alte, arachaische Erzählschichten aufweisen (cf. der

folgende Abschnitt). Die Interpreten von Romanzen mit Maurenthematik ahmen im

wesentlichen die ältere, traditionellere, volkstümlichere Romanzendichtung nach. Trotz des

generell kultistischen Charakters der romances moriscos, ist daher nicht auszuschließen,

daß sie bestimmte ältere Mechanismen der Volksliteratur „reproduzieren“. Möglicherweise

ist z. B. das in vielen Erzählungen auftretende Pferd des (maurischen) Protagonisten

ursprünglich ein Element der Märchenwelt. Es fällt auf, daß dieses Tier in einer Reihe von

Texten Attribute erhält oder so schnell zu laufen scheint, als ob es fliegt oder es hat - wie in

den rumänischen Balladen - eine ganz besondere Beziehung mit seinem Herren, dem es auf

fast übernatürliche Weise zu dienen versteht. Aus diesen Charakteristiken ergeben sich

Parallelismen mit dem Zauberpferd, auf dessen Rücken der Held des Märchens häufig die

Grenzen eines Reichs überwindet bzw. mit den Eigenschaften der Helfergestalten des

Märchens (vgl. dazu Metzeltin & Thir 1996). In der Romanze 415 des Romancero General

wird metaphorisch beschrieben, wie der Protagonist seine Stute mit Flügeln versieht:

„haciendo para su yegua /de dos espuelas dos alas“. In der Erzählung Aquel rayo de la

guerra von Góngora reitet der Protagonist einen 'hellfarbenen Hengst', dessen Lauf

erscheint wie ein Flug: „Tan gallardo iba el caballo /que en grave y airado vuelo /con

ambas manos medía /lo que hay de la cincha al suelo“ (v 38 und 41-44). Die Reiter einer

anderen Geschichte verschwinden auf dem Rücken ihrer Stuten, wie im Flug: „En dos

yeguas muy ligeras /de blanco color de Cisne... /más ligeros que el viento /se parten sin

despedirse“ (137., v 1-2; 127-128). In anderen Texten heißt es, daß das, seinem Herren

untergebene Tier, fliegt bzw. daß das Tier so stolz läuft, daß es kaum den Boden berührt:

„El caballo...vuela /deseoso de llevarle“, „Va tan loçano y gallardo /que apenas toca la

tierra“ (179., v 5-7; 388., v 51-52). Der Hengst, der den Protagonisten der Romanze El

bizarro Almoralife trägt, scheint die Wünsche seines Herren zu kennen und erfüllen zu

wollen: „El caballo que conoce /del senor la pasión, vuela /deseoso de llevarle /a vista de lo

que espera“ (179., v 5-8).

21. Texttypologie der Balladen («Heldenlieder»)

Im Vergleich mit den untersuchten Romanzen wirken die rumänischen Erzählungen viel

stärker volkstümlich bzw. volksliterarisch. Der Unterschied zu den Romanzen ergibt sich

auch thematisch. Rumänische „Heldenlieder“ erzählen häufig die Geschichte eines

rumänischen Protagonisten, der sich „unterwegs“ befindet und auf Türken trifft, oder der

von seinem Heim aus nach Ţărigrad - die gängige Bezeichnung in unseren Quellen für die

Stadt Istanbul -, aufbricht, manchmal mit der Absicht, auf Türken zu treffen, die er - meist

erst nach der Überwindung einiger Schwierigkeiten - vernichtet (vgl. die einzelnen

Inhaltsangaben der rumänischen Erzählungen im folgenden Abschnitt). Bestimmte

Themen, Elemente, „phantastische“ Ereignisse oder Konstellationen des Geschehens und

der daran beteiligten Figuren kreieren häufig eine Atmosphäre, die an die Welt des

Märchens erinnert. Bestimmte Balladenklassen, wie die explizit „phantastisch“

bezeichneten und die „Heldenlieder“ weisen stellenweise sehr alte Erzählschichten auf

(vgl. z.B. die kosmogenetische Erzählung über die Entstehung von Sonne und Mond).

Charakteristisch in unseren Texten wie auch im Märchen ist zum Beispiel die Mythologie

der Zahlen. In den Texten über die türkisch-tatarischen Eroberer, kommen mit auffälliger

Regelmäßigkeit die Zahlen drei, sieben, neun, zwölf oder auch die Vervielfältigung dieser

Zahlen vor. Der rumänische Protagonist Bîcul Haiducul unterbricht seinen Schlaft drei

Tage lang nicht ("De trei zile /Adormit... in: Bîcul Haiducul, Ballade 45, v 117-121). In

Marcul Viteazul zechen Marcu und ein Türke gemeinsam drei Tage und Nächte lang: "Ei

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tot bea /şi se cinstea... /Vro trei zile, vro trei nopţi" (Ballade 43, v 33-42). In Iancul Mare

fordert ein Pascha den Rumänen insgesamt dreimal auf, sich zu bekehren (vgl. Ballade 44.,

v 4, 13, 41). In Badiul schläft der Protagonist seinen Rausch auf drei Pölster gebettet, aus:

"ş-acum doarme /Într-un pat /Pe trei perne /Răsturnat" (v 155-158). Dreimal bittet der

Vater in einer anderen Erzählung um das Leben seines Sohnes (vgl. "A treia oară-ncerca,

/D-a treilea-ngenuchea" in: Nr. 47., v 774-775). In der Ballade von Roman Voinicul tötet

der gleichnamige Protagonist „einen Tag und drei Tage und drei Nächte“ lang seine

Feinde: "Tot tăia cît îmi tăia, /Toată ziua păn’nnopta... /şi-alte trei zile şi nopţi, /şi trei albe

dimineţi" (v 104-107). Moldovean, Protagonist einer anderen Geschichte, zäumt sein Pferd

mit drei Sattelgurten auf: "În trei chingi calu-nchinga" (Ballade Nummer 57., v 113). In der

Ballade von Neculcea droht die gleichnamige Figur einem Türken, ihn in sieben Stücke zu

schneiden: "Şapte bucăţi l-oi tăia !" (47., v 845). In der Ballade von Şiret stattet der

Protagonist sein Pferd mit sieben Zügeln und sieben Sattelgurten aus, sein Tier überwindet,

wie es wörtlich heißt, sieben Grenzen: "Tot pe spate mi-l bătea, /Păn’la căpăstru-ajungea,

/şapte frîne i-aşeza, /şea pe el că arunca, /şapte chingi îl închinga, /Picioru-n scară punea,

/şi pe Negru-ncăleca. /Cînd deodată că răcnea, /şapte hotare sărea, /Iară el îmi cădea, /La

locu ocorului, /În marginea drumului, /Unde-i păs voinicului" (Şiret, v 144-156). In Badiul

fesselt ein Türke seinen Gefangenen mit einer neunfachen Schnur, dieser wird später

neunundneunzig Türken töten: "Mîna-n pozunar băga, /Scul de mătase /Scotea, /Viţa-n

şase /Că-mpletea, /Sfoara-n nouă că-ndoia"; "Tăia nouăzeci şi nouă" (Ballade Nummer 47,

v 184-189 und 877). Ein Zeitmaß unserer Texte sind häufig neun Jahre (vgl. „Nouă ani şi

jumătate !" in der Ballade Nummer 47., v 801).

Auch die Personen unserer Quellen scheinen denjenigen der Märchen manchmal analog zu

sein. Roman, der Protagonist der gleichnamigen Ballade, ist beispielsweise der jüngste von

drei Brüdern: "Şedea Din cu Constantin /şi cu voinicel Roman, /Care de zile-i mai mic /şi

din trup e mai voinic (Ballade Roman Voinicul, v 12-15). Obwohl sie keine Funktion

haben, werden in der genanntne Erzählung, in den Worten Romans drei Königstöchter

erwähnt: "El în sine îşi zicea: /Înapoi m-aş înturna, /Dar ruşinea m-ar mînca /De trei fete

de-mpărat... /Plini-voi cu capul meu !" (ib. v 72-79). Die rumänische Protagonistin Ilinca

der gleichnamigen Ballade erinnert an die archetypische Braut des Märchens. Sie ist die

Tochter eines reichen Vaters und von so großer Schönheit, daß die Kunde über sie in

fremde Länder getragen wird. Der Sohn des Kaisers findet keine andere Frau, wie sie: "Dar

ca dînsa n-a găsit /Mai chipoasă, /Mai frumoasă, /Mai cu chip de puic-aleasă, /Ca fata de

Sănduleasă" (Ballade Nummer 49., Ilinca Sandului, v 31-35). Auch die wichtigsten

(männlichen) Protagonisten der Narrationen haben meist ganz besondere Eigenschaften. In

der schon erwähnten Ballade von Bîcul muß der gleichnamige Protagonist verschiedene

Proben bestehen und zeigt dabei seine außerordentliche Kraft. Mit einem einzigen Ruck

zerreißt er seine Fesseln, reißt Bäume aus dem Boden und schmettert sie zu Boden: "Num-

o dată se smîcea... /şi frînghia cînd rupea, /Copaci din pămînt scotea, /La pămînt îi dobora"

(cf. v 215-218). Um - als zweite Probe - ein Pferd zu zähmen, wirft Bîcul es mit seiner

linken Hand über eine Mauer: "După cal că-mi alerga... /şi cu stînga /Mi-l zvîrlea, /Peste

zid că-l arunca" (v 242-246). Als er eine drittes Mal auf die ,ellt wird besiegt Bîcul 4000

türkische Reiter, die der Pascha zum Kampf gerufen hat und türmt sie zu Haufen auf:

"Patru mii /Spahii /Scotea; /Dar Bîcul /Nici c-aştepta; /Ca vîntul /Se repeza, /Capetele le

lua, /Grămadă le aşeza" (v 259-267). Diese „unermeßliche“ Stärke und Unbesiegbarkeit

läßt an den - prototypischen - Helden des Märchens denken. Verstärkt wird dieser Eindruck

durch die drei Proben, die Bîcul bestehen muß. In den dargestellten Welten geschehen auch

phantastische Ereignisse. Eine Wirtin und ihr Mann werfen Knochen und Asche von

Türken in die Donau, die Knochen gehen im Wasser unter, die Asche trägt der Wind auf

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Wien, am 02.06.11, Seite 64 von 259

Äcker, wo aus ihr erneut Türken entstehen: "Bădiuleasa scrum lua, /Badiul oasele-ncărca,

/La Dunăre le ducea /şi-n Dunăre le-arunca. /Oasele-n Dunăre /Cădea, /Scrum pe vînturi

/Se ducea. /Tocmai dincolo cădea; /Pe cîmpuri /se semăna, /În cîrduri /că răsărea, /Turci la

loc că se făcea" (cf. die Ballade von Badiul, v 974-987). In der Ballade „Der Türke und die

Sippe des Novac“, rumänisch Turcul şi Novăceşti stiehlt der Türke die Augen der anderen

Protagonisten ("Ochii Gruii îi fura", "Ochii Iovii îi fura", "Ochii lui Novac fura"; v 68, 115,

169), der getötete Bădiţa aufersteht auf wundersame Weise, nachdem er mit einer silbernen

Nadel zusammengenäht wurde: "C-un ac d-argint le cosea... /Prin urechii îi sufla /şi pe

Badea învia" (v 184-188; 233-237). Diese wundersamen Auferstehungen der Erzählfiguren

kreieren nach eigenen Regeln funktionierende Welt, wie sie unter anderem das Märchen

darstellt.

In den rumänischen „Heldenliedern“ scheint desweiteren auch das Pferd eine auffallend

wichtige Bedeutung zu haben. In vielen Erzählungen verbindet eine besondere, fast

„persönliche“ Beziehung dieses Tier mit seinem Besitzer oder Reiter. Wie die folgenden

Verse zeigen, scheint das Pferd in vielen Darstellungen die Fähigkeit zu besitzen, seinen

Reiter (so schnell) wie im Flug an einen anderen Ort bringen zu können. Diese

Darstellungen lassen an eine, in vielen Märchen sich wiederholende Erzählpassage denken,

in denen der Held Grenzen eines Reiches überwindet, was unter anderem auf dem Rücken

eines Pferdes, eines Adlers, etc. und häufig fliegend geschieht. Auf dem Rücken seines

Pferdes reitet Gruia fort [so schnell], wie der Wind: "Apoi murgul şi-l scotea... /ş-apoi ca

vîntul pleca" (Ballade Nummer 32., 46-52). Das Pferd des Protagonisten des Textes 45.

fliegt, wie es wörtlich heißt, auf dem Boden, wie die Flocke im Wind: "Zbura murgul /Pe

pămînt /Ca şi fulgul /Sus în vînt" (v 331-334). Der Heiducke Roman spricht in inniger

Weise zu seinem Pferd, um die Art den Türken im Kampf zu begegnen, seinem Tier zu

überlassen, auf dem er dann, wie der Wind, gegen die Feinde losstürmt: „Uită-te, murguţul

meu, /Fă-mi-ţi după gîndul tău, /Pleşte-te iepureşte /şi mi te cearcă cerbeşte, /Zău, mi te-

aruncă lupeşte ! /şi-apoi în turci se slobozea, /Ca şi un vînt, viorint" (Ball. Roman Voinicul,

v 93-99). Das „der Schwarze“ genannte Pferd des Şiret trägt seinen Reiter, wie wir schon

erwähnt haben, über sieben Grenzen: "şi (Şiret) pe Negru-ncăleca. /Cînd deodată că răcnea,

/şapte hotare sărea, /Iară el îmi cădea, /La locu ocorului, /În marginea drumului, /Unde-i

păs voinicului" (Şiret, v 150-156). In den Versen 101-107 derselben Ballade will der

Protagonist erfahren, wo der Stall „des Schwarzen“, des Pferdes ist, dessen Hufe Erde aus

dem Boden reißen und auch manchmal fliegt: „Iar tu, frate, ca să spui /Unde-i grajdu

Negrului, /Năzdrăvanu drumului, /Carele pe drum cînd merge /Din picioare azvîrlind, /Din

pămînt brazde-aruncînd /şi cîte-un parcel zburînd !" (Şiret, v 101-107).

Die von uns untersuchten balladesken Erzählungen weisen Mechanismen auf, die wir der

Volksliteratur im allgemeinen zugeschrieben haben. Ein charakteristisches Phänomen

volkstümlicher Dichtung ist die Tradierung von „inhaltlichen Kernen“. Textpassagen,

Erzählelemente, Erzählfiguren werden neu konfiguriert. Auf diesem Prinzip entstehen

Varianten. Manchmal werden isolierte Passagen (narrative Bausteine) in neue

Erzählkontexte übernommen. Unsere Texte spiegeln dieses Phänomen der Intertextualität

wieder. Die folgenden, aus der Ballade Georghiţă Zătreanu, entnommenen Verse kreieren

dieselbe mythische Atmosphäre, die auch die bekannteste, in mehreren Hundert Varianten

existierende Ballade Mioriţa, 'das Lämmchen' einleiten: "auf einem Bergfuß /auf einem

Hügelland /mit grauen Wäldern /seit tausend und hundert Jahren /auf dem Berg und zu

Tale /wandert, wandert /ein Mann (...)": "Pe picior de munte, /Pe dealuri mărunte /Cu

păduri cărunte, /De ani mii şi sute, /Pe deal şi pe vale /Plimbă-mi-se, plimbă /Un om ş-

leliţă (...)" (Amzulescu 1964, Band II., Ballade Nummer 197., Verse 2-8). Ein Element, das

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in vielen Texten scheinbar stereotyp erwähnt wird, ist Seide, rumänisch mătase. Die

Anführer der Türken fesseln ihren Feind ausnahmslos mit einer Schnur dieses Materials:

"Mi-l lega tot cu mătase, /Împletită-n cîte şease"; "Mîna-n pozunar băga, /Scul de mătase

/Scotea, /Viţa-n şase /Că-mpletea, /Sfoara-n nouă că-ndoia" (Bîcul Haiducul, v 200-201;

Badiul, v 184-189).

Als ein Element der unsere Narrationen prägenden Intertextualität können wir bestimmte,

sich analog und stereotyp wiederholende Verse oder Syntagmen identifizieren. In vielen

Texten werden in die Erzählung der eigentlichen Handlung refrainartige Verse

eingeschoben, die nicht wörtlich zu verstehen sind. Häufig bestehen diese Einschübe aus

einem Syntagma, dessen - gleichbleibender - „Kern“ das Wort 'Blatt' oder 'Blättchen' ist,

das von einem weiteren Determinans aus der Pflanzenwelt begleitet wird. Wie die

folgenden Zitate belegen, kommen beispielsweise vor das Blatt oder Blättchen des Mohns,

des Wermuts, des Spindelbaums, der Krauseminze, der Tulpe, des Walnußbaums, des

Haselnußbaums, etc. Es ist möglich, daß die Erwähnung bestimmter Pflanzen mit der

Erzählung bestimmter Ereignisse verknüpft, also symbolhaft ist. Mohn wird zum Beispiel

genannt, als sich der rumänische Protagonist auf dem Weg nach Istanbul befindet, um sich

an einem Türken zu rächen: "Foicica macului /’N drumul Ţarigradului..." (Marcul viteazul,

v 1-2). Die Erwähnung von Wermut geht der Beschreibung des Türken als Grausamen

voraus: "Foicică de pelin, /Turcul, măre, e hain" (Badiul, v 802-803). Der Spindelbaum

und die Krauseminze werden in Zusammenhang mit einer weiblichen Erzählfigur genannt,

der Böses widerfahren wird, die Tulpe geht - im selben Text - den Worten „es geschieht“

voraus: "Foaie verde salbă moale, /Are Sandul fată mare", "Foicică izmă-creaţă, /Într-o joi

de dimineaţă /Tuturor le-i cu dulceaţă, /Dar Ilinchii-i cade greaţă, /Şi greaţa /De dimineaţă

/E scurtare de viaţă", "Foicică ş-o lalea, /Iată ce se întîmpla" (Ilincuţa Sandului, v 14-15,

49-55, 243-244). Auch Nußbaumblätter scheinen traurige Ereignisse anzukündigen. In den

folgenden Versen führen die Tataren Reihen von Gefangenen mit sich fort und eine

gefangene Frau bittet - vergeblich - wegen ihrem kleinen, zurückgebliebenen Kind um ihre

Freiheit: "Frunzuliţa nucului, /Cînd fu-n vale Dimanului, /Tătarii că îi sosea /şi prin ei că

mi-şi mergea /şi tot-nainte trăgea, /Toate singirurile privea"; "Foaie de alun, /Tu tătar

bătrîn, /Lasă-mă de mînă, /Să mă-ntorc în urmă, /Că eu mi-am lăsat /Pruncşor nescăldat,

/Tot neînfăşat, /Fără ţîţă dat !" (Tătarii şi robii, v 33-40 und 92-97). Daß die refrainartigen

Verse, die viele Balladen kennzeichnen, keine wörtliche Bedeutung haben, aber zur

Kreation eines bestimten Rhythmus und der Metrik vewendet werden, läßt sich gut

aufgrund von Versen wie beispielweise “Foicică solz de peşte, /Marcul bea, se veseleşte“

(Marcul viteazul, v 284-285) erkennen. Wörtlich übersetzt bedeutet diese Textstelle:

„Blättchen [und] Fischschuppe, Marcul trinkt, er freut sich“.

Nicht selten kommen Textpassagen vor, in denen sich der Dichter an ein gegenwärtiges

Publikum wendet, zum Beispiel mit den folgenden Worten: laßt Euch Eure gute Laune

nicht verderben, wegen meiner kleinen Lüge, der Lüge eines Spielmannes, über ein

Geschehnis der „Novacschen“: „Nu vă stricaţi voia bună /Pentru mica mea minciună,

/Minciună lăutărească /De-o-ntîmplare novăcească !“ (v 300-303). Der Erzähler einer

anderen Geschichte formuliert die Worte edle Herren, hört mir zu, ich werde euch die

Geschichte von Badiul (...) sagen: Der Erzähler der Ballade "Ascultaţi, boieri, la mine, /Să

vă spui pe Badiul bine !" (Badiul, v 3-4). Wie die folgenden Verse zeigen, werden in

unseren Texten häufig Interjektionen, wie beispielsweise măre oder frate, verwendet: "Foia

verde ş-o lalea, /Îmi umbla, măre, umbla, /Umbla turcii d-aiurea"; „(Sluga) Uşe /Cu

piciorul spărgea... /şi pe Turc îl speria... /Turcul, măre, -ncremenea"; „Iar tu, frate, ca să

spui /Unde-i grajdu Negrului“ (Badiul, v 5-7; Marcul viteazul, v 206-215; Şiret, v 101-

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102). Textkohärenz und Textkohäsion werden in unseren Quellen nicht immer gehalten.

Nach der Beschreibung, wie der türkische Protagonist aus seinem Pantoffel, der

rumänische aus seinem Stiefel trinkt, spricht der Erzähler der Ballade von Marcul viteazul

von dem Glas, das vertauscht werden soll (vgl. ib. v 50 ff). Diese Textcharakteristiken

enthüllen den stark oralen bzw. volkstümlichen Stil der rumänischen Balladen.

Außer diesen typischen Charakteristiken mündlichen oder volkstümlichen Stils, enthalten

die untersuchten Balladen Alliterationen, Wortspiele, Wortwiederholungen und bestimmte

rhetorische Figuren. Das Wortspiel der folgenden Verse basiert auf zwei fast identen

Derivaten des lateinischen PRENDERE, rumänisches a prinde 'fangen' und a aprinde

'anzünden': „Unii ziceau /Ca să-i prinză, /Alţii ziceau /Să-i aprinză !“ ( 'Die einen sagten,

/daß sie ihn gefangen nehmen sollten, /die anderen, daß sie ihn anzünden sollten', Vîlcan, v

349-352). In rumänischen Balladen sind Vergleiche, Metaphern und Hyperbeln

(Übertreibungen) nicht selten und oft treten sie gemeinsam auf. Gruia, Protagonist der

gleichnamigen Erzählung, wird beschrieben, mit einer Stirn von drei Handbreiten, dem

Blick eines Wolfes (wörtlich. 'ähnlich demjenigen eines Wolfes'), dem Schnurbart, 'wie

beim Krebs', am Hinterkopf einem Haarknoten [so groß], wie eine Faust, einem Grinsen,

wie ein Bär, einem breiten Rücken, schweren Knochen, und Augen, [so dunkel], wie die

Beeren des Feldes: „De trei palme-i lat în frunte... /Apoi căutătura lui /Seamănă cu-a

lupului... /Mustăţile-i, ca la rac, /şi le-nnoadă după cap; /Face nodul cît pumnul /şi rînjeşte

ca ursul... /Lat e-n spate, gros în os... /ş-apoi, ochişorii lui, /Ca murile cîmpului !“ (v 152-

169). Gruia trinkt in drei Tagen und drei Nächten allen Wein des Gasthauses, hunderte

Maße, drei Fässer von Wein, ißt drei Kühe und drei Ofen Brot: „Şi în birt el cît a stat /Tot

vinul că l-a gătat, /Că-n trei zile şi-n trei nopţi /A băut sute de zloţi, /A băut trei buţi de

vin... /ş-a mîncat trei vaci belite /şi trei cuptoare de pite“ (ib. v 83-90). In Voina şi mîndra

lui wird die - zurückgebliebene - Geliebte des Protagonisten zunächst mit einer welken

Blume, dann mit einer vom Wind ausgelöschten Flamme verglichen: „Iară mîndra-i

rămînea, /Rămînea ca vai de ea !/Supărată amărîtă, /Ca o floare dogorită, /Tînăreaţa ei

pierea, /Ca lumina se topea, /Ca lumina cea de ceară /Cînd bate vîntul de-afară“ (v 55-62).

Vor allem im Kampf gegen die Türken erscheinen die rumänischen Protagonisten mit

übergroßer Ausdauer, Stärke, Körpergröße, etc. In Roman Voinicul kämpft der

gleichnamige Protagonist gegen eine Übermacht von Türken einen ganzen Tag und weitere

drei Tage und Nächte, bis er gelb wird im Gesicht, sein Schwert giftig und sein Pferd

verrückt wird: „Tot tăia cît îmi tăia, /Toată ziua păn’nnopta, /şi-alte trei zile şi nopţi, /şi trei

albe dimineţi, /Pănă faţa-i gălbinea... /Săbioara-şi otrăvea, /Murguleţu-şi ’nebunea“ (v 104-

111). Einer der in Badiul auftretenden rumänischen Figuren verstellt mit seinem Rücken

wie eine Mauer den Türken die Tür: „Neculcea uşa proptea, /Zid cu spatele făcea, /Pe toţi

turcii-i închidea" (Badiul, v 848-850; vgl. auch den Vergleich des Protagonisten in

Moldovean Dobrogean mit einem Sturm).

Arabisierte und turzisierte Textwelten

22. Charakteristische Arabismen der Romanzen

Der jahrhundertelange Kontakt der „Hispanen“ mit fremden, islamischen bzw.

islamisierten Ethnien hatte großen Einfluß auf ihre Sprache(n), insbesondere, was den

Wortschatz betrifft. Bis heute ist der Prozentsatz von Arabismen im Kastilischen sehr hoch

und betrifft viele semantische Bereiche (cf. LRL, 1989, Artikel 495.). In den Romanzen, die

über die Figur des Mauren und seine Welt erzählen, scheinen lexikalische Anleihen aus

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dem Arabischen verwendet zu werden, um eine besondere Atmosphäre zu kreieren. Mit

großer Regelmäßigkeit kehren in Verbindung mit dieser Figur sprachliche Assoziationen

wieder, die ihn in bestimmter Weise charakterisieren. Häufig ist er beispielsweise

Teilnehmer einer zambra, einem typischen Gesellschaftsereignis unter den Mauren, bei

dem es Tanz und Musikbegleitung gibt: 'orquesta morisca', 'baile de moros', 'fiesta morisca

con música y algazara', del ár. Zmr 'instrumentos musicales'' (DCECH 1954, s.v.). Der

Definition dieses Lemmas in Aut. zufolge, nehmen an einer zambra vor allem Angehörige

der höheren Gesellschaftsschichten teil: „Junta de personas de estimacion y gerarchía, para

festejarse con instrumentos, y báiles cortesanos. Tómase por el mismo báile, o danza entre

muchos“.

Romanzendichter bauen häufig arabische Begriffe in ihre Textwelten ein. Im folgenden

geben wir eine selektive Liste der in unseren Quellen enthaltenen Arabismen. Sie lassen

sich unterschiedlichen semantischen Feldern zuordnen. Am frequentesten treten in den

romances moriscos onomastische Arabismen auf. Auffallend häufig finden wir Namen, die

- wie der bestimmte Artikel des Arabischen - mit dem Vokalphonem a beginnen. Der

folgende Auszug soll einen Eindruck der in den Romanzen reflektierten arabischen oder

arabisierten Onomastik geben. Nicht alle Namen wissen wir, in eindeutiger Weise zu

übersetzen. Wir geben im folgenden diejenigen Bedeutungen an, die sicher oder möglich

sind bzw. deren Bedeutung sich aus dem Kontext der Erzählung zu bestätigen scheinen.

Frau Julia Maria Carabaza Bravo, Professorin an der Philologischen Fakultät der

Universität von Sevilla (Facultad de Filología, Estudios Arabes e islámicos) hat uns auf

verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten hingewiesen. Von ihr stammt auch der Hinweis,

daß viele der Namen, die im Romancero General vorkommen, mit der Zeit der Nasriden,

der letzten spanisch-arabischen Dynastie in Granada (1238-1492) in Verbindung gebracht

werden können.

Mehrmals treffen wir in unseren Quellen auf den Namen (A)Bencerraje. Die EUIEA gibt

uns für diese Bezeichnung die Definition von „Sinónimo de torpe, bruto; de bruscos

modales“ und fügt als Beispiel hinzu „Peor que un abencerraje“, das folgendermaßen

erläutert wird: „Se aplica al obstinado y violento en sus pasiones“ (ib., s.v.). (A)Bencerraje

bedeutet also 'sehr grober, sehr brutaler Mensch'. Die Namen, die die maurischen

Protagonisten unserer Quellen tragen, sind desweiteren Abenámar 'der Sohn des Roten',

„hijo del rojo“; Abenhumeya 'der Sohn des Omeya', „hijo del omeya“; Abindarráez 'der

Sohn des Anführers', „hijo del jefe“; (A)Bindarraja 'der Sohn der Verleumderin', „hijo de

la calumniadora“. In einer Serie von Romanzen trägt der maurische Protagonist die

Bezeichnung Adalid bzw. Adalife. Die Bedeutung diese Wortes ist „'guía', del derivado dall

'enseñar el camino'“, also 'Führer (der, der den Weg zeigt)' (DCECH), was mit einem

Vergleich der Angabe in der EUIEA bestätigt wird: „Caudillo, jefe, cabeza, general,

comandante, capitán, etc.“; im 15./16. Jahrhundert trugen die Söldner des spanischen

Heeres diesen arabischen Titel, später wurde er durch eine romanische Bezeichnung

ersetzt: „Empleo de la milicia antigua espanola, que después se llamó Maestre de Campo

General (siglos XV y XVI)“ (cf. EUIEA, s.v. Adalid und Adalid Mayor). Weitere in

unseren Quellen reflektierte Arabismen sind Alarbes 'die Araber' - mit

Bedeutungsspezifizierung -; Albayaldos, das mit der ursprünglichen Bedeutung von 'weiß,

Weißheit' in Zusammenhang zu bringen ist: „del ár. bayâd 'blancor', etc.“ (DCECH, s.v.

Albayalde); Albençaidos, möglicherweise 'der Sohn des Führers', „hijo del líder“; Alfaquí

'der Rechtssprechende', „el jurisconsulto“ oder, nach dem DCECH, „'doctor o sacerdote

musulmán', del ár. faqîn 'teólogo y jurisconsulto'“; Alia, möglicherweise 'die Erhabene';

Aliatar, „el droguero“ (diese Bedeutung des Namens wird aus dem Kontext der Texte nicht

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bestätigt); Almançor, 'der Siegreiche', „el victorioso“; Almoradí, möglicherweise 'das

Ersehnte', „lo deseado“; Audalla, möglicherweise 'Gottesdiener', „siervo de dios“; Azala,

ein Name der dem DCECH und der GDEP zufolge als 'das Gebet, die Bitte' zu übersetzen

ist: „oración mahometana“, „Entre los mahometanos, oración, ruego o súplico“; Azarque,

möglicherweise 'der Orientale'; Balaja / Balaxa, der Name eines Edelsteins und die

persische Provinz, aus der er bezogen wird (vg. EUIEA und DCECH, s.v.). Weitere in

unseren spanischen Quellen aufscheinende Eigennamen sind Celinda(ja) bzw. Zelinda(ja),

das mit celinda, einer weißblühenden Frühlingsblume, die in Armenien und im Kaukasus

beheimatet ist, in semantischem Zusammenhang zu stehen scheint (vgl. GDEP, s.v.);

Ga(n)zul, möglicherweise eine bestimmte Pflanzenart, „planta jabonera“ (diese Bedeutung

des Namens wird aus dem Kontext der Texte nicht bestätigt); Hamete, möglicherweise 'der

am höchsten Gelobte', “el más loado“; Mohacén, 'der zum Gebet Rufende', „almuédano,“;

Muley (Rey de Granada) 'Herr', „dueno, senor“; Muça, deutsch Moses; Reduan 'Erfüllung',

„satisfacción“; Sarracines 'die Orientalen', „orientales“; Tarfe, ein Name, der

bedeutungsmäßig mit 'der/das Ferne' verwandt ist (cf. tunesische Toponyma, wie „Tarfaia

ó Tarfaya“ und den Eintrag zu diesem Lemma in der EUIEA); Xarifa / Xarife 'der Adlige',

„noble“; Zegrí 'der von der Grenze', „fronterizo“; Zulema / Zulima, 'Frieden' („En ar.

salam, paz“, cf. GDEP, s.v.).

Es treten in unseren Quellen auch Figuren auf, die kontextuell der maurischen Welt

angehören, jedoch Namen tragen, die nicht arabischer Herkunft sind. Diese sind

beispielsweise Agramonte, Arbolán, Celia oder Celio, Celaura, Doralice, Gomel, Maca,

Vanegas. In einigen anderen Fällen scheint es sich desweiteren, eher als um Arabismen, um

arabisierte Namensbezeichnungen zu handeln. Einer der primären Protagonisten der

Romanze Aquel Moro enamorado heißt beispielsweise Adulce. Im Laufe der Erzählung

wird diesem Mauren von einem anderen vorgeworfen, wegen seiner Liebesgefühle dem

Schlachtfeld fern zu bleiben. Dieser Kontext legt es nahe, in dem Namen desjenigen der

von Liebesgefühlen geleitet, in gewissem Sinn also verweichlicht / süß ist, das spanische

Lexem dulce 'süß' zu erkennen. Das prothetische a des Namens (A-dulce) könnte eine

Analogie zu den vielen im Romancero General erwähnten arabischen Eigennamen sein,

die mit diesem Laut des bestimmten Artikels beginnen.

Außer Eigennamen spiegelt die sprachliche Welt der Romanzen Begriffe wider, die, wie

schon erwähnt wurde, unterschiedlichen semantischen Bereichen angehören und die Welt

der Araber (oder Arabisierten) fragmentarisch skizzieren. In den untersuchten Texten

werden beispielsweise immer wieder bestimmte Titel genannt, die ihre Träger als Beamte

hoher Funktion auszeichnen. Zu diesen Titeln gehören zum Beispiel der alcaide, der

alcalde, der alfaquí, der alférez, der arráez. Im DCECH wird alcaide als aus dem

arabischen qâ’id stammend und mit der Bedeutung „'capitán','gobernador de una ciudad'“

erklärt (ib., s.v.). Aut. liefert uns eine genauere Beschreibung dieser Funktion: „La persona

que tiene a su cargo el guardar y defender por el Rey, o por otro senor alguna Villa,

Ciudad, fortaleza, o castillo, que se le ha entregado para este fin debaxo de juramento, y

pléito homenáje“ (ib., s.v.). Das Lexem alcalde stammt von der arabischen Bezeichnung

für 'juez', das Wort alfaquí aus dem arabischen Wort „faqîn“ 'teólogo y jurisconsulto' und

bedeutet 'doctor o sacerdote musulmán' (cf. DCECH, s.v.). Der Arabismus alférez weist

ursprünglich einen hohen militärischen Repräsentanten des berittenen Heeres aus:

„'abanderado en el ejército', ant., 'subteniente', mod., del ár. fâris, 'jinete, caballero'“ (cf.

DCECH, s.v.). Eine ähnliche Definition gibt Aut: „El Cabo u Oficial que tiene a su cargo

llevar la bandéra en su companía, ya sea de infantería, u de caballería, y marcha en el

centro de ella (...)“, ((alférez mayor)) „El que tiene esta Dignidád en algun Réino, o

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Ciudád. Antiguamente mandaba todo lo militar, y llevaba el pendón Real“ (ib., s.v.).

Arráez ist, dem DCECH zufolge, der Titel der einen maurischen Anführer oder Kapitän

auszeichnet, „'caudillo moro', 'patrón de barco'“ (ib., s.v.; vgl. die Definition als 'caudillo' in

Díaz-Mas 1994:182).

Auch in der Beschreibung des äußerlichen Auftretens der Protagonisten werden eine Reihe

von Arabismen verwendet. Die Erzählfiguren tragen mit großer Frequenz einen albornoz.

Das DCECH weist bei diesem Eintrag nur auf den arabischen Ursprung hin, (cf. dazu auch

Dozy & Engelmann 1982, s.v.). Aut. erklärt dieses Wort als Bezeichnung für einen

Maurenumhang mit Kapuze aus besonders resistentem Wollstoff: „Espécie de tela de lana,

que se labraba sin teñir, texiendo la hilaza de su estambre mui torcida y fuerte a manera de

cordoncillo, de la qual usaban los Moros para capótes con capilla, o capiróte para defensa

de las nieves, aguas, y muy malos temporales“ (ib., s.v.). Auch die ebenso häufig in

unseren Texten erwähnte marlota ist eine arabische Bezeichnung für ein bestimmtes

Bekleidungsstück. Wir zitieren nachstehend die Definitionen, die uns das DCECH und Aut.

für dieses Lexem geben: “'saya', 'hábito de monje'; „Cierta especie de vestidúra morisca, a

modo de sayo vaquéro, con que se cine y aprieta el cuerpo. Es trage que se conserva para

algúnos festéjos“ (ib., s.v.). Wir können uns also unter marlota eine den Körper lose

umschließende Kleidung vorstellen, die von den Mauren bei festlichen Anlässen getragen

wurde.

Auch die almalafa ist hispanoarabischen Ursprungs und bezeichnet einen großen, den

ganzen Körper umschließenden Umhang: „especie de manto o velo grande con que se

cubren los moros de la cabeza a los pies, del hispanoárabe malháfa“ (DCECH, s.v.). Ein

weiteres, arabisch bezeichnetes und typisches Kleidungsstück der Mauren ist der alquicel

oder alquicer, im DCECH als 'vestidura morisca a modo de capa' definiert (ib., s.v.). Auch

der almaizar ist ein Arabismus, der ein Tuch bezeichnet, das der Maure am Kopf trägt und

das bis zu den Schultern reicht: „'toca usada por los moros', del ár. mí’zar 'especie de velo

con que los moros se envolvían la cabeza dejando caer las puntas sobre los hombros'“ (ib.,

s.v.). Aut. beschreibt denselben Ausdruck als buntgestreiften, mit Fransen versehenen

Kopfschmuck bzw. Tuch: „Toca de gala, que los Moros usaban en la cabeza por gala. Era

listáda de colóres, y con rapacéjos y fluecos que adornaban los extremos, para que

colgando estos de la cabeza sirviessen de mayor adorno y gala“ (ib. s.v.). Die oft in unseren

Quelle erwähnte toca ist möglicherweise ein Arabismus, der aus der persischen

Bezeichnung für 'velo, pañuelo, chal' stammt, also ebenso wie almaizar ein bestimmtes

'Tuch' bezeichnet.

Ebenso arabische Etymologie hat der acicate, ein eindorniger Eisensporn: „'espuela con

una punta de hierro para picar al caballo', origen incierto, seguramente del ár. sikkât plural

de síkka 'punzón', 'piquete de hierro'“ (DCECH, s.v.). Die Protagonisten der spanischen

Romanzen tragen desweiteren häufig Waffen, deren Bezeichnungen arabische sind. Zu

ihnen zählen insbesondere die adarga und der alfanje. Ersteres ist ein klassisches Wort aus

dem Arabischen und bezeichnet ein Schild, das aus verschiedenen Häuten hergestellt sein

kann: „(...) adarga se tomó del ár. dáraqa, que designa especialmente un escudo hecho con

pieles de paquidermos o de reptiles, y luego cualquier escudo. Es palabra clásica en árabe“;

der alfanje wird als „'punal', 'espada corta'“, also als 'Dolch' oder 'kurzes Schwert' erklärt

(DCECH, s.v.). Aut. erklärt alfanje als ein breites, gebogenes Schwert, „Espécie de espada

ancha y corva“ (s.v.). Bei der oftmals maurische Protagonisten ausstattenden cimitarra

dürfte es sich ebenfalls um eine bestimmte Art von Schwert handeln, allerdings ist der

Ursprung des Wortes unklar. Es könnte sich jeoch um eine arabisch vermittelte Entlehnung

aus dem Persischen handeln (DCECH, s.v.). Die cimitarra ist, Aut. zufolge, ein scharfer,

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breiter, etwas gekrümter Säbel aus Eisen mit spitzem Ende: „Arma de acéro de tres dedos

de ancho, de vara de largo, poco mas, o menos: el corte mui afilado, algo corvo, y remáta

en punta“ (s.v). Das GDEP gibt den Ursprung dieses Wortes aus dem arabischen simsara

an, ein an der Spitze etwas breiter werdendes Krummschwert von ca. ein Meter Länge, das

im Orient Verwendung fand.

Ein frequent in den Romanzen wiederkehrender Begriff ist alcázar, der im DCECH als aus

dem Arabischen stammend und mit der Bedeutung 'Festung, Palast' erklärt wird (s.v.).

Interessant sind auch die Erklärungen, die das PDE zu diesem Wort hinzufügt. In seiner

frühesten Bedeutung wäre alcázar mit der Vorstellung von 'Größe', 'Würde' in

Zusammenhang zu bringen, da die Wichtigkeit, sich zu verteidigen, von der sozial-

politischen Größe bzw. Würde eines Mannes abhängig war. Der Sitz hoher und der

höchsten Würdenträger wäre immer ein alcázar: „la idea de grandeza y de dignidad es

anterior, en la palabra alcázar, a la idea de fortificación. Claro es que en aquellos tiempos

belicosos, la necesidad de defenderse y encastillarse estaba en proporcion directa de la

importancia del personaje. Así es que los grandes dignatarios, los representantes del poder

social, tenían que morar en casas defendidas; esto es, en alcazabas. Estas alcazabas no

eran simples baluartes, meras fortalezas, meros castillos; sino la morada feudal de los

senores de aquel tiempo. De aquí viene que alcázar conserva un algo aristocrático y

senorial, que lo distingue de palacio. (...) El alcázar, sea cual fuere su magnificencia, es

precisamente la morada del rey“ (cf. PDE, s.v.). Häufig fällt einem alcaide die Funktion

zu, über einen alcázar zu wachen (cf. supra) . In der Romanze Moro enamorado -

Textnummer 55. des Romancero General - herrscht beispielsweise der Maure Albencaide,

wie es der Erzähler darstellt, über die Festung und den Turm von Sevilla: „Alcaide en

Sevilla /del Alcácar y la torre“ (v 20-21).

Arabische Entlehnungen finden wir desweiteren als Toponyma oder urbanistische

Bezeichnungen, wie beispielsweise Alhambra, ursprünglich 'die Rote' bedeutend (cf. EUI,

s.v.) oder arrecife „'calzada', 'afirmado de un camino'“, also ein 'befestigter Gehweg',

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desweiteren Bezeichnungen für bestimmte wertvolle Objekte bzw. Schmuckstücke, wie

etwa aljófar, 'ein Schmuck aus kleinen Perlen', sowie Namen für bestimmte

Musikinstrumente, wie z.B. añafil, eine 'Art von Trompete', die als Angriffssignal

verwendet wurde, oder auch sprachliche Ausdrücke, wie etwa die algazara, die im DCEC

als „'locuacidad', 'murmullo', 'ruido', derivado del vebo gazzar 'abundar', 'hablar mucho'“

erklärt wird (s.v.), was als 'eine Art Ausruf' verstanden werden kann und in unseren Texten

die Freude des Protagonisten signalisiert. Oft trägt der maurische Protagonist eine Kamee,

spanische camafeo, eine 'Art von Edelstein' bzw. das daraus gefertigte 'Figürchen', wie es

im DCEC und in der EUIEA angegeben wird (s.v.). Während ersteres auf die

altfranzösische Etymologie hinweist („tomado del fr. ant. camüieu“), weist das zweite

Werk auf die orientalische Herkunft dieses Steins und eine mögliche arabische Etymologie

hin: „kamaa, relieve“ an: „Figura grabada de relieve en piedra preciosa, cuyo fondo es

regularmente obscuro // La misma piedra labrada“; „(...) Según Plinio, de los ríos de la

India, de las montanas de Arabia y del Alto Egipto hacían llevar los antiguos las piedras

preciosas sobre las que grababan los camafeos“ (ib. s.v.).

23. Charakteristische Turzismen der Balladen

Das Osmanische Reich hatte über Jahrhunderte hinweg - mit mehr oder weniger Erfolg - ,

versucht, sich die Balkanländer einzuverleiben. Ein sprachlicher Hinweis für das Interesse,

das die Hohe Pforte für den Osteuroparaum im allgemeinen hatte, ist die aus dem

Türkischen stammende Bezeichnung Balkan, die ursprünglich 'bewaldete Bergkette'

bedeutet (cf. Jelavich 1993, vol. I, Introduction). Wegen der jahrhundertelangen politischen

und diplomatischen Beziehungen der Rumänischen Länder mit der Hohen Pforte und der

Nähe dieser Länder zu anderen, Balkanländern türkischer Herrschaft hat das Rumänische -

auf direktem oder indirektem Weg - viele Wörter aus dem Türkischen (Turzismen)

entlehnt. Am stärksten sind diese Entlehnungen in Texten aus dem 16. und 17. Jahrhundert

zu beobachten, seit dem 18. und vor allem im 19. Jahrhundert verschwinden viele

Turzismen aus dem Rumänischen, aber bis heute werden in der rumänischen

Alltagssprache Begriffe aus dem Türkischen verwendet (cf. cafea, tutun, telemea, bacşiş,

cearşeaf, etc.).

Da das Alter bzw. die Entstehungszeit der Balladen nicht wirklich präzise festzustellen

sind, können wir nicht immer wissen, ob die Verwendung eines Turzismus ein stilistisches

Mittel ist, oder ob sie - in gewissem Sinn der Epoche gerecht - gewöhnlich, also

semantisch „unmarkiert“ ist. Die untersuchten Texte enthalten eine ganze Reihe von

Wörtern türkischer Etymologie. In der Ballade von Badiul beispielsweise wird in den

Versen 171-172 erzählt, wie sich Türken dem Schlaflager ihres Feindes nähern: "şi turcii se

grămădea, /La iatac i se ducea". Das Wort iatac, 'Schlafstätte', stammt aus dem Türkischen

(das heute verwendete Wort ist das nach lateinischen Muster gebildete dormitor). In

derselben Geschichte wird erzählt, wie der gleichnamige Protagonist Badiul sein eigenes

Haus anzündet, um die darin von ihm getöteten Türken, wie er wörtlich sagt, das

'Schlachthaus', zu verbrennen: „Foc la case că dedea, /Să arză zalhanaua“ (v 916-917). Der

im Text erwähnte Ausdruck zalhana, 'Schlachthaus', ist ein Wort türkischer Herkunft

(heute ist das aus dem Französischen bzw. Lateinischen abgeleitete abator gewöhnlich).

Die Heldenlieder enthalten zahlreiche Turzismen, die vom Textproduzenten „eingebaut“

worden sind, um der dargestellten Textwelt orientalische Atmosphäre zu verleihen. Um

einen Eindruck dieser sprachlich spezifischen Welt wiederzugeben, führen wir im

folgenden eine selektive Auswahl von Wörtern aus dem Türkischen an, die sich in den

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untersuchten Balladen mit Regelmäßigkeit wiederholen. In unseren Definitionen und

Erklärungen dieser Begriffe beziehen wir uns, wenn es nicht anders angegeben wird, auf

das von I.-Aurel Candrea & Gh. Adamescu herausgegebene Dicţionarul enciclopedic

ilustrat "Cartea Românească", ein illustriertes enzyklopädisches Wörterbuch, das von

1926-1931 im gleichnamigen Verlag "Cartea Românească" in Bukarest erscheint. Unsere

Quellen reflektieren manchmal regional-gefärbte oder mündliche Aussprachevarianten ein

und desselben Begriffs. Wir führen im folgenden jeweils das rumänische Lexem an, wie es

im Wörterbuch von I.-Aurel Candrea & Gh. Adamescu verzeichnet ist.

Es treten in unseren Texten auffällig häufig türkische Protagonisten auf, die die Hohe

Pforte politisch oder militärisch repräsentieren. Den Angaben des erwähnten Wörterbuchs

und Amzulescus zufolge sind die genannten Figuren - aus historischer Sicht -

unterschiedlichen militärischen Rängen zuzuordnen. In den Erzählungen werden uns kaum

oder nur fragmentarisch Definitionen gegeben, welchen Status, Rang oder welche Funktion

die einzelnen dieser Erzählfiguren einnehmen. Manchmal können wir aufgrund des

Kontexts der Erzählung den hierarchischen Status eines Protagonisten erkennen. Es ist

beispielsweise der ceauş, der häufig als einziger von einer Gruppe von Türken sprechend

auftritt, aufgrund dieser Konstellation also der Anführer zu sein scheint. Der caimacam

vertritt den Großwesir und ist zuständig für die Bewachung der Stadt und Abgaben der

Bürger: "Locţiitor al marelui Vizir, însărcinat cu paza oraşului şi cu conducerea trebilor

împărăţiei". Der aga oder beşleagă bezeichnet den ehemaligen, das Korps der Janitscharen

anführende Offizier („căpetenie militară“, „ofiţer turc - în spec. comandantul ienicerilor -

“). Auch die in den Texten erwähnten buli-başa / bulubaşă / buluc-başă und beşliu - im

Text beşlii, beşleagă, beşlegi - führen Soldatentruppen an. Der ceauş wird erklärt als

'türkischer oder tatarische Kurier / Eilbote', der deli-başa als einstiger Anführer der

fürstlichen Bewachungstruppe ("seful gărzii domneşti, căpetenia deliilor"; cf. Amzulescu,

III: 446), der ius-başa als ehemaliger Befehlshaber der Lanzenträger, die den Eingang des

Palastes bewachen: "căpitan peste o sută de fustaşi care păzeau la poarta curţii" (cf.

Amzulescu, Band III: 456). Andere, in unseren Texten enthaltene, Turzismen bezeichnen

ehemalige, türkisch-osmanische Krieger(-truppen). Der ienicer oder ianicer, - deutsch

Janitschare -, war ursprünglich ein mit der Bewachung des Sultans betrauter Infanterist:

„Soldat dintr’ un corp de pedestrime turcească care forma garda sultanilor“. Der deliu

gehört dem leichten Kavalleriekorps an. Der başibuzuc bezeichnete ursprünglich einen

freiwilligen Soldaten („I. soldat voluntar din trupele neregulate ale armatei turceşti“),

dieselbe Bezeichnung wurde aber auch zum Synonym für 'gewalttätiger Mensch' („II. om

violent, turburător“). Der spahiu ist ein berittener Soldat der türkischen Armee.

Unsere Quellen enthalten auch einige Wortentlehnungen gesellschaftspolitischer und -

struktureller Ordnung. Immer wieder werden erwähnt der sultan, der die höchste

hierarchische Ebene der Gesellschaft einnimmt, und der, ihm in der Hierarchie folgende

vizir, der gewissermaßen „erste“ Minister des Sultans. I.-Aurel Candrea & Gh. Adamescu

definieren diese Bezeichnung als: "Numele miniştrilor împărăţiei otomane; in spec. marele-

vizir, primul ministru al Sultanului". Häufig tritt auf / wird genannt ein paşa (deutsch

Pascha), ein weiterer Titel des Herrschers einer türkischen Provinz, eines Wesirs oder

anderen hohen Würdenträgers, wenn wir I.-Aurel Candrea & Gh. Adamescu bezüglich

dieses Eintrags konsultieren: "Guvernatorul unei provincii, la Turci","titlu oficial al

vizirilor şi al unor înalţi funcţionari", ib. s.v.). Der Khan, rumänisch han, ist der Herrscher

bzw. hierarchisch höchste Anführer der Tataren, insbesondere der Krimtataren. Der

Ausdruck bei ist ein türkischer Titel, der den Herrscher einer Provinz oder einer Stadt

betitelt: „Titlu dat de Turci guvernatorului unei provincii sau unui oraş“. Die raia ist eine

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Wien, am 02.06.11, Seite 73 von 259

'unter türkischer Herrschaft befindliche Festung oder Gegend' („Cetate sau ţinut sub

stăpînirea sau sub suzeranitatea Turcilor“). Der haraci ist der jährliche Tribut, der von den

Christen der Pforte abgeliefert werden mußte („tribut anual pe care îl plăteau sultanului

ţările creştine supuse turcilor; tribut; dare“ (cf. Amzulescu, vol. III: 453). Durch den firman

oder ferman wird der Sultan von seinen Untergebenen unterrichtet („Poruncă scrisă a

Sultanului“; cf. Ballade von Stoian-Bulibaşa, v 35-39). In vielen Texten wird eine cadînă

oder - in der Mehrzahl - cadînime erwähnt, die Frau(en) eines Türken („Turcoaică, nevasta

unui Turc“). Der harem ist ein im Sultanspalast oder anderem reichen Haus, der Herrin und

den Frauen vorbehaltener Raum bzw. ihre gemeinsame Gesellschaft. Eine - in der Ballade

von Iancul Mare auftretende Bula-împărătească wird im Text als eine 'aus der Türkei

stammende Frau' definiert: „Doamna din ţara turcească“.

In vielen Texten prägen typische Ausstattungselemente oder Kleidungsstücken die

Erscheinung des Türken. Zu diesen Elementen zählen die cealma, der 'Turban', das cimbir,

ein bestimmtes türkisches 'Kopftuch', die şalvari eine, nach der Definition von I.-Aurel

Candrea & Gh. Adamescu, bestimmte Art von beinlangen, ab dem Knie das Bein eng

umwickelnde Hosen: „Nădragi foarte largi şi numai de la genunchi în jos strînşi pe picior

(cum poartă Turcii, ţăranii din unele părţi ale Munteniei şi odinioară boierii noştri...), ((tc.

salvar))“. Wie aus diesem Zitat hervorgeht, wurde diese Mode von der Bevölkerung

einiger Regionen Munteniens und von der Bojarenklasse übernommen. Genannt wird

mehrmals auch die pafta, eine Art Spange oder Klammer für den Gurt („Agrafa unei

cingători“), die die Türken als Geschenke darbieten (cf. z. B. Amzulescu, vol. II, Ballade

Nummer 93, v 297).

Eine Waffe, die der Türken häufig an sich trägt, ist der hanger, der an der Taille getragene

türkische Krummsäbel („Pumnal încovoiat ce poartă Turcii la brîu“). Im dtv. Lexikon wird

der Handschar bzw. Kandschar erklärt als ein „seit dem 16. Jh. als Hiebwaffe

aufgekommenes arabisch-türk. Krummschwert mit zweifach (im oberen Teil konkav, im

unteren konvex) gebogener, in einer Spitze auslaufender Klinge“. Dieselbe Waffe wird in

unseren Texten auch als iatagan bezeichnet („Sabie încovoiată, cu două tăişuri, purtată de

Turci la brîu“). In einer Reihe von Texten werden türkische Münzen unterschiedlichen

Werts genannt. Unter ihnen hat die para, der Definition von Al. Amzulescu nach, den

geringsten Wert, sie ist der vierzigste Teil eines Leu: „Mică monedă, de origine turcească,

a patruzecea parte dintr’un leu vechiu“ (cf. 1964, vol. II: 455, 456). Der iusluc ist eine

Silbermünze („monedă turcească de argint valorînd o sută de parale“), die mahmudea und

der irmilic bestehen aus Gold („Veche monedă de aur, bătută de sultanul Mahmud II

(1785-1839)“, „monedă turcească de aur“). Außer diesen Währungsbezeichnungen werden

auch genannt der smaragd, ein 'Edelstein', (cf. Iancul Mare, v 52-59) oder der ibrişim /

ibrişin, eine, zur Brokatanfertigung bestimmte Seidenart („Mătase răsucită, pentru cusut

sau brodat“). Begriffe des Gesellschaftslebens sind beispielweise der ciubuc, eine im

Orient verwendete 'langröhrige Pfeife' („Pipă orientală cu ţeavă foarte lungă“), der tutun,

'Tabak', aus dem türkischen tütün, der divan, ein breites, niedriges und mit Teppichen

ausgestattetes Bett („Pat de scînduri, foarte lat, puţin ridicat de la pămînt, aşternut cu

covoare, pe care se dormea sau se şedea odinioară“). Das Rumänische hat auch

„synkretische“ Wortbildungen entwickelt. In dem in einer Reihe von Texten verwendeten

Verbalsyntagma a da samasalîc, 'eine Verbeugung machen', verbinden sich ein aus dem

Latein stammender Teil, a da, mit dem Turzismus samasalîc. Vereinzelt werden auch

Flüche, Ausdrucksformeln der Freude, wie işala, und Grußformeln der türkischen Sprache

wiedergegeben. Als eine leichte Form der Beschimpfung definiert Al. Amzulescu den

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türkischen Ausdruck anasîni („înătură trivială turcească“, cf. vol. III: 430), selamlîc ist, I.-

Aurel Candrea & Gh. Adamescu zufolge, ein Gruß nach türkischer Sitte.

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TEIL II: EXEMPLARISCHE TEXTANALYSE

Der vorliegende Abschnitt umfaßt insgesamt 43 Textanalysen. Die Anzahl der

ausgewählten spanischen Quellen ist dabei geringer, als diejenige der rumänischen

Quellen. Diese Asymmetrie rechtfertigt sich durch die unterschiedliche „Quantität“ der

Beschreibungsparameter, mit der die Figur des Anderen in spanischen Romanzen und

rumänischen Balladen dargestellt wird.

24. Untersuchung und Interpretation von Romanzen

Wir analysieren im folgenden 18 für die Darstellung des Mauren besonders repräsentative

Texte aus den ersten drei Teilen des Bandes III. der Anthologie von A. González Palencias

Romancero General (1600, 1604, 1605). Sie werden im folgenden jeweils mit ihrem ersten

Vers angegeben. Es handelt sich um die Romanzen 1. Azarque indignado y fiero (sie

entspricht in der Anthologie von González Palencia der Textnummer 2.), 2. Por la placa de

Sanlúcar (Nr. 7.), 3. El mayor Almoralife (Nr. 13.), 4. Aquel rayo de la guerra (Nr. 54.), 5.

Aquel Moro enamorado (Nr. 55.), 6. Una parte de la vega (Nr. 56.), 7. Galanes, los de la

Corte (Nr. 58.), 8. Ocho a ocho y diez a diez (Nr. 59.), 9. Abindarráez y Muça (Nr. 62.),

10. Cubierta de treze en treze (Nr. 70.), 11. El gallardo Abenhumeya (Nr. 96.), 12.

Abrasado en viva llama (Nr. 136.), 13. En dos yeguas muy ligeras (Nr. 137.), 14. Aquel

firme y fuerte muro (Nr. 139.), 15. Con semblante desdenoso (Nr. 166.), 16. «Azarque,

Moro valiente» (Nr. 173.), 17. El bizarro Almoralife (Nr. 179.), 18. Mira, Tarfe, que a

Daraja (Nr. 187.).

24.1. Romanze Azarque indignado y fiero

Diese Romanze von Lope de Vega schildert in 104 Versen die Herausforderung zu einem

Duell, die der Maure Azarque an den Mauren Albayaldos richtet. Azarque handelt aus

Kränkung, da Albayaldos mit der Hilfe eines dritten Mauren, Zulema, ihm seine Geliebte

weggenommen hat. Außer den drei genannten Erzählfiguren, treten auf ein Rey tirano (v

24) und eine Figur, die als de Olivos erwähnt wird (v 25-26). Der letzte Name läßt an die

vulgärlateinische Form OLIVUS 'Olive' denken. Die ethnische Zugehörigkeit des Königs und

des de Olivos ist unklar.

Namen / Bezeichnung:

a) Schon der erste Vers nennt namentlich den wichtigsten Protagonisten der Handlung,

Azarque. Joan Corominas verzeichnet in seinem Diccionario crítico etimológico de la

lengua castellana (11954) das Wort azaque mit der Bedeutung "tributo religioso que pagan

los musulmanes por sus bienes". Der Name des Protagonisten könnte mit diesem Begriff

zusammenhängen. Auch eine andere, mögliche Bedeutung des Namens als 'der

Orientalische' (cf. Arabismen) spiegelt eine Assoziation mit der Welt des Mauren wider.

b) Azarque sucht einen anderen Mauren, der den Namen Abenamar, trägt: "por Abenamar

pregunta" (v 23). Die Figur wird im Text nicht weiter beschrieben, sodaß die Deutung des

Namens 'Sohn von, der Rote'offen bleiben muß (cf. Arabismen).

c) Azarque beschimpft einen anderen Mauren, der ebenfalls namentlich genannt wird: "de

Albayaldos... /malamente blasfemaba" (v 25-26). Die Bezeichnung Albayaldos wird in

verschiedenen einschlägigen Werken mit der ursprünglichen, arabischen Bedeutung von

'weiß, Weißheit' in Zusammenhang gebracht (cf. Arabismen).

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d) In Vers 41 wird ein vierter Maure erwähnt. Der ihm zugeschriebene Name Zulema ist

arabischen Ursprungs und könnte (einen Wunsch nach) 'Frieden' zum Ausdruck bringen

(cf. Arabismen).

e) Eine Maurin, die nicht weiter handelnd auftritt, wird ebenso namentlich erwähnt. Sie

wird mit dem Eigennamen Zelindaja eingeführt, dann als dama und schließlich mit dem

nomen gentis als (La) Mora bezeichnet (v 21/42/63).

Der Name Zelindaja könnte, wie schon erwähnt worden ist, mit celinda, einer

weißblühenden Frühlingsblume, die in Armenien und im Kaukasus beheimatet ist (cf.

PLAZA, s.v.), verwandt sein. Demnach würden in der Bezeichnung der Maurin die

Vorstellung von physischer Schönheit / Zartheit wie auch einer fernen, exotischen Welt

mitschwingen. Unter dem Lemma dama gibt Aut. folgende Erklärungen: "Muger hermosa y

bizarra, que ostenta lozanía y belleza..."; "(...) qualquier Senora noble, de calidád conocida,

que no tenga mucha edád."; "(...) la muger galanteada y pretendida de algun hombre", etc.

(ib. s.v.). Die Bezeichnung der Maurin als dama impliziert folglich das Bild einer Frau, die

schön, von hoher gesellschaftlicher Herkunft und gleichzeitig eine "zu Umwerbende" ist.

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Zur Ausstattung des Protagonisten gehören canas, bohordos, adarga (cf. supra v 8). In

Aut. wird unter dem Eintrag canas und dem Syntagma correr oder jugar canas folgende

Erläuterung gegeben: "Juego o fiesta de acaballo, que introduxeron en Espana los Moros, el

qual se suele executar por la Nobleza en ocasiones de alguna celebridad". Es handelt sich

also um ein von den Mauren in Spanien eingeführtes Turnierspiel zu Pferd, an dem vor

allem der Adel teilnahm und das zu bestimmten festlichen Gelegenheiten veranstaltet

wurde. An dem Turnier nehmen mehrere Reitergruppen teil, die sich durch unterschiedlich

gewählte Farben voneinander unterscheiden. In der linken Hand tragen die Reiter des

Turniers ein Lederschild, daß das Symbol und die Devise der jeweiligen Gruppe zeigt; die

rechte Hand trägt einen reich verzierten Ärmel, derjenige der linken Hand bleibt unter dem

Schild verborgen: "Fórmase de diferentes quadrillas, que ordinariamente son ocho, y cada

una consta de quatro, seis u ocho Caballéros, segun la capacidad de la plaza. Los

Caballéros ván montados en sillas de ginéta, y cada quadrilla del colór que le ha tocado por

suerte. En el brazo izquierdo llevan los Caballéros una adarga con la divísa y mote que

elige la quadrilla, y en el derecho una manga costosamente bordada, la qual se llama

Sarracena, y la del brazo izquierdo es ajustada, porque con la adarga no se vé". Im Spiel

teilen sich die Reitergruppen in weitere Gruppen, die sich paarweise formieren und,

während sie verschiedene Figuren bilden, sich gegeneinander mit Schwertern bekämpfen:

"El juego se executa dividiendose las ocho quadríllas, quatro de una parte y quatro de otra,

y empiezan corriendo paréjas encontradas, y despues con las espadas en las manos,

divididos la mitad de una parte y la mitad de otra, forman una escaramuza partida, de

diferentes lazos y figúras". Dann treten kleinere Gruppen von Spielern gegeneinander mit

Wurfrohren von drei bis vier Ellen Länge, die in der rechten Hand getragen werden, an.

Nacheinander reiten Reitergruppen in gestrecktem Galopp aufeinander zu, wobei

Wurfspeere auf die gegnerische Gruppe abgeschossen werden, die sich mit den Schildern

zu schützen versucht. Auf diese Weise greifen eine nach der anderen Reitgruppe einander

an: "(...) cada quadrilla se junta aparte, y tomando canas de la longitud de tres a quatro

varas en la mano derecha, unida y cerrada igualmente toda la quadrilla, la que empieza el

juego corre la distáncia de la plaza, tirando las canas al áire y tomando la vuelta al galópe

para donde está otra quadrilla apostada, la qual la carga a carréra tendída y tira las canas a

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los que van cargados, los quales se cubren con las adargas, para que el golpe de las canas

no les ofenda, y assi successivamentese ván cargando unas quadrillas a otras, haciendo una

agradable vista" (Aut. s.v. Canas). Die Ausstattung Azarques weist den Mauren explizit als

Teilnehmer der Canaspiele aus.

Die Worte, die Azarque an Albayaldos richtet, lassen den Eindruck entstehen, daß

gesellschaftliche Feste in der Welt der beiden Genannten etwas Vertrautes und

Gewöhnliches sind: "si al campo vas furioso /como galán a las zambras" (v 32; ad zambra

cf. Arabismen).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

c) Albayaldos ist eine stattliche Erscheinung (Cf. Moral).

Kleidung / Ausstattung:

a) Lope de Vega gibt uns in einer Reihe von Versen eine reiche Beschreibung der

Ausstattung des Mauren: "roxo bonete arroja, /y empuna su cimitarra" (v 3-4); "Volantes,

medalla y plumas, /albornoz, marlota y malla, /banderilla, lança, empresa, /canas, bohordos

y adarga (...) hastas /de los delgados bohordos /de la lança y de las canas" (v 5-16). In

einschlägigen Wörterbüchern wird die bonete generell als ein Wort lateinischen Ursprungs

und mit der Bedeutung 'Kopfbedeckung, Mütze', erklärt (cf. Aut.; DRAE, DCECH, etc.).

Der Protagonist trägt also eine rote Kopfbedeckung und einen Krummsäbel (ad cimitarra

cf. Arabismen). Für die Lexeme lateinischer Etymologie volante und medalla gibt uns Aut.

die Definitionen "un género de adorno pendiente, que usan las mugeres para la cabeza,

hecho de tela delicada" und "El pedazo de metál batido o acunado, en el qual se vé la efigie

o imagen de alguna persóna ilustre, y en el reverso de ella alguna figura o emblema".

Azarque trägt folglich ein ein Liebespfand in Form eines Kopfschmucks, ein Medaillon,

desweiteren Federn, einen Kapuzenumhang und einen zweiten, für Festlichkeiten

bestimmten, Umhang, beide in maurischem Stil (ad albornoz und marlota cf. Arabismen).

Er trägt außerdem ein stählernes Panzerhemd, ein Banner (banderilla, Diminutivform von

bandera), eine Lanze und eine empresa, die Aut. als "Cierto symbolo o figúra enigmática,

con un mote breve y conciso, enderezado a manifestar lo que el ánimo quiere o pretende"

erklärt, also ein symbolisches Kennzeichen mit einer Divise bzw. Sinnspruch. Für die

Lexeme malla, banderilla, lança, empresa gibt uns das erwähnte Wörterbuch lateinische

Etymologien an. An Waffen trägt der Maure außer der schon erwähnten Lanze, noch

Rohrstäbe, Wurfspieße und ein Lederschild (ad adarga cf. Arabismen). Die canas und

bohordos sind, leiten sich, dem DCEEH von Corominas zufolge, aus lateinischen Wörtern

ab: „Caña, del lat. CANNA“; „Bohordar, ant., 'lanzar bohordos en los juegos de caballería',

del frz. ant. behorder íd. y 'combatir en torneo' “. Als Azarque in seinem Zorn seine

Ausrüstung zerstört, bedecken kleine Stücke und Fransen eines Seidenstoffes den Boden:

"Azarque... desmenuza, quiebra y rasga, /hasta que el suelo cubrieron /pedacos de seda y

franjas" (v 10-12). Wie aus dieser Darstellung hervorgeht, trägt der Maure also Kleider aus

diesem Material.

c) Auch Albayaldos trägt kostbare Kleidung an sich. Dies geht aus den Worten Azarques

hervor, der versucht, seinen Widersacher dazu zu veranlassen, dessen Kampftugend unter

Beweis zu stellen und erwähnt in einem Vergleich die wertvolle Kleidung seines Gegners:

"Si como damasco vistes, /vistes jazerina malla... /manana a las diez del día /quiero verlo

en la campana" : 'Wenn es also (tatsächlich) so ist, daß du ein Panzerhemd trägst, wie du

auch feinsten Stoff trägst, dann will ich (Azarque) das sehen' (v 1-39). Für damasco gibt

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uns Aut folgende, präzise Beschreibung: "Tela de seda entre tafetan y raso, labrado siempre

con dibuxo. Haile doble y simple, y de distintos colores. Es tela noble, y la usan las

Senoras, y Caballeros para vestidos y colgaduras". Es handelt sich also um färbigen und

verschiedenartig verarbeiteten Atlas oder Taft, ein Seidengewebe mit glänzender Ober- und

matter Unterseite, das vor allem von Personen hohen gesellschaftlichen Ranges getragen

wird.

Körperliche Eigenschaften:

a) In Vers 2 wird der starke Arm des Mauren erwähnt ("su fuerte braco arremanga"),

Azarque wird also Stärke zugeschrieben. Diese Beschreibung wird bestätigt durch die

Darstellung eines Protagonisten, der seine Kopfbedeckung von sich wirft und seine

gesamte Ausrüstung zerstört: "Azarque indignado y fiero, /su fuerte braco arremanga, /su

roxo bonete arroja, /y empuna su cimitarra. /Volantes, medalla y plumas... /desmenuza,

quiebra y rasga, /hasta que el suelo cubrieron /pedacos de seda y franjas" (v 1-12). Der

Maure wird also - auf auffällige und ironische Weise - mit wütender Stärke assoziiert.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Azarque wirft mit hochgestreiften Ärmeln seine Kopfbedeckung von sich und, wie oben

schon erwähnt wurde, zerstückelt mit seinem Säbel alles, was er an sich trägt: "y por el aire

esparzidas /iban cimbrando las hastas /de los delgados bohordos /de la lanca y de las canas"

(cf. supra v 1-12; v 13-16). In der Darstellung des Protagonisten wird das semantische Feld

'Wut; Zorn' in sehr redundanter Weise, in über zehn Lexemen bzw. lexikalischen

Syntagmen angesprochen: indignado, fiero, arrojar el bonete, empuna la cimitarra, parte,

destroca, desmenuza, quiebra, rasga, pedacos de seda y franjas, esparzidas...las hastas,

etc. Zum selben Wortfeld gehört auch das - zweimalige - Verfluchen des Mauren (maldize,

"de Albayaldos e de Olivos /malamente blasfemaba"; v 9, 25-26). Auch die rote Farbe der

Kopfbedeckung, die Azarque trägt, könnte den emotionalen Zustand des Mauren

signalisieren. Azarque wünscht sich, erbarmungslos an Albayaldos und Zulema zu rächen.

Er fordert explizit die Vergeltung in einem Kampf und kann es kaum erwarten, Albayaldos

zu töten; er denkt daran, die Burg Zulemas anzuzünden und will, wie es ein zweites Mal

zum Ausdruck gebracht wird, beide Widersacher ohne Schonung töten: "manana a las diez

del día /quiero verlo en la campana", "y agradecélo, Albayaldos, /que vives hasta manana",

"el ardor de mi sana /irá envuelto en mis sospiros /a poner fuego en su alcácar", "de los dos

pido venganca", "vengaré sin más palabras", "me pagarán vuestras vidas /la muerte de mi

esperanca" (v 37-38, 39-40, 44, 46-48, 56, 71-72). Folgen wir den Worten des

Protagonisten, ist die Liebe eng an einen Ehrenkodex gebunden. Azarque fordert seine

Geliebte auf, mit ihren neuen Liebesgefühlen, aber ohne Ehre weiterzuleben: "si te quitaran

la vida, /el honor no te quitaran (...) /Vive, amiga, /sin honor y con mudanca" (v 89-92).

Untreue in der Liebe bedeutet also auch den Verlust von Ehre, die dem Mauren wichtiger

zu sein scheint, als der Tod. Azarque handelt in der Beschreibung Lope de Vegas also als

überaus wütend, rachedurstig, - aufgrund der angedrohten Tötung - als hartherzig und als

stolz.

c) Albayaldos wird in den von Azarque an ihn gerichteten Worten charakterlich

beschrieben: "Si como damasco vistes, /vistes jazerina malla, /y si al campo vas furioso

/como galán a las zambras... /si escaramuzas de veras, /como de burlas te ensayas...

/manana a las diez del día /quiero verlo en la campana" (v 29-38). Azarque fordert in

diesen Versen seinen Widersacher auf, seine Kampftugend zu zeigen (wörtlich: 'ich will es

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Wien, am 02.06.11, Seite 79 von 259

sehen, ob du ein Panzerhemd trägst, wie du ein Seide trägst, ob du so wütend / energisch

aufs Schlachtfeld gehst, wie der Freier zum Werben, ob du (so) kämpft, wie du dich im

Spott beweist. Azarque zweifelt also, diesem Wortlaut zufolge, die Tapferkeit des

Albayaldos an. In der Textwelt zeigt sich Albayaldos, den Worten Azarques zufolge, als

schön gekleideter galán. Für dieses Adjektiv bzw. Substantiv gibt Aut. mehrere

Bedeutungen an: "El hombre de buena estatúra, bien proporcionado de miembros, y airoso

en el movimiento", "Se dice tambien del que está vestido de gala, con aseo y compostura",

"(...) el que galantéa, solicita, o logra alguna muger", "En término cortesano vale tambien la

Persona que se dedica a cortejar, y servir a alguna mugér" (ib. s.v.). Der galán ist also ein

Mann von stattlicher Gestalt, er ist aber auch schön gekleidet und er benimmt sich in einer

Weise, mit der er einer Frau zu gefallen sucht. Die Charakterisierung als galán hat also

unterschiedliche Aspekte und zwar phys(iolog)ische und moralische. Albayaldos ist von

anmutendem äußerem Schein und er sucht (damit) den Frauen zu gefallen. In den

Vorwürfen, die Azarque an Albayaldos richtet, spiegelt sich ein weiteres charakterliches

Bild dieses Mauren. Azarque beklagt das Verhalten Albayaldos gegenüber der Maurin

Zelindaja: "Mil promesas.... /y después mil amenazas, /dulces ofertas tras esto, /y después

fuerca tirana; /mil promesas y dulcuras, /enganos y quexos falsos" (v 49-56). Albayaldos

machte der Maurin also viele (wörtlich 'tausende') Versprechen, danach viele Drohungen,

dann wieder Versprechen und dies immerzu so fort. Der Maure verhielt sich der Maurin

gegenüber - seine Härte wurde mehrfach erwähnt (mil amenazas, fuerca tirana) - also sehr

unbarmherzig; er versuchte, wie es aus den Hinweisen hervorghet, sie mehrmals zu

täuschen (promesas, dulces ofertas, enganos, quexos falsos). Albayaldos agierte, wie aus

der Aufforderung Azarques an ihn hervorgeht, mit Hilfe eines anderen Mauren: "Salga

Zulema contigo, /que pues los dos a mi dama /la enganastes para el bien" (v 41-43). In den

Augen Azarques sind Albayaldos und Zulema keine Menschen edler Gesinnung. Er

beschimpft sie heftig und sagt, sie hätten nicht aus Liebe gehandelt, sondern aus

Verbissenheit und Schlechtigkeit: "¿Caballeros sóis vosotros? /No sóis sino vil canalla,

/pues por afrentosos medios /procuráis vuestra privanca", "Si fuerca de amores vuestros /a

perseguilla (= Zelindaja) os forcaban, /pase, que es fuerca de amor, y así os lo perdonara;

/pero por ser "terquería /de fementidas entranas, /me pagarán vuestras vidas" (v 57-59, 65-

72). Den im Text gegebenen Beschreibungen zufolge ist Albayaldos hartherzig, ein Lügner,

hinterlistig, starrköpfig, von schlechtem und zwiespältigem Charakter und hinter den

Frauen her.

d) Die vorangehenden Charakterdarstellungen treffen teilweise auch auf Zulema zu, der

Albayaldos in seinem Vorgehen unterstützt hat. Die Vorwürfe Azarque richten sich auch

an Zulema. Dieser wird also implizit ebenfalls als Betrüger und ruchloser Mensch

dargestellt.

e) Auch die Maurin wird in den Klagen Azarques charakterlich erfaßt. Azarque wehklagt

über seine frühere Geliebte, die sich durch Reichtum und äußeren Schein in ihrer Liebe hat

abbringen lassen: "!Ay Mora fácil, ay Mora, /y cómo en doradas cuadras, /y en bien

tracados jardines /mil traidores te regalan! /!Ay qué presto te vencieron, qué presto los

gustos pasan...!" (v 73-79). Thematisiert werden also insbesondere die Unbeständigkeit

Zelindajas in der Liebe und die Einfältigkeit der - sich täuschen lassenden - Maurin.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

a) Die Darstellung des Mauren enthüllt noch eine andere Leidenschaft. Azarque handelt in

eindeutiger Weise aus Liebesschmerz. Es ist Empörung über den Verlust der Geliebten, die

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Wien, am 02.06.11, Seite 80 von 259

Azarque veranlaßt, wie oben gezeigt wurde, seine gesamte Ausstattung und Kleidung zu

zerstören (cf. v 1-16), seine Rivalen zu verfluchen (cf. v 25-26), ihre schonungslose

Vergeltung zu wünschen, sich in Wehklagen über sein Schicksal, über seine Geliebte und

deren Sinneswandel zu verlieren: "De Zelinda se quexa, /de su fortuna se agravia", "Ay

Mora fácil, ay Mora (...) / Ay qué presto te vencieron, /qué presto los gustos pasan", "¡Qué

bien pareciera en ti /despreciar promesas falsas!" (v 21-22, 73-78, 85-86). Die Heftigkeit

der Reaktion des Mauren spiegelt eine tiefe emotionale Erschütterung wider; die Liebe

Azarques muß also sehr groß sein. Der Protagonist spricht explizit vom Tod seiner

Hoffnung ("la muerte de mi esperanca", v 72), was die Intensität seiner Liebe / seines

Leidens aus Liebe rhetorisch ein zweites Mal unterstreicht. Der Verlust der Geliebten bzw.

die unerfüllte Liebe wird mit der Vorstellung des Todes assoziiert.

c) In den Worten Azarques an Albayaldos ("si al campo vas furioso /como galán a las

zambras", v 32) wird implizit die Gewohnheit, die Vorliebe dieses Mauren beschrieben, an

gesellschaftlichen Treffen teilzunehmen (ad zambra cf. Arabismen). Albayaldos hat, wie

oben geschildert wurde, auf verschiedenste Arten versucht, die Maurin Zelindaja für sich

zu gewinnen. Dieses Verhalten könnte eine große Leidenschaft nach dieser Frau

voraussetzen.

Attribute:

a) Cf. Kleidung.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Die reiche Ausstattung Azarques und insbesondere die Tatsache, daß Azarque an

Wurfspielen teilnimmt, weisen ihm einen hohen sozialen Rang zu (cf. supra die

Erläuterungen der Cana-Turniere).

c) In Vers 48 wird eine Burg erwähnt, die Azarque aus Wut über seinen Rivalen

Albayaldos anzuzünden denkt (mis sospiros a poner fuego en su alcáçar, v 48).

Möglicherweise residiert oder besitzt Albayaldos also eine Burg, folglich ist sein

gesellschaftlicher Rang hoch (ad alcázar, cf. Arabismen).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

c) Albayaldos residiert bzw. wohnt, wie eben gezeigt wurde, in einem alcázar.

24.2. Romanze Por la placa de Sanlúcar

Der vorliegende Text erzählt in 96 Versen die Geschichte des Mauren Ganzul. Auf dem

Weg zu den Reitfestspielen in Gelves bittet Ganzul seine Angebetete Celinda um ein

Liebespfand. Celinda lehnt Ganzul jedoch wegen einiger Gerüchte, die ein anderer Maure

über ihren Freier verbreitet, ab. Wütend bricht Ganzul nach Gelves auf ("y parte furioso a

Gelves", v 96). Die Protagonisten dieser Geschichte sind die schon erwähnten Figuren

Ganzul und Celinda. Als Nebenfiguren werden außerdem die Maurin Zayda, sowie eine

Reihe von Personen oder Personengruppen erwähnt: el Alcaide, los Reyes, los envidiosos,

los enemigos, eine unbestimmte Anzahl von amigos, eine unbestimmte Anzahl von

contrarios, damas, desweiteren ein Page, un page (v 7, 8, 38, 50, 58, 59, 60, 85). Diese

Figuren werden in der Erzählung nicht näher bestimmt und haben für die eigentliche

Erzählung nur sekundäre Bedeutung.

Namen / Bezeichnung:

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a) Der maurische Protagonist wird mit dem Namen Ganzul (v 3) eingeführt, dann mit dem

nomen gentis als (el) Moro (v 5) bezeichnet.

b) Die Protagonistin wird mit dem nomen gentis eingeführt: "(Ganzul) Adora una bella

Mora" (v 9); später wird sie namentlich genannt: "Zelosa estaba Celinda" (v 37). In der

vorangehenden Textanalyse haben wir die Bezeichnung Celinda(ja) / Zelinda(ja) mit dem

Namen einer im Orient beheimateten Blume und folgedessen mit der Vorstellung von

Schönheit in Verbindung gebracht. In Vers 69 wird die Maurin als senora bezeichnet. Nach

Aut. hat senor - dessen regelmäßige feminine Ableitung senora ist - u.a. die Bedeutung von

"El dueno de alguna cosa, que tiene dominio, y propriedad en ella; Amo respecto de sus

criados; (...) que tiene dominio sobre sus acciones, y puede usar de ellas a su arbitrio"; auch

kann diese Bezeichnung Ausdruck von Respekt und Ehre sein. Eine senora ist folglich eine

gesellschaftlich wohlhabendere / gut situierte Frau und eine Person, der man gewöhnlich

auch Respekt entgegenbringt.

c) d) Ohne weitere Beschreibung werden erwähnt eine bestimmte Gruppe von Tapferen,

die in Granada Zegríes und Gomeles getötet hätten: „los valientes, /que mataron en

Granada /los Zegríes y Gomeles“ (v 10-12). Diese Erzählung hat einen historischen Bezug.

In der EUIEA werden unter dem Eintrag Abencerrajes die Zegríes erwähnt, eine im

Granada des 15. Jahrhunderts lebende Sippe, die mit den Abencerrajes in ständigem Kampf

waren (ib. s.v.).

e) Die Bedeutung der in den zitierten Versen erwähnten Gomeles bleibt unklar.

f) Es wird außerdem kurz eine Mehrzahl von Personen erwähnt, die aber ausschließlich in

ihrem emotionalen Zustand als Eifersüchtige bezeichnet werden. Die Maurin Celinda plagt

Eifersucht, weil gewisse Eifersüchtige verbreitet haben, daß der Maure Ganzul erneut in

die Maurin Zayda verliebt wäre: "Zelosa estaba Celinda, /que envidiosos como suelen, /a

Zayda la de Xerez /dizen que de nuevo quiere" (v 37-40).

g) Eine weitere Maurin wird, wie es aus den zuvor ziterten Versen hervorgeht, mit einem

Eigennamen identifiziert, der auch eine topographische Bestimmung folgt (Zayda la de

Xerez). Der Name Zayda ist vermutlich orientalischen Ursprungs (cf. GDE Plaza, s.v.

zaydíes).

h) In den Worten Ganzuls zu seiner Geliebten wird eine Person erwähnt, die als el Moro

bezeichnet wird: "Miente, le dize, senora, /el Moro que me revuelve" (v 69-70).

i) In der Klage Ganzuls über seine Geliebte wird eine weitere Person ausschließlich mit

einem Ethnonym genannt, dem ein unbestimmter Artikel vorangeht: "me dexó por un

Moro" (v 79).

Genealogie / Familiensippen:

b) Celinda wird in Vers 10-12 bezeichnet als "reliquia de los valientes, /que mataron en

Granada /los Zegríes y Gomeles". Wir haben los valientes 'die Tapferen' als die

Angehörigen der maurischen Sippe der Abencerrajes identifiziert. Celinda könnte

demzufolge eine Deszendentin dieses Clans sein (für eine andere, mögliche Interpretation

cf. Aussehen).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Ganzul macht sich auf den Weg, um an bestimmten Reitfestspielen teilzunehmen:

"Quiérese partir el Moro /a jugar canas a Gelves, /que hace fiesta el Alcaide /por la tregua

de los Reyes" (v 5-8, wiederholt in v 42; ad canas cf. Romanze Nr. 2.).

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Wien, am 02.06.11, Seite 82 von 259

Geographische Herkunft:

g) Zayda stammt aus einer Stadt des südlichen Andalusiens (Zayda la de Xerez).

Aussehen / Alter:

a) Schon in der Einführung des Protagonisten wird Ganzul mit dem Adjektiv galán

beschrieben. "Por la placa de Sanlúcar /galán paseando viene /el animoso Ganzul" (v 1-3).

Den inhärenten Bedeutungen dieses Adjektivs zufolge, ist Ganzul also eine stattliche

Erscheinung (cf. Romanze Nr. 1.).

b) Hervorgekehrt wird die Schönheit der Maurin Celinda. Sie wird schöne Maurin genannt

und es scheint, es ist ihre Schönheit, die die Leidenschaft des Mauren entfacht: "Adora una

bella Mora" (v 9). Die Bezeichnung Celindas als reliquia kann ebenfalls die Vorstellung

einer besonders schönen Person hervorrufen.

Kleidung / Ausstattung:

a) Als galán scheint Ganzul in schöner, vermutlich einem festlichen Anlaß gebührender

Kleidung (ad galán cf. Romanze Nr. 1.) aufzutreten, denn er trägt bestimmte Farben, Weiß,

Dunkelviolett und Grün zur Schau: "Por la placa de Sanlúcar /galán paseando viene /el

animoso Ganzul, /de blanco, morado y verde" (v 2-4). Der Page des Mauren führt Pferde

vor, die mit Federn und Geschirr prächtig geschmückt sind: "Pasaba entonces un paje /con

sus caballos jinetes, /que los lleva gallardos /de plumas y de jaeces" (v 85-88; ad jaez cf.

Arabismen). An Waffen trägt der Maure eine Lanze: "la lanca con que ha de entrar /

toma..." (v 89).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Cf. Moral.

Moral und moralische Eigenschaften:

a) In Vers 3 wird der Protagonist als "el animoso Ganzul" erwähnt. Aut. verzeichnet eine

Liste von Synonyma dieses Wortes: "Valeroso, bizarro, alentádo, esforzádo y valiente".

Der Maure wird also explizit als mutig beschrieben. In den Verwünschungen der Maurin

spiegeln sich weitere Charakterzüge des Angesprochenen. Celinda wünscht dem Mauren,

daß er, wie er es aufgrund seiner Falschheit verdiente, von den Festspielen nicht so stolz

zurückkehrte, wie er es zu sein pflegt: "Si en las canas te sucede /como mi pecho desea /y

el tuyo falso merece, /no volverás a Sanlúcar /tan ufano como sueles" (v 42-46). Seine

Feinde sollen ihn mit Lanzen töten, damit er sterbe, wie er lüge: "los enemigos que tienes

/te tiren secretas lancas /porque mueras como mientes" (v 50-52). Die Frauen, die er

betrügt, sollen sich seines Todes erfreuen: "las (damas) que enganas y entretienes, /con

maldiciones te ayuden /y de tu muerte se huelguen" (v 62-64). Den Worten der Maurin

zufolge, benimmt sich Ganzul also arrogant gegenüber anderen. Celinda ist zudem davon

überzeugt, daß Ganzul gelogen hat, folglich also ein Lügner sei. Die Worte der Maurin

wiederholen mehrfach Lexeme und Syntagmen, die dem Wortfeld 'Lügen / Falschheit'

zuzuordnen sind (si...el tuyo falso merece; como mientes, las que enganas y entretienes,

etc.). Es bleibt in der Erzählung allerdings unklar, ob die Eifersucht und die

Anschuldigungen der Maurin dem Mauren gegenüber berechtigt sind. In den Versen 65-66

heißt es: "El Moro piensa que burla (ella), /que es propio del inocente" (v 65-66). Aut. gibt

uns zwei mögliche Bedeutungen des Adjektivs innocente: "El que tiene la innocencia, u

obra con ella" und "(...) lo mismo que simple o tonto, o facil de enganar". Daraus ergeben

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Wien, am 02.06.11, Seite 83 von 259

sich zwei Interpretationsmöglichkeiten. Der Maure ist tatsächlich unschuldig, oder er ist

sich seiner Schuld nicht bewußt. Letzteres würde ihm eine gewisse Einfältigkeit

zuschreiben. Die Maurin jedenfalls ist von der Unschuld Ganzuls nicht zu überzeugen. Die

Ablehnung Celindas läßt Ganzul überaus wütend reagieren: "la lanca (...) toma, y furioso

arremete, /haziéndola mil pedacos /contra las fuertes paredes (...) /y parte furioso a Gelves"

(v 89-96). In der heftigen Reaktion des Mauren spiegelt sich ein tiefe Emotionalität, die in

einer Reihe von Lexemen des Wortfeldes 'Zorn' zum Ausdruck kommt: tomar la lanza, -

zweimaliges - furioso, hacer mil pedazos, etc. Angesichts seiner Geliebten verwünscht

Ganzul den Mauren, der ihn verleumdet: "el Moro que me revuelve, /a quien esta

maldición /le caiga porque me vengue" (v 70-72). Er wünscht also dessen Rache.

b) In den Vorwürfen und der Handlung der Maurin gegenüber ihrem Freier spiegelt sich

auch eine moralische Beschreibung ihrer Person. In einer Reihe von Versen wünscht

Celinda, wie wir oben gezeigt haben, Ganzul Unglück und sogar den Tod (v 42-64). Sie

zeigt sich damit ihm gegenüber nicht nur hartherzig, sondern auch rachsüchtig. Im

Gespräch mit Ganzul reagiert sie wütend und verliert schließlich die Beherrschung:

"Airada responde al Moro", "aquí la paciencia pierde" (v 41, 82). Sie ist also auch

jähzornig.

c) In Vers 10 wird, wie schon erwähnt wurde, eine Personengruppe, die wir als Angehörige

der Abencerrajes indentifiziert haben, ausschließlich in einer charakterlichen Beschreibung

als erwähnt. Die Verwendung des bestimmten Artikels vor dem Adjektiv (los valientes)

stellt sie in Antonomasie dar (cf. Romanze Nr. 5.).

f) Es werden, wie in der Einleitung schon erläutert wurde, einige Personen erwähnt, die in

der Erzählung weitgehend unbestimmt bleiben. Ihre Darstellung beschränkt sich auf eine

emotionale Skizzierung der Figuren, die aus Eifersucht handeln.

h) Den Worten Ganzuls an Zayda zufolge, erzählte ein Maure Lügen über ihn: "Miente, le

dize, senora, /el Moro que me revuelve" (v 70-71).

Religion / Ideale:

a) Der Maure fordert von der Frau, die er verehrt, ein Pfand, um es in den Reitspielen zu

tragen. Dieses soll ihm, so lauten seine Worte, weniger als Erinnerung dienen, als ihn

schmücken, begleiten und ihm Kraft verleihen: "Dame una empresa o memoria /y no para

que me acuerde, /sino para que me adorne, /guarde, acompane y esfuerce" (v 33-36). Es

scheint, daß die Geliebte und die Gefühle, die sie erweckt, so "präsent" ist, daß Ganzul

keiner Erinnerung an sie bedarf. Ein Symbol ihrer Liebe verleiht ihm jedoch Glanz, Wärme

und, wie es explizit lautet, Kraft. In dieser Darstellung spiegelt sich die Konzeption von

Liebe als lebensmotivierende Kraft, die nach außen signalisiert wird und die Moral der

Liebenden bestimmt.

b) In ihren Verwünschungen ruft die Maurin Allah an, der Ganzul wegen seiner Lügen mit

dem Tod strafen soll: "Mas plegue Alá que en las canas /los enemigos que tienes /te tiren

secretas lancas /porque mueras como mientes" (v 49-52).

Leidenschaften:

a) Die aufwendige Ausstattung, die Ganzul trägt (cf. Kleidung) weist darauf hin, daß es

sich bei diesen Turnierspielen für ihn um etwas ganz Besonderes handelt. Die erwähnten

Spiele sind aber nicht die einzige Vorliebe des Protagonisten. Die Romanze schildert im

wesentlichen die Liebesgefühle des Protagonisten. Ganzul wird, wie wir schon gesehen

haben, als glühender Freier (supra, v 9) dargestellt, in einer Reihe von Versen werden seine

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Unbeständigkeit in der Liebe und sein leichtfertiger Umgang mit (mehreren) Frauen

„postuliert“: Den Gerüchten anderer und den Worten Celindas zufolge, liebt der Maure

seine frühere Geliebte wieder und er ist verantwortlich für das Unglück mehrerer Frauen:

"a Zayda la de Xerez /dizen que de nuevo quiere", "tus contrarios te atropellen, /porque

muerto en hombros salgas /cuando a matar damas entres; /y que en lugar de llorarte /las que

enganas y entretienes, /con maldiciones te ayuden /y de tu muerte se huelguen" (v 39-40,

58-64).

b) Celinda zeigt sich aufgrund der Gerüchte über ihren Freier eifersüchtig. Ihr emotionaler

Zustand und ihre heftige emotionale Reaktion angesichts Ganzuls enthüllen ihrerseits eine

(vorangegangene) tiefe Liebe für den Mauren: "Zelosa estaba Celinda", "Airada responde

al Moro", "cerró la ventana airada" (v 37, 41, 83 und oben v 39-40). Gerüchte über die

Untreue ihres Freiers veranlassen sie, diesem den Tod zu wünschen: "tus amigos no te

ayuden, /tus contrarios te atropellen, /porque muerto en hombros salgas /cuando a matar

damas entres" (v 57-60). Im letzten Vers äußert die Maurin ihr Empfinden von Liebe.

Liebe kann so stark sein, daß sie tötet.

f) Aus den Worten Ganzuls geht hervor, daß Zayda ihn wegen eines anderen, reicheren

Mauren verlassen hat: "me dexó por un Moro /más rico de pobres bienes" (v 79-80). Die

Maurin scheint Gefallen an Reichtum zu finden.

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Die Teilnahmes des Mauren weist ihn als sozial hochstehende Persönlichkeit aus (cf.

Definition der canas in der Romanze Nr. 1). Unterstrichen wird die Darstellung dieses

Ranges auch durch die Ausstattung des Mauren (cf. Kleidung) und die Figur eines Dieners,

der die Pferde seines Herren vorführt: "Pasaba entonces un paje /con sus caballos jinetes"

(v 85-86).

b) Ein Balkon, auf dem Ganzul seine Geliebte erblickt, ein Fenster, das Celinda schließt

und starke Wände, an dem der Maure seine Lanze zerschellen zeigen eine Protagonistin

von gut adeligem Status: "vióla salir a un balcón", "cerró la ventana airada", fuertes paredes

(v 19, 83, 92).

h) Den Worten Ganzuls zufolge, hat sich Zayda einem Mauren zugewandt, der vermögend

ist: "me dexó (Zayda) por un Moro /más rico de pobres bienes" (v 79-80).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Schon der erste Vers erwähnt den Aufenthaltsort des Protagonisten: "Por la placa de

Sanlúcar". Das GDE Plaza verzeichnet drei Eintragungen zu diesem, in Spanien häufigen

Toponym, S. de Barrameda, de Guadiana, S. la Mayor (ib., s.v). Alle drei Ortschaften

befinden sich in Provinzen des heutigen Andalusiens, Cádiz, Huelva, Sevilla. Die Cana-

Spiele, zu denen der Maure aufbricht, finden in Gelves (v 6) statt.

c) d) e) Die erwähnten valientes, Zegríes und Gomeles werden mit dem Reich von Granada

in Zusammenhang gebracht ("los valientes, /que mataron en Granada /los Zegríes y

Gomeles", 10-11).

f) Zayda wird, wie gezeigt wurde, namentlich einer Stadt des südlichen Andalusiens

zugeordnet.

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Wien, am 02.06.11, Seite 85 von 259

24.3. Die Romanze El mayor Almoralife

Der wichtigste Protagonist der 84 versigen Erzählung von Lope de Vega ist der Maure

Almoralife. Neben ihm treten mit sekundärer Bedeutung auf los buenos de Granada, der

Maure Zulema, ein Vizekönig / Visorrey del Alpuxarra, ein nicht weiter identifizierter Rey,

der Sohn des Mauren Audalla / el hijo del Moro Audalla, die Geliebte des Mauren /

Felisalba und cuatro Moros, die den Protagonisten auf seinem Weg begleiten (v 2, 5-6, 9,

12, 32, 81). Der Text erzählt uns, wie Almoralife in den Krieg zieht und dabei von

Gedanken an seine zurückgebliebene Geliebte eingeholt wird. Die Beschreibung der Liebe

des Mauren zu Felisalba ist in vielen Versen vordergründig dargestellt. Lope de Vega stellt

uns seinen Protagonisten in superlativer Beschreibung als den bedeutendsten Almoralifen,

den Siegreichsten, den mutigsten Kämpfer, etc. dar (cf. Moral). Diese Eigenschaften

kontrastieren mit der Beschreibung eines von Liebesgedanken gequälten Mannes. Lope de

Vega erzählt uns auf humorvolle Weise, wie Almoralife aus Gründen der Ehre in die

Schlacht zieht: ¡Ay pundonor, que me llevas /a meterme en una barca /y entre las ondas y

el cielo /cargado de azero y malla!" (v 69-72). Vor seinen Kamaraden sucht er seine

tatsächlichen Gedanken zu verbergen und täuscht ihnen etwas vor: "Con esto los cuatro

Moros, /a media rienda le alcancan; /esconde el retrato y pica, hablando de guerra y armas"

(v 81-84).

Namen / Bezeichnung:

a) Der Protagonist wird namentlich eingeführt, dann folgt eine lange moralische und

charakterliche Beschreibung des Genannten: "El mayor Almoralife /de los buenos de

Granada, /el de más seguro alfanje /y de más temida lança, /el sobrino de Zulema,

/Visorrey del Alpuxarra, /gran consejero en la paz, /fuerte y bravo en la batalla, /en socorro

de su Rey /se va a la mar de Baça" (v 1-10, cf. Moral). Der auftretende Maure stammt also

aus einer Königsfamilie. Die Bezeichnung Almoralife entspricht einem historischen Titel

für ein hohes militärisches Amt. Das dem Namen vorangehende Adjektiv (el mayor

Almoralife, v 1) unterstreicht eine auf den ersten Blick hohe moralische Bewertung des

Protagonisten (cf. Moral).

b) Ein Verwandter Almoralifes wird mit seinem Namen und mit seinem Titel als

Vizekönig bezeichnet ("el sobrino de Zulema, /Visorrey del Alpuxarra", v 1-10). Die

Bezeichnung Zulema könnte, wie schon erwähnt wurde, mit einem Friedensgruß / einem

Wunsch des Friedens verwandt sein (cf. Arabismen, cf. Toponyme).

c) Der Namen der Frau, dessen Abwesenheit Almoralife bedauert, ist Felisalba (v 32).

Möglicherweise handelt es sich bei diesem Namen um ein Kompositum aus feliz und alba..

Der Maure spricht von ihr auch als geliebte Maurin: "Amada Mora, le dize" (v 37).

d) Nur einmal und ohne weitere Erläuterung wird der Sohn des Mauren Audalla genannt.

Der Erzähler nennt diese Figur in einer auf einem Vergleich beruhenden Charakterisierung

des eigentlichen Protagonisten: "(Almoralife) más animoso y galán /que el hijo del Moro

Audalla" (v 11-12).

e) Auch Audalla wird nur einmal erwähnt. Der (Kon-)Text liefert keine weitere

Information über diese Figur, die in einer Reihe von Texten des Romancero General

auftritt.

f) Es treten weiters vier maurische Gestalten auf, die nicht namentlich genannt werden:

"Con esto los cuatro Moros /a media rienda le alcancan" (v 81).

Genealogie / Familiensippen:

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a) b) Almoralife gehört zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht aus Granada, die aber im

Text nicht weiter identifiziert ist. Der Maure ist außerdem mit dem Vizekönig von

Alpuxarra verwandt: "El mayor Almoralife /de los buenos de Granada... /el sobrino de

Zulema, /Visorrey del Alpuxarra... /se va a la mar de Baça" (v 1-10).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) und f) Almoralife und die vier Mauren treten als eine Gruppe auf ("(Almoralife) Con

cuatro moros detrás /solo en una yegua baya", v 25-26).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) Auffällig ist, daß der Maure mit einer anderen Erzählfigur verglichen wird, die dem

Leser nicht bekannt ist. Almoralife ist statthafter, als (es) der Sohn des Mauren Audalla

(ist), lauten die Verse 11-12: "El mayor Almoralife... /se va a la mar desde Baça, /más

animoso y galán /que el hijo del Moro Audalla". Das äußere Erscheinungsbild Almoralifes

wird insofern thematisiert, als daß die Stattlichkeit des Mauren erwähnt wird.

Kleidung / Ausstattung:

a) Die Beschreibung des Mauren als galán weist als erstes Indiz auf eine schön gekleidete

Gestalt hin. Almoralife trägt einen seidenen Kapuzenumhang von grünem und gelbem

Stoff, und einen weiteren Umhang nach maurischen Stil und mit Musterung blauer

Schwertlilien: "Albornoz de tela verde, /y de pajizo de gualda, /marlota de raso al uso /de

acules lirios sembrada" (v 17-20, ad albornoz und marlota cf. Arabismen). Diese

Beschreibung erinnert an die prächtigen Kleidungsstücke hoher islamischer Würdenträger.

Almoralife ist auf einer hellfarbenen Stute unterwegs: "El mayor Almoralife... /se va a la

mar desde Baca... /solo en una yegua baya" (v 26). In den Versen 3-4 wird Almoralife

beschrieben als derjenige, der mit dem Säbel am sichersten und wegen seiner Lanze am

gefürchtetsten ist ("el de más seguro alfanje /y de más temida lanca"). Demnach trägt der

Maure also auch Waffen, einen Krummsäbel und eine Lanze.

f) Die in Vers 81 erwähnten Zügel weisen darauf hin, daß die vier Mauren zu Pferd in den

Krieg ziehen: "Con esto los cuatro Moros /a media rienda le alcancan".

Körperliche Eigenschaften:

a) Almoralife wird in Vers 8 als "fuerte y bravo en la batalla" beschrieben. Man weist ihm

also explizit Stärke im Kampf zu. Das Bild eines im Kampf, also (auch) körperlich starken

Mannes wird unterstrichen durch seinen sicheren Umgang mit dem Säbel und seiner, von

allen gefürchteten Lanze (supra v 1-4, cf. auch Moral).

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) In der Beschreibung Almoralifes als 'großartigen Ratgeber in Zeiten des Friedens' ("gran

consejero en la paz", v 7) wird ihm eine bestimmte Klugheit zuerkannt.

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Die Erzählung liefert uns eine Reihe von Parametern, die den Protagonisten moralisch

erfassen. Almoralife wird, wie oben gezeigt wurde, zunächst als hervorragender Krieger

und zweimal explizit als mutig bezeichnet ("fuerte y bravo en la batalla", v 1-8; cf.

Körperliche Eigenschaften). In den Versen 69-72 beklagt der Maure jedoch seinen Weg in

die Schlacht auf hoher See, das er, scheint es, aus Gründen des Ehrgefühls nicht vermeiden

kann: "!Ay pundonor, que me llevas /a meterme en una barca /y entre las ondas y el cielo

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/cargado de azero y malla!" (v 69-72). Dieser Ausruf des Bedauerns zeichnet das Bild eines

Protagonisten, das nicht mehr der Beschreibung des Protagonisten als heldenhaften

Kämpfers der ersten Versen entspricht. Die Worte des Mauren enthüllen aber auch einen

stolzen Charakter, dem Ehre überaus wichtig zu sein scheint. Die Darstellung des

Protagonisten zeigt noch weitere Aspekte der Persönlichkeit des Mauren. Dieser eilt

seinem scheinbar auf hoher See bedrängten König zu Hilfe: "en socorro de su Rey /se va a

la mar de Baca" (v 9-10). Das in den zitierten Versen verwendete Possessivpronomens (su

Rey) weist darauf hin, daß Almoralife aus einem innigen Band agiert, das ihn mit dem

König verbindet. Es entsteht der Eindruck, Almoralife handle aus Treue zum König. Er

wird also als Person von charakterlicher Stärke / positiver Moral dargestellt.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

a) Schon die einführende Bezeichnung Almoralifes als galán nimmt vorweg, daß es sich

um einen Protagonisten handelt, für den Liebe und Liebesgefühle von primärer Bedeutung

sind. Almoralife wird in vielen Versen als Liebender dargestellt. Mehrmals wird seine

Sehnsucht bzw. ein Symbol seiner Hoffnung (die Farbe Grün) erwähnt: "sus dichosas

esperancas", "allá en la guerra /encubre con esperancas /los lirios que ya son verdes /y

fueron flores moradas" (v 16; 21-24). Der Maure bedauert die Abwesenheit der Geliebten:

"Recogiendo, pues, la rienda, /cesando el trote, paraba, /por no sentir por la posta /la

ausencia de Felisalba" (v 29-32). Er trägt ihr Bild am Herzen, das intensive Erinnerungen

in ihm wachrufen: "Saca un retrato del pecho, /que aun a sacalle no basta, /porque salen

tras la vista /las imágenes del alma" (v 33-36). Er spricht die Frau auf dem Bild mit

Geliebte an, er verspürt, angesichts ihres Bildes, Sehnsüchte und ein trauriges, leeres und

schmachtendes Gefühl: "Amada Mora, le dize", "Habla ya, que a tu pintura /le darán vida

mis ansias /dexando mi cuerpo triste, /vazío y con fuercas flacas" (v 37, 53-56). Er fordert

seine Geliebte auf, um ihrer Liebe willen, ihm seine Seele wiederzugeben, ohne die er, wie

es im Text wörtlich lautet, nicht siegen wird: "Amiga, por nuestro amor, /que si vives en mi

alma, /sospirando me la envía, /que no venceré sin alma" (v 77-80). Die Abwesenheit der

Maurin ist der Grund, daß sich Almoralife kraft- und seelenlos fühlt. Die Liebe / Sehnsucht

ist also von höchster Emotionalität und scheint fast über Leben und Tod zu entscheiden.

c) Almoralife hat den Eindruck, daß seine Geliebte mit finsterer Miene zu ihm spricht, da -

wie es im Text weiter heißt - er sie zurückgelassen hat: "Amada Mora, le dize, /que parece

que me hablas /con ceno, porque te dexo" (v 37-39). Auch die Maurin zeigt folglich

Schmerz über das Weggehen ihres Geliebten. Die emotionale Reaktion der Maurin wird an

einer späteren Stelle der Romanze ein zweites Mal und auf humorvolle Weise dargestellt.

Wenn sie sich tatsächlich (aus Trauer um den Geliebten) die Haare raufte, werden ihr, wie

Almoralife es sagt, viele Haare fehlen: "Si el arrancar tus cabellos /no es sentimiento que

engana, /muchos cabellos, amiga, /por mi respeto te faltan" (v 49-52).

Attribute:

a) Der Protagonist trägt einen alfanje, ein maurisches Krummschwert.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Almoralife beklagt den Umstand, seine Bäder, Gärten, sein Haus zurückgelassen zu

haben: „¡Ay mis banos y jardines! /que al mejor tiempo os dexaba“, „¿qué hago en dexar

mi casa?“ (v 73, 76).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

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a) In den einleitenden Versen wird Almoralife zuerst mit dem Reich Granada allgemein,

dann mit einer bestimmten Stadt dieses Reiches in Verbindung gebracht. Er macht sich auf

den Weg in die Schlacht von Baza aus: "El mayor Almoralife /de los buenos de Granada...

/se va a la mar desde Baca" (v 1-10). Der GEE zufolge kam Baza schon sehr (713) unter

arabische Herrschaft; unter Alhamar (1231-1272) verwandelte sich die Stadt zu einer der

wichtigsten und blühendsten Zentren des letzten Reichs arabischer Herrschaft auf der

Iberischen Halbinsel (ib. s.v., cf. Die Lage auf der Iberischen Halbinsel).

b) Als ein Verwandter Almoralifes wird Zulema, der Vizekönig von Alpujarra, erwähnt (v

5-6). Als "regione montuosa della Spagna merid., in Andalusia." sind Las Alpujarras heute

zwischen Sierra Nevada und der mediterranen Küste gelegen. In den Jahren 1500-1501 hat

diese Zone gelitten unter der "violenta insurrezione degli ultimi Mori di Spagna contro i re

cattolici" (Grande Enciclopedia de Agostini, Novara, Istituto geografico de Agostini,

1995). Auch Zulema wird also geographisch dem Süden der Iberischen Halbinsel

zugeordnet.

24.4. Romanze Aquel rayo de la guerra

Als primäre Protagonisten dieser Erzählung von Luis de Góngora treten auf ein Maure, ein

König / el Rey de Toledo und eine Maurin (v 2, 23 und 65, 25). Es werden desweiteren

eine Reihe von Personen bzw. Personengruppen genannt, wie los mocos, los viejos, los

ninos, el vulgo, las damas, Christianos caballeros, dos Alcaides, Caballeros, el pueblo (v 1-

16, 72, 73, 74). Diese Figuren haben für die eigentliche Handlung der Geschichte keine

Relevanz, sind also von sekundärer Bedeutung. Nicht eindeutig ist außerdem, ob es sich

bei den in den Versen 26 und 66 genannten Protagonisten um einunddenselben oder um

zwei verschiedene Könige - aus derselben Stadt - handelt (vgl. v 25-26 und v 65-66). Die

100-silbige Romanze erzählt die Verbannung des Mauren Abenculema durch einen König.

Der Grund dieser Vertreibung ist die Maurin Balaja, die vom Mauren Abençulema, aber

auch vom König tief geliebt wird: "Servía a una Mora el Moro (=Abençulema), /por quien

andaba el Rey muerto" (v 25-26). Luis de Góngora lehnt die Darstellung der primären

Erzählfigur, sowie die erzählte Handlung teilweise stark an den Cid-Stoff an.

Beispielsweise wird Abençulema in Beschreibungen genannt ("el que vistió las mezquitas",

v 13). Der Maure zieht - wie auch der Cid - in die vom König bestimmte Verbannung:

"sale a cumplir el destierro /a que le condena el Rey" (v 21-32). Der König verbannt ihn

mit dem - wie später im Text deutlich wird, ungerechten - Vorwurf der Untreue: "(el Rey)

le manda desterrar luego, /culpando su lealtad /para disculpar su yerro" (v 34-36).

Abençulema scheint tatsächlich unschuldig und voller Trauer zu sein, wie er es mit seiner

Kleidung von weißer Farbe signalisieren will: "un blanco almaizar se ha puesto /por

vestirse las colores /de su inocencia y su duelo" (v 50-52). Die Szene, in der Abençulema

seine Heimat verläßt, erinnert teilweise stark an den Auszug des Cid aus seinem Heimatort.

Der Maure zieht in Begleitung anderer Männer weg, ein ganzes Dorf begleitet ihn, Frauen

weinen um ihn und verleihen ihrer Trauer Ausdruck, indem sie ihn von ihren Balkonen aus

mit parfümiertem Wasser besprühen: "Caballeros le acompanan /y le sigue todo el pueblo

/y las damas, por do pasa, /se asoman llorando a verlo. /Lágrimas vierten agora /de sus

tristes ojos bellos /las que desde los balcones /aguas de olor le vertieron" (v 73-80). Am

Beginn der Erzählung des Poema de Mio Cid spielt sich eine vergleichbare Szene ab. Von

ihren Fenstern aus beweinen (die) Frauen und Männer aus Burgos den ausziehenden Cid:

„Exien lo ver mugieres e varones, /burgueses e burguesas por las finiestras son, /plorando

de los ojos tanto avien el dolor“ (Smith 1993:139, v 16-18).

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Namen / Bezeichnung:

a) Der erste Protagonist der Erzählung wird eingeführt als "Alférez mayor del reino" (v 2).

Später wird derselbe namentlich ("el gallardo Abençulema, v 21) und mit einem Ethnonym

(el Moro, v 25) benannt. In Aut. werden die beiden Bezeichnungen Alférez bzw. Alférez

mayor als ursprünglich militärische Titel erklärt: „Alférez. El Cabo u Oficiál que tiene a su

cargo llevar la bandéra en su compañía, ya sea de infantería, u de caballería y marcha en el

centro de ella: con la distinción que en la caballería se llama estandarte, y no bandería“;

Alférez mayor. El que tiene esta Dignidád en algun Réino, o Ciudad. Antiguamente

mandaba todo lo militar, y llevaba el pendón Real. Oy es el que alza el pendón Real en las

aclamaciones de los Reyes: y tiene voto en los Cabildos, y Ayuntamientos, con assiento

preferente a los Regidóres, y el Privilégio de entrar con espáda en el Cabildo“. Der Name

Abençulema scheint eine Variante von Zulema / Zulima zu sein. Seine ursprüngliche

Semantik dürfte also 'Frieden, ein Gruß des Friedens' sein (cf. Arabismen). Es fällt auf, daß

die wichtigste Figur der Geschichte in - den ersten - 22 Versen der Romanze in stark

redundanter Weise dargestellt wird. Den semantischen und quantitativen Beschreibungen

des Protagonisten zufolge, entsteht der Eindruck, es handle sich um eine sehr besondere

Person: Abençulema wird von den Jungen beneidet, von den Alten bewundert, er ist den

Kindern und dem Volk bekannt, von den Frauen geliebt und vom Glück und der Zeit

begünstigt: "Aquel (Abençulema)... /de los mocos envidiado /y admirado de los viejos, /y

de los ninos y el vulgo /senalado con el dedo", "Aquel (Abençulema)... /el querido de las

damas /por cortesano y discreto, /hijo hasta allí regalado /de la fortuna y el tiempo" (v 1-

11).

b) Es tritt ein - vermutlich maurischer - König auf, der ausschließlich in seiner Funktion

genannt wird: "Servía a una (=Abençulema), /por quien andaba el Rey muerto" (v 25-26).

c) Die Geliebte Abençulemas wird zuerst mit einem Ethnonym ("Servía a una Mora el

Moro", v 25), dann als la dama (v 29) und schließlich mit dem Eigennamen Balaja (v 81)

bezeichnet. Der Identifizierung der Maurin durch ihre Volkszugehörigkeit folgt demnach

eine attributive Beschreibung, die der Genannten sowohl physische Schönheit, als auch

einen höheren gesellschaftlichen Status zuweist (ad dama cf. Romanze Nr. 1). In der EUI

wird unter dem Lemma "Balaj o Balaja. (Etim. - Del ár. balajx; del persa badajxán, nombre

del territorio donde se encuentran estas piedras")" verwiesen auf den Eintrag "Balaje.

(Etim. - De balaj.) m. Mineral. (sin. Rubí balaje.). Variedad de espinela de color rosado con

reflejos azulados, que se encuentran principalmente en la provincia de Balascia (Oxus

superior, Turquestán)". Der Eigenname der Maurin reflektiert folglich Assoziationen mit

einem Edelstein bzw. mit orientalischen Ländern, in denen diese Edelsteine zu finden sind.

d) Es treten desweiteren zwei - namentlich nicht genannte - Wächter auf, die ihres Amtes

walten: "Desta suerte sale el Moro... /en medio (de ?) los dos Alcaides /del Alhambra y

Marmolejo" (69-72, cf. Toponyma).

e) Abençulema wird von Männern begleitet, die als caballeros bezeichnet werden:

"Caballeros le acompanan" (v 73; cf. Moral).

Die Frauen, die um den Mauren trauern, werden im Text als damas erwähnt: "y las damas,

por do pasa (Abençulema), /se asoman llorando a verlo" (v 75-76; cf. Moral).

g) Ein weiterer König von Toledo wird einmal kurz erwähnt: "No lleva (Abençulema) más

de un alfanje /que le dió el Rey de Toledo" (v 65-66, cf. supra).

Genealogie / Familiensippen:

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a) Der Maure trägt einen Säbel, den ihm der König von Toledo gab: "No lleva más de un

alfanje /que le dió el Rey de Toledo" (v 65). Abençulema steht vermutlich also in einer

engen Beziehung mit dem König bzw. in seinen Diensten.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Abençulema trägt eine festliche Kleidung und einen capellar, was auf seine Teilnahme

an einem cana-Turnier hinweist. Ein Turnier könnte also der zeitliche Rahmen sein, indem

die Handlung der vorliegenden Geschichte stattfindet.

Geographische Herkunft:

a) Das Pferd Abençulemas trägt ein in Marroko angefertigtes Geschirr ("hermoso jaez,

/bella labor de Marruecos", v 46). Diese Region könnte also die Heimat des Genannten

sein.

Aussehen / Alter:

a) Schon in den ersten Versen der Romanze wird Abençulema explizit als stattliche Gestalt

skizziert: "Aquel (Abençulema)... /tan galán como valiente" (v 1-3). In Vers 21 wird das

Aussehen des Protagonisten mit der Beschreibung gallardo noch einmal wiederholt: "el

gallardo Abençulema /sale a cumplir el destierro" (v 21-22). Die Bezeichnung gallardo läßt

wie galán (cf. Romanze Nr. 1) Vorstellungen der Moral und des Charakters einer Person

zu. Aut. gibt für das Adjektiv gallardo mehrere Definitionen an: "1) Bizarro, liberal,

desembarazado, airoso y galán'; 'bien dispuesto y valiente". Das an dieser Stelle

hinzugefügte Beispiel würde eine Übersetzung als 'physisch schön' verlangen: "Pero a

quien no enganará un rostro hermoso, y un talle gallardo"; Die weiteren synonymischen

Definitionen, die Aut. gibt - dieselben Synonyma gibt auch Vicente Salvá an -, erklären das

Wort gallardo mit der Bedeutung von 'Mut, Tapferkeit': "2) vale grande o especial en

alguna cosa perteneciente al ánimo; 3) "animoso, valiente y arrestado". Die Eigenschaft

gallardo ist also plurivalent und beschreibt den Genannten sowohl äußerlich als 'statthaft,

anmutig', etc., als auch innerlich, als 'mutig, tapfer'.

c) Abençulema freit um dieselbe Maurin, die auch der König, aufgrund ihrer

außerordentlichen Schönheit, anbetet: "Servía a una Mora el Moro (= Abençulema), /por

quien andaba el Rey muerto /en todo estremo hermosa" (v 25-27). Die Schönheit der

Maurin wird ein zweites Mal in ihrer Bezeichnung als la dama (v 29, cf. Romanze Nr. 1.)

und ein drittes Mal in der Bezeichnung als "La hermosísima Balaja" (v 81) wiederholt. Der

zweimalige Verwendung eines Superlativs betont die hohe Intensität der Schönheit der

Protagonistin.

f) Die um Abençulema trauernden Frauen werden aufgrund ihrer Bezeichnung als damas

ihrerseits als schön dargestellt (ad dama, cf. Romanze Nr. 1.). Explizit erwähnt werden ihre

schönen Augen: "y las damas, por do pasa, /se asoman llorando a verlo. /Lágrimas vierten

agora /de sus tristes ojos bellos" (v 75-78).

Kleidung / Ausstattung:

a) Abençulema ist auf einem hellbraunen Pferd unterwegs: "Sale, pues, el fuerte Moro

/sobre un caballo hovero" (v 37-38). Die Farbe hovero wird in Aut. als die Farbe des Eies

erklärt: "Lo que es de colór de huevo. Aplícase regularmente al caballo". Góngora gibt uns

ein detailliertes Bild der Ausstattung des Pferdes und seines Reiters: "con un hermoso jaez,

/bella labor de Marruecos, /las piecas de filigrana, /la mochilla de oro y negro, /sobre una

marlota negra /un blanco almaizar se ha puesto", "Bonete lleva Turquí, /derribado al lado

izquierdo, /y sobre él tres plumas presas /de un preciado camafeo", "Bordó mil hierros de

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lancas /por el capellar", "No lleva más de un alfanje" (v 45-50, 53-56, 61-62, 66). Der

Maure reitet also auf einem Pferd mit schön gefertigtem Pferdegeschirr mit feiner

Silberarbeit und Satteltaschen von goldener und schwarzer Farbe. Der Reiter trägt über

einer schwarzen Festtagskleidung ein weißes Tuch und eine leicht auf der linken Seite

getragene Kopfbedeckung dunkelblauer Farbe. Aut. erklärt bonete als die von Afrikanern

getragene Kopfbedeckung: "todo abrígo que se pone en la cabéza (...) como los que usan

los Africános", und das Lexem turquí als "adj. que se aplica al color azúl muy subido,

tirante a negro". Die Kopfbedeckung des Mauren faßt drei, von einem Edelstein gehaltene

Federn. Der Umhang des Mauren zeigt unzählige Lanzen und, in deren Mitte, eine

arabische Schrift. Außerdem trägt Abençulema einen Krummsäbel. Die Bezeichnung

bonete wird in einschlägigen Wörterbüchern als Latinismus verzeichnet: "bonete:

'Kopfbedeckung. Mütze', del b. lat. abonnis" (cf. DRAE, s.v.). Andere Teile der

Ausstattung, wie jaez, marlota, almaizar, camafeo, alfange sind Bezeichnungen arabischen

Ursprungs (cf. Arabismen). Capellar wird in Aut. als "Espécie de manto, que suelen sacar

los Moros en el juego de las canas, el qual cubre y adorna la cabéza", die Etymologie des

Wortes aber nicht als arabische angegeben. Die Bezeichnung scheint eine lateinische /

romanische Übersetzung aus dem Arabischen zu sein.

Körperliche Eigenschaften:

a) Schon im ersten Vers der Romanze wird der Maure als exzellenter Krieger beschrieben:

"Aquel rayo de la guerra" (v 1). Die Metapher des Blitzes, mit dem der Protagonist

verglichen wird, läßt auch an eine besondere körperliche Gewandtheit des Mauren im

Kampf denken. Zudem wird Abençulema Stärke zugeschrieben: "Sale pues, el fuerte

Moro" (v 37). Die Metapher des Blitzes erinnert außerdem an den Namen Sultan Bayazids,

der der Blitz genannt wurde.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Abençulema wird in der Eigenschaft eines discreto Klugheit zugewiesen (cf. Moral).

c) Das gilt auch für die Maurin, auch sie wird discreta genannt (v 28).

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Wie oben gezeigt wurde, wird der Maure als exzellenter Krieger vorgestellt. Als solcher

füllte er die Moscheen mit siegreichen Trophäen und die Verliese mit christlichen

Gefangenen und befreite die Heimat vor drohenden Belagerern: "el que vistió las

mezquitas /de vitoriosos trofeos, /y el que pobló las mazmorras /de Christianos caballeros",

"a su patria libertó /de dos peligrosos cercos" (v 13-16, 19-20). Die hohe Kampftugend des

Mauren wird noch einmal symbolisch dargestellt in der Zeichnung seiner Kleider, die

unzählige Lanzen zeigt: "Bordó mil hierros de lanças /por el capellar" (v 61-62). In

expliziter Weise wird Abençulema Tapferkeit, zugleich Anstand und Grausamkeit

zugesprochen: "Aquel rayo de la guerra... /tan galán como valiente /y tan noble como fiero"

(v 1-4). Aut. gibt uns folgende Erklärungen zum Adjektiv noble: "Ilustre, claro, y conocido

por su sangre"; "Vale tambien principál en qualquier linea, excelente o ventajóso en ella";

"Vale tambien honróso y estimable, como contrapuesto a lo deshonrado y vil"; die

Eigenschaft fiero wird u. a. definiert als „Cruel, inhumano, impío, y sanguinolento“;

„Metaphoricamente vale horroroso, terrible“ (ib. s.v.). In der Beschreibung eines Menschen

als noble kommen also unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck. Für unseren Protagonisten

ergibt sich aus dieser Darstellung, daß er kein gewöhnlicher Mensch, desweiteren von

hoher Abstammung ist; er agiert in einer Weise, die ihn besonders erscheinen läßt; er ist

das Gegenteil von unehrenhaft und gemein. In Vers 21 wird durch das Adjektiv gallardo

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die Tapferkeit Abençulemas ein zweites Mals erwähnt. Allerdings wird in einem

vorangehenden Vers Abençulema dargestellt als stark (wörtlich 'zweimal') bewaffnet,

jedoch mehr als mit Mut, mit Waffen (wörtlich 'Eisen'): "el que dos vezes armado /más de

valor que de azero" (v 17-18). Mit dieser Darstellung wird der Maure als nicht mutig

beschrieben. Zum dritten Mal wird seine Tapferkeit in den Versen 69-70 erwähnt und zwar

in einer tautologischen, d.h. redundanten Weise: "Desta suerte sale el Moro /con animoso

denuedo". Abençulema wird, wie schon erwähnt wurde, am Beginn der Erzählung als galán

und noble (v 2-3), später als cortesano y discreto (v 10) bezeichnet. Aut. gibt uns für das

Lexem cortesano und discreto folgende Erläuterungen: "El Palaciégo, el que sigue y sirve

al Rey en la Corte"; "Se llama también el que es agúdo y eloqüente, que discurre bien en lo

que habla o escribe", "Se extiende figuradamente a las acciones, hechos u dichos con

prudencia, oportunidád, o agudéza“. Der Maure wird also 'der von den Frauen Geliebte, der

Höfische und Derjenige des guten Benehmens' genannt: "el querido de las damas /por

cortesano y discreto" (v 9-10). Ihm werden also bestimmte positiv bewertete

Verhaltensnormen zugewiesen. Abençulema wird vom König verbannt und erfüllt diese

Bestimmung, ohne sich aufzulehnen: "el gallardo Abençulema /sale a cumplir el destierro

/a que le condena el Rey" (v 21-23).

b) Die Eifersucht des Rey wird in deutlicher Weise erwähnt. Sie ist der Grund für die

Verbannung Abençulemas: "el gallardo Abençulema /sale a cumplir el destierro /a que le

condena el Rey /o el amor, que es lo más cierto" (v 21-32). Als Balaja Abenculema

Blumen schenkt, ist das wie Gift für den eifersüchtigen König: "Dióle unas flores la dama

/que para él flores fueron, /y para el zeloso Rey /yerbas de mortal veneno" (v 29-32).

c) Das Auftreten der Maurin scheint einem (positiv bewerteten) Moralkodex zu

entsprechen ("discreta en todo estremo", v 28).

Religion / Ideale:

a) Seiner Darstellung zufolge, hat Abenculema die Moscheen mit Trophäen gefüllt, die

Verliese mit christlichen Kriegern und hat seine Heimat vor zwei gefährlichen

Belagerungen befreit: "el que vistió las mezquitas /de vitoriosos trofeos, /y el que pobló las

mazmorras /de Christianos caballeros", "a su patria libertó /de dos peligrosos cercos" (v 13-

16, 19-20). Der Maure ist also ein Todfeind der Christen, die er bekämpft und tötet. Die

Erwähnung der Ehrung einer mezquita / Moschee weist den Mauren als Anhänger und

Verteidiger einer islamischen Welt aus. Es ist nicht auszuschließen, daß dem Verhalten des

Mauren, der sich als cortesano und discreto zeigt, ein - nicht explizit ausgedrücktes - Ideal

zugrundeliegt (supra v 9-10). Wie oben gezeigt wurde, akzeptiert Abenculema die

Verurteilung des Königs, das heißt, er ordnet sich einem bestimmten moralischen

Verhaltenskodex unter.

Leidenschaften:

a) Wie wir schon mehrmals erwähnt haben, ist der Grund für die Verbannung des Mauren

dessen Liebe zu einer Maurin, die er offen zeigt: "el gallardo Abenculema /sale a cumplir

el destierro /a que le condena el Rey, /o el amor, que es lo más cierto. /Servía a una Mora el

Moro (" (v 21-25). Unter den 19 Erläuterungen, die das Wörterbuch der Real Academia

Espanola (201984) unter dem Eintrag servir anführt, lautet die 15. "Cortejar o festejar a una

dama" (ib.). Als Abenculema in die Verbannung zieht, signalisiert er eine tiefe Trauer,

blickt, wie es wörtlich lautet, zweitausend Mal zu seiner Geliebten zurück und fleht sie an,

standhaft zu bleiben: "El con la vista responde: /Yo me voy y no te dexo", "para tu firmeza

apelo", "Con esto pasó la calle, /los ojos atrás volviendo /dos mil vezes" (v 93-99).

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b) Die Eifersucht des Königs postuliert eine tiefe Leidenschaft zur Maurin Balaja (supra v

21-32), die erneut in Vers 26 zum Ausdruck gebracht wird: "Servía (Abenculema) a una

Mora el Moro, /por quien andaba el Rey muerto" (v 25-26).

c) Auch die Maurin, signalisiert durch ihr Weinen und ihre Gebärde tiefen Liebesschmerz:

"La hermosísima Balaja, /que llorosa en su aposento /las sinrazones del Rey /le pagaban

sus cabellos... /salió corriendo" (v 81-86).

Attribute:

a) Abenculema trägt eine Divise in arabischer Schrift zur Schau: "Bordó mil hierros de

lancas /por el capellar, y en medio, /en Arábigo una letra" (v 61-63).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Der Text liefert eine Reihe von Hinweisen dafür, daß unser Protagonist einen hohen

gesellschaftlichen Rang einnimmt. Dazu zählen sein Titel (Alférez mayor del reino, v 2)

und seine prächtige Ausstattung (cf. Kleidung). Die oben erläuterte Beschreibung

Abenculemas als cortesano ordnet ihn explizit als Höfling dem königlichen Palast zu. Aut.

definiert das substantivisch gebrauchte cortesano als "El Palaciégo, el que sigue y sirve al

Rey en la Corte". Vers 65-66 lautet, daß Abenculema nicht anderes (an Waffen) trägt, als

einen Säbel, den ihm der König von Toledo gab: "No lleva más de un alfanje /que le dió el

Rey de Toledo" (v 65-66). Der Maure scheint also in den direkten Diensten des Königs zu

stehen.

c) Die Bezeichnung der Maurin Balaja als la dama (v 29) und ein Hinweis auf ein Haus ("a

un balcón salió corriendo", v 86) spiegeln einen gewissen vermögenden Stand wider.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Abenculema versorgte sein Pferd beim Guadalquivir mit Wasser und Heu: "a

Guadalquivir el agua /le bebió y le pació el heno" (v 37-40). Wer dich aus Jérez vertrieb,

wird dich nicht aus meinem Herzen vertreiben, lauten die Worten Balajas an den Mauren:

"quien te echó de Xerez /no te echará de mi pecho " (v 91-92). Aus diesem Zitat geht

hervor, daß der Maure vermutlich in dieser Stadt lebte. Auf seinem Weg in die Verbannung

zieht Abenculema bei Andújar vorbei: "de Andújar /tomó el camino derecho" (v 100). Der

Maure wird geographisch also dreimal mit dem Reich von Granada in Zusammenhang

gebracht.

d) Abenculema bricht in die Verbannung auf in Begleitung zweier Wächter. Einer der

beiden ist der Wächter der Alhambra, der andere, der Bewacher von Mormolejo: "Desta

suerte sale el Moro... /en medio de los dos Alcaides /del Alhambra y Marmolejo" (69-72,

ad adcaide cf. Arabismen). Die Alhambra war der Palastsitz vieler maurischer Könige, der

unter den Deszendenten der letzten spanisch-arab. Dynastie in Granada, den Nasriden,

weiter ausgebaut wurde (Bermúdez Lopez 1987:9). Die historische Bedeutung von

Marmolejo ist unklar, doch wird es noch im DGEHE als Ortschaft "SIT. a dist. de 1,4 de

leg. de la ribera izq. del Guadalquivir" mit 300 Häusern und einer Diözese angegeben (ib.).

Diese Ortschaft könnte also eine gewisse Bedeutung im arabischen Andalusien gehabt

haben, vielleicht diejenige einer Befestigungsanlage.

g) Der (zweitgenannte) König wird explizit mit einer der bedeutendsten Städte von Al-

Andalus in Zusammenhang gebracht: "No lleva más de un alfanje /que le dió el Rey de

Toledo" (v 65-66).

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Wien, am 02.06.11, Seite 94 von 259

24.5. Die Romanze Aquel Moro enamorado

Dieser Text erzählt in 104 Versen einen Streit, der unter mehreren Mauren ausbricht. Die

wichtigsten Figuren der Geschichte sind die beiden Mauren Abindarraja und Adulce. Es

treten neben diesen beiden noch weitere Personen und Personengruppen auf, die an der

erzählten Handlung teilnehmen. Abindarraja und Adulce beginnen im Rahmen eines

Hochzeitsfestes, sich gegenseitig zu beschimpfen. Adulce entgegnet der Beschimpfung

Abindarrajas seinerseits mit der Verspottung des Albençaidos, der ein Freund von

Abindarraja ist. Die Erzählung endet damit, daß unter der Hochzeitsgesellschaft ein Tumult

ausbricht und alle anwesenden Gruppen sich in eine Fehde untereinander verwickeln. In

einigen Verszeilen spiegelt sich eine Weltordnung mittelalterlicher Verhaltensregeln wider:

Abindarrajas Worte lauten in den Versen 62-64, Albençaidos solle keine Gelegenheit

suchen, in der man ihm das Gesicht zerschneidet: "Albençaidos no busque /alguna ocasión

forcosa /en que la cara le crucen". An einer anderen Stelle des Textes fordert Albençaidos

seinen Gegner eindeutig zu einem Kampf unter ihnen allein, einen Kampf also zu zweit,

einem Duell auf: "Albençaidos retó a Adulce, /que...al campo se salgan solos /y después...

/el caballero animoso /que al otro al suelo lo tumbe, /pueda gozar de su dama" (v 82-91).

Von den insgesamt 92 Versen der Romanze enthalten die Verse 1-20 und 38-72 Dialoge.

Das Porträt der dargestellten Personen ergibt sich also vor allem aufgrund der erzählten

verbalen Akten der auftretenden Personen. Die Romanze enthält einige Passagen, die die

Linearität der Erzählung durchbrechen, wie beispielsweise die Verse 32-33, die kurzfristig

neue Personen einführen, wie beispielsweise Galiana, die Frau um die Albençaidos und

Adulce kämpfen ("Galiana, la Cordobesa, /era gran cosa de Adulce"). In Vers 103 wendet

sich der Autor der Geschichte mit einem Verb in der ersten Person Plural direkt an sein

Publikum (pero sepamos ahora). Diese Textstellen zeigen sehr deutlich, daß die

vorliegende Geschichte eine Dichtung im Stile authentischer Volkstradition ist.

Namen / Bezeichnung:

a) Ein sich über einen anderen Mauren beklagender Maure spricht von diesem als Aquel

Moro. Er verwendet also das Demonstrativpronomen, das die größtmöglichste örtliche und

zeitliche Distanz des Sprechers zum Angesprochenen zum Ausdruck bringt. Tatsächlich ist

aber der Angesprochene in der erzählten Textwelt gegenwärtig. Die Bezeichnung des

ersten Mauren für den zweiten signalisiert also eine gewollte Distanzierung vor diesem

zum Ausdruck. Da sich die beiden Sprecher in einem Streit miteinander befinden, scheint

die Bezeichnung aquel eine negative Bewertung des Genannten zu symbolisieren. Der erste

Maure verwendet also keinen Eigennamen, sondern, wie oben gezeigt wurde, ein

Ethnonym, um den anderen Mauren zu bezeichnen. Außerhalb des Dialogs wird dieser mit

einem Eigennamen genannt (el Moro Adulce, v 22). Der Protagonist wird von einem

anderen Mauren bezichtigt, in seinem verliebten Zustand dem Schlachtfeld fernzubleiben,

in gewissem Sinn also "weich" zu sein. Aufgrund dieses Kontextes ist man versucht, den

Namen des Protagonisten mit dem Adjektiv dulce in Verbindung zu sehen. Auffallend ist,

daß dem Wort ein Anlaut vorausgeht, der phonetisch dem Artikel des Arabischen

entspricht.

b) Es tritt ein Maure auf, der ausschließlich mit einem arabischen Eigennamen bezeichnet

wird. Wir haben den in Vers 21 der Romanze erwähnten Namen Abindarraja als 'Sohn der

Verleumderin' übersetzt (cf. Arabismen).

a) und b) Dem Wortlaut der Verse 83-92 zufolge, fordert Albençaidos Adulce heraus,

damit sie, in der Art von caballeros und tapferen Andalusier den Kampf zu zweit antreten

und derjenige, der den anderen zu Boden bringt, die Gunst seiner Herzensdame genießen

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Wien, am 02.06.11, Seite 95 von 259

kann: "Albençaidos retó a Adulce, /que a guisa de caballeros /y valientes Andaluzes, /al

campo se salgan solos /y después... /el caballero animoso /que al otro al suelo lo tumbe,

/pueda gozar de su dama" (v 82-91). Aut. gibt uns für caballero als erste, die folgende

Definition an: "El Hidalgo antíguo notoriamente noble, que tiene algun lustre mas que los

otros Hidalgos, o en la antigüedád, o en los méritos, suyos o heredados. En lo primitivo se

escogían para Caballéros los hombres de mas fuerza, respecto que eran destinados para

servir acaballo, y havían de tener cierta calidádes (...). Su etymología viene de andar

acaballo, porque assi salían a servir a la guerra". Der caballero ist also im allgemeinen eine,

durch Abstammung, edles Benehmen, Talente und Eigenschaften sich unter Ihresgleichen

hervorhebende Person. Der caballero ist dank seiner Eigenschaften und Verdienste ein

Edelmann "erster Klasse" (geworden). Ursprünglich ist er der Ritter per se. Die

Bezeichnung der beiden Mauren Abindarrajas und Adulces als caballeros evoziert die

Vorstellung nobler, also hochgeschätzter Personen.

c) Ein dritter Maure trägt den Namen Albençaidos (v 23), dem in Vers 39 ein Ethnonym

vorangeht (Moro Albençaidos). Wir haben diesen Namen mit der Bedeutung 'Sohn des

Führers' übersetzt (vgl. Arabismen).

d) In den Versen 29-32 wird eine Azala erwähnt, die sich mit dem Infante de Túnez

vermählt: "Había zambra en palacio, /y casábase aquel Lunes /Azala, prima del Rey, /con el

Infante de Túnez". Wie schon im Abschitt über Arabismen erwähnt wurde, könnte die

Bezeichnung Azala als Ausdruck des muslimischen Gläubigers gedeutet werden.

e) Ein einziges Mal wird ohne weitere Beschreibung oder Bezeichnung der oben erwähnte

Infante de Túnez genannt.

f) In den Versen 32-33 wird kurz eine weitere Person mit einem Namen erwähnt, der nicht

arabisch zu sein scheint: "Galiana, la Cordobesa, /era gran cosa de Adulce" (32-33, cf.

Arabismen).

g) In zwei Versen werden dicht hintereinander verschiedene Personengruppen namentlich

und explizit als Sippen bezeichnet, die Namen erscheinen dabei in Pluralform: "Alborotóse

el palacio, /Reduanes y Ganzules, /Zulemas y Abencerrajes, /que son los bandos ilustres" (v

77-80). Mit Ausnahme von Reduanes dürften diese Namen, wie schon erwähnt wurde,

arabischen Ursprungs sein (cf. Arabismen). Dem großen enzyklopädischen Wörterbuch

von Plaza zufolge, war Abencerraje der Deszendent einer arabischen Familie, die im

Granada des 15. Jahrhunderts lebte und die mit der Sippe der Zegríes in Fehde war:

„Individuo de una familia del reino árabe granadino, famosa de su rivalidad con los

zegríes, que participó en el gobierno del reino de Granada durante el s. XV.“ (cf. GDE

PLAZA, s.v.). Diese Erklärung deckt sich mit den Angaben in der EUIEA. Die

Abencerrajes werden darin als eine Sippe oder tapfere Kämpfertruppe afrikanischer

Herkunft erklärt, die die Geschichte des arabischen Granadas im 15. Jahrhundert

entscheidend mitbeeinflußte und sich in ständigen und brutalen Kämpfen mit den Zegríes

befanden: „Con este nombre se designó en el reino árabe de Granada á una tribu ó milicia

denodada y valiente, de procedencia africana, que intervino notablemente en la historia

granadina del siglo XV (...). Estuvieron en continuas y rudas luchas con los zegríes, siendo

éstas las causas de la caída del reino de Granada y de su conquista por los Reyes Católicos“

(ib., s.v. Abencerrajes). Bezüglich des Eintrages ilustre gibt Aut. folgende Erklärungen:

"Magnífico, noble, claro, o elevado sobre los demás, notoriamente por naturaleza, o

méritos", "Significa tambien titulo de dignidád". Ilustre ist also eine Person besonderer

Eigenschaften / Charakters, eine Person, die sich von Natur aus oder aufgrund ihrer

Verdienste von anderen unterscheidet, die über den anderen steht, Würde einnimmt /

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verdient, gesellschaftlich also hoch anerkannt ist. Die erwähnten Personengruppen werden

mit den Worten los bandos ilustres bewertend beschrieben.

h) Der Erzähler bezieht sich in den Versen 25-28 mit den Worten los Alarbes comunes auf

die Gesamtheit der in der Textwelt auftretenden Figuren. Abindarraja, so wird es uns

geschildert, erzählte solche Niederträchtigkeiten über Adulce, wie man sie nicht einmal

unter den Alarben hätte finden können: "Baxezas contaba dél, /que tan infames costumbres

/aún no pudiera hallarse /en los Alarbes comunes" (v 25-28). Für Alarbe gibt Aut. die

folgende Erklärung an: "hombre bárbaro, rudo, áspero, bestial, o sumamente ignorante,

Dícese por comparación a la brutalidád y fiereza que se experimentó en los Arabes o

Alárabes que posseyeron a Espana, de suerte que Alarbe es una syncopa de Alárabe".

Alár(a)be ist also die Bezeichnung für eine brutale, rohe und primitive Person, wie man sie

ursprünglich mit den Arabern der Iberischen Halbinsel in Verbindung gebracht hat.

Genealogie / Familiensippen:

a) In seinen Worten an Abindarraja sagt Adulce, er sei von königlichem Blut: "Adulce es

de sangre real" (v 41).

d) e) Wie oben schon gezeigt wurde, vermählen sich in den Versen 29-32 zwei

Protagonisten königlicher Deszendenz, die Maurin Azala, Nichte des Königs und der Prinz

von Tunesien: "Había zambra en palacio, /y casábase aquel Lunes /Azala, prima del Rey,

/con el Infante de Túnez".

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Abindarraja richtet sich mit folgenden Worten an Adulce: "El que no saca en las fiestas

/cuadrilla y galas azules, /no embrace adarga de Fez /ni lanza jineta empune-" (v 17-20). Er

spricht also von Festlichkeiten und von Festtagskleidung, einem Lederschild, einer

Reitlanze etc. Diese Elemente sind mit der Vorstellung historischer Reitturniere verbunden

(ad correr canas cf. Romanze Nr. 1.). Dem Mauren scheinen diese Turniere etwas

Vertrautes zu sein. Die Geschichte schildert, wie schon erwähnt wurde, die feindschaftliche

bzw. freundschaftliche Beziehungen zwischen mehreren Mauren. Abindarraja beleidigt den

Mauren Adulce, den Feind des Albençaidos (den Freund Abindarrajas), indem er ihn zu

beschimpfen sucht: "Esto dize Abindarraja, /ultrajando al Moro Adulce, /enemigo de

Albençaidos /que baldonalle presume" (v 21-24). Eine Streiterei zweier Personen überträgt

sich auf weitere Personen (A beleidigt B, B beleidigt C) und erfaßt schließlich eine ganze

Hochzeitsgesellschaft, die in Tumult ausbricht: "Alborotóse el palacio, /Reduanes y

Ganzules, /Zulemas y Abencerrajes, /que son los bandos ilustres, /salieron desafiados" (v

77-81). In Vers 22 wird Adulce, wie wir gesehen haben, explizit Feind des Albençaidos

genannt (ultrajando al Moro Adulce, /enemigo de Albençaidos). Adulce entgegnet dem

Abindarraja mit den Worten: "Tú piensas que de las nubes /baxó tu Moro Albençaidos" (v

38-39). Aufgrund des Possessivpronomen dein Maure wird eine große persönliche Nähe

zwischen Abindarraja und Albençaidos signalisiert. Insgesamt zeigen die erzählten,

mehrheitlich verbalen Handlungen eine in hohem Maße von Sippenhandeln und Freund- /

Feind-Denken geprägte Gesellschaft. Das Band zwischen den Angehörigen einer Gruppe

scheint sehr stark, die Feindschaft der verschiedenen Gruppen sehr tief zu sein.

Geographische Herkunft:

b) Abindarraja erwähnt in seinen Worten an Adulce ein Schild aus Fez, das während der

Turnierspiele getragen wird: "El que no saca en las fiestas /cuadrilla y galas azules, /no

embrace adarga de Fez" (v 19). Er könnte also von dieser nordafrikanischen Stadt

stammen.

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e) In der Bezeichnung des Bräutigams als Infante de Túnez (v 32) wird eine Region des

nördlichen Afrikas als (mögliche) Heimat des Genannten angedeutet.

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

a) Der Darstellung in den folgenden Versen nach, trägt Adulce im Kampf eiserne, schwere

Lanzen und ein Schwert, hingegen Kleidung aus kostbaren Stoff zu festlichen Anlässen:

“Cuando el hierro de su lanca /della en la vega reluze, /no está seguro el Maestre“,

„Albençaidos retó a Adulce /que ... al campo se salgan solos, /y después, que desmenuzen

/sus lancas largas y gruesas /y a las espadas se ayunten“ (v 83-87), „Brocados saca a las

fiestas, /no tafetanes azules“ (v 45-47, 57, 70). Der brocado ist nach Aut. eine „Tela texida

con seda, oro o plata, o con uno y otro“, was der Definition als „schwerer gemusterter

Seidenstoff mit eingewebten Gold- od. Silberfäden“ in Wahrig entspricht. Der Maure warnt

Abindarraja davor, er würde ihm die Zunge abschneiden, würde er ihn beleidigen: „no me

agravies ni le culpes, /que... el cuchillo de mi estuche /esa lengua te cortara“ (v 68-71).

Adulce ist also auch während des Hochzeitsfestes bewaffnet.

c) Auch Albençaidos ist, wie aus den oben zitierten Versen hervorgeht (cf. v 83-87), mit

langen, schweren Lanzen und einem Schwert bewaffnet.

Abindarraja äußert folgende Vorwürfe gegen den Mauren Adulce: "El que no saca en las

fiestas /cuadrilla y galas azules, /no embrace adarga de Fez /ni lanza jineta empune" (v 17-

20). Die Teilnehmer von Reitturnieren scheinen also unter anderem Festtagskleider,

Schilder aus Leder und Reitlanzen zu tragen. Was die Kleidung betrifft, scheint die Farbe

Blau häufig getragen zu werden (cf. v 57-58).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und Moralische Eigenschaften:

a) Die Erzählung Aquel Moro enamorado läßt mitunter sehr unterschiedliche

Vorstellungen über die einzelnen Protagonisten entstehen (vgl. die folgenden

Darstellungen auch mit der unter Namen erläuterten Bezeichnung der Protagonisten).

Abindarraja richtet sich mit folgendem Wortlaut an Adulce: "Aquel Moro enamorado /que

de las batallas huye, /mal parece que en palacio /honroso lugar ocupe. /El que al Maestre no

ha dado /entre las bermejas cruzes /bote de lança o flechazo, /con valientes no se junte... /El

que no dize en las plaças /Christianos cautivos truxe... /que están sirviendo a mi dama, /de

galanes no murmure" (v 1-16). Abindarraja bezieht sich in diesen Worten auf Adulce.

Dieser würde, Abindarraja zufolge, in verliebtem Zustand vom Schlachtfeld fliehen, daher

würde ihm kein ehrenvoller Platz im Palast gebühren; Adulce hätte auf dem Schlachtfeld

keine Christen getötet (= er hätte nicht unter blutroten Kreuzen dem Maestre Stöße von

Lanzen und Pfeilen gegeben), daher solle er sich nicht unter die Tapferen reihen; Adulce

hätte nicht auf öffentlichen Plätzen verkündet, er habe christliche Gefangene als Sklaven

seiner Damen gebracht, daher solle er sich nicht als Liebhaber halten (= er solle nicht von

Liebhabern sprechen). Diese Worte enthüllen eine ganz bestimmte Moral Adulces, die auf

redundante Weise hervorgehoben wird. Adulce wird in hohem Maße als unehrenhaft

dargestellt (er würde vom Schlachtfeld fliehen, ihm gebühre kein ehrenvoller Platz, er

gehöre nicht zu den Tapferen und verhielte sich selbst gegenüber dem anderen Geschlecht

als ehrlos). Abindarraja stellt den Mauren Adulce mit seinen Worten außerdem als in

hohem Maße niederträchtig dar: "Baxezas contaba dél, /que tan infames costumbres /aún

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no pudieran hallarse /en los Alarbes comunes" (v 25-28 synthetisieren den Inhalt der Verse

v 1-24). Die beleidigende Beschreibung Abindarrajas von Adulce veranlassen diesen, sich

selbst darzustellen. Diese Selbstdarstellung Adulces steht in krassem Gegensatz zur

Beschreibung, die uns Abindarraja über Adulce gab (cf. supra): "Adulce... /tiene el vencer

por costumbre, /y es el lugar más honroso /cualquiera lugar que ocupe. /Cuando el hierro

de su lança /della en la vega reluze, /no está seguro el Maestre, /aunque sus valientes junte"

(v 41-52). Adulce behauptet also, daß er gewöhnt sei, zu siegen; daß er, woimmer er sich

auch befände, Ehre mit sich brächte; daß der Maestre (cf. Religion) nicht sicher vor seiner

Lanze wäre, auch wenn dieser seine Tapferen (= Krieger) um sich versammelte. Adulce

stellt sich also selbst als stetiger Sieger im Kampf, als ausnahmslos ehrenvoll Handelnder

und in hohem Maße tapfer - er würde, besagen seine Worte, auch eine Mehrzahl von

großen Kämpfern besiegen - dar. Adulce zeigt sich mit diesen Worten als auffällig

selbstbewußt auf. In Vers 61 behauptet Adulce, er würde soviel wert sein, wie tausend

Mauren zusammen: "Vale Adulce por mil Moros". Diese Selbstdarstellung verleiht dem

Protagonisten noch einmal die Charakteristik großer Arroganz. In den Versen 68-71 droht

Adulce, Abindarraja die Zunge abzuschneiden, würde dieser ihn beleidigen: "no me

agravies ni le culpes, /que... el cuchillo de mi estuche /esa lengua te cortara" (v 68-71).

Adulce würde eine (weitere) Beleidigung durch Abindarraja auf blutige Weise rächen. Er

scheint in seinem Ehrgefühl also tief verletzbar, rachedurstig, also sehr stolz zu sein. Die

Warnung vor der blutigen Rache Adulces, spiegelt eine Bereitschaft zu Grausamkeit

wieder, die den Protagonisten als moralisch äußerst negativ konnotierten Menschen

aussehen lassen.

b) Die schweren Anschuldigungen des Abindarrajas gegenüber dem Mauren Adulce

werden, wie oben schon gezeigt wurde, als baxezas, 'Gemeinheiten' (v 25) bezeichnet,

desweiteren als Bösartigkeiten und Falschheiten des Abindarrajas bezeichnet: "Y viendo

[Adulce] que son malicias /las faltas que le atribuye [Abindarraja], /a Abindarraja

responde" (v 35-37). Abindarraja wird also seinerseits mit Bösartigkeit und

Verleumdungen assoziiert. In den oben zitierten Anschuldigungen Abindarrajas gegenüber

Adulce (cf. supra v 1-16) spiegelt sich aber noch ein weiteres Verhalten jenes Mauren

wieder. Abindarraja, der sich mit seinen eigenen Taten vor Adulce zu profilieren scheint,

könnte, auf dem Schlachtfeld (= im Kampf) standhalten, Christen töten oder sie als

Sklaven für seine Herzensdame gefangen nehmen, wodurch ihm Würde zuteil würde. Der

impliziten Selbstdarstellung Abindarrajas ist zu entnehmen, daß der Maure, wenn nicht

prahlerisch, zumindest als sich selbst idealisierend auftritt.

g) Wie schon erwähnt wurde, werden die dicht hintereinander erwähnten Personengruppen,

Reduanes, Ganzules, Zulemas, Abencerrajes mit den Worten los bandos ilustres

bezeichnet. Der Bedeutung des Wortes ilustre zufolge (cf. Namen), spiegelt sich in dieser

Beschreibung eine hohe positive Bewertung der Genannten wieder.

h) Cf. Namen.

Eine besonders redundant und auffällig dargestellte Charakteristik aller auftretenden

Personen, ist ihre Streit- und Rachsucht. Sie bildet den thematischen Kern der Erzählung

und bestimmt die gesamte erzählte Handlung sowie die Beziehungen aller an ihr

teilnehmenden Protagonisten. Wie wir schon gezeigt haben, beleidigt Abindarraja Adulce,

Adulce Albençaidos, der Streit zwischen ihnen überträgt sich auf eine ganze

Hochzeitsgesellschaft. Das semantische Feld 'Streit' taucht, wie es in den folgenden Zitaten

deutlich wird, im Text dicht verknüpft mit dem Feld von 'Rache' auf: "Esto dijo

Abindarraja, /ultrajando al Moro Adulce, /enemigo de Albençaidos /que baldonalle

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presume" (v 21-24), "Albençaidos no busque /alguna ocasión forcosa /en que la cara le

crucen" (v 62-64)", "no me agravies ni le culpes" (v 68-69); "esa lengua te cortara /porque

con ella no injuries" (v 71-72); "Levantóse Abindarraxa /diziéndole: /No te burles, /porque

aquí me vengaré" (v 73-75), "Alborotóse el palacio, /Reduanes y Ganzules, /Zulemas y

Abencerrajes... /salieron desafiados; /Albençaidos retó a Adulce" (v 77-82). Die Individuen

der auftretenden Gesellschaft werden in sehr redundanter Weise mit Bildern des Streits /

der Rache (ultrajar, enemigo, baldonar, buscar ocasión...en que (otros) la cara le crucen,

agraviar, culpar, cortar la lengua, injuriar, burlar, vengar) assoziiert. Es entsteht das Porträt

eines in besonderem Maße streithungrigen, kampflustigen, rachsüchtigen, implizit also

auch stolzen Mauren.

Religion / Ideale:

b) Abindarraja wirft, wie oben gezeigt wurde, Adulce implizit vor, den Maestre nicht

getötet zu haben und keine christlichen Gefangene gemacht zu haben: "El que al Maestre

no ha dado /entre las bermejas cruzes /bote de lanca o flechazo, /con valientes no se junte

(...) /El que no dize en las placas /Christianos cautivos truxe... /de galanes no murmure" (v

5-16). Da uns der Text das Bild von Kreuzen, das Symbol des christlichen Glaubens und

von gefangenen Christen vor Augen führt, dürfte mit Maestre ein Großmeister, d.h.

höchster Würdenträger eines christlichen Ordens gemeint sein. In einer Reihe von

Erzählungen des Romancero General wird - in mehr oder weniger vollständigen

Syntagmen - der Orden von Calatrava / la Cruz de Calatrava, einer der mächtigsten

Ritterorden in der Zeit der „Reconquista“. Aufgrund der starken Intertextualität von

Romanzen, scheint es sich bei dem im vorliegenden Text erwähnten Maestre um einen

hohen Repräsentanten des Calatrava-Ordens handeln. Dieser erscheint im Text namenlos,

bleibt also weitgehend unidentifiziert. Die Vorstellung von blutroten Kreuzen (entre las

bermejas cruzes), von Lanzen- und Pfeilstößen (bote de lança, flechazo) und gefangenen

Christen (Christianos cautivos) lassen an ein Schlachtfeld und den Kampf gegen Christen

denken.

Leidenschaften:

a) Die Liebe scheint ein wichtiger Teil im Dasein des Mauren zu sein. Schon im ersten

Vers der Romanze wird Adulce - in den Worten Abindarrajas - als verliebt bezeichnet.

Derjenige Maure, der verliebt vom Schlachtfeld flüchtet, sei es nicht würdig, einen Platz

im Palast einzunehmen, lauten die ersten Verszeilen der Romanze: "Aquel Moro

enamorado /que de las batallas huye /mal parece que en palacio /honroso lugar ocupe". Es

scheint, Adulce will nicht kämpfen, um seinen Liebesgefühlen den Vorrang zu geben.

Noch einmal wird in den Verszeilen 33-34 Adulce beschrieben, der sich zu einer Frau stark

hingezogen fühlt: "Galiana, la Cordobesa, /era gran cosa de Adulce" (v 33-34).

b) Den Worten Abindarrajas an Adulce zufolge, scheint auch ersterer mit Inbrunst um die

Damen seiner Gunst zu werben. Derjenige, der nicht öffentlich (= an öffentlichen Plätzen)

sagt, er habe christliche Gefangene gebracht, die seiner Herzensdame dienen, soll nichts

über Galane sagen: "El que no dize en las placas /Christianos cautivos truxe, /que están

sirviendo a mi dama, /de galanes no murmure" (v 1-16).

NB In den Versen 93-100 spricht der Erzähler die Liebe an: Verflucht seist du, Liebe, denn

es gibt keinen Menschen, den du nicht beeinflußt; du verheimlichst die Eifersucht und

enthüllst heimliche Liebe, du schließt Feindschaften und zettelst schreckliche

Verwirrungen an: "Oh maldito seas amor, /que no hay que no le mudes", "Encubres

públicos zelos /y amor secreto descubres, /conciertas enemistades, /terribles maranas

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urdes" (v 93-100). Es entsteht der Eindruck, Liebesgefühle hätten den Streit und das Chaos

unter der Hochzeitsgesellschaft ausbrechen lassen.

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

Alle auftretenden Figuren nehmen, wie oben gezeigt wurde an einer Hochzeit im

königlichen Palast teil. Diese Teilnahme weist sie per se als gesellschaftlich hochsituierte

Personen aus. Weitere Indizien dafür ist, im Falle von Adulce und Abindarraja, auch deren

Teilnahme an Reitfestspielen, die mit der Erwähnung von fiestas, galas, adarga, lanza

jineta angedeutet wird und die kostbare Kleidung, wie sie Abindarraja zu tragen pflegt (v

17-20 und 57, cf. Kleidung).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) b) Albençaidos forderte Adulce heraus, in der Art von tapferen Andalusiern zum Kampf

alleine (= zu zweit) aufzubrechen, sagen die Verse 82-85: "Albençaidos retó a Adulce, /que

a guisa de caballeros y valientes Andaluzes, /al campo se salgan solos". Die beiden Mauren

werden geographisch also dem Raum von Al-Andalus zugeordnet.

24.6. Die Romanze Una parte de la vega

Die wesentlichen Protagonisten dieser 92 versigen Geschichte sind der Maure Xarife und

zwei weitere, namentlich nicht genannte Figuren. Es werden desweiteren die Maurin

Celindaja und deren Vater Hamete Persa erwähnt, die aber für die eigentliche Handlung

nicht von Bedeutung sind. Die Romanze erzählt, wie Xarife, der sich auf dem Weg zu

seiner Geliebten befindet, von zwei Mauren verfolgt wird. Diese beginnen einen unfairen

Kampf zu zweit gegen ihn: "A las nueve de la noche... /parte el Moro venturoso /a ver a su

Celindaja", "Dos dispuestos Moros siguen", "andaba la escaramuza /los dos contra el de

Cartama" (v 21-26, 41, 71-72). Als er den Namen seiner Geliebten ausspricht, gibt einer

der beiden Angreifer vor, der Beschützer und Geliebte der Maurin zu sein ("Goza, Moro, lo

que es mío", v 85), das Xarife veranlaßt, umzukehren ("Xarife dió la vuelta /para tornarse a

Cartama", v 91-92). Die vorliegende Romanze ist stellenweise klassizistisch elaboriert.

Erwähnt werden in den Verszeilen 21-25 beispielsweise Diana als Symbol des Mondes

(Pérez-Rioja 51997, s.v.): "A las nueve de la noche, /cuando comiença Diana /con su

clarifica lumbre /tender los rayos de plata, /parte el Moro venturoso" (v 21-25. cf. auch die

Verse 65-68).

Namen / Bezeichnung:

a) In Vers 7 wird als Nebenfigur der Erzählung der Maure Hamete Persa erwähnt, der, wie

es im Text heißt, seiner Tochter als Mitgift eine Länderei gab: „Una parte de la vega /que

Xenil y Darro banan... /dexó en dote Hamete Persa /a su hija Celindaja“ (v 1-8). Die

Bezeichnung Hamete kann mit der Bedeutung des 'am höchsten Gelobten' in Verbindung

gebracht werden (cf. Arabismen).

b) Wie aus den oben zitierten Versen hervorgeht, wird die Figur der Maurin mit einem

Eigennamen genannt, dem unmittelbar ein Hinweis ihrer Genealogie voran und ein

Hinweis ihrer Volkszugehörigkeit nachgeht: "su hija Celindaja, /Mora que entre Moras..."

(v 8-9). In Vers 20 wird von der Geliebten des Mauren Xarife als su dama gesprochen. Es

wird darin eine im wesentlichen hohe Wertschätzung der Maurin zum Ausdruck gebracht

(cf. ad dama Romanze Nr. 1.). In der namentlichen Bezeichnung der Protagonisten könnte,

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Wien, am 02.06.11, Seite 101 von 259

wie schon erörtert wurde, die Vorstellung einer besonders schönen Person orientalischer

Abstammung mitschwingen (cf. auch Aussehen).

c) Der Protagonist, der für die erzählte Handlung von primärer Bedeutung ist, wird als un

bizarro de Cartama eingeführt: "Estaba prendado della /un bizarro de Cartama" (v 17-18).

Aut. verzeichnet das Lexem bizarro mit zwei Einträgen: 1. "Generoso, alentado, gallardo,

lleno de noble espiritu, lozanía y valor"; 2. "Vale tambien lucído, mui galán, esplendido y

adornado" (ib.). Das Langenscheidts Handwörterbuch Spanisch (Haensch, 1987) gibt uns

für die angeführten Adjektiva folgende Übersetzungen im Deutschen: für generoso 'groß,

edelmütig, freigebig'; für alentado 'tapfer, mutig, stolz, herausfordernd', für gallardo

'stattlich, würdevoll, mannhaft, kühn, schneidig, schmuck, großartig, schön'; für noble

'adelig, vornehm, edelmütig'; für lucido 'glanzvoll, prächtig, glänzend, großartig, freigebig;

für espléndido 'prächtig, herrlich, prunkvoll, strahlend, glänzend, freigebig'; das Verb

adornar wird mit '(ver)zieren, (aus)schmücken mit' übersetzt. Das Lexem bizarro ist also

polysem, es bezeichnet verschiedene semantische Aspekte, die sowohl "äußere", als auch

"innere" Zustände bzw. Eigenschaften beschreiben. Ein bizarro kann also eine stattliche,

anmutige, zugleich aber auch eine Person sein, die aufgrund ihres edlen, tapferen

Charakters Würde einnimmt. Am vorliegenden Text ist auffallend, daß der Protagonist als

bizarro physisch und charakterlich klar erfaßt wird, als Individuum aber vorerst nur als

Unbestimmter identifiziert wird (un bizarro de Cartama, v 18). Mit der Wiederaufnahme

des handelnden Subjekts als el Moro venturoso (v 25) wird der Genannte ethnisch

zugeordnet. In den Versen 53-54 wird derselbe Protagonist von einem Widersacher als

Verräter angerufen, schwer beschimpft und mit einem Diminutivum abschätzig

angesprochen: "Traidor, dize uno de ellos, /villano de vil canalla", morillo (v 53-54, 57).

Erst in Vers 73 wird der Namen des Mauren, Xarife, genannt: "Xarife, viéndose solo". Wir

haben diesen Namen mit der Bedeutung 'nobel' übersetzt (cf. Arabismen).

d) Zwei gemeinsam auftretende Personen werden als dos dispuestos Moros in die

Handlung eingeführt, sie verfolgen die Spur des Xarife: "Dos dispuestos Moros siguen" (v

41). Sie werden also zunächst in ihrer Anzahl, ihrem Gemütszustand und schließlich mit

einem Ethnonym genannt.

Genealogie / Familiensippen:

a) b) In den Versen 7-8 wird eine Vater-Tochter Beziehung, ein nahes verwandtschaftliches

Verhältnis angegeben: "dexó en dote Hamete Persa /a su hija Celindaja" (v 7-8).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Wie es in den Versen 1-8 geschildert wird, gab Hamete Persa seiner Tochter Celindaja

eine Mitgift: "Una parte de la vega /que Xenil y Darro banan... /dexó en dote Hamete Persa

/a su hija Celindaja".

NB Einer der angreifenden Mauren erwähnt gesellschaftliche Treffen und Feste, scheinbar

sind diese etwas Gewöhnliches in der Welt der Protagonisten: "Goza, Moro, lo que es mío,

/yo te doy mi palabra /de jamás te voy estorbar /en fiestas, zambra, batalla" (v 85-89).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

b) Schon in den Versen, die die Maurin einführen, wird diese als schöne Frau beschrieben.

Ihre Schönheit ist, den folgenden Versen zufolge, von höchstem Maße: "Mora que entre

Moras bella /la llaman, quien vella alcanca, /y alcanca tanto poder /que nadie alcanca a

miralla /sin que en el punto no rinda /alma, coracón y entranas": 'Unter den Maurinnen

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nennt sie schön, wem es gelingt, sie zu sehen und sie erreicht solche Macht, daß

niemandem es gelingt, sie zu betrachten, ohne daß er auf der Stelle Seele und Herz verliert'

(v 9-14). In der Bezeichnung der Maurin als dama (v 20) wird implizit ein zweites Mal auf

ihr schönes Aussehen hingewiesen. Danach wird nocheinmal das Wort schön in

Zusammenhang mit der Maurin verwendet: "Xarife, viéndose solo, el dulce nombre declara

/que rumiaba entre los dientes /de su hermosa Celindaja" (v 73-76). Der Name Celinda(ja)

hat, wie wir schon mehrmals erörtert haben, ebenfalls etwas mit der Bedeutung von

'Schönheit' zu tun. Der physi(iognomi)sche Aspekt der Maurin wird also insgesamt viermal

angesprochen.

d) Die zwei gemeinsam auftretenden Protagonisten werden, wie schon erwähnt wurde, als

Dos dispuestos Moros bezeichnet: "Dos dispuestos Moros siguen" (v 41). Diese

Beschreibung verleiht den beiden Genannten ein stattliches Aussehen. Das adjektivisch

verwendbare Partizip dispuesto (< von disponer) ist nach Aut. gleichzusetzten mit „galán,

gallardo, bien proporcionado“ (ib., s.v.).

Kleidung / Ausstattung:

c) In den Versen 45-52 wird eine Reihe von Elementen genannt, die der Maure an sich

trägt: Als Xarife die anderen beiden Mauren bemerkt und eine Lanze mit schaurig

hallendem Klang vibriert, kehrt er um, ergreift den Schild, drückt den Schleier an sich,

setzt seine Kopfbedeckung zurecht, und gibt (dem Pferd) die Sporen: "y como los siente (el

Moro), /vibrando fuerte la lanca /con horrísono sonido, /vuelve rienda, embraca adarga

/aprieta la toca al braco... /encaxa el verde bonete, /da de espuelas, presto salta". Diese

Beschreibung zeigt einen bewaffneten, sporentragenden Reiter mit Schild, der einen

Schleier über den Arm und eine grünliche Kopfbedeckung nach maurischem Stil trägt (ad

toca cf. Arabismen).

d) Einer der beiden Mauren benützt eine Lanze, deren Klang bis zu Xarife dringt (v 46).

Einer der beiden Mauren benützt außerdem im Kampf mit Xarife eine Keule: "Xarife,

viéndose solo, el dulce nombre declara /que rumiaba entre los dientes /de su hermosa

Celindaja; /y habiéndole pronunciado, /sin derribar más la maca, /dexa su mayor contrario

/la comencada batalla" (v 73-76).

Körperliche Eigenschaften:

d) Die zwei Mauren folgen Xarife, wie es wörtlich heißt, mit leiser und schneller Sohle:

"Dos dispuestos Moros siguen /con callada y veloz planta /por el rastro de las vozes" (v 41-

43). Sie scheinen sich also leichtfüßig / behändig zu bewegen.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

c) Als Xarife die beiden Mauren hört, kehrt er um, ergreift sein Schild und reitet

geradewegs auf das Geräusch zu: "y como los siente... /vuelve rienda, embraca adarga... /da

de espuelas, presto salta" (v 45-52), "Con gallarda muestra..." (v 61). Wie es in den Versen

53-64 lautet, fürchtet er den Kampf nicht, denn er entrang schon schlimmeren (wörtlich

'wilderen, tapfereren Kriegen'): "no teme aquesta guerra, /pues salió de otras más bravas" (v

53-64). Xarife zeigt(e) sich also aufgrund seiner Handlungen als mutig, zudem wird er

auch von einem der beiden Angreifer zwei Mal tapfer genannt: "Muy venturoso le dize, /de

muy valiente le alaba" (v 81-82).

d) Einer der beiden Angreifer verfolgt den dritten Mauren mit Hartnäckigkeit, um ihn zum

Kampf zu stellen: "¡aguarda, aguarda, que vengo, /que vengo, que vengo, aguarda! (v 55-

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56). Xarife solle sich mit seinem Schild und Schwert schützen, sonst würde er ihn mit einer

Lanze durchbohren: "Apercíbete, Morillo, /escúdate con la adarga, /que si no te escudas

presto /pasarte he con esta lanca" (v 57-60). Diesen Versen zufolge, sind die zwei Mauren

also sehr angreifslustig, kämpferisch, tötungswillig. Sie folgen Xarife "con callada y veloz

planta" (v 42), auf leisen Sohlen, hinterlistig, also. Die beiden Mauren stellen Xarife zu

einem unfairen Kampf von zwei zu einem: "Y como si en aquel punto /comencaran la

batalla, /andaba la escaramuza /los dos contra el de Cartama" (v 69-72). Sie sind also

gewissermaßen feige. Einer der Gegner lobt Xarife für seine Tapferkeit. Dann stellt er die

Celindaja als seine Geliebte dar, indem er Xarife auffordert zu genießen, was das Seine ist;

er sagt dabei nicht die Wahrheit: "Muy venturoso le dize, /de muy valiente le alaba";

"Goza, Moro, lo que es mío, /que yo te doy mi palabra /de jamás te lo estorbar /en fiestas,

zambra, batalla. Fuése fingiéndole el Moro /que había venido en su guarda" (v 81-90). Der

Widersacher ist also auch ein Lügner.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

c) In einer Reihe von Darstellungen kommt die Liebe Xarifes zu Celindaja zum Ausdruck.

Der Maure ist, wie es wörtlich heißt, gefangen von ihr: "Estaba prendado della /un bizarro

de Cartama" (v 17-18). Celindaja ist der Grund für den Weg, den der Maure um neun Uhr

abends unternimmt: "A las nueve de la noche... /parte el Moro venturoso /a ver a su

Celindaja, /a ver su pena y su gloria" (v 21-27). Die wiederholte Bezeichnung der Maurin

als "su Celindaja" spiegelt die Gefühlsnähe Xarifes zur Genannten wider: "Xarife...

/rumiaba entre los dientes /de su hermosa Celindaja" (v 26 und 73-76). Die Maurin wird

sein Leid und sein Ruhm genannt, sie ist also der maßgebende Ausschlag für sein

Befinden. Er ist vor Liebesgefühlen überglücklich und äußert dies, wie es wörtlich heißt,

tausendfach: "No le cabe el alegría /que lleva dentro en el alma... /Suelta la voz, echa al

viento /mil donaires, mil palabras /que el amor tenía esculpidas /como piedra en sus

entranas" (v 29-36). Einer der Angreifer schmeichelt Xarife für dessen Mut und sieht in

Celindaja den Grund für das tapfere Auftreten des Mauren: "Muy venturoso le dize, /de

muy valiente le alaba, /¿mas cómo no lo serás /si te ayuda Celindaja?" (v 81-82). Xarife

scheint seine Kraft aus seiner Liebe zu beziehen.

Attribute:

d) Xarife läßt seine Stimme mit einem fröhlichen, für die Mauren typischen Geschrei

erklingen, dem die zwei Mauren folgen: "Dos dispuestos Moros siguen... /por el rastro de

las vozes /y de la alegre algazara" (v 41-44, cf. Arabismen).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Hamete Persa gab, den Versen 1-8 zufolge, seiner Tochter Celindaja als Mitgift eine

reiche Länderei: "Una parte de la vega /que Xenil y Darro banan, /cuyas aguas enriquecen

/el Xaragui de Granada, como mejor posesión, /amena y de más ganancia, /dexó en dote

Hamete Persa /a su hija Celindaja (v 1-8). Er ist also vermögend.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) In den Versen 1-8 (cf. supra) werden mit Genil, Darro und Xaragui de Granada, drei

Flüsse der Provinz Granada genannt.

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24.7. Die Romanze Galanes, los de la Corte

Die wichtigsten Protagonisten dieser 116 versigen Erzählung sind der Maure Audalla und

die Maurin Fátima. Außer ihnen wird eine Reihe anderer Personengruppen bzw. Personen,

die für die eigentliche Erzählung nur sekundärer Bedeutung haben, erwähnt: eine Gruppe

von Höflingen / Galanes, los de la Corte, der König von Granada / el Rey Chico de

Granada, die Königin / la Reina, eine Frau der Sippe der Zegríes / bella Zegrí, Frauen der

Sippe der Gomeles / las damas Gomeles, Frauen der Sippe der Bencerrajes /

las...Bencerrajes, Frauen de Sippe der Almoradíes / algunas Almoradíes (v 1-9, 36-41), der

Großmeister des Calatrava-Ordens / el Maestre de la Cruz de Calatrava (88), ein Alcaide

(v 91), die Pagen des Königs / los Donceles (v 91), ein Graf / el fuerte Conde de Cabra (v

92), eine senora (v 107). Davon scheinen christliche Gestalten zu sein der Maestre de la

Cruz de Calatrava und der als attributiv als stark bezeichnete Graf Conde de Cabra.

Insgesamt sind die Verszeilen 89-92 inhaltlich unklar, da das Subjekt der erzählten

Handlung 'gefangennehmen' nicht eindeutig zu bestimmen ist. Der folgende Wortlaut

stammt von der Maurin Fátima, die sich auf Audalla zu beziehen scheint: "sabe prometer...

/la cabeca del Maestre... /cuando prendieron al Rey /en sangrienta lid trabada, /el Alcaide y

los Donceles, /el fuerte Conde de Cabra". Auch die Identität der in Vers 107 genannten

senora, der Herzensdame des Mauren Audalla ist nicht weiter bestimmt. Die Geschichte

erzählt eine Auseinandersetzung zwischen dem Mauren Audalla und der Maurin Fátima,

bei der es um die Sippe der Zegríes geht. In einem Brief äußert der Maure Audalla, der

selbst ein Zegrí ist, seine Geringschätzung gegenüber den Frauen, die nicht seiner Sippe

angehören, zum Ausdruck: "Galanes, los de la Corte... /quien Zegrí dama no sirve /no diga

que sirve dama" (v 1-4). Dies veranlaßt Fátima, für eine Gruppe von Frauen, dem Mauren

in einem Brief zu antworten: "este papel enviaban, /siendo, por voto de todas, /Fátima la

secretaria" (v 42-44). Von den 116 Versen der Romanze sind die Verszeilen 1-32 und 45-

116 als Dialog formuliert. Der eigentliche Inhalt der Romanze ist also insbesonders aus den

verbalen Handlungen abzuleiten.

Namen / Bezeichnung:

a) Der Maure Audalla spricht eine Gruppe von Höflingen als "Galanes, los de la Corte, /del

Rey Chico de Granada" ( v 1-2) an.

b) Kurz erwähnt wird in Vers 2 ein König, der als Rey Chico de Granada bezeichnet wird.

Es könnte sich dabei um Boabdil, auch ›der Kleine‹ genannt, handeln, den letzten

maurischen König von Granada (gest. zwischen 1527 und 1538), der sein Reich an

Ferdinand II. von Aragón und Isabella von Kastilien verlor (cf. EUIEA, s.v. Abencerraje).

c) Kurz erwähnt wird auch eine Königin, die namentlich nicht weiter erfaßt wird (la Reina,

v 9).

d) Eine der beiden wichtigsten Erzählfiguren ist ein Maure, der als "el enamorado Audalla,

/galán Zegrí de linaje" in den Versen 34-35 zum erstenmal erwähnt wird. Der Bedeutung

des Namens Audalla ist, wie wir gesehen haben 'Diener Gottes'. Dem Eigennamen geht ein

Adjektiv voraus und eine Beschreibung nach, die den Protagonisten in seinem emotionalen

Zustand, sowie genealogisch bzw. ethnisch erfassen.

e) Einmal kurz erwähnt wird eine Angehörige einer maurischen Sippe. Sie trägt keinen

Namen: "Esto plantó en el cartel /el enamorado Audalla, /galán Zegrí de linaje, /que bella

Zegrí le amaba" (v 33-36).

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f) Es werden weibliche Angehörige einer Sippe erwähnt, die der Darstellung des Erzählers

nach, viele sind: "pero las damas Gomeles, /que eran muchas y muy damas... /este papel

enviaban" (v 37-42).

g) Es werden weibliche Angehörige einer zweiten Sippe genannt: "pero las damas

Gomeles... /y las pocas Bencerrajes /que han quedado desta casta, /este papel enviaban" (v

37-42). Es handelt sich, wie es aus dem Text hervorgeht, um einige wenige Personen, die

von dieser Sippe noch übriggeblieben sind. Diese Darstellung scheint eine Anspielung auf

die Ausrottung der Abencerrajes durch eine andere Sippe (cf. Romanze Nr. 5.).

h) Es werden weibliche Angehörige einer dritten Sippe genannt, die, wie die

vorangehenden Protagonistinnen, nach einer (nicht immer historischen) Person benannt zu

sein scheinen: "pero las damas Gomeles... /y algunas Almoradíes, /este papel enviaban (v

37-42).

i) Die weibliche Hauptfigur der Romanze trägt den Namen Fátima, den Namen einer der

Töchter des Muhammad: "este papel enviaban, /siendo, por voto de todas, /Fátima la

secretaria" (v 42-44).

j) In Vers 91 werden mit el Alcaide und los Donceles drei Untergebene des Königs erwähnt

(ad alcaide cf. Arabismen). Unter dem Eintrag Doncel verzeichnet Aut. "Nombre que se

daba en lo antiguo al Caballero Page de los Reyes". Die Genannten dürften die Begleiter

des Königs von Granada sein.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

In den Worten Audallas an die Galane des Hofes und in den Worten Fátimas an Audalla

werden, ohne die Wiederholungen ein und desselben Wortes mitzurechnen insgesamt

neunmal Ereignisse gesellschaftlicher Natur erwähnt (sarao, danzar, zambra, fiesta de

placa, tirar los bohordos, jugar las canas, máscaras, juegos, encamisadas): "Galanes, los

de la Corte, /del Rey Chico de Granada, /quien Zegrí dama no sirve... /ni es justo... /que le

valgan... /ni las leyes de la gala, /ni delante la Reina, /en los saraos del Alhambra, /se le

consienta dancar /con sus amores la zambra, /ni que el dulce nombre della /le cifre en letra

grabada, /ni bordado en la librea /la saque en fiesta de placa", "para tirar los bohordos /y

para jugar las canas"; "Sobre el cuerno de la Luna /las damas Zegríes levantas, /y hasta

llegar a ellos, /todo es aire lo que pasas; /a sus galanes prefieres /privilegios y ventajas /en

máscaras y saraos, /en juegos y encamisadas" (v 1-16, 23-24, 57-64). Die beiden Lexeme

saraos und zambra sind zwei Wörter unterschiedlicher Herkunft, die ein gesellschaftliches

Treffen zu nächtlicher Zeit bezeichnen. Während zambra aus dem Arabischen stammt (cf.

Arabismen), hat sarao eine romanische Etymologie: "Del port. sarao, y este del lat.

*SERANUM, de SERUM, la tarde.) m. Reunión nocturna de personas de distinción para

divertirse con baile o música." (DRAE 1984, s.v.). Für die Einträge fiesta, máscaras,

juegos, encamisadas gibt uns Aut. u.a. die folgenden Erklärungen: "Fiesta. Se llama

tambien el regocijo público que se hace con el concurso del Pueblo", "Máscaras. Festejo

de Nobles acaballo, con invencion de vestidos y libréas, que se executa de noche con

hachas, corriendo paréjas"; "Juegos. Usado en plurál, significa las fiestas públicas,

espectáculos, y otras diversiones, que se executan por alguna celebridad o memoria",

"Encamisada. Era tambien cierta fiesta, que ss hacia de noche con hachas por la Ciudád,

con senal de regocijo, yendo acaballo, sin haver hecho prevencion de libréas, ni llevar

orden de máscara, por haverse dispuesto repentinamente, para no dilatar la demonstracion

pública y celebrada de la felicidad sucedida". In der Welt der Protagonisten scheint man

sich also, zu verschiedenen nächtlichen Veranstaltungen zu treffen, bei denen Tanz und

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Musik eine bedeutende Rolle haben. Der Text liefert uns außerdem in den Worten Audallas

explizit die Beschreibung eines an Turnieren teilnehmenden Reiters (cf. Kleidung). Auch

Reitfestspiele scheinen also in der Welt der Protagonisten gewöhnlich stattzufinden. Es

treten, wie schon gezeigt wurde, verschiedene Personengruppen auf. In Vers 41 erwähnt

der sich auf eine Gruppe von Frauen beziehende Erzähler den Begriff casta: "pero las

damas Gomeles... /y las pocas Bencerrajes /que han quedado desta casta, /este papel

enviaban" (v 37-42). Audalla ruft die Höflinge des Königs indirekt dazu auf, den Frauen

seiner eigenen Sippschaft zu huldigen: "quien Zegrí dama no sirve /no diga que sirve

dama" (v 3-4). Er lobt diese, wie aus dem Vorwurf Fátimas abzuleiten ist, übermäßig hoch

(wörtlich: 'über das Horn des Mondes'): "Sobre el cuerno de la Luna /las damas Zegríes

levantas" (v 57-58). Die dargestellte Gesellschaft ist also streng in Gruppen unterteilt,

deren Angehörige ein stark ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl zu haben scheinen.

Geographische Herkunft: ——

Genealogie / Familiensippen:

d) e) f) g) Es treten, wie schon gesagt wurde, mehrere Personen oder Personengruppen auf,

die bestimmte maurische Sippen „repräsentieren“. Zu ihnen gehören Audalla und eine

namenlose, in Vers 36 kurz erwähnte Maurin: "el enamorado Audalla, /galán Zegrí de

linaje" (v 34-35); "Esto plantó en el cartel /el enamorado Audalla, /galán Zegrí de linaje,

/que bella Zegrí le amaba" (v 33-36); weiteren Sippen gehören desweiteren an die in Vers

37 einheitlich genannten damas Gomeles, die in Vers 39 erwähnten Bencerrajes und die in

Vers 41 in kleiner Anzahl auftretenden algunas Almoradíes (cf. Romanze Nr. 5., s.v.

Abencerraje und Zegrí).

Aussehen / Alter:

a) Audalla richtet sich an eine Gruppe von Personen, die er als Galane / galanes (cf. v 1)

anspricht. Wie schon erläutert wurde, ist der Galan ein Mann von anmutiger Gestalt, der

sich auch schön kleidet und per se bestrebt ist, (somit) den Frauen zu gefallen (cf.

Romanze Nr. 1.).

d) Auch die Bezeichnung damas weist auf eine Gruppe wohlaussehender Frauen hin: "pero

las damas Gomeles (....) que eran muy damas" (v 37).

e) Die ohne Eigennamen auftretende Maurin wird als schön bezeichnet: "Esto plantó en el

cartel /el enamorado Audalla, /galán Zegrí de linaje, /que bella Zegrí le amaba" (v 33-36).

f) In der Bezeichnung der Frauen als „las damas Gomeles que eran (...) y muy damas“

spiegelt sich ebenfalls das Bild schöner Frauen (v 37-38).

Kleidung / Ausstattung:

Audalla nennt in seinem, an die Galane des Hofes gerichteten Wortlaut, viele Elemente des

an Turnieren teilnehmenden Mauren im allgemeinen. Derjenige, der nicht einer Frau aus

der Sippe der Zegríes huldigt, sei es nicht wert, ihren Namen eingraviert oder in der

Öffentlichkeit (wörtlich 'auf den Plätzen') auf dem Livree gestickt zur Schau zu tragen,

noch solle er als Zeichen den goldbestickten Schleier, der durch das Schild gezogen ist, in

der Farbe seiner Dame tragen; noch solle er auf dem starken Arm den weißen Schleier

befestigen, um die Wurfspieße abzuschießen und das Turnier zu spielen; noch solle er

einen Edelstein tragen, noch ihr Bild auf einem Einsatz aus Gold oder Silber, unter reichen

Federn als Emblem tragen; noch solle er eine schwanenweiße Stute - es fehlt an dieser

Stelle ein Prädikat, welches wir dem Kontext folgend, hinzufügen 'ihn begleiten': "quien

Zegrí dama no sirve... /ni es justo... /que el dulce nombre della /le cifre en letra grabada, /ni

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bordado en la librea /la saque en fiesta de placa, /ni que pueda del color /de su dama sacar

banda, /almayzar listado de oro, /travesada por la adarga, /ni atar el robusto braco... /toca

blanca /para tirar los bohordos /y para jugar las canas, /ni que ponga en camafeo, /ni en

tarjeta de oro o plata, /debaxo de ricas plumas, /su retrato por medalla; /ni yegua color de

cisne /de clin, ni cola alhenada" (v 3-28). Diese Beschreibung nennt viele Details der

Ausstattung des an Festlichkeiten teilnehmenden Mauren. Die Erwähnung einer librea

weist eindeutig auf den festlichen Rahmen eines Reitturniers hin: "(...) vestido uniforme

que sacan las quadrillas de Caballeros en los festejos públicos: como Canas, Máscaras,

&c." (Aut. s.v.).

Körperliche Eigenschaften:

b) In der namentlichen Bezeichnung des Königs wird das Adjektiv klein verwendet (el Rey

Chico), der Genannte wird allerdings mit keinem expliziten Hinweis als 'klein von Statur'

beschrieben.

NB Audalla beschreibt, wie wir gesehen haben, das Erscheinungsbild des Teilnehmers an

Reitfestspielen allgemein und erwähnt dessen starken Arm, so als ob alle Reiter stark

wären (cf. supra v 21).

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Cf. Aussehen.

d) Wie oben schon mehrmals gezeigt wurde, beleidigt Audalla mit seinen Worten an die

Galane des königlichen Hofes, die Angehörigen anderer Sippen, indem er seine eigene

Sippe vorzieht: "Galanes, los de la Corte, /del Rey Chico de Granada, /quien Zegrí dama no

sirve /no diga que sirve dama" ( v 1-4), "Sobre el cuerno de la Luna /las damas Zegríes

levantas, /y hasta llegar a ellos, /todo es aire lo que pasas; /a sus galanes prefieres

/privilegios y ventajas /en máscaras y saraos, /en juegos y encamisadas" (v 57-64). In den

Worten Fátimas zeichnet sich Audalla als hochmütiger Charakter ab: "quien (= Audalla)

sabe prometer /con soberbia y arrogancia /la cabeca del Maestre /de la Cruz de Calatrava"

(v 85-88). Die Worte der Protagonistin enthüllen ein weiteres Benehmen Audallas. Als der

König in blutigem Kampf gefangengenommen wurde, entfernte sich Audalla schon nach

einem Tag des Kampfes vom Schlachtfeld, er ging ohne Verletzung (wörtlich 'gesünder')

weg, von grandiosem Kampf sprechend, den Schild an sich gedrückt, ohne daß seine Stute

(vor Anstrengung) naß geworden wäre, um seine Herzensdame wiederzusehen; schon beim

ersten Treffen hätte er dem Christen den Rücken zugewandt: "cuando prendieron al Rey

/en sangrienta lid trabada /...partiendo (= partió Audalla) a Santafé, /más aina que a la

batalla. /Después de ocupado un día /con aquesta empresa escasa, /con más salud que

partió, /y más luziente la llama, /y la adarga más estrecha /y la yegua ni aún sudada... /por

tener contino vuelta /a su senora la cara. /Al primer encuentro vuelve /al Christiano las

espaldas" (v 89-108). Dieser Darstellung zufolge, würde sich Audalla dem Kampf nicht

stellen - was an Feigheit denken läßt -, er würde von großartigem Kampf sprechen, obwohl

er nicht lange gekämpft hat, folgliche prahlt er. Und er zieht seine Herzenswünsche dem

Kampf vor. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Worte Fátimas. Die Maurin wünscht

Audalla scheinbar spottend, nach seiner Liebe zu leben, und diese noch viele (wörtlich

'tausend') Jahre zu genießen, denn er werde nicht, wie es wörtlich heißt, durch einen

Lanzenstoß sterben: "Sírvase después, quien gusta /deste amor, desta crianca... /que gozara

de mil anos... /que si de edad no muriere, /no morirá de lancada" (v 109-116).

Religion / Ideale:

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Wien, am 02.06.11, Seite 108 von 259

Die Verse 73-90 bilden eine Reihe von Nebensätzen, denen im Text des Romancero

General das übergeordnete Prädikat fehlt. Die Darstellung der erwähnten Verse ist aber

eindeutig ein Kriegsszenarium, in dem eine Stadt von Christen umlagert wird; seit zwei

Jahren fließt Blut (wörtlich: 'seit zwei Jahren trinkt man soviel Blut wie Wasser'); statt

Livreen tragen die Galane Eisenhemden, statt Wurfrohre, Lanzen; jemand hat den Kopf des

Großmeisters des Calatrava-Ordens [zu bringen] versprochen; der König Granadas ist in

blutigem Kampf gefangen worden: "Viendo el Christiano que tiene /la ciudad así sitiada, /y

de Católicas tiendas /coronada la campana, /y viendo que en nuestro tiempo /de Xenil las

olas claras /ha dos anos que se bebe /tanta sangre como agua, /y que a los demás galanes

/son libreas las coracas... /y los bohordes son lancas, /y quien sabe prometer /con soberbia y

arrogancia /la cabeca del Maestre /de la Cruz de Calatrava, /cuando prendieron al Rey /en

sangrienta lid trabada (v 73-90). Der Erwähnung katholischer Zelte, eines Großmeisters

und des Königs von Granada zufolge, handelt es sich eindeutig um einen Krieg zwischen

Christen und Mauren. Audalla beschreibt in seinen Worten an die Galane indirekt, wie man

sich - allgemein in der Welt der Protagonisten - Frauen gegenüber benimmt: "Galanes, los

de la Corte, /del Rey Chico de Granada, /quien Zegrí dama no sirve /no diga que sirve

dama, /ni es justo... /que le valgan... /ni delante la Reina, /en los saraos del Alhambra, /se le

consienta dancar /con sus amores la zambra, /ni que el dulce nombre della /le cifre en letra

grabada, /ni bordado en la librea /la saque en fiesta de placa, /ni que pueda del color /de su

dama sacar banda... /ni que ponga en camafeo, /ni en tarjeta de oro o plata, /debaxo de ricas

plumas, /su retrato por medalla" (v 1-16). Man pflegt also, um eine Frau zu werben, in

gesellschaftlicher Runde mit ihr zu tanzen, ihren Namen in öffentlichen Festen, ein Symbol

ihrer Farbe, sowie ihr Antliz in einem Medaillon zur Schau zu tragen. Diese nach außen

getragene Liebesdarstellung erinnert an eine höfische Welt (europäisch) mittelalterlicher

Ideale.

Leidenschaften:

d) Audalla wird in Vers 34 explizit als verliebt bezeichnet ("el enamorado Audalla, /galán

Zegrí de linaje"), im Schlußteil der Romanze behauptet Fátima, wie wir gesehen haben,

daß er das Schlachtfeld aus Liebesgefühlen zu einer Frau frühzeitig verläßt (cf. v 95-116).

Dieses Handeln setzt eine große Leidenschaft voraus.

e) In Vers 36 wird eine Maurin erwähnt, die als Schöne und als Liebende beschrieben wird:

"bella Zegrí le (= Audalla) amaba" (v 36).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Der maurische Protagonist gehört einer sehr hohen, einer dem König nahestehenden

Gesellschaftschicht an. Dies geht aus seinem Aufruf hervor, indem er sich an die Höflinge

des Königs wendet ("Galanes, los de la Corte...", v 1), sowie aus dem Umstand, daß ihm

die Gepflogenheiten am Hof bekannt sind. Er skizziert in seinen Worten Feste, auf denen

Festtagskleidungen getragen werden, dem Galan es gestattet wird, vor den Augen der

Königin, mit seiner Geliebten zu tanzen: "quien Zegrí dama no sirve /ni es justo... /que le

valgan... /ni las leyes de la gala, /ni que delante la Reina, /en los saraos del Alhambra, /se le

consienta dancar /con sus amores la zambra" (v 3-12).

NB Eine Reihe von auftretenden Figuren verkörpern der (ursprünglichen / etymologischen

Bedeutung ihrer) Bezeichnung nach, Angehörige einer hohen / begüterten bzw. der

höchsten Gesellschaftsschicht. Zu ihnen gehören die die damas (cf. Romanze Nr. 1.), der

Burgwächter (ad alcaide cf. Arabismen), die Pagen des Königs (ad donceles cf. supra), die

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Wien, am 02.06.11, Seite 109 von 259

erwähnte senora (cf. Romanze Nr. 2.) sowie die beiden Königsgestalten, el Rey und la

Reina (cf. supra).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Der Text reflektiert eine Reihe von Toponymen, die mit dem südlichen Teil der Iberischen

Halbinsel verbunden werden können. In den Worten Audallas wird, wie wir schon

mehrmals gesehen haben, der König von Granada erwähnt: "Galanes, los de la Corte, /del

Rey Chico de Granada" ( v 1-2) an. Der Maure erwähnt desweiteren gesellschaftliche,

nächtliche Zusammenkünfte, die in der Alhambra stattfinden ("en los saraos del

Alhambra", v 10). Die Alhambra ist eine noch heute existierende, Palastanlage in Granada,

die Sitz vieler maurischer Könige war (cf. Romanze Nr. 4.). Der oben schon erwähnte

Krieg zwischen Christen und Mauren findet in der Nähe eines Flusses statt ("de Xenil las

olas claras, /ha dos anos que se bebe /tanta sangre como agua", v 78-80).

24.8. Die Romanze Ocho a ocho y diez a diez

Die primären Protagonisten dieses 128 Verse zählenden Texts sind ein König, der Maure

Azarque und die Maurin Celindaja (v 5, 52, 11). Neben ihnen treten eine Reihe anderer

Figuren auf, die für die eigentliche Handlung von sekundärer Bedeutung sind: die

Angehörigen vier maurischer Gruppen: "Ocho a ocho y diez a diez /Sarracines y Aliatares

/juegan canas en Toledo /contra Adalifes y Azarques"; desweiteren ein zweiter König / el

Rey de Belchite, ein zweiter Maure / Valenciano Tarfe, ein Wächter des Königs / su

Alcaide, verschiedene Frauengruppen / damas, das gemeine Volk / el vulgo, die Mutter der

Maurin Celindaja / su madre, Verwandte derselben / sus deudos, die Araber / los Alarbes

(cf. v 1-5, 7, 8, 50, 58 und 60, 62, 103, 111, 120). Der zeitliche und örtliche Rahmen der

Geschichte ist ein Reitturnier, an dem verschiedene Personengruppen teilnehmen (cf. v 5-8,

cf. auch v 1-4 und 13-44, 49, 53-56, 61, cf. Leidenschaften). Im Mittelpunkt des Turniers

steht der Maure Azarque. Eine Geste der Würdigung, die Celindaja Azarque

entgegenbringt, weckt die Eifersucht des Königs, der in die Maurin verliebt ist. Er ordnet

an, den Mauren gefangen zu nehmen und wird auch Celindaja eingesperrt halten ("un

pomo de agua vertió", "y repite el Rey zeloso: /Prendan al traidor de Azarque", "Prendieron

al fin al Moro", "Llegó un recaudo del Rey /en que manda que senale /una casa de sus

deudos /y que la tenga por cárcel"; v 67, 71-72, 89, 109-112). Die vorliegende Romanze

unterscheidet sich von anderen Romanzen darin, daß ca. die zweite Hälfte Verse in

Strophen erzählt wird. Ab Vem Vers 79 folgen fünf Strophen zu je 10 Verszeilen, die

jeweils mit dem folgenden, zweizeiligen Refrain enden: "que no hay quien baste /contra la

voluntad de un Rey celoso". Der Text enthält klassizistische Elemente und Anspielungen.

Die Krummsäbel einiger Turnierteilnehmer werden, beispielsweise metaphorisch als

Bögen des Cupido beschrieben: "Entraron los Sarrazinos... /en las adargas traían /por

empresas sus alfanjes, /hechos arcos de Cupido" (v 13-17).

Namen / Bezeichnung:

a) Als erste der an einem Turnier teilnehmenden Reitgruppen, werden die Sarazenen

genannt: "Ocho a ocho y diez a diez /Sarracines y Aliatares /juegan canas en Toledo",

"Entraron los Sarrazinos" (v 1-3, 13). Für den Eintrag Sarracina gibt uns Aut. die folgende

Erklärung: "La pelea entre muchos, especialmente quando es el acometimiento con

confusion y sin orden. Pudo decirse con alusión a los Moros, porque estos pelean con

gritería, y sin orden, ni concierto. Dicese por extensión de qualquier rina, ó pendencia, en

que hai heridas o muertes" (s.v.). Die Bezeichnung wird also, diesem Zitat zufolge, in

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Wien, am 02.06.11, Seite 110 von 259

Zusammenhang mit Personen verwendet, die sich gerne in laute, konfuse Streitereien

verwickeln, wie es für die Mauren typisch ist.

b) Die Teilnehmer einer zweiten Reitgruppe werden, scheint es, nach einer historischen

Person bezeichnet: "Ocho a ocho y diez a diez /Sarracines y Aliatares /juegan canas en

Toledo" (v 1-3). Die EUIEA beschreibt Aliatar als einen berühmten arabischen Führer und

Schloßherrn von Loja im 15. Jahrhundert, der aufgrund seiner Tapferkeit hohe Dienste und

Ruhm im Heer gewann; er siegte in mehreren Schlachten gegen die Christen und siegte in

der Schlacht bei Loja um 1482, in der der Großmeister von Calatrava den Tod fand; Aliatar

starb in hohem Alter in der Schlaft, heldenhaft und voller Wunden: „Célebre caudillo árabe

del siglo XV. que fué alcaide de Loja; (...) llegó por su valor á ocupar los primeros puestos

de la milicia (...) El caudillo Aliatar, à pesar de tener noventa anos, peleó como un héroe,

cayendo lleno de heridas“; Aliatar war ein enger Vewandter von Boabdil (ib., s.v.; cf.

außerdem Romanze Nr. 8.). Die genannte Personengruppe könnte nach diesem

außergewöhnlichen Führer bezeichnet sein.

c) Die beiden zuvor genannten Reitergruppen treten gegen eine andere, namentlich

erwähnte Gruppe an: "Ocho a ocho y diez a diez /Sarracines y Aliatares /juegan canas en

Toledo /contra Adalifes" (v 1-4). Die Bezeichnung Adalife dürfte eine paronymische

Variante von Adalid sein, dessen Bedeutung '(militärischer) Führer' ist (cf. Arabismen).

d) Ein vierte Gruppe von Reitern wird ebenfalls mit der Pluralform eines Namens

bezeichnet: "Ocho a ocho y diez a diez /Sarracines y Aliatares /juegan canas en Toledo

/contra Adalifes y Azarques" (v 1-5). Die Bedeutung von Azarque, könnte, wie schon

erwähnt wurde, 'der Orientalische' sein (cf. die vorangehende Romance bzw. ad

Arabismen).

e) Es tritt - ohne weitere Bezeichnung - ein König auf: "Publicó fiestas el Rey /por las ya

juradas pazes /de Zayde, Rey de Belchite, /y del Valenciano Tarfe" (v 5-8).

f) Eine zweite Königsfigur wird namentlich und topographisch näher erfaßt: "Publicó

fiestas el Rey /por las ya juradas pazes /de Zayde, Rey de Belchite, /y del Valenciano

Tarfe" (v 5-8).

g) Die im zuletzt zitierten Vers auftauchende Gestalt trägt einen Namen, dessen Bedeutung

uns unklar ist: "Publicó fiestas el Rey /por las ya juradas pazes /de Zayde, Rey de Belchite,

/y del Valenciano Tarfe" (v 5-8).

h) Die Protagonistin trägt den Eigennamen Celindaja, dem, wie schon erwähnt wurde, die

Bedeutung 'schön, zart, exotisch / orientalisch' zugrundeliegen kann: "Celindaja ordena

/sus fiestas y sus pesares" (v 11-12, cf. Arabismen).

i) Der Untergebene des Königs wird namentlich und als Träger einer Funktion bezeichnet:

"le dixo a Celín, su Alcaide" (v 50, cf. Arabismen).

j) Der Rivale des Königs wird mit der Bezeichnung Azarque (v 53) eingeführt, vom König

als Verräter / traidor de Azarque angerufen (v 72, cf. Moral) und schließlich als Moro (v

76) einer bestimmten Ethnie zugeordnet.

k) In Vers 58 treten kurz als die besonderen Damen Genannte auf: "en ventanas comunes

/las damas particulares, /sacan el cuerpo..." (v 57-58).

l) In Vers 60 handelt es sich kontextuell um weitere Damen, deren Bezeichnung nicht

explizit wird: "en ventanas comunes /las damas particulares, /sacan el cuerpo, por verle /las

(damas) de los andamios Reales " (v 57-60).

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m) Kurz wird auch das gemeine Volk erwähnt: "De mitad de vulgo sale /un gritar..." (v 62-

63).

n) Nicht namentlich genannt wird die in Vers 103 kurz auftretende Mutter der

Protagonistin: "Sola Celindaja grita: /Libradle, Moros, libradle, /y de su balcón quería,

/para librarle, /arrojarse. /Su madre se abraca della" (v 99-103).

o) Es werden einmal Verwandte der Maurin erwähnt, die namenlos bleiben: "Llegó un

recaudo del Rey /en que manda que senale (Celindaja) /una casa de sus deudos /y que la

tenga por cárcel" (v 109-112).

NB In Vers 120 erwähnt der Erzähler los Alarbes, als er allgemein über die Welt der

Protagonisten spricht: „Ay Toledo, que otros días /te llamaban los Alarbes /venganca de

aleves pechos /y hoy lo has sido de leales“ (v 119-121). Er verwendet damit eine negativ

konnotierte Bezeichnung der Mauren (ad alarbe cf. Romanze Nr. 5.).

Genealogie / Familiensippen:

NB Aufgrund der Erwähnung der Mutter und der Verwandten Celindajas reflektiert der

Text ein wages Bild der Familie der Maurin.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

a) Die erstauftretenden Turnierkämpfer erscheinen auf dunkelbraunen Pferden, mit

Umhängen rötlichgelber und grüner Farbe und Schildern, auf denen Säbel dargestellt sind:

"Entraron los Sarrazinos en caballos alazanes /de naranjado y de verde, /marlotas y

capellares; /en las adargas traían /por empresas sus alfanjes" (v 13-18).

b) Die Spieler der zweiten Gruppe folgen den ersten in roten Livreen, die ebenfalls eine

Divise zeigen: "les siguen los Aliatares /con encarnadas libreas... /Llevan por divisa un

cielo" (v 23-25).

c) Auch die Reiter der dritten Gruppe zeigen sich, der Darstellung des Erzählers zufolge, in

kostbaren, stattlichen Gewändern von roter und gelber Farbe, mit Schleiern über den

Ärmeln und einer Divise und einem Sinnspruch über dem Balken (des Schildes): "Los

Adalifes siguieron /muy costosos y galanes /de encarnado y amarillo, /y por mangas,

almaizares". /Era su divisa un mundo /que le deshaze un salvaje, /y un mote sobre el

bastón" (v 29-35).

d) Die acht Reiter der vierten Gruppe tragen Kleidung von blauer, dunkelvioletter und

gelber Farbe, Federn als Schmuck, grüne Schilder mit der Zeichnung eines blauen

Himmels: "Los ocho Azarques siguieron... /de azul, morado y pajizo /y unas plumas por

plumajes; /sacaron adargas verdes /y un cielo azul..." (v 37-44).

Körperliche Eigenschaften:

a) b) Die ersten zwei Reitergruppierungen machen sich, wie es dargestellt wird, behende

daran, den Mauren Azarque zu fangen: "Las dos primeras cuadrillas /dexan las canas

aparte, /piden lancas, y ligeros /a prender al Moro salen" (v 73-76). Es wird ihnen also

körperliche Geschicklichkeit "auf den Leib geschrieben".

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

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Moral und moralische Eigenschaften:

Moralische Aspekte der Reiter des Turniers werden symbolisch dargestellt:

a) Wie teilweise schon oben erwähnt wurde, tragen die Sarazenen Schilder mit der

Zeichnung von Säbeln, die so gemacht sind, daß sie an die Pfeile des Cupido erinnern;

zusätzlich tragen die Schilder eine Schrift, die sagt «Feuer und Blut»: "en las adargas traían

/por empresas sus alfanjes, /hechos arcos de Cupido, /y por letra «Fuego y sangre»" (v 15-

18). Die zur Schau getragenen Symbole der auftretenden Gestalten signalisieren also

Kampf - mit dem Zeichen des Säbels -, Liebe - in dem Symbol der Liebespfeile -, und

nocheinmal (vernichtenden und blutigen) Kampf - Symbol des Feuers und des Blutes. Die

bildliche Darstellung der Protagonisten zeigt sie zweifach als Kämpfer, einmal als Kämpfer

bis zur völligen Vernichtung, und einmal als Kämpfer in der Liebe / Träger von

Liebessymbolen.

b) Die zweiten Reiter, die Aliatares tragen als Divise einen Himmel zur Schau, den ein

Atlant auf den Schultern trägt, und die bildliche Figur eines Mauren ihrer eigenen Gruppe,

der sagt, er würde ihn (= den Himmel) halten, wenn dieser (= der Atlant) müde werde:

"Llevan por divisa un cielo /sobre los hombros de Atlante /y un Moro Aliatar, diziendo:

/Tendréle cuando él se canse" (v 25-28). Die Mauren tragen ein Symbol ihrer selbst zur

Schau und signalisieren in der Darstellung eines Mannes, der ausdauernder ist, als Atlant,

die Vorstellung unermeßlicher Kraft. Sie erscheinen damit als in höchstem Maße von sich

selbst eingenommen oder, mit anderen Worten ausgedrückt, arrogant bzw. stolz.

c) Das Kennzeichen der dritten Gruppe zeigt eine wilde Gestalt, die eine Welt vernichtet

und einen Leitspruch, der sagt, es sei Kraft, was zählt: "Era su divisa un mundo /que le

deshaze un salvaje, /y un mote sobre el bastón /en que dize: «Fuercas valen»" (v 32-36).

Die Reiter werden, in der Darstellung des Erzählers, also mit der bildlichen bzw.

semantischen Vorstellung von 'Rohheit und 'Kraft / Gewalt' assoziiert.

d) Die letzte Reitergruppe trägt Schilder grüner Farbe zur Schau, mit einem blauen

Himmel, in dem zwei Hände verbrennen und einem Spruch, der (wörtlich) besagt, alles ist

möglich im Grünen: "Los ocho Azarques... /sacaron adargas verdes /y un cielo azul en que

se arden /dos manos, y el mote dize: «En lo verde cabe todo» (v 37-44). Die Bedeutung der

die Reiter kennzeichnenden Symbole ist weniger eindeutig, als diejenige der Zeichen der

anderen Gruppen. Die dargestellten Hände könnten ein Symbol für Vereinigung, das Feuer

ein Symbol von reinigender Kraft, die grüne Farbe, ein Symbol des islamischen Glaubens

sein. Die Teilnehmer der vierten Reitergruppe könnten ein religiöses Anliegen

symbolisieren, nämlich die Kraft und die Verbreitung ihres eigenen Glaubens.

e) Auch aus dem Auftreten des Königs läßt sich ein Aspekt seiner Persönlichkeit ableiten.

Der Protagonist läßt Celindaja aus einem emotionalen Grund einsperren: "Llegó un

recaudo del Rey /en que manda que senale /una casa de sus deudos /y que la tenga por

cárcel"; "la llevó presa el Alcaide" (v 109-112, v 126; cf. auch Leidenschaft).

f) g) Den Versen 5-8 zufolge, hat ein König aus Toledo, infolge eines Friedensabkommens

zwischen zwei anderen, maurischen Königen ein Fest verkündet: "Publicó fiestas el Rey

/por las ya juradas pazes /de Zayde, Rey de Belchite, /y del Valenciano Tarfe" (v 5-8).

Zuvor hatten also die beiden im Zitat Genannten, der König von Belchite und der

Valenciano Tarfe, gegeneinander Krieg geführt.

j) Der Maure Azarque erscheint zunächst - der König bezeichnet ihn metaphorisch als

Sonne - als strahlende / im Turnier aufgrund seines Könnens herausragende Persönlichkeit,

die die Eifersucht des Königs weckt: "Aquel Sol yo le pondré, /pues contra mis ojos sale",

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"Azarque tira bohordos, /que se pierden por el aire, /sin que conozca la vista /a do suben ni

a do caen" (v 51-52, 53-56). Vom König wird der Maure jedoch als Verräter bezeichnet:

"Prendan al traidor de Azarque" (v 72). Bei seiner Gefangennahme setzt sich Azarque nicht

zur Wehr, er unterstelllt sich damit dem Befehl des Königs: "Rindan lancas mis amigos

/mis contrarios lancas alcen..." (v 83-84). Diese Haltung verleiht dem Mauren einen Aspekt

von Untergebenheit bzw. Gutmütigkeit.

Als der König befiehlt, Azarque gefangen zu nehmen, machen sich zwei der vier

Reitergruppen an diese Aufgabe, während die anderen zwei diesem Befehl nicht

nachkommen: "Las dos primeras cuadrillas... /a prender al Moro salen... /Las otras dos

resistían" (v 73-79). Als der Maure schließlich gefangen wird, ist das Volk in seiner

Meinung uneinig über diese Tat, teilt sich in Gruppen: "Prendieron al fin al Moro, /y el

vulgo, para librarle, /en acuerdos diferentes /se divide y se reparte" (v 89-92).

Uneinstimmigkeit der Anwesenden scheint, die dargestellte Handlung der Protagonisten zu

beherrschen.

Religion / Ideologie:

d) Wir haben oben schon gezeigt, daß die vierte Gruppe von Reitern möglicherweise, ihre

religiöse Überzeugung darzustellen versucht (cf. v 37-44 ad Moral).

NB Ein expliziter Hinweis auf die Darstellung einer muslimischer Glaubensgemeinschaft,

ist die Erwähnung Allahs in einem Ausruf des Volks: "De mitad de vulgo sale /un gritar:

Alá te guíe" (v 62-63).

Leidenschaften:

Die vorliegende Romanze erzählt in ausführlicher und redundanter Darstellung das

Ereignis eines Reitturniers, an dem sich viele verschiedene Personengruppen als

Teilnehmer oder als Zuschauer erfreuen. Diese Beschreibung beginnt in den ersten Versen,

in denen das Aufmarschieren verschiedener Reitergruppen geschildert wird: "Ocho a ocho

y diez a diez /Sarracines y Aliatares /juegan canas en Toledo /contra Adalifes y Azarques"

(v 1-4, cf. auch v 5). Sie wird in den Versen 13-44 fortgesetzt. In den Versen 53-61 läßt der

Autor der Geschichte Azarque als aktiven Spieler auftreten: "Azarque tira bohordos, /que

se pierden por el aire, /sin que conozca la vista /a do suben ni a do caen; /"en ventanas

comunes /las damas particulares, /sacan el cuerpo, por verle /las (damas) de los andamios

Reales, /si se adarga o se retira" (v 53-61).

e) Den Versen 11-13 zufolge, wäre es Celindaja, die die Feste und Alpträume des Königs

bestimmt: "Otros dizen que... /Celindaja ordena /sus fiestas y sus pesares" (v 11-12). Als

der König seiner Liebesgefühle wegen sich verspottet sah, konnte er es nicht mehr ertragen

und befahl seinem Wächter, Azarque gefangen zu nehmen: "No pude sufrir el Rey /que a

sus ojos le mostrasen /burladas sus diligencias, /y su pensamiento en balde, /y mirando la

cuadrillla, /le dixo a Celín, su Alcaide: «Aquel Sol yo le pondré, /pues contra mis ojos

sale»" (v 45-52). In Vers 71 und in einem fünfmal wiederholten Refrain wird der König

explizit eifersüchtig genannt: "repite el Rey zeloso: /Prendan al traidor de Azarque" "que

no hay quien baste /contra la voluntad de un Rey celoso" (v 71-72, 87-88, 97-98, 107-108,

117-118, 127-128). Der emotionale Zustand, das Auftreten des Königs, sein Wunsch,

Azarque und Celindaja einzusperren (cf. v 109-112 ad Moral) setzen eine große Liebe /

Leidenschaft für die Maurin voraus.

h) Azarque gegenüber bringt die Mauirn Celindaja ihre Wertschätzung zum Ausdruck,

indem sie ihn mit duftendem Wasser besprengt: "Celindaja... /al pasar, por rozialle /un

pomo de agua vertió" (v 65-67). Als man Azarque fängt, fleht sie als einzige um seine

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Wien, am 02.06.11, Seite 114 von 259

Freilassung und ist fast daran, sich von ihrem Balkon zu stürzen: "Sola Celindaja grita:

/Libradle, Moros, libradle, /y de su balcón quería, /para librarle, /arrojarse" (v 99-102).

Dem König läßt sie ausrichten, sie ziehe Gefangenschaft und die Erinnerung an ihren

Mauren seinen Berührungen vor: "Digan /al Rey que, por no tocarme, /escojo para prisión

/la memoria de mi Azarque" (v 113-116). Dieses Verhalten zeigt eine - durch das

Possessivpronomen su unterstrichene - enge emotionale Bindung der Protagonistin an den

Mauren, den sie leidenschaftlich zu lieben scheint.

Attribute:

a) Wie schon oben erwähnt wurde, tragen die ersten Reiter Schilder, die als Symbol den

maurischen Krummsäbel darstellen: "(...) traían /por empresas sus alfanjes" (v 17-18).

b) Eine andere Gruppe trägt ein Bildnis ihrer selbst: "(Los Aliatares) Llevan por divisa un

cielo... /y un Moro Aliatar" (v 25-28).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) b) c) d) e) j) Die primären maskulinen Protagonisten der Erzählung sind, wie schon

erörtert wurde, der Maure Azarque, der König, die auftretenden Reiter. Sie stellen aufgrund

ihrer Funktion oder ihrer Teilnahme am Turnier per se Repräsentanten der höchsten

Gesellschaftsschichten dar.

e) k) l) Auch die weiblichen, ersten und zweiten Protagonistinnen scheinen einem

gehobenen Bürgerstand anzugehören. Darauf weist hin ein Haus mit Balkon, auf dem sich

Celindaja zeigt, sowie die Bezeichnung der Zuschauerinnen als damas: "Sola Celindaja

grita: /Libradle, Moros, libradle, /y de su balcón quería, /para librarle, /arrojarse", "en

ventanas comunes /las damas particulares, /sacan el cuerpo" (v 57-58, 99-102; cf. Romanze

Nr. 1.).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Das Turnier findet in Toledo statt: "juegan canas en Toledo" (v 3),

f) Die in Vers 7 erwähnte Königsfigur wird als König von Belchite geographisch dem

Raum Zaragoza zugeordnet, eine Provinz, die sehr früh unter arabische Herrschaft geriet.

24.9. Die Romanze Abindarráez y Muca

Diese Kreation von Lope de Vega zählt 96 Verse. Als Erzählfiguren treten - in

chronologischer Reihenfolge - auf bzw. werden genannt die Mauren Abindarráez und

Muca, der König von Granada / el Rey Chico de Granada, drei Maurinnen Xarifa, Zaida,

Zara, ein Angehöriger der Abencerrajes / un Bencerraje, die Maurin Fátima, die Königin /

la Reina (v 1-2, 8, 19, 23, 94). Der zeitliche Rahmen der Geschichte ist ein

gesellschaftliches Treffen am königlichen Hof. Die Romanze schildert im wesentlichen die

Liebesgefühle einer Reihe von Personen: "los tres (= Abindarráez, Muca, el Rey Chico)

son cautivos /de Xarifa, Zaida y Zara", "amores de un Bencerraje", "Abindarráez es moco

/y siempre de amores trata: /Fátima muere por él /y a Xarifa rinde el alma" (v 7-8, 19, 21-

24).

Gefühle der Liebe und der Eifersucht bestimmen, wie es in den Versen 25-26, 81-84 und

95-96 angedeutet wird, die gesamte Handlung der Erzählung: "Al fin ordena la fiesta /la

desorden que amor causa...", "Entretanto el Rey y Muca /estaban... /cansados de...son de

amor de mudancas", "la fiesta se acabó en zelos, /que amor, sin ellos, no acaba" (v 95-96).

In den Versen 29-32 wird kurz das Bild eines Kriegsszenariums kreiert. Die Stadt

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Wien, am 02.06.11, Seite 115 von 259

Antequera wurde, wie es in einer passiven Konstruktion ausgedrückt wird, eingenommen.

Wer der Agens dieser Handlung ist, wird im Text nicht explizit gemacht: "echaron fama en

Granada /que ha venido cierta nueva /que Antequera era ganada" (v 29-32). Die

vorliegende Erzählung ist sehr dicht konzipiert, sodaß es uns für das Verständnis einzelner

Verszeilen manchmal notwendig erscheint, den weiteren Kontext zu zitieren, den wir im

folgenden nicht übersetzen.

Namen / Bezeichnung:

a) Als erster wird ein Protagonist mit dem Namen Abindarráez eingeführt: "Abindarráez y

Muca /y el Rey Chico de Granada /gallardos entran vestidos /para bailar una zambra" (v 1-

4). Später wird dieselbe Figur mit einem Ethnonym bezeichnet (el Moro, v 79).

Abindarráez hat im Arabischen die Bedeutung 'Sohn des Führers' (cf. Arabismen).

b) Auch der zweite Protagonist trägt einen arabischen Eigennamen, Muça (cf. supra), der

im Deutschen mit Moses übersetzt wird.

c) Als dritte Figur tritt auf der mit einem Spitznamen bezeichnete und attributiv

topographisch zugeordete el Rey Chico de Granada (cf. supra), später nur als der König / el

Rey (v 9) bezeichnet. Es handelt dabei, wie schon erwähnt wurde, um eine historische

Persönlichkeit (cf. Romanze Nr. 7. und Toponyme).

d) Die erste der drei gemeinsam genannten Protagonistinnen trägt den Namen Xarifa, dem

im Arabischen die Bedeutung 'nobel' zugrundeliegt: "los tres (= Abindarráez, Muca, el Rey

Chico) son cautivos /de Xarifa, Zaida y Zara" (v 7-8, ad Xarifa cf. Arabismen). Später wird

mit der Bezeichnung las tres Moras (v 53) ein Ethnonym für diese Figuren verwendet.

e) Auch die zweite Maurin wird als Zaida, namentlich und, wie wir gesehen haben,

ethnisch "erfaßt".

f) Dasselbe gilt für die dritte Protagonistin, die Zara heißt (cf. supra).

g) Eine maskuline Nebenfigur, über die wir nichts weiteres erfahren, als daß sie Emotionen

in einer Maurin auslöst, wird als (irgendein) Angehöriger einer bestimmten Sippe

bezeichnet: "El... darle (= al Rey) Muca su ayuda... /halo causado un desdén, /que tiene en

los ojos Zaida, /y amores de un Bencerraje", v 9-19).

h) Eine vierte weibliche Erzählfigur ist Fátima: "Abindarráez... siempre de amores trata.

/Fátima muere por él" (v 21-23, 73).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Den Erzählrahmen bildet eine gesellschaftliche Versammlung zu nächtlicher Stunde, zu

der man sich schön gekleidet einfindet, um zu tanzen: "Abindarráez y Muca /y el Rey

Chico de Granada, /gallardos entran vestidos /para bailar una zambra. /Un Lunes a media

noche /fué de los tres concertada" (v 1-6). Xarifa stellt in den Versen 63-64 dem Mauren

Abindarráez die Frage, warum er mit bedecktem Gesicht eingetreten sei: ¿Pará qué

entraste(s) encubierta, /traidor, la enganosa cara?" (v 63-64). Dieser Frage und der

Erwähnung von disfrazados (v 85) nach, scheinen die Teilnehmer des Festes Masken zu

tragen.

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

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Wien, am 02.06.11, Seite 116 von 259

a) Abindarráez wird im ersten Vers der Romanze als gallardo beschrieben (cf. supra v 1-

4). Wir haben schon mehrmals darauf hingewiesen, daß dieser Bezeichnung eine

plurivalente Bedeutung eigen ist, die den Genannten sowohl nach äußerlichen, als auch

nach inneren Kriterien, als 'statthaft, anmutig', 'mutig, tapfer' beschreibt (cf. Romanze Nr.

4.). Abindarráez wird außerdem explizit Jugendlichkeit zugewiesen: "Abindarráez es

moco" (v 21).

b) Auch der zweitgenannte Maure wird zuerst als gallardo bezeichnet (cf. supra v 1-4).

Dann folgt eine gegenteilige Beschreibung, die Muca als wenig (an)mutig darstellt, wenn er

keine Waffen trägt: "poco galán sin las armas" (v 11-12).

c) Der in Vers 2 genannte el Rey Chico de Granada wird mit der Eigenschaftsbestimmung

gallardo ein statthaftes Aussehen verliehen.

d) Xarifa wird zusammen mit Zaida und Zara als die Blume / der Schmuck des Festsaales

bezeichnet: "eran la flor de la sala, /eran el adorno della" (v 54-55). Diese Metapher

erweckt das Bild dreier großer Schönheiten. Der Erzähler erwähnt außerdem die weiße

Hand, nach der Abindarráez sucht, um die Maurin zu beruhigen: "Con mil caricias el Moro

/la blanca mano demanda" (v 69-70).

e) Cf. d).

f) Cf. d).

Kleidung / Ausstattung:

a) Die Bezeichnung des Mauren als gallardo könnte sich auch auf sein äußeres

Erscheinungsbild beziehen: "Abindarráez y Muca /y el Rey Chico de Granada, /gallardos

entran vestidos" (v 1-4). Explizit genannt wird die Farbe Grün, die Abindarráez als Farbe

der Hoffnung trägt, sowie einige, goldverzierte Schleier und ein Emblem, das einen

Himmel und Wolken zeigt: "Abindarráez se viste /el color de su esperanca, /unas yedras

sobrepuestas /con unas tocas doradas, /un cielo sobre los hombros /con unas nubes

bordadas, /y en las yedras esta letra: /Más verde cuanto más alta" (v 45-52, cf. auch

Leidenschaften). Die toca könnte ein Stoff aus Seide sein und ihre goldene Verzierung läßt

an Brokat denken.

b) Auch Muca scheint in prachtvoller Kleidung aufzutreten (cf. v 2-4). Wie Lope de Vega

auf komische Weise darstellt, legt er sein Schwert weder nachts, noch tagsüber ab und, um

zu schlafen, lehnt er sich an ein Stück Lanze: "es hombre que noche y día /tiene cenida la

espada, /y para dormir se arrima /en un pedaco de lanca" (v 13-16). Der Maure trägt eine

Kleidung blauer Farbe und, auf goldenem Hintergrund, (das Bild von) Knebel(n) mit einer

Aufschrift: "Gallardo le sigue Muca, /de azul viste cuerpo y alma, /labradas en campo de

oro /unas pequenas mordacas, /cuya empresa dellas dize: /Acabaré de acaballas" (v 39-44).

c) Auch der König erscheint - wie es die Beschreibung gallardo schon andeutet - in

prächtiger Ausstattung. Ein (gold)gelber Umhang, über und über bestickt mit weißen und

silbernen Fäden: "entra el Rey, toda bordada /una marlota amarilla /de copos de nieve y

plata" (v 34-36).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

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Wien, am 02.06.11, Seite 117 von 259

a) In den Versen 57-59 wird Abindarráez zunächst als 'mutig' beschrieben ("Abindarráez,

brioso... /pisó a Fátima en el pie", v 57-59). Die Bezeichnung des Abindarráez als Tapferen

steht aber im Widerspruch mit einer späteren Handlung des Mauren, als vor den

Anschuldigungen der Maurin verstört aus dem Palast flieht, was nicht die Reaktion eines

Tapferen an sich ist: "Abindarráez, turbado, /sale huyendo del Alhambra" (v 77-78). Die

Vorwürfe Xarifas Abindarráez gegenüber zeigen deutlicher bestimmte Aspekte seines

Charakters. Xarifa fragt, wie oben schon erwähnt wurde, warum Abindarráez mit

bedecktem Gesicht eingetreten sei und fordert ihn auf, das täuschende Antlitz abzulegen:

"¿Pará qué entraste(s ?) encubierta, /traidor, la enganosa cara? /Arroja el fingido rostro" (v

63-65). Die Worte der Maurin enthalten vier Worte bzw. Wortsyntagmen, der die

Vorstellung 'Täuschung' zugrundeliegt (encubrir, traidor, enganoso, fingido). Den

Anspielungen der Maurin zufolge, ist Abindarráez also in Sachen der Liebe ein

ausgeprochener Lügner. Xarifas Worten zufolge, erzählte Fátima unter den Frauen,

Abindarráez würde ihren Fuß der Hand Xarifas vorziehen: "baste que Fátima diga /en

conversación de dama /que estimas en más su pie /que mi mano desdichado" (v 73-76).

Aus diesem Vorwurf läßt sich ableiten, daß Abindarráez Beziehungen zu zwei Frauen

pflegt.

b) Muca trägt, wie oben schon erwähnt wurde, die Farbe Blau zur Schau, sowie das

Symbol und Motto eines Mannes, dem es verweigert ist, sich auszudrücken: "Gallardo le

sigue Muca, /de azul viste cuerpo y alma, /labradas en campo de oro /unas pequenas

mordacas, /cuya empresa dellas dize: /Acabaré de acaballas" (v 39-44). In einer Reihe von

Texten des Romancero General wird Blau explizit als Farbe der Eifersucht beschrieben

(vgl. den Vers 23 der Romanze Nr. 166. der erwähnten Anthologie: "azul, que denota

zelos"). Auch im vorliegenden Text wird diese Farbe - in der Beschreibung eines Mannes,

der seinen Körper und seine Seele blau kleidet, eindeutig als Signal eines emotionalen

Zustands verwendet: "Gallardo le sigue Muca, /de azul viste cuerpo y alma" (v 39-40).

Muca scheint also, wie es sinnbildlich dargestellt wird, von "unsagbarer" Eifersucht zu

sein.

c) Das Motto des Königs drückt aus, daß er durch Feuer nicht zu besiegen sei: "Sobre mí

fuego no basta" (v 38). Darin spiegelt sich eine Selbstherrlichkeit des Königs, der sich über

das Feuer erhaben zeigt / fühlt. Er ist also hochmütig.

d) Die Maurin Xarifa schlägt Abindarráez mit ihrer Hand: "La mano le suelta al Moro" (v

61). Sie reagiert angesichts des Mauren also mit Zorn.

h) Die Maurin Xarifa fordert den verhüllten Abindarráez auf, sein Gesicht zu zeigen, denn

alle würden es, zu ihrem Schaden und aus der Rache Fátimas, kennen: "Arroja el fingido

rostro /que el proprio tuyo te basta, /pues que le conocen todos /por mi dano y su venganca"

(v 65-68). Fátima hat sich, diesem Wortlaut zufolge, bei Xarifa also gerächt. Den Grund

und Umstand dieser Rache erfährt der Zuhörer nicht.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

Wie schon oben erwähnt wurde, schildert uns der Autor in seiner Erzählung primär die

Liebesgefühle, die das Auftreten, Handeln, die Worte der Protagonisten wesentlich

bestimmen. Fast alle der auftretenden Figuren werden als Liebende oder Geliebte

dargestellt:

a) Bereits die Beschreibung Abindarráez’ als gallardo deutet die Persönlichkeit eines

Liebhabers an - Aut. verzeichnet u.a. das Wort galán als Synonym zu gallardo (cf.

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Wien, am 02.06.11, Seite 118 von 259

Romanze Nr. 4.). In Vers 7 wird er, so wie auch Muca und der König als cautivo

bezeichnet, ein (bezüglich seiner Gefühle) Gefangener einer Maurin. Später wird der

Maure explizit als jemand beschrieben, der immer Liebe im Kopf hat: "Abindarráez...

siempre de amores trata" (v 21-22). Seine Seele gehört der Maurin Xarifa: "Abindarráez...

siempre de amores trata. /Fátima muere por él /y a Xarifa rinde el alma" (v 21-24). In einer

Reihe von Texten des Romancero General trägt der Protagonist die Farbe Grün als Signal

einer erhofften Liebe zu einer Frau. Auch Abindarráez kleidet sich mit dieser Farbe der

Liebeshoffnung; zusätzlich trägt er einen Himmel mit Wolken, Efeu und einer Devise zur

Schau, die seine, scheint es, über alles stehenden Liebesgefühle symbolisieren:

"Abindarráez se viste /el color de su esperanca, /unas yedras sobrepuestas /con unas tocas

doradas, /un cielo sobre los hombros /con unas nubes bordadas, /y en las yedras esta letra:

/Más verde cuanto más alta" (v 45-52, cf. auch Leidenschaften).

b) Auch Muca wird, wie schon erwähnt wurde, als gallardo und cautivo bezeichnet, was

seinem Charakter die Eigenschaft eines Mannes verleiht, der um Frauen wirbt.

c) Auch der König wird von Liebesgefühlen bestimmt (gallardo, cautivo). Die Liebe des

Königs zu Zaida scheint sehr groß zu sein, da er, als sie ihm Verachtung schenkt, die

Herrschaft über sich selbst verliert: "El descomponerse el Rey, /cosa entre Reyes no

usada... / halo causado un desdén, /que tiene en los ojos Zaida" (v 9-18). Liebe ist also auch

die Ursache für tiefes Seelenleid.

f) Zara sehnt sich ihrerseits nach einem Mauren: "El descomponerse el Rey... /y darle Muca

su ayuda... /halo causado un desdén, /que tiene en los ojos Zaida, /y amores de un

Bencerraje /que adora los suyos Zara" (v 9-20).

g) Dieser Maure, der von Zara geliebt wird, liebt aber, wie aus den vorangegangenen

Versen hervorgeht, seinerseits die Maurin Zaida.

h) Dem genauen Wortlaut von Vers 34 zufolge, stirbt Fátima für Abindarráez:

"Abindarráez... siempre de amores trata. /Fátima muere por él" (v 21-24). Auch sie liebt

aus ganzer Seele.

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

Bis auf die Figur des unbekannten Bencerraje (cf. Namen) treten alle der erwähnten

Protagonisten im Rahmen eines Festes im königlichen Palast auf. Sie verkehren also mit

den Repräsentanten der höchsten gesellschaftlichen Hierarchie und gehören daher

vermutlich selbst zu dieser Gesellschaftsschicht.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Der Ort des Geschehens wird explizit genannt. Der Maure flieht aus der Alhambra, einem

Palast in Granada: "Abindarráez, turbado, /sale del Alhambra", "echaron fama en Granada

/que ha venido cierta nueva" (v 30-32, 77-78). Damit wird eines der wichtigsten

Städtezentren der spätarabischen Herrschaft in Spanien erwähnt. Genannt wird außerdem

eine zweite Stadt, die dem Raum Andalusiens zuzuordnen ist: "echaron fama en Granada...

/que Antequera era ganada" (v 30-32).

24.10. Romanze Cubierta de treze en treze

Einziger Protagonist der vorliegenden, 56-versigen Romanze ist der Maure Celindos. Als

Nebenfigur wird im letzten Vers der Dichtung die Maurin Zara genannt. Trotz ihrer Kürze

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Wien, am 02.06.11, Seite 119 von 259

ist die vorliegende Dichtung von hoher Relevanz für das Porträt des Mauren, da sie stark

deskriptiv ist und eine reiche Beschreibung ihrer Hauptfigur widerspiegelt. Nur in einem

der 56 Verse wird der Maure als Handelnder Protagonist beschrieben: "Sale el famoso

Celindos" (v 53). In 55 der 56 Verse wird der Protagonist detailliert in seinem äußeren

Erscheinungsbild beschrieben, anhand dessen sich auch innere Eigenschaften / eine

Leidenschaft des Protagonisten abzeichnen.

Namen / Bezeichnung:

a) Der Name des Protagonisten wird erst sehr spät, am Ende der Romanze und, einer

ausführlichen Beschreibung nachfolgend, genannt: "Sale el famoso Celindos" (v 53, cf v 1-

52). Die Bezeichnung deckt sich zu einem Teil mit dem schon erwähnten Frauennamen

Celinda, der der Namen einer Blume orientalischer Herkunft zu sein scheint (cf.

Arabismen und Romanze Nr. 1.). In Vers 54 wird die Hauptfigur desweiteren als Träger

eines Titels beschrieben: "Sale el famoso Celindos, /Alcaide de Alora y Baca" (cf. Soziale

Stellung).

b) Die weibliche, nur einmal erwähnte Nebenfigur, trägt den Namen Zara (v 56).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

a) Die Romanze liefert uns, wie schon erwähnt wurde, eine reiche Beschreibung des

äußerlichen Bildes des Mauren: "Cubierta... /por los jirones y mangas /de mil roeles azules,

/una marlota morada, /un capellar amarillo /terciado con unas bandas /de carmesí

guarnecido /con rapazejos de plata, /un Turquesado bonete /con cuatro lazadas blancas /que

cuatro medallas tiene /y en cuatro piedras sus armas /entre dos plumas pajizas, /una verde y

dos moradas /y la verde muy escura... / y una letra de oro escrita /que la pluma verde

enlaza" (v 1-18). Der Maure trägt zwei Umhänge maurischen Stils, einen, an den

Stoffzusätzen und Ärmeln mit vielen (wörtlich 'tausenden') blauen Tupfen bedeckten

Umhang dunkelvioletter Farbe, einen zweiten, Umhang gelblicher Farbe, der durchsetzt ist

mit roten Streifen und silberne Quasten hat, desweiteren eine Kopfbedeckung

grünlichblauer Farbe mit vier weißen Knoten, die vier Insignien enthält, und auf vier

Steinen, seine Wappen zwischen zwei Federn gelber Farbe, einer grünen und zwei

violetten und die grüne, von sehr dunkler Farbe, und eine Divise mit goldenen Buchstaben,

an die die grüne Feder knüpft. Die Darstellung des Mauren zeigt aber noch vieles mehr von

seiner Ausstattung: "de azul, blanco y amarillo /tenida lleva la lanca /y el braco una toca

negra /y una esfera en el adarga /con una letra en el campo /que dize en lengua Christiana...

/y por orla mil antojos... /y por las lunas de todos /dos calaveras de plata, /con una letra que

dize:... /unos borceguíes negros /sola la vuelta dorada, /dos grillos por azicates /con tanto

primor y gracia, /que declaran su prisión; /batiendo una yegua baya /que lleva un rico jaez

/y una mochilla dorada /bordada de mil trofeos /de manoplas y de espadas, /trompetas,

yelmos, escudos, /y de cabecas cortadas; /una banderilla azul /con unas verdes granadas, /y

en Morisco aquesta letra" (v 21-51). Der Maure trägt also auch eine Lanze, die mit Blau,

Weiß und Gelb gefärbt ist; sein Arm trägt einen schwarzen Schleier; sein Schild (zeigt)

eine Sphäre mit einer Schrift in der Mitte in christlicher Sprache und als Verzierung

tausende von Kristallen aus Glas, zwei Totenköpfe aus Silber und einem Spruch; der

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Wien, am 02.06.11, Seite 120 von 259

Maure trägt schwarze, nur am Stulp vergoldete Stiefel; zwei Fesseln als Sporen, (die er)

mit soviel Vollkommenheit und Anmut (trägt), daß sie seine Gefangenheit verraten; mit

denen er eine Stute von hellbrauner Farbe anspornt, die ein prächtiges Geschirr trägt, und

eine goldene Satteldecke, (die von) tausend Trophäen gesäumt (ist), (und) von

Handschützern, Schwertern, Trompeten, Helmen, Schildern, abgetrennten Köpfen und ein

blaues Banner mit grünen Granatäpfeln und eine Schrift in maurisch(er Sprache).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Der Maure trägt auf seinem Schild das Bild zweier Totenköpfe und, wie wir oben

gezeigt haben, eine Satteldecke mit den Abbildern von tausenden Trophäen,

Handschützern, Schwertern, Trompeten, Helmen, Schildern, abgetrennten Köpfen (cf.

Kleidung). In Vers 55 wird Celindos als 'ein von Wunden Genesener' / convaleciente de

heridas beschrieben. Der Maure trägt Symbole des Todes, dazu - überaus zahlreiche -

Symbole des Sieges und des Krieges zur Schau. Symbolisch stellt sich der Maure also als

ein gefährlicher, da siegreicher bzw. äußerst starker Krieger dar.

Religion / Ideale:

Leidenschaften:

a) Celindos trägt, wie oben gezeigt wurde, unter anderem die Farbe Grün zur Schau (cf. v

1-18). In Vers 17 wird der Farbton einer der fünf Federn seines Kopfschmuckes wörtlich

als sehr dunkel, wie (das Grün) toter Hoffnung ("como de muerta esperanca") beschrieben.

Er scheint die Farbe Grün also als Symbol seiner Liebesgefühle zu tragen. Der Darstellung

eines zu fürchtenden, todbringenden und durch Kriegswunden nicht zu besiegenden

Kriegers (cf. v 1-18, 55), folgt die Beschreibung eines Protagonisten, der aus

Liebesgefühlen dahinsiecht: "Sale el famoso Celindos... /convaleciente de heridas, /mas no

de amores de Zara" (v 53-56). Die Liebesfähigkeit / Leidenschaft des Mauren für eine Frau

scheint, seine anderen Eigenschaften zu übertreffen.

Attribute:

a) Den Versen 24-26 und 49-51 zufolge, trägt Celindos seine Divisen in zwei Sprachen zur

Schau. Er trägt ein Schild mit einer Schrift in christlicher Schrift und, wie es wörtlich

weiter lautet, ein Banner in maurischer Sprache: "una esfera en el adarga /con una letra en

el campo /que dize en lengua Christiana", "una banderilla azul... /y en Morisco aquesta

letra".

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Celindos ist seiner Bezeichnung nach Burgvogt zweier Ortschaften: "Sale el famoso

Celindos, /Alcaide de Alora y Baca" (v 53-54, cf. Namen). Er nimmt, dieser Funktion

zufolge, einen hohen Status in der Gesellschaft ein.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Als „Alcaide de Alora y Baca“ (v 54) hält sich Celindos in zwei wichtigen Städten des

ehemaligen Reichs von Granada auf (cf. Romanze Nr. 3 und Die Lage auf der Iberischen

Halbinsel).

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24.11. Romanze El gallardo Abenhumeya

Diese Romanze erzählt in 100 Verszeilen die Geschichte des gleichnamigen Mauren

Abenhumeyas (v 1). Er ist der einzige, handelnd auftretende Protagonist der Erzählung.

Außer dieser Gestalt, werden erwähnt die Maurin Felisarda / la hermosa Felisarda (v 6,

46, 72), der König von Granada / el Rey de Granada (v 2), mehrere Feinde des

Abenhumeya / enemigos (v 3), einige Frauen / damas (v 4), der Vater der Maurin Felisarda

/ el bravo Ferrí (v 7). Diese Personen sind für die eigentliche Handlung von sekundärer

Bedeutung. Die Romanze beschreibt im wesentlichen den emotionalen Zustand des

Abenhumeyas: "El gallardo Abenhumeya... /parte solo, porque a solas /quiere gozar de sus

ansias" (v 1-12). Es ist seine Liebe zu Felisarda, die die Handlungen und das

Erscheinungsbild des Mauren bestimmt: "Son las colores que viste /conformes al mal que

pasa" (v 13-14). Die Liebesgefühle Abenhumeyas werden in auffallend redundanter Weise,

in einer Vielzahl von Hinweisen angesprochen. Zu ihnen gehören die Beschreibung des

Protagonisten als Gedankenverlorener und Verliebter ("ausente y enamorado", v 5), seine

Sehnsüchte ("quiere gozar de sus ansias", v 12), sein Liebesschmerz (el mal que pasa, lo

que sufre el alma, v 14-16), seine Hoffnung (su esperanca, v 20; cf. auch v 40); die ihm

eigene, in Vers 20 angedeutete Unveränderbarkeit seiner Liebe ("su firmeza"); seine

Ängste (desconfiancas, v 24); seine, auf dem Schild zur Schau getragenen Liebesbeweise

(cf. v 25-28), seine Eifersucht und die daraus resultierende innere Verletzung (zelos, v 31;

"herido por ser de zelos", v 55; cf. auch v 69), seine Bitte an die Maurin, ihn nicht zu

vergessen: "no borres de tu memoria /a quien te escribió en el alma" (v 46-47); die Macht,

die die Maurin über ihn hat: "por causa tuya traigo vestida la malla" (v 49-50); das durch

tausende Seufzer zum Ausdruck gebrachte, Begehren (mil sospiros, v 59), seine Tränen

(lágrimas, v 62), sein Kummer (pena, v 63), etc. (cf. Leidenschaften).

Namen / Bezeichnung:

a) Bereits im ersten Vers wird der Protagonist namentlich bezeichnet, es folgen weitere

Hinweise zur Identität des Genannten: "El gallardo Abenhumeya, /hijo del Rey de Granada,

/con enemigos valiente, /discreto y galán con damas" (v 1-4, cf. Genealogie, Moral,

Leidenschaft). Abenhumeya ist ein Arabismus und bedeutet, wie schon erwähnt wurde,

'Sohn des Omeya' (cf. Arabismen). In einem späteren Teil der Romanze wird der

Protagonist als Maure bezeichnet: "el Moro ausente /sacó del pecho una carta" (v 57-58).

b) Kurz genannt wird der Vater des ersten Protagonisten. Dieser wird als König von

Granada, jedoch ohne Namen erwähnt: "El gallardo Abenhumeya, /hijo del Rey de

Granada" (v 1-2).

c) Die in Vers 6 zum erstenmal genannte Maurin, wird Felisarda genannt ("la hermosa

Felisarda"). Sie wird später auch als Dame bezeichnet: "(Abenhumeya) mira del Albaicín,

/adonde vive su dama" (v 73-74).

d) Der Vater der Maurin wird erstens namentlich und danach in seiner Funktion

bezeichnet: "el bravo Ferrí /que es Capitán de la guarda" (v 7-8, cf. Soziale Stellung).

Genealogie / Familiensippen:

a) b) c) d) In den Versen 1-2 und 6-7 werden, wie oben gezeigt wurde, enge

Familienbanden dargestellt.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

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Wien, am 02.06.11, Seite 122 von 259

Aussehen / Alter:

c) Die Protagonistin wird einmal als Dame bezeichnet. Sie scheint also von schönem

Aussehen zu sein: "(Abenhumeya) mira del Albaicín, /adonde vive su dama" (v 73-74, ad

dama cf. Romanze Nr. 1.).

Kleidung / Ausstattung:

a) Abenhumeya tritt als Reiter einer Stute dunkelbrauner Färbung auf: "en una yegua

alazana /parte solo" (v 1-11). Er trägt ein Festtagsgewand in maurischem Stil von

dunkelroter Farbe und (dem Muster von) dunkelvioletten Blumen: "Viste (le) leonada

marlota /y en ella flores moradas" (v 17-18). Er trägt desweiteren einen Umhang gelber

Farbe, ein Lederschild mit dem Abbild eines Mondes mit einem Streifen von

dunkelvioletter Farbe: "En un albornoz pajizo, /unas colunas bordadas, /por mostrar que a

su firmeza /combaten desconfiancas", "Puso en la adarga una luna /con una banda morada"

(v 21-27); dazu ein blaues Banner, eine Lanze aus Eisen und auf dem Kopf, einen gold-

und seidengefertigten Schleier, Federn, einen Federbusch, eine Kopfbedeckung und in der

Mitte des Ferderschmucks, ein Skelett aus Smaragd und eine Schrift aus Perlen:

"Banderilla lleva azul /junto al hierro de la lanca", "Una toca en su cabeca /de oro y seda

encarnada, /plumas, garcotas, bonete /recoge, aprieta y enlaza /y en el rico de las plumas

/una muerte de esmeraldas /y de alfójar esta letra; /Muerte es esperanca larga" (v 29-40).

Abenhumeya tritt, wie es in Vers 41 nocheinmal wiederholt wird, zwar als galán 'prächtig

und / oder für eine Festlichkeit gekleidet' auf, er trägt aber gleichzeitig auch, wie es aus der

folgenden Beschreibung des Mauren und aufgrund seiner eigenen Worte hervorgeht,

Waffen, Eisenbeschläge, ein Eisenhemd, eine Lanze in der rechten Hand, und ein Schild:

"Mas aunque parte galán, /apercebido va de armas, /porque son de fino azero /los forros de

aquestas galas"; "traigo vestida la malla; /siempre la lanca en la diestra, /siempre

embracada la adarga" (v 41-53).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Abenhumeya wird in Vers 4 als discreto con damas beschrieben. Er wird mit dieser

Eigenschaft als scharfsinnig, redegewandt, weise dargestellt (ad discreto cf. Romanze Nr.

4.).

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Der ersten charakterlichen Darstellung Abenhumeyas zufolge, ist der Maure seinen

Feinden gegenüber tapfer: "El gallardo Abenhumeya, /hijo del Rey de Granada, /con

enemigos valiente" (v 1-3). Die Ausstattung des Protagonisten erinnert, wie wir oben

gesehen haben, an einen gut ausgerüsteten Krieger, der eine Reihe von Waffen an sich trägt

(v 41-53). Abenhumeya beschreibt sich mit eigenen Worten als jemanden, der die Lanze

seiner rechten und sein Schild nie ablegt, der sich in Scharmützel siegreich bewährt und

Schlachten übersteht; Waffen und Kraft (wörtlich 'Eisen') würden nicht ausreichen, um ihn

zu verletzen: "traigo vestida la malla; /siempre la lanca en la diestra, /siempre embracada la

adarga, /venciendo en escaramucas /y saliendo de batallas, /herido por ser de zelos /do

azero ni fuercas bastan" (v 50-56). Die adverbialen und gerundialen Verbalkonstruktionen

(siempre, venciendo, saliendo) stellen die erzählten Handlungen als repetitive / intensive

und gegenwärtige Geschehen dar. Es entsteht das Bild eines Kriegers, der ständig bereit ist,

zu kämpfen bzw. ständig kämpft. Die Assoziation mit dem dargestellten Protagonisten ist

also diejenige eines, - aufgrund seiner Eigenschaften - ausgezeichneten Kriegers, der

überaus tapfer bzw. unbesiegbar scheint. Ein anderer Aspekt der Erzählung ist, daß der

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Wien, am 02.06.11, Seite 123 von 259

Maure sich selbst als sehr tapfer und unbesiegbar darstellt und dies auch eine Übertreibung

sein kann. Möglicherweise prahlt Abenhumeya in seiner Selbsdarstellung. In einer späteren

Textpassage stellt er sich als sehr selbstsicher dar, in dem er behauptet, nichts könne ihn

von seiner Liebe abbringen (contra mí nada basta, cf. v 89-96 und Leidenschaften).

c) In der Abwesenheit Felisardas beklagt sich Abenhumeya über den Gefühlswandel seiner

Angebeteten und drückt seine Hoffnung aus, daß die Zeit die Falschheit ihrer Worte

enthüllen möge: "Mora de mis ojos, dize, /si como dizes me amas, /fáciles inconvenientes

/fácilmente atropellaras; /mas ay, que el tiempo descubre /mi firmeza y tu mudanca, /la

firmeza de mis obras, /lo falso de tus palabras" (v 81-88). Den Worten des Mauren zufolge,

täuschte die Maurin ihn also (in der Liebe).

d) Dem Vater der Maurin wird in der Beschreibung el bravo Ferrí (v 7) explizit Tapferkeit

zugewiesen.

Religion / Ideale:

a) Abenhumeya wurde, wie schon mehrmals erwähnt wurde, als "discreto y galán con

damas" (v 4) beschrieben. Diesem Auftreten gegenüber Frauen, könnte ein bestimmtes

Ideal des Verhaltens zugrundeliegen.

Leidenschaften:

a) Wie schon oben erläutert wurde, wird der Protagonist in einer langen Reihe von Versen -

mehr oder weniger explizit - als Liebender dargestellt. In Vers 5-6 wird Abenhumeya

abwesend und in die Maurin Felisarda verliebt genannt: "El gallardo Abenhumeya...

/ausente y enamorado /de la hermosa Felisarda" (v 1-6). Ersteres kann aufgrund des

Kontexts der Erzählung als 'mit seinen Gedanken abwesend / gedankenverloren / in

Gedanken an die Geliebte verloren', etc. verstanden werden. Abenhumeya bricht alleine

auf, wie es uns geschildert wird, um sich alleine seinen Sehnsüchten hinzugeben; er trägt

Farben, die sein emotionales Leid signalisieren; würde er sehen, würde er, den folgenden

Versen zufolge, sein Seelenleid in ihnen erkennen - d.h. er sieht (möglicherweise aufgrund

seiner Tränen) nichts: "El gallardo Abenhumeya... /parte solo, porque a solas /quiere gozar

de sus ansias. /Son las colores que viste /conformes al mal que pasa, /porque si vieren sus

ojos /vean lo que sufre el alma" (v 1-14). Blumen dunkelvioletter Farbe schmücken seinen

Umhang, da seine Hoffnung, wie es wörtlich geschildert wird, 'zwischen Ängsten und

Qualen erblüht ist. Dunkelviolett ist also ein Zeichen von Liebeskummer / Herzleid: "Viste

(le) leonada marlota /y en ella flores moradas, /que entre congoxas y penas /florida está su

esperanca" (v 17-20). Der Maure trägt noch weitere Zeichen, um sein Mißtrauen sichtbar

zu machen: "En un albornoz pajizo, /unas colunas bordadas, /por mostrar que a su firmeza

/combaten desconfiancas" (v 21-24). Er befestigte auch auf seinem Schild ein Band

dunkelvioletter Farbe, um zu zeigen, wie es wörtlich dargestellt wird, daß seine Angst vor

dem Sinneswandel (der Maurin) aus seiner Liebe entsteht: "Puso en la adarga una luna /con

una banda morada, /por mostrar muestras que de amor /nace el temor de mudanca" (v 25-

29). Neben seiner Eisenlanze trägt Abenhumeya ein blaues Banner, denn, wie es weiter

lautet, die Eifersucht ist die Gelegenheit für den Liebenden, um Fehler zu begehen:

"Banderilla lleva azul /junto al hierro de la lanca, /que zelos son ocasión /de hazer yerros

quien bien ama" (v 29-32). Der Maure würde, dieser Darstellung zufolge, also in der Lage

zu sein, seine Lanze aus Eifersucht zu benützen, d.h. sie gegen jemanden richten /

jemanden angreifen / töten. Mit flehender Stimme bittet Abenhumeya Felisarda, die er mit

meine Geliebte anspricht, ihn, der sie in seiner Seele verankert (wörtlich 'geschrieben') hat,

nicht zu vergessen; wegen ihr, so sagen seine Worte, trüge er das Eisenhemd und immer

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Wien, am 02.06.11, Seite 124 von 259

griffbereit, die Lanze und sein Schild; wegen ihr überstehe er Kämpfe und Schlachten:

"Sospirando va diziendo: Mi querida Felisarda, /no borres de tu memoria /a quien te

escribió en el alma; /mira que por causa tuya /traigo vestida la malla; /siempre la lanca en

la diestra, /siempre embracada la adarga, /venciendo en escaramucas /y saliendo de

batallas" (v 46-54). Der Beschreibung des Protagonisten in den Versen 55-56 zufolge,

verletzten nicht Waffen oder Gewalt den Mauren, sondern seine Eifersucht: ("herido por

ser de zelos /do azero ni fuercas bastan"). Angesichts eines Briefes, den Abenhumeya aus

seiner Brusttasche hervorholte, läßt er tausend Seufzer los; als er den Brief lesen will,

hindern ihn daran seine Tränen, die soviel sind, daß sie das Papier durchtränken: "el Moro

ausente /sacó del pecho una carta, /y con ella mil sospiros /con que el fresco viento abrasa.

/Quiso leella y no pudo, /porque lágrimas cansadas /y espesas nubes de pena /son que lo

impiden con agua. /La carta, con lo que llora, /moja, enternece y ablanda, /y con sospiros la

enxuga /y aún es mucho no quemalla" (v 57-67). Das semantische Feld 'Liebesschmerz' in

diesen zehn Versen kehrt in auffällig redundanter Weise wieder. Zu diesem Feld gehören

müde Tränen, dichte Kummerwolken, die große Quantität der Tränen - lágrimas, agua,

mojar, enternecer, ablandar, enxugar -, die zum zweiten Mal wiederholten Seufzer, die

metaphorische Darstellung einer solchen Qual / eines so innigen Feuers, das den Brief zu

verbrennen droht. In Vers 69 werden noch einmal die durch Felisarda zugefügten Wunden

erwähnt; in den darauffolgenden Versen wendet Abenhumeya, den Verursacher seines

Leidens suchend, seinen Blick Granada und, wie es wörtlich lautet, seine Seele der Maurin

zu: Siente las frescas heridas, /y en busca de quien las causa /vuelve a Granada los ojos /y

el alma a su Felisarda" (v 69-72). Auch in der Bezeichnung Abenhumeyas, der seine

Geliebte als Mora de mis ojos (v 81) anspricht, spiegelt sich ihre große Bedeutung für ihn

wider. Sie ist die Frau seiner Augen, ein Teil seiner Seele also. Abenhumeya bedauert in

einer Reihe von Versen, wie oben schon gezeigt wurde, den Gefühlswandel der Maurin: "si

como dizes me amas, /fáciles inconvenientes /fácilmente atropellaras; /mas ay, que el

tiempo descubre /mi firmeza y tu mudanca, /la firmeza de mis obras, /lo falso de tus

palabras" (v 82-88). Der Maure nimmt einen Aufstand, die Mißgunst seiner Verwandten,

Gefahren und Feinde wegen seiner Liebe auf sich, doch weder dies, noch die

Geringschätzungen und lange Abwesenheit der (Maurin) würden ihn von seiner Liebe

abbringen: "Mal haya yo, que por ti /traigo revuelta a Granada: /mis deudos me ponen

ceno, /no me pueden ver tus guardas; /mas aunque enemigos crezcan, /desdenes y ausencia

larga /nada bastará a mudarme, /que contra mí nada basta" (v 89-96). Die Liebe

Abenhumeyas scheint, diesen Darstellungen zufolge, die primäre Lebenskraft des Mauren

zu sein, ihr Fehlen bewirkt seinen seelenlosen, müden, leblosen Zustand, der an den Tod

erinnert. In Vers 40 wird, in den Worten des Dichters, unerwiderte / lang erhoffte Liebe

auch explizit mit der Vorstellung des Todes assoziiert ("Muerte es esperanca larga"). Alle

dargestellten Handlungen des Protagonisten sind von seinem emotionalen Zustand / seiner

Liebe zu Felisarda bestimmt. Selbst die Kampftüchtigkeit des Mauren / der Krieger in ihm,

ist geringer als die Kraft bzw. Kraftlosigkeit des Liebenden. Die Liebe Abenhumeyas ist

innig, zehrend, qualvoll. Dennoch will er sie, wie er es selbst darstellt, nicht aufgeben (cf.

letztes Zitat).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Zur Ausstattung des Mauren gehören prächtige Kleidungsstücke sowie schmückende

und teilweise üppig verwendete, kostbare Elemente. Zu ihnen gehören eine

Kopfbedeckung, in die Gold und Seide eingearbeitet ist; reicher Federschmuck; ein

Emblem, das aus Smaragden besteht und eine aus Perlen bestehende Schrift (una toca...de

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Wien, am 02.06.11, Seite 125 von 259

oro y seda encarnada, plumas, el rico de las plumas, una muerte de esmeraldas, de alfójar

esta letra; cf. v 33-39 ad Kleidung). Abenhumeya scheint also vermögend zu sein.

c) Abenhumeya, befindet sich, wie schon gezeigt wurde, auf einem Weg (parte solo). Von

seinem Standpunkt aus blickt er in Richtung der Stadt Granada, zu einer prächtigen Anlage

mit Garten; diese ist das Zuhause seiner Geliebten: "vuelve a Granada los ojos /y el alma a

su Felisarda; /y mira del Albaicín, /adonde vive su dama, /los dorados chapiteles /y las

antiguas murallas. /Por la de un jardín que tiene /vee que se asoma una palma" (v 67-78).

Als Bewohnerin eines solchen Palastes scheint Felisarda, einen hohen gesellschaftlichen

Rang innezuhaben.

d) Der Vater der Maurin nimmt als Kapitän einer Wachtruppe einen übergeordneten Rang

gegenüber anderen ein ("el bravo Ferrí /que es Capitán de la guarda", v 7-8).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Abenhumeya scheint von der Stadt Granada aufgebrochen zu sein, da er sich in ihrer

Nähe unterwegs befindet (cf. Soziale Stellung, v 67-78).

c) Wie ebenfalls schon oben gezeigt wurde, lebt Felisarda in einem Stadtviertel von

Granada (cf. Soziale Stellung, v 67-78; cf Arabismen).

d) Der Vater der Maurin bewacht, den Versen 7-9 zufolge, die Ebene des Genil, eines

durch Granada fließenden Flusses ("el bravo Ferrí /que es Capitán de la guarda, /por la

vega de Genil", v 7-9). Auch er wird also mit dieser Stadt von Andalusien in

Zusammenhang gebracht.

24.12. Romanze Abrasado en viva llama

Die 80-versige Romanze handelt von einem Mauren namens Tarfe (v 5). Er ist die

wichtigste Figur der Erzählung, die auch am deutlichsten in den Vordergrund tritt. Die

Darstellung des Mauren ergibt sich in 40 der 80 Verse der Romanze aufgrund verbaler

Handlungen bzw. seiner Selbstdarstellung (des Dictums per se). Trotz seiner primären

Funktion in der Geschichte, ist Tarfe nicht die einzige Gestalt, die porträtiert wird. Die

Worte des Protagonisten liefern außer seiner eigenen Darstellung, auch Beschreibungen

anderer maurischer Figuren. Tarfe erwähnt die Angehörigen einer Reihe von

Personengruppen / Zegríes, Bencerrajes, Sarracinos, Aliatares, Adarifes, Gomeles (v 45-

48), die in seiner Darstellung - größtenteils implizit - beschrieben werden. Es treten außer

diesen Personengruppen noch weitere Erzählfiguren auf, die für die eigentliche Erzählung

Nebenfunktionen einnehmen. Es sind dies Celia, die Angebetete des Mauren, deren Vater /

el Moro Hamete", eine zweite und eine dritte Maurin / Adarifa und Alia, die Könige / los

Reyes (v 8, 24, 33und 42, 52).

Namen / Bezeichnung:

a) Die primäre Erzählfigur wird mit einem Ethnonym in Verbindung mit einem

Eigennamen arabischer Herkunft eingeführt; diese Bezeichnung wird im Munde des

Mauren, der sich selbst darstellt, wiederholt : "Abrasado en viva llama... /sentado está el

Moro Tarfe... /frontero de los palacios"; soy el Moro Tarfe (v 1-7, 49; cf. Arabismen).

b) Die Angebetete des Mauren trägt den Namen Celia (cf. v 8).

c) Der Vater dieser Maurin wird nur einmal - in Vers 24 - erwähnt; er wird mit einem

Ethnonym und einem Eigennamen orientalischer Herkunft bezeichnet ("la hija del Moro

Hamete", v 24; cf. Arabismen).

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Wien, am 02.06.11, Seite 126 von 259

d) Kurz erwähnt wird eine zweite Maurin namens Adarifa (cf. v 33). Dieser Name könnte

mit dem arabischen adalife / adalid mit der Bedeutung 'Anführer' verwandt sein.

e) Tarfe bezieht sich in seinen Worten auf eine ganze Reihe von Personengruppen bzw.

Personen, die er teilweise namentlich, teilweise charakterlich identifiziert und erfaßt. Seine

Worte lassen allerdings keine genaue Zuordnung der Charakterisierungen zu den Namen

zu. In seiner Selbstdarstellung erwähnt Tarfe eine Reihe verschiedener Personengruppen

namentlich: "Zegríes o Bencerrajes /salgan, aunque sean veinte; /Sarracinos o Aliatares,

/Adarifes o Gomeles, /que soy el Moro Tarfe, /espejo de los valientes" (v 44-50). Die

ersten beiden und die vierte der aufgelisteten Gruppen repräsentieren ihrer Bezeichnung

nach, bestimmte maurische Sippen des arabisch beherrschten Andalusiens des 15.

Jahrhunderts (cf. ad Abencerrajes und Zegríes cf. Romanzen Nr. 2. und 5.; ad Aliatares cf.

Romanze Nr. 8.). In der Bezeichnung sarracinos spiegelt sich einer ethnische und

charakterliche "Erfassung" der Genannten wider (cf. Romanze Nr. 8., cf. Moral). Die

Bezeichnung adarife / adalife weist ebenfalls auf eine arabische Abstammung der

Genannten hin. Im Arabischen bedeutet dieses Wort, wie wir schon mehrmals erwähnt

haben, 'Anführer' (cf. Arabismen). Ohne die genannten Personen oder Personengruppen

namentlich zu identifizieren, spricht Tarfe über 'die Neidischen; die Hochwohlgeborenen;

die Arrogantesten; diejenigen, die das Gegenteil sagten; den Verräter': "Y zeloso de

traición /de los que envidia le tienen, /con mil amorosas ansias /dize, apretando el bonete:

/Miente el traidor homicida /que con Alia me revuelve. /Y si fuere más que uno, /todos

cuanto fueren mienten"; los demás de alta progenie; los más arrogantes; los que al

contrario dixeren (v 37-44, 62, 64, 66, 67; cf. Moral). Diese Bezeichnungen lassen auf

bestimmte charakterliche Züge bzw. Handlungen der Genannten schließen (cf. Moral). Wie

aus Vers 67 eindeutig hervorgeht, richtet sich Tarfe an gewisse Einwohner von Granada,

die zuerst in keiner Weise, weder namentlich noch ethnisch, erfaßt werden: "Salga gente de

Granada, /suelten plumas y alquizeles" (v 67-68). Am Ende der Romanze bezieht er sich

noch einmal auf die Gesamtheit aller bisher Erwähnten und verwendet eine adjektivische

bzw. charakterliche Beschreibung: "sabrán si cumple mi lanca, /lo que mi lengua promete:

/que por Celia he de morir, /pero antes de mi muerte /quedará el suelo tenido /de sangre

destos aleves" (v 75-80, cf. Moral). Er bezieht sich auf eine unbestimmte Anzahl von

Frauen derselben Bevölkerung mit der Bezeichnung damas: "Salga gente de Granada,

/suelten plumas y alquizeles, /suelten las bandas moradas /y las de esperanca verdes, /sus

usurpadas divisas /de damas que no merecen" (v 67-72, cf. Moral).

f) Auch die dritte, nicht weiter handelnd auftretende Maurin, trägt einen Eigennamen. Wie

schon erläutert wurde, könnte Alia die Bedeutung von 'erhaben, hoch' zugrundeliegen (cf. v

42).

g) Tarfe erwähnt einmal kurz und seinen Vater, dessen Name nicht bekannt gegeben wird:

"Zegríes o Bencerrajes /salgan... /Que a la Corte soy venido /a pasear con los Reyes, /como

paseó mi padre /en los palacios de Gelves" (v 51-54).

Genealogie / Familiensippen:

a) g) In den Worten Tarfes spiegelt sich, wie oben erläutert wurde, ein enges

Verwandtschaftsverhältnis wider (cf. v 51-54). Tarfe deutet seine edle / adlige Herkunft an

mit den Worten: "y sepan quién es Tarfe /y de qué sangre deciende, /y que me hagan la

salva /los demás de alta progenie /y que en sólo oir mi nombre /los más arrogantes

tiemblen" (v 59-64). Die anderen sollten also wissen, wer er ist; von welchem Blut er sich

ableite; diejenigen, die selbst von hoher Abstammung seien, sollten ihn grüßen; die

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Wien, am 02.06.11, Seite 127 von 259

Arrogantesten, (vor ihm) erzittern. Dieser Beschreibung zufolge ist Tarfe von höchster,

blaublütiger Abstammung.

b) c) Auch zwischen der Maurin Celia und dem Mauren Hamete besteht ein enges

familiäres Verhältnis, sie sind Tochter und Vater (la hija del Moro Hamete, v 24).

e) In den Versen 61-62 nennt Tarfe Deszendenten hoher Herkunft, die ihm ihren Gruß

entgegenbringen sollen: "que me hagan la salva /los demás de alta progenie" (v 61-62).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

e) Tarfe wendet sich, wie schon gezeigt wurde, mit einer Reihe von Bezeichnungen an

(alle) Bewohner von Granada: "Zegríes o Bencerrajes /salgan, aunque sean veinte;

/Sarracinos o Aliatares, /Adarifes o Gomeles, /que soy el Moro Tarfe" (v 44-49). Diese

scheinen also, in Gruppen aufgeteilt zu sein.

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

b) Tarfe erblickt die Maurin Celia, wie es erzählt wird, mit ihrer schönen, anmutigen Stirn

an einem Fenster: "Vióla estar a la ventana /con hermosa y grata frente" (v 9-10).

Kleidung / Ausstattung:

a) Den Versen 40 und 75 zufolge, trägt Tarfe eine Kopfbedeckung (apretando el bonete, cf.

Romanze Nr. 1.) und eine Lanze: "sabrán si cumple mi lanca, /lo que mi lengua promete".

e) Tarfe fordert die Bewohner Granadas auf, mit Federn und in einer bestimmten

maurischen Kleidung, mit dunkelvioletten und grünen Bändern und stählernen Helmen und

Sturmhauben loszuziehen: "Salga gente de Granada, /suelten plumas y alquizeles, /suelten

las bandas moradas /y las de esperanca verdes... /pongan cascos azerados /y yelmos de

finos temples (v 67-74, ad alquicel / alquicer cf. Arabismen).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Die Verse 1-8 erzählen wörtlich, wie Tarfe, innerlich brennend, mutig, grausam und

widerspenstig / störrisch vor den Palästen Celias sitzt, weil diese, die soviel Feuer

entzündet und wegen der er leidet, ihm gegenüber ein Herz aus Eis zeigt (wörtlich: 'aus Eis

gemacht ist'): "Abrasado en viva llama, /bravo, feroz y rebelde, /porque está hecha de yelo

/la que tanto fuego enciende" /sentado está el Moro Tarfe, /y no en el pecho que quiere,

/frontero de los palacios /de Celia, por quien padece" (v 1-8). In der zitierten Passage

kämpft der Maure Tarfe also wegen einer Frau mit seinen Gefühlen. Er wird, wie oben

gezeigt wurd, als widerspenstig / störrisch bezeichnet. Dieser Zustand könnte sich auf

seine Liebe beziehen, die im Moment der Beschreibung für ihn weiter besteht, auch wenn

ihn die angebetete Frau ablehnt. Die Beschreibung desselben Mauren als mutig und

grausam in dem dargestellten Kontext, ist unkohärent / unlogisch. Der Maure vollzieht

keinerlei Handlung, aufgrund der er sich als tapfer oder hartherzig erweist. Vor den

Palästen Celias sitzend, wird Tarfe von so heftigen Emotionen erfaßt, daß er, wie es

wörtlich heißt, aus Wut schwitzt (sudando de coraje, v 21).

Den Worten Tarfes zufolge, verbreiteten eine oder mehrere Personen über ihn Lügen;

danach hätte er mit der Maurin Alia erneut eine Beziehung begonnen: "Miente el traidor

homicida /que con Alia me revuelve. /Y si fuere más que uno, /todos cuanto fueren

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Wien, am 02.06.11, Seite 128 von 259

mienten" (v 41-44). Tarfe wird also - in den Aussagen anderer - als untreu dargestellt bzw.

als ob er zwei Liebesbeziehungen zugleich pflegt. Auch seine eigenen Worte erwecken

später noch einmal diesen Eindruck. Tarfe fordert Celia auf, ihm zu sagen, ob sie ihn möge

oder ihn verabscheue, damit er Adarifa gebe, was Celia ihm schulde: "La más sublime

merced, /cruel, que puedes hazerme, /es que de veras me avisas /si me quierés o me

aborreces, /porque le pague a Adarifa /lo mucho que tú me debes" (v 29-34). In den Versen

44-50 fordert Tarfe die Angehörigen mehrerer Sippen zugleich auf, sich als Krieger

ausgestattet zu zeigen (cf. Kleidung.), denn - wie es wörtlich lautet - er sei der Maure Tarfe

und der Spiegel der Tapferen: "Zegríes o Bencerrajes /salgan, aunque sean veinte;

/Sarracinos o Aliatares, /Adarifes o Gomeles, /que soy el Moro Tarfe, /espejo de los

valientes" (v 44-50). Nach der ersten Beschreibung des Protagonisten als Tapferen (cf. v 2),

wird Tarfe also - in seiner Selbstdarstellung - ein zweites und ein drittes Mal mit Tapferkeit

assoziiert. Er zeigt Mut, indem er sich als einzelner einer Mehrzahl von Kriegern zu stellen

scheint, zugleich auch Angriffslust und er bezeichnet sich - in der Metapher des

(duplizierenden) Spiegels - als doppelt so / tapferer, als alle anderen. In dieser

Selbstpräsentation des Mauren spiegelt sich auch ein großer Hochmut wider, der in den

folgenden Versen noch mehrmals (2x) zum Ausdruck gebracht wird. Tarfe behauptet

desweiteren, die Nymphen des Guadalquivir stiegen aus dem Wasser und verkündeten

seinen Namen am königlichen Hof: "por mi dexan sus aguas, /las bellas Ninfas del Betis, /y

ellas harán que mi nombre /en la Corte se celebre" (v 55-58); die Sippen sollten wissen,

wer und von welchem Blut er sei; die Abkömmlinge hoher Deszendenz sollten ihn

begrüßen und die arrogantesten unter ihnen sollten erzittern, wenn sie nur seinen Namen

hörten: "y sepan quién es Tarfe /y de qué sangre deciende, /y que me hagan la salva /los

demás de alta progenie /y que en sólo oir mi nombre /los más arrogantes tiemblen" (v 59-

64). In den Versen 67-72 fordert Tarfe die Bewohner von Granada auf, ihre unrechtmäßig

erworbenen Kennzeichen zu zeigen, und sagt desweiteren wörtlich aus, daß diese

Kennzeichen die Zeichen von Frauen sind, die es nicht wert sind: "Salga gente de Granada,

/suelten plumas y alquizeles, /suelten las bandas moradas /y las de esperanca verdes, /sus

usurpadas divisas /de damas que no merecen" (v 67-72, cf. Moral). Tarfe unterstellt also

den Angesprochenen, daß sie sich zu Unrecht etwas aneigneten. Desweiteren spricht er von

den erwähnten Frauen, folgen wir seinem Wortlaut, in beleidigender Weise. Zweimal

spricht der Protagonist eine Todesdrohung aus; seine Gegner werden seine Lanze und das,

was er verspricht, kennenlernen, denn für Celia wird er sterben; wie er weiter hinzufügt,

aber vorher wird der Boden von ihrem Blut getränkt werden: "sabrán si cumple mi lanca,

/lo que mi lengua promete: /que por Celia he de morir, /pero antes de mi muerte /quedará el

suelo tenido /de sangre destos aleves" (v 75-80). Tarfe scheint also überaus kampfbereit, zu

sein. Er zeigt sich entschlossen, durchzuführen, was er behauptet hat, zu tun. Er scheint

also auch stolz zu sein. Er äußert seine klare Absicht, seine Widersacher zu töten. Er ist

also auch hartherzig. Im Kontext der Erzählung scheinen seine Absichten, zu töten, mit den

Lügen, die man über ihn verbreitet, zusammenzuhängen: "Miente el traidor homicida /que

con Alia me revuelve. /Y si fuere más que uno, /todos cuanto fueren mienten" (v 37-44). Er

scheint sich, Rache zu wünschen.

e) Auch die Angehörigen der unterschiedlichen maurischen Gruppen werden stellenweise

moralisch, d.h. in ihrem Zustand oder handelnd bzw. charakterlich erfaßt und beschrieben.

Die Angehörigen einer der Sippen werden, wie schon gezeigt wurde, als sarracinos

bezeichnet. Dieser Name erweckt, wie schon erwähnt wurde, Assoziationen einer Person,

die streitsüchtig ist (cf. Romanze Nr. 8.). Unter den von Tarfe Angesprochenen gibt es

Personen, folgen wir seinen Worten, die den Mauren beneideten (los que envidia le tienen,

v 38), desweiteren eine andere oder andere Personen, die Lügen verbreiteten: "Miente el

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traidor homicida... /Y si fuere más que uno, /todos cuanto fueren mienten" (v 41-44).

Einige Personen wären hochmütig (los más arrogantes, v 64), andere hätten sich gewisse

Abzeichen zu Unrecht angeeignet: "Salga gente de Granada... /suelten...sus usurpadas

divisas" (v 67-71). Diese letzte Darstellung impliziert einen Akt der Täuschung, die den

Genannten in den Worten Tarfes zugeschrieben wird. Wie schon gesagt wurde, erwähnt

Tarfe eine unbestimmte Anzahl von Frauen mit dem Wort damas. Diese Bezeichnung ist

eine schmeichelnde, höfliche Anrede, die per se eine Wertschätzung ausdrückt. Zugleich

aber spricht Tarfe ihnen jeglichen Wert ab (damas que no merecen, v 72). Bezüglich der

Frauen verwendet der Protagonist also zwei konträre Bezeichnungen und äußert eine

Wert- und eine Geringschätzung. Ein letztes Mal bezieht sich der Maure auf die

Gesamtheit der von ihm Erwähnten mit den Worten destos aleves: "sabrán si cumple mi

lanca, /lo que mi lengua promete: /que por Celia he de morir, /pero antes de mi muerte

/quedará el suelo tenido /de sangre destos aleves" (v 75-80, cf. Moral). In Aut. wird das

Adjektiv aleve folgendermaßen definiert: "Vale lo mismo que Infiel, desleál, pérfido,

alevóso y traidór: lo que no solo se dice del que cométe alevosía, o aléve, de que tratan las

leyes..., sino tambien de las mismas acciones y delítos...". Tarfe bezeichnet seine

Widersacher also als untreu, falsch, niederträchtig, heimtückisch, verräterisch.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

a) Wie oben schon gezeigt wurde, ist Tarfe vollkommen gefangen von Liebesgefühlen.

Mehr als einmal wird metaphorisch auf sein brennendes Gemüt hingewiesen (Abrasado en

viva llama, tanto fuego (v 1, 4). "Y porque Celia en miralle /algún tanto se suspende, /de

mudanca temeroso, /dize que arder se parece" (v 25-28). Wie es explizit ausgedrückt wird,

leidet der Protagonist aufgrund der Abweisung durch die Maurin, die ihn wie ein Blitz

trifft: "sentado está el Moro Tarfe... /frontero de los palacios /de Celia, por quien padece",

"esquivos ojos /dando muestras de crueles, /mostrando el bravo rigor /que con él tuvieron

siempre, /haziendo su duro pecho /con sus rayos transparente" (v 1-8 ad Moral, 11-16). Die

Emotion des Mauren ist so stark, daß sein Körper darauf reagiert; seine Gesichtsfarbe

verändert sich, er schwitzt vor Zorn: "Y muestra el Moro en la cara /mil colores diferentes,

/que en ver el estremo dellas /unas van y otras se vuelven; /y sudando de coraje /se limpia

el rostro mil vezes /con un velo que le dió /la hija del Moro Hamete" (v 17-24). Schon ein

zögernder Blick Celias reicht aus, in ihm die Angst vor ihren Gefühlen zu erwecken: "Y

porque Celia en miralle /algún tanto se suspende, /de mudanca temeroso, /dize que arder se

parece" (v 25-28). Tarfe bezeichnet seine Geliebte als Grausame, er fordert sie aus, ihre

Gefühle zu äußern und bedauert ihr Verhalten: "La más sublime merced, /cruel, que puedes

hazerme, /es que de veras me avisas /si me quierés o me aborreces, /porque le pague a

Adarifa /lo mucho que tú me debes", "Que me adora y no la estimo, /y tú, de verme, te

ofendes" (v 29-36).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Seinen eigenen Worten zufolge, ist Tarfe auf den königlichen Hof gekommen, um die

Gesellschaft der Könige zu teilen, wie es sein Vater getan hat: "a la Corte soy venido /a

pasear con los Reyes, /como paseó mi padre" (v 51-53). Nymphen verkündeten seinen

Namen am Hof, lauten andere Verszeilen: "las bellas Ninfas del Betis, /y ellas harán que mi

nombre /en la Corte se celebre" (v 56-58). Die Figur des Tarfe wird also explizit

königlichen Reihen zugewiesen.

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Wien, am 02.06.11, Seite 130 von 259

b) Auch die Geliebte des Mauren scheint als Bewohnerin mehrere Paläste der höchsten

Gesellschaftsschicht anzugehören: "sentado está el Moro Tarfe... /frontero de los palacios

/de Celia" (v 1-7).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

e) Tarfe wird explizit mit einer Stadt der südlichen Iberischen Halbinsel in Verbindung

gebracht: "Zegríes o Bencerrajes /salgan... /Que a la Corte soy venido /a pasear con los

Reyes, /como paseó mi padre /en los palacios de Gelves" (v 51-54, cf. Romanze Nr. 2.)

b) Cf. Soziale Stellung.

24.13. Die Romanze En dos yeguas muy ligeras

Die vorliegende Dichtung zählt 128 Verse. Ihre erzählte Handlung findet während eines

Pferderennens statt, an dem verschiedene Personen und Personengruppen aktiv oder als

Zuschauer teilnehmen. Die zwei wichtigsten Erzählfiguren sind der Maure Tarfe und der

König von Belchite / el Rey de Belchite (v 1-4), die gemeinsam auftreten. Als

Nebenfiguren werden genannt bzw. treten - größtenteils auch handelnd auf -, die Frauen

Celia, Doralice, Adalifa (v 8 und 43), sowie eine Reihe von Personengruppen ("los

Audallas y Aliatares, /Azarques y Almoradíes, /Zegríes y Bencerrajes, /Sarrazinos y

Adalifes", v 75-79.). Die Geschichte schildert im wesentlichen die Liebesgefühle der

beiden zuerst genannten Protagonisten für Celia und Doralice (cf. Moral und

Leidenschaften), aber auch diejenigen anderer Erzählfiguren werden in einer Reihe von

Versen dargestellt. Sie finden zum Beispiel Ausdruck in den Vorwürfen des Königs

gegenüber Doralice: "uno solo escojas /de los muchos que te sirven, /porque veo que a

cualquiera /en tu servicio le admites, /y así al de baxo linaje /como al de alto y sublime. /Y

en los saraos y zambras /de ordinario te persiguen /los Audallas y Aliatares, /Azarques y

Almoradíes, /Zegríes y Bencerrajes, /Sarrazinos y Adalifes (v 67-78, cf. Leidenschaften).

Die vorliegende Erzählung enthält klassizistisch-kultistische Elemente. Zu ihnen gehört

beispielsweise der metaphorische Vergleich der Maurin Celia mit der griechischen

Halbgöttergestalt Zirze. Dieser Vergleich wird im Munde des Mauren Tarfe formuliert: "el

Tarfe a Celia le dize: /Celia y cielo te llamaba, /mas ya encantadora y Circe, /porque tu

sereno cielo /de escuras nubes cubriste, /y en los soles de tu cara /tu crueldad haze eclipse"

(v 98-104).

Namen / Bezeichnung:

a) Einer der beiden wichtigsten Protagonisten wird zuerst mit seinem Namen eingeführt

und später auch mit einem Ethnonym bezeichnet: se pasean...Tarfe y el Rey, el Tarfe, Moro

(v 4, 7, 44; cf. ad Tarfe Arabismen).

b) Die zweite Erzählfigur primärer Bedeutung ist, wie schon erwähnt wurde, ein König. Er

wird mit seinem Titel und einer topographischen Ergänzung bezeichnet: "En dos yeguas

muy ligeras /de blanco color de Cisne, /se pasean en Granada /Tarfe y el Rey de Belchite"

(v 1-4).

c) Die als erste genannte Maurin trägt den Namen Celia (v 8). In den Worten des Autors

der Geschichte wird diese - implizit - auch als dama bezeichnet. Tarfe und der König

werben, wie es in Vers 6 heißt, um ebenbürtige Frauen: "iguales damas sirven". Die

gewählte Bezeichnung reflektiert, wie schon mehrmals erläutert wurde, eine

Wertschätzung der Genannten.

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Wien, am 02.06.11, Seite 131 von 259

d) Die als zweite genannte Maurin trägt den Namen Doralice (v 8). Auch für sie wird die

Bezeichnung damas verwendet (v 6).

e) Auch die dritte Maurin wird namentlich erwähnt: "No lleva el Tarfe divisas, /porque no

se escandalize /Adalifa" (v 41-43). Ihr Name könnte mit der arabischen Bezeichnung von

'Führer' (cf. Arabismen) zusammenhängen.

f) In den Worten an Doralice nennt der König namentlich mehrere Personengruppierungen:

"Y en los saraos y zambras /de ordinario te persiguen /los Audallas y Aliatares, /Azarques y

Almoradíes, /Zegríes y Bencerrajes, /Sarrazinos y Adalifes" (v 73-79). Von diesen acht

Gruppen werden drei, wie schon mehrmals erläutert wurde, mit verschiedenen maurischen

Sippen des historischen Andalusiens in Zusammenhang gebracht (cf. Romanzen Nr. 2., 5.,

8,); die Bezeichnung einer Gruppe reflektiert eine bestimmte moralische Vorstellung der

genannten Personen (cf. Moral); sieben der acht erwähnten Namen sind arabischen

Ursprungs bzw. sind arabisiert (cf. Arabismen).

g) Auch die dritte Maurin trägt einen Eigennamen: "Y la hermosa Bindarraja /desde

Antequera me escribe" (v 89-90). Wir haben den Namen (A)Bindarraja mit der Bedeutung

'Kind der Verleumderin übersetzt' (cf. Arabismen). Der König wirft Doralice unter

anderem vor, ihn zu täuschen: "me desenganes y avises /que damas hay en la Corte /que

desean de servirme" (v 86-88). Die Verleumdung und die Täuschung sind tiefensemantisch

verwandte Ausdrücke. Im Kontext der Erzählung scheint der Name der den König

(ent)täuschenden Protagonistin folglich bewußt gewählt, daher bedeutend zu sein.

Genealogie / Familiensippen:

Der vorliegende Text liefert keinerlei Hinweise über die Abstammung der auftretenden

Figuren. Einmal jedoch thematisiert der König kurz die Herkunft der Freier um Doralice,

die seine Geliebte von jedem Stand zulassen würde: "veo que a cualquiera /en tu servicio le

admites, /y así al de baxo linaje /como al de alto y sublime" (v 69-72).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Wie oben schon erwähnt wurde, bildet ein Wettrennen zu Pferd den örtlichen und

zeitlichen Rahmen der vorliegenden Geschichte. Es scheint ein gesellschaftliches Ereignis

zu sein, an dem Tarfe gemeinsam mit dem König teilnimmt und für die Zuschauer das

Bestes geben: "Y arrancando muy veloces, /porque sus damas los miren, /acabando la

carrera, /el Rey dixo a Doralice" (v 53-56). Hornklänge sind das Signal, das Rennen zu

beginnen: "Y en esto oyeron tocar /a rebato los clarines, /y más ligeros que el viento /se

parten sin despedirse" (v 125-128).

Außer dem Pferdewettrennen wird noch ein weiteres Ereignis erwähnt, das in der

beschriebenen Gesellschaft üblich zu sein scheint. Der König erwähnt in seinen Worten an

Doralice abendliche Treffen und Tänze, an denen, folgen wir der Darstellung des Autors,

die Mehrheit aller Protagonisten teilnehmen: "Y en los saraos y zambras /de ordinario te

persiguen /los Audallas y Aliatares, /Azarques y Almoradíes, /Zegríes y Bencerrajes,

/Sarrazinos y Adalifes" (v 73-79; ad Zegríes, Bencerrajes, Adalifes cf. Romanzen 2., 5., 8.,

sowie den Abschnitt über Arabismen).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) b) Der Maure und der König sind von schöner Gestalt: "los gallardos cuerpos cinen" (v

10).

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Wien, am 02.06.11, Seite 132 von 259

d) Den Worten des Königs zufolge, würden die Göttinnen Doralice um ihre Schönheit

beneiden und viele Männer werben um sie: "Aunque las Diosas sagradas /tu hermosura te

envidien", "uno solo escojas /de los muchos que te sirven" (v 57-58, 67-68). Diese

Darstellungen erwecken den Eindruck, die Maurin sei von übernatürlicher Schönheit.

g) Auch die Maurin Bindarraja wird explizit schön genannt und, desweiteren - in den

Worten Tarfes - metaphorisch als 'himmlisch', 'bezaubernd', 'schön', 'strahlend' beschrieben:

"Y la hermosa Bindarraja", "el Tarfe a Celia le dize: /Celia y cielo te llamaba, /mas ya

encantadora y Circe... en los soles de tu cara /tu crueldad haze eclipse" (v 89, 98-104). Die

Gestalt der circe, mit der die Maurin hier implizit verglichen wird, war eine, für ihre

Schönheit legendäre Zauberin: "Famosa hechicera", "era célebre por su hermosura" (Pérez-

Rioja, 1997, s.v. Circe). Auch Doralice ist also von außergwöhnlicher Schönheit.

Kleidung / Ausstattung:

a) b) Tarfe und der König treten, wie schon erwähnt wurde, das Wettrennen zugleich, auf

zwei weißen Stuten, an: "En dos yeguas muy ligeras /de blanco color de Cisne, /se pasean

en Granada", "Y en esto oyeron tocar /a rebato los clarines, /y más liegeros que el viento

/se partes sin despedirse" (v 1-2, 125-128). Die beiden Reiter tragen Schärpen von grüner

und blauer Farbe; Festtagskleidungsstücke in maurischem Stil, von dunkelvioletter und

tiefroter Farbe, die mit Silber und Goldfäden, Smaragden, Rubinen bestickt und

geschmückt sind; desweiteren gelbe Tücher, sowie schwarzen und gelben Federschmuck,

um ihren Liebeskummer zu signalisieren: "con bandas verdes y azules... /marlotas y

capellares /moradas y carmesíes, /bordadas de plata y oro /y esmeraldas y rubíes; /los

almayzares leonados, /color congoxa y triste, /plumas negras y amarillas, /porque sus penas

publiquen" (v 1-20, cf. Leidenschaften).

e) In den Versen 43-52 wird - in eingeschränkter Weise - auf die Ausstattung der Maurin

Adalifa näher eingegangen. Als Symbole ihres Befindens trägt sie einen grünen Zweig, ein

Bildnis funkelnder Augen, sowie einen Sinnspruch in arabischer Schrift: "Adalifa, que de

Celia /zelos al Moro le pide; /sólo lleva por empresa /un verde ramo apazible /y un retrato,

cuyos ojos /vivas centenellas despiden, /y en todo el ramo esta letra, /que en Arábigo

prosigue: /Aunque tus rayos me abrasen... /no me marchiten" (v 43-52, cf. Leidenschaften).

Körperliche Eigenschaften:

a) b) Zweimal wird auf die Geschwindigkeit hingewiesen, mit der Tarfe und der König ins

Rennen gehen: "Y arrancando muy veloces, /porque sus damas los miren, /acabando la

carrera, /el Rey dixo a Doralice..." (v 53-56). Diese Darstellung zeigt zwei geschickte

Reiter.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Tarfe droht der Frau, die er liebt, sie aus ihrer Heimat fortzuführen: "por Alá que he de

sacarte /de la patria donde vives" (v 109-110); er allein würde dies bestimmen und die Welt

genügte nicht, um ihm entgegen zu wirken: "y esto no será en tu mano /de que yo me

determine, /pues sabes que el mundo es poco /para poder resistirme" (v 113-114). Seinen

eigenen Worten zufolge, hätte Tarfe tapfere Kämpfer verjagt und hätte Wege und, in

Granada, Alhambren und Plätze von denen, die ein rotes Kreuz und Lilienblumen (=

bourbonisches Wappen) tragen, freigemacht, obwohl sein Säbel nicht pflegte, in so

niedrigem / schändlichem Blut gefärbt zu werden: "he disipado a Francia /de valientes

Paladines, /y tengo en toda Vandalia /tenidos los Arracifes, /de los de la Cruz de grana /y

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Wien, am 02.06.11, Seite 133 von 259

los de flores de lises, /y de tener en Granada /Alhambras y zacatines, /aunque no suele mi

alfanje /en tan vil sangre tenirse" (v 115-124). Tarfe droht also einer Frau, sie zu entführen.

Er stellt sich selbst in einer Weise dar, als könne er alles überwinden. Er gewann, seinen

eigenen Worten zufolge, gegen große Krieger und tötete Feinde mit seinem Säbel. Diese

Selbsdarstellungen des Mauren zeigen ihn einerseits als siegreichen und daher

gefährlichen, sowie als brutalen Krieger. Andererseits spiegelt sich in den Aussagen des

Protagonisten eine große Selbsteinschätzung, eine gewisse Arroganz also, wider.

d) Der König wirft Doralice vor, ihn zu täuschen und hinzuhalten: "si no quiés emendarte,

/me desganes y avises /que damas hay en la Corte /que desean de servirme" (v 85-88). Die

Maurin verhalte sich also, ihm gegenüber, falsch.

e) Tarfe trägt kein Zeichen (seiner Liebe), um nicht Adalifa, in Aufregung zu versetzen; sie

wird, wie es explizit dargestellt wird, von Eifersucht geplagt: "No lleva el Tarfe divisas,

/porque no se escandalize /Adalifa, que de Celia /zelos al Moro le pide" (v 41-44).

f) Die Angehörigen aller erwähnten Sippen werben um Doralice: "Y en los saraos y

zambras /de ordinario te persiguen /los Audallas y Aliatares, /Azarques y Almoradíes,

/Zegríes y Bencerrajes, /Sarrazinos y Adalifes" (v 73-78, cf. Leidenschaften). Nur in der

Bezeichnung Sarrazinos spiegelt sich ein negativ konnotiertes Benehmen der Genannten

als 'streitsuchende Personen' (cf. Romanze Nr. 12).

g) Den Worten des Königs zufolge, bringt die schöne Maurin Bindarraja ihm unzählige

Klagen der Eifersucht entgegen: "Y la hermosa Bindarraja /desde Antequera me escribe

/con cien mil zelosas quexas, /diziendo:¿Cómo es posible /que mis letras y mis cartas

/dentro en tu alma no imprimes, /pues que tú impreso en la mía /aunque estás ausentes

vives?" (v 89-96, cf. Leidenschaften). Auch diese Protagonistin handelt aus Emotionen (cf.

Leidenschaften).

Religion / Ideale:

a) In Vers 109 bezieht sich Tarfe in seinen Worten an Celia auf Allah: "y antes que la santa

fiesta /del Bautista solenize, /por Alá que he de sacarte /de la patria donde vives" (v 107-

110). Er ist also ein Anhänger des islamischen Glaubens. Der Selbstdarstellung Tarfes

zufolge, hätte er gegen tapfere Krieger des französischen Hofes gekämpft und hielte, wie es

wörtlich heißt, in ganz Wandalien die Wege gefärbt von denen des roten Kreuzes und

denen der Schwertlilien und er hielte in Granada Alhambren und Plätze, obwohl sein Säbel

nicht gewöhnt sei, sich in so schändlichem Blut zu färben: "he disipado a Francia /de

valientes Paladines, /y tengo en toda Vandalia /tenidos los Arracifes, /de los de la Cruz de

grana /y los de flores de lises, /y de tener en Granada /Alhambras y zacatines, /aunque no

suele mi alfanje /en tan vil sangre tenirse" (v 115-124). Nicht ganz eindeutig ist die

Erwähnung von Vandalia, die sich auf einen - vom Erzähler -, den Wandalen zugeordneten

Landstrich Spaniens beziehen könnte. Am Anfang des 5. nachchristlichen Jahrhunderts

fielen Wandalen - gemeinsam mit Sweben und Alanen - in Spanien ein und verschiedene

Verbände dieser germanischen Stämme nahmen für einige Zeit bestimmte Gegenden, unter

anderem Gegenden in Andalusien, in Besitz (cf. dtv Lexikon, vol. 19., s.v. Wandalen). Das

in Vers 119 erwähnte Rote Kreuz weist die Gegner Tarfes als Vertreter des Calatrava-

Ordens aus. Die Handlung Tarfes "erzählt" uns also, wie ein Verfechter des Islam Christen

bekämpfte und tötete. Zusätzlich liefert uns der Erzähler eine im Munde des islamischen

Gläubigens formulierte Abwertung der Christen, denen ein schändlicher Charakter

zugeschrieben wird.

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Wien, am 02.06.11, Seite 134 von 259

NB In den Versen 108-110 erwähnt Tarfe, der zu Celia spricht, das Fest des Täufers und

bezieht sich danach, wie wir schon gesehen haben auf Allah: "y antes que la santa fiesta

/del Bautista solenize, /por Alá que he de sacarte /de la patria donde vives" (v 108-110).

Bevor sich Tarfe also als Anhänger Allahs zu erkennen gibt, erwähnt er - wie aus

christlicher Konzeption heraus sprechend - ein Ereignis der christlichen Weltordnung.

Leidenschaften:

a) Wie wir aufgrund der Verse 3-20 schon gesehen haben, tritt Tarfe - ebenso wie der

König - auf mit dem Ziel, seiner von ihm angebeteten Frau zu gefallen bzw. seine Gefühle

zu signalisieren: "se pasean... /Tarfe y el Rey de Belchite; /iguales en las colores /porque

iguales damas sirven, /que el Tarfe sirve a su Celia y el rey a Doralice /con bandas verdes y

azules /cubiertas de naranjado /que el verde no se divise; /marlotas y capellares /moradas y

carmesíes, /bordadas de plata y oro /y esmeraldas y rubíes; /los almayzares leonados, /color

congoxa y triste, /plumas negras y amarillas, /porque sus penas publiquen" (v 3-20). Tarfe -

ebenso wie der König - trägt unter anderem in den Farben Grün, Blau, Gelb und Schwarz,

die seine Ausstattung widerspiegelt, seine Gefühle der Hoffnung, der Eifersucht und der

Seelenqual (color congoxa) zur Schau. Der Erzähler bezeichnet in einem Wortspiel im

Munde Tarfes die Maurin Celia als cielo 'Himmel': "el Tarfe a Celia le dize: /Celia y cielo

te llamaba, /mas ya encantadora y Circe, /porque tu sereno cielo /de escuras nubes cubriste,

/y en los soles de tu cara /tu crueldad haze eclipse" (v 98-104). Für den Mauren scheint

seine Angebetete also das "Höchste der Gefühle" zu sein. Insgesamt wird die Beschreibung

der Gefühle des Protagonisten dreimal mit dem semantischen Feld 'Seelenqual' assoziiert

(penas, color congoxa, crueldad). Das zeigt, daß die Liebe Tarfes nicht nur äußerst

intensiv, sondern - im wahrsten Sinne des Wortes - auch leidenschaftlich ist

b) Die - schon in den Versen 3-20 angedeutete tiefe Liebe des Königs zu einer Frau, wird

in einer weiteren Reihe von Versen explizit gemacht. Der König, so schildert der Erzähler,

trägt auf seinem Schild die Zeichnung einer Frau, die sehr schön ist und eines demütigen

Königs, dessen Krone zu Füßen liegt; dieser König muß erleiden, wie man auf seine Krone

tritt; das Schild des Königs zeigt desweiteren ein von Flammen umgebenes Herz und ein

Motto mit Worten, die besagen, daß das Feuer aus dem Eis entsteht und das Eis inmitten

des Feuers existiert; die Frauengestalt auf dem Schild hält ein Zepter und eine Krone in

ihrer Hand und über ihrer Stirn, damit man verstehe, wer regierte: "lleva el Rey en la

adarga, /hecha de varios matizes, /una dama muy hermosa /y un gallardo Rey humilde, /con

la corona a sus pies, /sufriendo que se la pisen, /y un coracon abrasado /con una cifra que

dize: /De yelo nace mi llama /y el yelo en mi fuego vive. /La dama lleva en la mano, /y

encima su frente insigne /dorado cetro y corona, /porque se entiende que rige" (v 22-36).

An einer anderen Textstelle wirft der König in einer Frage der von ihm geliebten Frau vor,

Kummer und Qualen zuzulassen und frägt sie, was sie sich noch wünsche, als einen König

zu haben, der (ihr) untergeben ist: "¿por qué con tu gloria y cielo /pena y infierno permites?

/Y dime, ¿qué más deseas, /qué más al cielo le pides /que tener a un Rey sujeto?" (v 59-

63). Diese Worte verstärken den Eindruck, daß die Zeichen, die der König trägt, eine

Darstellung seiner selbst sind. Er ist aus Liebe einer Frau ergeben. Die Erzählung spiegelt -

absolut gesehen - höchste Intensität von Liebe wider, insofern dargestellt wird, wie die

Leidenschaft einen König "unterwirft". Auch seine Liebe ist, wie wir gesehen haben, eine

leidende (cf. v 60). Als solche läßt sie, wie aus den Worten des Königs an Doralice

hervorgeht, den Liebenden ohne Leben(sgeist) und seelenlos zurück: "Quitas la vida y el

alma" (v 83).

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Wien, am 02.06.11, Seite 135 von 259

e) Die in den Versen 43-44 erwähnte Eifersucht der Maurin Adalifa setzt ihrerseits

Liebesgefühle voraus (cf. Moral).

f) Auch die Personengruppen, die der König erwähnt, als er zu Doralice spricht, dürften aus

der Anziehungskraft handeln, die diese Frau für sie hat: "Y en los saraos y zambras /de

ordinario te persiguen /los Audallas y Aliatares, /Azarques y Almoradíes, /Zegríes y

Bencerrajes, /Sarrazinos y Adalifes" (v 73-78).

g) Wie aus den Worten des Königs an Doralice hervorgeht, ist Eifersucht auch der

Beweggrund des Handelns der schönen Bindarraja: "Y la hermosa Bindarraja /desde

Antequera me escribe /con cien mil zelosas quexas" (v 89-91). Auch ihr Verhalten und ihr

Zustand setzen tiefe Gefühle der Liebe für den König voraus.

Attribute:

a) Der Protagonist trägt, wie schon gezeigt wurde, einen Sinnspruch, der Aufschluß auf die

Sprache Tarfes gibt: "y en todo el ramo (lleva) esta letra, /que en Arábigo prosigue" (v 49-

50). Diese ist also das Arabische. Wir haben schon gesehen, daß Tarfe, seinen eigenen

Worten zufolge, gegen seine Feinde mit einem Säbel vorgeht: "no suele mi alfanje /en tan

vil sangre tenirse" (v 123-124, cf. Religion).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) b) Tarfe und der König werden in ihrer Personenbeschreibung gleich(dar)gestellt. Sie

treten, wie schon gezeigt wurde, gemeinsam, aus demselben Grund handelnd, mit gleicher

bzw. vergleichbarer Ausstattung: "se pasean... Tarfe y el Rey de Belchite /iguales en las

colores, /porque iguales damas sirven", "con bandas verdes y azules /los gallardos cuerpos

cinen... /En las letras y divisas /algún tanto se distinguen" (v 3-22). Sie tragen mit silber-

und goldverzierten Umhängen, Smaragden und Rubinen eine schmückende, äußerst

wertvolle Ausstattung ("marlotas y capellares /moradas y carmesíes, /bordadas de plata y

oro /y esmeraldas y rubíes", v 14-15). Tarfe scheint also, dem Königshaus eng verbunden

zu sein und nimmt damit einen sehr hohen gesellschaftlichen Status ein, der sich, wie

gezeigt wurde, auch in seinem äußeren Erscheinungsbild widerspiegelt.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Tarfe spricht in den Versen 115-124, wie oben schon gezeigt wurde, von Granada und

erwähnt außerdem den bedeutendsten Palast der maurischen, und insbesondere der

nasridischen Könige in Mehrzahl (Alhambras).

g) Die Maurin Bindarraje wird, den Worten des Königs zufolge, ebenfalls einer Stadt der

südlichen Iberischen Halbinsel zugeordnet: "Y la hermosa Bindarraja /desde Antequera me

escribe" (v 90).

24.14. Romanze Aquel firme y fuerte muro

Die 62-versige Romanze handelt von einem kranken Mauren, der - als wichtigster

Protagonist der Erzählung - seiner Angebeteten einen Brief schreibt. Die einführende

Beschreibung des Protagonisten ist auffällig lang (26 Verse) und insgesamt länger, als die

Erzählung der gesamten, großteils verbalen Handlung des Mauren (cf. v 47-62). Außer

dem Mauren werden als Nebenfiguren noch genannt Almancor, der König von Granada (v

24) und zwei weibliche Gestalten, darunter die Geliebte des Mauren (v 30 und 46). Die

Beschreibung des Protagonisten ist teilweise hyberbelhaft. Einerseits wird der Maure

explizit als tapferer Krieger bzw. als ein zu Fürchtender dargestellt, andererseits zeigt er,

wie es, wie es wörtlich heißt, tödliche Angst vor dem Verlust der Geliebten: "Y en esto

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Wien, am 02.06.11, Seite 136 von 259

diziendo, el Moro /pide con mortales ansias /que le den tinta y papel /para escribirle una

carta" (v 59-62).

Namen / Bezeichnung:

a) Der Protagonist bleibt während der gesamten Erzählung namenlos und wird einführend

als "Aquel firme y fuerte muro /en defensa de su patria /y bravo y león", wie auch in den

folgenden Versen metaphorisch in seinen Eigenschaften genannt (v 1-3 und ff., cf. Moral).

Periphrastische Formulierungen wie beispielsweise "el que dió tantos asaltos /y escaló

tantas murallas, /y al que teme todo el mundo", "el más quisto en la Corte" (v 5-7, 23)

erinnern an analoge, umschreibende Bezeichnungen der legendären Figur des Cid,

beispielsweise als el que en buena hora nació. Dem Protagonisten der Romanze werden

aufgrund der Beschreibungen "el más que todos querido /y servido de las damas", el fuerte

Sarracino und el Moro (v 15-16, 25, 45) ganz besondere Eigenschaften zugewiesen,

zusätzlich wird der Maure geographisch und ethnisch „identifiziert“. Wie schon erwähnt

wurde, ist die mögliche Bedeutung von Sarracino 'von Arabien stammend', aber diejenige

'einer Person, die sich gerne in Streitereien verstrickt'. Der Genannte ist aufgrund seiner

Handlung jedoch nicht als streitsüchtige Person zu erkennen.

b) Erwähnt wird ein einziges Mal der Namen und Titel eines Königs, der nicht weiter

handelnd auftritt: Almancor, Rey de Granada (v 24). In der Geschichte Spaniens wurde ein

maurischer Anführer mit dem Namen Almanzor berühmt, der Santiago de Compostela

eroberte, später jedoch von den Königen von León und Navarra 1002 geschlagen wurde.

c) Die als erste genannte Frau wird mit einem Ethnonym genannt, dem eine

physiognomische Beschreibung vorangeht und der Name der Frau folgt: "la flor de belleza

y gala, /que es una graciosa Mora /que Celia o Celio se llama" (v 28-30, cf. Aussehen). Der

Autor der Dichtung gibt uns, wie aus dem letzten Vers hervorgeht, nacheinander zwei

Varianten desselben Namens an. Wir haben schon erwähnt, daß Celia, im Vorwort des

Romancero General unter die nombres pastoriles gereiht wird.

d) Auch die zweite weibliche Figur wird namentlich genannt (su hermosa Galiana, v 46).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) In der Beschreibung des Mauren werden verschiedene gesellschaftliche Ereignisse, wie

nächtliche Zusammenkünfte, Feste mit Musik und Tanz sowie Wurfrohrspiele erwähnt, an

denen der Protagonist - wie auch die anderen erwähnten Figuren - teilzunehmen scheinen:

"el más que todos querido /y servido de las damas; /y a quien le dan sus favores /en los

saraos y zambras" (v 15-18).

Geographische Herkunft:

a) Cf. Namen.

Aussehen / Alter:

c) In den Versen 28-29 wird in der teilweise metaphorischen Beschreibung der Maurin als

'Blume der Schönheit und des Glanzes', 'anmutige Maurin' insgesamt viermal die

Vorstellung von physiognomischer Schönheit erweckt. Die Maurin scheint von

allerhöchster Schönheit zu sein.

d) Auch die zweite Maurin hat ein schönes Antlitz (su hermosa Galiana, v 46).

Kleidung / Ausstattung: ——

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Wien, am 02.06.11, Seite 137 von 259

Körperliche Eigenschaften:

a) Insgesamt fünfmal wird in der Beschreibung des Mauren Kraft erwähnt: "Aquel firme y

fuerte muro", "al que teme todo el mundo /por su fuerte braço y lança" (v 7-8), el fuerte

Sarracino (v 25).

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Die Verse 1-12 beschreiben den Protagonisten als eine starke Mauer in der Verteidigung

seiner Heimat, als einen tapferen und wilden Löwen; als denjenigen, der viele Male

attackierte und viele Mauern erkletterte, als denjenigen, den jederman fürchtet und der die

Moscheen reich und geschmückt hält mit den siegreichen Trophäen seiner Heldentaten:

"Aquel firme y fuerte muro /en defensa de su patria /y bravo y fiero león... /el que dió

tantos asaltos /y escaló tantas murallas, /y al que teme todo el mundo (...) /y el que las

mezquitas pobres /tiene ricas y adornadas /de vitoriosos trofeos, /memoria de sus hazanas".

Diese Darstellungen betonen vordergründig die große Kampftugend des Mauren, die in den

12 Versen insgesamt zehn Mal angesprochen wird: 'er ist stark, er verteidigt, er kämpft ( 2

x) und ist unbarmherzig, er greift an, überwindet Mauern, er kämpft in einer Weise, daß

alle ihn fürchten, er ist siegreich, bringt Trophäen und kämpft wie ein Held'. Mit der

Kampftugend des Protagonisten unmittelbar verbunden sind sein mutiger und grausamer

Charakter. Dieser wird in den Beschreibungen bravo y fiero león, in der Beschreibung

eines Mannes, der von allen gefürchtet wird und der sein Pferde mit Köpfen schmückt,

dargestellt: "el que enjaeza el caballo /de las cabecas de fama" (v 13-14). Ein weiterer

Charakterzug des Mauren ist seine scheinbar große Treue zur Heimat, für deren

Verteidigung er kämpft.

Religion / Ideale:

a) Der Maure verteidigt seine Heimat, wie es der Text wiedergibt, gegen die christliche

Nation: "Aquel firme y fuerte muro /en defensa de su patria /y bravo y fiero león /contra la

nación Christiana" (v 1-4). Er ist also der Erzfeind eines bestimmten christlichen Reichs,

gegen deren Gläubigen er mit besonderem Haß vorzugehen scheint. Er schmückt, wie oben

schon erwähnt wurde, islamische Glaubenstätten mit den im Kampf erworbenen

Kopftrophäen berühmter Christen aus: "el que enjaeza el caballo /de las cabecas de fama"

(v 13-14). Diese Darstellungen zeichnen das Bild des Mohammedaners als blutrünstigen

Feind der Christen.

Leidenschaften:

a) Aus Sehnsucht nach der abwesenden Geliebten ist der Maure erkrankt, in seinem Bett

liegend, fragt er seufzend nach der geliebten Frau: "estando malo en la cama", "Y es porque

el Moro está ausente /de su hermosa Galiana, /y con suspiros le dize: /Relicario de mi alma,

¿dónde estás que no te veo?, /dulce bien, dulce esperanca /del coracón que te adora" (v 26,

45-51). Diese Darstellungen zeigen einen Mauren, der aufgrund seiner tiefen Liebe

unendlich leidet und seinen Tod voraussagt für den Fall, daß er seine Geliebte nicht bald

sähe: "Muy presto será mi muerte /si tú en visitarme tardas" (v 53-54). Während der Maure

die Härte der Schlachten und Kriegen überwindet, scheint er seine Liebesqualen nicht

ertragen zu können. Es ist die Geliebte, die er Grausame nennt, also als solche erlebt und

die ihn, seinen Worten zufolge, mit ihrem Blick wiederauferstehen oder töten lassen kann:

"no hagas hecho de fiera, /pues tienes de Angel la cara, /y puedes tú con tu vista /resucitar a

quien matas" (v 55-58). Er bittet in tödlicher Angst um Papier, um ihr einen Brief zu

schreiben: "pide con mortales ansias /que le den tinta y papel /para escribirle una carta" (v

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Wien, am 02.06.11, Seite 138 von 259

60). Diese Darstellung eines aufgrund seiner Herzensgefühle leidenden und

dahinsiechenden Mannes steht im krassen Widerspruch zur anfänglichen Beschreibung

eines überaus gefürchteten und siegreichen Kriegers.

Attribute:

a) In der Beschreibung der Ausstattung des Protagonisten werden nur zwei Waffen

erwähnt, eine Lanze und ein Schild (su fuerte braco y lanca, su adarga; v 8, 22).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Mehrere Umstände weisen darauf hin, daß der Maure einen hohen sozialen Status

einnimmt. Dazu gehören die (implizite) Beschreibung eines zu Pferd in die Schlacht

reitenden Kriegers (el que enjaeza el caballo /de las cabezas de fama, v 13-14), seine

Teilnahme an den Wurfreitspielen, die, wie wir erwähnt haben, grundsätzlich den

Angehörigen der hohen Gesellschaftsschicht vorbehalten waren, sowie die Tatsache, daß

man ihm während dieser Spiele kostbare Geschenke macht: "todas (las damas) le presentan

/para los juegos de canas /ricas mangas y almaizares (v 25-22). Schließlich wird der

Protagonist auch in der Beschreibung der Verse 23-24 als Angehöriger des königlichen

Hofes ausgewiesen: "el más bien quisto en la Corte /de Almancor, Rey de Granada".

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) b) Der Maure wird, wie aus dem vorangehenden Verszitat hervorgeht, dem königlichen

Hof von Almanzor in Granada zugeordnet (v 23-24).

24.15. Romanze Con semblante desdenoso

In der 68-versigen Romanze treten eine Maurin und ein Maure als die wichtigsten

Erzählfiguren auf (v 2 und 4). Die Geschichte erzählt, wie sich die Maurin Zaida zum

Anlaß einer Hochzeit in das Haus ihrer Cousine Celindaja begibt. Die Erzählung liefert

eine detaillierte Beschreibung der - äußeren - Erscheinung der Maurin und eine Darstellung

der Liebesgefühle des genannten Mauren, Zelindos. Außer den zwei erwähnten

Protagonisten nehmen noch sechs weitere maurische Figuren an der Handlung teil: ein

Zegrí, der Maure Abenamar, die Maurin Celindaja (v 54), der Maure Aliatar und zwei

gemeinsam auftretende Mauren / dos Moros (v 7, 8, 54, 60, 67).

Namen / Bezeichnung:

a) Die erste der beiden Protagonistinnen wird namentlich und mit einem Ethnonym

genannt: "Con semblante desdenoso /se muestra el rostro de Zaida", la Mora (v 2, 9).

b) Die wichtigste männliche Erzählfigur wird namentlich eingeführt (Zelindos, v 4), dann

folgt in vier weiteren Versen eine längere identifizierende Beschreibung des Genannten:

"un Moro de mucha estima, /Alcalde de Alora y Baca, /sobrino del gran Zegrí /primo

hermano de Abenamar" (v 5-8). Nach der Nennung des Namens werden genannt ein

Ethnonym, dem eine, hohe Wertschätzung ausdrückende Ergänzung folgt, desweiteren ein

Titel und es werden Hinweise auf die toponymische und genealogische Abstammung des

Mauren gegeben.

c) Erwähnt wird einmal kurz der Onkel des Mauren Zelindos, der, wie aus den

vorangehenden Verszitaten hervorgeht, als gran Zegrí bezeichnet wird. Er wird also als

(hoch geschätzter) Angehöriger einer historischen Maurensippe identifiziert (cf. Romanzen

Nr. 2. und 5., s.v. Zegríes).

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Wien, am 02.06.11, Seite 139 von 259

d) Erwähnt wird ebenso einmal kurz Abenamar, der Vetter des Onkels von Zelindos (cf.

supra v 5-8).

e) Auch die als Nebenfigur auftretende Maurin trägt einen Eigennamen (Celindaja, v 54).

f) Der Bräutigam von Zaida wird als el Moro Aliatar (v 60) ethnonymisch und, wie alle

anderen Erzählfiguren, mit einem arabisch klingenden Namen bezeichnet (cf. Romanze Nr.

8.).

g) Die zwei Begleiter von Zaida werden als dos Moros primos suyos y hermanos de

Celindaja sowohl ethnonymisch als auch in einem verwandtschaftlichen Verhältnis

stehend bezeichnet (v 66-67).

NB In Vers 63 bezieht sich der Erzähler auf alle genannten Figuren und nennt sie

ethnonymisch. Celindaja ließ ihre Kousine zu den Festlichkeiten der Mauren einladen: "A

convidarla envió /que viniese, que había zambra, /escaramuca de Moros, /juegos, disfrazes

y dancas" (v 61-64).

Genealogie / Familiensippen:

b) Zelindos ist der Neffe des Zegrí (sobrino del gran Zegrí, cf. Namen).

c) d) Zwischen dem als Zegrí bezeichneten Mauren und Abenamar besteht ein nahes

familiäres Verwandtschaftsverhältnis. Sie sind zueinander Kousin und Bruderonkel

(el...Zegrí, primo hermano de Abenamar, cf. Namen).

a) e) Celindaja und Zaida sind ihrerseits Kousinen: "Era Celindaja prima /de aquesta Mora

locana " (v 57-58).

g) Zaida ist in Begleitung von zwei Kousins, die ihrerseits Brüder von Celindaja sind:

"(Zaida) partió acompanada /de dos Moros primos suyos /y hermanos de Celindja" (v 66-

68).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) e) f) Aufgrund der genealogischen Hinweise (supra) ergibt sich das Bild einer eng

verwandtschaftlich miteinander verbundenen Gesellschaft. Dieser Eindruck wird verstärkt

durch die Skizzierung einer Hochzeit, die im Rahmen einer großen Familienfeierlichkeit

mit Tanz, Musik und Spielen stattfindet und zu der Celindaja Zaida einladen läßt und diese

in Begleitung ihrer beiden Kousins, den Brüdern von Celindaja, aufbricht: "Era Celindaja

prima... /y casábase aquel día /con el Moro Aliatar", "A convidarla envió /que viniese

(Zayda), que había zambra, /escaramuca de Moros, /juegos, disfrazes y dancas", "Parte la

gallarda Mora /a casa de Celindaja", "partió acompanada /de dos Moros primos suyos /y

hermanos de Celindaja" (v 59-60, 53, 61-64, 66-68).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) Zweimal wird die Maurin Zaida als schön beschrieben: "Parte la gallarda Mora",

"aquesta Mora locana" (v 53, 58).

e) Auch Celindaja wird mit "tan hermosa como esquiva" (v 55) als schön beschrieben.

Kleidung / Ausstattung:

a) In einer Reihe von Versen wird sehr detailliert auf die äußere Erscheinung der Maurin

eingegangen. Um ihrem Freier ihre Gefühle (zu einem anderen Mauren) zu signalisieren,

zeigt sich Zayda in Grün; sie trägt ein Hemd, das unzählige Skelette zeigt und neben jedem

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dieser Skelette eine silbernen Schrift mit vier wertvollen Perlen; sie trägt außerdem einen

herabhängenden blaugrünen Schleier und einen mehrfärbigen Umhang, der zwischen

Adlern aus Silber Schwertlilien aus Gold zeigt; die bunten Strumpfbänder ihrer gelben

Strümpfe sind mit Seide verziert, ihre zierlichen Schuhe sind blau: "Zayda...quiere

mostrárselo claro /con hechos, obras, palabras, /y así se viste de verde, /color alegre y

galana, /bien diferente de aquella /que saca el Moro de Baca"; "Sacó la Mora una aljuba /de

muertes toda sembrada, /junta a cada (una) una cifra, /barreteada de plata, /con cuatro

perlas de estima", "Sacó una toca turquesca, /que de la punta colgaba, /una almalafa

cubierta /azul, blanca y colorada, /con Flor de Lises de oro, /entre águilas de plata; /la

vasquina a media pierna, /con una media leonada; /las ligas verdes y rojas, /bordadas con

seda parda; /una capatilla azul /que de seis puntos no pasa..." (v 13-20, 25-29, v 31-42,

bezüglich aljuba und almalafa cf. Arabismen).

b) Bezüglich der äußeren Erscheinung des ersten Protagonisten werden nur Farben

genannt, die den Zustand des Mauren symbolisieren. Der Maure trägt die Farben Gelb,

Blau und Dunkelviolett: "el Moro de Baca (...) salió de amarillo, /que es color desesperada,

/azul, que denota zelos, /morado, que muere el alma" (v 20-24; cf. auch Leidenschaften).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Mit der Absicht ihren Freier um den Verstand und das Leben zu bringen, bringt die

Maurin Zayda ihm ihre Gerinschätzung zum Ausdruck. Daß der Maure deshalb bis ins

Innerste getroffen ist, scheint für die Maurin eine Genugtuung zu sein: "Con semblante

desdenoso /se muestra el rostro de Zaida, /pretendiendo de acabar /de Zelindos vida y

alma", "Causó el desdén de la Mora /en el Moro una tal llaga /tan penetrante, que llega /a lo

último del alma. /Zayda muy contenta desto" (v 1-4, 9-13). In Vers 14 wird dieselbe

Protagonistin als grausam bezeichnet: "de cruel se gloriaba". In Vers 30 sagt sie zu dem

Mann, der sie begehrt, er soll sterben und keine Hoffnung haben: "Muera, no tenga

esperanca" (v 30). Die Maurin wird also in einer Reihe von Assoziationen als hartherzig (in

der Liebe) dargestellt.

b) Cf. Leidenschaften.

e) Cf. Leidenschaften.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

b) Die Geringschätzung der Maurin trifft Zelindos, wie oben schon erwähnt wurde, wie ein

Blitz (wörtlich 'Flamme') und in das Innerste seiner Seele: "Causó el desdén de la Mora /en

el Moro una tal llaga /tan penetrante, /que llega /a lo último del alma" (v 9-12). Die Maurin

wurde aus der Perspektive des Zelindos als grausam bezeichnet, außerdem scheint sie, wie

aus den Versen 1-4 und 30 hervorging (cf. ad Moral), über seinen Tod oder sein Leben zu

entscheiden. Zelindos trägt mit den Farben Gelb, Blau und Dunkelviolett seiner Kleidung

die Zeichen für seine Hoffnungslosigkeit, Eifersucht und Trauer: "(...) se viste (Zayda) de

verde, /color alegre y galana, /bien diferente de aquella /que saca el Moro de Baca /porque

salío de amarillo, /que es color desesperada, /azul, que denota zelos, /morado, que muere el

alma" (v 13-24). Diese Darstellungen zeigen einen zutiefst liebenden Menschen, der aus

unerwiderten Liebesgefühlen in seiner Lebensfreude stark beeinflußt ist und intensiv leidet.

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Wien, am 02.06.11, Seite 141 von 259

e) Auch die Maurin Celindaja scheint Herzensqualen zu verursachen. Der Patiens ihrer

Abweisung wird aber nicht explizit erwähnt: "(Celindaja...) tan hermosa como esquiva

/cruel, desabrida, ingrata" (v 55-56).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Die Maurin trägt mit den schmückenden Elementen ihrer Austattung, den Edelsteinen,

den Verzierungen aus Silber, dem Seidenmaterial Kostbarkeiten. Die Protagonistin scheint

damit einer höheren Gesellschaftsschicht anzugehören (cf. Kleidung).

b) Zelindos trägt, wie oben gezeigt wurde, einen Titel und wird außerdem als Deszendent

bestimmter scheinbar großer Persönlichkeiten beschrieben (Alcalde de Alora y Baca,

/sobrino del gran Zegrí /primo hermano de Abenamar, cf. Name und Genealogie). Auch

ihm wird also implizit ein hoher Gesellschaftsstatus zugewiesen.

e) Über die Maurin Celindaja erfahren wir, daß sie ein Haus bewohnt: "Parte la gallarda

Mora (Zayda) /a casa de Celindaja" (v 53).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Der Schuh der Maurin ist ein unvergleichliches Meisterwerk, das in (einer Werkstatt

von) Granada angefertigt wurde: „una capatilla azul /que de seis puntos no pasa, /hecha con

tanto primor /cual jamás se hizo en Granada“ (v 41-44). Die Trägerin des Schuhs wird also

mit dem Raum Granada in Verbindung gebracht.

b) Auch Zelindos wird als Burgvogt von Alora und Baca geographisch dem Raum Granada

zugeordent (cf. Romanze Nr. 3 und Die Lage auf der Iberischen Halbinsel).

24.16. Romanze Azarque, Moro valiente

Die vorliegende Kreation zählt 52 Verse. Die Figur des Mauren wird in diesem kurzen

Text in sehr charakteristischer Weise dargestellt und zwar in allen der 52 Verszeilen. Es

tritt ein einziger Protagonist auf, der Maure Aliatar (cf. v 14). Er erwidert in einem langen

Monolog die an ihn gerichteten Beleidigungen eines zweiten Mauren (Azarque, cf. v 4), der

jedoch nicht gegenwärtig ist. Außer diesen zwei Hauptfiguren, werden noch genannt die

Königin sowie andere Gestalten scheinbar 'besonderer Qualitäten' und eine Gruppe

weiblicher Figuren (la Reina, los grandes, las damas, v 6 und 22). Diese Figuren werden

jedoch nicht weiter, also auch nicht in ihrer Ethnizität näher bestimmt. Aliatar spricht zu

dm und über den Mauren Azarque, der in teilweiser widersprüchlicher Weise dargestellt

wird.

Namen / Bezeichnung:

a) Der wesentliche Protagonist der Erzählung wird von einem zweiten Mauren

angesprochen als pobre Aliatar und gleich darauf als Alcayde (cf. v 13-14). Es wird

folglich ein Eigennamen arabischer oder arabisierter Etymologie zur Bezeichnung des

Mauren verwendet und daraufhin, ein Titel, der eine hohe gesellschaftliche Funktion

desselben zum Ausdruck bringt (ad Aliatar und Alcaide cf. Romanze Nr. 8. und

Arabismen; cf. auch Soziale Stellung). Die Voranstellung des Adjektivs pobre vor den

Eigennamen bringt eine subjektive Bewertung des Senders der Aussage zum Ausdruck, der

den Genannten als 'Armseeligen, Bedauernswerten' charakterlich 'klein' darstellt (cf.

Moral).

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Wien, am 02.06.11, Seite 142 von 259

b) Der nicht anwesende zweite Maure wird vom ersten angesprochen mit den Worten:

"Azarque, Moro valiente", "Mira, Azarque, lo que dizes (v 1, 9). Der Genannte wird also

nacheinander mit einem arabischen oder arabisierten Namen und einem Ethnonym, dem

eine charakterliche "Erfassung" folgt, angesprochen. Die attributive Beschreibung des

Genannten als valiente 'tapfer' drückt im wesentlichen eine - moralische - Wertschätzung

desselben aus. Es fällt auf, daß diese per se positive Bewertung im Munde desjenigen

Mauren formuliert wird, der durch den Angesprochenen selbst eine Beleidigung erfährt und

daraufhin diesen insgesamt sehr negativ darstellt. In den Bezeichnungen des Mauren finden

also zwei sehr konträre Beschreibungen des Genannten als charakterlich 'tapfer / groß' und

charakterlich 'klein / schlecht' ihren Ausdruck. Dieser Widerspruch wiederholt sich noch

einmal besonders deutlich in der Anrede Azarques als 'Berühmten', die Aliatar verwendet,

um Azarque daraufhin als 'ein Nichts' zu bezeichnen: "Búscame, Azarque famoso, /que

cuando a dicha me hallares, /podrás matizar mi lanca /en el matiz de tu sangre; /mas el

viento se las lleva, /que como el viento se gaste, /aire, palabras y plumas, /todo es aire y tú

eres aire" (v 45-52).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

Die Worte, die Aliatar an Azarque richtet, enthüllen eine Reihe von Charakteristiken dieser

beiden Figuren. Im ersten Vers spricht Aliatar Azarque, wie schon erwähnt wurde, als

tapferen Mauren an; in der Abwesenheit Aliatars hätte Azarque Lügen über ihn verbreitet

und hätte damit gehandelt, wie eine Frau: "Azarque, Moro valiente, /en ausencia me

infamaste, /diziendo palabras que eran /más de mujer, que de Azarque" (v 1-4). Den

Vorwürfen Aliatars zufolge, behauptete Azarque, daß Aliatar ihn bei der Königin und

anderen angeschwärzt und Aliatar als feige bezeichnet hätte, daß Azarque (darin) aber, wie

es zweimal wiederholt wird, lügen würde und selbst ein Feigling sei: "Dizes que te puse

mal /con la Reina y con los grandes /y que soy cobarde. Mientes, /tú mientes y eres cobarde

! Die Vorwürfe des angstvollen und lügnerischen Verhaltens Azarques kehren auch in den

nächsten Versen mehrmals wieder: "Mira, Azarque, lo que dizes /otra vez antes que hables,

/que si tu lanca es temida /ya de mi lanca temblaste", "Considera que no puedes /ausente

hablar disparates, "Conozco bien tus espaldas, /que tengo senas bastantes /por do tus

fingidos hechos /no los sigas ni te jates. /Dexa el nombre de valiente, /que no es razón que

lo infames, /pues se da nombre de hechos /a quien hechos hazer sabe" (v 9-12, 33-34, 37-

44). Den Worten Aliatars zufolge, hätte Arzarque ihn, wie schon erwähnt wurde, als pobre

Aliatar (v 14) angesprochen und würde (dafür) von seiner Hand sterben; diese Drohung

kommt in den Versen 13-16 zweimal zum Ausdruck: „Dixiste «pobre Aliatar, /en pié

morirás, Alcayde» /yo te mataré en presencia, /porque ausente no me mates“ (v 13-16).

Durch die Voranstellung des Adjektivs pobre vor den Eigennamen wird eine charakterliche

Bewertung ausgedrückt, die den Genannten als 'armseelig, bedauernswert', also

charakterlich 'klein' darstellt (cf. Moral). Aliatar wirft Azarque desweitern in einer Reihe

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Wien, am 02.06.11, Seite 143 von 259

von Versen vor, 'Taten mit Worten zu machen', also keine wirklichen Taten zu vollbringen

und keine Ehre (erreicht) zu haben: "Hazes hechos con palabras, /y obrando hechos no

hazes, /que has alcancado la fama /sin que la fama te alcance", "mira que valen muy poco

/palabras que poco valen, /pues las palabras y plumas /dizen que las lleva el aire" (v 17-20

und 29-32). Seinen eigenen Worten zufolge, wäre Aliatar tapferer und wilder, als ihn

Azarque darstellte, und er würde ihn schnell besiegen: "soy más bravo y furioso /que tú en

mi ausencia mostraste. /"Haréte agravio en los ojos /antes que en el pie me agravies" (v 25-

28). In den Versen 45-52 sagt Aliatar über Azarque, daß dieser ein Nichts sei: "Búscame,

Azarque famoso, /que cuando a dicha me hallares, /podrás matizar mi lanca /en el matiz de

tu sangre; /mas el viento se las lleva, /que como el viento se gaste, /aire, palabras y plumas,

/todo es aire y tú eres aire" (v 45-52). Die Worte Aliatars enthüllen nicht nur den Charakter

Azarques, sondern auch derjenigen Aliatars:

a) Die Darstellung des Mauren Aliatars ist, seiner Selbstdarstellung zufolge, diejenige einer

aus Kränkung heraus sprechenden Person. Sie zeigt sich also als stolzer, - durch den

ausgedrückten Wunsch, den Verleumder sofort zu töten -, ungestümer, rachsüchtiger und

gewissermaßen hartherziger Charakter. Der Maure nennt oder stellt sich selbst, wie gezeigt

wurde, außerdem als mutig, wild, siegreich dar, er prahlt also und beleidigt (seinerseits)

seinen Verleumder, benimmt sich also schlecht.

b) Azarque wird seinerseits in den Worten Aliatars als - wie oben erläutert wurde

ironischerweise - tapfer und berühmt, also 'von besonderen Qualitäten', dann als

Verleumder bzw. sehr großer Lügner (cf. Moral), dann mehrmals als besonderer Feigling -

der sich wie eine Frau benimmt -, desweiteren als ein Prahler dargestellt und bezeichnet,

der über Taten nur spricht, sie aber nicht begeht und außerdem / damit zusammenhängend

und in der Haltung gegenüber Aliatar würdelos und beleidigend, also moralisch und sittlich

schlecht auftritt.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften: ——

Attribute:

a) und b) Aus den Worten, die Aliatar an Azarque richtet, geht hervor, daß beide Mauren

eine Lanze tragen: "Mira, Azarque, lo que dizes /otra vez antes que hables, /que si tu lanca

es temida /ya de mi lanca temblaste" (v 9-12).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) und b) Aliatar wirft Azarque vor, wie schon gezeigt wurde, ihn vor der Königin und

anderen bedeutenden Personen schlecht gemacht zu haben: "Dizes que te puse mal /con la

Reina y con los grandes" (v 5-6). Beide Mauren scheinen also in königlichen Kreisen bzw.

der höchsten Gesellschaftsschichten zu verkehren. Der Titel Aliatars erhärtet diese

Vermutung. Als alcaide ist er eine durch den König oder eines Adligen mit der Bewachung

oder Verteidigung eines Dorfes, einer Stadt, einer Festung oder eines Schlosses beauftragte

Person (cf. Arabismen).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.): ——

24.17. Romanze El bizarro Almoralife

Die 104-versige Romanze erzählt die Geschichte eines Mauren, der wegen einer Frau von

einem maurischen König verbannt wird: "pues el Rey me ha desterrado, /contigo a Granada

iréme, /a pesar deste Rey Moro, /y los que consigo tiene" (v 21-24). Die wesentlichen

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Wien, am 02.06.11, Seite 144 von 259

Protagonisten der Erzählung sind der Maure Almoralife, eine namentlich genannte Maurin

und der im vorigen Verszitat erwähnte maurische König (cf v 1, 15). Außer diesen drei

genannten Erzählfiguren werden noch eine Wache und eine Gruppe von Begleitern des

Königs erwähnt. Diese Figuren nehmen aber keine primäre Funktionen in der erzählten

Handlung ein ("Y como el Moro es temido, /entrarle la guarda dexa", v 21-24, 39-40; cf.

außerdem Namen). Die einzige explizit als Maurin bezeichnete Protagonistin wird in den

Versen 15 und 52 in Almoralifes Worten und der Darstellung des Erzählers als Felisalba

angesprochen / genannt, in Vers 87 jedoch Fátima bezeichnet (cf. Methodologie und

abschließendes Kapitel).

Namen / Bezeichnung:

a) Der erste Protagonist wird am Beginn der Romanze als "El bizarro Almoralife"

eingeführt, dann als el senor und El Moro wiederaufgenommen (v 1, 6, 11). Zur

Bezeichnung des Mauren werden also - in Kombination mit einer qualitativen Bestimmung

- scheinbar arabisierter Eigenname, dann eine respektvolle und drittens auch eine

ethnonymische Anrede verwendet (cf. Romanze Nr. 2 und Moral).

b) Auch die einzige weibliche Gestalt wird verschiedenfach bezeichnet. Sie wird zuerst als

la dama erwähnt und von Almoralife als senora angesprochen: "¿es posible, senora, /que

alcanze tan dulce suerte?" (v 11, 66-67). Dieselbe Protagonistin wird, wie oben schon

erwähnt wurde, in den Versen 15 und 52 als Felisalba sowie in Vers 81 und 87 als La

Mora und Fátima bezeichnet. Auffällig an diesen Bezeichnungen ist die - vermutlich

irrtümliche - Verwendung zweier Eigennamen für ein und dieselbe Protagonistin, und zwar

umso mehr, als es sich hier um einen christlichen und einen arabischen Eigennamen

handelt. Grundsätzlich scheint auch dieser Erzählfigur ein gewisser Respekt - vor ihrer

äußeren Erscheinung und Status - entgegengebracht zu werden (ad dama und senora cf.

Romanzen Nr. 1. und 2.). Gleichzeitig wird in der Erwähnung des Ethnonyms und des

arabischen Eigennamens in zweifacher Weise auf eine bestimmte Volkszugehörigkeit

hingewiesen.

c) Erwähnt wird der maurische König, der den Worten Almoralifes zufolge, keinen Namen

trägt: "pues el Rey me ha desterrado, /contigo a Granada iréme, /a pesar deste Rey Moro"

(v 21-23).

d) In den Versen 29-30 und 57-60 bringt Almoralife zum Ausdruck, daß er sich nicht vor

Mauren fürchtete bzw. erzählt uns der Autor des Textes, daß die Geliebte von Almoralife

von so strahlendem Antlitz sei, daß sie Mauren besiege und tötete: "No temo espadas ni

lancas, /ni de Moros braco fuerte"; "Almoralife conoce /de su dama el claro rayo, /rayo que

puestas en raya /Moros vence y Moros mata". Zweimal bezieht sich der Erzähler also in

sehr verallgemeinernder Weise auf eine unbestimmte Mehrzahl von Mauren.

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

c) Den Worten Almoralifes zufolge, hat der König Begleiter um sich: "pues el Rey me ha

desterrado, /contigo a Granada iréme, /a pesar deste Rey Moro, /y los que consigo tiene" (v

21-23).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) Almoralife ist von anmutigem Aussehen "el galán Almoralife" (v 100).

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Wien, am 02.06.11, Seite 145 von 259

b) In einer Reihe von Versen wird die Protagonistin in ihrem Aussehen erfaßt. Das Pferd

des Mauren fliegt beinahe, um seinem Reiter den Wunsch zu erfüllen, zu sehen, was (so

schön / außergwöhnlich, etc. ist, daß es) denjenigen, der sieht, die Sicht nimmt: "El caballo

que conoce /del senor la pasión, vuela /deseoso de llevarle /y vista de lo que espera, /vista

que sin vista dexa /al que procura de vella" (v 1-10). Almoralife kennt, so lauten die Verse

57-60, das Strahlen seiner Dame, das (so groß ist, daß es) Mauren besiegt und tötet:

"Almoralife conoce /de su dama el claro rayo, /rayo que puestas en raya /Moros vence y

Moros mata" (v 57-60). In Vers 15 wird die Maurin von ihrem Freier als schöne Felisalba

und metaphorisch als Sonne angerufen: "Bella Felisalba, dize"; "Dize ¿Es posible, senora,

/que alcanze tan dulce suerte /es suerte con que recibo, /y que veo a media noche /el sol

por verme salido?" (v 66-67). Und nocheinmal wird in den Versen 72-74 eine Metapher

verwendet, um die große Anziehung der schönen Maurin darzustellen. Almoralife

vergleicht sie mit Augen, die - nocheinmal - ohne Augen zurückließen, wer die Maurin

betrachtete: "Vente conmigo, mis ojos, /ojos que sin ojos dexan /al que con ojos los mira"

(v 72-74). Das Antlitz der Frau raubt dem Betrachter also die Seele (wörtlich die 'Augen').

Alle diese Beschreibungen evozieren die Vorstellung einer außergewöhnlich schönen Frau.

Kleidung / Ausstattung:

a) Almoralife wird, ohne weitere Details, als Reiter dargestellt: "El bizarro Almoralife,

habiendo dado la vuelta, /saca del seno el retrato /y la rienda afloxa y suelta. /El caballo

que conoce /del senor la pasión, vuela" (v 1-6).

Körperliche Eigenschaften:

d) Seinen eigenen Worten zufolge, fürchtete Almoralife den kräftigen Arm von Mauren

nicht: "No temo espadas ni lancas, /ni de Moros braco fuerte" (v 29-30). Dieser Aussage

zufolge, sind also Mauren ganz allgemein stark.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Obwohl die Beschreibung des Protagonisten im Vergleich zu denjenigen anderer

Romanzen relativ kurz ist, scheinen sich verschiedene Wesenszüge Almoralifes in seinem

Auftreten wiederzuspiegeln. Der Maure handelt grundsätzlich aus Liebe zu einer Frau, die

er, scheinbar, auch entführen würde, wenn das auch ihr Wunsch ist: "pues el Rey me ha

desterrado, /contigo a Granada iréme", "Yo te sacaré segura /si no disgustas de verme" (v

21-22, 25-26). Mit diesen Worten zeigt der Protagonist einerseits Entschlossenheit, Mut,

andererseits ordnet er sich den Wünschen der Frau unter, er würde sie, wie es wörtlich

lautet, 'herausholen, wenn es ihr nicht mißfiele, ihn zu sehen'. Damit zeigt er einen

respektvollen Umgang mit der Geliebten (cf. Leidenschaften). Seinen eigenen Worten

zufolge, fürchtet er weder Schwerter noch Lanzen, noch die Stärke anderer Mauren: "No

temo espadas ni lancas, /ni de Moros braco fuerte" (v 29-30). Diese Beschreibung zeigt den

Protagonisten nocheinmal als mutigen Charakter. In den Versen 39-40 aber wird derselbe

als 'sich fürchtend' beschrieben: "Y como el Moro es temido, /entrarle la guarda dexa" (v

39-40). Dieser Darstellung zeigt also einen widersprüchlichen Charakter zu dem, den der

Maure von sich vorstellte. Almoralife könnte geprahlt haben. In den Versen 45-46 täuscht

der Protagonist mögliche Feinde, um sein Ziel zu erreichen: "Entra fingiéndose mudo, /que

nadie lo conociese" (v 45-46). Eine andere Darstellung zeigt, wie Almoralife aus Liebe /

Sehnsucht zu einer Frau heraus agiert: "La espuela al caballo aprieta /el galán Almoralife"

(v 99-100, cf. Leidenschaften).

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Wien, am 02.06.11, Seite 146 von 259

c) Den Worten Almoralifes ist zu entnehmen, daß der maurische König diesen verbannt:

"pues el Rey me ha desterrado, /contigo a Granada iréme, /a pesar deste Rey Moro, /y los

que consigo tiene", "Viviremos en Granada, /pues el Rey de aquí me envía" (v 21-23, 75-

76).

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

a) Almoralife wird aufgrund einer Reihe von Darstellungen als inständig liebende Person

inszeniert. Dieses Porträt ensteht aufgrund der Beschreibung eines Abbilds der Geliebten,

das der Maure bei sich trägt, die explizite und implizite Darstellung seiner Leidenschaft

bzw. die die Wirkung, die die Maurin auf den Mauren hat (pasión, espera, reposta, pena,

cf. Aussehen): "El bizarro Almoralife, habiendo dado la vuelta, /saca del seno el retrato /y

la rienda afloxa y suelta. /El caballo que conoce /del senor la pasión, vuela /deseoso de

llevarle /y vista de lo que espera, /vista que sin vista dexa /al que procura de vella. /El

Moro, viendo la dama /por quien no reposa y pena" (v 1-12). Die große Intensität der

Liebesgefühle werden erneut in den Versen 13-18 hervorgehoben; Der Maure wird

verglichen mit jemandem, 'der (vor Qual) fast nicht lebt, der die Seele verliert', im Munde

des Mauren wird diese Beschreibung in redundanter Weise wiederholt: "pena que de penas

vive /quien apenas vida tiene", "Bella Felisalba, dize, /por quien vivo y por quien muero,

/muero, porque muero vivo, /vivo, porque vivo muero", "Vente conmigo, mis ojos, /ojos

que sin ojos dexan /al que con ojos los mira" (v 13-14, 15-18, 72-74). Auch in der

Bezeichnung Almoralifes als galán (cf. v 99-100) spiegelt sich das Bild eines Freiers

wieder (cf. die Bedeutungen dieses Adjektivs in Romanze Nr. 2.).

c) Wir kennen den Grund der Verbannung Almoralifes durch den König nicht, jedoch

könnten auch hier Liebesgefühle im Spiel sein (cf. supra v 21-23, 75-76).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

b) Almoralife sieht von seinem Standpunkt aus die Mauerzinnen der Stadt Baeza und die

Häuser, Fenster und die Türe seiner geliebten Frau: "En esto vió las almenas /de la ciudad

de Baeca, /y de su querida dama, /casas, ventanas y puerta" (v 33-36). Die Maurin scheint

also Herrin mehrerer Häuser und damit nicht unbegütert zu sein.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) und b) Almoralife wird, seinen eigenen Worten zufolge, gemeinsam mit seiner Geliebten

nach Granada ziehen und zwar von ihrer Heimatstadt Baeza aus: "pues el Rey me ha

desterrado, /contigo a Granada iréme", "Viviremos en Granada", "En esto vió las almenas

/de la ciudad de Baeca, /y de su querida dama, /casas, ventanas y puerta" (v 21, 75, 33-36).

Unter der Herrschaft der Araber auf der Iberischen Halbinsel war das historische Biesa die

Hauptstadt eines großen, vom Guadalquivir und der Sierra Morena begrenzten Reiches, die

auch während des Niedergangs der maurischen Herrschaft eine führende Rolle einnahm

und erst unter Fernando III, el Santo, definitiv von den Christen erobert wurde (cf. GEE,

s.v. Baeza).

24.18. Romanze Mira, Tarfe, que a Daraja

Die wichtigsten Protagonisten dieser 124-versigen Erzählung sind die beiden Mauren

Almoradí und Tarfe, die sich vor allem wegen einer Maurin im Streit miteinander

befinden. Der Großteil der Erzählung ist Dialogform. Von den insgesamt 124 Versen sind

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Wien, am 02.06.11, Seite 147 von 259

es die Zeilen 1-12 und 21-120. Als Nebenfiguren werden mehrere maurische wie auch

christliche Figuren genannt. Zu ersteren gehört die schon im ersten Vers genannte Daraja,

die jedoch nicht handelnd auftritt, dann Albençaide sowie einige Maurinnen, die auch

damas genannt werden sowie Verwandte, Freunde und Feinde Tarfes / tus deudos y

amigos, los contrarios (cf. v 35, 37, 60; v 55 und 57). Zu den christlichen Erzählfiguren

gehören der Maestre und die caballeros de la Cruz (v 27 und 29). Besonders

aufschlußreich für das Maurenporträt sind die Verse 21-121, in denen der Erzähler

Almoradí eine lange Reihe von Vorwürfen gegenüber Tarfe aussprechen läßt: "El

Almoradí acabó /dexando al galán de Tarfe /entre turbado y furioso, /prometiendo de

vengarse" (v 121-124). Die jeweiligen Darstellungen lassen ganz bestimmte, insbesondere

moralische Charakterzüge beider Hauptfiguren sichtbar werden. Zu den wesentlichen

Inhaltselementen, die aufgrund der erzählten, vor allem verbalen Handlung thematisiert

werden, zählen Streitsucht und Liebe, um die es während der ganzen Geschichte geht. Es

fällt auf, daß der Erzähler in Vers 81 mit "La manana de San Iuan" eine zeitliche Angabe

aus "christlicher Perspektive" liefert. Die Namen der beiden Protagonisten scheinen

unkonsequent verwendet zu sein. Wir haben dieses, in Texten des Romancero General

öfters auftretende Problem im Kapitel über die Methodologie behandelt. Aufgrund der

Textkohärenz bzw. -kohäsion der Geschichte scheinen die beiden Namen Almoradí und

Tarfe in den Versen 121 und 122 in falscher Reihenfolge verwendet zu werden. Wir

beschränken uns in unserer Analyse darauf, auf diesen Umstand hinzuweisen und sehen

von einer Richtigstellung der Namen ab, da uns eine detaillierte Richtigstellung für die

spätere, eigentliche Interpretation der Fremdporträts als nicht wesentlich erscheint.

Namen / Bezeichnung:

a) Für den ersten der beiden wichtigsten Erzählfiguren wird zunächst ein arabischer Name,

dann ein Ethnonym verwendet: "Esto dixo Almoradí"; "entrambos Moros mancebos" (v 13

und 15).

b) Auch für den zweiten der beiden Protagonisten wird ein arabischer Name und eine

ethnonymische Bezeichnung verwendet: "Mira, Tarfe, que a Daraja /no me mires ni

hables" (cf. v 1-2, 10 und 15). Der Name könnte mit der topographischen Bezeichnung

Tarfaia ó Tarfaya in Zusammenhang stehen, die heute noch in verschiedenen arabischen

Ländern Verwendung findet: "Esta palabra, que se encuentra con mucha frecuencia en la

toponimia de los países árabes, designa un lugar donde crece el tamarindo" (EUIEA, s.v.).

c) Die Maurin, die als Erzählfigur nicht weiter handelnd auftritt, trägt ebenfalls einen

arabischen oder arabisierten Namen, Daraja (v 1-2).

d) Erwähnt werden ausschließlich mit einem Ethnonym eine Mehrzahl weiblicher Figuren,

denen sich Tarfe, den Worten Almoradís zufolge, widmet: "cuando con los contrarios, /sin

que ganemos ni ganen, /nos matamos mano a mano /tú con las Moras te mates" (v 57-60).

e) In Vers 81 wird in den Worten Almoradís ein dritter Maure namentlich erwähnt, auch

sein Name scheint arabischer Herkunft zu sein: "los dos dancamos juntos /cuando se casó

Albençaidos" (v 81-90, cf. Arabismen).

Genealogie / Familiensippen:

a) und b) Die Beschreibung der beiden Protagonisten als "Moros mancebos /y de los más

principales" weist den Genannten eine 'bedeutende' Abstammung / Herkunft zu (v 15-16;

cf. Soziale Stellung). Tarfe behauptet, daß man in Granada einen Mauren namens Almoradí

kenne, der von adliger Herkunft sei und daß dieser Maure dem Kampf auf dem

Schlachtfeld ausweiche: "Mira que es fama en Granada, /y aun en el campo se sabe /que

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hay un Moro entre nosotros, /Almoradí de linaje, /que cuando a la escaramuca /los Moros

mancebos salen, /con un enfermo acidente /se finge escusarse" (v 65-72). Einerseits wird in

diesen Versen die besondere Herkunft des Mauren angesprochen, die in etymologischem

Sinn auch als - aufgrund (heldenhafter) Taten - besondere Abstammung verstanden werden

kann. Die dargestellte Handlung des Protagonist zeigt aber einen gegenteiligen Charakter

eines Mannes, der sich angesichts des Kampfes scheinbar davonstiehlt, also konträr zu

'besonders mutig / kampflustig' dargestellt wird (cf. Moral).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) und b) Almoradí bezeichnet Daraja als 'gezeugt mit seinem Blut': "Mira, Tarfe, que a

Daraja /no me mires ni hables, /que es alma de mis despojos /y criada con mi sangre" (v 1-

2). Zwischen Almoradí und seiner Geliebten besteht also eine Verwandtschaft und damit

ein inzestuöses Verhältnis.

NB Den an Tarfe gerichteten Worten Almoradís zufolge, finden in der Gesellschaft, der die

beiden Protagonisten angehören, gesellschaftliche, abendliche Treffen und Hochzeitsfeiern

statt, an denen getanzt wird: "La manana de San Iuan, /cuando a escaramucar sales, /nunca

de su blanca mano /blanca toca te tocaste, /ni en las zambras y saraos /se sabe que te mirase

/como a mí, que me miró /mandándome que dancase, /y los dos dancamos juntos /cuando

se casó Albençaide" (v 81-90). Die Worte Almoradís zeigen außerdem eine Gesellschaft, in

der Frauen ihren Männern / Freiern ihre Gunst offensichtlich entgegenbringen. Sie

verwenden dazu scheinbar bestimmte Objekte und Tücher: "Mira si te favorece, /como a

los demás galanes /los favorecen sus Moras /con empresas y almaizares" (v 77-80, cf.

Ideal).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) und c) Die beiden wichtigsten Erzählfiguren werden altersmäßig beschrieben: "Esto dixo

Almoradí, /y escuchóle atento Tarfe, /entrambos Moros mancebos", "los Moros mancebos

salen" (v 13-15, 70). Es handelt sich also um Männer jugendlichen Alters.

b) Die Geliebte Almoradís tritt in keiner Weise als Handelnde auf, sie wird nur einige Male

kurz erwähnt und in Vers 75 explizit als schön beschrieben ("mi bella Mora").

a) Am Ende der Erzählung wird Tarfe im Munde Almoradís als galán bezeichnet: "El

Almoradí acabó /dexando al galán de Tarfe /entre turbado y furioso" (v 121-123; cf.

Kommentare zu galán in Romanze 13). Diese Beschreibung läßt unter anderem die

Vorstellung einer stattlichen, anmutigen Erscheinung zu.

Kleidung / Ausstattung:

c) Aus den Worten Almoradís ist zu entnehmen, daß Tarfe (vorzugsweise) den maurischen

Festtagsumhang trägt, anstelle von Maschenhemd und Säbel: "cuando con los contrarios,

/sin que ganemos ni ganen, /nos matamos mano a mano /tú con las Moras te mates, /y que

en vez de echarte al hombro /la malla y Turqués alfange, /te echas bordadas marlotas /y vas

a ruar las calles" (v 57-64).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

b) Am Beginn der Romanze wird Tarfe als eine Person skizziert, die sich zu beherrschen

weiß, auf eine scharfe Aufforderung reagiert der Maure zunächst gelassen und mit

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Wien, am 02.06.11, Seite 149 von 259

überlegten, weisen Worten: "Y arqueando entrambos cejas /con airosos ademanes, /sin

cólera le responde, /pidiendo le escuche y calle", "Dexa los intentos locos, /si ya no quieres

que pase /a más que conversación /las arrogancias que hablaste. /Refrena la lengua un

poco, /y piensa que el hablar haze /continuamente gran dano /donde se siente el ultraje:

/porque ha de entender el juez, /primero que sentenciare /su culpa, que no sentencie /la

pena de la otra parte. /Mira que aunque cueste poco /el hablar, suele estimarse /una palabra

en más precio /que el oro que un Reino vale" (v 17-20, 97-112).

Moral und moralische Eigenschaften:

In den Vorwürfen der beiden Mauren gegeneinander spiegeln sich (die) charakterliche(n)

Porträts der beiden Protagonisten Almoradí und Tarfe (cf. v 1-12 und 21-120):

a) Almoradí fordert Tarfe auf, sich nicht in irgendeiner Weise der Maurin Daraja zu

nähern, da sie von seinem Blut gezeugt sei und er sie seit langer Zeit mit edelmütigem

Herzen verehrte: "Mira, Tarfe, que a Daraja /no me mires ni hables, /que es alma de mis

despojos /y criada con mi sangre, y que el bien de mis cuidados /no pueden mayor bien

darme /que el mal que paso por ella... /¿A quién mejor que a mi fe /esta Mora puede darse,

/si ha seis anos que en mi pecho /tiene la más noble parte?" (v 1-12). Almoradí kämpft

verbal also gegen seinen Nebenbuhler und gibt zu, daß die Maurin der Erwerb eines

Raubes (despojos) war. Diese Erzählung läßt die Gestalt Almoradís als einen Krieger

sowohl in übertragenem Sinn (für die Liebe), als auch einen realen, raubenden, also auch

zu fürchtenden Krieger entstehen. Letztere Darstellung steht in semantischem Widerspruch

zu der Erwähnung des edelmütigen Charakters, den sich Almoradí selbst zuschreibt (en mi

pecho... tiene la más noble parte). Den Worten Tarfes zufolge, würde Almoradí lügen, er

wäre als letzter zum Kampf ausgezogen, aber der erste gewesen beim Rückzug: "ni es bien

que suyo se miente /quien salió ayer al alcance, /y fué postrero en salir /y primero en

retirarse" (v 41-44). Tarfe fordert Almoradí desweiteren auf, sich von seinen unwürdigen

(wörtlich 'nach den Frauen trachtenden') Taten zurückzuziehen und nicht für Männer

bestimmte Angelegenheiten in Angriff zu nehmen: "Retrátate, Almoradí, /pero es bien que

te retrates /de tus mujeriles hechos /y en cosa de hombres no trates" (45-48). Desweiteren

besagen die Worte Tarfes, daß es schlecht erscheine, wenn Almoradí sich in Lügen und

Festtagsgewändern befände, während seine Verwandten und Freunde (in der Schlacht)

bluteten und sie in noch unentschiedenem Kampf gegen ihre Feinde vorgingen und

Almoradí sich (in dieser Zeit) mit Inbrunst Frauen (eigentlich 'Maurinnen') hingäbe und

anstatt sich das Maschenhemd und den Säbel anzulegen, in geschmückter Festtagskleidung

aufmachte: "que suena mal que te estés /entre invenciones y trajes /cuando tus deudos y

amigos /andan cubiertos de sangre /y cuando con los contrarios, /sin que ganemos ni ganen,

/nos matamos mano a mano /tú con las Moras te mates, /y que en vez de echarte al hombro

/la malla y Turqués alfange, /te echas bordadas marlotas /y vas a ruar las calles" (v 49-64).

In den Versen 25-40 wirft Tarfe Almoradí vor, niemals wie dieser selbst, im Dienste

Darajas gekämpft, noch dem Maestre Pferd oder Lanze abgenommen, noch Christen

gefangen genommen und den Halbmond zwischen ihre Zelten verbreitet, noch den Genil

überquert zu haben und seiner Dame die Köpfe von Christen präsentiert zu haben: "Nunca

tú por su servicio /como yo escaramucaste, /ni en su presencia al Maestre /caballo y lanca

ganaste; /caballeros de la Cruz /cautivos no le enviaste, /ni las medias lunas nuevas /entres

sus tiendas plantaste... /ni delante de las damas /entre río y el adarbe, /tres cabecas de

Christianos /a tu dama presentaste" (v 25-40). Almoradí würde sich, den Worten Tarfes

zufolge, im Angesicht des Kampfes Krankheit vorspielen und eine Entschuldigung

vortäuschen; Almoradí würde, den Worten Tarfes zufolge, den Mund zu voll nehmen und

(die) Gefühle (der Maurin) verletzen, da er nicht verwirklicht, was er zu verwirklichen

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behauptet: "Mira que es fama en Granada, /y aun en el campo se sabe /que hay un Moro

entre nosotros, /Almoradí de linaje, /que cuando a la escaramuca /los Moros mancebos

salen, /con un enfermo acidente /se finge escusarse", "Dexa los intentos locos, /si ya no

quieres que pase /a más que conversación /las arrogancias que hablaste", "Refrena la

lengua un poco, /y piensa que el hablar haze /continuamente gran dano /donde se siente el

ultraje: /porque ha de entender el juez, /primero que sentenciare /su culpa, que no sentencie

/la pena de la otra parte", "Mira que aunque cueste poco /el hablar, suele estimarse /una

palabra en más precio /que el oro que un Reino vale" (v 65-72, 97-100, 101-108, 109-112;

cf. auch Leidenschaften). Die Worte Almoradís an Tarfe verletzen diesen schwer: "El

Almoradí acabó /dexando al galán de Tarfe /entre turbado y furioso, /prometiendo de

vengarse" (v 121-124). Alle diese Beschreibungen zeigen eine Reihe von Charakteristiken

des Protagonisten, die teilweise in sich konträr sind. Die charakterlichen Aspekte werden,

wie aus den angeführten Zitaten hervorgeht, mit großer Redundanz dargestellt. Almoradí

tritt als - verbal - angriffsbereite / angriffslustige / herausfordernde Person auf (cf. auch

ultrajar). Dann stellt sich dieselbe Figur als - im Umgang mit der Geliebten - edelmütiger

Charakter dar (ha seis anos que en mi pecho /tiene la más noble parte). In einer langen

Reihe von Versen wird Almoradí außerdem als falsche und feige Person dargestellt

(mentir, invenciones, fingirse; 'als letzter zum Schlachtfeld gehend, als erster davon

weggehend, unwürdige Taten vollbringend, nicht manneswürdig seiend, nicht gegen die

Christen kämpfend, etc.'). Desweiteren wird der Maure gezeichnet als jemand, der sein

eigenes Blut im Stich läßt, also verräterisch in höchstem Ausmaß und außerdem, wie es in

mehreren Versen zum Ausdruck kommt, ein Prahler ist.

b) Außer einer Darstellung seiner eigenen Person liefert uns Almoradí in seinen Worten

eine reiche Charakterdarstellung Tarfes. Tarfe hätte niemals - als Liebesbeweis für eine

Frau - gekämpft, wie Almoradí gekämpft hatte, er hätte niemals - in der Gegenwart der

Frau, die er umwarb - dem Maestre Pferd und Lanze abgenommen, er hätte - dieser Frau -

niemals christliche Ritter als Gefangene geschickt, er hätte niemals den das Zeichen des

Islam zwischen christlichen Zelten verbreitet, er hätte niemals das bis an die Brust

reichende Wasser des Genil überquert, um - vor den Augen der Damen - dem Maestre den

Kopf des Albençaide abzunehmen, noch - seiner Dame - Trophäen von Christen

präsentiert: "Nunca tú por su servicio /como yo escaramucaste, /ni en su presencia al

Maestre /caballo y lanca ganaste; /caballeros de la Cruz /cautivos no le enviaste, /ni las

medias lunas nuevas /entres sus tiendas plantaste; /en el agua hasta los pechos /por Xenil

atravesaste /para quitar al Maestre /la cabeca de Albençayde; /ni delante de las damas /entre

río y el adarbe, /tres cabecas de Christianos /a tu dama presentaste" (v 25-40). Die

geduldige Haltung, die Tarfe zunächst Almoradí gegenüber einnimmt, ändert sich im Laufe

der Erzählung. Der anfangs um Aufmerksamkeit bittende Tarfe setzt aus verletzten

Gefühlen heraus seinerseits in imperativer Rede fort, bis er letztendlich, angesichts der

arroganten Worte seines Gegners, von heftiger Wut gepackt wird und diesem Rache

verspricht: "Y arqueando entrambos cejas /con airosos ademanes, /sin cólera le responde,

/pidiendo le escuche y calle" (v 17-20), "El Almoradí acabó /dexando al galán de Tarfe

/entre turbado y furioso, /prometiendo de vengarse" (v 17-20, 121-124). Und noch einmal

spricht Almoradí Tarfe als 'Unwürdigen im Umgang mit der geliebten Frau' an: "te suenes

/que puedes senor llamarte, /en ser servidor de damas, /pero no que ellas te amen" (v 118-

120). Wie aus den oben zitierten Versen hervorgeht, wird Tarfe insgesamt siebenmal als

'jemand, der den Kampf vermeidet', also in indirekter Weise als feige dargestellt - auch den

Vorwurf 'den Islam nicht unter christlichen Zelten zu verbreiten' zählen wir hierher -,

desweiteren wird Tarfe ebenfalls mehrmals als wütender und auf Rache besonnener, also in

impliziter Weise als stolzer Charkter dargestellt (turbado, furioso, prometiendo de

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vengarse). Vordergründig ist auch aufgrund der starken Rekurrenz der Vorwurf Almoradís,

Tarfe sei 'kein würdiger Liebhaber' bzw., wie es im Text explizit zum Audruck kommt,

kein senor, das Benehmen Tarfes ist also scheinbar schlecht (cf. auch Leidenschaften).

c) Der Leser erfährt nur wenige Details über die Maurin, sie tritt ein einziges Mal - als

aktiv Handelnde in einer Liebesbeziehung - auf. Diese hat sich, den Worten Almoradís

zufolge, von ihm ab- und Tarfe zugewandt: "Pues mira si son hazanas /estas que tus bracos

hazen /para que mi bella Mora /me dexe de amar y te ame" (v 73-75, cf. Leidenschaften).

Dennoch wird ihr von Almoradí positiv bewertete moralische Eigenschaften

zugeschrieben: "Y vive Alá que me pesa /de que tanto se declare, /porque su valor y

prendas, /su discreción y sus partes, /de más que un dichoso Moro /merecen enamorarse"

(v 91-96).

Religion / Ideale:

a) In Vers 91 wird Almoradí in eindeutiger Weise als Anhänger des islamischen Glaubens

identifiziert. Der Maure ruft Allah an: "Y vive Alá que me pesa".

In den Vorwürfen Almoradís an Tarfe spiegelt sich in eindeutiger Weise eine - aus der

Perspektive des Sprechers - idealisierte kriegerische / feindliche Begegnung der Mauren

mit Angehörigen der christlichen Religion wieder. Dieser Umgang scheint aus der eigenen

Religionsauffassung heraus motiviert zu sein. Tarfe wird, wie wir gesehen haben, von

Almoradí vorgeworfen, nicht den Maestre und andere christliche Ritter bekämpft bzw. den

Islam verbreitet und Christen getötet zu haben: "Nunca tú por su servicio /como yo

escaramucaste, /ni en su presencia al Maestre /caballo y lanca ganaste; /caballeros de la

Cruz /cautivos no le enviaste, /ni las medias lunas nuevas /entres sus tiendas plantaste; /en

el agua hasta los pechos /por Xenil atravesaste /para quitar al Maestre /la cabeca de

Albençayde; /ni delante de las damas /entre río y el adarbe, /tres cabecas de Christianos /a

tu dama presentaste" (v 25-40, cf. Romanze Nr. 5.). In der vorliegenden Erzählung wird

außer dem Kampf der Mauren gegen die Christen auch der Kampf der Christen gegen die

Mauren dargestellt. Almoradí wirft Tarfe vor, wie schon erläutert wurde, dem Maestre

nicht den Kopf des Albençayde abgenommen zu haben: "(ni) en el agua hasta los pechos

/por Xenil atravesaste /para quitar al Maestre /la cabeca de Albençayde" (v 33-36). Der

Kampf der Christen und Mauren gegeneinander wird also "in gleichem Stil" ausgetragen,

beide Gegner töten den Feind, trennen ihm den Kopf ab und tragen ihn als Trophäe zur

Schau.

Leidenschaften:

a) Almoradí fordert Tarfe auf, die Maurin Daraja weder anzuschauen, noch sie

anzusprechen, denn sie sei, wie er behauptet, seine Seele, sein Blut, seine größte Sorge,

sein Leid - das ihm aber, weil sie es ist - eine innere Freude sei; seit sechs Jahren sei sie es,

der sein Herz gehörte; sich von ihr zu trennen, bedeutete, sein Leben zu verlieren: "Mira,

Tarfe, que a Daraja /no me mires ni hables, /que es alma de mis despojos /y criada con mi

sangre, y que el bien de mis cuidados /no pueden mayor bien darme /que el mal que paso

por ella... /¿A quién mejor que a mi fe /esta Mora puede darse, /si ha seis anos que en mi

pecho /tiene la más noble parte?", si hiziera (= me apartase de ella), si a mi vida /tanta vida

no costase" (v 1-12, 23-24). In den Versen 25-40 wirft Almoradí Tarfe vor, im Dienste

Darajas oder um ihr zu imponieren nicht - wie er - gegen Christen gekämpft und keine

christlichen Gefangenen für sie gebracht zu haben: "Nunca tú por su servicio /como yo

escaramucaste", "Nunca tú ... ni en su presencia al Maestre /caballo y lanca ganaste",

"Nunca tú... caballeros de la Cruz /cautivos no le enviaste". Tarfe selbst solle sich, so

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lauten die Worte Almoradís, von seinem Ziel zurückhalten; er würde es nicht erreichen und

er würde von Frauen nicht geliebt werden: "Así que es bien que te apartes /del principio

que tomaste, /sin querer que nadie goze /de lo que tú no alcancaste; /sino es, Tarfe, /que te

suenes /que puedes senor llamarte, /en ser servidor de damas, /pero no que ellas te amen"

(v 113-120, cf. Religion / Ideal). Schon in den ersten 12 Versen bringt Almoradí seine

Zuneigung zu Daraja in seinen Besitzansprüchen und Wertschätzungen ihr gegenüber

insgesamt achtmal zum Ausdruck. In späteren Versen erzählt auch sein eigenes - implizit

dargestelltes - Verhalten gegenüber der Geliebten von seiner tiefen Leidenschaft zu ihr. In

seinen Worten spiegelt sich scheinbar ein ganzer Verhaltenskodex, nachdem der ideale

Freier handeln soll. Selbst kriegerische Handlungen, die auf Glaubensunterschieden

basieren, scheinen von dem inneren Drang / Ideal einer Geliebten zu dienen, motiviert zu

sein. Dieser Eindruck wird bestärkt durch die mehrmalige Darstellung Tarfes als

unwürdiger Liebhaber (cf. Moral).

b) Tarfe seinerseits wird den Vorwürfen Almoradís zufolge als 'frauenliebend' (cf. tus

mujeriles hechos, v 51) und - deshalb zugleich, wie wir gerade zuvor gesehen haben, als

unwürdiger Freier dargestellt, der sich mit Inbrunst den Maurinnen hingibt, während

andere in der Schlacht vom Tode bedroht sind: "cuando con los contrarios, /sin que

ganemos ni ganen, /nos matamos mano a mano /tú con las Moras te mates, /y que en vez de

echarte al hombro /la malla y Turqués alfange, /te echas bordadas marlotas /y vas a ruar las

calles" (v 57-64).

c) Auch die Figur der Maurin wird mit einem abwechslungsreichen Liebesleben in

Verbindung gebracht. Sie wandte sich, wie schon erläutert wurde, von Almoradí ab und

Tarfe zu: "Pues mira si son hazanas /estas que tus bracos hazen /para que mi bella Mora

/me dexe de amar y te ame" (v 73-75).

Attribute:

c) Aus den Worten Almoradís ist zu entnehmen, daß Tarfe vorzugsweise den maurischen

Festtagsumhang, anstelle von Maschenhemd und dem türkischen Krummsäbel trägt:

"cuando con los contrarios, /sin que ganemos ni ganen, /nos matamos mano a mano /tú con

las Moras te mates, /y que en vez de echarte al hombro /la malla y Turqués alfange, /te

echas bordadas marlotas /y vas a ruar las calles" (v 57-64). Almoradí erwähnt in seinen

Worten die neuen Halbmonde, die Tarfe unter den Zelten der Christen verbreiten hätte

sollen: "Nunca tú por su servicio /como yo escaramucaste... /(ni) caballeros de la Cruz

/cautivos no le enviaste, /ni las medias lunas nuevas /entres sus tiendas plantaste" (v 25-

40). Das Zeichen der Halbmonde weist explizit auf eine islamische Glaubensgemeinschaft

hin.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

b) Dem Vorwurf Almoradís zufolge, trägt Tarfe manchmal schön verzierte Umhänge:

"cuando con los contrarios, /sin que ganemos ni ganen, /nos matamos mano a mano /tú con

las Moras te mates, /y que en vez de echarte al hombro /la malla y Turqués alfange, /te

echas bordadas marlotas /y vas a ruar las calles" (v 57-64). Der Protagonist könnte seiner

Kleidung zufolge einen höheren gesellschaftlichen Status einnehmen.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.): ——

a) und b) Vers 33 gibt uns einen expliziten Hinweis darauf, wo sich Almoradí und Tarfe

aufhalten (können). Ersterer hatte den Genil überquert, der zweite hätte dies tun sollen,

zudem scheinen, den Worten Almoradís zufolge, beide Figuren sich in der Stadt Granada

zu bewegen: "Mira que es fama en Granada, /y aun en el campo se sabe /que hay un Moro

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Wien, am 02.06.11, Seite 153 von 259

entre nosotros, /Almoradí de linaje, /que cuando a la escaramuca /los Moros mancebos

salen, /con un enfermo acidente /se finge escusarse" (v 33-34 und 65-72). Beide Figuren

werden also mit dem Raum des ehemaligen Reichs Granada und der gleichnamigen Stadt

in Zusammenhang gebracht.

25. Untersuchung und Interpretation von Balladen

Es folgen die Analysen von 25 besonders repräsentativen Beispielen rumänischer Balladen.

Sie sind größtenteils aus der Anthologie von Al. Amzulescu, Balade populare românesti,

vol. I-III, Bucureşti, Ed. pentru literatură, 1964 entnommen: 1. Gruia lui Novac (Nr. 32), 2.

Novac (Nr. 33.), 3. Gruia a lui Novac (Nr. 36.), 4. Novac vinde pe Gruia (Nr. 39.), 5.

Turcul şi Novăceştii (Nr. 40.), 6. Marcul viteazul (Nr. 43.), 7. Iancul Mare (Nr. 44.), 8.

Bîcul Haiducul (Nr. 45.), 9. Vîlcan (Nr. 46.), 10. Badiul (Nr. 47.), 11. Ilincuţa Sandului

(Nr. 49.), 12. Marcu (Nr. 50.), 13. Stoian-Bulibaşa (Nr. 52.), 14. Roman Voinicul (Nr. 53.),

15. Tătarii şi robii (Nr. 54.), 16. Şiret Pîrcălabul (Nr. 56.), 17. Moldovean Dobrogean (Nr.

57.), 18. Serb-Sărac (Nr. 59.), 19. Niculca (Nr. 62.), 20. Gheorghiţă Zătreanu (Nr. 63.), 21.

A lui Şoimănel (Nr. 64.), 22. Manuilă şi Mustafa (Nr. 69.). Drei Texte sind aus der 1981

erschienenen Anthologie Al. Amzulescus, dem Cîntecul epic eroic, Bucureşti, Ed.

Academiei entnommen: 23. Român Grue Grozovanul (Nr. 75.), 24. Barbă Haiducul (Nr.

78.), 25. Ţarul Murad şi Radu Voivoda (Nr. 204.). Die Auswahl der Texte aus zwei

verschiedenen Quellensammlungen rechtfertigt sich durch ihre thematische Homogenität;

das zuletzt zitierte Werk stellt eine Ergänzung zu den Texten der früher erschienenen

Anthologie dar.

25.1. Ballade von Gruia lui Novac

Die vorliegende Ballade von 447 Versen erzählt die Geschichte des (rumänischen)

Protagonisten Gruia. Da sich Gruia nichts so sehr wünscht, als nach Ţarigrad (= Istanbul)

zu gehen, läßt der Vater Novac seinen Sohn ziehen. Er rät Gruia jedoch, die Gasthäuser

dieser Stadt zu meiden. Gruia befolgt diese Ratschläge nicht und begibt sich sofort nach

seiner Einkehr in Ţarigrad zur Zeche in eine Gaststätte. Über das maßlose Trinken Gruias

verwundert, begibt sich die Wirtin zum Kaiser, um ihm über ihren Gast Bericht zu

erstatten. In der Beschreibung der Wirtin erkennt dieser, daß es sich um seinen Feind Gruia

handelt. Der Kaiser rät der Wirtin, Gruia in schlaftrunkenen Zustand zu versetzen. In

diesem Zustand nehmen ihn die Türken gefangen und stecken ihn ins Gefängnis. Nach

sieben Jahren schickt Gruia einen Raben aus, der dem Vater die Kunde über seinen

Aufenthaltsort überbringt. Der Vater bricht zur Befreiung seines Sohnes auf, überlistet die

Türken, indem er unter ihnen Verwirrung stiftet und tötet alle mit dem Säbel. Aufgrund

einer Reihe von Erzählelementen wird ein bestimmtes Bild der (rumänischen) Figuren

geschaffen. Wir erfahren z.B. den Aufenthalts- bzw. Wohnort der Protagonisten, der eine

Hütte im Kieferwald einer Berglandschaft ist (es dürfte sich dabei um keinen realen Ort

handeln): "În munţii Catrinului, /La pădurea Pinului, /La cerdacu /Lui Novacu (...) /Beau

voinicii boiereşte..." (v 1-6). Die rumänischen Protagonisten tragen, wie schon gezeigt

wurde, Eigennamen. Sie werden zusätzlich hypokoristisch - mit den diminutiven

Namensformen - angesprochen bzw. kommen in den Bezeichnungen eindeutige

Familienverhältnisse zum Ausdruck: Novacu, "Gruiţă, Novăciţă", "Măi Gruiţo, fiul meu",

"spune-i tătucului" (v 4, 9-10,16-17, 302). Auch moralische Eigenschaften Gruias werden

dargestellt. Wie aus dem Ratschlag des Vaters hervorgeht, liebt Gruia offensichtlich den

Wein und ist auf charakteristische Weise ungehorsam: "În oraş să nu te bagi /Şi la vin să nu

te tragi" (v 34-35), "Gruiţă, copil zburdat, /De mic la rele-nvăţat, /El în seamă nu băga /Ce

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tatăl său îi spunea..." (v 40-43). Die Darstellung zechender Männer, die ihre Gedanken

(einem) Dumnezeu/Gott widmen ("Beau voinicii boiereşte... /Şi la Dumnezeu gîndesc", v

6-8), erweckt den Eindruck ihrer christlichen Glaubensauffassung. Im Verhalten Gruias

gegenüber den Türken fällt auf, daß er als (gefürchteter) Feind des türkischen Kaisers

auftritt, der Gruia folgenderweise beschreibt: "Ăsta-i Gruia lui Novac, /Care ţara ne-a

prădat, /A prădat-o-n lung şi-n lat, /De trei ori turcii-a tăiat /Şi acum iar o venit /Cu gînd

rău de prăpădit": 'Dieser ist (der) Gruia von Novac, /der unser Land beraubt hat, /der das

ganze Land beraubt hat, /dreimal hat er die Türken getötet, /und jetzt ist er wieder

gekommen, /mit bösen Gedanken an Raub' (v 183-188); "ei (= Gruia und sein Vater) ne-au

făcut mult rău, /Că ne-au ţinut drumurile /Şi ne-au tăiat capetele!": 'sie haben uns viel

Schlechtes angetan, /denn sie haben die Wege belagert, /und (sie haben) uns die Köpfe

abgetrennt' (v 191-193). Gruia zeigt nicht nur ein feindseeliges Verhalten gegenüber den

Türken, sondern auch ein überaus grausames. Dem Raben verspricht er das Fleisch und das

Blut der Türken: "Du-te (...) /Şi îmi caută pe Gruia (...) /Că eu bine te-oi ţinea, /Carne de

turc îi mînca /Şi sînge de turc îi bea!" (v 282-287). Die Vernichtung der Türken wird

ausführlich, ihr Tod in redundanter Weise erzählt: "Iar Novac se întorcea /Şi sabia ş-o

scotea /Şi pe toţi turcii tăia, /Nici unul nu rămînea": 'Aber Novac kehrte um /und zog sein

Schwert, /und alle Türken stach er nieder, /nicht einer blieb übrig' (v 387-390); "Apoi... /Şi

prin turci se întorcea /Şi pe toţi că mi-i tăia. /Pe unde Novac mergea, /Numai cu cotul

cotea, /Uliţi printre turci făcea. /Gruiţă mi-i abătea, /Iară Novac îi tăia, /şi turcii aşa pica

/Cum pică vara iarba /Cînd o ajungi cu coasa": 'Dann kehrten beide (= Gruia und Novac)

mitten unter den Türken um /und stachen sie alle nieder. /Wo Novac auch ging, /machte er

sich mit den Ellbogen seinen Weg,' /er machte (= hinterließ) Gassen inmitten der Türken,

/Gruiţă schlachtete sie ab, /und Novac stach sie nieder, /und die Türken fielen so, /wie das

Gras (= Heu) im Sommer fällt, /wenn du es mit der Sense erreichst (v 404-414). Den

einzigen Überlebenden läßt Gruia nicht ohne Verletzung und Demütigung gehen: "Apoi

sabia trăgea, /Urechile îi tăia, /Nasul o ţîră-i cîrnea /Ş-apoi scăpat îl făcea": 'Dann zog er

das Schwert, /er schnitt ihm die Ohren ab, /die Nase machte er ein wenig kürzer, /und dann

ließ er ihn frei' (v 427-430).

Namen / Bezeichnung:

a) Die Begrüßungsformel der Wirtin bringt eine gewisse Schätzung und Höflichkeit

ihrerseits gegenüber dem Kaiser zum Ausdruck: "Înălţate împărate, /Să trăieşti cu sănătate

!": 'Erhabener Kaiser, /(in freier Übersetzung:) du sollst gesund bleiben' (v 115-116).

b) Es treten turci (v 243) auf, die auch in ihrer Anrede so benannt werden: "Bună ziua,

turcilor, /Turcilor, voinicilor!" (v 340-341). Das Attribut voinici, das den Türken

normalerweise Tapferkeit zuweisen würde, scheint im Kontext der Handlung als

Schmeichelei, folglich vom Vater Gruias listigerweise gebraucht zu werden. In den Versen

302-303 bezieht sich Gruia im Gespräch mit dem Raben in (sehr verallgemeinernder)

Singular-Form auf die Gesamtheit der Türken: "...spune-i tătucului /Care-i gîndul turcului":

'Sage dem Väterchen, /welcher der Gedanken des Türken ist' (v 302-303).

c) Nur eine einzige Figur aus der Gesamtheit der Türken wird individuell beschrieben,

jedoch ebenso mit dem Ethnonym Türke benannt. Zweimal wird - in der Bezeichnung - das

hohe Alter und eine sehr negative Konnotation dieser Person zum Ausdruck gebracht: “un

turc cam bătrînel”, "Cîine bătrîn şi spurcat" (v 415, 423; cf. Moral). Die Bezeichnung des

Türken als câine/Hund könnte eine religiös-moralische Bewertung sein, denkt man an die

Verknüpfung der Ursprungserklärung des Hundes in Zusammenhang mit der Ermordung

Kains in byzantinischen bzw. talmudischen Versionen apokrypher Legenden des Alten

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Testaments. So wäre aus dem Schädel Kains eine stinkende Quelle, aus dieser, große,

vierbeinige Wurmgestalten mit Köpfen und Ohren und aus diesen die Hunde entsprungen:

"Din ţeasta lui Cain s-a făcut o fântână împuţită, din care apoi au izvorât nişte viermi mari

cu patru picioare, cu capete şi cu urechi. Din aceştia au ieşit apoi cîinii" (in: Omorârea lui

Cain; originea câinilor in N. Cartojans Cărţile populare în literatură românească, vol. II,

Bucureşti, Editură Enciclopedică, 1974:57-59). Auch große Wörterbücher geben heute

noch für câine, neben der Bedeutung Tier, diejenige eines 'im Herzen schlechten

Menschen' an: Om rău la inimă (cf. DEI, s.v.). Auch die weitere zum Substantiv câine

gehörende Bestimmung spurcat könnte die moralisch-religiöse Anspielung

wiederaufnehmen. Im DEI finden wir u.a. folgende Definitionen zu diesem Adjektiv: "1.

Necurat, murdar; scârbos...; 3. Necurăţit prin atingere cu ceva murdar sau oprit de

biserică...; 4. Contrar prescripţiunilor bisericii...; 7. Păgân, eretic...". Die Bedeutungen

dieses Wortes reichen also von 'unsauber', 'schmutzig', 'eckelerregend'; 'unsauber geworden

durch die Berührung mit etwas Schmutzigem' oder 'von der Kirche untersagt'; 'entgegen

den Richtlinien der Kirche' bis zu der religiösen Konnotation des 'Heiden' oder 'Häretikers'.

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

c) Cf. Namen.

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

In der Inhaltsangabe wurde erwähnt, daß Novac seinem Sohn rät, außerhalb von Ţarigrad

zu bleiben und nicht die Wirtshäuser dieser Stadt aufzusuchen. Dies und die erneute

Erwähnung von Gaststätten, in denen Gruia zechen wird ("Pîn-în Ţarigrad intra... /Lua

tîrgul tot de-a lungul /Şi birturile de-a rîndul", v 56-57), lassen den Eindruck entstehen, wo

sich die Türken versammeln, trinke man gewöhnlich viel.

a) Als der Kaiser von der Wirtin über Gruia unterrichtet wird, reagiert er mit großer Angst,

seine Kräfte verlassen ihn, seine Haare stehen ihm zu Berge, das Gesicht wird ihm fahl

(wörtlich: 'gelb') und er beginnt zu zittern: "Împăratul auzind /Pe Aniţa-aşa vorbind,

/Puterile îi pierea, /Măciucă păru-i suia, /Faţa i se-ngălbinea, /Începu a tremura" (v 170-

175).

b) Auch die anderen Türken, die sich dem schlafenden Gruia gemeinsam nähern, zeigen,

wie es aus dem erzählten Geschehen hervorgeht, fast lächerlich große Angst. Denn als der

Wind das Haar Gruias bewegt, rennen sie davon, was im Text emphatisch betont wird

('Mensch, da rannten sie davon'): "Dară vîntul cam bătea, /Părul lui Gruia-l lăţea, /Iar turcii,

dacă vedea, /Vai, Doamne, cum mi-şi fugea!" (v 246-25). Die Türken nehmen Gruia

gefangen, binden ihm die Hände (wörtlich: 'die Ellbogen') am Rücken zusammen und

stecken ihn ins Gefängnis: "Şi pe Gruia mi-l lega... /Cu coatele îndărăpt... /Ş-apoi ei pe îl

lua /Şi-n temniţă îl ducea" (v 253-261). Die Absicht der Türken ist es, Gruia auf dem

Galgen hinzurichten: "...spune-i tătucului /Care-i gîndul turcului /Că pe vineri dimineaţa

/Se gătesc să-mi ia viaţa; /Că funarii împletesc /Şi bărdaşii tot cioplesc, /Furcile îmi

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pregătesc" (v 302-308). Außer ihrer "Zeichnung" als furchtsame / feige und feindliche

Charaktere, werden die Türken in gewisser Weise als einfältig dargestellt: Es gelingt

Novac, sich ihnen in Verkleidung eines Mönchs und mit seiner schmeichelnden Anrede

mit seinen Waffen zu nähern: "Moş călugăr se făcea, /Armele şi le-ascundea", "Bună ziua,

turcilor, /Turcilor, voinicilor!" (v 334-335, 340-341). Novac überlistet die Türken zum

zweitenmal, indem er Geld in die Menge wirft. Das Gedränge, das folgedessen um die

Taler entsteht und die Türken alles vergessen läßt, enthüllt eine gewisse Begierde nach

Geld: "...Galbeni pe jos răsfira. /Turcii-a strînge se-ntrecea" (v 385-386). Ein

(vermeintlicher) Geistlicher kann trotz seines Bittens, die Türken nicht dazu bringen, ihm

den gefangenen Gruia zu übergeben, sie bleibend hartnäckig: "Părinte, sfinţia-ta, /Noi robul

nu ţi l-om da..." (v 361-362). Die wiederholte Bitte des Mönchs löst bei den Protagonisten

Ärgernis aus: "Dar turcii se mînia /Că prea mult îi năcăjea" (v 381-382).

c) Einer aus der Gruppe der Türken bittet Gruia, ihn zu verschonen: "Iar un turc cam

bătrînel /... de Gruia se ruga: /Lasă-mă nevătămat" (v 414-420). Auch diese Handlung

skizziert ein (aus Unterlegenheit) angstvolles Verhalten des Türken. Gruia will diesen nicht

unversehrt lassen, da er seine Lügen befürchtet. Der Türke würde vor dem Kaiser aussagen,

seine Tapferkeit hätte ihm das Leben gerettet: "Te-aş lăsa nevătămat, /Dar îi spune la-

mpărat /Că de viteaz ai scăpat!" (v 424-425). Mit dieser Darstellung wird er als impliziter

Lügner und Prahler porträtiert. Cf. auch Namen.

Religion / Ideale:

c) Wie schon oben gezeigt wurde, wird der Türke explizit als Heide bezeichnet (cf.

Namen).

Leidenschaften: ——

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Die Wirtin begibt sich zum Hof des Kaisers, der etwas erhöht liegen oder angelegt sein

muß: "Şi unde mi se ducea ? /Deasupra oraşului /La curtea-mpăratului" (v 112-114). Dem

Kaiser stattet man Bericht ab. Dies tut, wie schon gezeigt wurde, die Wirtin und dies wird

der Türke tun, den Gruia (nicht unversehrt) laufen läßt: "Te-aş lăsa nevătămat, /Dar îi

spune la-mpărat /Că de viteaz ai scăpat!" (v 424-425).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Ort der Begegnung Gruias mit Türken ist das mit Wirtshäusern ausgestattete Ţarigrad (cf.

oben v 32-33, 56-57). Wie schon erwähnt wurde, liegt auch der Hof des Kaisers hier bzw.

in der Nähe dieser Stadt (cf. oben v 112-114).

25.2. Ballade von Novac

Der vorliegende, 195-versige Text ist zu der zuvor analysierten Erzählung teilweise analog.

Die Ballade ist, wie schon die geringere Anzahl von Versen vermuten läßt, nicht so reich

an Erzählelementen wie Gruia lui Novac (mit 447 Versen). Interessant an der Ballade ist

aber, wie eine, der Geschichte von Gruia und Novac ähnliche Handlungsstrukur, mit

(etwas) anderen Elementen "aufgefüllt wird". Die Protagonisten der Geschichte sind

Corbea, Gruia und Novac, ein Diener und die Türken. Der Donau entlang fahrend, begeben

sich Corbea und Gruia in betrunkenem Zustand nach Vidin. Auf ihrem Weg werden sie mit

der Hilfe ihres Dieners von Türken gefangengenommen und als Sklaven nach Calafat

gebracht. Sie beanspruchen die Hilfe eines Adlers, um ihren Vater herbei zu holen. In der

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Wien, am 02.06.11, Seite 157 von 259

Verkleidung eines Mönchs gelingt es Novac, sich den Türken zu nähern. Die Erzählung

weist eine, nach phonetischen und lexikalischen Kriterien stark volkssprachliche,

umgangssprachliche und regionale, vermutlich moldauische Färbung auf (vgl. in Vers 26-

27 die Varianten ciorili, vitili 'Krähe, Kühe' für - standardrumänisch - ciorile und vitele und

die Variante zo für zău '(emphatische Bedeutung)', sowie socac für uliţă 'Gasse'). Zur

Porträtierung der rumänischen Figuren werden Eigennamen und hypokoristische Anreden

(Corbea, Gruia, Gruiţă in Vers 7, 39) verwendet. Denselben Personen werden auch

Leidenschaften verliehen, so z.B. das Trinken von Wein: "Şi mi-e Corbea mort de beat, /Că

de cum mi s-a sculat, Multe vinuri a cercat. /A beut şi s-a-mbătat": 'Und Corbea ist voll

betrunken, /denn seit er aufgestanden ist, /hat er viele Weine probiert, /er hat getrunken und

hat sich betrunken', v 9-12). Gezeigt werden außerdem gewisse Charaktereigenschaften,

z.B. die Listigkeit des Novac. Er macht sich, wie schon aus der Inhaltsangabe hervorging,

in Mönchskleidung an die Türken heran: "Bun călugăr să făcea" (v 147). Nachdem die

Türken Gruia und Corbea Leid antun und diese auch zu töten beabsichtigten, erfahren sie

ihrerseits harte Rückschläge. Corbea erschießt die Kinder der Türken, die dazu bestimmt

waren, ihn zu töten ("Copiii de turc împuşcînd", v 77). Die Ballade endet mit der

Vernichtung der Türken durch Novac. Diese Vernichtung hat einen Aspekt von

Lächerlichkeit für die Türken: "Cînd pin turci că abătea, /Pe toate socacili, /Zo, le sare

fesurli": 'Und als er (= Novac) sich durch die Türken schlachtete, /in allen Gassen /wie

sprangen ihnen da ihre Fese !' (v 187-189).

Namen / Bezeichnung:

a) Die erste, die Protagonisten einführende Bezeichnung, ist eine moralisch-religiöse mit

stark pejorativer Assoziation: "Cînii, turcii de-l vedea...": 'Die Hunde, die Türken, als sie

ihn (= Corbea) sahen...' (v 16). In der vorangegangenen Analyse haben wir die moralisch-

religiöse Konnotation erklärt, die die Vorstellung des Hundes implizieren kann. Negativ

konnotiert werden die Protagonisten, wie es Vers 16 dokumentiert, noch vor der Nennung

derselben mit dem nomen gentis. Dies unterstreicht die Darstellung des schlechten

Charakters der Genannten auch syntaktisch. Das Ethnonym (Turcii, z.B. v 21) wird

mehrmals verwendet. Neben diesen beiden Arten der Bezeichnung, erwähnt Novac in einer

direkten Anrede der Türken die Titelbezeichnung Aga: "Turcilor, voi, turci agale" (v 32: cf.

Arabism.). In Vers 60 wird - in den Worten eines Türken - die Anrede gute Türken

formuliert: "Turcilor buni şi agale" (v 60). Später spricht Novac, der den Türken

schmeicheln und sie überlisten will, diese an mit "Turcilor, boierilor": 'Oh Türken, ihr

(großen) Herren' (v 153).

b) Es tritt auf ein Türke, der als Sohn des Caragea und mit einer Verkleinerungsform des

Ethnonyms bezeichnet wird, das selbst nocheinmal mit dem Attribut klein näher bestimmt

ist: "Cine că-mi-i comanda? /Ficioru lui Caragea, /Un turculeţ mititel... ": 'Und wer

kommandierte sie ? /der Sohn des Caragea, /ein winzig kleiner Türke' (v 55-57).

c) Erwähnt wurde in den eben zitierten Versen ein Caragea, der nicht weiters auftritt. Den

Namen Caragea trugen zwei Dragomane, hohe Beamte, der Pforte (Nicolae und Ioan

Caragea, die, später in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19.

Jahrhunderts, in der Walachei herrschten).

Genealogie / Familiensippen:

b) In Vers 56 wurde ein Sohn-Vaterverhältnis skizziert, der kleine Türke ist Ficioru lui

Caragea.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

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Wien, am 02.06.11, Seite 158 von 259

a) Cf. Attribute, wo die Gepflogenheit der Türken, Steuern zu erheben, angedeutet wird.

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

b) Die Kleinheit des Türken wird, wie oben schon erläutert wurde, zweifach betont (Un

turculeţ mititel, v 57).

Kleidung / Ausstattung:

a) Die Kinder der Türken sollen Corbea mit Flinten erschießen ("Flinta-n mînă că le da":

'Die Flinte gaben sie ihnen in die Hand', v 70). Die Türken tragen also Schußwaffen.

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Die Tatsache, daß sich die Türken, wie oben gezeigt wurde, von Novac zweifach

überlisten lassen (Schmeichelung und Mönchsverkleidung des Novac; v 147, 153), zeigt

sie gewissermaßen als einfältige Personen.

b) Eine Beschreibung des kleinen Türken sagt, daß er "Ştia carte giurgiumel" (v 58). Das

Verbalsyntagma a ştie carte bedeutet 'lesen und schreiben können' (cf. Anuţei 1990, s.v.).

Die Bedeutung von giurgumel bleibt unklar (cf. Amzulescu 1964, vol. III, p.451). Es wird

also auf mentale Eigenschaften des Türken Bezug genommen, wir wissen aber nicht, in

welcher Weise (wertend anerkennend / despektiv ?, etc.).

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Allgemein wird das Bild der Türken, wie wir gesehen haben, mit der Vorstellung

moralisch sehr schlechter Menschen in Verbindung gebracht (cf. Namen). Die Türken

werden weiters als Flüchtende, folglich als Personen dargestellt, die große Angst haben.

Als sie sich Gruia und Corbea nähern, so erzählt die Geschichte, bläst der Heilige Gorneac

und bewegt damit die Haare des Gruia, was ausreicht, die sich Annähernden so zu

erschrecken, daß sie wie die Krähen flüchten und wie Vieh im Wasser ertrinken: "Sfîntu

Gorneac, zo, sufla, /Chică pale i-o mîna, /Turcii mi să spăimînta /Şi fugea ca ciorili, /Să-

neca ca vitili" (v 23-27). Angesichts der Ursache und der fatalen Folgen ihrer Flucht,

scheint die Reaktion der Türken - wie schon einmal in dieser Ballade - lächerlich. Ihrerseits

gehen die Türken feindlich gegen die rumänischen Figuren vor. Dies geht aus der

Vermutung Novacs hervor: "Doi copilaşi c-am avut, /Crezi (= cred), turcii i-a prăpădit":

'Zwei Kinder hatte ich, /ich glaube die Türken haben sie getötet'. Tatsächlich haben in der

zwischenzeit die Türken Gruia und Corbea auf ihrem Schiff überfallen und diese gefesselt:

"Turcii pe şaică să suia", "Pe Corbiţă mi-l lega" (v 21, 39). Sie denken daran, Corbea zu

töten. Diese Tat soll von den Kindern der Türken vollstreckt werden, damit sie lernen,

gegen ihn vorzugehen: "Cîţi copii de turc aveţi, /Pe toţi să-i astrîngeţi... /Pe Corbiţă l-o-

mpuşca, /Să să-nveţe-n el să dea!" (v 61-66). Bei ihrem Vorgehen gegen Gruia und Corbea

sind sie überaus grausam. Sie binden Corbea so fest, daß seine Fesseln sein Fleisch bis zu

den Knochen einschneidet. Sie stecken Corbea auf einen Pfahl und fesseln Gruia darunter,

sodaß das Blut Corbeas Gruia ins Gesicht tropft: "Pe Corbiţă mi-l lega... /Tăia carnea

păn´la oasă"; " Şi-n ţapă că-l înfigea, /Da´ pe Gruiţă-l lega /Jos de ţapă lui Corbiţă, /Îl lega

turcii pe Gruiţă. /Pică sînge din Corbiţă, /Strică faţa lui Gruiţă!" (v 39-40, v 49-54). Cf.

auch Attribute.

Religion / Ideale:

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Wien, am 02.06.11, Seite 159 von 259

a) In der Bezeichnung der Türken als cîini steckt, wie wir gesehen haben, das Bild des

Heiden (cf. Namen).

Leidenschaften:

Die Verse 148-151 erzählen, wie Novac sich in das kleinste Kaffeehaus von Vidin begab

und daß es neben diesem weitere siebzig Kaffeehäuser gab, in denen die Türken Kaffee

tranken: "...trecu la Vidina, /L-a mai mică cafenea, /Cu şaptezăci lîngă ea, /Unde turcii bea

cafea". Die hohe Anzahl der Gaststätten und die explizit dargestellte Handlung des

Kaffeetrinkens beschreibt eine große Vorliebe der Türken für dieses Getränk.

Attribute:

Wie aus den oben zitierten Versen 187-189 hervorgeht, tragen die Türken Fese.

In den folgenden Versen sagt Corbea, wie er die Türken niederstrecken wolle: "Cînd turcu

striga: Aman!, /Să-i bat, taică, de su´mal; /Cînd turcu striga: Amet! /Eu să-i bat, taică, la

piept, /C-aşa am avut adet!" (v 182-186). Aman und adet sind Ausdrücke aus dem

Türkischen. Nach der Definition im DEI ist aman eine Interjektion für Îndurare! Iertare!

(strigătul Turcilor implorînd cruţarea vieţii): 'Erbarmen! Verzeihung! (der flehende Schrei

der Türken um Schonung für ihr Leben)'. Adet ist eine lexikalische Variante für Obicei,

deprindere 'Sitte', bedeutet in Oltenien aber auch dijma care se dă din rachiu stăpînului

cazanului (DEI, s.v.), das Zehntel also, das der Schnapsbrenner unter muslimischer

Herrschaft als Steuer abgeben mußte. Die Übersetzung der zitierten Verse könnte folgende

sein: 'Wenn der Türke schreit aman, /dann, Vater, schlag ich ihn... /wenn er schreit amet,

/dann, Vater, schlag ich ihn gegen die Brust, /denn so habe ich den Brauch gehabt'. Der

Türke wird also einerseits mit materiellen Kennzeichen, wie dem Fes, assoziiert.

Andererseits wurden ganz bestimmte sprachliche Ausdrücke der Welt des Anderen

genannt.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Calafat wird als reiche Stadt beschrieben ("Călăfat, oraş bogat", v 46). Die Vorstellung

von Reichtum wird wieder aufgenommen in der Handlung des Novac, der viel Hab und

Gut sammelt, nachdem er die Türken geschlagen hat: "Multă blagă aduna" (v 191).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Gruia und Corbea treffen auf Türken in Vidin, wo diese sich in Booten fortbewegen: "Iacă

şaica că-mi venea /Pănă-n vad la Vidina. /Cîinii, turcii de-l vedea, /Toţi în luntrii să

punea": 'Und sieh, da kam ein Boot /an die Ufer von Vidin /und als die Hunde, die Türken

ihn (= Corbea) sahen, /begaben sie sich alle in die ihren' (v 14-17). Die zweite Stadt, die

mit den Türken in Verbindung gebracht wird, ist Calafat: "Şi-l ducea la Călăfat": 'Und sie

brachten ihn (= Gruia) nach Calafat' (v 45). Beide genannten Städte liegen direkt an der

Donau, im oltenischen Teil der Walachei.

25.3. Ballade von Gruia a lui Novac

In dieser Dichtung erzählt uns der Autor in 163 Versen die Geschichte des gleichnamigen

Protagonisten. Mit einigen neu erworbenen Ochsen macht sich Gruia an die Arbeit auf dem

Feld. Als er am Pflügen ist, taucht plötzlich eine Schar Türken auf, die auf der Suche nach

ihm sind. Nur einer unter den Türken läßt sich nicht täuschen. Er erkennt den sich

verstellenden Gruia, der gefangen genommen und gefesselt wird. Durch eine Lüge gelingt

es ihm, seine linke Hand zu befreien und tötet bis auf einen alle seine Feinde. Die Gestalt

des Gruia wird sehr ausführlich dargestellt. So wird z.B. seine Heimat (În Ţara Haţegului:

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Wien, am 02.06.11, Seite 160 von 259

'Im Land Haţegul', v 1) erwähnt, seine Leidenschaften für das Trinken und die Frauen

("Gruia bea cu fetele": 'Gruia trinkt mit den Mädchen', v 5), Verwandtschaftsgrade (mamă-

sa, sora; v 9,33), sein (feindliches) Verhalten gegenüber den Türken ("... nu le-am făcut

vrun bine": 'ich habe ihnen (= den Türken) nichts Gutes getan'; etc. Gruia belügt die Türken

und überlistet sie zweimal (v 76-79, 110-130). Später tötet er sie mit dem Schwert. Dieser

Akt wird auf redundante Weise dargestellt: "scoase-o spadă ascuţită... /şi-au tăiat cum au

putut", "pre mulţi i-au spintecat", "Pînă-n răsărit de soare, /Nici un turc nu era-n picioare",

"turcii zăceau ca snopii": 'er zog ein scharfes Schwert hervor... und stach sie nieder, wie er

nur konnte'; 'viele Türken schlitzte er auf'; 'Bis zum Sonnenaufgang stand kein Türke

mehr'; 'die Türken lagen da wie Garben' (v 130-132, 139, 153, 162).

Namen / Bezeichnung:

a) Die auftauchenden Individuen werden als Türken erkannt und mit einer näher

bestimmenden Apposition als solche bezeichnet. Die Türken treten, wie schon aus der

Inhaltsangabe hervorging, in so großer Anzahl auf, daß sich der Himmel verdunkelt. Die

Schwester des Gruia erkennt nicht sofort, was geschieht: "Un nourel că-mi vedea /Şi lui

Gruia aşa-i grăia: /Frate, frăţiorul meu, /Ce se-ntoarce norul greu ? /Nu e nour ce priveşti,

/Ci sînt turcii cei păgîni": 'Und sie sah eine Wolke, /und sprach zu Gruia: /Bruder, mein

Bruder, /Warum wird der Himmel dunkel ? /Es ist keine Wolke, die du siehst, /sondern es

sind die Türken, diese Heiden' (v 59-64). Der Nennung des Ethnonyms folgt also

unmittelbar die "Identifizierung" der Türken als Ungläubige. Später wendet sich Gruia mit

der Anrede boieri mari ! : 'ihr großen Herren !' (v 73) an dieselben. Er versucht im

folgenden, die Türken zu belügen.

b) Es tritt auf un turc, ostaş vestit: 'ein Türke, ein berühmter Soldat' (v 91), der keinen

weiteren Namen erhält. Die Apposition des Genannten läßt an Kampfhandlungen denken.

c) Ein zweiter Türke wird zmeu blăstămat: 'verfluchter Drachen' bezeichnet (v 105).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft:

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

a) Die Maure trägen Säbel und Streitkolben. Dies geht aus der Frage des einen Türken an

Gruia hervor: "Cum vrei moartea să ţi-o fac: /În săbii să te tăiem, /Cu buzdugan să te-

omorîm ?": 'Wie willst du, daß ich die töte: /sollen wir dich mit dem Säbel durchbohren,

/sollen wir dich mit dem Kolben töten ?' (v 107-108).

Körperliche Eigenschaften:

a) Aufgrund der Erzählung entsteht der Eindruck, die Türken seien in Windeseile

herbeigekommen, sie seien also sehr schnell: "El nici vorba nu sfîrşea, /Iacă şi turcii-

ajungea": 'Er (= Gruia) hatte nicht einmal fertig gesprochen, /da waren die Türken schon

hier' (v 68-69).

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Die große Gruppe der Türken schenkt dem lügenden Gruia Glauben (dies geht aus den

dargestellten Handlungen hervor, cf. v 74-90). Die so gezeichneten Figuren wirken

einfältig.

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Wien, am 02.06.11, Seite 161 von 259

b) Wie schon oben erwähnt wurde, läßt sich aus der Schar der Türken ein einziger nicht

von Gruia täuschen. Er fordert die anderen Türken auf, den, sich als andre Person

ausgebenden Gruia, festzubinden: "Dacă vreţi să-l căpătaţi (Pe Gruia), /Iac, acesta-i! şi-l

legaţi!": 'Wenn ihr ihn (= Gruia) fangen wollt, /dann bindet diesen hier fest' (v 96-97).

Dieser Türke ist also - im Gegensatz zu den anderen - schlau.

Moral und moralische Eigenschaften:

a) In der ersten Erwähnung der Türken wird auch ihr Umgang gegenüber den Rumänen

beschrieben: "Nu e nour ce priveşti, /Ci sînt turcii cei păgîni, /Cari ştiu suge pe romîni": 'Es

ist keine Wolke, die du siehst, /sondern es sind die Türken, die Heiden, /die es wissen, die

Rumänen auszusaugen' (v 63-65). Im zuletzt genannten Vers spiegelt sich die

Anschuldigung gegenüber den Türken wider, sie würden die Rumänen ausbeuten.

Gegenüber Gruia sind sie - mit Grund - äußerst feindlich gesinnt. Das geht aus Gruias

Worten hervor: "Vin să taie ei din mine /Că nu le-am făcut vrun bine": 'Sie kommen um

mich niederzustrecken, /denn ich habe ihnen nicht Gutes getan' (v 66-67). Die Feinde

umzingeln Gruia, um ihn zu fesseln: "pe Gruia-ncongiura /Şi frumos că mi-l lega" (v 103-

104). Evoziert wird das Bild eines flüchtenden Türken: "Dar pe care (=turc) n-au tăiat,

/Numai fuga l-au scăpat":'Aber denjenigen, den er nicht niederstach, rettete nur die Flucht '

(v 134-135).

b) Der türkische Soldat erzählt von sich, daß er das Land (=Rumänien) ausgeplündert hat:

"Ţara cînd o am prădat" (v 101).

c) In der Nennung eines Türken wurde, wie wir gesehen haben, die Beschreibung zmeu

blăstămat (v 105) verwendet. Diese Bezeichung wirkt zweifach despektiv. Erstens wird der

Genannte mit einem in der Volksliteratur bekannten bösartigen Wesen in Verbindung

gebracht und gleichzeitig eine Verwünschung (dieses Wesens / dieser Person)

ausgesprochen. Der Bezeichnete erscheint folglich als ein moralisch zutiefst schlechtes,

und deshalb zu verwünschendes, Individuum. Das Handeln des Türken ist todbringend (cf.

v 107-108 oben).

Religion / Ideale:

a) Wie schon erläutert wurde, werden die Protagonisten explizit Heiden genannt (cf.

Namen).

Leidenschaften: ——

Attribute:

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Die Türken stöbern Gruia im Land von Haţeg, einer Stadt im heutigen Ardeal, auf ("În

Ţara Haţegului", v 1).

25.4. Ballade Novac vinde pe Gruia

In 203 Versen wird die Geschichte von Gruia und seinem Vater Novac erzählt. Aus Wut

über seinen Sohn will Novac diesen in Ţărigrad (= Konstantinopel / Istanbul oder Byzanz)

verkaufen. Dort jedoch traut sich niemand, Gruia als Sklaven zu nehmen. Auf dem

Rückweg treffen sie Bula, eine Frau des Kaisers, die Gruia als Reiter ihrer Pferde kauft

("nu te-am luat robuleţ, /Ci te-am luat călăreţ", v 91-92). Dieser verlangt in der Folge von

Bula, das Pferd reiten zu dürfen, damit sie - wie er vorgibt - sehen könne, ob er ihr gefalle.

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Wien, am 02.06.11, Seite 162 von 259

Bula ist einverstanden und Gruia nützt die Gelegenheit. Er flieht zu Pferde und mit Säcken

voller Geld. Das Heer des Kaisers holt ihn ein, er flieht von neuem und erreicht seinen

Vater. Dieser übernimmt allein die Verteidigung gegen die Türken, die er ohne Ausnahme

tötet. Die primären Protagonisten dieser Ballade sind die zwei rumänischen Figuren, über

die und über deren Welt hauptsächlich etwas erzählt wird. Die Figur Gruias "entsteht"

aufgrund einer ganzen Reihe von Beschreibungselementen: der Art, wie er genannt wird (er

wird z.B. in Vers 5 und 9 liebkosend als puiul neichii 'Kindchen des Vaters' angesprochen),

seinem Aufenthaltsort ("La cei munţi de steridal, /La cerdacul lui Novac": 'in den Bergen -

möglicherweise des Ardeal, die Bedeutung ist nach Amzulescu, vol. III: 477 unklar - /in

der Hütte des Novac; v 2-3), den Leidenschaften für Alkohol und Vergnügungen, die er mit

den Angehörigen seiner Familie teilt ("Toţi beau şi se veselesc": 'Alle trinken und

vergnügen sich', v 7), einer bestimmten Glaubensauffassung derselben ("Pe Dumnezeu

pomenesc": 'Gott erwähnen sie', v 8), der Beziehung zu seinem Vater, der ihn manchmal

zähmen muß ("La Gruia se slobozea /Şi o palmă îi trăgea": '(Novac) ging zu ihm /und gab

ihm eine Ohrfeige', v 25-26), seiner Leidenschaft für Pferde und seiner Reitkunst ("Cînd

Gruia calul vedea, /La inimă îl strîcnea, /Frîul în cap îi punea, /Binişor îl înşela, /Sus pe el

se arunca": 'als Gruia das Pferde sah /stach es ihm im Herzen, /er legte ihm den Zaum an,

/er sattelte es behutsam, /er schwang sich hinauf'; v 111-115), etc. Was Gruias betrifft, fällt

weiters auf, daß er den Türken Angst einflößt: "... nime nu cuteza /Pe Gruia de-a-l

cumpăra": 'niemand (unter den Türken) wagte es, Gruia zu kaufen' (v 38-39). Gegenüber

den Türken verhält sich Gruia mutig. Trotz ihrer numerischen Überlegenheit gelingt es

ihm, als er auf seiner Flucht eingeholt wird, viele von ihnen zu töten: "Săbioara îşi trăgea,

/Mulţi turci el că îmi tăia" (v 167-168). Im Vergleich zu Gruia ist Novac, wie das Ende der

Geschichte erzählt, den Türken vollständig überlegen. Er tötet alle Türken, sodaß nur ein

Haufen von ihnen übrigbleibt: "Şi cum turcii îmi venea, /Printre ei se slobozea /Şi pe toţi îi

prăpădea... /Toţi turcii fură polog!": 'Als die Türken kamen /brach er gegen sie los /und

vernichtete alle... /alle Türken waren ein Haufen' (v 196-200).

Namen / Bezeichnung:

a) Es tritt auf o Bulă-mpărătească, eine Frau des türkischen Kaisers, die als "Doamnă din

ţară turcească" (v 43-44) definiert wird. Angesichts ihres Status wird sie nicht sehr höflich

angesprochen: "Auzi, Bulă dumneata": 'Hör mal Bulă !' (v 119).

b) Ohne weitere Erläuterung wird ein vizir, ein Wesir / Minister (v 93) erwähnt.

c) Die handelnden Sujets in Vers 155 sind Türken (turcii se rîdea: 'die Türken lachten', v

155).

d) Kurz erwähnt wird ein Kaiser, zu dem Bula um Hilfe geht: "La-mpăratu se ducea", v

160).

e) Dann tritt noch ein türkisches Heer in Aktion, das der Kaiser aufstellt, um Gruia

zurückholen zu lassen: "Oaste el îmi rădica, /După Gruia se lua" (v 162).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Als (eine) Frau am kaiserlichen Hof, verfügt Bula über Diener: "O dată din pălmi

plesnea, /Două slugi că îmi veneau": 'sie klatschte einmal mit den Händen /zwei Diener

kamen' (v 106-107). Sie verfügte weiterhin, folgen wir dem Text, über einen Wesir:

"vizirul mi-o murit": 'mein Wesir ist gestorben' (v 93) und sie hat direkten Zugang zum

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Wien, am 02.06.11, Seite 163 von 259

Kaiser, auf den sie auch Einfluß hat: "La-mpăratu se ducea, /De-mpăratu se ruga, /Oaste el

îmi rădica": 'Sie ging zum Kaiser /sie bat ihn /er stellte ein Heer auf' (v 160-163).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Bula läßt sich von Gruia überlisten: "Auzi, Bulă dumneata... /Adă bani de zdrîncănit,

/Să-i pun lîngă şauă... /Şi hai prin oraş cu mine, /Ca să mă probeşti tu bine, /Să mă vezi

cum m-o şedea, /Fi-oi eu frumos sau ba !... /Desagi de galbini umplea /Şi la şaua îi punea.

/Porţile le descunea... /Dară Gruia ce făcea ? /Fuga mare că îmi da, /Din oraş afar' ieşea /Şi

napoi nu se-ntorcea": 'Hör mal, Bulă, /Sammle Geld, daß es klirrt, /ich werde es neben dem

Sattel geben /und ich reite los in die Stadt, /damit Du mich gut erproben kannst, /damit du

siehst, wie ich aussehe, /(damit du siehst,) ob ich schön bin oder nicht. /Sie (= Bula) füllte

Säcke mit Talern /und gab sie auf den Sattel. /Sie öffnete ihm die Tore... /Aber was tat

Gruia ? /Er flüchtete so schnell er konnte, /er ritt aus der Stadt /und kehrte nicht mehr

zurück' (v 121-154). Die Darstellung der Bulă, die den Worten des Gruia glaubt und ihn in

naiver Weise auch noch mit Säcken voller Geld wegreiten läßt, erweckt den Eindruck, die

Türkin sei ziemlich dumm.

Moral und moralische Eigenschaften:

c) Die Türken zeigen sich schadenfroh. Sie verlachen und verspotten die von Gruia

überlistete Bula: "Iară turcii se rîdeau, /Joc de Bula îşi băteau" (v 155-156).

d) Gegenüber Gruia treten die Türken, wie oben schon erläutert wurde, als Feinde auf.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

Beim Anblick des Pferdes, das er reiten soll, ist Gruia außer sich vor Freude (siehe oben v

111-112). Der Wesir (der kaiserliche Hof also) ist im Besitz ausgezeichneter Pferde.

Attribute:

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Als Gruia Bula überredet hat, ihm Geld zu geben, breitet er seine Kleidung aus und sie

gibt ihm das Geld, wie es im Text lautet, mit Schaufeln "Novac chepeneag aşternea, /Îi da

banii cu lopata" (v 71-72). Nach dieser Darstellung ist Bula also überaus vermögend.

b) Aus den Worten der Bula geht hervor, daß auch der Wesir über einen großen Reichtum

verfügte. Er besaß auserlesene Pferde, wie wir gesehen haben (cf. Inhaltsangabe,

Leidenschaften), gute Waffen am Sattelknopf und Geld "zum Klirren": "vizirul mi-o murit

/Şi-a rămas cal de călărit, /Arme bune la oblînc, /bani destui de zdrîncănit!" (v 93-94).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Der Ort wo die Protagonisten der Geschichte aufeinandertreffen, ist die Stadt Istanbul, in

die Gruia aufgebrochen war: "(pornea) În oraş, în Tărigrad" (v 31).

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25.5. Ballade Turcul şi Novăceştii

Der Text erzählt in 303 Versen die Geschichte eines Türken und seiner Begegnung mit

Novac, Gruia, Iova und Badea. Im Auftrag des Kaisers handelnd, soll der Türke die

Novăceşti fangen. Dazu begibt er sich in die Berge und lockt mit seinem Jauchzen

nacheinander Gruia, Iova und Novac an, überwältigt und fesselt sie. Auf seinem Weg zum

Kaiser überwältigt und tötet er auch Bădiţa. Die Worte Novacs aber erwecken im Türken

eine Erinnerung. Er war nicht immer Türke gewesen und hatte mit Badea seinen Bruder

getötet ("Şi aminte-şi aducea /Că-un frate cîndva avea /Cînd încă creştin era", v 216-217).

Auf die Bitten des Türken hin erweckt Novac Badea wieder zum Leben. In Freundschaft

begeben sich alle fünf zur Hütte des Novac, wo ein jeder seine Fähigkeiten zum Besten

hält. Der Türke will nicht glauben, von der Stimme des Novac getötet werden zu können,

verlangt eine Probe und findet den Tod, als er vom Schrei des Novac vom Stuhl fällt. Die

Darstellung der Widersacher des Türken geschieht in vielen Parametern. Dazu zählen z.B.

die Bezeichnungen der Figuren (Novac, pe Novăceşti...voinicii romîneşti; Gruio, puiul

neichii (v 7-8; 26), ihr Wohnort (la munte, v 16), Altersangaben (bătrînul de Novac, v 23),

ihre Behausung (cerdac, v 24), ihre Verwandtschaft untereinander (Iovo, nepotul meu, v

86), der Hinweis auf ihre christliche Religion/Kultur ("Bată-mi-te Dumnezeu": 'Gott soll

dich schlagen', v 102), ihre Ausrüstung mit Degen und Streitkolben, wie sie an Novac

sichtbar wird ("Sabia-n mînă-şi lua, /Buzdugan la brîu punea", v 137), ihre Fähigkeiten,

Talente und moralischen Handlungen, die sie als überaus prahlerisch beschreiben: "Bădiţă

se lăuda /Că-i vînător num-asa; /Ioviţă mi se lăuda /Că ştie bine-a lupta; /Gruia... /Că ştie

bine-a tăia; /Novac... /Că ştie bine-a striga": 'Bădiţă lobte sich, /daß er ein Jäger ist;

/Ioviţă..., /daß er gut zu kämpfen weiß; /Gruia..., /daß er gut zu töten weiß, /Novac... /daß er

gut zu schreien weiß', v 257-265), etc. Bei der Begegnung mit dem Türken, fordern die

Protagonisten dies zum Kampf auf: "Vin´ cu mine la război, /Să ne lovim amîndoi !":

'Komm mit mir zur Schlacht, /damit wir miteinander kämpfen !', v 59-60). Die Ballade

enthält eine Reihe von phantastischen Elementen (cf. Abschnitt 20.).

Namen / Bezeichnung:

a) Es tritt auf ein Kaiser, dessen Namen nicht gennant wird ("Împărat s-a sfătuit /C-un

turcuţ micuţ, isteţ", v 2-3).

b) In der Bezeichnung eines auftretenden Türken verbinden sich ein Ethnonym mit zwei

Adjektiva, die den Genannten physisch und geistig beschreiben: un turcuţ micuţ, isteţ 'ein

sehr kleiner, ziemlich schlauer Türke' (v 3). Gruia ruft den Türken als Dummer Türke an:

"Turcule, bolîndule" (v 55). Als Iova den Türken trifft, spricht er ihm gegenüber eine

Verwünschung aus: "Bată-mi-te Dumnezeu": 'Gott soll dich schlagen' (v 102). Novac und

später Bădiţa hingegen sprechen ihn an als Turcule, viteazule: 'Tapferer Türke' (v 143, 189)

an. Während der gesammten Handlung trägt der Protagonist keinen anderen Namen als

turcul.

NB In einer allgemeinen Aussage, die sich auf keinen der türkischen Protagonisten im

speziellen bezieht, liefert uns der Autor der Erzählung eine Beschreibung und darüber

hinaus eine Verwünschung des Türken: "Dar turcu-i ca cînele, /Scurte-i Domnul zilele":

'Aber der Türke ist wie der Hund, /Gott soll ihm die Tage (= das Leben) kürzen' (v 60-61).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Page 165: Der Fremde als «Anderer». Eine Studie der diskursiven ... · Der Fremde als «Anderer». Eine Studie der diskursiven Konstruktion des Mauren und des Türken im Echo romanischer

Wien, am 02.06.11, Seite 165 von 259

a) Folgen wir dem Text, hält der Kaiser mit einem Türken Rat ab. Dieser leistet seinem

Befehlsgeber einen Eid, um seinen Auftrag auszuführen: "Împărat s-a sfătuit /C-un turcuţ...

/Turcu se prindea... /Legătuinţă făcea" (v 2-12).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

b) Der Türke hat krauses Haar: "Turculeţ cu părul creţ" (v 4). Wie schon gezeigt wurde, ist

der Türke von kleinem Wuchs (un turcuţ micuţ, v 3; cf. Namen). Auffällig ist die Betonung

dieser Charakteristik durch die dreimalige Wiederholung des Sems klein: zweimal als

Diminutiv-Morphem (-uţ) und einmal mit dem Lexem klein (mic).

Kleidung / Ausstattung:

b) Ein cal gălbinior, ein 'falbenes Pferd' (v 5), weist den Türken als Reiter aus. Dieser trägt

einen Streitkolben (buzdugan, v 66) und einen Degen: "Săbioara îşi trăgea" (v 207).

Körperliche Eigenschaften:

b) Der Türke wendet sehr plötzlich seine Waffe (cf. v 63-73 ad Moral). Das könnte den

Eindruck erwecken, er sei sehr behende.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

b) Einerseits wird der Türke, wie schon erörtert wurde, als schlau beschrieben (un turcuţ...

isteţ, v 3), andererseits wird er in den Worten seines Gegners als Dummer angerufen (cf. v

55). Das Handeln des Türken zeigt - nocheinmal - ein gewisse Schlauheit: Der Türke hat

mit dem Kaiser abgesprochen, die Novăceşti zu fangen, was ihm auch mit einer gewissen

Kunst gelingt. Er weiß, wie er seine Feinde fangen kann und benützt eine List. Mit

Schreien und Jauchzen lockt er sie nacheinander an ("Şi-ncepea de-mi chiotea, /De tot tare

îmi ţîpa...", v 17-18).

Moral und moralische Eigenschaften:

b) Ohne Worte nähert sich der Türke Gruia, er handelt plötzlich, nimmt Gruia die Augen

weg und bringt ihn in ein Tal, wo er den leblosen Gruia mit Schnüren festbindet: "Nimica

nu îmi vorbea, /De Gruia s-apropia, /Mîna la brîu îşi punea, /Buzduganul îşi trăgea, /O dată

îl răsucea, /Ochii Gruii îi fura, /Şi-unde, Doamne, că îmi da ? /De la vale de buric, /Unde-i

moartea de voinic. /Ţapăn Gruia poticnea, /Curea turcu şi-l lega" (v 63-73; cf. Abschnitt

20.). Er führt die Gefangenen, Gruia, Iova und Bădiţa, wie Tiere weg: "Dinapoi că mi-i lua,

/Dinapoi, /Ca pe trei boi" (v 178-180). Gegenüber seinen Feinden geht der türkische

Protagonist also mit Härte vor. In der Begegnung und im Kampf mit Novac allerdings wird

er - wiederholt - als derjenige gezeigt, der sich ängstigt: "Dar turcul, dacă-l vedea, /Zău, şi

lui frică-i era" (v 151-152); "Turcul mi se cam temea" (v 162); "Tare se mai spăria" (v

167). Die schon erwähnte abschätzende Afirmation turcu-i ca cînele (v 61 und wiederholt

in v 108), hatte ganz allgemein die Figur des Türken mit dem Bild einer böse handelnden

Person assoziiert (cf. Ballade Nr. 32). Tatsächlich bringt der Türke Bădiţa den Tod:

"Săbioara îşi trăgea.../Măţişoare îi vărsa": 'Er zog das Schwert.../er schlitzte ihn auf' (v 208-

209). Andere moralische Kennzeichen des Türken sind Einbildung und Listigkeit, über die

er sich vor den anderen brüstet: "Se lăuda turcu că ştie /Să-nşele cu viclenie" (v 255-256).

Religion / Ideale:

b) In der Verwünschung Gruias "Bată-te legea turcească" (v 56, wiederholt in 191) spiegelt

sich die Zugehörigkeit des Türken zu einer islamischen Gesellschaft. Aus einer anderen

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Wien, am 02.06.11, Seite 166 von 259

Passage des Textes geht deutlich hervor, daß der Protagonist einst zum Islam übergetreten

ist: "Capul în pămînt punea /Şi aminte-şi aducea /Că un frate cîndva avea /Dar de cînd el s-

a turcit, /Frate-so l-a părăsit": 'Er senkte den Kopf zu Boden /und erinnerte sich /daß er

einst einen Bruder hatte, /aber seit er sich bekehrte, /hat er seinen Bruder verlassen' (v 214-

219). In diesen Versen ist die Erwähnung der "anderen Religion" mit der Erwähnung eines

schlecht handelnden Menschen besonders deutlich gekoppelt. Die Handlung des Türken

"erzählt", daß ein Mohammedaner sogar seinen eigenen Bruder verläßt.

Leidenschaften: ——

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.): ——

25.6. Ballade von Marcul Viteazul

Die 318-versige Ballade handelt vom gleichnamigen Protagonisten Marcu, von einem

Türken und von Lidva, der Geliebten des Türken und Mutter des Marcu und schließlich

von einem Diener. Marcu und der Türke zechen vergnüglich in einem Gasthaus, bis Lidva

die beiden Männer überredet, um den Einsatz ihres Lebens zu trinken. Derjenige, der beim

Trinken unterliegen wird, soll seinen Kopf durch einen Säbelhieb verlieren. Heimlich bittet

Marcu, als er sich nicht gewinnen sieht, seine Mutter, sie solle den Türken überlisten. Doch

Lidva vertauscht die Gläser zugunsten des Türken und es ist Marcu, der aufgrund eines

versetzten Getränkes betrunken wird und schließlich einschläft. Der Türke zögert

angesichts des eingeschlafenen Marcu, diesem den Kopf abzutrennen, doch Lidva

ermuntert ihren Geliebten zu dieser Tat. Der Diener des Marcu kommt dazwischen. Eine

Ohrfeige desselben kann Marcu aus seinem Tiefschlaf reißen. Marcu nimmt bittere Rache

an Lidva und ihrem Geliebten, die er gemeinsam verbrennen läßt. Die Erzählung verleiht

den rumänischen Figuren (einige) typische Charakterzüge. So wird Marcu beschrieben als

Tapferer, als der Mutigste unter den Mutigen, als Derjenige, der Ketten zerschneidet, als

der Schlächter der Türken: "’N drumul Ţarigradului... /E cîrciuma Marcului, /Marcului

viteazului, /Voinicul voinicilor, /Tăietorul frîncilor, /Măcelarul turcilor" (v 2-8). Am Tage

ist Marcu Gastwirt, des Nachts aber schlachtet er die Türken: "Marcul ziua-i cîrciumar,

/Noaptea mi-este măcelar" (v 17-18). Er liebt es, zu zechen und tut dies - im folgenden -

unaufhörlich und in Begleitung des Türken: "Ei tot bea /Şi se cinstea... /Şi iar bea, /Se-

nveselea" (v 33-38). Auch Lidva und der Diener zeigen - handelnd oder in ihrer

Beschreibung - Eigenschaften, die ihnen ein jeweils spezifisches Porträt bzw. einen

spezifischen Charakter verleihen. Außer mit physiognomischen Zügen, wird Lidva auch

charakterlich dargestellt. Sie hat ein chip de puic-aleasă 'ein Antlitz eines besonderen (=

besonders hübschen) Liebchens' (v 15), ist aber von großer Schlechtigkeit / Bösartigkeit.

Sie ist es, wie schon erwähnt wurde, die ihren Sohn und ihren Geliebten zur Wette auf

Leben und Tod anstachelt und keinerlei Mitleid mit Marcu hat, wie aus ihrer Erinnerung an

die Wette und indirekten Aufforderung an den Türken, er solle die Tat beenden, deutlich

hervorgeht: "Turcule... /Ştii c-a fost rămăşagul... /La cine s-o îmbăta, /Ãlalt capul i-o tăia !"

(v 160-165). Der Diener z.B. wird als gut, klug ("Slugă dreaptă /Şi-nţeleaptă...", v 195-196)

und als seinem Herrn ergeben gezeigt. Letzteres machen v.a. die Einsätze des Dieners

deutlich, die mit einer Ohrfeige Marcus als einzigem Mittel, den Betrunkenen aus seinem

Schlaf zu reißen, enden: "O palmă (sluga) Marcului da..., /Marcul mi se deştepta" (v 236-

238). Marcu rächt sich, wie oben schon angedeutet wurde, grausam an seiner Mutter und

dem Türken, die er beide töten wird. Er läßt von seinem Diener eine Grube ausheben, Holz

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Wien, am 02.06.11, Seite 167 von 259

hineinlegen und ein Feuer entzünden: "Groapă mare-mi destupa, /Lemne-ntr-însa

grămădea, /Lemnelor foc că dedea..." (v 275-27). Lidva und ihr Geliebter sollen

gemeinsam sterben. Dies bringt Marcu ironisch zum Ausdruck, als er den Türken

auffordert, seine Geliebte zu küssen, die er in diesem Moment in die brennende Grube

wirft: "Ia să-mi săruţi pe maica... /Şi pe mă-sa dezlega, /În groapă c-o arunca" (v 292-296).

Lidva und der Türke verbrennen gemeinsam in dem Feuer, was Marcu aber noch nicht

genügt: "Amîndoi se-mbrăţişea, /Amîndoi că se topea. /Şi cînd, măre, mi-i scotea, /Carnea

pe la cîini o da, /Oasele ce-mi alegea... /Scrumul că mi-l ciuruia /Şi la vînt că-l arunca":

Beide (= Mutter und Türke) umarmten sich, /gemeinsam verschmolzen sie /und als

(Marcu) sie herausnahm /gab er das Fleisch den Hunden /er sammelte die Knochen... /er

durchsiebte die Asche /und warf sie in die Luft (v 299-307). Die Vernichtung der beiden ist

also vollkommen.

Namen / Bezeichnung:

a) Nur einmal kurz erwähnt wird die Figur eines türkischen Kaisers, der über einen kleinen

Hafen in der Nähe von Ţarigrad / Istanbul verfügt: "’N drumul Ţarigradului, La schela-

mpăratului..." (v 2-3).

b) Der türkische Protagonist wird durchgängig mit einem Ethnonym benannt. Er ist

zunächst nicht handelndes Subjekt. Er wird in der Beschreibung Lidvas erwähnt, die als die

Geliebte des Türken ("Ţiitoarea Turcului", v 13) bezeichnet wird. Cf. auch Geistige

Eigenschaften.

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Wie schon gezeigt wurde, wurde die Mutter des Marcu als Ţiitoarea Turcului bezeichnet.

Vers 67, 111, 157, etc. wiederholen diese Beschreibung ("Ibovnică-i Turcului"). Das DRG

gibt uns für ţiitoare u.a. die Definitionen Beischläferin, Nebenfrau, Konkubine an. Der

Türke könnte also mehrere Frauen haben.

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

b) Cf. Attribute. Der Türke trägt ein Krummschwert. Es ist die Waffe, mit der er Marcu

töten will: "Mîna pe hanger punea, /Paloş din teacă scotea": 'Die Hand legte er an das

Krummschwert, /aus der Scheide zog er den Säbel' (v 167-168).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

b) Der Türke wird siebenmal dumm genannt. Diese Charakterisierung ist sehr deutlich und

thematisch gewissermaßen hervorgehoben. Sie folgt sofort nach der (ersten) Nennung der

Person. So ist, wie schon erwähnt wurde, Lidva die Geliebte des Türken, des dummen

Türken ("Lidva, muma Marcului, /Ţiitoarea Turcului, /Turcului bolînului", v 11-13 und

wiederholt in v 26, 68,112, 134, 161, 212). Marcu hat den Plan, wie schon erwähnt wurde,

seinen Zechkameraden mit der Hilfe seiner Mutter zu überlisten. Sie soll Spiritus und

Schnaps in das Glas des Türken geben: "Maică, ce m-am gîndit eu /Ca să-mi scapi tu capul

meu ? /Ia tu, maică, să te scoli, /Şi paharul Turcului... cu spirt să-l împlineşti, /Cu rachiu

să-l întăreşti, /Să dai Turcului să bea" (v 93-101). Diese Darstellung zeigt, daß der Türke

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Wien, am 02.06.11, Seite 168 von 259

überlistet werden könnte, ein mögliches Indiz für seine Einfältigkeit (und - im Gegensatz

dazu - ein Indiz der Listigkeit / Klugheit des Marcu).

Moral und moralische Eigenschaften:

Der Türke macht sich daran, die mit Marcu abgeschlossene Wette zu beenden und diesem

den Kopf abzutrennen ("Mîna pe paloş punea, /De Marcul s-apropia", v 190-191), als er

angesichts des schlafenden Marcu von großem Zweifel gepackt wird. Seine Gedanken

quälen ihn und er bringt es nicht übers Herz, ihn zu töten: "Şi, măre, se tot gîndea, /Se

gîndea, se socotea /să-i taie capul sau ba; /Că Turcul este păgîn, /Dar de inimă blajin, /Şi

cugetul că-l mustra, /Şi inima nu-l lăsa /Să-l omoare ameţit, /Să-l omoare adormit" (v 170-

178). Der Türke ist Heide und von Herzen (ist er) weich, lautet der Text, der dem

Protagonisten eindeutig einen gutmütigen Charakter zuweist. Es ist schlußendlich auch

Lidva, die den Türken zur Tat anspornt: "Ea da ghesul /Turcului /Să ia capul /Marcului" (v

184-187). Die Tatsache, daß sie ihn dazu überreden kann, enthüllt erneut die Weichheit

seines Charakters. Neben dieser Eigenschaft gibt es eine zweite, die uns der Text skizziert.

Um Marcu zu wecken, tritt der Diener die Türken mit dem Fuß ein. Dieser Lärm läßt den

Türken zu Tode erschrecken, er ist also sehr furchtsam: "(Sluga) Uşe /Cu piciorul spărgea...

/Şi pe Turc îl speria... /Turcul, măre, -ncremenea" (v 206-215).

Religion / Ideale:

Die Bezeichnung turcul păgîn (im Text im Genetiv, cf. v 113) nennt explizit - und ohne

jede weitere Erläuterung - den Türken Heiden oder Häretiker.

Leidenschaften:

b) Marcu und der Türke, wie wir bereits gesehen haben, zechen fröhlich in einem fort, eine

Szene, die viele Male wiederholt wird: "Ei tot bea /Şi se cinstea... /Şi iar bea, /Se-nveselea,

/Nici unul nu se-mbăta" (v 33-49). Der Umstand, daß trotz des vielen Trinkens der Türke

(genausowenig wie Marcu) betrunken wird, erweckt die Vorstellung, er (in gleicher Weise

wie der rumänische Protagonist) würde sehr viel vertragen, gewöhnlich also, sehr viel

trinken. Diese Vorstellung wird auch bildlich untermalt. Der Türke trinkt mit seinem

Pantoffel: "Bea-mi-şi Turcul /Cu papucul" (v 50-51), was den Eindruck erweckt, es durstet

ihn so, daß er sein Getränk mit dem Pantoffel schöpft - in gleicher Weise trinkt Marcu mit

seinem carîmbul, seinem Stiefel (cf. v 52-53).

Attribute:

b) In der Darstellung des zechenden Türken, wurde, wie wir gesehen haben, der Pantoffel

des Türken erwähnt ( cf. v 50-51). Marcu fesselt seinen Widersacher mit einem Tuch: "Un

cearşaf verde lua, /Şi pe Turc daca-l lega" (v 269-270). Ein cearşaf wird im DEI als eine

"Pînză albă ce se aşterne pe pat" angegeben. Auffällig ist, daß im spezifischen Kontext der

Handlung - dem Fesseln eines Feindes - die (grüne) Farbe des Tuches erwähnt wird.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

b) Der Türke zecht mit Marcu in einer Gaststätte, die sich, wie wir schon gesehen haben,

auf dem Weg nach Istanbul befindet (cf. oben, v 1-4).

25.7. Ballade von Iancul Mare

Diese Kreation erzählt in 160 Versen den Versuch eines Paschas, den Haiducken Iancul

Mare zur Konversion zum "türkischen Glauben" zu überreden. Dreimal erklärt sich Iancu

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Wien, am 02.06.11, Seite 169 von 259

gegen den Erhalt einer großen Belohnung damit einverstanden. Dreimal erhält er Vieh und

andere reiche Güter, die er von den Türken verlangt. Doch er konvertiert nicht. Schließlich

verspricht er noch einmal seine Bekehrung, verlangt aber, daß einhundert Türken an der

Zeremonie teilnehmen sollen. Als diese sich in seiner Gaststätte versammelt haben,

schließt er sie ein, nimmt ihnen ihre Säbel ab und zwingt sie dazu, Schweinefleisch zu

essen. Als die Türken später bei ihrem Kaiser vorsprechen, müssen sie diesem gestehen,

daß anstelle Iancu zu bekehren, sie selbst zu Christen gemacht worden seien. Zum

Verhältnis des rumänischen Protagonisten zu den türkischen ist zu bemerken, daß primär

die Figur des Rumänen als handlungsbestimmend auftritt. Zwar sind es die Türken, die

Iancu bekehren wollen, aber es ist Iancu, der den Türken gegenüber Forderungen stellt. Der

Paşa und die Türken erfüllen, wie noch gezeigt werden wird, (alle) seine Wünsche. Am

Ende der Erzählung fällt weiters auf, daß Iancu als einzelner einer großen Anzahl von

Türken gegenübersteht, die er, wie wir sehen werden, auch alleine bezwingt. Iancu scheint

ein Protagonist ganz besonderer Eigenschaften zu sein.

Namen / Bezeichnung:

Alle auftretenden Personen tragen einen Titel (cf. Turzismen):

a) Der erste türkische Protagonist ist ein Pascha, der ausschließlich in dieser Funktion

genannt wird. Der Titel kommt in Verbindung mit einem Toponym vor (Strigă paşea-al

Diiului", v 2).

Iancu richtet folgende Worte an den Pascha: "De paşe, să mă turcesc, /D-oi putea să mă-

nvoiesc, /Ia să-mi daţi, dacă mă vreţi, /Turc ca voi să mă vedeţi, /Vro cincizeci /De

berbeci": 'Wenn, Pascha, ich zum Islam übertreten werde, /wenn ich mich beugen werde

können, /nun dann gebt mir, /wenn ihr mich als Türken sehen wollt (wie ihr es seid) /so

fünfzig Widder' (v 18-23 ). Iancu spricht in seiner Antwort, wie man aus den zitierten

Versen ersehen kann, einerseits den Pascha im Singular (paşe), andererseits eine Gruppe

von Türken im Plural (voi...să mă vedeţi) an. Er bezieht sich also stellenweise auf eine / die

Gemeinschaft von Türken bzw. "den" Türken in einem verallgemeinernden Sinn.

b) Ein Wesir, eine Art Minister, wird genannt ("La vizirul că vestea", v 32).

c) Erwähnt wird ein Kaiser, der vom Pascha unterrichtet wird ("La-mpăratul că scriia", v

33).

d) Es treten auf eine Gruppe von fünfzig Agas ("vro cincizeci de agale", v 88).

e) Eine zweite Gruppe von fünfzig Paschas ("vro cincizeci de paşale", v 89) nimmt am

Geschehen teil.

f) Erwähnt werden - in der Forderung Iancus’ nach Schätzen - Kadinnen, die aber nicht

handelnd auftreten ("(...) să-mi daţi... / Din darul cadînilor, v 52-59).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Der Text liefert uns Hinweise bezüglich der Struktur und der Hierarchie des islamischen

Staates und der Zeremonie am Hof. Der Pascha verwendet Iancu gegenüber die Anrede /

den Titel bei (5-6) Diese Anrede stellt den Rumänen als Beamten der Hohen Pforte dar (ad

beiu cf. Turzismen). Der Pascha unterrichtet sowohl den Wesir, als auch den Kaiser über

die Forderungen, die Iancu stellt: "La vizirul că vestea", "La-mpăratul că scriia" (v 32, 33).

Am kaiserlichen Hof gibt es mehrere Frauen. Diese erhalten (reiche) Geschenke. Das geht

aus der Forderung Iancus’ nach Schätzen aus dem Geschenk für die Kadinnen hervor: "(...)

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Wien, am 02.06.11, Seite 170 von 259

să-mi daţi... /Din darul cadînilor (v 52-59; cf. Soziale Stellung). Die Agas und Paschas

machen vor dem Kaiser eine Verbeugung und küssen ihm Kleidersaum und die Hand:

"Temeneaua că-şi făcea, /Poala, mîna-i săruta" (v 155-156). Außer dieser Skizzierung einer

bestimmten Gesellschaftsstruktur, "projiziert" das Handlungsgeschehen auch

Vorstellungen bestimmter kultureller Gepflogenheiten der Protagonisten. Wie schon in der

Inhaltsangabe vorweggenommen wurde, verspricht Iancu den Türken (dreimal), zum Islam

überzutreten. Als Entschädigung dafür verlangt er (dreimal) eine große Entschädigung (să-

mi daţi, cf. Soziale Stellung), mit der sich der Pascha als einverstanden zeigt. Diese

Handlungen illustrieren eine gewisse Bereitschaft des/der Türken, zu handeln. Nachdem

Iancu die Türken in seinem Gasthaus hat Platz nehmen lassen, setzt er ihnen gebratenes

Schweinefleisch vor und zwingt sie mit den folgenden Worten, dieses zu essen: "Cărui n-o

mînca purcelul /I se duce sufleţelul !" / Derjenige, der nicht vom Schwein essen wird, /wird

seine Seele (= Leben) verlieren' (v 133-134). Es scheint, die Türken essen dieses Fleisch

normalerweise nicht (cf. Religion).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

Dreimal fordert, wie wir gesehen haben, Iancu für seine Bekehrung eine Entschädigung

von den Türken. Dreimal gibt der Pascha - mit dem Einverständnis des Kaisers und des

Wesirs -, Iancu alles, was dieser verlangt hat: "Toate că i le dedea", "Paşa toate i le da",

"Toate că i le-mplinea" (v 34, 62, 82). Aus diesem Verhalten könnte man schließen, daß

der Türke / die Türken in gewisser Weise gutmütig sind. Das ist auch die Eigenschaft, die

der Pascha allgemein dem Türken zuweist und um deren Willen er Iancu zur Konversion

auffordert: "dă-te-n legea turcească, /Că e turcul omenos...!": 'Nimm das türkische Gesetz

doch an, /denn der Türke ist gut / gütig' (v 45-46). Die Erzählung skizziert uns eine weitere

Eigenschaft der Protagonisten. Wir haben schon erwähnt, daß Iancu seine Gäste zwingt,

vom Schweinefleisch zu essen. Er zieht sein Schwert und stellt sich mit dem Rücken gegen

die Tür: "Lată sabie scotea, /Spatele-n uşe punea" (v 130-131). Sein Auftreten reicht aus,

um einhundert türkische Soldaten dazu zu bringen, zu essen, was sie nicht essen wollten:

"Turcii din purcei mîncau" (v 136). Wie die folgende Darstellung belegt, lassen die Türken

das entwürdigende Vorgehen Iancus über sich ergehen: "Cu hartane-i îmbiia; /La cîţi carne

n-ajungea, /Oase-n gură le punea...": 'er stopfte sie mit großen Stücken, /denjenigen, für die

das Fleisch nicht ausreichte, /stopfte er Knochen in den Mund' (v 138-143). Der Umstand,

daß die Türken Iancus Aufforderung Folge leisten und sich in keiner Weise gegen ihn

wehren, zeigt ihre große Angst bzw. die charakterliche Schwäche der Protagonisten.

d) e) Iancu fordert die in seiner Gaststätte versammelten Türken auf, ihre Säbel abzulegen.

Danach fordert er sie auf, damit niemand (unter den Rumänen) die Zeremonie sehen kann,

mit ihren Turbanen die Fenster zu verdecken: "Descingeţi /Sabiele, /Dezlegaţi /Cealmalele,

/S-astupaţi /Ferestrele /Că cine mi se turceşte /Cu greu se mai romîneşte !" (v 113-120).

Die Türken glauben den Worten des Iancu, der einen Weg gefunden hat, seine Feinde zu

entwaffnen: "Turcii sabii descingeau... /Slugile că le cărau" (v 121-123). Das Aufgehen

Iancus’ List und das blinde Vertrauen der Türken, lassen diese dumm / naiv erscheinen.

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Religion / Ideale:

a) Die Aufforderungen des Paschas an Iancu zeigen einen treuen Anhänger des islamischen

Glaubens: "Strigă paşea-al Diiului /Din vîrful mecetului: /Turceşte-te, Iancule, /Turceşte-

te... /Lasă-ţi legea romînească /Şi dă-te-n legea turcească": 'Es schrie der Pascha des

Divans, /von der Spitze der Moschee /werde Moslem, Iancu, /werde Moslem... /laß ab vom

rumänischen Glauben /und tritt über zum türkischen Gesetz' (v 2-8). In Vers 3 wird das

Gebäude, die Moschee (mecet), genannt, von der aus der Pascha nach Gläubigen ruft. Die

Aufforderung zur Bekehrung ergeht im Laufe der Erzählung dreimal an Iancu (v 4, 13, 41).

Schon diese Insistenz weist - implizit - auf die tiefe Bedeutung, die der Glauben in der

Welt des Paschas einnimmt. Diese Bedeutung wird auch explizit zum Ausdruck gebracht.

Iancu solle sich bekehren, wegen der innerlichen Erfüllung, die der Islam bringt: "(...) dă-

te-n legea turcească, Că-i de Dumnezeu lăsată /Şi mai mult îndestulată /Şi de aur, şi de-

argint, /Şi de miere, şi de unt": 'Bekehre dich zum türkischen Glauben, /denn er ist von

Gott gewollt /und erfüllender /und von Gold und Silber /und von Honig und Butter' (v 8-

12). Diese Beschreibung enthüllt eine tiefe religiöse Überzeugung des Paschas. Es fällt auf,

daß der Türke den Schöpfer der Welt mit der rumänischen Bezeichnung für 'Gott' (rum.

Dumnezeu; 44, v 9) nennt. Die Beschreibung des islamischen Glaubens als erfüllender

impliziert - als komparative Form - einen Vergleich. Da in Vers 6 Iancu als Christ

angesprochen wird ("Beiule, creştinule"), liegt ein Vergleich der Werte des islamischen

und der christlichen Religion nahe. Aufgrund der - bereits geschilderten - Bereitschaft der

Türken, die hohen Forderungen Iancus’ zu erfüllen (cf. Soziale Stellung), entsteht der

Eindruck, die Türken seien bereit, für ihren Glauben (und dessen Verbreitung) einen hohen

Preis zu bezahlen.

Leidenschaften: ——

Attribute:

d) e) Iancu fordert von den Türken, daß eine bestimmte Anzahl ihrer Vertreter seiner

Konversion beiwohnen. Seinen Worten zufolge, sollen es soviele sein, daß er mit ihren

Turbanen und Krummsäbeln die Fenster verdecken kann: "D-alei, paşe, dacă vreţi, /Turc ca

voi să mă vedeţi, /Ia faceţi de-mi trimeteţi /Cam vro cincizeci de agale, /Cam vro cincizeci

de paşale, /Cît agaua, /Şi cealmaua, /Ca s-astup ferestrele /Numai cu cealmalele /Şi cu

iataganele" (v 86-95). Bei den Säbeln handelt es sich um Waffen, die um die Mitte des

Körpers befestigt getragen werden. Dies geht aus der Aufforderung Iancus’ an die Türken

hervor: "Descingeţi /Sabiele..." (v 113-114).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

Die Forderungen Iancus’ von den Türken wurden, wie schon gezeigt wurde, ohne

Ausnahme erfüllt. Der Rumäne fordert den Erhalt von Tieren und Edelsteinen, und dies in

großen Mengen: "Ia să-mi daţi... /Vor cincizeci /De berbeci... /La gîturi cu pietre scumpe,

/Şi-n vîrful corniţelor... /Cîte-o piatră nestemată"; "(...) să-mi daţi /Vor cincizeci de boi...

/Şi-n vîrful corniţelor, /Smarandul haznalelor"; "(...) să-mi daţi cincizeci de iepe... /Cu

şelele /’Mpodobite": 'Nun dann gebt mir /fünfzig Widder, /Widder... mit Edelsteinen am

Hals /und an der Spitze der Hörner /jeweils einen Edelstein; /Nun dann gebt mir /fünfzig

Rinder... /und an der Spitze der Hörner /den Smaragd der Schatzkiste; /Nun dann gebt mir

/fünfzig Stuten /mit Satteln /geschmückten' (v 20-29, 52-58, 69-76). Die Welt der Türken

ist also eine Welt besonderen Reichtums, der in Tieren, v.a. Widdern und Stuten, aber auch

in Edelsteinen, v.a. dem Smaragd der Staatskasse und anderen (reich) geschmückten

Objekten besteht.

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Wien, am 02.06.11, Seite 172 von 259

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) In der Bezeichnung des Paschas wird der Ort Diu genannt ("Strigă paşea-al Diiului", v

2). Diu ist eine ältere Bezeichnung für Vidin (cf. Deic s.v. Diu), eine Stadt des heutigen

Olteniens, die direkt an der Donau liegt. Es wurde schon erwähnt, daß der Pascha von einer

Moschee aus handelt (cf. Religion).

c) Die Stallungen des Kaisers liegen in einer Gegend der heutigen Dobrudscha. Das geht

aus den Worten Iancus’ hervor, der Stuten aus dem Stall des Kaisers, aus dem Hinterland

Buceags verlangt: "Din grajdu /’Mpăratului, /Din fundu Buceagului!" (v 79-80).

25.8. Ballade von Bîcul Haiducul

Bîcul Haiducul ist die Geschichte in 347 Versen eines rumänischen Protagonisten, der in

der Gegend von Vidin die Wege unsicher macht und den, aus diesem Grund, der türkische

Kaiser fangen lassen will. Obwohl der Kaiser für die Gefangennahme des Haiducken viel

Geld verspricht, finden sich schließlich nur drei Kuriere, die sich aufmachen, um Bîcu

aufzusuchen. Sie finden ihn schlafend und transportieren ihn, - so wie er ist - auf einem

Bettgestell nach Istanbul. Dort unterzieht ihn der Kaiser dreier Proben seiner Kraft. Bîcu

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reißt Bäume aus, er wirft ein Pferd durch die Luft und besiegt 4000 türkische Streiter. Dies

reicht aus, den Kaiser von seiner Stärke zu überzeugen. Dieser läßt Bîcul mit Säcken voller

Geld und Edelsteinen seines Weges gehen. Wie es schon aufgrund der Handlungsstruktur

deutlich wird, ist Bîcul der primäre Protagonist der Ballade. Er wird, wie die folgenden

Verse zeigen, mittels Eigennamen, Eigenschaften, Handlungen, Wohnort, Attribute,

Weltvorstellungen, der Nennung seiner Ortszugehörigkeit, etc. dargestellt. So wird dem

Kaiser über Bîcul berichtet, der sich der Haiducke oder der Tapfere nennt ("...mi-a aflat

(împăratul), /De numele Bîcului, /Bîcului /Haiducului, /Bîcului /Viteazului" (v 7-12).

Dieser Haiducke bewacht den Weg zwischen Odriiu und der Umgebung von Vidin (Diiu

ist, wie schon erwähnt wurde, eine ältere Variante des Toponyms Vidin): "(...) a pus streajă

drumului /Din dealul Odriiului /Pînă-n preajma Diiului" (v 13-15). Er bewohnt eine Hütte

am Rande des Weges (cf. v 22-26). Er zeichnet sich aus durch Faulheit, die Türken finden

ihn schlafend, sein Pferd ist angepflockt: "Pe haiduc că mi-l găsea... /Adormit... /Şi cu

murgul priponit" (v 112-120). Er hat eine Axt ("Mîna pe baltag punea", v 153), er glaubt an

Gott (cf. v 278). Bîcul hat, wie die folgenden Verse zeigen sollen, außerordentliche Kräfte.

Er reißt sich von seinen Fesseln los, und als das Seil zerreißt, reißt er Bäume aus und

schmettert sie auf den Boden: "Num-o dată se smîcea... /Şi frînghia cînd rupea, /Copaci din

pămînt scotea, /La pămînt îl (= îi ?) dobora" (v 215-218). Als zweite Probe soll der

Haiducke ein Pferd fangen und es reiten. Bîcul geht zu dem Tier und wirft es mit seiner

linken Hand über eine Mauer: "După cal că-mi alerga... /Şi cu stînga /Mi-l zvîrlea, /Peste

zid că-l arunca" (v 242-246). In der dritten Probe stellt der Pascha 4000 türkische Streiter

auf, die Bîcul im Nu besiegt, indem er ihnen die Köpfe abtrennt. Aus diesen Köpfen macht

er einen Haufen: "Patru mii /Spahii /Scotea; /Dar Bîcul /Nici c-aştepta; /Ca vîntul /Se

repeza, /Capetele le lua, /Grămadă le aşeza..." (v 259-267). Es fällt außerdem auf, daß

Bîcul dem Kaiser gegenüber nicht denselben Respekt zum Ausdruck bringt, wie das die

Türken - cf. Soziale Struktur - tun.

Namen / Bezeichnung:

a) Es tritt ein türkischer Kaiser auf: "Cine-mi suie la ceardac... /Înălţatul de-mpărat" (v 2-

4). Er trägt keinen Namen, wird aber in Vers 181 mit măria-sa benannt ("Şi d-a dreptul se

ducea /Tocmai la măria-sa"). Diese Bezeichnung ist laut der Eintragung im DEI ein "titlu

dat unui domnitor, rege, împărat, etc.", sie ist also die rumänische Entsprechung für 'Eure

Hoheit'. Auch Bîculs Anrede des Kaisers ("Împărate /Înălţată", v 183-184) hat die

Bedeutung 'Kaiserliche Hoheit'.

b) Weiters treten auf trei beşlii, die auch delii und später Turcii genannt werden: "Trei

beşlii /Şi trei delii" (v 46, 72-73, 122, cf. Turzismen). Aus dem Kontext ergibt sich, daß es

sich bei den beşlii und delii um ein und dieselben Personen handelt.

c) Erwähnt wird ein Harem bzw. eine Gruppe türkischer Frauen. Es ist am Hofe des

Kaisers, wo Bîcul auf diese Frauen trifft, die sich vor ihm zu Tode erschrecken: "Haremul

/Se speria, /Cadînimea /Leşina" (v 160-163, cf. Turzism.).

d) Der Text bezieht sich stellenweise auf eine Gesamtheit von Türken / auf alle

auftretenden Türken gemeinsam, die als turcime bezeichnet wird / werden ("Turcimea

/Alerga", v 164-165). In Vers 188 sagt Bîcul "der Türke" solle erfahren, wer er ist, und

meint damit ebenso 'alle Türken: "(...) Ca să cunoască şi turcul /Cine e Bîcul" (188-189).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

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Wien, am 02.06.11, Seite 174 von 259

Der Text liefert uns die Skizze einer bestimmten staatlichen Organisation. Der Kaiser

begibt sich in eine Hütte, um dort Rat abzuhalten: "Cine-mi suie la ceardac... /Înălţatul de-

mpărat /De cu noaptea s-a sculat /Şi divan şi-a adunat" (v 2-6). Der Kaiser steht an der

Spitze der politischen Hierarchie, er gibt die Befehle "nach unten" weiter. Er erteilt dem

Kurier Befehle, der wiederum seinerseits Befehle weitergibt: "Împăratul, de vedea, /Semn

ceauşului făcea, /Patru mii /Spahii /Scotea": 'Der Kaiser, als er das sah, /machte dem Kurier

ein Zeichen, /viertausend /Reiter /ließ (dies)er antreten' (v 257-261). Die drei beşlii, die in

Ţarigrad vor dem Kaiser erscheinen, knien vor ihm nieder und legen einen Eid ab: "Trei

beşlii se aduna, /La Ţarigrad /Se ducea, /La-mpărat /Îngenunchea /Şi pe lege se jura" (v 54-

59). Sie bewegen sich zu Pferde: "Pe cai negri-ncălica" (v 100).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften:

b) Die drei Reiter werden beschreiben als "Buni /De mînă, /Tari /De vînă" (v 48-51). Sie

sind also 'geschickt von der Hand und stark an Muskeln'.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Der Kaiser wird als eine Figur unterschiedlicher Charakterzüge dargestellt. Die

Geschichte erzählt uns, wie schon erläutert wurde, daß Bîcul in einer Gegend nahe der

Donau (cf. Toponyme) sein Unwesen treibt. Auf diese Situation reagiert der Kaiser mit

Zorn: "Împăratul se-ndîrjea" (v 40; ad a (se) îndârji cf. Anuţei, s.v.). Er will den Haiducken

bezüglich seiner Tapferkeit auf die Probe stellen. Zu diesem Zweck fordert er von den

Kurieren ausdrücklich, Bîcul solle nicht gefesselt, nicht von Schwertern verletzt, sondern

lebendig und unversehrt zu ihm gebracht werden: "Să vă duceţi, /Să-l aduceţi, /Dar nici de

coate /Legat, /Nici de paloşe /Crestat, /Ci om viu, nevătămat, /Să-l pot /Pune la-ncercare,

/Să văd /De e viteaz mare !" (v 75-85 ). Die Ausdrücklichkeit dieser Befehle zeigt, daß

Bîcul normalerweise anderes widerfahren würde. Normalerweise würde der Kaiser, scheint

es, Bîcul fesseln und mit Schwertern durchbohren lassen, also feindlich und blutig gegen

ihn vorgehen. Andererseits schreiben die Worte des Rumänen dem Kaiser explizit omenie,

d.h. Gutmütigkeit / Menschlichkeit zu: "ţi-ai făcut /Omenia" (v 322). Erzählt wird

außerdem, daß der Kaiser, angesichts der Taten des Bîcu, von großer Furcht gepackt wird

("Împăratul, /D-auzea, /Groaza-ntr-însul /Că intra", v 284-287), er also ängstlich ist.

d) Alle Türken, scheint es, haben große Angst vor dem Haiducken. Obwohl der Kaiser

Säcke voller Geld verspricht, findet sich, außer drei Kurieren, niemand, der ihn fangen

will: "Împăratul... /Şeapte pungi făgăduia, /Dar nimenea nu s-afla, /Nimenea s-adevăra /Să

se ducă /Să-l aducă; /Făr’ de numai trei beşlii" (v 40-46). Seine Worte, sein barsches

Auftreten lösen blindes Entsetzen unter den Türken, Frauen wie Männern, des kaiserlichen

Hofes aus: "Cine-aicea m-a adus /Capul lui şi l-a răpus! /Unde Bîcul /Se răstea, /Haremul

/Se speria, /Cadînimea /Leşina /Şi turcimea /Alerga": 'Wer mich hierher gebracht hat, /der

hat seinen Kopf gegeben (= den werde ich töten), /Wo Bîcul /sich barsch benahm,

/erschrak /der Harem, /verloren Türkinnen das Bewußtsein, /und alle Türken rannten

(davon)' (v 156-165).

Religion / Ideale: ——

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Wien, am 02.06.11, Seite 175 von 259

Leidenschaften:

a) Der Kaiser dürfte eine besondere Vorliebe für Pferde haben, da er sie für sich fangen

läßt: "Semn ceauşului făcea /Şi degrabă c-aducea /Un cal negru, bibidiu, /prins atunci de

prin pustiu": 'er machte dem Kurier ein Zeichen /und er brachte eilig /ein schwarzes,

feuriges Pferd, /ehemals in der Steppe gefangen' (v 231-233).

Attribute:

a) Der Kaiser antwortet den Kurieren mit einem türkischen Ausdruck seiner Zufriedenheit:

"Împăratul, d-auzea, /«Işala» că le zicea" (v 92-93; cf. Turzismen). Die genaue Bedeutung

von Işala! ist ein "Strigăt de bucurie pentru izbîndirea unui lucru (bravo! ura!)" (DEI, s.v.).

b) Daß die Reiter Schwerter tragen, geht aus dem Befehl des Kaisers an die Kuriere hervor.

Diese sollen, so lautet der Text, Bîcul nicht durch Schwerter verletzen: "Nici paloşe /L-or

cresta" (v 90-91). Ein anderes Objekt, daß die Welt des Türken symbolhaft kennzeichnen

könnte, ist das Bettgestell, auf dem die Türken den schlafenden Bîcul nach Ţarigrad

bringen: "Şi-n iatac /Frumos punea /Tot pe Bîcul adormit... /Drumul mare /c-apuca /Pînă

iată c-ajungea /Mai în jos de Ţarigrad" (v 135-146; cf. Turzismen). Ein iatac wird im DEI

als "Odaie de culcare" erklärt (DEI, s.v.). Die Verwendung dieses Begriffes im Kontext der

Erzählung ist, wie man sehen kann, nach der Erklärung im DEI nicht ganz adäquat.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Für denjenigen, der den Haiducken fangen wird, sieht der Kaiser zunächst sieben, dann

zehn Säcke voller Geld, vor: "Şapte pungi făgăduia /Ori la cine s-o afla.. /Să se ducă /Să-l

aducă"; "Zece pungi făgăduia" (v 18-22, 70). Nachdem Bîcul seine Kraft bewiesen hat, läßt

er den Kurier Satteltaschen voller Taler und Rubine für den Haiducken anfüllen: "Semn

ceauşului făcea... /Dăsăgei cu bani umplea, /Dăsăgei /Cu gălbinei... /Cu rubiele" (v 292-

297).

b) Vers 48 beschreibt die Funktion / Tätigkeit der drei beşlii: ţin raiaua-n Dii. Sie

verwalten / herrschen die Burg oder die Umgebung von Vidin (cf. Turzismen). Sie

besitzen, wie schon gezeigt wurde, schwarze Pferde: "Pe cai negri-ncălica" (v 100).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) c) Laut unserem Text, begibt sich der Kaiser in eine Hütte südlich von Ţarigrad, um Rat

abzuhalten und um sich mit den drei Kurieren zu besprechen: "Cine-mi suie la ceardac

/Mai în jos de Ţarigrad ? /Înălţatul de-mpărat /De cu noaptea s-a sculat /Şi divan şi-a

adunat"; "Trei beşlii... /Din ceardac se scobora" (v 2-6, 96-99). Der Kaiser selbst mit

seinem Gefolge hat seinen Sitz in Konstantinopel, wo die Kuriere ihn zuerst aufsuchen:

"Trei beşlii se aduna, /La Ţarigrad /Se ducea, /La-mpărat /Îngenunchea" (v 54-58).

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Wien, am 02.06.11, Seite 176 von 259

b) Die drei Beamten halten sich, wie schon aus zuvor zitierten Versen deutlich wurde, in

der Gegend von Vidin auf (trei beşlii, /Care ţin raiaua-n Dii). Das ist auch die Gegend, in

dem - zum Leidwesen des Kaisers - Bîcu sein Unwesen treibt (v 7-15).

25.9. Ballade von Vîlcan

Diese im Vergleich mit anderen Balladen relativ umfangreiche Erzählung besteht aus 735

Versen. Die Protagonisten sind fünzig Janitscharen, die Mutter des Vîlcan, der

gleichnamige Haiducke, sein Diener Nedea, seine Geliebte und deren Bruder Sandu. Vîlcan

erzählt die Geschichte von fünfzig Janitscharen, die auf der Suche nach dem Haiducken

sind, um ihn zu töten, die letztendlich aber von diesem selbst getötet werden. Auf ihrer

Suche fahren die Türken mit Schiffen der Donau entlang, bis sie von den Frauen, die am

Ufer Wäsche waschen, erfahren, wo sich die Mutter des Gesuchten befindet. Sie finden sie

bei einem Brunnen und geben vor, Vîlcan als Kapitän für ihre Raubzüge anheuern zu

wollen. Die Mutter, die diese Lüge glaubt, verrät den Aufenthaltsort ihres Sohnes. Als die

Türken diesen finden, bestechen sie seinen Diener, der ihnen bei der Gefangennahme des

Vîlcan helfen soll. An einen gebunden wird der schlafende Vîlcan in die Donau geworfen.

Als er erwacht, findet er sich am Grunde des Wassers wieder. Er schwimmt um sein Leben,

um die Last des Steins an seinem Hals zu überwinden. Seine Geliebte, die sich am Ufer

befindet, erkennt die Gefahr und läuft um Hilfe. Mit einer List bringt sie ihren Bruder dazu,

dem um sein Leben schwimmenden Vîlcan zu helfen. Letztendlich ist es aber doch sie, die

die Seile, an denen der Stein befestigt ist, durchschneidet und somit ihren Geliebten vor

dem Ertrinken rettet. Nach dieser Rettung macht sich Vîlcan in Verkleidung eines Mönchs

auf, um die Türken aufzuspüren, die in einer Kneipe zechen. Nachdem er alle mit seinem

Schwert getötet hat, sucht er auch seinen Diener. Er nimmt auch an ihm Rache und

schneidet ihn in fünzig Stücke. Eine Beschreibung des Vîlcan ist u.a. in den Mund der

Türken gelegt. Sie lautet folgendermaßen: "Puişor de ortoman, /Copt la minte, copt la os,

/Om de treabă şi chipos, /Ortoman, voinic de frunte, /Nalt ca bradul de la munte /Cu chică

/’Mpletită-n coadă, /Cu barbă /Ce-n brîu o-nnoadă": 'Kind(lein) eines Tapferen, /reif an

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Wien, am 02.06.11, Seite 177 von 259

Verstand, /reif an Knochen (= gut gewachsen), /anständig und stattlich, /Mutiger und

vornehmlichster Held, /Groß wie die Tanne des Berges, /Mit dem Haarschopf /zu einem

Knoten gebunden, /Mit einem Bart /den er an der Taille verknotet' (v 33-43). "El cunoaşte

/Dunărea /Pînă-n vale, /La Slina, /Şi malurile /Turceşti...": 'Er kennt die Donau /bis ins

Tal... /und die Ufer /die türkischen' (v 77-82). "El înoată ca un peşte /Şi ca plutele

pluteşte": 'Er schwimmt wie ein Fisch /und treibt wie ein Floß' (v 85-86). Auch die Worte

der Frauen enthüllen einige Details über die Person des Vîlcan: "N-am dat ochii cu

Vîlcan... /Dar i-am văzut slugile /Cărîndu-i averile, /I-am văzut ibovnica... /I-am văzut pe

maică-sa": 'Wir haben Vîlcan nicht gesehen... /aber wir haben seine Diener gesehen, /die

seine Güter trugen. /Wir haben seine Geliebte gesehen. /Wir haben seine Mutter gesehen'

(v 112-120). In diesen Beschreibungen stecken viele Angaben zur Person Vîlcans,

Angaben zu seiner Genealogie (er stammt aus einem tapferen Geschlecht), seinen

moralischen, geistigen und physischen Eigenschaften (er ist tapfer, klug, groß, etc.), seiner

Physiognomie (er trägt einen Haarzopf und einen langen Bart), seinen Kenntnissen /

Fähigkeiten (er kennt die Gegend; er schwimmt, wie ein Fisch, etc.), seiner sozialen

Situation (er hat Diener, er hat eine Geliebte), Besitzum (er hat Güter), etc. Wie aus der

Inhaltsangabe hervorgeht, sind es zunächst die Türken, die als Feinde des Vîlcan auftreten.

Gegen Ende der Erzählung kehrt sich diese Situation ins Gegenteil um und der Haiducke

nimmt seinerseits Rache an den Türken. Dieser Racheakt wird folgendermaßen geschildert:

"Paloş mare că scotea, /După ei se repezea: /Cînd pe unii-i reteza, /Cînd pe alţii-i spinteca,

/Şi din cincizeci, cîţi era, /Nici unul nu rămînea": 'Er zog ein großes Schwert, /Und eilte

ihnen nach /Mal schnitt er ihnen den Kopf ab, /mal schlitzte er sie auf, /und von den

fünfzig, die sie waren, /blieb nicht einer übrig' (v 667-672). Nach dieser Darstellung nimmt

Vîlcan alleine Rache an fünfzig Türken, die er alle tötet. Die Vorstellung der Tötung ist

dabei redundant. Dreimal erscheint das Semem Töten: a reteza, a spinteca, a nu rămâne

nimic. Vîlcan nimmt auch am Diener, wie schon erläutert wurde, bittere Rache. Nach der

Anzahl der fünzig Türken, die ihn töten wollten, macht er fünfzig Stücke aus ihm:

"Bucăţele mi-l tăia, /Cincizeci de părţi că-l făcea, /Că cincizeci fusese turcii" (v 718-720).

Die Vorstellung der Rache an den Türken wird damit, nach den drei Bildern des Tötens,

zum vierten Mal wiederholt. Vers 721 könnte eine Verwünschung der Türken implizieren.

Nach der Erwähnung der fünzig Türken lautet der Text wörtlich: 'fünzig sollen es auch die

Raben sein' ("Tot cincizeci să fie corbii"). In der Ballade Gruia lui Novac verspricht Gruia,

wie wir gesehen haben, einem Raben das Fleisch und das Blut von Türken. Aufgrund der

Intertextualitäten in Balladen, könnte man Vers 721 auch als unergänzt verstehen im Sinne

von 'fünzig sollen es auch die Raben sein, die die fünzig Teile / die fünzig Türken fressen'.

Namen / Bezeichnung:

a) Es treten fünfzig Janitscharen auf ("Vro cincizeci de ieniceri", ienicerii; v 17, 459), die

auch als "Turcilor, /Agalelor" (v 110-111) und später mit dem Ethnonym (turcii, v 158)

angerufen bzw. benannt werden. Es fällt auf, daß die Bezeichnungen ieniceri und agale

synonym verwendet werden, was die Staatsstruktur des Osmanischen Reiches nicht treu

widerspiegelt. Ursprünglich kennzeichnen diese Titelbezeichnungen unterschiedliche

Funktionen und Beamte, der Aga einen Anführer bzw. Offizier der Janitscharen, der diesen

in seiner Stellung übergeordnet ist. Die Wirtin, eine Nebenfigur der Erzählung, bezeichnet

ihre Gäste auch als Knaben ("am p-aci nişte băieţi, /Ieniceri... ", v 647-648).

b) Ohne jede Namensbezeichnung tritt auf ein ius-başa bzw. Deli-başa (v 168, 457).

Seinem Titel nach ist er ein Anführer der Janitscharen bzw. des Infanteriekorps (cf.

Turzismen).

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Wien, am 02.06.11, Seite 178 von 259

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) In einigen Versen spiegeln sich eine Sitte des Benehmens und ein Element staatlicher

Organisation wider. Als sich die Janitscharen den Frauen am Brunnen und später der

Mutter des Haiducken nähern, verbeugen sie sich vor diesen: "frumos se temenea",

"Turcii... /Temenele /Că-i făcea" (v 163, 293-296). Vor der Mutter des Vîlcan behaupten

sie, sie hätten seit neun Jahren für Vîlcan bezahlt, was dieser hätte zahlen müssen. Sie

hätten dafür das Geld von den Steuerabgaben genommen: "Partea lui de nouă ani... /Am

plătit-o, /De haraci" (46, v 224-229). Als haraci wurden Tributzahlungen bezeichnet, die

die christlichen Länder an den Sultan zahlen mußten (cf. Turzismen).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) Dreimal werden die Janitscharen als "Groşi la cap, cărunţi la peri" (z.B, v 18),

großköpfig und grauhaarig beschrieben. Das Grau ihrer Haare könnte auch auf ihr

fortgeschrittenes Alter weisen.

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Es gelingt Vîlcan, sich in Verkleidung eines Mönchs an die Türken heranzukommen:

"Vîlcănaş, daca-mi ieşea... /Rasă şi potcap punea... /După turci că se lua" (v 579-586). Die

Tatsache, daß er seine Feinde überlistet, läßt diese naiv / dumm "aussehen".

b) Der Anführer der Janitscharen wird klug genannt: "Dar iuş-başa, om cu minte" (v 353).

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Bestimmte - in Verbindung mit den Türken auftauchende - Objekte sowie das Verhalten

der Janitscharen lassen auf eine Reihe von Merkmalen ihres Charakters schließen. Das mit

Draht umspannte Boot, in dem sie sich nähern ("De departe se zăreşte /Şi-mi tot vine, şi-mi

soseşte, /Şi la mal mi se opreşte /Un caic înzăvonit... /Şi cu sîrmă îngrădit", v 2-10), sowie

die Waffen, scharfen Säbeln und Pistolen, mit denen sich die Insassen umgeben ("de arme

încărcaţi", "Cu hangere /ascuţite"; v 16, 19-20) verleihen den Türken einen sehr feindlichen

/ gefährlichen Ausdruck, ihr Verhalten nach dem Anlegen des Bootes am Ufer einen

Aspekt von Unentschlossenheit. Sie suchen den Haiducken auf chaotische Weise, spüren

ihn auf und können sich nicht darüber einigen, was mit ihm zu tun ist: "Unii-n laturi

/ispitea, /Alţii-n drumuri /Alerga"; "la sfaturi se punea... /Unii p-alţii se-ntreba: /Să dea

focuri /Să-i omoare, /Ori topuzuri /Să-i doboare? /Unii ziceau /Ca să-i prinză, /Alţii ziceau

/Să-i aprinză!": 'Die einen durchstöberten die Seiten, /die anderen liefen die Wege entlang;

/sie begannen sich zu beratschlagen /sie fragten einander, /ob sie ihn mit Feuer umbringen

sollten, /oder ob ihn Streitkolben hinwegstrecken sollten ? /Die einen sagten, /daß sie ihn

gefangennehmen, /die anderen, daß sie ihn anzünden sollten' (v 25-30, 343-352). Die

Janitscharen überlegen sich diese Vorgehensweisen angesichts des schlafenden Vîlcan ("Ce

dormea ca un bustean", v 415), was einerseits eine gewisse Feigheit, andererseits auch eine

Heimtücke der Türken zeigt. Gleichzeitig enthüllen die zitierten Verse die Absicht der

Türken, brutal gegen Vîlcan vorzugehen, den sie mit Feuer oder mit dem Streitkolben zu

töten trachten. In den Worten an die Mutter des Haiducken offenbaren sie einen Plan:

"Acum, babo, am găsit /Plean bogat de plenuit: /Colo-n schelă, la Galaţi, /Lipovenii /Sînt

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bogaţi, /Cazacliii /Îngrăşaţi, /Negustorii /Încărcaţi /De postavuri ungureşti, /De arme

persieneşti /Şi de blăni lipoveneşti; /Dar n-avem un căpitan... /Cum ne-a fost nouă Vîlcan":

'Jetzt, Frau, haben wir gefunden /einen guten Plan zu erfüllen: /Dort in der Bucht, bei

Galaţi, /Sind die Lippowaner reich, /die Kosaken fett, /die Händler beladen, /mit

ungarischer Wolle, /mit persischen Waffen /und mit russischen Fellen; /Aber wir haben

keinen Kapitän... /wie uns Vîlcan einer gewesen ist' (v 230-244). Dieser Darstellung nach,

beabsichtigen die Türken - bzw. sie behaupten es - um reicher Waren Willen, Buchten zu

überfallen, wofür ihnen aber ein Kapitän fehlt. Die Janitscharen sind also Plünderer und

Räuber. Zudem werden sie als lügnerisch und - noch einmal als - hinterlistig dargestellt.

Sie versprechen der Mutter des Haiducken etwas, was sie in keinster Weise einhalten. Sie

werden Vîlcan nicht, wie sie es behaupten, seinen Anteil geben ("i-om da /Dobînzile !", v

254-255). Daß sie der Mutter Vîlcans Geschenke machen ("Turcii... paftale-i /Dăruia", v

293-298, cf. Turzismen), beweist eine gewisse Großzügigkeit der Türken. Die aufgrund

von Handlungen und Beschreibungen dargestellte Geschichte zeigt einen weiteren Aspekt

ihrer Persönlichkeit. Als diese den Haiducken auffinden, sind sie ihm zahlenmäßig weit

überlegen. Die fünzig Janitscharen fürchten sich aber zutiefst, auch weil Vîlcan nicht

alleine, sondern in Begleitung seines Dieners ist: "Pe Vîlcan unde-l vedea, /Inima le

îngheţa /Că nici singur nu-l găsea, /Ci cu sluga lui Nedea": 'Als sie Vîlcan erblickten, /blieb

ihnen das Herz stehen, /denn sie fanden ihn nicht alleine, /sondern mit seinem Diener

Nedea' (v 336-339). Der feige Charakter der Janitscharen wird in dieser Darstellung

besonders hervorgehoben.

Religion / Ideale:

a) Der Haiducke wirft seinem Diener vor, ihn schlafend an Heiden ausgeliefert zu haben:

"La păgîn dormind m-ai dat" (v 705).

Leidenschaften:

b) Dem Inhalt einiger Versen zufolge, haben die Türken eine besondere Vorliebe zum

Trinken (dabei wird nicht explizit gemacht, was sie trinken). Auf diese Leidenschaft weist

die Vorstellung / das Semem des Trinkens, die / das insgesamt dreimal erscheint. Vîlcan

begab sich, so erzählt die Geschichte, den Türken nach, dorthin, wo die Agas trinken:

"După turci (Vîlcan) că se lua.... /Unde beau /Agalele" (v 586-597). Vers 648 nennt die

Janitscharen zweimal Trinker: "Ieniceri, turlaci şi beţi".

Attribute:

a) Im Laufe der Geschichte werden einige Objekte aus der Welt des Türken genannt. Die

Janitscharen nähern sich, wie schon erwähnt wurde, in einem Boot. Sie benützen in diesem

Boot Teppiche, um auf ihnen zu liegen. Die Farbe der Teppiche ist grün: "De departe se

zăreşte... /Un caic înzăvonit... /Dar într-însul cine-mi şade... /Pe covoare verzi culcaţi...

/Vro cincizeci de ieniceri" (v 3-17). Die Protagonisten treten auf mit bestimmten Waffen,

scharfen Säbeln und Pistolen ("de arme încărcaţi", "Cu hangere /ascuţite, /Cu pistoale

Ruginite" (v 16-21). Aus den Worten des ius-başa könnte man ableiten, daß die Türken

auch Schwerter haben / tragen. Er beschreibt Vîlcan als berühmten Helden mit einem

verzauberten Körper, der durch Schwerter nicht verletzbar ist: "Şoim vestit este Vîlcan,

/Suflet dres şi trup vrăjit, /Nici de paloşe /Rănit" (v 358-360). Die Janitscharen tragen oder

besitzen bestimmte Gürtel, paftale (cf. Moral).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Das Boot der Türken ist innen geschmückt und über und über mit Teppichen behangen

("Un caic... /Prin năuntru podobit, /cu covoare învălit (= wortwörtlich: 'mit Teppichen

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umhüllt')", v 2-9). Dem Diener werden für seine Mithilfe Säcke voller Geld, Silbermünzen,

Taler und Goldmünzen angeboten: "Pungi de bani îi (= lui Nedea) arăta"; "Na cinci pungi

de irmilici"; "Na cinci pungi de gălbenaşi"; "Mai na ş-alte, de iusluci" (v 370, 394, 396,

398). Alle diese Indizien signalisieren den großen Reichtum der Protagonisten.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Die Türken bewegen sich, wie schon gezeigt wurde, mit Schiffen die Donau entlang und

tauchen an bestimmten Stellen am Ufer auf: "Pe luciul Dunării... /Şi-mi tot vine, şi-mi

soseşte, /Şi la mal mi se opreşte /Un caic înzăvonit" (v 2-6). Auch werden, folgen wir dem

Text, verschiedene - nicht weiters benannte - Küsten(orte) türkisch beherrscht. Dies geht

aus der Beschreibung des iuş-başa hervor, der behauptet, Vîlcan kenne die türkischen Ufer:

"El cunoaşte /Dunărea... /Şi malurile /Turceşti" (v 77-82). Genannt wird auch die Bucht

von Galaţi, ein Hafen an der Mündung des Siret in die Donau. Die Janitscharen dachten,

wie wir gesehen haben, an Raubzüge in dieser Gegend ("Colo-n schelă, la Galaţi...", v

232).

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25.10. Ballade von Badiul

Die Geschichte des Haiducken Badiul ist mit 1014 Versen die umfangreichste aller im

Rahmen dieser Studie untersuchten Balladen. Als Protagonisten treten auf eine Gruppe von

Türken, der Haiducke Badiul, seine Frau Bădiuleasa und sein Bruder Neculcea. Die

Geschichte handelt im wesentlichen von der Suche und dem Aufeinandertreffen einer

Gruppe von Türken mit Badiul und den Konsequenzen dieser Begegnung. Ein Trupp

Türken sind auf der Suche nach dem Haiducken. Mit einer Lüge entlocken sie seiner Frau,

wo sich ihr Mann aufhält und überwältigen diesen im Schlaf in seinem Haus. Als sie sich

weder durch Geld noch durch die Reize Badiuleasas ablenken noch einlenken lassen,

schickt der gefesselte Haiducke seine Frau aus, um Hilfe zu holen, die diese im Bruder

Badiuls findet. Mit einer List gelingt es Neculcea, das von den Türken belagerte Haus

seines Bruders zu betreten und diesen zu befreien. Von den Fesseln befreit, vernichtet

Badiul alle Türken. Er verbrennt sie, wirft die übriggebliebenen Knochen in die Donau und

der Wind trägt die Asche fort. Aus dieser entstehen auf wundersame Weise, wie aus einer

Saat erneut Türken (cf. Abschnitt 20.). Makrostrukturell betrachtet, weisen die vorliegende

Erzählung und die Ballade von Vîlcan (cf. vorangehende Analyse) Parallelen auf. Der

rumänische Haiducke wird von einer Gruppe von Türken aufgespürt, die ihn töten wollen.

Schlußendlich sind es jedoch sie selbst, die von diesem getötet werden. Die im Laufe der

Geschichte auftretenden, nicht türkischen Figuren nehmen durchwegs aktiv am erzählten

Geschehen teil. Die jeweiligen Beschreibungen und Handlungszuschreibungen lassen,

wenn auch nicht vollständige, deutliche personelle Identitäten entstehen. Badiul z.B.

bewirtet am Tage frînci, 'Menschen romanischer bzw. insbesondere französischer und

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italienischer Herkunft', abends vergnügt er sich, trinkt, jauchzt und vernichtet Türken (Vgl.

die Verse: "Cîrciumarul /Frîncilor, /Măcelarul /Turcilor", "El ziua /Cîrciumăreşte, /Seara

bea /Şi chiuieşte, Iar noaptea /Măcelăreşte"; v 14-17, v 20-25). Er muß Geld lieben, da er

sich damit bereichert. Wahrscheinlich tut er dies auf Kosten anderer, da er sich, wie der

Text erzählt, viele Feinde macht: "Gălbenet /Că dobîndeşte, /Cu bănet /Se-mbogăţeşte,

/Mulţi duşmani agoniseşte" (v 29-33). Wir erfahren z.B. auch den Wohnort des Haiducken,

ein Haus an den Ufern bzw. in der Nähe der Donau - wie noch gezeigt werden wird. In

diesem suchen die Türken ihren Feind: "(...) iată, se-ntîmpla /Că la casă-i nemerea" (v 42-

43). Die Begrüßung Bădiuleasas durch die Türken skizziert eine hübsche, großäugige

Rumänin in der Tracht einer Gastwirtin, die - da sie den Türken Glauben schenkt, als naiv

dargestellt wird: "Bună ziua, /Bădiuleasă, /Cu port /De cîrciumăreasă... /Cu ochi mari /De

puic-aleasă !" (v 58-65); "Pe turci daca-i auzea, /În cuvinte se-ncredea" (v 121-122). Auch

die Darstellung Neculceas läßt in vielen Details einen ganz besonderen Charakter

durchscheinen. Bădiuleasa wird, so sagt ihr Mann, den Sohn eines reichen Serben finden.

Er ist in ganz Ţarigrad bekannt: "Pe Neculcea l-ăi găsi, /Fecioraş de sîrb bogat, /Mare

veste-n Ţarigrad" (v 433-435). Bădiuleasa findet ihn umgeben von Frauen verschiedener

Herkunft in einem Keller, Indizien für seine Leidenschaften für das Trinken und für das

andere Geschlecht: "Pe Neculcea mi-l găsea /În pivniţa mititică... /Cu trei-patru brăilence,

/Cu cinci-şase gălăţence..." (v 471-472). Im Hause des Badiuls versperrt er den Türken mit

seinem bloßen Rücken den Ausgang, ein Hinweis auf seine außergewöhnlich große Statur:

"Neculcea uşa proptea, /Zid cu spatele făcea, /Pe toţi turcii-i închidea" (v 848-850). Im

Handlungsgeschehen der Erzählung sind bestimmte Sequenzen besonders auffällig. Die

Rache Badiuls und Neculceas, ihre Absicht, die Türken zu töten bzw. die tatsächliche

Vernichtung derselben wird in auffällig redundanter und makabrer Weise dargestellt (v

840-981). Die Semantik des Tötens spiegelt sich, wie die folgenden Textstellen zeigen

sollen, in einer langen Reihe von Darstellungen. Neculcea z.B. bringt zum Ausdruck, daß

er denjenigen Türken, der fliehen würde, in sieben Stücke schneiden wird: "Şapte bucăţi l-

oi tăia !" (v 845). Der von seinen Fesseln befreite Badiul streckt einen um den anderen

Türken nieder. Er tut dies, indem er ihn bei den Haaren packt, ihn in den Hof führt, ihn auf

den Hackbock legt, ihm mit dem Schwert den Kopf abhaut, den Kopf wegwirft, wobei der

Körper zu Boden fällt: "Numai de păr l-apuca, /În bătătură-l ducea, /Pe tăietorul îl punea,

/Cu paloş îl reteza, /Capul /Că i-l arunca, /Trupul /Jos că rămînea" (v 868-875). Diesem

Akt der Vernichtung wird durch die Vorstellung stereotyper Wiederholung ein fast

durativer Aspekt verliehen. Der Autor läßt Badiul die Tötungshandlung in linearer Abfolge

neunundneunzig Male wiederholen: "Tăia un cap, tăia două, /Tăia nouăzeci şi nouă" (v

876-877). Die vollbrachte Vernichtung wird danach weitere Male "vor Augen" geführt,

z.B. in den folgenden Versen, die zwei Anspielungen auf das Morden enthalten: "După ce

mi-omora /După ce mi-i isprăvea, /Cu Neculcea cinstea": 'Nachdem (Badiul) sie

umbrachte, /nachdem er sie vernichtete, /trank er mit Neculcea' (v 880-882). In schaurigem

Humor erzählt der Interpret, daß das Abschneiden der Köpfe nicht so schwer war, wie das

Tragen (der Körper): "Nu fuse greu la tăiat /Cum era greu la cărat" (v 895-896). Nachdem

Badiul die Türken mit dem Schwert getötet und sie in den Dachboden geschleppt hat,

zündet er das Haus an, damit, wie er sagt, das Schlachthaus verbrenne: "Puse turcii d-a căra

/Şi prin poduri d-a-i urca" (v 893-894); "Foc la case (= casă ?) că dedea, /Să arză

zalhanaua" (v 916-917). Man entzündet ein großes Feuer, in dessen Flammen das Fleisch

der Türken verbrennt: "Focul mare s-aprindea, /Flăcările pîlpîia, /Carnea grasă se frigea" (v

919-921). Die Vorstellung dieser Szenerie und das Verderben der Türken im Feuer wird in

den Worten Badiuls an vorbeikommende Passanten noch einmal wiederholt. Badiul bringt

zum Ausdruck, daß - brenne sein Haus oder nicht - die Türken ihren Anteil an Feuer

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bekämen: "Arde casa, /ori nu arde, /Dar de foc au turcii parte !" (v 962-964). Dem

dargestellten Akt der Vernichtung folgen Bilder der getöteten Türken. Als das Feuer

endete, waren die Türken zu Asche geworden: "Daca focul se sfîrşea, /Turcii scrum că se

făcea" (v 964-965 und v 967-971). Bădiuleasa und Badiul entledigen sich der Reste der

Türen und werfen die Asche und die übriggebliebenen Knochen in die Donau: "Bădiuleasa

scrum lua, /Badiul oasele-ncărca, /La Dunăre le ducea /Şi-n Dunăre le-arunca" (v 974-977).

Namen / Bezeichnung:

a) Die auftretenden Protagonisten werden einführend und immer wieder mit ihrem

Volksnamen bezeichnet. Meist treten sie im Plural auf (turcii, v 7, 121, 140, 196, etc.).

Mehrmals geht aus der Beschreibung hervor, daß es sich um einen Trupp von Personen

handelt, die Türken drängen in der Menge und sie scheinen zuviele zu sein, als um in den

Dachboden des Hauses zu passen: "turcii se grămădea" (v 171), "Podul casei se umplea,

/Turcii nu mai încăpea" (v 904-905). Außer dieser pluralen Nennung / Handlung der

Protagonisten, nennt der Autor stellenweise auch ein singulares Agens, um das Handeln

der Gruppe auszudrücken (cf. v 240-244): "Şi la chefuri se punea... /Turcul /Bea, /Se

veseleşte": 'Und sie (= die Türken) begannen zu feiern... /Der Türke (= die Türken) /trank

(= tranken), /er vergnügte sich (sie vergnügten sich); "Dar turcul... /Tot turc, ursuz, /Foc la

case că mi-a pus" (v 957-959; cf. Moral)'. In den zuletzt zitierten Versen spricht Badiul von

dem Türken, der ihm das Haus angezündet haben soll. Aus dem Kontext der Geschichte

wissen wir aber, daß die Handlung einer Gruppe von Türken zugeschrieben wird. In der

Aussage des Haiducken (des Autors) tot turc, ursuz ' jeder Türke ist widerwärtig'

signalisiert die Verwendung des absoluten Indefinitadjektivs sehr deutlich eine allgemeine

Vorstellung über die genannten Personen (cf. Moral). Badiul spricht noch einmal in einem

verallgemeinernden Sinn von den Türken, und zwar als er sich auf die Personengruppe in

seinem Haus bezieht. Der Rumäne zündet sein Haus an, wie der Text erzählt, damit das

Türkentum darin verbrenne: "Foc la case (= casă ?) că dedea... /Cu toată turcimea-n ea" (v

916-917). In dem zuletzt zitierten Vers fällt auf, daß der absolute Mengenbegriff turcime

'die Menge der Türken' durch ein zusätzlich quantifizierendes Pronominaladjektiv - toată -

bestimmt wird. In hervorgehobener Weise kommt darin zum Ausdruck, daß der Haiducke

sich den Tod aller Türken wünscht. Die Wirtin nennt in ihrer Begrüßung der Türken

mehrere Titel / Ämter bzw. Angehörige bestimmter sozialer Schichten: "Mulţumim,

agalelor, /Cinstiţi caimacanilor, /Vouă, ienicerilor, /Şi vouă, spahiilor" (v 68-69, 94-98,

124-127; wiederholt in den Worten Neculceas, v 716-721; cf. Soziale Funktion).

b) Innerhalb der Gruppe der Türken tritt ein ceauş in den Vordergrund, der ohne Ausnahme

so benannt wird ("Dar ceauşul ce-mi făcea ?", v 72).

c) In der Beschreibung des Badiuls als "Măcelar de turci d-ăi mari !" (v 749) erwähnt der

Informant der Geschichte zwar bedeutende Türken, jedoch ohne weitere Angaben

derselben.

d) Badiul vernichtet, der Darstellung eines Verses zufolge, die Türken gemeinsam mit

fünzig Agas: "Măcelăreşte, /Cu cincizeci de măcelari, /Tot agale şi turci mari" (v 25-27, cf.

Moral).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

a) Erwähnt werden zwei gesellschaftliche Gepflogenheiten der Protagonisten. Bei der

Begrüßung Bădiuleasas machen die Türken eine Verbeugung ("Temenele că-i făcea", v

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56). Für den Abschluß von Geschäften pflegen es die Protagonisten, wie aus ihrer

Selbstbeschreibung hervorgeht, zu verhandeln "La negoţ negustorim" (v 108).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

a) Die Erzählung liefert dem Leser keine einzige genaue Angabe über das Aussehen der

Türken. Dennoch rufen bestimmte Handlungsdarstellungen Vorstellungen darüber hervor.

Der Text erzählt, wie Badiul und seine Frau jeweils auf einmal zwei und drei Türken

wegtragen: "Cară Badiul cîte doi, /Bădiuleasă cîte trei..." (v 897-898). Aufgrund dieser

Darstellung entsteht der Eindruck, die Türken seien leichtgewichtige, magere Personen,

möglicherweise auch Menschen kleingewachsener Statur (bzw. die Rumänen sehr kräftig

und großgewachsen, cf. Abschnitt 20.). Eine andere Stelle im Text erweckt den

gegenteiligen Eindruck. Sie stellt dar, was den Türken im Hause des Haiducken widerfuhr.

Als das Feuer entbrannte, verbrannte das fette Fleisch: "Focul mare s-aprindea, /Flăcările

pîlpîia, /Carnea grasă se frigea" (v 919-921).

b) Der aus der Gruppe hervortretende Türke wird bezeichnet als ceauşul mărunţel,

/Mărunţel şi ochieşel (v 165-166). Er hat also eine kleine Statur und kleine Augen. Der

Aspekt der physischen Kleinheit wird in der Qualifizierung mărunţel hervorgehoben. Das

genannte Adjektiv besteht aus einem Lexem (mărunt) und einem Diminutivsuffix (-ţel),

beide mit der Bedeutung 'klein'.

Kleidung / Ausstattung:

a) Dem genauen Wortlaut der Verse 897-902 zufolge, trägt Badiul die Türken weg, die

Köpfe mit den Turbanen, die Körper mit den Pistolen: "Cară Badiul cîte doi... /Capetele

/Cu cealmale, /Trupurile /Cu pistoale". Diese Darstellung illustriert, daß die Türken am

Kopf einen Turban und am Körper Pistolen tragen.

Körperliche Eigenschaften:

a) Aufgrund mehrerer Textpassagen entsteht der Eindruck, die Türken seien sehr schwach.

Als die Schnur, die die Türken um den Hals des Haiducken legten, diesem vom Hals

rutscht, fallen die Türken mit ihr um: "Sfoara de pe gît sărea, /Turcii cu dînsa cădea" (v

202-203). Eine andere Szene stellt dar, wie die Türken die erwähnte Schnur um den Hals

Badiuls festziehen wollen. Dazu bedarf es der Anstrengung aller unter ihnen: "Sfoara de

turci o lega... /Cu toţii /Se opintea" (v 210-211). Auch die Leichtigkeit, mit der Badiul

seine Feinde tötet, erweckt den Eindruck, als hätte er keinen Widerstand / als sei sein

Gegner von großer Schwäche: "Tăia un cap, tăia două, /Tăia nouăzeci şi nouă" (v 876-877.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Der Plan Neculceas, mit einer List das Haus Badiuls zu betreten, wird gelingen (in den

Worten Neculceas an Bădiuleasa ist dieser Plan vorweggenommen: "Şi le-i zice /Cu gura:

/Ia un grec, neguţător, /De vite cumpărător... /Şi trage-n gazdă la noi; /Îmi vine cam

veselior, /C-astăzi a fost vînzător", 576-597). Außerdem schenken die Türken dem

lügenden Rumänen Glauben ("Să-i dau un pahar cu vin, /De certuri /Să ne-mpăcăm", v

790-792). Die mehrmalige Überlistung der Türken könnte auf eine gewisse Naivität bzw.

Einfältigkeit dieser Personen hinweisen.

b) Andererseits bedient sich auch der ceauş gewissermaßen einer List. Er schmeichelt der

Wirtin (cf. Leidenschaften) und er belügt sie, indem er nach Badiul, seinem Bruder / guten

Freund frägt und vorgibt, diesen mit guter Absicht zu suchen: "Unde este Badiul tău,

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/Savai, frăţiorul meu ?", "(...) Ba-l cătăm cu bunătate, /Că ne-i Badiul ca un frate": 'Wo ist

dein Badiu, /mein Brüderchen ?, (...) Natürlich suchen wir ihn mit guten Gedanken, /denn

Badiu ist uns wie ein Bruder (v 84-85, 106-107). Der Türke ist also listig.

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Im Laufe der gesamten Erzählung werden die Protagonisten in verschiedenen

Charakterzügen, teilweise in stark redundanter Weise dargestellt. Als die Türken den über

seinen Pistolen schlafenden Badiul sehen und seine funkelnden Schwerter, treten sie sofort

den Rückzug an, schließen die Türe und zittern vor Angst: "Dar pe Badiul cînd vedea /Pe

pistoale /Cum dormea, /Paloşe /Cum strălucea, /Îndărăt că se trăgea, /Uşa la loc închidea

/Şi de frică tremura" (v 174-181). Der durch zweimaliges sofort hervorgehobene inchoative

Aspekt der Rückzugshandlung der Türken, unterstreicht die große Intensität ihrer Angst.

Als Badiul sich bewegt, die Schnur von seinem Hals rutscht, erschrecken die Türken erneut

zutiefst: "Mare spaimă că-şi făcea" (v 203). Sie ziehen die Schnur um den Hals Badiuls mit

Todesangst: "De frica morţii /Trăgea" (v 216-216). Neculcea, der einen Weg sucht, in das

Haus Badiuls zu gelangen, rechnet ebenfalls mit der Angst der Türken: "Turcii, de s-or

spăimînta, /Pe tine /Te-or întreba": 'Wenn sich die Türken erschrecken werden, /dich

/werden sie fragen' (v 571-573). Tatsächlich erschrecken die Türken vor einem Geräusch:

"Turcii iar se speria": 'und wieder erschraken die Türken' (v 647). Als der befreite Badiul

die Türken zu sich ruft, erschaudern sie vor Angst: "Cîte unul că-i chema. /Turcii se

cutremura" (v 864-865). Die Türken befinden sich gegenüber Badiul, Bădiuleasa und

Neculcea in der Mehrzahl. Trotzdem erleiden sie gewissermaßen ohne Widerstand ihr

Schicksal durch Badiul, der einen um den anderen Türken zu sich ruft und ihn hinrichtet:

"Cîte unul se ducea, /Iar Badiul, de-l ajungea... /Cu paloş îl reteza" (v 866-871). Auch

dieses Verhalten zeigt einen angsterfüllten Türken. Eine andere Reihe von Inszenierungen

assoziiert den Türken mit der Vorstellung von Gefangennahme, Qualen, Feuer, Schlägen

und Tod für den Rumänen. Die Türken binden Badiul an den glühenden Kamin: "(îl lega

pe Badiul) /De piciorul /Hornului, /La dogorul /Focului" (v 226-229). In den Worten

Badiuls an seine Frau spiegelt sich das Vorgehen der Türken gegen ihren Feind: "Vezi că

turcii mă căznesc, /Mă căznesc, mă chinuiesc, /La focuri mă dogoresc /Şi de moartea mea

vorbesc !": 'Sieh, wie mich die Türken quälen, /sie quälen und martern mich, /sie versengen

mich, /und sprechen über meinen Tod' (v 266-269). Dem Versuch, die Türken zu

überlisten, folgt eine Bestrafung. Anstatt Badiul frei zu lassen, wird er noch härter

geschlagen. Dabei verwenden die Türken, dem Text zufolge, die Spitze ihrer Schwerter:

"Nici pe Badiul dezlega, /Ci mai tare mi-l bătea /Cu sfîrcul /Paloşului" (v 307-310). Die

Türken verursachen Badiul, scheint es, große Qualen. Dreimal kehrt das Bild des

schreienden und brüllenden Haiducken wieder: "Badiul /Ţipă /Şi răcneşte" (z.B. v 245-247,

cf. auch v 334-336). Die Bilder des Feuers, des Todes / der Absicht der Türken, Badiul zu

töten kehren ebenso mehrere Male wieder. Mit Feuer versengen sie ihn, sie machen ihn

bereit für den Tod ("La flacăre-l dogorea, /Şi de moarte mi-l gătea"), lautet der Text in den

Versen 379-380 und in ähnlicher Weise in den Worten Bădiuleasas, als sie Neculcea um

Hilfe holt (cf. v 530-539). In Vers 403 spricht Badiul von seinem Tod (se duce viaţa mea),

in den Versen 769-770 kommt expressis verbis zum Ausdruck, daß Badiul durch die

Türken das Verderben finden wird ("le-i Badiul /De pierzare"), in Vers 789, daß der

Haiducke gemartert wird ("Cum e Badiul pus la chin"), in Vers 959, daß die Türken im

Hause Badiuls Feuer gelegt hätten - eine Lüge des Haiducken - ("Foc la casă că mi-a pus"),

etc. Der Türke handelt und benimmt sich, den literarischen Darstellungen zufolge, als

äußerst feindlich und in hohem Maße grausam. Letzteres wird in Vers 803 auch explizit

gesagt: "Turcul, măre, e hain": 'Der Türke, der ist wirklich grausam'. Er wird zusätzlich in

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den Worten Badiuls als widerwärtig, abstoßend beschrieben ("Tot turc, ursuz", v 958; ad

Verallgemeinerung der Beschreibung cf. Namen) und von diesem auch beschimpft ("pe

turci că suduia", v 863). Die türkischen Protagonisten lassen sich nicht von ihrem

Vorhaben abbringen. Sie schenken dem Flehen Bădiuleasas kein Gehör und binden Badiul

nicht los: "de rugă n-asculta, /Pe Badiul nu-l dezlega" (v 377-378). Einem vermeintlichen

Kaufmann, der Badiul als Sklaven erwerben will, antworten sie, daß dieser nicht ein Mann

sei, dem man verzeihe, daß er nicht ein Sklave wäre, den man verkaufe, sondern daß er nur

zum Verderben bestimmt sei: "Nu ne-i omul /De iertare, /Nu ne-i robul /De vînzare, /Ci ne-

i numai de pierzare" (v 736-741, cf. auch 726-731). Auch ein zweites und drittes Bitten des

Kaufmanns auf Knien und mit Tränen in den Augen, noch sein Versprechen von Geld ("În

genuchie le cădea /Şi cu lacrămi se ruga", v 751-752; "C-o da galbeni şi parale", v 758)

können die Türken erweichen: "Dar turcii nu se-ndura" (v 761). Alle diese Porträtierungen

enthüllen, wie schon teilweise gefolgert wurde, die grausame, hartherzige, in gewissem

Sinne vielleicht auch hartnäckige Persönlichkeit der Handelnden. Andererseits erbarmen

sich die Türken schlußendlich, als sie den auf Knien bittenden Kaufmann sehen und

erlauben ihm seinen Wunsch: "Pe urmă, milostivit... /In genuchie de-l vedea, /Slobozenie

că-i da" (v 805-808). Die Gestaltung der mitleidlosen Charaktere ist hierbei aufgebrochen,

die Türken zeigen Erbarmen.

b) Wie schon erwähnt wurde, überlistet der ceauş Bădiuleasa und belügt sie. Wie schon

gezeigt wurde, fragt er nach Badiul als seinem Bruder. Er gibt vor, sich mit ihm beraten

und bereden zu wollen und ihn reich zu machen: "avem sfat de sfătuit /Ş-avem vorbe de

vorbit !... /Cu bănet /Îl bogăţim !" (v 90-113 und supra). Der Anführer der Türken ist also

falsch. Aber auch andere Eigenschaften werden ihm zugewiesen. Als der Türke Badiul

sieht, verliert er - im Gegenteil zu seinen Kameraden - die Beherrschung nicht: "Cumpătul

că nu-şi pierdea" (v 183). Er tritt mit Besonnenheit bzw. auf, ist also in gewissem Sinne

tapfer.

d) Wie schon weiter oben erwähnt wurde, bekämpft Badiul seine (türkischen) Gegner Seite

an Seite, wie der Text besagt, mit anderen fünzig türkischen Schlächtern, Männern ganz

besonderer Tugenden: "Măcelăreşte, /Cu cincizeci de măcelari. /Tot agale şi turci mari" (v

25-27). Die Beschreibung der fünzig Agas als turci mari, läßt am ehesten - und in Analogie

zum Namen Ştefans des Großen / Ştefan cel Mare - an Individuen denken, die aufgrund

ihrer Taten als herausragend, edelmütig, tapfer, etc. gelten.

Religion / Ideale:

Der Türke wird als Heide / Häretiker beschrieben: "Turcul, măre, e păgîn" (v 804).

Leidenschaften:

Nach der Gefangennahme Badius veranstalten die Türken ein feuchtfröhliches Gelage: "Iar

pe Badiul de-l lega, /"Masă mare că-ntindea, /Şi la chefuri se punea" (v 238-240). Auch

durch Geld lassen sie sich nicht von diesem ablenken: "Turcii banii că vedea, /De la chef

nu se clintea": 'Als die Türken das Geld sahen, /bewegten sie sich nicht' (v 305-306). Sie

scheinen also mit besonderer Leidenschaft zu trinken. Auch die (falsche) Behauptung

Badiuls gegen Ende der Erzählung, sich in Gesellschaft der Türken betrunken zu haben

("Cu turcii /M-am îmbătat", v 953-954), assoziiert die Türken noch einmal mit der

Vorstellung des Zechens. Wie schon erwähnt wurde, versucht Badiul, die Türken mit Geld,

und dann auch durch die Reize seiner Frau abzulenken, er hat aber keinen Erfolg. Dennoch

hat der Haiducke mögliche Affinitäten seiner Feinde zu Geld oder zu Frauen in Erwägung

gezogen. Damit lag er nicht ganz unrichtig. Denn auch wenn Bădiuleasa die Türken nicht

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von ihrem Vorhaben ablenken kann, so hat sie ihnen doch gefallen: "La turci de se arăta,

/Turcilor că le plăcea" (v 374-375).

b) Auch dem Anführer der Türken bleiben die Reize Bădiuleasas nicht verborgen. Er

spricht ihre Schönheit an: "Bădiuleasă /Mult frumoasă (v 76).

Attribute:

Im Laufe der Erzählung werden mehrere Objekte erwähnt, die aus der Welt des Türken zu

stammen oder diese zu repräsentieren scheinen. Der Anführer der Türken fesselt Badiul mit

einer Schnur aus Seide ("Mîna-n pozunar băga, /Scul de mătase /Scotea... /După gît i-l

arunca", v 184-195). Badiuleasa soll, auf den Wunsch ihres Mannes Schätze holen, - außer

arabischen Rubinen, Goldstücken aus Venedig, lippowanischen Groschen, und

moldauischen Dinaren, auch - türkische Goldmünzen ("Umple cu galbeni poala... /Cu

mahmudele /Turceşti, /Cu rubiele /Arăpeşti", v 271-277, cf. Turzismen) und sie soll sich,

mit den Schuhen aus Ţarigrad bekleiden: "Pune... D-ale cum îmi place mie... /Cu papuci

/De Ţarigrad" (v 339-353). Auch Turbane und Pistolen gehören, wie schon gezeigt wurde,

zum Bild / zur Austattung der Türken (cf. supra, v 900). Die türkischen Protagonisten

werden außerdem mit einem sprachlichen Kennzeichen charakterisiert. Von Neculcea

bekommt Bădiuleasa den Rat, in einer bestimmten Situation, die Türken mit selamalîc,

einer türkischen Formel des Grußes, anzusprechen ("O să viu /Cum mă vezi, aşa chefliu,

/Şi din gură chiuind... /Tu selamalîc le-i da", v 564-575).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Titel und andere Bezeichnungen der auftretenden Figuren kennzeichnen unterschiedliche

Würdenträger und Angehörige der staatlichen Hierarchie im Osmanischen Reich (cf.

Namen bzw. die Verse 68-69, 94-98, 124-127). Die historische, vom caimacan zum aga,

zum spahiu und zum ienicer verlaufende Gesellschaftshierarchie, ist im Text nicht

eingehalten. Dennoch findet sie in der emphatischen Hervorhebung der caimacani (cinstiţi

caimacanilor) ein gewisses Echo. Badiu hat unter all seinen Reichtümern, wie schon

gezeigt wurde, türkische Goldmünzen (und arabische Rubine; ad mahmudea cf.

Turzismen). Aus Gefallen an Bădiuleasa beschenken die Türken sie mit Goldstücken: "Cu

galbeni o dăruia" (v 376). Sie werden also, zweimal mit der Vorstellung von Gold(stücken)

assoziiert.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

Der Haiducke schickt seine Frau aus, damit sie Wasser aus der Donau hole ("La Dunăre să

te duci, /Apă rece să aduci, /Apă rece pentru turci" (v 410-412). Unserer Erzählung nach,

tauchen die Türken in dem Haus des Haiducken, also in der Nähe der Donau, auf. Es wird

auch Ţarigrad erwähnt, allerdings als Ort, wo Neculcea seine Heldentaten vollbringt ("Pe

Neculcea l-ăi găsi, /Fecioraş de sîrb bogat, /Mare veste-n Ţarigrad", v 433-435). Aufgrund

von Intertextualitäten können wir davon ausgehen, daß er dort auf Türken trifft und sich

mit ihnen mißt.

25.11. Ballade von Ilincuţa Sandului

Die vorliegende Ballade erzählt in 355 Versen, wie eine rumänische Frau von Türken

geraubt wird. Als Protagonisten primärer Bedeutung treten auf Ilinca und ein Türke, der im

Namen des Kaisers handelt. Daneben treten noch andere Personen auf in der Figur des

Sandus und der Sănduleasa, des türkischen Kaisers und seines Sohnes, sowie verschiedene

türkische Beamte. Der Sohn des türkischen Kaisers von Ţarigrad verliebt sich in die schöne

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Ilinca. Daraufhin läßt der Kaiser einen Trupp Untergebener ausschicken, damit sie Ilinca zu

ihm brächten. Sănduleasa, die Mutter Ilincas, behauptet vor den Türken, daß ihre Tochter

gestorben sei. Der kommandierende Türke glaubt ihr aber nicht und sucht solange nach

dem Mädchen, bis er ihr Versteck findet. Die Türken entführen Ilinca auf einem Schiff. Es

gelingt Ilinca, sich von ihren Fesseln zu befreien. Sie springt ins Wasser in den Tod, um

einer Versklavung bei den Türken zu entgehen. Mehrere Passagen des Textes verleihen den

rumänischen Protagonisten - zwar nicht vollständige, aber - spezifische "Konturen". Ein

anderes Mädchen, das so schön wäre, wie Ilinca, findet der Kaiserssohn nicht, lauten z.B.

die Verse 31-35: "Dar ca dînsa n-a găsit /Mai chipoasă, /Mai frumoasă, /Mai cu chip de

puic-aleasă, /Ca fata de Sănduleasă" (v 31-35). Auch über ihre Tätigkeiten, ihre

Religiosität, u.a., erfahren wir etwas (cf. v 56-76). Die Figur des Vaters, der kurz auftritt,

z.B., trägt den Eigennamen Sandu, er wohnt an den Ufern der Olt, wo er auch seine Häuser

hat und er ist begütert: "Sus, pe malul Oltului, /La casele Sandului, /Sandului bogatului" (v

2-4). In den Handlungen Sănduleasas wird eine Person dargestellt, die, wie schon oben

erwähnt, die Türken belügt und ihren Befehlen nicht entspricht. Nicht um ihr Leben würde

sie, ihren Worten zufolge, das Versteck Ilincas verraten: "Pe Ilinca nu v-aş da /O dată cu

viaţa mea" (v 147-148, Lüge wiederholt in 212-216).

Namen / Bezeichnung:

a) Der auftretende Sohn des Kaisers trägt keinen Namen (feciorul de-mpărat, v 25).

b) Auch die Figur des Kaisers wird namentlich nicht benannt (cf. v 25).

c) Der Kaiser befehligt einen beşleaga, der namentlich nicht anders bezeichnet ("Poruncea

lui beşleaga", v 45), der aber topographisch zugeordnet wird ("Beşleaga din Orava", v 91).

d) Desweiteren befehligt der Kaiser einen caimacam-aga, der nicht anders bezeichnet wird,

als mit diesem Titel ("Poruncea... lui caimacam-aga", v 45-46).

e) Es treten mehrere Gruppen, von fünzig, sechzig, achtzig und hundert Türken, aus

verschiedenen Städten auf: "Vro cincizeci de brăileni, /Şaizeci de turci gălăţeni, /Cu

optzeci ţarigrădeni /Şi c-o sută giurgiuveni" (v 86-89; cf. Toponyme). Sie werden von

Sănduleasa als "Turcilor, /Agalelor" (v 145-146 und wiederholt in v 278-279) mit einem

Gattungsnamen und einem Titel angesprochen.

f) Ein weiterer, namenloser Protagonist tritt auf (Turculeţul, v 94; ăl turc, v 228; cf.

Ausseh.).

g) Nur einmal werden - in den Gedanken Ilincas - ohne weitere Beschreibung cadîne

'Türkinnen' erwähnt: "Decît roabă /Turcilor /Şi slugă /Cadînelor, /D-o o masă /Morunilor"

(v 304-309; Soziale Struktur).

h) Der Erzähler bezieht sich einmal allgemein auf (die) Türken, ohne damit im speziellen

bestimmte Protagonisten der Geschichte anzusprechen. Die Tochter Sandus ist so schön,

daß die Türken sie mit Sehnsucht begehren: "Are Sandul fată mare /Frumoasă cum nu e-n

lume... /Seacă la turci inima !" (v 15-19).

Genealogie / Familiensippen:

a) Der Protagonist ist, wie gezeigt wurde, aus der kaiserlichen Familie (cf. supra, v 25).

f) Vers 96 weist auf ein Sohn-Vaterverhältnis hin: "Feciorul /Lui Ciupăgel".

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

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Wien, am 02.06.11, Seite 189 von 259

b) Der Kaiser gibt seinen Befehl, Ilinca herbeizubringen, an den beşleaga und den

caimacam weiter: "Iară tat-su poruncea, /Poruncea lui beşleaga /Şi lui caimacam-aga... /S-

aducă pe Ilinca" (v 44-48).

c) Der beşleaga scheint das militärische Kommando über verschiedene Städte

innezuhaben, aus denen er einen großen Trupp Türken zu sich ruft ("Vro cincizeci de

brăileni, /Şaizeci de turci gălăţeni, /Cu optzeci ţarigrădeni /Şi c-o sută giurgiuveni,

/Adunaţi de beşleaga", v 86-90).

g) Die schon erwähnten cadîne haben, den Worten Ilincas zufolge, Sklaven ("Decît roabă

/Turcilor /Şi slugă /Cadînelor, /D-o o masă /Morunilor", v 304-309).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

e) Die Protagonisten werden im Vergleich zueinander beschrieben. Es tauchten, wie wir

schon gesehen haben, eine Menge Türken auf ("Vro cincizeci de brăileni, /Şaizeci de turci

gălăţeni, /Cu optzeci ţarigrădeni /Şi c-o sută giurgiuveni", v 86-89). Darunter befindet sich

einer, der als sehr klein beschrieben wird (cf. unten), der aber größer ist, als alle anderen

("Foaie verde foi de treste, /Dar mai mare cine-mi este ? /Turculeţul..."; v 92-94). Nach

diesem Vergleich müßten folglich alle Türken von auffällig kleinem Wuchs sein.

f) Einer der Türken ist, seiner Beschreibung nach, von kleiner Statur. Mehrmals wird dieser

Aspekt von dem Erzähler - in Form von Diminutiva oder Adverbien - angesprochen

("Turculeţul /Mărunţel", ăl turc cam mărunţel; v 94-95, 228).

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

e) Als Sănduleasa den Türken das Grab Ilincas zeigt, haben sie Mitgefühl: "(...) un

mormînt le arăta, /Rău la turci /Că le părea" (v 168-169). Sie glauben also den Worten der

Rumänin und lassen sich damit gutgläubig überlisten. Als sie Ilinca endlich doch finden,

beschimpfen sie das Mädchen. Der Autor legt den Protagonisten mit "Anasîni Ilinca" (v

259) einen trivialen Ausdruck in den Mund (cf. Turzismen), der sie als 'gewöhnlich'

charakterisieren könnte.

f) Aus dem Trupp der Türken glaubt ein einziger den Worten Sănduleasas nicht: "Numai

unul /Nu credea" (v 173-174 und 197-197). Er ist also - im Gegensatz zu den anderen -

schlau.

Moral und moralische Eigenschaften:

e) Die Protagonisten werden mit unterschiedlichen charakterlichen Eigenschaften

"konturiert". Die Türken tauchen mit einem von außen mit Eisen beschlagenen Schiff auf

(un caic...prin afară şinuit, v 79-82). Dieses Bild läßt zunächst an feindliches, gefährliches

bzw. kriegerisches Handeln denken. Die Herannahenden grüßen Sănduleasa nicht, sondern

sprechen sie sofort schroff an: "Unde turcii mi-ajungea, /Bună ziua nu-i dedea, /Ci din gură

se răstea" (v 131-133). Sie benehmen sich also schlecht. Ähnliches könnte man auch von

ihrem Benehmen behaupten, als sie Ilinca beschimpfen (cf. Geistige Eigenschaften,

Attribute). Andererseits drücken sie ihr Mitgefühl aus, als Sănduleasa ihnen das Grab ihrer

Tochter zeigt: "Crezămîntul /Toţi îi da" (v 171-172). Sie erbarmen sich auch, als Ilinca sie

darum bittet, ihre Hände zu befreien: "Milă că li se făcea, /Mîinile că-i dezlega" (v 289-

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290). Dies zeigt eine gewisse Weichherzigkeit der Türken. Eine Reihe von Darstellungen

jedoch zeigt ganz andere Wesenszüge. Die Türken fesseln Ilinca mit einer groben Schnur

und bringen sie auf der Donau weg: "C-o tîrsînă mi-o lega, /Spre Dunăre c-o ducea; /În caic

c-o suia /Şi pe Dunăre pornea" (v 266-269). Schon im ersten dieser Verse wird durch die

dargestellte Handlung und die härene Schnur die Grobheit der Türken thematisiert. Die

anderen Verse erzählen, wie llinca gegen ihren Willen fortgebracht, also geraubt wird. Die

- einen inneren Monolog gestaltenden - Worte der Protagonistin drücken aus, daß Ilinca

lieber den Fischen und Krebsen ein gutes Essen, als Sklavin der Türken und Türkinnen

(werde): "Decît roabă /Turcilor /Şi slugă /Cadînelor, /D-o o masă /Morunilor, /Cină /Bună

/Peştilor /Şi mîncare /Racilor !" (v 304-314). Die Türken versklaven also Frauen. Ilinca

zieht es vor, zu sterben, als bei den Türken als Sklavin zu leben. Diese erzählerische

Darstellung vermittelt, daß der Türke schlimmer ist, als der Tod bzw. daß er von so

schlechter Moral sein muß, daß es besser ist, den Tod zu wählen, als seine Welt. Als die

Türken Ilinca tot auffinden, schneiden sie ihr, folgen wir der Erzählung, den Kopf ab und

spießen ihn auf, um ihn dem Kaiser zu bringen: "Frumos capul că-i tăia /Şi în suliţă-l

punea, /La-mpărat îl ducea" (v 332-334). Die Türken handeln also in gewisser Weise

makaber.

f) Der durch sein Handeln aus der Gruppe hervortretende Türke wird beschrieben als

"Turculeţul /Mărunţel... /Se teme Giurgiul /De el" (v 94-99), ein (sehr) kleingewachsener

Türke, vor dem man sich in ganz Giurgiu fürchtet. Diese Darstellung könnte ironisch

gemeint sein. Der Türke wird außerdem in einer ganzen Reihe von Handlungen

charakterlich dargestellt. Als die Türken Ilinca nicht finden können, stellt er sich den

anderen in den Weg, um sie davon abzuhalten, umzukehren: "Dar ăl turc cam mărunţel...

/Nici p-atît nu se lăsa, /Ci cu mîna mi-i oprea" (v 228-234). Er verkörpert damit eine

gewisse Hartnäckigkeit. Als er vom Tod Ilincas nicht überzeugt werden kann, zieht er sein

Schwert, sticht im Grab herum und gräbt Knochen und Steine aus: "Sabia-n mînă lua, /În

mormînt că înţepa, /din mormînt că dezgropa, /Oase şi pietre găsea" (v 183-186). Er

benimmt sich also überaus ruchlos. Um von der Mutter die Wahrheit zu erzwingen, fesselt

er sie mit den Händen am Rücken, zieht sein Schwert, ritzt ihre Brüste und gibt Salz auf

die Wunden: "Pe ea mîna că punea, /Cot la cot că mi-o lega, /Paloş, măre, că scotea, /Ţîţele

că-i despica /Şi cu sare le săra" (v 188-202). Diese Szene zeigt einen Akt äußerster

Grausamkeit, die man dem Türken auf den Leib schreibt. Als der Türke Ilinca nicht finden

kann, wird er fuchsteufelswild und schmettert eine Truhe zu Boden: "Fierea-ntr-însul se

umfla !", în pămînt cînd o trîntea (v 242, 254). Er ist also außerdem überaus jähzornig.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

a) Die Schönheit Ilincas ist der Grund dafür, daß sich der Kaiserssohn in sie verliebt:

"Chipul ei îl săgeta, /Dragostea îl coprindea" (v 40-41). Sein Verlangen nach ihr ist so

groß, daß er sie, wie schon vorweggenommen wurde, rauben läßt.

h) Die Schönheit Ilincas löste, wie oben gezeigt wurde, unter den / allen Türken Sehnsucht

aus (supra v 15-19; cf. Namen).

Attribute:

a) Der Sohn des Kaisers benützt einen Krummsäbel ("Pe hanger mînă /Punea /Şi din teacă

/Mi-l scotea", v 340-343).

e) Dem Text zufolge, haben die Türken grüne Tücher und Teppiche in Verwendung, mit

denen sie ihr Boot auskleiden und schmücken ("Cu postav verde-nvălit... /Cu covoare-

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mpodobit", v 80-83). Wie schon gezeigt wurde, werden die Protagonisten auch mit einem

sprachlichen Ausdruck gekennzeichnet ("Anasîni Ilinca", v 259; cf. Turzismen).

f) Der Türke gebraucht ein Schwert: "Sabia-n mînă lua"; "Paloş, măre, că scotea" (v 183,

200).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Erwähnt wird der kaiserliche Garten, in dem die Türken den Kopf Ilincas begraben:

"Capul unde-i îngropa ?... /În grădina-mpărătească" (v 350-352).

e) Das Boot der Türken ist mit Teppichen ausgeschmückt ("Cu covoare-mpodobit", v 83).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Die Kunde über die schöne Ilinca dringt aus Orava bis nach Ţarigrad, zum Sohn des

Kaisers: "Se ducea vestea de ea... /Din Orava-n Ţarigrad, /La feciorul de-mpărat" (v 21-25).

Genannt wird also - neben Orava, dem Ort, aus dem die Kunde Ilincas sich verbreitet,

Istanbul als Sitz des Kaiserhofes. Von hier macht sich der Sohn des Kaisers auf in

Richtung Donau: "El la Dunăre pornea /El la Dunăre-mi sosea" (v 36-37). Die Donau ist

auch der Weg, auf dem die Türken zu Ilinca gelangen: "Pe luciul Dunării... /Tare-mi vine

d-un caic" (v 77, cf. auch v 78-89).

c) Der Anführer der Türken ist, s Bezeichnung nach, aus Orava ("Beşleaga din Orava", v

91). Einschlägige Lexika haben keinen Eintrag zu diesem Lemma. Möglicherweise handelt

es sich in der Geschichte um Oraviţă, eine kleine Banater Stadt in Donaunähe und an der

Grenze zum heutigen Serbien. Geographisch liegt dieser Ort nicht sehr weit von den

Oltufern, der westlichen Grenze der heutigen Walachei, wo sich auch - der literarischen

Darstellung nach, - die Häuser Sandus befinden.

e) Um den beşleaga versammeln sich Türken aus verschiedenen Städten ("Vro cincizeci de

brăileni, /Şaizeci de turci gălăţeni, /Cu optzeci ţarigrădeni /Şi c-o sută giurgiuveni", v 86-

89). Sie kommen also aus Brăila und Galaţi, wichtigen Hafenstädten an der

Donaumündung, aus Istanbul und aus Giurgiu. Letztere Stadt liegt in der muntenischen

Region der heutigen Walachei, ebenfalls an der Donau.

f) Mit Giurgiu wird auch der kleingewachsene Türke in Verbindung gebracht, wie die

Verse 98-99 gezeigt haben (cf. supra).

25.12. Ballade von Marcu

In 162 Versen wird uns erzählt, wie ein Türke gegen den rumänischen Haiducken Marcu

vorgeht und wie Marcu an seinem Widersacher Rache nimmt. Neben diesen zwei

Protagonisten tritt als Nebenfigur der Erzählung die Geliebte Marcus auf. Ein Türke stöbert

die Behausung Marcus auf, verwüstet sie, tötet die Mutter und raubt die Geliebte des

Haiducken. Daraufhin bricht dieser nach Istanbul auf und gelangt mit einer List in das

Haus des Türken, an dem er Rache nimmt, indem er ihm den Kopf abschneidet. Die

namentliche Nennung des Rumänen, sowie Angaben zu seinem Wohnort, seiner

Ausstattung, seinem Vermögen, seiner Listigkeit, seiner Rache an dem Türken, etc.

(Mărcuţ, v 1-2, 27; "Cărpiniş, pădure deasă, /Mărculeţ s-a dus de-acasă"; "Şi pe murg a-

ncălecat", v 24; "Marcului bogatului", v 40; "Dar surduţ mi să făcea", v 56; "la Turc să

repezea /Şi capul îi reteza", v 159-160) verleihen dem Protagonisten eine bestimmte

Kontur, Persönlichkeit und Identität.

Namen / Bezeichnung:

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Wien, am 02.06.11, Seite 192 von 259

a) Der einzig auftretende Protagonist wird im Laufe der Erzählung als Türke bezeichnet

(Turcu, v 3). Einmal wird er explizit als hündischer Heide (păgînul încînit, v 11) und

später noch einmal als Grausamer angerufen ("Turcule, hainule", v 134; cf. Moral und

Religion).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) In Verkleidung eines Mönchs fodert Marcu den Türken auf, ihm etwas zu geben und

sich seiner zu erbarmen: "Hai de dă, Turcule, dă, /Hai de dă şi milă-ţi fă /De sufletu

Marcului" (v 37-39, wiederholt in v 41-42, 58-59, 62-63). Marcu wiederholt seine

Forderungen nach einer bestimmten Summe von Geld: "Dă, Turcule, /sărindare, /Să-i

facem slujba cea mare" (v 45-46). Das in diesen Versen erwähnte sărindar wird im DEI

folgendermaßen erklärt: "1. Rugăciuni ce se fac de către preot timp de 40 de zile în şir, în

spec. pentru odihna sufletului unui mort în cele 40 de zile ce urmează după înmormîntare;

2. Ceea ce se plăteşte popii pentru aceste rugăciuni" (ib., s.v.). Die griechisch-byzantinische

Etymologie des Wortes (ib.) weist auf einen Ritus der orthodoxen Kirche hin, der in 40-

tägigen Gebeten für einen Verstorbenen bzw. in der Summe, die man für diese Gebete

einem Pfarrer zahlt, besteht. Um diese Summe also bettelt der verkleidete Marcu in

Erwartung, daß der Türke ihm diese gebe. Um das Pferd des vermeintlichen Bettlers

feilscht der Türke ("murguleţul tocmea", v 117).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Marcu überlistet den Türken auf mehrfache Weise. Er verkleidet sich als Bettler, um

unerkannt zu bleiben: "Ţîpat-a haină mărcească, /Ş-a luat călugărească, /Nime’ să nu mi-l

cunoască" (v 21-23). Er täuscht den Tod Marcus mit der Bitte um das Geld für dessen

Seelenmesse vor (cf. v 35-48), er gibt vor, mit dem Türken um sein Pferd bei etwas Wein

verhandeln zu wollen: "Noi murguţu vom tocmi, /Şi pînă ne-om învoi, /Amîndoi că vom

cinsti, /Vinişor vom gustări": 'Wir werden um das Pferdchen handeln, /und bis wir uns

einig werden, /werden wir beide etwas trinken, /ein Weinchen werden wir probieren"' (v

72-75). Auch als sie gemeinsam trinken, täuscht Marcu vor, zu trinken: "Marcu bea şi nu

prea bea" (v 119). Der türkische Protagonist fällt also mehrmals auf die Lügen bzw. die

Listigkeit des Rumänen herein. Das könnte ein Zeichen der einfältigen Natur des Türken

sein.

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Der Charakter des Türken spiegelt sich v.a. in seinen Handlungen wider. Er spürt Marcu

auf, verspottet ihn schwer, verwüstet ihm seine Festung, reitet seine Mutter mit dem Pferd

nieder, er begnügt sich damit nicht, sondern verspottet Marcu noch schlimmer, raubt seine

Braut und bringt sie weg: "Turcu a d-oblicit... /Şi rău l-a batjocorit: /Cetatea prădatu-i-a,

/Măicuţă călcatu-i-a /Cu copita calului /Tocma-n capu pieptului.... /Cu-atît nu s-a-ndestulit,

/Mai rău l-a bătjocorit: /Nevasta robitu-i-a, /Departe pornitu-o-a" (v 3-15). Die Verse 16-18

nehmen noch einmal, mit anderen Worten, Bezug auf die erwähnten Schandtaten des

Türken. Der arme Marcu hat von der Sinflut gehört, die ihm das Haus verwüstet hat:

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"Marcu, biet, o auzit /De potopul cel cumplit /Ce casa i-a pustiit" (v 16-18). Marcu findet

seine Braut mit klagendem Gesichtsausdruck, seufzend und mit Tränen in den Augen im

Haus ihres Entführers: "Vedea mîndră soţioară, /Cu jelită feţişoară; /Sînişorul-i suspina,

/Ochişorii-i lăcrima" (v 89-92). Zusätzlich bringen, wie schon gezeigt wurde,

Bezeichnungen des Türken, wie hündischer Heide oder Grausamer (cf. Namen) die

Schlechtigkeit desselben explizit zum Ausdruck. All diesen Darstellungen nach, bringt der

Türke dem Rumänen schweren Spott, schlimmste Verwüstung, grausames Leid und Tod.

Außer einer tiefen Ruchlosigkeit verkörpert der Türke noch eine weitere Eigenschaft. Sie

geht aus seiner Reaktion hervor, als Marcu sein Schwert zieht. Der Türke erstarrt vor Angst

und als er sich wieder besinnt, bietet er alle seine Reichtümer dafür, daß Marcu ihn am

Leben läßt: "Turcu rău încremenea /Şi-n fire dacă-şi venea, /Ele de Marcu să ruga:... /Ţie

toată ţ-o voi da /Zilele de-mi vei lăsa !" (v 142-152). Der Türke ist also auch feige.

Religion / Ideale:

a) Die Darstellung des Türken ist in Vers 11, wie schon gezeigt wurde, diejenige eines

Muslimen. In der Frage Marcus an seine Geliebte wird - in der Gegenüberstellung des

Christen - der Heide / Häretiker angesprochen: "Cum creştin ai urît /Şi păgîn ai îndrăgit ?":

'Wie kommt es, daß du dir eines Christen überdrüssig geworden bist, und einen Heiden lieb

gewonnen hast' (v 100-101). In den Versen 16-18 (cf. Moral) wird das Kommen der

Türken mit der Bildlichkeit einer Sintflut, der absoluten Vernichtung also, verbunden.

Leidenschaften:

a) Dem Inhalt mehrerer Textpassagen zufolge, hat der Türke drei besondere Vorlieben: Das

Pferd des vermeintlichen Geistlichen gefällt ihm so gut, daß er um den Preis des Tieres

fragt: "Alelei, măi părinţele, /D-auzi cuvintele mele: /Murguleţu tare-mi place, /Spune-mi

mie cîţi bani face ?" (v 50-54). Er kehrt mit Wein ins Haus zurück und trinkt soviel, daß er

betrunken wird: "Turcu-n casă că turna /Şi vin roşu aducea", "Turcul bea şi să-mbătea" (v

111-112, 118/121). Er schlägt dem Geistlichen vor, sich ins Kartenspiel zu werfen:

"Părinţele, părinţele, /D-auzi cuvintele mele... /Ian aruncă-te la joc, /Dar la joc colea cu

foc" (123-127). Pferde, Wein und das Kartenspiel scheinen Leidenschaften des Türken zu

sein.

Attribute:

a) Während des Feilschens um das Pferd sitzt der Türke auf einem Diwan: "Pe divan să

aşeza /Şi murguleţul tocmea" (v 116-117, cf. Turzismen).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Die Erwähnung, daß Marcu in Istanbul unter einem Fenster bettelt, zeigt, daß der

türkische Protagonist in einem Haus in dieser Stadt lebt (cf. v 33-35). Auch der erwähnte

Keller, in den der Türke um Wein geht, skizzieren die Räumlichkeiten eines Hauses:

"Turcu-afară că ieşea, /Şi-n pivniţă să ducea" (v 82-83). Marcu bittet um Spenden aus dem

Hab und Gut des Türken, er setzt also voraus, daß er dieses hat: "Hai de dă, Turcule, dă...

/Nu din averea turcească" (v 41-43). Der Türke fordert Marcu auf, seinen Blick auf ein Tal

mit einer Burg zu richten, die, seinen Worten zufolge, voll von Reichtümern wäre: "Ian

aruncă ochii tăi /Tot de-a lungul celei văi /Şi priveşte-a mea cetate, /Că-i plină de bogătate"

(v 147-150). Der Protagonist ist demnach in Besitz von Ländereien, eines Schloßes und

von Reichtümern.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

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a) Wie wir schon gesehen haben, geht Marcu nach Istanbul, um den Türken zu finden: "în

grabă c-a plecat"; "La Ţărigrad ajungea /Şi la Turc că să ducea" (v 25, 33-34).

25.13. Ballade von Stoian-Bulibaşa

In der Geschichte von Stoian-Bulibaşa (208 Verse) treten neben dem gleichnamigen

Protagonisten, als handelnde Personen auch ein Khan, mehrere Türkinnen, Soldaten, die

Frau und ein Verwandter Stoians, sowie weitere Türken auf. Die Ballade weist eine

außergewöhnliche Dichte, d.h. schnelle - und stellenweise unmotivierte - Abfolge von

verschiedenen Erzählsequenzen auf. Am Beginn der Erzählung schildert uns der Autor die

Missetaten Stoian-Bulibaşas, der die Steuern nicht entrichtet und ganze Ländereien

verarmen läßt. Als der Khan über diese Untaten unterrichtet wird, schickt er Soldaten mit

einer Nachricht für Stoian aus. Vorgewarnt durch böse Vorahnungen seiner Frau, macht

sich Stoian-Bulibaşa bewaffnet auf den Weg zu einem Verwandten und trifft unterwegs

einen harap (eine phantastische Gestalt, die z.B. auch in der Ballade Kira Kiralina auftritt).

Der Verwandte bittet Stoian zu Tisch, macht ihn betrunken und entledigt den schlafenden

Gast seiner scharfen Waffen. Da herbeigewunkene Türken es nicht wagen, sich dem

schlafenden Stoian zu nähern, holt man einen Pfarrer herbei, der den Rumänen mit einer

Ohrfeige weckt. Als dieser erwacht, befindet er sich unbewaffnet im Angesicht der Türken

wieder, die ihn aufzuhängen beabsichtigen. Schlußendlich ist aber er derjenige, der alle

Türken tötet und auch auf grausame Weise an dem Verwandten, der ihn an die Türken

auslieferte, Rache nimmt. Die Bezeichnung des Protagonisten gibt dieser Figur eine

bestimmte Identität. Der Titel buli-başa bezeichnet, der Definition von Al. Amzulescu

nach (Balade populare romîneşti, vol. III, 1964:435, s.v.), den Kommandanten eines

großen Söldnerheeres. Folglich würde Stoian ein hohes militärisches Amt ausüben. Dies

bestätigt auch die Bezeichnung des Protagonisten als Anführer der (Halbinsel) Krim

("Căpitanul de Craina", v 7). Die Klagen der Türkinnen über Stoian werden dem Khan

gegenüber vorgebracht ("Alei, doamne, han bătrîn... /Vezi, Stoian-bulibaşa, /De cînd s-a

bulibăşit, /Turchia mi-a sărăcit", cf. v 28-33). Stoian ist also Untergebener des Khanats

Krim. Der Name Stoian könnte hingegen auf eine christliche Person rumänischer oder

serbischer Herkunft hinweisen, die das erwähnte militärische Amt innehat. Wie aus dem

oben zitierten Vers 32 hervorgeht, treibt Stoian sein Unwesen auf türkischem Boden.

Insgesamt erinnert die Figur Stoians aufgrund der Beschreibungen im Text sehr stark an

den - in anderen Balladen auftretenden - rumänischen Haiducken. Seitdem Stoian, als

Kapitän der Krim das Amt eines Heerführers übernommen hat, kommen keine Steuern

mehr und die halbe Bugeac-Gegend und ein Drittel der Krim sind verwüstet: "Dar Stoian-

bulibaşa, /Căpitanul de Craina, /De cînd s-a bulibăşit, /Haznale n-a mai venit, /Bugeacul

mi-a pustiit, /Bugeacul pe jumătate /Şi Crîmul a treia parte" (v 6-12). Stoian entspricht den

Steuerforderungen der Tataren nicht und verwüstet zusätzlich das Land. Auch den Türken

bringt er den Tod, wie der Autor es in makabren Bildern zum Ausdruck bringt. Aus dem

Fleisch der Türken hat Stoian eine Brücke über den Nistru gebaut; die Türken, die ihn

aufhängen wollten, zerhackt er mit einem Beil: "Pod pe Nistru mi-a făcut, /Numai cu carne

de turc" (v 13-15); "Şi-ntr-o groapă că cădea, /Peste-un turculeţ cădea, /Şi-un topor în

mînă-avea, /Toporu din mînă-i lua /Şi pe turc că mi-l tăia. /Afară la turci ieşea /Şi pe toţi că

mi-i toca" (v 169-175). Der - in Versen zuvor erzählte - Kampf Stoians gegen die Türken,

in dem er sie mit seinem Stiefel niedertritt, hat einen Aspekt von Lächerlichkeit. Der

Erzähler schildert uns, wie Stoian die Türken erblickt und da er keine Pistole hat, er sich

den Stiefel auszieht, durch die Menge von Türken hindurchrast und (mit diesem) auf der

Stelle fünf Türken niederschmettert, bis sein Stiefel (dadurch) bricht: "Cînd în turci mi se

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Wien, am 02.06.11, Seite 195 von 259

vedea, /El pistoale nu avea, /Cizma din picior scotea /Şi prin turci se repezea, /Cîte cinci pe

loc trîntea, /Pînă cizma c-o rupea" (v 138-143). Auch in anderen Textstellen finden wir

Darstellungen, die durchaus komisch empfunden werden können. In privater Umgebung

läßt sich Stoian von Türken bedienen. Reiche Türken sind Knechte bei ihm, große

Anführer beaufsichtigen seine Pferde und schöne Türkinnen kochen für ihn: "Ce turc era

mai bogat, /La Stoian - băgat argat; /Ce turc era mai beşliu, /La Stoian - arghelegiu; /"Ce

cadînă mai frumoasă; /La Stoian bucătăreasă" (v 16--21).

Namen / Bezeichnung:

a) Ein erster Hinweis auf eine Türkenfigur wird in dem makabren Bild einer Brücke

gegeben, die Stoian aus dem Fleisch vom Türken gebaut hat ("Pod pe Nistru mi-a făcut,

/Numai cu carne de turc", v 14-15). Die attributive Ergänzung (vom Türken) dient der

Identifizierung des als Patiens auftretenden Türken.

b) Vers 16 bezieht sich verallgemeinernd auf (eine Gruppe von) Türken ("Ce turc era mai

bogat").

c) In Vers 18 bezieht sich der Erzähler - ebenso verallgemeinernd - auf (die Gruppe der)

beşlii ("Ce turc era mai beşliu, /La Stoian - arghelegiu", v 18-19);

d) in Vers 20 auf (eine Gruppe von) Türkinnen: "Ce cadînă mai frumoasă; /La Stoian

bucătăreasă" (v 20-21).

e) Es tritt ein Khan auf: "Cadînile... trecea, /La bai-hanul cel bătrîn"; Chiran-hanul (v 24-

27; 44). Er wird als Herr angerufen: "Alei, doamne, han bătrîn" (v 28; cf. Aussehen) und

als bai-hanul erwähnt (v 24-27). Da der Titel bei den Herrschern türkischer Provinzen

verliehen ist und der Titel han den obersten Anführer (vor allem) der (Krim-)Tataren

kennzeichnet, spiegelt sich in der Bezeichnung bai-han die Funktion eines von den Türken

eingesetzten Khans wider.

f) Als handelnde Erzählfiguren werden weiters genannt (mehrere) Türken. Sie werden als

"Turcilor, /Agalilor, /Şi mai-mari boierilor" (v 161-163; cf. auch 115-116) mit einem

türkischen und einem rumänischen Titel angesprochen (cf. Turzismen).

g) Eine Person aus der Gruppe der Türken wird individuell beschrieben. Auch sie ist

namenlos: "Şi-ntr-o groapă că cădea, /Peste-un turculeţ cădea" (v 169-170; cf. Aussehen).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

e) Dem Inhalt einiger Verse zufolge, wäre Stoian dazu verpflichtet, gewisse Steuern zu

zahlen: "(Stoian-bulibaşa) De cînd s-a bulibăşit... /Haznale n-a mai venit ! (v 31-33). Der

Umstand, daß er das nicht tut, veranlaßt den Khan, ihm durch einige Soldaten einen

schriftlichen Befehl zukommen zu lassen: "D-un firmănaş că-mi scria... /Doi panţuri că mi-

alegea, /La Stoian că-i trimetea" (v 35-39; panţir ist, nach den Angaben im DEI, die

Bezeichnung russische Etymologie für einen "Soldat din cavalerie îmbrăcat în zale", ib.

s.v.; ad firman, cf. Turzismen). Der Khan scheint für die Eintreibung der Steuergelder

verantwortlich zu sein.

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

d) Der Interpret der Geschichte erwähnt in den Versen 20-21 schöne Türkinnen (cf. supra).

e) Der Khan wird als alt beschrieben (bai-hanul cel bătrîn, v 26).

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Wien, am 02.06.11, Seite 196 von 259

f) Die Behauptung, daß Stoian mit seinem Stiefel gleichzeitig fünf Türken erledigt ("Cîte

cinci pe loc trîntea" (v 142), könnte den Eindruck erwecken, diese seien - zumindest Stoian

gegenüber - klein bzw. schwächlich gewachsen.

Kleidung / Ausstattung:

e) Der Khan trägt, seiner Beschreibung nach, einen Krummsäbel in Brusthöhe: "han bătrîn,

/Cu hanger bogat la sîn" (v 28-29).

Körperliche Eigenschaften:

g) Stoian fällt in eine Grube und auf einen Türke, der, seiner Beschreibung nach, von

kleiner Statur ist: "Şi-ntr-o groapă că cădea, /Peste-un turculeţ cădea" (v 169-170)

f) Cf. Ausssehen.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

f) Die Türken werden als Todfeinde Stoians dargestellt. Ein Verwandter Stoians gibt ihnen

ein Zeichen, um den Kopf Stoians abzuschneiden: "Voie la turci că-mi da"... /Lui Stoian

capu să-i ia" (v 115-117). Sie fangen ihn zuerst ("turcii că-l prindea", v 148) und errichten

einen Galgen, um ihn aufzuhängen, um - wie der Erzähler wiederholt - ihn zu töten: "ei,

frate, că-mi bătea /două furci... /Să-l puie-n spînzurătoare, /Pe Stoian să mi-l omoare !" (v

152-158). Die Türken bringen also ihren Widersachern Tod und Verderben. Wie schon

gezeigt wurde, fangen sie Stoian mit der Hilfe eines Verwandten. Dieser gibt den Türken

ein Zeichen, worauf sich alle unter ihnen versammeln, um Stoian fertig zu machen: "Voie

la turci că-mi da" /Toţi turcii că-mi strîngea, /Lui Stoian capu să-i ia" (v 115-117). Als

dieser aus seiner Betrunkenheit erwacht, sieht er sich inmitten von Türken: "Cînd în turci

mi se vedea" (v 138). Diese Darstellungen, die große Angst vor Stoian, aufgrund der sie

sich nicht an ihn heranwagen ("Turcii nu s-apropia, /Aşa frică de i-erea !", v 118-119), die

geplante Entwaffnung, die Gefangennahme Stoians mit Hilfe des Verwandten und das

gemeinsame Vorgehen der Türken gegen Stoian, zeichnen die Protagonisten charakterlich

als sehr furchtsam.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

c) Stoian setzt für Arbeiten in seinen Pferdezüchtungen Türken ein: "Ce turc era mai

beşliu, /La Stoian - arghelegiu", v 18-19; cf. hergheligiu ad Turzismen). Das könnte ein

gewisses Talent bzw. eine gewisse Liebe der Türken für den Umgang mit diesen Tieren

zeigen.

Attribute:

e) Cf. Ausstattung.

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Den Worten des Erzählers zufolge, gibt es unter den Türken Personen, die wohlhabend

sind ("Ce turc era mai bogat, /La Stoian - băgat argat", v 16-17).

e) Der schon erwähnte Säbel des Khans (hanger bogat, v 29) ist reich (verziert). Das

könnte auf einen gewissen Luxus des Protagonisten hinweisen.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.): ——

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Wien, am 02.06.11, Seite 197 von 259

e) Die Türkinnen suchen den Khan in Cladova, einer Stadt im heutigen Banat, auf:

"Cadînile... /(î-)n Cladova că-mi trecea, /La bai-hanul cel bătrîn" (v 24-27).

25.14. Ballade von Roman Voinicul

Die 172 Verse zählende Ballade von Roman Voinicul ist die Geschichte eines Haiducken,

der gegen eine große Menge von Türken und Tataren kämpft. Außer diesem Protagonisten

treten - in der Funktion von Nebenfiguren - zwei weitere Haiducken, Din und Constantin,

drei Frauen aus Ţarigrad, eine alte Frau und ein Heer von Türken und Tataren auf. Die drei

Haiducken zechen in einem Zeltlager im Flachland von Craiova in Begleitung dreier aus

Ţarigrad entführter Frauen, als sie von einer alten Frau unterrichtet werden, daß sich ihnen

Türken und Tataren nähern. Obwohl Roman von einem Hügel aus die große Anzahl der

Feinde erkennt, ist er vor den Frauen aus Istanbul zu stolz, um seine Begleiter um

Unterstützung gegen die Herannahenden zu rufen. Also nimmt er den Kampf alleine auf

und kehrt erst nach drei Tagen des Gemetzels vom Schlachtfeld zurück. Der Erzähler

verleiht den auftretenden rumänischen Figuren ein aufgrund einer Reihe von Angaben

determiniertes Personenporträt. Dazu gehört z.B. der bestimmte örtliche Rahmen der

Handlung ("Pe şesul Craiovei", v 1), sowie die funkelnden Säbel und unzähligen Lanzen

eines Zeltlagers ("Stau corturile... /Şi săbii ca fulgerile, /Şi suliţi ca trestiile", v 2-4), die an

ein kriegerisches Leben der Haiducken im Feld erinnern. Die Protagonisten geben sich dem

Wein und den Frauen hin, die sie sich mit Gewalt verschaffen ("Ei şedeau, la masă beau...

/Cu trei fete de-mpărat, /Cari cu sabia le-au luat /Din mijloc de Ţerigrad" (v 16-20). Diese

Darstellungen skizzieren auf typische Weise den Haiducken, wie wir ihn auch in anderen

Balladen gesehen haben. Bezüglich der Handlung Romans ist auffällig, daß er den Kampf

alleine gegen eine riesige Übermacht von Feinden aufnimmt. Din schickt Roman aus, um

zu sehen, wie viele Türken auf sie zu kämen: "Să vezi turcii cîţi or fi ?" (v 49). Wenn es

fünf oder sechs Tausend wären, so lauten seine Worte, sollen sie nur für Roman (bestimmt)

sein: "De-or fi cinci sau şase mii, /Numai bine ei ţi-or fi" (v 50-51). Wenn er aber mehr

Türken sehe, wenn es zehn, fünfzehn Tausend wären, solle er eine Nachricht geben: "Iar

mai mulţi de vei vedea, /De-or fi zece cinsprezece, /Numai veste de ni da" (v 52-54). Als

Roman die außerordentliche Zahl von Gegnern wahrnimmt, überlegt er sich zuerst,

umzukehren. Aus Scham vor den Frauen, nicht alleine mit den Feinden fertig zu werden,

beschließt er jedoch, zum Kampf alleine: "El în sine îşi zicea: /Înapoi m-aş înturna, /Dar

ruşinea m-ar mînca /De trei fete de-mpărat... /Plini-voi cu capul meu !" (v 72-79; cf.

Namen). Der Erzählung zufolge, kommt der Haiducke also normalerweise leicht gegen

einige Tausend Türken an. Das Vorgehen des Protagonisten gegen die Türken besteht

darin, diese - ohne Ausnahme - zu töten. Diesen Umstand können wir aus den Worten

Dinus entnehmen, der Roman Hilfe anbietet, bis alle Türken getötet wären: "În ajutor noi

ţi-om sta, /Păn’ pe toţi îi vom tăia" (v 55-56). Roman, der den Kampf alleine bestreitet,

steht sovielen Gegnern gegenüber, daß er vier Morgen, vier Tage und vier Nächte lang

nicht anderes tut, als diese zu vernichten: "Tot tăia cît îmi tăia, /Toată ziua păn’nnopta, /Şi-

alte trei zile şi nopţi, /Şi trei albe dimineţi" (v 104-107). Der Akt der Tötung hat in dieser

Darstellung einen fast durativen Aspekt, der sich auch im folgenden Bild widerspiegelt:

Constantin, der auf einen Hügel steigt, um nach Roman Ausschau zu halten, sieht einen

taumelnden, fluchenden, das Schwert hin und her bewegenden Roman, sodaß ihm schien,

Roman tötete noch immer: "Constantin... /În movilă se suia /Şi în vale se uita. /Iată,

Doamne, ce vedea ? /Venea Roman cucăind... /Şi cu gura suduind, /Cu sabia fluşturînd,

/Că i se părea /că tot tăia" (v 127-137).

Namen / Bezeichnung:

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Wien, am 02.06.11, Seite 198 von 259

a) Es wird ein einziges Mal - und ohne Namen - der Kaiser bzw. der Sultan Istanbuls

erwähnt ("Ei şedeau, la masă beau... /Cu trei fete de-mpărat", v 16-20; cf. auch v 23).

Es treten, den Versen 16-20 zufolge, drei Töchter des Kaisers auf:

b) - ohne Namen - die, als erste, erwähnte Tochter des Kaisers (cf. Genealogie);

c) - ebenso namenlos - die zweite Kaisertochter (cf. Genealogie);

d) und ebenfalls genealogisch bezeichnet, eine dritte Kaisertochter (cf. Genealogie). Sie

wird außerdem als "Ibovnica lui Roman", die Geliebte Romans (v 25) beschrieben.

e) Ein Khan wird einmalig und ohne weitere Beschreibung erwähnt (v 21, cf. Turzismen).

f) Ebenso kurz erwähnt wird ein Ban (v 22), ehemals der nominale Landesherr Olteniens

unter der politischen Herrschaft der Osmanen, folgen wir der im DEI gegebenen Erklärung

dieses Titels: "Odinioară, un fel de guvernator al Olteniei, numit de către Domn dintre

oamenii cei mai de frunte, sau din rudele lui de aproape, şi care exercita în cele cinci judeţe

o autoritate administrativă şi judiciară aproape suverană; în veacul al XVIII-lea, se numea

Ban al Craiovei, primul boier al Ţării-Romîneşti care sta în fruntea sfatului domnesc,

avîndu-şi reşedinţa totdeauna în Bucureşti şi bucurîndu-se de o autoritate numai nominală

asupra Olteniei, unde administrau de fapt ispravnicii de judeţe, sub supremaţia unui

caimacam al Craiovei". Etymologisch ist diese Bezeichnung ein Serbokroatismus (ib. s.v.).

g) Es taucht eine riesige Anzahl von Türken auf ("Vin turcii...", v 37). Wie schon gezeigt

wurde, rechnet einer der Haiducken vorerst mit fünf- oder sechstausend, dann mit zehn,

fünfzehntausend Menschen ("Să vezi turcii cîţi or fi ? /De-or fi cinci sau şase mii, /Numai

bine ei ţi-or fi, /Iar mai mulţi de vei vedea, /De-or fi zece cinsprezece, /Numai veste de ni

da", v 49-54). Tatsächlich zählt Roman dann aber nicht fünf- bis sechstausend, auch nicht

zehn- oder fünfzehntausend, wie der Erzähler nocheinmal wiederholt, sondern

zwanzigtausend Türken: "Nu cinci-şase mii de turci, /Nici zece sau cinsprezece, /Ci

douăzeci mii de turci !" (v 71).

h) Es tauchen auch Tataren auf ("Vin turcii să ne robească... /Şi tătarii, /Ca ţinţarii !", v 37-

41), die nur in Vers 40 einmal genannt werden. Der in den zitierten Versen angelegte

Vergleich der Tataren mit Stechmücken, läßt die Vorstellung einer unzähligen

Menschenmenge zu.

Genealogie / Familiensippen:

b) Die erwähnte Kaisertochter ist, der Beschreibung in Vers 21 zufolge, auch Tochter des

Khans (şedeau... cu trei fete de-mpărat, "Una-i fata hanului"; cf. v 18 und v 21).

c) Die zweite Kaisertochter wird auch als Tochter des Bans bezeichnet (şedeau... cu trei

fete de-mpărat, "Una-i fata banului"; cf. v 18 und v 22).

d) Die dritte Kaisertochter wird Tochter des Sultans genannt (şedeau... cu trei fete de-

mpărat, "Şi-alta-i a sultanului "; cf. v 18 und v 23).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

g) Cf. Attribute.

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Wien, am 02.06.11, Seite 199 von 259

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

h) Die alte Frau warnt die Haiducken vor den Türken, die näherkämen, um sie zu

versklaven: "Vin turcii să ne robească" (v 37). Die Bezeichnung der Herannahenden als

spurcii ("Vin turcii, /Cresc ca spurcii", v 38-39) weist zusätzlich darauf hin, daß von den

Genannten nur etwas Schlechtes /Böses zu erwarten sei (ad spurcat cf. die Ballade von

Gruia lui Novac).

Religion / Ideale:

g) Die Beschreibung der Türken als spurcii könnte, nach den Bedeutungen des Verbs a

spurca, auch eine religiöse Anspielung sein. Die Türken wären demnach Falschgläubige.

h) Auch die metaphorische Beschreibung der Tataren als Stechmücken (v 41, supra) könnte

in religiösem Sinn verstanden werden. Demzufolge könnte die Vorstellung der Plage

ebenso das Auftreten von Menschen "falschen" Glaubens symbolisieren.

Leidenschaften: ——

Attribute:

g) Aus der Beschreibung des Erzählers können wir entnehmen, daß die Türken Fahnen und

Turbane tragen. Roman besteigt einen Hügel, um von hier aus seine Gegner zu zählen. Er

orientiert sich dabei an den Fahnen und den Reihen, die die Türken bilden: "Pe movilă se

suia, /În vale mi se uita /Şi-ncepea a-i număra: /Cam pe steaguri, pe şireaguri" (v 65-68).

Als Roman gegen die Türken losstürzt, so lautet der Text, fallen die Turbane herab, wie die

Blumen im Herbst: "Şi-apoi în turci se slobozea... /Aşa pica şelmile, /Ca şi toamna florile"

(v 98-103; ad cealma cf. Turzismen).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Der Sultan ist der Herrscher Konstantinopels ("Stăpîn Ţerigradului", v 24).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) - d) Die drei Haiducken frönen, wie schon erwähnt wurde, dem Alkohol in Begleitung

dreier Kaisertöchter, die sie aus Istanbul, der Stadt des Kaisersitzes, entführt haben: "Ei

şedeau, la masă beau... /Cu trei fete de-mpărat, /Cari cu sabia le-au luat /Din mijloc de

Ţerigrad" (v 16-20 und v 23). Aus dem Kontext der Geschichte geht außerdem hervor, daß

die Türken in der Nähe des Aufenthaltsortes der Haiducken - in der Craiova-Ebene -

auftauchen.

25.15. Ballade Tătarii şi robii

Die - im Vergleich zu anderen Balladen - relativ kurze Erzählung (81 Verse) schildert, wie

Tataren ein Mädchen, eine Mutter und einen Jungen in die Sklaverei wegführen. Die Bitten

der drei Gefangenen gegenüber einem Tataren, ihnen die Freiheit zu schenken, bleiben

dabei unerhört. Die primären Protagonisten der Erzählung sind die drei schon erwähnten

Gefangenen und ein Tatare. Trotz der Kürze der Erzählung ist die vorliegende Geschichte

sehr repräsentativ. In rund der Hälfte aller Verse, wird die Figur des Tataren auf explizite

oder implizite Weise dargestellt bzw. beschrieben. Dabei ist auffallend, daß diese - in Form

eines Dialogs gegebene - Beschreibung in erster Linie einer moralischen Darstellung der

Protagonisten entspricht, alle anderen Beschreibungsparameter treten dabei zurück.

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Namen / Bezeichnung:

a) Die Handlungsfiguren sekundärer Bedeutung werden ausschließlich nach ihrer

ethnischen Herkunft als Tataren bezeichnet: "Pe vadul bătrîn, /Pe pod de mălin, /Vin

tătarii, vin" (v 2-4).

b) Eine individuell agierende Person trägt ebenso keinen Namen ("Tătaru zicea", v 23).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

b) Der Anrede der Mutter zufolge, ist der Tatare alt ("Tu tătar bătrîn !", v 34).

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

b) Das Mädchen spricht den Tataren als Tölpel / Einfältigen an: "Măi tătar năuc" (v 57).

Moral und moralische Eigenschaften:

a) In den Versen 1-12 sizziert uns der Erzähler die Rahmenhandlung seiner Geschichte.

Auf der alten Furt, auf der Brücke aus Holz, kommen die Tataren und bringen zu den

Sklaven, noch ein Mädchen, und eine Braut und einen kleinen Jungen: "Foaie verde, foaie

de alun, /Pe vadul bătrîn, Pe pod de mălin, /Vin tătarii, vin, /Foaie de usuc, /Şi la robi aduc,

/Tot o fată mare... /Şi o nevăstică... /Şi un voinicel, /Mîndru, tinerel" (v 1-12). Die Tataren

haben also schon Gefangene gemacht und nehmen (jetzt) weitere Gefangene mit sich. Der

Umstand, daß sie, wie in den Versen erzählt wird, Frauen und Kinder entführen und zu

Sklaven machen, zeichnet Menschen mit einem überaus rohen Charakter.

b) Der Charakter des - einzeln agierenden - Tataren geht aus dem Dialog zwischen ihm und

zweien seiner Gefangenen hervor, die ihn um ihre Freilassung bitten. Der Junge versucht

den Tataren mit den Worten umzustimmen, daß er eine Mutter habe, die er beim Waschen

des Leinens zurückgelassen habe und einen alten Vater, der das Heu einholt: "Că am şi o

mumă, /Şi-am lăsat-o-n urmă /Tot spălînd la lînă, /Şi-un tată bătrîn, /Tot strîngînd la fîn !"

(v 17-21). Der Tatare antwortet dem Jungen daraufhin, daß er weitergehen, daß er sich

nicht erinnern solle, denn seine Mutter wird (das Leinen) waschen, (auch) ohne ihn zu

sehen, und sein Vater wird das Heu einholen, (auch) ohne ihn zu sehen, er wird ihnen nicht

helfen: "Mînă, bre, -nainte, /Nu lua aminte, /Că mă-ta-o spăla /Făr-a te vedea, /Şi tat-to-o

strîngea /Făr-a te vedea, /N-ai ajutora !" (v 24-30). Dann bittet die gefangene Mutter den

Tataren, sie frei zu lassen. Sie habe, so lauten ihre Worte, ein kleines Kind ungebadet,

ungewickelt und ungestillt zurückgelassen: "Tu tătar bătrîn, /Lasă-mă de mînă, /Să mă-

ntorc în urmă, /Că eu mi-am lăsat /Pruncşor nescăldat, /Tot neînfăşat, /Fără ţîţă dat !" (v

34-40). Sie erhält die folgende Antwort: Geh schon vorwärts, denk nicht daran, der Regen,

der fällt, wird das Kind baden, der Schnee, wenn er fällt, wird es salben, der Wind, wenn er

bläst, wird es wiegen und stillen und binden wird es die Heilige Jungfrau: "Mînă, bre -

nainte, /Nu lua aminte, /Ploaia d-o pica, /Pruncu ţ-o scălda, /Zăpada d-o ninge, /Pruncu ţi l-

o unge, /Vîntu d-o bătea, /Ţi l-o legăna, /Ţîţă că i-o da /Şi l-o înfăşa /Maica Precista !" (v

43-53). Diesen Darstellungen zufolge, führt der Tatare Menschen in die Gefangenschaft.

Mit dem Jungen, der Mutter und dem Mädchen versklavt er Personen, die sich nicht

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Wien, am 02.06.11, Seite 201 von 259

wehren können. Er läßt sich in keiner Weise von seinem Vorhaben umstimmen, noch zeigt

er das geringste Mitleid mit seinen Gefangenen. Er verschuldet es, daß Vater, Mutter und

ein Kleinkind im Stich und alleine zurückgelassen werden. Er ist also, wie der Junge ihn

auch bezeichnet, in höchstem Grade grausam ("Măi tătar hain", v 16). Zudem äußert sich in

seiner Aussage, die Heilige Jungfrau werde das zurückgelassene binden und stillen,

angesichts seiner eigenen unmoralischen Handlung (v 51-53, cf. supra) grober Spott. Das

Verhalten des Tataren ist so schändlich, daß das Mädchen ihn verflucht ("Blestemat să

fie... /Umbra să rămîi !", v 73-75) und auch die Mutter ihn verwünscht, indem sie ihm

seinen Tod voraussagt: "ai meu pruncuşor /Mi s-o face mare /Şi te-o prinde-n gheare, /Ţi-o

face veleatul, /Şi mie, scăpatul !": 'mein Junge wird groß werden und dich in die Krallen

nehmen und dir das Ende bereiten und mir die Freiheit geben' (v 73-81).

Religion / Ideale:

b) Der Text liefert uns keinerlei Hinweis auf die Religionszugehörigkeit des Protagonisten.

Er wird aber, wie bereits gezeigt wurde, aufgrund seiner Handlungen als überaus

unmoralisch dargestellt. Zudem spottet er, wie schon erläutert wurde, über den Glauben an

die Kraft der Heiligen Jungfrau Maria (cf. v 50-53). Angesichts der Wichtigkeit der Taufe

des Kindes in der christlich-orthodoxen Kirche, könnte auch sein Nicht-Einlenken

gegenüber der Mutter des ungebadeten Säuglings (cf. v 33-40), als zutiefst frevelhaft und

unmoral im christlichen Sinne verstanden und interpretiert werden.

Leidenschaften: ——

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Die Erwähnung einer Furt und einer Brücke ("Pe vadul bătrîn, /Pe pod de mălin, /Vin

tătarii, vin", v 2-4) zeigt, daß die Tataren entlang eines (ehemaligen ?) Wasserweges

kommen.

25.16. Ballade von Şiret Pîrcălabul

In der 219 Verse zählenden Geschichte treten als Protagonisten nacheinander auf: mehrere

Tataren, die Schwester des Şiret (Surioara lui Şiret), ein tatarischer Khan namens Ciupag,

der Steuereinheber Şiret, seine Frau Şiretiţă und deren Sohn Ciochin. Es werden in den

Eltern des Şiret und einem Sultan weitere Erzählfiguren genannt, die jedoch eine sekundäre

Funktion haben und nicht als Handelnde auftreten. Grundsätzlich geht es in der Geschichte

um Şiret Pîrcălabu, der das Geld aus der Staatskasse nimmt und zusätzlich für seine sieben

Dörfer keine Steuern zahlt. Ein Khan hält die Schwester des Şiret gefangen, um von ihr zu

erfahren, wo sich der Genannte aufhält. Die Tataren machen sich zu seinen Häusern auf. In

der Folge kommt es zum Kampf gegen die Tataren, in dem Şiret viele von ihnen tötet. Er

wird aber von einem - scheinbar unbesiegbaren - Tataren, dem Anführer des Heeres,

überwältigt. Danach läßt dieser Khan die Frau des Şireţ fesseln. Von ihr erfahren sie, wo

ein bestimmtes Pferd untergebracht ist. Die Tataren begeben sich zu einem Stall, in dem sie

den Schwarzen finden. Von allen Tataren weiß nur der Khan Ciupag, mit dem Tier

umzugehen. Er sitzt auf und das Pferd bringt ihn zu einem Ort, wo er auf den Sohn des

Şiret trifft. Ciochin benützt Neagră, das Muttertier, um den Schwarzen zum Stehen zu

bringen. Als Ciochin den Tataren eingeholt hat, zieht er einen Säbel und schneidet ihm den

Kopf ab. Die vorliegende Erzählung hat einen stark volkstümlichen Charakter. Dazu

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Wien, am 02.06.11, Seite 202 von 259

zählen z.B. die phonetischen Eigenheiten des Textes, die bestimmte regionale bzw.

umgangssprachliche Sprachvarianten widerspiegeln. Als Beispiel für die volkstümliche

bzw. mündliche Charakteristik des Textes lassen sich aus den Zitaten "Punea săgeţi cîte

doo, /Dobora tătari tot noo" und "Crez că ţ-aş lua capu !" (v 70-71 und 200) die Zahlwörter

zwei und neun, sowie die palatalisierte Form des Verbs glauben in der ersten Person

Singular Präsens anführen. Die standardsprachliche Lautung von doo, noo, crez würde

lauten două, nouă und cred. Stellenweise ist in der Erzählung die Textkohäsion und

Textkohärenz nicht eindeutig gegeben, wie es im folgenden einige Textpassagen zeigen

sollen. Die Ballade beginnt mit den Versen: "Foaie verde trei lalele, /Colea, măre, colea,

vere, /Unde tufele răreşte, /Unde sate îndeşăşte, /Sapte sate neprădate, /Nici cu bani la

zărăfie, /Nici plată la-mpărăţie. /Dar tătarii, de-auza, /Scrisori în ţară că da" (v 1-9). Nach

einem - in vielen Balladen eingebauten - Refrain (v 1), müßte die genaue Übersetzung

dieser Textstelle lauten: dort, wo die Sträucher rar und die Dörfer dichter werden, (sind)

sieben Dörfer nicht geplündert, ohne Geld in der Staatskasse, ohne Zahlung beim Sultan.

Als die Tataren (das) hören, schicken sie Briefe ins Land. Es fehlen in den Versen 1-7 ein

Prädikat und in den Versen 8-9 ein pronominales Objekt, das den Bezug der beiden Inhalte

mit grammatikalischen Mitteln herstellen würde. Es fehlt desweiteren in den Versen 57-62

ein primäres Verb, von dem ein ganzer Nebensatz abhängt: "(Şiret) Ochean la ochi aşeza,

/Cînd departe să uita, /Cam departe, di la vale, /Încotro soare răsare, /Pin cel verde răchitiş,

/Cum vin tătarii pitiş !". Unverständlich aus dem Kontext der Geschichte heraus bleiben

die Verse 89-90, die eine Handlung der Tataren bzw. der Heiden, wie sie auch genannt

werden, mit Bildern des Regens und des Reifes in Verbindung bringen ("Cura tătarii ca

ploaia, /Şi păgînii, ca bruma). Amzulescu gibt das verbale cura mit der Bedeutung von

'sich kurieren' an (cf. die auch M. Anuţei, DRG, s.v.). Die Darstellung des Erzählers reicht

an dieser Stelle aber nicht aus - möglicherweise auch aufgrund der Aufzeichnung bzw.

Transskription des Materials ? -, um diese Tätigkeit der Protagonisten im Kontext der

Erzählung verstehen zu können. Die Geschichte von Şiret Pîrcălabul scheint außerdem,

wie es auch in anderen Balladen geschieht, einige Reminiszenzen der Märchenwelt zu

reflektieren. Zu diesen gehört die scheinbare Besonderheit des - individuell dargestellten -

Tataren, der durch Kugeln nicht getötet werden kann und der sich neben der Türe des Şiret

- scheinbar vom Boden wieder - aufrichtet ("Numai unu să găsa: /Fecioru lui Ciupăgel...

/Dai cu glonţu, nu-l loveşti ! /Pe-alături, pe-alăturea, /Pe lîngă poartă se-ndrepta" (v 78-87).

Das mit besonderen Fähigkeiten ausgestatte Pferd Negru könnte ein Anklang an die Welt

der Märchen sein (cf. Kapitel V.III.). Der Erzähler verknüpft in seinem Text, wie wir

festgestellt haben, Darstellungen des /der Tataren mit anderen, stärker phantastisch-

märchenhaften Motiven oder Erzählelementen. Gerade diese Art von Kreation macht die

vorliegende Geschichte auch überaus interessant, weil sie nicht (primär) nur über die Figur

des Tataren erzählt. Die Unsystematik, mit der immer wieder ein Bezug zu dieser

hergestellt wird, scheint den authentischen, unbewußten Umgang des Erzählers mit dieser

Person besonders deutlich offenzulegen. Der mehrmals vorkommende Name Şiret stammt

aus dem Türkischen und bedeutet isteţ, viclean 'schlau, listig' (cf. DEI, s.v.), Pîrcălab

hingegen, das als Apposition zu Şiret erscheint, ist ungarischer und in zweiter Linie

germanischer Herkunft (ib., s.v.). Nach der Angabe von Amzulescu ist der hier behandelte

Text aus einer Monographie aus Dolj entnommen. Wie im DEI erläutert wird, hat Pîrcălab

in Muntenien und Transsilvanien die Bedeutung eines "Perceptor, care aduna dările la sat",

eines 'Steuereinhebers' also (ib., s.v.). Seiner Bezeichnung nach, könnte der gleichnamige

Protagonist Şiret pîrcălabu also ein Türke sein bzw. diese Figur könnte ein türkisches oder

tatarisches Amt bekleiden. Der Interpret erzählt uns aber auch, daß Şiret die Staatskassse

geleert hat ("Şiret pîrcălabu, /Care-a săcat bugetu", v 17-18), er schadet also demjenigen,

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für den er Zahlungen einzuheben hätte. Die detaillierte Darstellung der Familie des Şiret

(Surioara lu’ Şiret, Siretiţă, "Ciochin... /Fecioru lu’ Şiret", maica, tata, z.B.; v 17; 43; 157-

158; 162; 163) und das Verhalten Şirets und seines Sohnes gegenüber den Tataren, sowie

ihre Beschreibungen erinnern an die Haiducken, die wir aus anderen Balladen kennen. Wie

diese, vernichten Şiret und - später - Ciochin die Tataren. Vor seiner Türe sitzend, schießt

Şiret zugleich mit zwei Pfeilen auf seine Feinde und tötet dabei neun von ihnen: "la poartă

s-aşeza /Cu puştile de săgeţi... /Punea săgeţi cîte doo, /Dobora tătari tot noo" (v 65-71). Er

tötet, der Darstellung zufolge, Tausende von ihnen und noch dazu unzählige Infanteristen:

"Doborî optzăci de mie, /Pedestraşi, nu mai se ştie..." (v 130-131). Als der Sohn Şirets den

auf dem schwarzen Pferde davonreitenden Tataren eingeholt hat, steckt er seine Hand in

die Tasche, zieht ein kleines Schwert hervor, stürzt auf ihn los und der Kopf Ciupags

springt ab, - der Schilderung des Erzählers zufolge - (so schnell,) wie man ein Wurfholz

wirft: "Mîna în pozînar băga, /Mică sabie scotea... /La Ciupag să sloboza.... /Capu lu’

Ciupag sărea /Cît dai cu zburătura" (v 172-184). Danach macht sich Ciochin auf dem

Negru zum Heer auf, er tötet (viele), der Schwarze wirft drei Teile (aller Soldaten) um und

Ciochin tötet das ganze Heer: "pe Negru....încăleca, /Pin oştire apuca. /El tăia, nu prea tăia,

/Negru trei părţi dobora... /Toată oştirea-o tăia" (v 185-191). Auch dem Kaiser droht

Ciochin, den Kopf abzuschneiden: "Să se taie împăratu, /Crez că ţ-aş lua capu !" (v 199-

200).

Namen / Bezeichnung:

a) Mehrmals werden die Tataren genannt: "Dar tătarii, de-auza, /Scrisori în ţară că da",

"Toţi tătarii mi-i strîngea" (v 8-9,12). Der Darstellung in einigen, nicht allen, Versen

zufolge, handelt es sich um eine sehr große Anzahl von Menschen. Zweimal erwähnt der

Erzähler der Geschichte die Anzahl von achtzigtausend Menschen, die Şiret - neben

weiteren Infanteristen - vernichtet: "Doborî optzăci de mie" (v 77); "Doborî optzăci de mie,

/Pedestraşi, nu mai se ştie..." (v 130-131). Die Tataren treten, wie explizit zum Ausdruck

kommt, als Soldaten auf, Ciochin tötet ein ganzes Heer: "Toată oştirea-o tăia (v 191).

b) Ruşculiţa, die Schwester von Şiret, wird von einem Khan gefesselt: "Ruşculiţa că grăia:

/De ce hane, tu mă legi" (v 23-24). Er wird später als Sohn des Ciupăgel bzw. als Ciupag

(cf. v 181) identifiziert, der von allen Tataren, wie schon erwähnt wurde, eine besondere

Person zu sein scheint: "Numai unu să găsa: /Fecioru lui Ciupăgel... /Dai cu glonţu, nu-l

loveşti !" (v 78-83). Nachdem er Şiretiţa gefesselt hat, ruft diese ihn als Khan der Tataren

an: "Pe Şiretiţa o lega... /Şiretiţa că zîcea: /De ce, hane tătăresc, /De ce, frate, să mă legi" (v

96-98).

c) Desweiteren wird ein - nicht anders bezeichneter - Kaiser / Sultan erwähnt, zu dem sich

Ciochin begibt: "la-mpărat că mergea, /Către împărat rostea" (v 192-193).

Genealogie / Familiensippen:

b) In der Bezeichnung des Protagonisten als Sohn des Ciupăgel wird eine Sohn-Vater-

Verwandtschaft angegeben ("Numai unu să găsa: /Fecioru lui Ciupăgel", v 78-79).

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

Die Geschichte erzählt über den Şiret Pîrcălabu, der - seiner Bezeichnung und mehreren

Darstellungen nach, dem Sultan - für sieben Dörfer - keine Steuern zahlt. Es scheint, die

Tataren sind gegenüber dem Sultan für die Steuereinhebung verantwortlich, da sie es sind,

die mit Briefen und Schreiben auf die Situation reagieren: "Sapte sate neprădate, /Nici cu

bani la zărăfie, /Nici plată la-mpărăţie. /Dar tătarii, de-auza, /Scrisori în ţară că da" (v 5-9).

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Die Worte des Ciochins zeigen, daß der Kaiser den Tataren und dem Khan die Befehle zu

ihren Handlungen gegeben hat (cf. Moral).

Geographische Herkunft:

a) Şiret nimmt ein Fernrohr und blickt weit in ein Tal, wo er in großer Entfernung und aus

der Richtung, in der die Sonne aufgeht, die Tataren kommen sieht: "Ochean la ochi aşeza,

/Cînd departe să uita, /Cam departe, di la vale, /Încotro soare răsare... /Cum vin tătarii pitiş

!" (v 57-62). Sie kommen also aus weiter Ferne und aus östlicher Richtung.

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

b) Mit einem kurzen Pelz, mit Stiefeln, wie sie der Novac trägt, mit ungarischen Sporen

und dicken Pfeilen und Bogen erinnert die Figur Ciupags an den rumänischen Haiducken:

"Numai unu să găsa: /Fecioru lui Ciupăgel, /Cu cojocu scurticel, /Cu cizmele novăceşti,

/Cu pintenii ungureşti... /Avea săgeata ca undreaua, /Şi arcu, ca lingura" (v 78-83).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) In den oben zitierten Versen kommt zum Ausdruck, daß sich die Tataren auf verstohlene

Weise annähern ("Cînd departe să uita... /Cum vin tătarii pitiş !"; cf. v 57-62 und

einleitender Teil dieser Analyse). Die Tataren halten die Schwester des Şiret auf rauhe

Weise gefangen. Das geht aus der Bitte der Frau hervor, ihre Hände und ihre schmerzenden

Brüste zu entfesseln ("Dezlegaţî-mi mîinile, /Că mi-a plesnit ţîţele" (v 32-33 und v 109-

110) Auch mit dem schwarzen Pferd gehen die Tataren, wie uns der Erzähler schildert,

sehr grob um. Als sie (vom Stall) hörten, gingen sie dahin; einige gruben mit Schaufeln,

andere kratzten mit Krallen, bis sie an den Steinpfahl stießen, und den Schwarzen fanden;

jeder, der eintrat, riß ihn mit Zähnen los und trat ihn mit Füßen: "Dar tătarii, de-auza,

/Acolo că şi pleca. /Care cu sape că săpa, /Care cu gheare zgîria, /Păn’ de stîlp de piatră da

/Şi pe Negru mi-l găsa. /Care tătar că intra, /Cu dinţî că mi-l rupea, /Cu picioarele-l pisa !"

(v 116-124). Ihren Handlungen zufolge, sind die Tataren überaus roh. Dieser Eindruck

wird durch das Bild der Krallen verstärkt, mit denen sich die Protagonisten Zugang zum

Stall verschaffen. Eine charakterliche Darstellung der Tataren wird außerdem in den

Worten Şiretiţăs gegeben. Sie deutet einen großen Schwarm Bienen im Traum ihres

Mannes als Tataren, die kommen, um Şiret zu töten und um sie und ihre Kinder zu rauben:

"Măi Şirete dumneata, /Alea nu sînt roi de-albine, /Şi (Ci ?) vin tătarii la tine, /Pe tine să te

prăpădească, /Pe mine să mă robească, /Copilaşii să-mi răpească !" (v 50-55).

b) Der Khan hält, wie aus den folgenden Zitaten hervorgeht, die Schwester von Şiret

gefesselt. Ihre Hände sind fest am Rücken und bis zu den Ellbogen verschnürt: "în vale, la

cişmea, /O Ruşculiţă găsa... /Surioara lu’ Şiret... /Frumos, frate, e legat, /Scurt, cu mîinile-

ndărăt, /De-i plesnea şi chiept şi tot, /Şi mîinile pănă-n cot" (v 13-20); "Ruşculiţa că grăia:

/De ce hane, tu mă legi... ?" (v 23-24). Ein noch schlimmeres Schicksal ereilt Şiretiţă,

welche der Tatare an den rauchenden Kamin fesselt: "peste zid sărea... /porţi îmi dobora.

/Pe Şiretiţa o lega /De ostreţî coşului, /În bătaia fumului" (v 91- 95). Şiretiţă wiederholt die

Frage, die zuvor die Schwester ihres Mannes ausformuliert hat: "Şiretiţa că zîcea: /De ce,

hane tătăresc, /De ce, frate, să mă legi... ?" (v 96-98). In den Worten Ciochins, des Sohnes

von Şiret, werden die Missetaten des Tataren noch einmal vor Augen geführt. Als Ciochin

den Khan sieht, denkt er mit Mitleid an seine Mutter, seinen ermordeten Vater und den

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gestohlenen Schwarzen: "Da’ Ciochin, de mi-l vedea: /Sărăcuţ de maica mea, /Tu pe tata l-

ai tăiat, /Tu pe Negru mi l-ai loat !" (v 161-164). Der Tatare macht also Gefangene, er

fesselt sie brutal und quält sie mit Feuer, er tötet und er stiehlt. Er ist der einzige, der - wie

in der Art eines Haiducken - mit dem Schwarzen umzugehen und auf ihn aufzusitzen weiß.

Als er zu dem Tier kommt, pfeift und spricht er in der Art der Haiducken und das scheint

ihn zu erkennen: "El la Negru că mergea, /Îi floiera haiduceşte, /Răspundea pe novăceşte,

/Inima lu’ Negru creşte" (v 140-143). Dann klopft er ihm den Rücken, ergreift das

Zaumzeug, legt ihm Zügel, Sattel und Sattelgurten an, gibt seinen Fuß in den Steigbügel

und sitzt auf: "Tot pe spate mi-l bătea, /Păn’la căpăstru-ajungea, /Şapte frîne i-aşeza, /Şea

pe el că arunca, /Şapte chingi îl închinga, /Picioru-n scară punea, /Şi pe Negru-ncăleca" (v

144-150).

c) Ciochin macht dem Kaiser Vorwürfe, seine ganze Armee (gegen ihn) aufgestellt, seinen

Vater getötet und das schwarze Pferd genommen zu haben: "Către împărat rostea: /Da-

mpărate luminate, /Fă-ne şi nouă dreptate: /Toată oştire-ai ridicat /Şi pe taica ai tăiat, /Şi pe

Negru mi l-ai luat. /Să se taie împăratu" (v 193-199). Damit wird auch der Kaiser - noch

einmal - mit einem kriegerischen Feindbild, mit dem Tod des Vaters und dem Raub des

Pferdes assoziiert.

Religion / Ideale:

a) Die Tataren werden in Vers 90 als păgînii 'Heiden / Häretiker' bezeichnet.

Leidenschaften:

b) Die Schwester des Şiret - wie später auch dessen Frau - fragen den Khan, warum sie

gefesselt sind, denken dabei an Geld oder Schätze: "De ce hane, /tu mă legi, /Sau de bani,

sau de comori" (v 24-26 und v 96-99). Sie ziehen also eine gewisse Liebe des Tataren zu

Geld / Reichtum als Grund für sein Verhalten in Erwägung.

c) Der Tatare fragt Şiretiţă nach einem Pferd, das er dann auch - im Auftrag des Sultans -

holt: "Iar tu, frate, ca să spui /Unde-i grajdu Negrului" (v 101-102; cf. v 134-150). Der

Sultan scheint also ein besonderes Interesse für dieses Pferd zu haben.

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.): ——

25.17. Ballade von Moldovean Dobrogean

Die mit Moldovean Dobrogean betitelte Ballade erzählt in 145 Versen die Geschichte des

gleichnamigen Protagonisten, Moldovean. Dieser ist mit seinem Pferd in einer

Berglandschaft unterwegs, als er Halt macht, um sein Pferd und sich zu laben. Er bemerkt

plötzlich, daß der Wald rings um ihn welk erscheint. Als er nach dem Grund für diesen

Zustand frägt, erfährt er, daß am Tage zuvor mit Ketten verbundene Gefangene durch den

Wald geführt wurden. Moldovean beschließt, die Gefangenen zu befreien. Er macht sich

auf den Weg zu den Tataren, tötet sie und nimmt ihr Geld an sich. Wie aus dieser kurzen

Inhaltsangabe hervorgeht, erscheint in der Geschichte die Figur des/der Tataren. Andere

Erzählelemente / Motive erinnern an typische Narrateme / narrative Bausteine der

Märchenwelt. So beschließt der "fahrende" Moldovean einerseits die Sklaven zu befreien,

andererseits aber auch, sich eine Braut zu suchen ("Acum sînt voinic în fire /Să scot robi de

la robie, /Să mă-nsor, să-mi iau soţie !", v 81-83). Unter den Gefangenen befindet sich ein

Mädchen, das ihm verspricht, seine Frau zu werden und ihm das Erbe ihres Vaters

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verkündet, wenn er die Sklaven aus der Gefangenschaft befreie. "Striga fata-n gura mare:

/Dalea, nene, frăţioare... /Scoate robi de la robie, /Şi să-ţi fiu de soţie, /Şi să-ţi dea tata

moşie" (v 99-105). Ein weiteres "phantastisches" Element der vorliegenden Narration ist

der personifizierte Wald, der einem Gefühl Ausdruck verleiht und auch sprechen kann.

Moldovean bemerkt plötzlich, daß der Wald verwelkt, mit gelben, abgefallenen Blättern,

welken Ästen und mit schwarzer Rinde erscheint, so als ob der Wind ihn geschlagen, der

Reif ihn angegriffen, oder ein Feuer ihn versengt hätten: "Seama codrului lua. /Văzu codrul

ofilit, /Toată frunza-a-ngălbenit, /Pe pămînt s-a aşternut, /Parcă vîntul l-a bătut. /Crăcile s-a

ofilit, /Parcă bruma a căzut /Şi coaja i-a înnegrit, /Parcă focul l-a pîrlit !..." (v 15-25; diese

Bilder werden in den Worten Moldoveans teilweise noch einmal wiederholt, v 32-36).

Noch nie, sagt Moldovean, hätte er den Wald so traurig gesehen: "Aşa trist nu te-am văzut

!" (v 31) und erhält von diesem eine Antwort und Erklärung für seinen Zustand ("Mai cu

dreptul spune-ţi-aş... /Prin mine că mi-a trecut /Trei singiruri de robii !", v 45-49). Der Text

liefert nicht viele, aber einige markante Angaben zur Figur des eigentlichen Protagonisten

der Erzählung. Moldovean Dobrogean hat, seinen Worten zufolge, seine Kindheit in einem

Wald verbracht: "Dale, coadre, frate, coadre, /În tine m-am pomenit, /În tine eu am crescut"

(v 28-30). Indem er sich mit der rechten Hand bekreuzigt ("Cruce cu dreapta-şi făcea", v

78), benimmt er sich wie ein Christ. Er ist auf einem - schwarzen - Pferd unterwegs

("Plimbă-mi-se d-un mocan /P-un cal negru dobrogean", v 3-4), das er gut umsorgt ("După

cal descăleca, /Şi calul îl priponea, /Îi dete iarbă cu palma, /Să nu strice undeva, /Să nu dea

de vreo belea", v 10-14; "Voinicel puţin şedea, /Măre, de să odihnea /Şi calul de mai

păştea, /Şi calul de-l adăpa, /Frumuşel că-l închinga, /În catarămi îl strîngea /Şi pe el

încăleca", v 71-76). Moldovean wird anfänglich - und ein einziges Mal - als Hirte

("Plimbă-mi-se d-un mocan", v 3), dann ausschließlich als Haiducke bezeichnet (Voinicel

in v 71; "Acum sînt voinic în fire", v 81), der sich als solcher benimmt. Er schreit und er

reitet in der Art eines Tapferen / Haiducken ("strigă iortomăneşte, /Săvai, ca Doamne

fereşte ! /Calul fugea iepureşte, /Voinicul da voiniceşte" (v 117-120). Er bringt den Tataren

den Tod, und zwar den Tod durch das Feuer: "În tătari că mi-şi ieşea... /Şi-i ardea

trupuşoru-n foc" (v 108-110). Er vernichtet sie scheinbar mit blindem Drang, denn erst als

er durch alle Reihen durch ist, bemerkt er, daß keiner mehr da ist, den er töten könnte:

"Cînd în frunte le ieşea /Şi seama că le lua, /Nu mai avea ce tăia" (v 121-123). Der Erzähler

zieht in seiner Beschreibung eine Matapher heran, die den Tötungsakt mit einem

Schneesturm vergleicht, der Blüten abfallen und die Wege bedecken läßt: "Parcă bătu un

viforos, /De vine vara din jos /Şi îmi bate florile /De umple cărările, /Aşa stau celmelele"

(v 124-128). Die kurze Erwähnung der Turbane im zuletzt genannten Vers wiederholt noch

einmal das Bild dahingestreckter Tataren. Ein letztes Mal kehrt dieses Bild mit einer

Bemerkung Moldoveanus wieder, die lächerlich anmutet. Nachdem Moldovean seine

Handlung beendet hat, sieht er sich noch einmal um, verflucht die Tataren und sagt, daß es

ein Leichtes war, sie zu töten, es aber mühselig war, sie aufzustöbern: "Îndărăt că să uita

/Şi din gură-aşa zicea: /Cată, bată-l Precista, /Lesne fuse la tăiat, /Anevoie de scurmat !" (v

130-134).

Namen / Bezeichnung:

a) Eine - einzeln - handelnde Person ist, der Bezeichnung im Text zufolge, Tatare. Ein

Name wird nicht genannt: "La capul singirului /Era o fată smedişoară, /Cu coşiţa gălbioară,

/O trăgea tătar la scară" (v 58-61).

b) Es wird noch einmal der Gattungsnamen Tataren verwendet, um die - im Plural

auftretenden - Protagonisten zu benennen: "Tătarii că îi sosea" (v 94 und 108).

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Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften:

a) Nachdem ein Tatare ein Mädchen zu einer Stufe geführt hat, küßt er sie auf den Mund:

"La capul singirului /Era o fată smedişoară... /O trăgea tătar la scară, /O sărută-n gurişoară"

(v 58-63). Aufgrund dieser Beschreibung könnte man schließen, daß entweder das

Mädchen klein bzw. jung oder der Tatare von kleiner Statur ist.

b) In der Beschreibung, wie Moldovean sich unter seine Feinde mischt und diese umbringt,

werden explizit kleine Körper erwähnt ("În tătari că mi-şi ieşea... /Şi-i ardea trupuşoru-n

foc", v 108-110). Die Tataren sind also kleingewachsene Menschen.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

b) Die charakterliche Darstellung der Tataren ergibt sich aufgrund einer Reihe von

Indizien. Zunächst ist es der Wald, der - Moldovean - erzählt, daß am Abend zuvor drei

Reihen von Gefangenen durch ihn durchgeführt wurden: "Aseară, pe chindioară, /Prin mine

că mi-a trecut /Trei singiruri de robii !" (v 47-49). Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes

dürfte aber eine bestimmte 'Art von Eisenkette' sein, die man bestimmten Gefangenen um

den Hals legte (cf. Turzismen). Im Kontext der Erzählung wird das Wort singir von

Amzulescu jedoch mit der Bedeutung "şir de robi legaţi cu un lanţ" erklärt (Amzulescu

1964, vol. III: 475). Der Erzähler verwendet diesen Begriff also aus historischer Sicht der

Dinge nicht vollkommen korrekt. Unter den Gefangenen der ersten Reihe befanden sich

junge Männer ohne Bart "(î-)n singirul dinainte /Era juni fără mustaţă, /ce acum, frate, să-

nvaţă /Să strîngă copile-n braţă" (51-54), unter den Gefangenen der zweiten Reihe gab es

reiche Mädchen: "Şi-n singirul din mijloc /Era fete cu bani pe cap, /Unde le vezi, mori de

drag" (v 55-57). In der vordersten Reihe gab es ein - kleines / junges - Mädchen, welches

der Tatare - zu ihrem Schrecken - küßt: "La capul singirului /Era o fată smedişoară... /O

trăgea tătar la scară, /O sărută-n gurişoară. /Striga fata-n gura mare: /Lelea mea şi

măiculiţă, /Cu milă şi cu credinţă !" (v 58-65). In der letzten Reihe gingen junge Bräute:

"Şi-n singirul de pe urmă /Erau neveste tinerele" (v 66-67). Die Tataren rauben also

Knaben, Kinder und junge Frauen, die sie in Ketten in die Sklaverei wegführen. Diese

Bilder der Gefangenschaft werden noch einmal in den Worten des Mädchens wiederholt,

welches Moldovean anspricht und an sein Erbarmen /seine Hilfe appelliert: "Striga fata-n

gura mare: /Dalea, nene, frăţioare, /Nu ţi-e milă şi păcat, /Nu vezi tătarii cum ne-a legat ?

/Scoate robi de la robie" (v 99-103). Wie schon erwähnt wurde, verflucht Moldovean die

Tataren, als er sich nach seinem Kampf mit ihnen noch einmal umsieht: "Îndărăt că să uita

/Şi din gură-aşa zicea: /Cată, bată-l Precista" (v 130-132). Die Feststellung Moldoveanus

nach seiner Vernichtung der Tataren, daß sie nicht leicht aufzustöbern waren ("Lesne fuse

la tăiat, /Anevoie de scurmat !", v 133-134) könnte den Eindruck vermitteln, sie hätten sich

versteckt. Das würde auf eine gewisse Angst bzw. Feigheit der Protagonisten hinweisen.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

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a) Der Protagonist, wie schon erwähnt wurde, küßt ein Mädchen auf den Mund (cf. "La

capul singirului /Era o fată smedişoară... /O trăgea tătar la scară, /O sărută-n gurişoară", v

58-62). Dieses stürmische Benehmen läßt auf die große Sehnsucht des Tataren nach ihr

schließen.

b) Die Frauen aus der mittleren Reihe von Gefangenen tragen, wie der Erzähler wörtlich

schildert, Geld auf dem Kopf: "Şi-n singirul din mijloc /Era fete cu bani pe cap, /Unde le

vezi, mori de drag" (v 55-57). Diese Beschreibung könnte metaphorisch in dem Sinne

gemeint sein, daß die Tataren Frauen aus reichem Hause wegführen. Sie hätten in diesem

Fall ein besonderes Interesse an Reichtum. Die kurze Erwähnung des Erzählers von

(zersplitterten) Ringen und Perlen, die den Weg zu den Tataren pflastern (cf. Attribute),

kann die Vorstellung einer Welt besonderer Schätze wachrufen. Möglicherweise stammen

die - den Boden bedeckenden - Splitter von vielen versklavten Menschen.

Attribute:

b) Auf der Suche nach den Gefangenen, reitet Moldovean auf einem kleinen, verlassenen

Weg, voll mit Blüten, mit Splittern von Ringen und mit Perlen: "Un drumuleţ apuca, /Şi

mîna, şi iar mîna /Pe un mic drum părăsit... /Dar pe ce, frate, mergea ? /Pe chite de

floricele, /Şi pe frînturi de inele, /Şi pe boabe de mărgele" (v 84-91). Ringe und Perlen also

weisen Moldoveanu die Richtung, in der er die Tataren findet. Nachdem Moldoveanu

gleich einem Sturm unter den Tataren gewütet hat, bedecken Turbane die Wege: "Parcă

bătu un viforos... /Şi îmi bate florile /De umple cărările, /Aşa stau celmelele" (v 124-128).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

b) Nachdem er die Gefangenen befreit hat, findet Moldovean Geld, das er in die

Satteltaschen packt; aus den kleinen Münzen formt er Haufen: "Gălbiorii de-i găsea /Îi

aşeza pe la şea; /Paralele mărunţele /Le făcea grămăjele" (v 140-142; ad para cf.

Turzismen).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

b) Der Erzähler erwähnt das Tal des Diman, als Ort, wo Moldovean auf die Tataren trifft:

"Cînd fu-n vale Dimanului, /Tătarii că îi sosea" (v 93-94). Die Existenz dieses Ortes bleibt

jedoch unklar.

25.18. Ballade von Serb-Sărac

Die vorliegende Ballade wurde von Al. Amzulescu der Anthologie Vasile Alecsandris

entnommen. Sie umfaßt 181 Verse und erzählt die Geschichte des gleichnamigen

Protagonisten Serb-Sărac bzw. - wie er auch genannt wird - Serbu. Neben dieser Figur

treten als handelnde Personen auch eine Enkelin und ein Eunuch des Sultans auf. Einige

Türken, der genannte Sultan und ein Khan werden als Nebenfiguren erwähnt. Die Nichte

des Sultans beobachtet vom Serail aus, wie Serb-Sărac auf seinem schwarzen Pferd durch

Ţarigrad reitet und spricht ihn an. Sie ist dafür bestimmt, die Sklavin desjenigen zu

werden, der im Wurfwettkampf zu Pferd, der am folgenden Donnerstag stattfinden wird,

siegen wird. Die Nichte des Sultans fürchtet sich insbesondere vor einem Eunuchen des

Harems, der im Besitz eines unbesiegbares Pferdes ist. Auf diesem besiegt der Genannte

alle am Wettspiel teilnehmenden Türken, wird aber selbst von Serb-Sărac auf dessen Pferd

Negru geschlagen, der auch die Nichte des Sultans zur Frau nimmt. Die Gestalt des

Eunuchen hat - neben seinem schwarzen Antlitz - physiognomische Züge eines

(phantastischen) Wesens. Die Nepoată / Die Nichte gesteht dem Serb-Sărac ihre Angst vor

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Wien, am 02.06.11, Seite 209 von 259

dem Eunuchen und beschreibt ihn als denjenigen mit dem Mohrengesicht, mit breiten

Lippen, einem glatten Kopf und mit den großen Schuppen eines Karpfens (es ist dieselbe

Gestalt, die in der Ballade Chira Chiralina das gleichnamige Mädchen entführt): "Dar eu,

frate, mult mă tem, /De căzlariul din harem, /Cel cu chipul de arap, /Buzat, negru, ras pe

cap, /Şi cu solzii mari de crap" (v 63-67). An (andere) charakteristische Elemente aus der

Welt des Märchens erinnern die Pferde des Eunuchen und des Serbu mit ihren besonderen

Fähigkeiten: Unbesiegbarkeit, Schnelligkeit, Tapferkeit / Kraft, etc. Serb-Sărac, der erste

Protagonist der Geschichte bewegt sich zwar auf türkischem Boden ("Pen mijloc de

Ţarigrad, /La ceşmeaoa lui Murad, /Primblă-mi-se Serb-Sărac", v 1-3), er scheint aber,

seinem Namen 'Armer Serbe' nach, sowie der Herkunft seines Pferdes aus der Steppe des

Bugeac (cf. C. Giurescu & D. Giurescu 1977:90) und insbesondere seiner Kleidung nach -

eher als ein Türke - ein (rumänisierter) Einheimischer eines rumänischen Gebietes zu sein

("Primblă-mi-se Serb-Sărac, /Pe-un cal negru din Bugeac", v 3-4). Seine geschnürte Jacke,

die scharlachroten Pluderhosen und die Schnürschuhe aus Leder, die der Protagonist trägt,

erinnern an die (historische) Kleidung des rumänischen Bauerns in Teilen Munteniens und

der Moldau ("Cu saia îmbăirată, /Cu şalvari de ciorcă lată", v 7-8). Gegenüber den Türken

benimmt sich Serb-Sărac nicht feindlich. Er tritt jedoch im Rahmen des Wettkampfes

gegen sie an und ist, wie er in seinen Worten zum Ausdruck bringt - der Nepoată zuliebe -,

danach bestrebt, mit diesen fertig zu werden: "De-ţi sînt drag, de-ţi sînt pe plac, /Mîni vîrtej

am să fac, /Să vin turcilor de hac !" (v 58-59). Diese Formel veräußerlicht die

Identifizierung des Türken als einer Person, die es zu besiegen gilt, die Vorstellung eines

Feindes also. Tatsächlich werden die Türken aber im Wettkampf von dem Eunuchen des

Harems besiegt: "Dar căzlariul se-ncrunta, /Bividiu-şi întărta, /Pe toţi turcii-i întrecea /Şi-

nainte se ducea" (v 116-119).

Namen / Bezeichnung:

a) Einmalig erwähnt ein Türke namens Murad, der nicht weiter auftritt ("Pen mijloc de

Ţarigrad, /La ceşmeaoa lui Murad, /Primblă-mi-se Serb-Sărac", v 1-3).

b) Es treten Türken auf. Sie werden nicht anders bezeichnet, als mit diesem Ethnonym:

"Turcii toţi că alerga /Şi pe Serbu-l întreba", "Mîni ies turcii la halca" (v 24-25, 52).

c) An der erzählten Handlung nimmt die Enkelin / die Nichte des Sultans teil, die auch als

Tochter des Khans bezeichnet wird: "Nepoata sultanului, /Copiliţa hanului, /Hanului

tătarului, /Pe Serb iată că-l zărea" (v 36-39; cf. Genealogie). Sie trägt keinen Namen.

d) Auch der in Vers 36 erwähnte Sultan trägt keinen Namen.

e) Namenlos ist ebenso der in den Versen 38-39 genannte Khan der Tataren.

Genealogie / Familiensippen:

c) Die Protagonistin ist, ihrer Bezeichnung nach, eine Verwandte des Sultans und des

Khans, sie ist die Nichte / Enkelin des ersten und die Tochter des zweiten. (Nepoata

sultanului, Copiliţa hanului, cf. v 36-37). Der Khan müßte, dieser Darstellung zufolge, ein

Sohn des Sultans sein.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

b) Die Nichte des Sultans schildert dem Serb-Sărac ein Spiel der Türken, das regelmäßig

stattzufinden scheint: "Că ştii, frate, pe la noi, /Azi e mercuri, mîni e gioi, /Mîni ies turcii la

halca... /Şi oricine-a cîştiga, /Roabă lui hanul m-a da !": 'Weißt du, bei uns, /ist heute

Mittwoch und morgen Donnerstag, /morgen gehen die Türken zum Ringelrennen... /und

wer auch immer gewinnen wird, /wird mich als Sklavin dem Khan übergeben' (v 50-55, cf.

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Leidenschaften). Als es Donnerstag wird, gehen die Türken jeweils zu zweit zum Spiel, in

dem alle Teilnehmer auf einmal losstürzen, um sich auf einem Feld aufzustellen: "Trecea

mercuri, venea gioi, /Turcii mergea cîte doi, /Ca să gioace la halca, /Sus în Haidar-Paşa, /Şi

deodată toţi pleca, /La fugă se arunca, /Pe cîmp luciu se-nşira" (v 101-107). Die

Teilnehmer nähern sich, wie aus der folgenden Beschreibung Serbus abzuleiten ist, im Lauf

des Pferdes einem Eisenring, den sie mit einer Lanze zu treffen versuchen ("De halca s-

apropia /Şi din fugă azvîrlea /Djeridul său chiar prin ea", v 162-164).

c) Die Protagonistin lebt, so scheint es, eingesperrt in dem Palast des Sultans, von wo aus

sie Serb-Sărac sehen kann: "Nepoata sultanului... /Pe Serb iată că-l zărea /Din sarai, de la

zăbrea" (v 36-39, cf. ad sarai(u) cf. Turzismen). Wie sie Serb-Sărac gegenüber formuliert,

hat sie große Angst vor einem Eunuchen des Harems: "Dar eu, frate, mult mă tem, /De

căzlariul din harem" (v 63-64). Sie gehört also zu einem / dem Harem des Sultans, für den

ein Eunuche eine bestimmte Funktion auszuüben scheint.

d) Der Sultan beobachtet das Ringelspiel von seinem Zelt und vom Rücken seines Pferdes

aus: "Iar sultanul, stînd pe cal, /Sub un verde cort de şal... cu ochii urmărea" (v 108-111).

Er steht also außerhalb des Spiels bzw. er nimmt eine besondere Stellung in der türkischen

Gesellschaft ein. Sein Palast wird, wie schon angedeutet wurde, mit der Institution eines

Harems in Verbindung gebracht. Nachdem Serb-Sărac das Rennen gewonnen hat, macht er

vor dem Sultan eine tiefe Verbeugung: "Apoi vesel se-nturna /La sultan de se-nchina /Cu

adîncă temena" (v 166-167).

e) In den Versen 54-55 deutet die Nepoată an, wie schon erwähnt worden ist, daß sie dem

Khan als Sklavin übergeben werden soll ("Şi oricine-a cîştiga, /Roabă lui hanul m-a da !"

(v 54-55). Der Khan ist also von besonderer gesellschaftlicher Stellung, man macht ihm

Geschenke. Er hielte, wie aus den zitierten Versen auch hervorgeht, Sklaven. Bezüglich der

Darstellung des Erzählers fällt auf, daß die Nepoată zuerst als Tochter des Khans

beschrieben wird (v 37), dann aber diejenige Frau sein soll, die man dem Khan als Sklavin

gibt (oricine va cîştiga, roabă lui hanul mă va da, v 54-55). Die Beschreibung ist also

gewissermaßen paradox.

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

c) Die Anrede - d.h. der Vergleich - der Nepoată als Blümchen, die in den Worten Serbus

formuliert wird, läßt an eine schöne, zarte Frau denken: "Floricică din zăbrea, /Răsărită-n

calea mea" (v 56-57).

Kleidung / Ausstattung:

d) Wie schon erwähnt wurde, bewegt sich der Sultan zu Pferde (v 108).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften: ——

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

c) Als Serb-Sărac auf seinem schwarzen Pferd durch Istanbul reitet, laufen die Türken

herbei. Sie fragen ihn, ob das schwarze Tier nicht aus der Gegend von Bugeac und ob es

nicht verkäuflich sei: "Copilaş de Serb-Sărac, /Nu-ţi e Negrul din Bugeac ? (v 26-27).

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Wien, am 02.06.11, Seite 211 von 259

Wenn der Schwarze verkäuflich sei, dann - läßt einer der Interessierten Serbu wissen - sei

er ein Käufer und würde viel Geld dafür zahlen: "De-ţi e Negrul vînzător, /Eu îţi sînt

cumpărător, /Că vreu bine să-l plătesc" (v 28-30). Die Türken erkennen die Abstammung

des Pferdes aus dem Bugeac-Gebiet, sie werben um das Tier und sind bereit, eine große

Summe Geld dafür zu bezahlen. All dies zeigt ein großes Interesse und eine besondere

Liebe der Genannten für dieses Tier. Eine andere große Leidenschaft der Türken zeichnet

sich in dem - oben - beschriebenen Wettspiel ab, das wöchentlich und mit Eifer abgehalten

wird (cf. Soziale Struktur b) und v 50-55, 101-111).

Attribute:

d) Der Sultan beobachtet den Wettkampf von einem Zelt aus grünem Wollstoff ("Iar

sultanul, stînd pe cal, /Sub un verde cort de şal", v 108-109; cf. şal ad Turzismen).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

b) Die Türken wollen Serb-Sărac das schwarze Pferd Negru abkaufen. Einer von ihnen

verspricht, für das Tier gut zu bezahlen, ja sogar es mit Gold aufzuwiegen: "De-ţi e Negrul

vînzător, /Eu îţi sînt cumpărător, /Că vreu bine să-l plătesc, /Cu aur să-l cumpănesc!" (v 28-

31). Die Türken sind also wohlhabend, sie besitzen Geld oder sogar Gold.

c) Die Nepoată des Sultans scheint - in ihrer Stellung - über einen gewissen Reichtum zu

verfügen. Sie bietet Serb-Sărac iusluci an, türkische Silbermünzen, damit er für das

Wettreiten sein Pferd mit Hufeisen aus Silber beschlage: "Copilaş de Serb-Sărac... /Vin’

colea, lîngă zăbrea, /Să-ţi dau iuzluci cît îi vrea, /Negrul tău (...) să-l potcoveşti, /Cu

potcoave de argint /Ce sînt spornici la fugit" (v 42-49).

d) Auf die gesonderte Stellung des Sultans und die wertvolle, wollene Plane seines Zeltes

wurde schon hingewiesen (cf. Soziale Stellung).

e) Auch der Khan scheint - aufgrund der Tatsache, daß man ihm Geschenke macht - einen

besonderen Status zu haben (cf. Soziale Stellung).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Es ist am Brunnen inmitten der Stadt Istanbul, wo Türken Serb-Sărac ansprechen ("Pen

mijloc de Ţarigrad, /La ceşmeaoa lui Murad, /Primblă-mi-se Serb-Sărac", v 1-3; "Unde

Negrul necheza, /Ţarigradul se trezea", v 22-23).

c) Nepoată befindet sich im Palast des Sultans ("Nepoata sultanului... /Pe Serb iată că-l

zărea /Din sarai, de la zăbrea", v 36-39, ad sarai(u) cf. Turzismen).

25.19. Ballade von Niculca

In der vorliegenden Dichtung wird uns in 158 Versen erzählt, was der Protagonistin mit

dem Namen Niculca widerfährt. Die wesentlichen Protagonisten sind außer der genannten

Figur, der Türke Mustafa, die Mutter Niculcas - die Serbin genannt -, ein zweiter Türke. Es

werden auch andere Personen genannt, die zweite Tochter der Serbin, weitere Türken, die

in ihrer Bedeutung zweitrangig sind. Der Türke Mustafa begehrt die zweite Tochter von

Sîrbă, Niculca, die sich aber nicht bestechen läßt. Als sie mit anderen auf dem Feld ihre

Arbeit verrichtet, verlangt er von ihr, ihm Wasser zu holen. Mustafa folgt ihr zum Brunnen,

ergreift sie und entführt sie auf seinem Pferd in Richtung Donau. Von hier aus führt er sie

auf einem Boot fort. Doch um dem Türken zu entfliehen, springt Niculca in die Donau. Sie

wird von ihrer Mutter, die sie in der Zwischenzeit gesucht hat, aus dem Wasser gerettet.

Plötzlich sieht Niculca, daß sich aus dem Osten Türken nähern. Sie bittet ihre Mutter, sie

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Wien, am 02.06.11, Seite 212 von 259

zu verstecken. Einer der Türken stöbert sie in ihrem Versteck auf, sie wird - zum zweiten

Mal - auf einem Pferd an die Donau und von hier aus auf einem Boot weggeführt. Man

kann in der vorliegenden Erzählung stellenweise fehlende Kohäsion feststellen. Als

Beispiel dafür lassen sich die einführenden Verse 1-8 anführen, die eine Reihe von

Umstandsbestimmungen, Relativsätzen und einem weiteren untergeordneten Satz, aber

kein Subjekt oder regierendes Prädikat enthalten: "Foaie verde-a bobului, /Jos, la lunca

Giurgiului, /La odaia turcului, /Turcului lui Mustafa, /Care-mi ţine Palanga /Şi din Oreava

ceva /C-a poftit la Niculca, /Să se iubească cu ea". Für den Rezipienten der Geschichte

entsteht in der Darstellung Niculcas, der wichtigsten Erzählfigur nicht türkischer Herkunft,

ein - unvollständiges aber - charakteristisches Personenporträt. Eine Reihe von Versen

reflektieren z.B. die Familienstruktur, in die die Protagonistin eingebettet ist, oder auch

ihren unbestechlichen, arbeitssamen, mutigen, etc. Charakter (cf. z.B. v 9-13, 21-30, 84-

94). Mehrere Passagen der vorliegenden Erzählung kommen in deutlich paralleler Weise in

anderen Balladen vor, z.B. in Ilincuţa Sandului. Dazu zählen z.B. die Stelle, in der sich die

Protagonistin für das Wasser / den Tod und gegen den Türken entscheidet (cf. v 82-94)

oder auch die versuchte Täuschung der Türken durch den vorgetäuschten Tod und das

Verstecken der Protagonistin. Auffällig in der Erzählung ist die inszenierte (Selbst-

)Vernichtung der Türken, die beinahe lächerlich wirkt. Mustafa ist so verliebt in Niculca,

daß er ein Loch in das Boot macht, nachdem sie ins Wasser gesprungen ist, und das Wasser

eintritt und alle Türken tötet: "Gaură-n caic că da, /Apa-n dînsu că intra, /Toţi turcii că-i

îneca" (v 88-100; cf. Namen).

Namen / Bezeichnung:

a) Es tritt der Türke Mustafa auf. Der Nennung des Eigennamens geht die ethnische

Bezeichnung des Protagonisten voraus, der Name wird nicht sofort genannt: "Foaie verde-a

bobului, /Jos, la lunca Giurgiului, /La odaia turcului, /Turcului lui Mustafa, /Care-mi ţine

Palanga /Şi din Oreava ceva /C-a poftit la Niculca" (v 1-7; turcu, v 14; turcul Mustafa, v

16).

b) Niculca erblickt in der Ferne Gestalten und warnt ihre Mutter, daß es sich

möglicherweise um Häupter von Türken handelt: "Mamă, maiculiţa mea, /Încotro soare

răsare, /Nu ştiu, soare răsărit, /Nu ştiu, bojor înflorit, /Nu ştiu, capete de turci ?" (v 127-

131). Die Mutter bestätigt die Angst ihrer Tochter und wiederholt, daß es Köpfe von

Türken sind, die man sehen kann ("sînt capete de turci !", v 139). Später wird nur das

Ethnonym verwendet, um die Herankommenden zu bezeichnen: "Floare verde micşunea,

/Iată turcii că-mi sosea, /De Niculca că-ntreba" (v 144-146). Der Erzähler bezieht sich an

anderer Stelle auf die absolute Einheit aller Türken: "Toţi turcii că se-ncredea" (v 151).

Schon zuvor tritt - in einmaliger Erwähnung - eine andere Gruppe von türkischen

Protagonisten auf, die als Totalität aller Türken (eines Bootes) gemeinsam den Tod finden

("Toţi turcii că-i îneca", v 88-100).

c) Ein - im Vergleich mit den anderen Personen - auffällig handelnder Protagonist wird

namentlich nicht markiert. Hervorgehoben wird in seiner Bezeichnung nur, daß er ein

einziger aus der Gruppe der Türken ist - Verwendung des unbestimmten Artikels - und das

er von besonderer Statur ist (cf. Körperliche Eigenschaften): "Floare verde şi-o lalea, /Toţi

turcii că se-ncredea. /Cînd fu unu mititel... /Pe Niculca mi-o scotea" (v 150-156).

d) Niculca erwähnt einmal kurz die cadîne, die Gemahlinnen der Türken bzw. Frauen des

Harems: "Decît slugă turcilor /Şi vătrai cadînilor, /Mai bine, frate, să fiu /Tot bătaie

peştilor" (v 84-87; cf. Turzismen).

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Wien, am 02.06.11, Seite 213 von 259

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche: ——

Geographische Herkunft:

b) Niculca erkennt in der Ferne mehrere Gestalten, die aus der Richtung des

Sonnenaufgangs, also aus östlicher Richtung kommen: "Mamă, maiculiţa mea, /Încotro

soare răsare, /Nu ştiu, soare răsărit, /Nu ştiu, bojor înflorit, /Nu ştiu, capete de turci ?" (v

127-131)

Aussehen / Alter:

a) Den Worten Niculcas zufolge, trägt Mustafa einen Schnauzbart: "Măi turcule dumneata,

/Săruta-ţi-aş mustaţa" (v 78-79).

Kleidung / Ausstattung:

a) Mustafa ist zu Pferd unterwegs, auf dem er auch Niculca fortbringt: "pe cal că mi-o

punea, /La Dunăre că mi-o ducea" (v 69-70).

c) Auch der kleine Türke bewegt sich zu Pferde fort: "De pe cal descăleca" (v 153).

Körperliche Eigenschaften:

c) Der Protagonist ist von auffallend kleiner Statur ("Cînd fu unu mititel, v 152). Die

Umschreibung der Körpergröße des Türken mit dem Adjektiv mititel 'winzig, klein' (cf.

DRG, s.v.) hat einen Aspekt von Lächerlichkeit.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) Mustafa findet einen Weg, um Niculca von den anderen, die am Feld arbeiten, zu

trennen.

Er befiehlt ihr, zum Brunnen zu gehen, um die Wasserkanne zu füllen, was Niculca auch

sogleich ausführt: "Ia năstrapa de colea /Şi dă dosul la ceşmea. /Dar Niculca ce-mi făcea ?

/Năstrapa-n mînă luă, /Dosul la ceşmea că-mi da /Şi de apă c-o umplea" (v 47-52). Der

Türke nützt diese Gelegenheit, um der Frau seiner Sehnsucht nachzugehen und sich - mit

falschem Interesse an der Wasserkanne und am Trinken - ihr zu nähern: "Iară turcul ce-mi

făcea ? /După Niculcea-mi pleca, /La ceşmea că mi-o-ajungea, /Năstrapa că mi-o cerea.

/Niculca-n mînă i-o da, /Şi bea turcul, nu prea bea, /Mai mult în gură-o oprea" (v 55-62).

Mehrmals benützt der Protagonist also Lügen, um sein Ziel zu erreichen, er scheint folglich

überaus listig zu sein.

b) Der Erzähler schildert uns, wie Niculca die Türken überlistet. Um sich vor den Türken

zu schützen, versteckt sie sich mit Hilfe der Mutter unter dem Fenster des Hauses. Von

dort kann sie hören, was gesprochen wird (cf. v 140-143). Den suchenden Türken sagt die

Mutter, daß ihre Tochter gestorben sei: "Foaie verde matostat, /Niculca mi-a răposat !" (v

148-149). Die Suchenden schenken den Worten der Sîrbă - und damit einer Lüge -

Glauben: "Floare verde şi-o lalea, /Toţi turcii că se-ncredea" (v 150-151), sie sind also

gewissermaßen naiv / einfältig.

c) Unter den Türken befindet sich aber einer, wie schon gezeigt wurde, der sich nicht

überlisten läßt und der Niculca unter dem Fenster hervorzieht: "La fereastră că-mi trăgea,

/Pe Niculca mi-o scotea" (v 155-156). Dieser eine Türke ist also - im Gegensatz zu den

anderen - klug genug, um Niculca in ihrem Versteck zu finden.

Moral und moralische Eigenschaften:

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Wien, am 02.06.11, Seite 214 von 259

a) Die oben kommentierten Handlungen Mustafas (cf. Geistige Eigenschaften) haben

gezeigt, daß er Lügen verwendet. Das sind nicht seine einzigen unmoralischen Taten. Als

Niculca alleine mit ihm am Brunnen ist, nützt Mustafa die Gelegenheit. Er ergreift mit

seiner Hand ihren Gürtel, hebt sie aufs Pferd und bringt sie zu einem Boot an der Donau:

"Mîna-n brîu că i-o-nfigea /Şi pe cal că mi-o punea, /La Dunăre că mi-o ducea /Şi-n caic dă

mi-o punea" (v 67-70). Auf dem Boot fesselt er seine Gefangene ("Cu opt curele-o lega", v

71) und zwar so fest, daß Niculca ihn, ihren Worten zufolge, sogar küssen würde, würde er

ihr die Riemen lockern: "Măi turcule dumneata, /Săruta-ţi-aş mustaţa, /Mai slăbeşte-mi

cureaua, /Să-mi revenesc ţîţica !" (v 78-81). Die in Vers 71 erwähnten Lederriemen, mit

denen der Türke Niculca fesselt und ihre Aufforderung an diesen, die Riemen zu lockern,

damit sie wieder atmen könne (cf. v 80-81), assoziieren den Türken mit der Vorstellung

von Unbarmherzigkeit / Grausamkeit. Niculca äußert ihr großes Entsetzen über ihre

Gefangennahme dadurch, daß sie sich das Gesicht zerkratzt und das Haar rauft: "Dar

Niculca ce-mi făcea ? /Faţa albă-şi zgîria, /Păr galben dărăpăna" (v 72-74). Sie entschließt

sich im folgenden für den Tod - für den Kampf der Fische, die Kälte der Steine, das

Zwicken der Krebse, etc. - und gegen das Leben einer türkischen Frau: "Iar Niculca se

gîndea, /Şi din gură cuvînta: /Decît slugă turcilor /Şi vătrai cadînilor, /Mai bine, frate, să fiu

/Tot bătaie peştilor, /Şi răceala pietrilor, /Şi ciupeala racilor...!", "Drept în Dunăre sărea"

(v 82-89, v 94). Diese Darstellungen lassen vermuten, daß der Türke ein Mensch äußerster

Unmoral ist, und daß selbst der Tod diesem gegenüber das geringere Übel ist. Andererseits

reagiert Mustafa auf die Bitten Niculcas auch mit Nachsicht und entfernt ihre Fesseln:

"Curelile i le lua" (v 92).

b) Eine Gruppe von Türken kommt aus der Ferne, um Niculca zu suchen: "Floare verde

micşunea, /Iată turcii că-mi sosea, /De Niculca că-ntreba" (v 144-146).

c) Der kleine Türke entdeckt Niculca unter dem Fenster, er zieht sie hervor, setzt sie aufs

Pferd und führt sie auf der Donau fort: "unu mititel (= un turc mititel), /De pe cal

descăleca, /La fereastră că-mi trăgea, /Pe Niculca mi-o scotea, /Şi pe cal că mi-o punea, /Pe

Dunăre că-mi pleca" (v 150-158). Auch dieser Türke bringt - wie schon Mustafa zuvor -

Niculca Gefangenschaft und Versklavung.

Religion / Ideale: ——

Leidenschaften:

a) Mustafa begehrt Niculca. Dieser Umstand geht schon aus den ersten Versen der

Geschichte deutlich hervor ("Jos, la lunca Giurgiului, /La odaia turcului, /Turcului lui

Mustafa, /Care-mi ţine Palanga /Şi din Oreava ceva /C-a poftit la Niculca, /Să se iubească

cu ea", v 2-8, cf. Einleitung). Die Sehnsucht Mustafas nach Niculca kommt zunächst in

dem Verbalsyntagma a pofti + a se iubi 'wünschen, verlangen, begehren, Lust / Verlangen

haben / verspüren nach etwas, etc.' + 'zu lieben' zum Ausdruck. Sie äußert sich auch in der

Beschreibung a fi tot de foc 'total verliebt sein', die dreimal wiederholt wird; desweiteren in

seiner - vergeblichen - Bereitschaft, die Liebe Niculcas mit viel Geld zu erkaufen ("Că

vezi, turcul Mustafa, /Tot de foc de Niculca, /Bani pe sapă slobozea", v 16-18, teilweise

wiederholt in v 39 und 96; "Dar Niculca nu primea, /Că Niculca bani avea", v 21-22),

sowie in der Aussage Mustafas, er verzehre sich in Sehnsucht nach ihr: "mi-ai secat inima

/tot de dor de dumneata !" (cf. v 44-45). Mustafa scheint Frauen, deren Gunst er sich mit

viel Geld - im Text wörtlich schaufelweise - erkauft, allgemein mit äußerster Zuneigung zu

begegnen: "Cîte fete-n Cîrtojani, /Toate primiră la bani" (v 19-20).

Attribute: ——

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Wien, am 02.06.11, Seite 215 von 259

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Mustafa wohnt, der Darstellung der einführenden Verse zufolge, in einem Haus. Er

scheint eine gewisse politische Macht über zwei Regionen oder Städte innezuhaben ("Foaie

verde-a bobului, /Jos, la lunca Giurgiului, /La odaia turcului, /Turcului lui Mustafa, /Care-

mi ţine Palanga /Şi din Oreava ceva", v 1-7). Er hat soviel Geld, daß er es schaufelweise

ausgibt: "Bani pe sapă slobozea. /Cîte fete-n Cîrtojan, /Toate primiră la bani" (v 18-20, cf.

Leidenschaften).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Mustafa wohnt in einem Haus an einer Uferwiese in der Nähe der Stadt Giurgiu ("Foaie

verde-a bobului, /Jos, la lunca Giurgiului, /La odaia turcului, /Turcului lui Mustafa, /Care-

mi ţine Palanga /Şi din Oreava ceva /C-a poftit la Niculca, v 1-7). Diese - muntenische -

Stadt liegt im Süden der Walachei an der Grenze der Donau zu Bulgarien. Die erwähnten

Uferwiesen könnten folglich die Ufer der Donau sein. Auch die Tatsache, daß Mustafa

seine Gefangene an die Donau bringt ("La Dunăre că mi-o ducea", v 68) bestärkt diese

Annahme. Die erwähnten Orte oder Regionen Palanga und Oreva (möglicherweise besteht

ein Zusammenhang mit den in Ilincuţa Sandului erwähnten Ortsnamen Orava) sind schwer

zuzuordnen. Auch das erwähnte Cîrtojan ("Cîte fete-n Cîrtojan, /Toate primiră la bani", v

19-20) ist in der einschlägigen Literatur nicht verzeichnet, es könnte sich, ziehen wir die -

von Amzulescu angegebene - Herkunft des Informanten in Betracht, um die kleinere

Ortschaft Cartojani in der Nähe von Bukarest handeln. Die Szene des Raubes Niculcas

durch Mustafa spielt sich bei einem Brunnen ab: "Iară turcul ce-mi făcea ? /După Niculcea-

mi pleca, /La ceşmea că mi-o-ajungea, /Năstrapa că mi-o cerea" (v 55-59 ss).

c) Auch der kleine Türke bringt Niculca zur Donau und setzt seinen Weg auf diesem Fluß

fort: "Pe Niculca mi-o scotea, /Şi pe cal că mi-o punea, /Pe Dunăre că-mi pleca" (v 156-

158).

25.20. Ballade von Gheorghiţă Zătreanu

Die Protagonisten dieser 439 versigen Erzählung sind der Hirtensohn Gheorghiţă Zătrean

und dessen Begleiterin Mezina Dobriţa bzw. Dobra - wie sie mehrmals auch genannt wird.

Desweiteren treten auf die Schwester von Mezina und zwei Türken. Seit einem Jahr lebt

der junge Gheorghiţă gemeinsam mit Dobriţă, die ihre Familie verlassen hat, in einem

Wald. Eines Tages, als die beiden gerade dabei sind, eine Mahlzeit zu sich zu nehmen,

ersucht Gheorghiţă seine Begleiterin, ihm doch ein Lied ihres Dorfes vorzusingen. Dobra

stimmt eine traurige Melodie an - ein cîntec de jale -, in der darüber klagt, ihre Familie und

insbesondere ihre Schwester verlassen zu haben. Plötzlich hält Dobriţa in ihrem Lied inne,

da sie die Stimmen eines Mädchens und eines Türken vernimmt. Gemeinsam mit

Gheorghiţă folgt sie den Lauten und sie finden ein Mädchen, das von zwei Türken bedroht

wird. Dobra erkennt in der gequälten Frau ihre Schwester und tötet auf der Stelle einen der

beiden Türken. Der zweite Türke wird im Zweikampf von Gheorghiţă getötet.

Grundsätzlich erzählt die Geschichte von einer märchenhaft-mythischen Welt, in der auch

die Figur des Türken auftritt. Der Ort der inszenierten Handlung ist eine Berg- und

Waldlandschaft: "Foaie trei agude, /Pe picior de munte, /Pe dealuri mărunte /Cu păduri

cărunte, /De ani mii şi sute, /Pe deal şi pe vale /Plimbă-mi-se, plimbă /Un om c-o leliţă,

/Un domn c-o domniţă, /Din oameni de viţă" (v 1-10). Es ist eine von Bergen bestimmte

Landschaft, die schon seit tausendundeinhundert Jahren durchwandert wird (picior de

munte, dealuri, mărunte, deal şi vale; de anii mii şi sute). Dieses mythische Alter und die

paradiesische Athmospäre dieser Landschaft lassen an die Welt der Mioriţa-Texte denken.

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Wien, am 02.06.11, Seite 216 von 259

Stellenweise ist die vorliegende Erzählung der Darstellung in diesen Texten auffallend

ähnlich (Pe picior de munte; "În mijloc de plai", v 23, "Ca-n mijloc de rai", v 25).

Phantastisch-märchenhafte Elemente sind vielleicht auch die Pferde, die, wie der Text

lautet, nicht von dieser Welt sind: "Şi ei (= Un domn c-o domniţă) mi se plimbă /Pe doi cai

voinici, /De nu sînt pe-aici" (v 11-13). Die beiden - rumänischen - Erzählfiguren werden

mit Hinweisen bezüglich des Aussehens, des Namens, der Abstammung, des Alters, der

Genealogie, etc. deutlich "gezeichnet". Gheorghiţă Zătrean z.B. ist der schöne, hellhaarige

Junge eines moldauischen Hirten, der auch die Eigenschaft hat, tapfer zu sein ("Frumos la

peliţă, /Pe nume Gheorghiţă, /Gheorghiţă Zătrean, /Fecior de mocan, /Pui de moldovan",

voinic Gheorghiţă, "Feciorel bălan"; v 28-33, 77, 98). Die junge, zarte, liebliche und

überaus schöne Mezina Dobriţa hingegen stammt aus einer hoch situierten Familie aus

Călăraşi ("o puică dulcie /Ca poama de vie, /Tînără copilă, /Frumoasă mezină, /Floare de

grădină /De pus la inimă. /Şi ea se chema... /Mezina Dobriţa... /Fată de fruntaş /De la

Călăraşi" (v 38-43). Die beiden rumänischen Figuren nehmen den Türken gegenüber

zunächst scheinbar unterschiedliche Haltungen ein. Dobra, die Frau, reagiert überaus

wütend auf die Türken und schneidet dem einen, als Rache für ihre gequälte Schwester,

den Kopf ab: "Nimic nu zicea, /Numai doar fierbea /De-a o răzbuna. /Lîng-un turc se da,

/Bine că-i venea, /Paloşul scotea /Şi mi-şi izbîndea: /Un cap dobora, /Capul mi-şi pica" (v

326-334). Gheorghiţă hält sie davon zurück, auch den zweiten Türken zu töten: "Leleo,

draga mea, /Opreşte arma, /Nu-mi fă voie rea" (v 346). Er schlägt einen gerechten Kampf

mit ihm vor, bei dem - wie er meint - der Türke den Tod finden wird, wenn er ein

schlechter Mensch wäre: "Dumnezeu a vrut... /Şi-ai văzut acuş /Un cap sub tăiuş, /Şi-a

trece şi-al tău /Dacă eşti om rău... /Că noi ne-om lupta /Luptă cu dreptate, /Fără

strîmbătate" (v 367-377). Gheorghiţă wirft seine Waffen fort und beginnt einen

Zweikampf, bei dem mal er, mal der Türke stärker zu sein scheint: "Lepădă armîntul,

/Braţele-ntindea, /Pe turc cuprindea /Şi îl apuca, /Şi vînt că-i făcea. /Şi turcul voinic /Nu-i

păsea nimic. /Şi el s-apuca... /Braţele-ncorda, /Pe Zătrean lovea /Cît ce mi-şi putea.

/Zătrean, de vedea, /Nu se sinchisa" (v 381-398). Auf diese Weise kämpfen sie lange Zeit,

bis Gheorghiţă Zătrean den Türken besiegt: "Şi se tot lupta. /Soarele lucea, /Şi ei se lupta;

/Soarele apune, /Zătrean mi-l răpune" (v 402-406). Das Siegen des einen bzw. das Sterben

des anderen wird weitere Male bildhaft wiederholt. Als der Rumäne sieht, daß er den

Türken besiegt, strengt er sich an und schlägt so fest zu, daß er ihn zu Staub macht, daß

dieser nicht mehr atmet und, als Gheorghiţă das sieht, sein Schwert zieht und ihm den Kopf

abschneidet, so wie Gott es wollte: "Bine că-i venea /Şi se opintea, /Şi cînd mi-l izbea,

/Ţărnă mi-l făcea, /De nu mai sufla ! /Zătrean, de vedea, /Paloşul scotea, /Capu-i răteza /C-

aşa Domnul vrea !" (v 415-419). Daraufhin bestattet Gheorghiţă den Türken in einem Grab,

so wie es die christliche Pflicht verlangt: "Groapa că-i făcea, /Şi mi-l îngropa, /C-aşa-i

datina !" (v 416-418). Nachdem Gheorghiţă dem Türken eine Chance im Kampf zu zweit

gegeben hat, tötet er ihn also doch noch. Sein Gegner erleidet schlußendlich dasselbe

Schicksal wie sein Kamerad zuvor.

Namen / Bezeichnung:

a) Der Erscheinung des Türken geht seine Stimme voraus. Dobriţa hält in ihrem Lied inne,

da ihr schien - wie sie es ihrem Begleiter erklärt -, einen Türken gehört zu haben: "Cîntec

n-am sfîrşit, /Nici nu mi-ai căzut /Leliţa urît, /Ci am auzit, /Sau mi s-a părut... /Glas de fată

mare; /Şi-un glas răguşit, /Glasul unui turc" (v 231-240). Es handelt sich um zwei Türken,

die hinter dem Gebüsch hervorkommen: "Din mijloc de crîng, /Din dosul de colnic, /Doi

turci se ridic’" (v 281-283) und an die sich das gefangene Mädchen mit den Worten

Grausame, heidnische Türken wendet: "Turcilor haini, /Turcilor păgîni, /Vouă mă închin"

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Wien, am 02.06.11, Seite 217 von 259

(v 249-251; cf. Moral und Religion). In allen weiteren Erwähnungen werden die

Protagonisten ebenfalls mit ihrem Herkunftsnamen bezeichnet. Diesen Namen begleitende

Adjektiva sind grausam, fremd, heidnisch und - einmal - auch tapfer: "(Gheorghiţă)

Turcului grăia: /Turcule hain, /Străin şi păgîn", "Şi turcul voinic /Nu-i păsea nimic" (v 329,

358-360, 386-387).

b) Das gefangene Mädchen bittet die Türken, sie nicht dorthin mitzunehmen, wo es nur

Türken und kleinköpfige türkische Soldaten gäbe: "Să nu mă luaţi... /Unde-s numai turci /Şi

capete mici /De turci bazbuzuci !" (v 249-258). Sie spricht von bazbuzuci, von Soldaten,

die wegen ihrer Grausamkeit bekannt waren (cf. Turzismen).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Aus dem Benehmen der rumänischen Gestalten ist abzuleiten, daß die Türken die

Verbeugung als Begrüßung kennen und daß sie eine bestimmte Art von Pfeife rauchen:

"Din drum îi opreau, /Samasalîc dau; /Dar turcii stăteau, /Nici nu mulţămeau... /Cu

ciubucu-n gură" (v 304-312; ad samasalîc und ciubub cf. Turzismen).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung:

a) Dobra vernimmt außer der Stimmen eines Türken das Wiehern eines Pferdes: "am

auzit... /Glasul unui turc, /Şi-un nechez de murg !" (v 234-241). Die Türken sind also auf

diesem Tier unterwegs.

Körperliche Eigenschaften:

a) Nach dem Schwertstoß Dobras fällt der Türke nieder. Sein Körper wird dabei als klein

beschrieben: "Trup se prăvălea; /Trupuşor de turc" (v 335-336).

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Die Türken werden mehrere Male explizit hain 'grausam' genannt (cf. z.B. v 249, v 359).

Die Protagonisten handeln auch in einer Weise, die seelisches Leid zufügt und ihr

feindliches und böses / schlechtes Benehmen enthüllt. Das Mädchen, dessen Stimme Dobra

gehört hatte, richtet sich mit den Worten "Vouă mă închin" (v 251) an die beiden Türken.

Das darin ausgedrückte Verb a se închina spiegelt die Unterwerfung der Macht der

Genannten wider (cf. die Bedeutungen dieses Verbs einerseits als 'anbeten', andererseits als

'sich unterwerfen, sich ergeben' im DRG, s.v.). Als Gheorghiţă und Dobra das Mädchen

finden, sind die beiden Türken gerade dabei, es gegen seinen Willen mit sich

fortzunehmen, es - ebenso ohne seinen Willen - zu küssen. Desweiteren geben sie auf das

Flehen ihrer Gefangenen nicht einmal eine Antwort: "Vouă mă închin /Cu glas şi suspin,

/Să nu mă luaţi, /Şi să nu mă daţi, /Şi să nu mă duci /Unde-s numai turci /Şi capete mici

/De turci bazbuzuci !" (v 251-258); "Doi turci se ridic’... /De mijloc mi-şi strîng /Şi tot mi-

şi sărut /De-o dalbă fetiţă" (v 283-286); "De mijloc mi-o strîng, /Pe cal mi-o ridic, /Nimica

nu-i zic" (v 293-295). Auch der Anblick der Schwester verrät, daß die Türken ihr großes

Leid angetan haben. Als Mezina Dobra das junge Mädchen erblickt, erkennt sie in ihm

ihre, vom Weinen abgemagerte und von Kummer gepeinigte, Schwester: "Mezina Dobra,

/Voinica de ea, /La ochi se ştergea, /Bine se uita, /Vedea şi vedea, /Vedea aievea, /În tînăra

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Wien, am 02.06.11, Seite 218 von 259

fată, /Vedea pe surată, /Slabă şi uscată, /Uscată de chin, /Slabă de suspin" (v 313-323).

Dobra muß ihre Schwester von den Fesseln befreien, die die Türken ihr anlegten ("Sora-şi

dezlega", v 353). Das Leid, das die Türken der Schwester zugefügt haben, ist so groß, daß

Dobra keine Worte findet und nur darauf brennt, sie mit dem Tode zu rächen: "Şi de mi-şi

vedea, /De mi-o cunoştea, /Nimic nu zicea, /Numai doar fierbea /De-a o răzbuna", "Paloşul

scotea /Şi mi-şi izbîndea: /Un cap dobora" (v 324-328, 331-333; cf. Einleitung). Auch

Gheorghiţăs Worte an den (zweiten der beiden) Türken, weisen diesem Schandtaten zu. So

hätte der Türke eine große Sünde begangen, er wäre ins Land eingefallen, hätte die

Schwester geraubt und sie für Ţarigrad vorbereitet: "Tu, mări, -ai picat, /În negru păcat, /În

ţar-ai intrat, /Sora mi-ai furat /Şi mi v-aţi gătat /Pentru Ţarigrad" (v 361-366). Die Türken

treten aus einem Gebüsch zum Vorschein ("Din mijloc de crîng, /Din dosul de colnic, /Doi

turci se ridic’", v 281-283). Aus diesem Umstand heraus könnte man schließen, sie hätten

sich versteckt bzw. sie hätten eine Tat zu verbergen. Die dargestellte Szene erweckt den

Eindruck, die Türken - da sie aus dem Hinterhalt treten - seien von hinterhältigem

Charakter. Die Darstellung der Protagonisten läßt auf einen weiteren ihrer Wesenszüge

schließen. Als plötzlich Dobra und Gheorghiţă auftauchen und sie begrüßen, antworten die

Türken nicht, sie sagen kein einziges Wort, sondern bleiben wie versteinert stehen: "Din

drum îi opreau, /Samasalîc dau; /Dar turcii stăteau, /Nici nu mulţămeau, /Cuvînt nu

rosteau, /Vorbă nu scoteau, /Ci-mi încremeneau" (v 304-310). Die Türken könnten vor

Angst erstarrt sein. Ihr Vorgehen zu zweit gegen eine Frau läßt dabei zumindest keine

Assoziation mutiger Taten zu.

b) Cf. Namen.

Religion / Ideale:

a) Es wurde schon erwähnt, daß die türkischen Protagonisten im Laufe der Erzählung

immer wieder als Heiden bezeichnet werden (cf. z.B. "Păgînii soseau", v 302). Der zweite

Türke würde - lauteten die Worte Gheorghiţăs vor Beginn des Kampfes - den Tod finden,

wenn dieser ein schlechter Mensch sei. Die Tatsache, daß der Türke tatsächlich den Tod

findet, weist also darufhin, daß er ein schlechter Mensch (gewesen) ist. Gott wollte - hieß

es in einem anderen Vers -, daß man ihm den Kopf abschneide. Der Tötung des Türken

durch Gheorghiţă scheint also gottgewollt, die Tötung religiös legitimiert zu sein.

Gheorghiţă Zătrean begrabt seinen Feind, wie es seine Pflicht ist, nach seiner Tradition (cf.

Einleitung). Er handelt - und behandelt den Türken - damit in christlichem Sinn.

Leidenschaften:

a) Wie schon gezeigt wurde, sind die beiden Türken hinter dem Mädchen her (v 281-286).

Attribute:

a) Sie haben, wie ebenfalls schon geschildert wurde, eine Pfeife im Mund (v 309-311).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Der Ort, wo die Protagonisten der Geschichte aufeinander treffen, ist ein Wald (cf.

Einleitung und v 281-283). Von hier wollten die Türken das Mädchen entführen und,

Gheorghiţă zufolge, nach Istanbul bringen: "Şi mi v-aţi gătat /Pentru Ţarigrad" (v 365-

366).

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Wien, am 02.06.11, Seite 219 von 259

25.21. Ballade von A lui Şoimănel

In der 153-versigen Kreation treten auf Şoimănel, Türken, die Mutter des Şoimănel, die

Tochter des Kaisers und derselbe. Als Şoimănel gerade erst geboren ist, kommen Türken

und rauben seine Mutter, während sie das Kind in einer Truhe ins Meer werfen. Als die

Tochter des Kaisers ihr Bad nimmt, findet sie diese Truhe und den darin spielenden Jungen

Şoimănel. Ihr Wunsch ist es, daß der Knabe, nachdem er aufgewachsen ist, ihr Bräutigam

werde. Bei der späteren Hochzeit der Tochter des Kaisers mit Şoimănel fehlt dessen

Mutter. Also bricht Şoimănel nach Vidin auf, wo seine Mutter als Sklavin gehalten wird.

Er tötet alle Türken, befreit seine Mutter und kehrt mit ihr zurück. Die vorliegende

Dichtung enthält einige Inkohäsionen und Inkohärenzen. Grammatikalisch nicht korrekt

(bzw. ein zu stark verkürzter Vergleich ?) ist z.B. der letzte der folgenden Verse, die das

Leiden der Mutter Şoimănels schildern: "De la inimă ofta, /La Dumnezeu se ruga /Ca să-i

stingă viaţa, /Că nu mai putea răbda /Usturimi şi bătăi mari, /Mai rău decît pe tîlhari" (v 13-

17). Nach der Schilderung, die Mutter würde den Schmerz und die Schläge nicht mehr

ertragen, fehlt ein Verb, welches das Adverb und Akkusativobjekt 'schlimmmer als

Banditen' regieren würde. Kontextuell wäre die Bedeutung, die Mutter würde die Schläge

nicht mehr ertragen, die 'schlimmer waren, als wenn Banditen sie geschlagen hätten'.

Inhaltlich inkohärent wirkt u.a., daß ein Meer genannt wird, in das Şoimanel geworfen

wird, dieser dann aber flußabwärts "reist". In den Versen 19-22 schildert uns der Dichter,

wie der Junge in seiner Truhe immer weiter schwimmt, bis er beim beşleaga ankommt, bei

der Tochter des Kaisers. Diese öffnet das Schloß der Truhe und findet ein spielendes Kind

darin: "Băieţelu-n marea /Mergea-n jos şi nu mai sta, /Pîn-ajungea la beşleaga, /La fata-

mpăratului", "Lădiţa pe mal venea, /Chiar încuiat-o vedea. /Ea lăcata mi-o strica, /Pe băiat

jucînd găsea" (v 19-22, 36-39). Die Erwähnung des beşleagas erscheint für das Verständnis

des Rezipienten unkohärent, da kein Hinweis gegeben wird, in welchem Zusammenhang

der genannte beşleaga und die, im darauffolgenden Vers erwähnte, fata-mpăratului stehen.

Was das Verhältnis der rumänischen und der türkischen Figuren der erzählten Welt

zueinander betrifft, weist die vorliegende Geschichte, im Vergleich mit anderen Balladen,

eine Besonderheit auf. Die Kaisertochter und ihr Vater werden in ihrer Darstellung nicht

explizit als türkische Gestalten zu erkennen gegeben. Der geographische Hinweis, sie

befänden sich stromabwärts - also möglicherweise in südlicher Richtung - und der in

Verbindung mit der Tochter erwähnte, türkische Offizier weisen jedoch auf eine "türkische

Welt" hin, in die Şoimănel eintritt und in der er seine Familie gründen wird. Andererseits

treten die Türken von Vidin als seine expliziten Feinde auf, gegen die Şoimănel im Laufe

der Erzählung auch vorgehen wird. Es zeichnen sich demnach also zwei Verhältnisse des

Protagonisten mit den Türken heraus, ein friedlich idyllisches mit dem türkischen Hof und

ein feindliches mit den Türken von Vidin. Die Ballade von Şoimănel enthält eine Reihe

von strukturellen und inhaltlichen Elementen, die sich an die Welt der Märchen anlehnen.

Zu diesen "Merkmalen" zählen u.a. die hochherrschaftliche Abstammung sowohl

Şoimănels ("Puişorul Şoimănel /Vineri mă-sa l-o făcut, /Şi mulţi turci că i-o venit, /Şi pe

crai mi l-o robit", v 1-4; "Eu fecior de crai am fost", v 75), als auch der Kaiser-

/Sultanstochter (fata-mpăratului, v 22), möglicherweise auch das strukturelle Element der

Reise zu Wasser, die Şoimănel in seiner Truhe unternimmt. Wie in vielen Märchen

feststellbar, geschieht etwas Vorherbestimmtes, das später auch eintritt. Der Inhalt der

Truhe soll, den Worten der Tochter zufolge, ihr gehören, und sei es ein Junge, soll er ihr

Bräutigam sein, sei es ein Mädchen, soll sie ihre Schwester sein: "Doamne, c-a fi în lădiţă,

/Dăruit al meu să fiu: /De-i flăcău, fie-mi soţie; /De-i fată, soră să-mi fie !" (v 32-35). Auch

der Sultan verkündet die Hochzeit seiner Tochter mit dem Jungen - noch einmal - im

voraus und behält damit Recht: "holteiu vi s-a creşte /Şi-n mîna ta ţi s-a da, /Şi tu-i fi soţia

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sa !", "(Tată-său...) Nuntă pe plac îi făcea" (v 51-53, 70). Desweiteren könnten die fremden

Länder, die Şoimănel auf der Suche nach seiner Mutter durchquert, an die Reisen in

unbekannte Reiche vieler Märchenhelden erinnern: "Şi-n Dunăre se trîntea, /Prin ţări

străine mergea" (v 90-91). Den Worten der Sultanstochter zufolge, wächst Şoimănel in

einem Monat so schnell, wie (andere) in drei Jahren, in drei Jahren, so schnell, wie andere

in fünfzehn Jahren: "Apoi băiatul creştea /Într-o lună ca-n trei ani, /Şi-n trei ani ca-n

cinsprezece" (v 57-59). Diese Besonderheit und die Schönheit des jungen Mannes ("Un

copil aşa frumos, /Ca luna de luminos", v 46-47) verleihen ihm die Identität des typischen

Helden der Märchen. Gleichzeitig kämpft derselbe Protagonist gegen die Türken von

Vidin, die er - in der Art der Haiducken anderer Geschichten - ausnahmslos umbringt:

"Chiar care cum turc ieşea, /Capul repede-i tăia, /Tot Vidinul mi-l tăia" (v 94-96). Dieses

Auftreten, aber auch der Name Şoimănel 'kleiner Falke / kleiner Held' des Protagonisten,

der die Vorstellung von Kampf konnotiert, skizzieren das Profil des typischen Haiducken.

Das Bild der Vernichtung der Türken wird in den Worten Şoimănels und des Erzählers

mehrmals wiederholt: "Nici un turc nu rămînea", "pe turci i-am mîntuit !", "Eu Vidinul l-

am tăiat /Şi de turci l-am despuiat !" (v 97, 124, 132-133).

Namen / Bezeichnung:

a) Es sind viele Türken, die gekommen sind, um Şoimănel zu rauben: "Puişorul Şoimănel

/Vineri mă-sa l-o făcut, /Şi mulţi turci că i-o venit, /Şi pe crai mi l-o robit" (v 1-4). Auch

nach dieser Einführung der Protagonisten werden sie vor allem nach ihrer Herkunft

bezeichnet. Dabei fällt auf, daß sie erneut in großer Zahl auftreten. Auch in Vidin begegnet

Şoimănel vielen von ihnen: "(...) la Vidin ajungea, /Turci mulţi-nainte-i ieşea" (v 92-93).

Im Akt ihrer Tötung durch Şoimănel werden sie als absolute / ganzheitliche Gruppe

dargestellt. Der Rumäne tötet jeden Türken, der ihm in den Weg tritt, er tötet ganz Vidin,

sodaß kein einziger Türke übrigbleibt: "Chiar care cum turc ieşea, /Capul repede-i tăia, /Tot

Vidinul mi-l tăia, /Nici un turc nu rămînea" (v 94-97). Seine Mutter wäre, anwortet

Şoimănel auf eine Frage, in der Hand des Fremden: "Unde-ţi este maică-ta ? /În ţară

Vidinului, /În mîna străinului" (v 79-80). Die Türken werden also auch als fremde,

fremdartige Personen bezeichnet (cf. DRG, s.v.), desweiteren in der Aussage Şoimănels

auch explizit als Heiden und als Hunde: "Mi te-o muncit păgînii /Şi te-o mai gătit, cînii" (v

130-131; cf. Religion und Moral).

b) Die auftretende Figur ist die Tochter des Sultans (fata-mpăratului, v 22), sie trägt keinen

Namen. Sie wird von ihrem Vater, den Sultan, als fiică dumneata 'Tochter' (v 50) und von

ihrem Gemahl Şoimănel sehr höflich als cucoana mea 'meine Frau / Dame' (v 72)

angesprochen.

c) Der erwähnte Kaiser trägt keinen Namen. Seine Tochter spricht ihn mit - einer

regionalen Lexemvariante für - Vater an: "Ah, babacă, ce-am găsit" (v 44).

d) Es wird desweiteren auch - ein einziges Mal - ein türkischer Offizier erwähnt, bei dem

der auf dem Wasser fahrende Şoimănel ankommt: "Băieţelu-n marea /Mergea-n jos şi nu

mai sta, /Pîn-ajungea la beşleaga, /La fata-mpăratului" (v 19-22). Auch er bleibt, ebenso

wie die anderen Protagonisten, namenlos.

Genealogie / Familiensippen:

b) und c) Aus den vorangegangenen Erläuterungen ging deutlich hervor, daß die

Bezeichnungen der Protagonisten eine Tochter-Vater-Verwandtschaft widerspiegeln.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

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Wien, am 02.06.11, Seite 221 von 259

b) Die Tochter des Sultans scheint über mehrere Diener zu verfügen: "Fata la scăldat

mergea, /Un lemn pe apă vedea, /Către slugi aşa zicea..." (v 23-25).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Eine ganze Reihe von Handlungen erzählen uns etwas über den Charakter der

Protagonisten. Die Türken rauben den kleinen Şoimănel, um ihn zu töten: "pe crai mi l-o

robit, /De viaţă l-o gătit" (v 4-5). Sie nehmen den Jungen, stecken ihn in eine Truhe und

werfen ihn ins Meer: "Pe băieţel l-o luat, /În lădiţă l-o turnat /Şi în marea că l-o dat" (v 6-

8). Sie tauchten bei der Mutter Şoimănels auf, um diese zu rauben und ins Gefängnis zu

stecken, dabei quälen sie sie bzw., wie es im Text wörtlich lautet, schlitzen sie ihre Brüste

auf und geben Salz darüber: "Pe maică-sa o robit /Şi-n temniţă mi-o vîrît", "Ţîţele că-i

spinteca, /Tot cu sare le săra" (v 9-12). Die Qualen der Mutter scheinen so groß zu sein,

daß sie, wie uns geschildert wird, von Herzen stöhnt, daß sie zu Gott betet, ihr das Leben

zu nehmen, weil sie den brennenden Schmerz und die festen Schläge nicht mehr erträgt:

"De la inimă ofta, /La Dumnezeu se ruga /Ca să-i stingă viaţa, /Că nu mai putea răbda

/Usturimi şi bătăi mari" (v 13-17). Şoimănel findet seine Mutter verletzt, mager und in

Fesseln gebunden: "pe mă-sa găsea /În cameră, spintecată, /Şi cum îi un ciung uscată",

"Atunci el, cînd auzea, /Numa-n braţe-o cuprindea, /Sforile i le tăia" (v 98-100, 112-114).

Als die Mutter Şoimănel erblickt - aber nicht erkennt - fängt sie an auf Knien zu flehen,

daß er sie nicht schlage, sondern sie eher erlöse / sie töte, denn er würde damit etwas Gutes

tun: "Ea, cum îndat’ l-a văzut, /La rugăminte-o picat, /În genunchi o-ngenuncheat /Şi o

prins a se ruga: /Cuconaş, măria-ta, /Faceţi-vă voi o milă /Şi nu mă prea tot munciţi /Şi mai

bine mă pierdeţi, /Chiar mare poman-aveţi !" (v 103-111). Diese Haltung zeigt, daß sie

nichts anderes von den Türken kennt bzw. erwartet als Qualen, und daß selbst der Tod

besser wäre als das, was diese Menschen zufügen. Noch einmal wird in den Worten des

Sohnes das Bild prügelnder und todbringender Türken wiederholt: "Mi te-o muncit păgînii

/Şi te-o mai gătit, cînii" (v 130-131). Auch Şoimănels Bezeichnung der Türken als cîni

'Hunde' konnotiert moralisch sehr schlecht bzw. bösartig handelnde Charaktere.

Religion / Ideale:

a) Die Protagonisten werden, wie schon erwähnt wurde, von Şoimănel Heiden, aber auch

Hunde genannt: "Mi te-o muncit păgînii /Şi te-o mai gătit, cînii" (v 130-131). Beide

Begriffe bezeichnen den Falschgläubigen (cf. Gruia lui Novac).

Leidenschaften: ——

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum): ——

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Die Mutter von Şoimănel wird von den Türken in Vidin gefangengehalten (cf. v 79-80).

Um dorthin zu gelangen, geht der rumänische Protagonist der Donau entlang: "Şi-n Dunăre

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Wien, am 02.06.11, Seite 222 von 259

se trîntea, /Prin ţări străine mergea, /Pîn’ la Vidin ajungea, /Turci mulţi-nainte-i ieşea" (v

90-93).

b) und c) Şoimănel erreicht auf dem Wasserweg den Ort, wo sich der Kaiser und seine

Tochter aufhalten: "Băieţelu-n marea /Mergea-n jos şi nu mai sta, /Pîn-ajungea la beşleaga,

/La fata-mpăratului" (v 19-22). Die Beschreibung a merge în jos kann aus dem Kontext der

Geschichte heraus mit a merge în josul, în josul apei 'fluß-, stromabwärts; den Fluß

abwärts' (cf. DRG, s.v.) verstanden werden. Şoimănel "reist" in seiner Truhe also entlang

eines Flusses, der sich als die Donau heraustellt (cf. v 90-93, oben).

25.22. Ballade von Manuilă şi Mustafa

Die Repräsentativität dieser aus nur 79 Versen bestehenden Erzählung ist die

verhältnismäßig hohe Dichte, mit der die Figur des Türken auftritt. Als Protagonisten treten

nacheinander auf Türken, Moldauer, der Haiducke Manuilă, die Wirtin Aniţa und der

Türke Mustafa. Die Bevölkerung der Moldau ist verzweifelt über das Unwesen, das die

Türken in Vrancea treiben. Manuilă, ein Anführer der Rumänen tötet den Türken Mustafa,

der sich in einem Gasthof ein Quartier genommen hat und nicht gestört werden wollte.

Manuilă und Mustafa sind die wesentlichen, sich einander gegenüberstehenden

Antagonisten der Erzählung. Im Vergleich zur Darstellung des Türken, wird der

rumänische Protagonist mit vielen Angaben und sehr deutlich in seinem Charakter / seiner

Identität als Person bzw. als ein Haiducke "gekennzeichnet". Nicht nur, daß Manuilă von

der Wirtin ausdrücklich ein Quartier, wie für einen Haiducken, verlangt, er wird vom

Erzähler auch ein weiteres Mal als solcher bezeichnet: "Să-mi dai casă de-un voinic /Şi

staul de un murg mic", "Manuilă, ca voinic, /Nu se spărie de nimic" (v 53-54, 64-65).

Manuilă ist der Anführer einer Gruppe von jungen Männern, die auf dem Berg leben, und

es ist besser, wie es im Text lautet, ihm aus dem Weg zu gehen: "Manuilă sta în frunte, /Cu

feciorii de la munte, /Cine casa n-a găsi /Nici un bine nu i-a fi !" (v 40-41). Er weiß, mit

Waffen umzugehen, ist von geradem und breitem Wuchs, von starker Brust, ein guter

Esser, von breitem Nacken, schwerem Rücken und (so hart, wie) aus Knochen gemacht:

"Manuilă, /Bun de mînă, /Gros la vînă, /Stăjar drept, /Tare-n piept, /Bun la scafă, /Lat la

ceafă, /Gros în dos, /Făcut de os" (v 42-50). Gegenüber dem Türken Mustafa geht Manuilă

hart vor und scheint über dessen Tod zu triumphieren. Er dringt in das Zimmer des Türken,

packt ihn bei der Brust, schmettert ihn zu Boden, schneidet ihm den Kopf ab, wirft ihn aus

dem Fenster und zeigt ihn seinen Kameraden: "de piept că mi-l lua, /Şi de pămînt îl trîntea,

/Şi lui capul îi tăia, /Pe fereastră-l arunca, /La feciori il arăta" (v 71-75).

Namen / Bezeichnung:

a) Die handelnden Personen werden ausschließlich nach ihrer ethnischen Herkunft als

Türken bezeichnet: "Moldova-i ţară creştină /Şi de turci n-are odihnă", "C-acum turcii ne

robesc" (v 7-8, 25). In Vers 79 werden dieselben als Feinde erwähnt, von denen Manuilă

das Land befreit: "Pace-n ţară îmi făcea, /Pe romîni el îi scăpa /Şi de turci, şi de robie, /De

duşmani, de păgînie !" (v 76-79).

b) Ein alleine auftretender Türke wird ein einziges Mal mit seinem Namen sowie ein

einziges Mal mit seinem Titel genannt ("la mine a venit /Mustafa, paşă spurcat", v 57-58),

ansonsten wird auch er nur mit dem nomen gentis bezeichnet: "Manuilă, ca voinic... pe turc

mi-l deştepta", "Turcul tare se mînia", "Alelei, turc blestemat" (v 64-67, 68, 69). Es fällt

außerdem auf, daß die Nennung des Türken mit einer Beschimpfung und einem Verfluchen

der genannten Person einhergeht (paşă spurcat, turc blestemat, cf. Religion).

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Wien, am 02.06.11, Seite 223 von 259

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) Aus der Handlung der Türken ghet hervor, daß sie sich Sklaven halten, die käuflich

erwerben: Strigă turcii-n gura mare: /Aida, frate, la vînzare, /Toată roaba cinci parale, /Şi

doi robi cu şepte lei, /C-am gătat din cheltuieli !" (v 1-14).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter: ——

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

a) Die Erzählung von Manuilă şi Mustafa beginnt mit der folgenden - wörtlich

wiedergegebenen - Schilderung: Oben auf dem Berg fällt Schnee und Regen, unten (im

Tal) fällt Reif, der Reif fällt auf die Blumen und die jungen Männer schaudern vor Kälte,

denn in der Moldau ist die Zeit schlecht und allen ist das Leben schwer; die Moldau ist ein

christliches Land und vor den Türken nicht sicher, denn von der Vrancea ab ins Tal

schreien die Türken mit lauter Stimme: Kommt her, zum Kauf, alle Sklaven um nur fünf

Münzen...: "Sus la munte ninge, plouă, /Jos la ţară cade rouă, /Roua cade peste flori, /Pe

feciori îi prind fiori, /Că-n Moldova-i vremea rea, /Şi la toţi viaţa grea ! /Moldova-i ţară

creştină /Şi de turci n-are odihnă, /Că de Vrancea mai la vale /Strigă turcii-n gura mare:

/Aida, frate, la vînzare, /Toată roaba cinci parale... !" (v 1-12). Die vorangegangenen Verse

erzählen von einer traurigen, schwermütigen Landschaft und ihren Menschen und - im

unmittelbaren Anschluß an diese Bilder - die Taten der Türken. Nur in den einleitenden

Versen entsteht der Eindruck, daß der Grund für die düstere Stimmung der Menschen in

der Moldau das Wetter, die Jahreszeit sei. Aufgrund der engen - im Text durch

Juxtaposition hergestellten - Kohärenz der landschaftlich schwermütigen Bilder und der

Darstellung der handelnden Türken, entsteht in den daraufolgenden Versen die Impression,

daß die Moldauer - eher als unter dem Wetter und der Jahreszeit - unter den Türken leiden.

Die einleitenden Verse könnten die innere, durch das Tun der Türken ausgelöste,

melancholische Stimmung der Menschen metaphorisch zum Ausdruck bringen. Diser

Eindruck, daß es sich in den zitierten Versen um eine Versinnbildlichung der Leiden der

erwähnten Menschen handelt, wird verstärkt durch eine weitere Metapher. Als es

Donnerstag früh wird - so der Schilderung zufolge -, friert das Herz der Moldau ein (cf. v

16 unten). Nachdem die Moldauer schon Schnee, Regen und Reif erleiden mußten, folgt

nun auch noch Frost. Die schlechte Situation der Menschen, könnte man daraus verstehen,

erfährt eine weitere Verschlimmerung und den jungen Männern vom Berg bleibt nicht

anderes zu tun, als zu klagen: "Cînd fu joi de dimineaţă, /Inima Moldovei-ngheaţă, /Că

feciorii pe deal, sus, /Răsuna un glas de plîns" (v 15-18). Scheinbar als es nicht mehr

weitergeht, ziehen die Männer vom Berg talabwärts und rechnen dabei, den Tod zu finden:

"Iar cînd fu de cătră seară, /Se găta cu toţi să piară, /Coborînd din deal în vale, /Răsunînd

un plîns de jale", "Vai de noi, de moldoveni, /Că-n zădar sîntem creştini" (v 19-22, 23-24).

Allen diesen Bildern zufolge, bringen die Türken den Menschen in der Moldau unsagbares

Leid und Verderben / den Tod. Zusätzlich werden den Protagonisten eine Reihe von

konkreten Handlungen «auf den Leib geschrieben»: "acum turcii ne robesc, /Tîlhăresc şi

prăpădesc, /Că ne mîncă vitele, /Ne culeg bucatele /Şi ne duc paralele, /Şi ne iau şi fetele,

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Wien, am 02.06.11, Seite 224 von 259

/Şi ne taie capetele !" (v 25-31). Den Schilderungen des - auktorialen - Erzählers zufolge,

rauben, überfallen und töten die Türken, sie essen das Vieh der Rumänen, nehmen diesen

das Essen und die Frauen weg und - wie noch einmal wiederholt wird - töten die Rumänen.

Ein weiteres Mal wird zum Ausdruck gebracht, was und wie der / die Türken sind. Manuilă

tötet, wie schon erwähnt wurde, den Türken Mustafa. Mit dieser Tat, so dem Text nach,

stellt er den Frieden im Land her, befreit seine Landsleute, befreit sie von Sklaverei, von

den Feinden und den Heiden: "Pace-n ţară îmi făcea, /Pe romîni el îi scăpa /Şi de turci, şi

de robie, /De duşmani, de păgînie !" (v 76-79). Der Türke ist also der Feind des Rumänen.

b) Demjenigen, der Mustafa in seinem Schlaf stören sollte - so lauten die Worte Aniţas -,

soll nichts Gutes widerfahren: "Că cine l-a pomeni /Nici un bine nu i-a fi" (v 62-63).

Mustafa wird also als Person dargestellt, vor der man sich im allgemeinen fürchtet.

Manuilă mißachtet den Wunsch des Türken, worauf dieser überaus zornig reagiert: "Turcul

tare se mînia" (v 68). Wie schon erläutert wurde, verflucht Manuilă den Türken (cf.

Namen; v 69). Diese "Behandlung" könnte implizit auf einen bösen - und daher (?) zu

verfluchenden - Menschen hinweisen.

Religion / Ideale:

a) Grundsätzlich wird - in den Worten des Erzählers - die Moldau als ein christliches Land

bzw. die Rumänen als christliche Menschen beschrieben, die als solche(s) unter den

Türken zu leiden hätten: "Moldova-i ţară creştină /Şi de turci n-are odihnă", "Vai de noi, de

moldoveni, /Că-n zădar sîntem creştini" (v 7-8, 23-24). Erst der letzte Vers der Erzählung

nennt den Heiden, von dem Manuilă das Land befreit: "Pace-n ţară îmi făcea, /Pe romîni el

îi scăpa /Si de turci, şi de robie, /De duşmani, de păgînie !" (v 76-79).

NB Einer allgemeinen / eingeschobenen Aussage des Erzählers zufolge, wird der Rumäne

ewiger Feind des Heiden sein: "Cîtu-i lumea de romîni, /S-alunga după păgîni" (v 36-37).

b) Der genannte Türke wird als befleckt, unsauber in religiösem Sinne beschrieben: "la

mine a venit /Mustafa, paşă spurcat", "Alelei, turc blestemat" (v 57-58, 69).

Leidenschaften:

a) Der Schilderung des Erzählers, ließe den Schluß zu, daß die Türken das Geld und die

Frauen lieben ("Şi ne duc paralele, /Şi ne iau şi fetele", v 29-30).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) und b) Wie schon mehrmals gezeigt wurde, agieren die türkischen Protagonisten in

Gebieten der Moldau ("Moldova-i ţară creştină /Şi de turci n-are odihnă", v 7-8).

25.23. Ballade von Român Grue Grozovanul

Diese aus dem Cântecul epic eroic entnommene Ballade zählt 237 Verse. Sie ist in der

Anthologie Alecsandris enthalten. Die Protagonisten der Erzählung sind ein Khan, mehrere

Gruppen von Tataren und der Rumäne Grue. Als Nebenfiguren werden mehrere tatarische

Frauen und Kinder, Sklaven, desweiteren die Schwester, die Tochter und der Bruder des

Khans sowie ein christlicher Popen genannt. Außer diesen Erzählfiguren werden zusätzlich

- in den Worten des Khans zu Grue - ein Ungare, ein Heide und ein - weiterer - Rumäne

erwähnt. In einer kurzen Erläuterung wird dabei der Heide als Betrüger, der Rumäne als

aufrichtig, gut, großzügig und gütig beschrieben: "Alei, Grue, viteaz mare, /De la mine ai

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iertare /De vrei numai să te prinzi /Negrul meu să nu mi-l vinzi, /Să nu-l vinzi la ungurean,

/Nici la turc ţarigrădean, /Să nu-l vinzi nici la litean /Că liteanu-i om viclean, /Ci să-l vinzi

la un român /Că-i om drept şi bun stăpîn, /Şi de mînă mai dănos, /Şi de suflet mai duios" (v

155-166). Die Ballade erzählt folgende Geschichte: Im Zelt des Khans befindet sich ein,

von Tataren bewachter und gefesselter Rumäne. Grue hat viele Mißetaten begangen, er hat

Tataren getötet, tatarische Frauen entehrt, Pferde gestohlen, Ländereien der Tataren

verwüstet, tatarische Kinder und Sklaven geraubt. Aufgrund dieser Taten soll er getötet

werden. Grue bittet den Khan jedoch, zuvor noch einem christlichen Popen die Beichte

ablegen zu dürfen. Eine Gruppe von Tataren soll den Rumänen zu einem Kloster bringen.

Auf diesem Weg tötet Grue seine Wachen und begibt sich zum Stall des Khans, wo er sich

ein Pferd aussucht, das ihm gefällt. Er schlägt dem auftauchenden Khan vor, sich gegen

eine Gruppe von Tataren in einem Wettrennen zu Pferd behaupten zu lassen. Bei diesem

Wettlauf tötet er noch einmal alle ihn einholenden Tataren. Danach kehrt Grue in die

Moldau zurück, wo er viele gute / christliche Taten begeht. Grue, der von dem Khan als

Haiducke angesprochen wird ("Alei, Grue, viteaz mare", v 57), wird als eine

charakterstarke Figur dargestellt, der die Tataren scheinbar nichts anhaben können, weder

mit einer Drohung, noch physisch. Als zwei Tataren einen Pfahl vorbereiten, auf dem Grue

den Tod finden soll, und ihn außerdem quälen, kümmert ihn das nicht: "Doi tătari ţeapa-i

gătesc, /Doi, amar mi-l chinuiesc, /Dar el cîntă-n nepăsare" (v 31-33). Er selbst hat bis zu

seiner Gefangennahme durch die Tataren diesen viel Leid zugefügt, wie es in vielen Versen

beschrieben wird. Den Khan ist wegen ihm verarmt: "Român Grue Grozovanul, /Român

Grue moldovanul, /Care-a sărăcit pe hanul !" (v 28-30); eine Vielzahl von tatarischen

Frauen drücken dem Khan gegenüber ihre Mißachtung Grues aus aufgrund der von ihm

begangenen Taten ("Iată mîrzăcitele /Şi cu tătăriţele /Că la hanul năvălesc /Şi cu toate-aşa-i

grăiesc... /Fă cu Grue ce vei face, /Sufletul să ni se-mpace, /Că de cînd s-a rădicat /Şi-n

Bugeac Grue-a intrat /Mulţi tătari el ţi-a stricat /Şi tătarce-a văduvit, /Fete mari a bătrînit,

/Bugeacul l-a pustiit, /Bugeacul pe giumătate /Şi Crîmul a treia parte !", v 37-44). Der

Rumäne gibt diese, ihm vorgeworfenen Verbrechen dem Khan gegenüber nicht nur zu,

sondern er beschreibt sie noch einmal ausführlich. Seitdem er in das Bugeac eingedrungen

ist, hat er viele Tataren getötet, viele Tatarinnen zu Witwen gemacht, hat er Mädchen

entehrt, das Bugeac und die Krim zu großen Teilen verwüstet und hat Pferde gestohlen; er

hat die Tataren bestohlen und Kinder tatarischer Edelleute und tatarische Sklaven entführt;

er hat mit der Schwester des Khans geschlafen, dessen Tochter geraubt und dessen Bruder

getötet: "Alei, doamne, han bătrîn... /Tot cu dreptul vreu să-ţi spui /Că de cînd m-am

rădicat /Şi-n Bugeac eu am intrat /Mulţi tătari, zău, ţi-am stricat /Şi tătarce-am văduvit;

/Fete mari am bătrînit /Şi Bugeac am pustiit, /De bahmeţi l-am sărăcit, /Bugeacul pe

giumătate /Şi Crîmul a treia parte...", "Iar Nistrul cînd l-am trecut, /Pod pe dînsul am făcut

/Ca să duc, să car la noi /Averile de la voi, /Să duc care mocăneşti /Cu copile mîrzăceşti /Şi

cu roabe tătăreşti", "am curvit cu sora ta /Ş-am răpit pe fiica ta, /Ş-am ucis pe frate-tău" (v

61-75, 76-82, 94-96). Im Laufe der Handlung wird Grue noch einmal die ihm zu Pferde

folgenden Tataren töten: "Dacă videa şi videa, /Grue vreme nu perdea... /Bardă-n mîna

apuca /Şi-n tătari se arunca, /Ca un vînt înviforat /Într-un lan de grîu uscat... /Şi din faţă-i

toţi pierea" (v 113-122). Dieses Bild wird noch einmal - in auktorialer Erzählweise -

wiederholt: "Alei, voi tătari păgîni, /Vi s-a stins ziua de mîni ! /Iată Grue dă-napoi /Şi s-

aruncă p’intre voi /Ca un vînt înviforat /Într-un lan de grîu uscat" (v 204-209). Der Rumäne

tötet, diesen Beschreibungen zufolge, die Tataren mit einer Axt, er tötet alle Tataren und er

tötet sie mit einer gewissen Inbrunst, wie ein tobender Wind in einem trockenen

Getreidefeld. Grue mäht seine Gegner nieder, wie Garben und hinterläßt, wie der Text

wörtlich lautet, Vogelscheuchen des Feldes: "Şi din fugă vă coseşte, /Şi vă taie chip

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Wien, am 02.06.11, Seite 226 von 259

snopeşte... /Şi vă lasă-n urma lui /Ca momîi de-a cîmpului !" (v 212-217). Diese

Darstellung assoziiert die Vorstellung einer übermächtigen Gewalt, die die Tataren

vollständig vernichtet.

Namen / Bezeichnung:

a) Es tritt ein Khan auf, der von den tatarischen Frauen mit seinem Titel und als Herr

angesprochen wird, zudem trägt er einen Namen: "Sus, pe cîmpul Nistrului... /Multe-s,

frate, şi mai multe /Corturi mari, corturi mărunte... /Dar înuntru cine şede ? /Dar în el cine

se vede ? /Ghirai-hanul cel bătrîn" (v 1-17); "Alei, doamne han bătrîn" (v 41).

b) Zunächst werden Tataren genannt, die - in Mehrzahl - den Khan umgeben: "Dar înuntru

cine şede ? /Dar în el cine se vede ? /Ghirai-hanul cel bătrîn... /Mulţi tătari stau împregiur"

(v 15-19). In einer späteren Textstelle gibt der Khan seinen Befehl an eine Gruppe von

fünfzig Tataren: "Ghirai-hanul cel bătrîn... /Pe loc a şi poruncit /La mîrzaci de cei mai mari

/Şi la cinzeci de tătari, /Pe Grue să-l ducă-ndată" (v 99-105). In den weiteren

Bezeichnungen der Figuren alternieren in den Worten des Interpreten bzw. des Grue das

Ethnonym Tataren und die absolute Mengenangabe tătărime(a): "Tătărimea purceda /Şi pe

Grue mi-l ducea /La cel popă creştinesc" (v 107-109); "Bardă-n mîna apuca /Şi-n tătari se

arunca" (v 117-118); "Bahmeţi iuţi să mă gonească, /Tătari crunţi să îndrăznească, /Dă-le

voie, dă-le ştire /După mine să se-înşire... /Tătărimea purceda... /Tătărimea se-nşira" (v

184-191); "Alei, voi tătari păgîni" (v 204). "Apoi Grue se porneşte... /Şi cunună fete mari,

/Fără grijă de tătari" (v 218-231). In Vers 231 erwähnt der Autor noch einmal Tataren,

bezieht sich dabei aber nicht auf bestimmte Handlungsfiguren, sondern auf Tataren im

allgemeinen. Grue fordert den Khan auf, es zuzulassen, daß grausame Tataren ihn

verfolgen: "Tătari crunţi să îndrăznească /Dă-le voie, dă-le ştire /După mine să se-înşire /Şi

s-alerge să m-agiungă /Pe cîmpia astă, lungă !" (v 185-189). Diese Beschreibung ist

auffällig, da sie nicht mit der Handlung der Tataren assoziiert werden kann.

c) Es werden Edelleute höchsten Ruhms erwähnt, an die der Khan seinen Befehl richtet:

"Ghirai-hanul cel bătrîn... /Pe loc a şi poruncit /La mîrzaci de cei mai mari... /Pe Grue să-l

ducă-ndată" (v 99-106).

d) Zwei Tataren bereiten den Pfahl für Grue vor: "Doi tătari ţeapa-i gătesc" (v 31).

e) Es werden Frauen der tatarischen Edelleute genannt, die vor dem Khan vorsprechen:

"Iată mîrzăciţele... /Că la hanul năvălesc /Şi cu toate-aşa-i grăiesc" (v 37-40).

f) Gleichzeitig mit diesen handeln einige Tatarinnen: "Iată mîrzăciţele /Şi cu tătăriţele /Că

la hanul năvălesc..." (v 37-40). Diese Bezeichnung wird auch von den auftretenden Frauen,

die das Vergehen Grues vor dem Khan beklagen, verwendet: "Mulţi tătari el ţi-a stricat /Şi

tătarce-a văduvit" (v 47-48).

g) Grue erwähnt in seiner Beichte vor dem Khan die Schwester des Khans, die keinen

Namen trägt: "am curvit cu sora ta" (v 94).

h) Auch für die Tochter des Khans verwendet Grue keinen Namen: "am răpit pe fiica ta" (v

95),

i) ebensowenig, wie für den Bruder desselben, den er zusätzlich als Feind bezeichnet: "am

ucis pe frate-tău, /Viteaz mare cît un leu, /Care-a fost duşmanul meu !" (v 96-98; cf.

Moral).

j) In seiner Bitte an Grue spricht der Khan über die Türken von Tarigrad im allgemeinen.

Grue soll das Pferd des Khans nicht an irgendeinen Türken von dort verkaufen: "Alei,

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Grue, viteaz mare... /Negrul meu să nu mi-l vinzi, /Să nu-l vinzi la ungurean, /Nici la turc

ţarigrădean" (v 155-160).

Genealogie / Familiensippen:

g) h) i) Der Text reflektiert zwar - in der Nennung der Schwester, der Tochter und des

Bruders des Khans - eine bestimmte Struktur der Khansfamilie, bringt aber, wie schon

erläutert wurde, keine Namen zum Ausdruck (siehe Verse oben 94-96). Weniger als die

Identität der Personen bzw. der Familie, scheint das Verwandtschaftsverhältnis als solches

im Vordergrund zu stehen.

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

a) und b) Der Khan sitzt in seinem Zelt, umgeben von einer großen Anzahl von Tataren,

die vor ihm knien: "înuntru cine şede ? /Dar în el cine se vede ? /Ghirai-hanul cel bătrîn...

/Mulţi tătari stau împregiur... /Şi stau toţi îngenuchieţi" (v 15-21). Seine Befehle ergehen

an die ruhmvollsten Edelleute und an eine Gruppe von Tataren: "Ghirai-hanul cel bătrîn...

/Pe loc a şi poruncit /La mîrzaci de cei mai mari /Şi la cinzeci de tătari, /Pe Grue să-l ducă-

ndată /La cea monastire-naltă" (v 99-106). Die Tataren beachten ein Zeichen des Khans,

um den Wettlauf zu beginnen: "Ghiari-hanul semn dădea, /Tătărimea purceda" (v 190-

191).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

a) Der Khan wird in den Worten der tatarischen Frauen und wiederholt als alt beschrieben

"Ghirai-hanul cel bătrîn" (v 17, 53, 99); "Alei, doamne han bătrîn" (v 41; und v 61, 83).

b) Die Augen der Tataren werden mit den Löchern eines Siebes verglichen: "Mulţi tătari

stau împregiur, /Cu ochi mici ca ochi de ciur" (v 19-20); sie sind also winzigklein.

Kleidung / Ausstattung: ——

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

NB Der Interpret erzählt von einem Rumänen, der streng gefesselt an die Tür eines Zeltes

gefesselt ist: "Iar la uşa cortului... /Este-un biet român legat, /Legat strîns şi ferecat" (v 23-

27). Dieses Bild zeigt ein hartes Vorgehen der Tataren mit ihren Gegnern.

a) Die Beschreibung des Khans weist auf zwei unterschiedliche Aspekte seines Charakters

hin. Die grausame Stimme, die dem Khan zugeschrieben wird ("Ghirai-hanul cel bătrîn...

/Şi cu glas crunt de păgîn /Zice...", v 53-56), könnte auf einen Menschen grausamer Natur

hindeuten. Andererseits lenkt der Khan auf die Bitte Grues ein und läßt ihn zu einem

Kloster bringen: "Ghirai-hanul cel bătrîn... /Pe loc a şi poruncit /La mîrzaci de cei mai mari

/Şi la cinzeci de tătari, /Pe Grue să-l ducă-ndată /La cea monastire-naltă" (v 99-106).

Dieses Einlenken stellt die Figur mit einer gewissen Milde / Barmherzigkeit dar.

b) Die Tataren wurden als grausam bezeichnet, ohne daß diese Beschreibung z.B. durch

das Handeln der Protagonisten gerechtfertigt werden würde.

c) In der Handlungsbeschreibung der zwei Tataren taucht einmal das Semem des Todes,

zweimal das Semem Leid / Qual auf: "Doi tătari ţeapa-i gătesc, /Doi, amar mi-l chinuiesc"

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(v 31-32). Die beiden tatarischen Protagonisten bereiten einen Pfahl vor, um Grue darauf

zu töten und sie quälen ihn bitter.

d) und e) Die tatarischen Frauen verlangen Rache für die Taten des Rumänen: "Iată

mîrzăciţele /Şi cu tătăriţele /Că la hanul năvălesc /Şi cu toate-aşa-i grăiesc... /Fă cu Grue ce

vei face, /Sufletul să ni se-mpace" (v 37-44).

i) Grue beschreibt den Bruder des Khans als tapfer wie ein Löwe (siehe v 96-98, oben).

Religion / Ideale:

a) Grue bezieht sich auf den Khan mit der Bezeichnung Heide: "Alei, doamne, han

bătrîn...eu sînt pui de român /Şi nu-mi pasă de-un păgîn !" (v 61-64). In dem zuletzt

zitierten Vers kommt eine Geringschätzung des Heiden durch den Rumänen zum

Ausdruck, den, wie er sagt, ein Heide nicht schert.

b) Auch die mit Grue wettlaufenden Tataren werden - vom Autor der Erzählung - als

Heiden angerufen: "Alei, voi tătari păgîni" (v 204).

Leidenschaften:

Der Khan würde, seinen Worten zufolge, Grues Taten verzeihen, würde dieser das

schwarze Pferd des Khans niemand anderen verkaufen, als einem Rumänen. Nur dieser

entspreche, verglichen mit einem Ungarn oder einem Heiden, einem guten Besitzer: "Alei,

Grue, viteaz mare, /De la mine ai iertare /De vrei numai să te prinzi /Negrul meu să nu mi-l

vinzi, /Să nu-l vinzi la ungurean, /Nici la turc ţarigrădean, /Să nu-l vinzi nici la litean /Că

liteanu-i om viclean, /Ci să-l vinzi la un român /Că-i om drept şi bun stăpîn" (v 155-164).

Bei einer späteren Gelegenheit, einer Hochzeit oder einem Krieg, die / der den Khan mit

dem Besitzer des Tieres zusammenführte, würde der Khan es diesem zu dreifachem oder

fünfachem Betrag abkaufen: "El pe negrul de-a avea /Tot de nunţi mi l-a ţinea. /Eu la

dînsul l-oi videa /Ori la nunţi, ori la război, /Cînd ne-om lupta noi cu voi. /El că mi l-a

dărui /Sau că i l-oi cumpăni /De trei ori cu venetici, /Venetici de cîte cinci !" (v 167-175).

Diese Worte zeigen die Liebe des Khans zu dem Pferd, für das er sich einen guten Besitzer

wünscht und seine Bereitschaft, für das Pferd viel Geld auszugeben.

Attribute:

a) Es werden zwei Hiebwaffen genannt, ein Handschar und ein Pallasch, die der Khan, der

Beschreibung im Text zufolge, gleichermaßen um den Leib trägt: "Ghirai-hanul cel bătrîn,

/Cu hamger bogat la sîn" (v 17-18; wiederholt in v 41-42); "Trage pala de la sîn" (v 54; ad

hanger und pală cf. Turzismen).

b) Als Grue sich in die Menge der Tataren stürzt, um diese niederzumähen, entlassen diese

einen Schrei des Mitleids in ihrer Sprache: "Dacă videa şi videa, /Grue vreme nu perdea...

/Bardă-n mîna apuca /Şi-n tătari se arunca, /Ca un vînt înviforat /Într-un lan de grîu uscat.

/Aman ! ei cu toţi răcnea" (v 113-121).

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Der Kaiser bewohnt ein - inmitten einer Vielzahl von Zelten - stehendes großes, rundes

Zelt; es besteht aus einer teppichähnlichen Wollplane, ist kostbar verziert und von

orangener Farbe; Pflöcken aus Silber halten es: "Sus, pe cîmpul Nistrului... /Multe-s, frate,

şi mai multe /Corturi mari, corturi mărunte, /Iar în chiar mijlocul lor /’Nalţă-se-un cort de

covor, /Un cort mare şi rotat, /Poleit şi narămzat, /Cu ţăruşi d-argint legat !" (v 1-13). Dem

DRG zufolge, können wir poleit mit vergoldet, versilbert übersetzen. Der Khan besitzt

auch eine Stallung mit Pferden, zu der sich Grue begibt: "Dacă videa şi videa, /El în grabă

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se ducea /Chiar în grajdiul hanului, /Hanului tătarului" (v 123-126). Die den Khan

umringenden Tataren knien auf Teppichen: "Mulţi tătari stau împregiur... /Şi stau toţi

îngenuchieţi /Pe covor cu perii creţi" (v 19-22). Diese Hinweise skizzieren einen gewissen

Grad von Luxus und Reichtum (der Welt) des Khans.

NB Grue schildert dem Khan, daß er eine Brücke über den Nistru gemacht hätte, um die

Reichtümer (aus der Welt der Tataren) fortzubringen: "Iar Nistrul cînd l-am trecut, /Pod pe

dînsul am făcut /Ca să duc, să car la noi /Averile de la voi" (v 76-79). Diese Erzählung

wiederholt die Vorstellung großen Reichtums.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) Die Zelte des Ghirai-hanul stehen in der Ebene des Nistru: "Sus, pe cîmpul Nistrului,

/Sub poala ceriului... /Multe-s, frate, şi mai multe /Corturi mari, corturi mărunte" (v 1-8).

Denselben gleichnamigen Fluß hat, wie oben erwähnt wurde, Grue überquert, um die Güter

der Tataren zu stehlen (siehe oben, v 76-82). Vor dem Khan gibt Grue zu, das Gebiet

Bugeac, in dem er sein Unwesen getrieben hat, zur Hälfte und die Krim zu einem Drittel

verwüstet zu haben: "Alei, doamne, han bătrîn... /Tot cu dreptul vreu să-ţi spui /Că de cînd

m-am rădicat /Şi-n Bugeac eu am intrat /Mulţi tătari, zău, ţi-am stricat /Şi tătarce-am

văduvit; /Fete mari am bătrînit /Şi Bugeac am pustiit, /De bahmeţi l-am sărăcit, /Bugeacul

pe giumătate /Şi Crîmul a treia parte..." (v 61-75).

j) Die Türken wurden, wie schon gezeigt wurde, mit Ţarigrad in Verbindung gebracht

(siehe oben, v 155-160).

25.24. Ballade von Barbă Haiducul

Die vorliegende, in Amzulescus Anthologie Cântecul epic eroic enthaltene Erzählung zählt

145 Verse. Als Protagonisten treten auf die gleichnamige Figur Barbă, ein Khan, ein

Edelmann und ein Bote des zweiten. In Mehrzahl genannte Türken, Tataren, tatarische

Edelmänner und Diener sowie der Vater des Protagonisten erscheinen als Nebenfiguren.

Die Geschichte erzählt, wie Barbă, der Türken und Tataren bekämpft, sich anschickt, zum

Christentum zu konvertieren. Aus diesem Grund trachtet der Khan danach, ihn zu töten

("Hanul vrea ca să-l omoare" /Fiindcă-i călca în picioare /Legea lui cea păgînească, /Dîndu-

se-n cea creştinească", v 27-30). Um sein Vorhaben zu realisieren, läßt der Khan Barbă

unter einem Vorwand herbeirufen. Bevor er ihn jedoch töten kann, wird er selbst von

Barbă getötet. Dieser reitet nach Hause, um in einer Kirche das Christentum anzunehmen.

Es ist auffällig, daß - in auktorialen - Aussagen, wie Sein Vater war Tatare, er war ein

großer Kapitän; er sah nicht aus, wie ein Tatare; etc. (v 12-13; 21-22; 55) Barbă explizit

als Angehöriger oder Nachkomme der genannten Ethnie identifiziert wird, daß aber an

anderer Stelle diese Charakteristik - von dem Protagonisten selbst - verneint wird.

Angesichts des Khans behauptet Barbă, weder ein Dieb, noch der Sohn eines - wie in

vorangehenden Versen dargestellt wird - tatarischen Kapitäns zu sein: "Eu nu sînt nici

hoţoman /Şi nici fiu de căpitan" (v 109-110). Eine Reihe von Beschreibungselementen der

Figur Barbăs läßt desweiteren an das Porträt des Haiducken denken. Wie die Haiducken,

wohnt Barbă in den Bergen, er ist - wie es wörtlich heißt - der Sohn des Feldes, der Bruder

des Armen, er durchstreift die Wälder und tötet Reiche und Türken, er vertreibt die Tataren

und verschont die Armen ("Foicica fagului, /Foicica bradului, /În negura muntelui, /Şade

fiul cîmpului, /Fratele săracului. /Pe marginea Oltului. /Cin’ păduri cutriera, /Pe ciocoi îi

spînzura /Şi pe turci îi ciopîrţea, /Pe tătari îi alunga, /Pe săraci îi ocrotea ?", v 1-11). Wie

die Haiducken oft charakterisiert werden, ist auch er ein Schwindler und Gauner und er

liebt den Wein: "Este Barbă hoţoman", "Barbă, fiu de căpitan, /Nu semăna a tătar. /Ziua

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toată-şi petrecea /Şi multe ocale bea... /Tot vinul îl atrăgea" (v 12, 21-26). Wie die

Haiducken im allgemeinen, kennt auch er keine Angst und er hat Kraft. Dies geht aus den

Worten des oben genannten Edelmannes hervor: "Acel pui de hoţoman /Nu se teme de

arcan /Şi chiar nici de buzdugan; /E puternic cel tătar..." (v 52-55). Der Protagonist wohnt,

lebt und benimmt sich also analog zum typischen Haiducken. Dieser Eindruck wird noch

zusätzlich verstärkt durch sein gewaltsames Vorgehen gegen Türken und Tataren, die er,

wie der Autor erzählt, zerstückelt und vertreibt (şi pe turci îi ciopîrţea, /pe tătari îi alunga).

Auch dem Khan droht Barbă mit dem Tod, den er ihm dann auch bringt: "Alei, hane să-ţi

plătesc /Cu paloş persienesc, /Cu pistoale turceşti", "De barbă îl ia pe han, /Cu paloş dă cu

sete, /Capul zboară la perete" (v 115-117; 120-122). Barbă schlägt mit seinem Säbel, den

zitierten Versen zufolge, mit solcher Inbrunst (wörtlich mit Durst) auf den Khan ein, daß

dessen Kopf wegfliegt. Diese Darstellung scheint ein gewisses Gefallen des Protagonisten

an diesem Akt / an der Tötung des Tataren zu enthüllen. Nachdem er heimgekehrt und

Christ geworden ist, tötet Barbă weiterhin Türken: "de-atunci Barbă haiduc /Omoară liftă

de turc" (v 139-140). In Vers 139 wird Barbă explizit Haiducke genannt. Wegen der

vollständigeren Skizzierung Barbăs als Haiducke, haben wir uns dafür entschieden, die

Figur Barbăs in der Analyse nicht aufzunehmen, ebensowenig, wie die oben schon

erwähnten Gestalten des Boten oder der Sklaven, über deren Person der Text keine

weiteren Einzelheiten liefert.

Namen / Bezeichnung:

a) und b) Die in Mehrzahl und als Patiens auftretenden Türken und Tataren werden

gemeinsam, erstere ohne weitere Bezeichnung genannt: "Foicica fagului, /Foicica bradului,

/În negura muntelui, /Şade fiul cîmpului, /Fratele săracului. /Pe marginea Oltului. /Cin’

păduri cutriera, /Pe ciocoi îi spînzura /Şi pe turci îi ciopîrţea, /Pe tătari îi alunga... /Este

Barbă hoţoman ?" (v 1-12). Der Khan, der ebenfalls das Ethnonym Tataren benützt,

beschreibt diese außerdem als Menschen der Wüsten: "Alei, voi tătarilor, /Oamenii

pustiilor" (v 39-40; cf. Geographische Herkunft).

c) Erwähnt wird der Vater des Barbă. In den einleitenden Versen wird dieser explizit als

Tatare, später als Kapitän bezeichnet ("Tată-său era tătar", v 13).

d) Der Khan trägt keinen Namen und tritt zunächst nicht als Handelnder auf, sondern wird

in der Beschreibung einer anderen Figur erwähnt: "Este Barbă hoţoman, /Tată-său era tătar,

/Erea mare căpitan /În urdia hanului /Şi oastea sultanului" (v 12-16). Andererseits wird

derselbe von einem tatarischen Edelmann als mărite han (v 51), was gleichbedeutend ist

mit Înălţat, slăvit, glorios (DEI, s.v.) und nocheinmal als luminate han (v 108), also als

gepriesener / glorreicher / ehrwürdiger Khan angesprochen.

e) Auch der erwähnte Sultan bleibt namenlos und tritt erstmals in der Beschreibung einer

anderen Figur auf: "Este Barbă hoţoman, /Tată-său era tătar, /Erea mare căpitan /În urdia

hanului /Şi oastea sultanului" (v 12-16).

f) In der Beschreibung des Vaters werden außerdem - ohne weitere Beschreibung bzw.

Identifizierung - Türken erwähnt, die er in seiner Funktion als Kapitän anführe ("Erea mare

căpitan... /Căpitan de turci haini /Ce tăiau cu mult canun", v 14-18). In der - auktorialen -

Beschreibung Barbă, ein Kapitänssohn, sah nicht aus, wie ein Tatare ("Barbă, fiu de

căpitan, /Nu semăna a tătar", v 21-22) wird noch einmal verallgemeinernd auf den Tataren

Bezug genommen. Verallgemeinernden Sinn hat auch die Schilderung: "de-atunci Barbă

haiduc /Omoară liftă de turc" (v 139-140). Für liftă bzw. litfă / litvă gibt das DEI die

folgende familiäre und dann allgemeine Bedeutung an: "1."Termen de dispreţ aplicat

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popoarelor păgîne sau socotite ca atare, celor de altă lege sau neamurilor străine cu care

Românii aveau de luptat odinioară"; "2. Străin, venetic". Beide Bedeutungsinhalte können

mit dem Fremdling,dem Eindringling in Verbindung gebracht werden (cf. auch M.A., s.v.),

ersterer außerdem läßt die Assoziation des Genannten als Falschgläubigen zu (cf.

Religion). Dem Text zufolge, tötet Barbă den türkischen Eindringling bzw. Fremden.

Dieser ist / wird aber als Individuum nicht weiter identifiziert.

g) Der Khan ruft - in seinem Lager sitzend - nach einem Kapitän, der später mit un mârzac

als tatarischer Edelmann, gleichzeitig aber mit der abwertenden Beschreibung ein alter

Drachen bezeichnet wird: "În tabără tătărască /Şade hanul tot la masă... /Şi strigă la

căpitan"; "Un mîrzac, un drac bătrîn, /Şade-n genunchi blestemînd" (v 31-34; 49-50).

h) In seinen Worten an den Khan erwähnt der Edelmann andere Männer seines Standes, die

ebenso namenlos bleiben: "Să ne ierţi, mărite han, /Nu-l prindem noi pe oştean; /Cheamă-l

ici, între mîrzaci, /Şi apucă-l de nădragi !" (v 59-62).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

d) Die vorliegende Erzählung liefert ein genaues Bild der hohen gesellschaftlichen Position

des Khans. Die Genetivkonstruktion das Heer des Khans (v 12-16) weist darauf hin, daß

der Khan ein Heer befehligt, er befehligt - von seinem Lager aus - den Kapitän, den er

kommen läßt, weil er Barbă töten will (er hat also auch die Macht, denjenigen töten zu

lassen, der ihm zuwider handelt): "Hanul vrea ca să-l omoare" /Fiindcă-i călca în picioare

/Legea lui cea păgînească, /Dîndu-se-n cea creştinească"; "În tabără tătărască /Şade hanul

tot la masă... /Şi strigă la căpitan" (v 27-30; 31-34). Der Edelmann kniet vor dem Khan und

spricht ihn ehrwürdigend an: "Un mîrzac, un drac bătrîn, /Şade-n genunchi blestemînd:

/Auleo, mărite han" (v 49-50, siehe oben). Der Edelmann rät seinem Herrn, Barbă zu sich

und unter die Edelmänner zu rufen (v 59-62). Der Khan ist also umgeben von Männern

besonderer Herkunft, Eigenschaften und besonderen Standes. Sein Befehl ergeht an einen

Boten, der sich sofort aufmacht, um zu Barbă zu gehen, um diesen kommen zu lassen:

"Atunci hanul se gîndea, /Un călăreţ trimetea, /Călăreţu-ncăleca /Şi spre Barbă purceda

/Să-l poftească la domnie" (v 63-67). Der Khan verfügt außerdem über Sklaven, die ihm

seine Wünsche erfüllen: "Slujitorilor striga, /Masă mare aşternea" (v 94-95). In gewisser

Weise richtet er über Barbă, den er töten will - weil dieser, wie in den Versen 27-30

erzählt, sein religiöses Gebot nicht hält -: "Bine venişi tu, tătare, /La această masă mare !

/Află, Barbă hoţoman, /Mare fiu de căpitan, /Că vrem să te cuminţim /Şi să te căpătuim

!..." (v 27-30, 98-105).

e) Die Erwähnung des Heeres des Sultans stattet auch diesen mit militärischer Macht aus:

("Este Barbă hoţoman, /Tată-său era tătar, /Erea mare căpitan /În urdia hanului /Şi oastea

sultanului", v 12-16).

Geographische Herkunft: b) Cf. Namen.

Aussehen / Alter:

d) Der Khan hat einen Bart, an dem ihn Barbă ergreift: "Atunci Barbă hoţoman /De barbă îl

ia pe han" (v 119-120).

g) Der Beschreibung nach, ist der tatarische Kapitän alt ("Un mîrzac, un drac bătrîn, /Şade-

n genunchi blestemînd", v 49-50).

Kleidung / Ausstattung:

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Wien, am 02.06.11, Seite 232 von 259

d) Der Khan ordnet den Tataren an, auf ihre Pferde aufzusitzen: "Voi încălecaţi pe cai" (v

42).

Körperliche Eigenschaften: ——

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten): ——

Moral und moralische Eigenschaften:

b) Der Khan befiehlt den Tataren, Barbă herbeizubringen: "Voi încălecaţi pe cai, /Aduceţi

cu chiu, cu vai /Pe Barbu cel hoţoman" (v 42-44). Sie sollen / werden das, wie es im Text

wörtlich lautet, mit chiu und vai, folglich mit Pein und Marter tun. Diese Darstellung ist

ein Hinweis darauf, daß die Handelnden (jemandem) Leiden verursachen werden.

d) Der Khan wird - in der Erwähnung seines Heeres - als (potentiell) feindlich dargestellt

(v 12-16). Im Sinne seines Herrn lügt der Bote Barbă an. Der ehrwürdige Khan hätte ihn

geschickt, um ihm zu sagen, daß er ihn verheiraten wolle: "M-a trimes slăvitul han /Ca să-ţi

spui că te aşteaptă /Ca să-ţi găsească mireasă" (v 75-77). Der Khan verwendet damit eine

List, denn im Grunde hat er vor, Barbă zu töten: "Hanul vrea ca să-l omoare" (v 27). Seinen

eigenen Worten nach, bereitet er für Barbă den Galgen vor, um ihn zum Gehorsam zu

zwingen, um ihn zu töten: "Furcile i le gătim /Şi ştreangul i-l făurim !"; "Bine venişi tu,

tătare, /La această masă mare ! /Află, Barbă hoţoman, /Mare fiu de căpitan, /Că vrem să te

cuminţim /Şi să te căpătuim !... /Şi altă poruncă da /Ca să prindă hoţomanul /Şi să-l lege cu

arcanul" (v 47-48; 98-107). Der Khan nahm eine Lüge zu Hilfe und er hat vor, Barbă hart

zu bestrafen, er ist also listig und er ist in gewisser Weise hart / grausam.

e) Auch der Sultan wird - in der Erwähnung seines Heeres - als (potentieller) Feind

dargestellt (v 12-16).

f) Der Vater Barbăs befiehlt als Kapitän Türken, die als haini, als grausame bezeichnet

werden und die, folgen wir der Darstellung, die Rumänen grausam töten und ihnen ihr Hab

und Gut wegnehmen: "Căpitan de turci haini /Ce tăiau cu mult canun. /Pe români îi omora,

/Avuţia le-o lua" (v 14-20). Die Grausamkeit der Handelnden wird also zweimal erwähnt.

g) Die Darstellung des Edelmannes zeigt möglicherweise zwei Aspekte seines Charakters.

Seine Bezeichnung als ein alter Drache (v 49-50) könnte an einen charakterlich bösartigen

Menschen denken lassen. Der Edelmann weigert sich, Barbă zu fangen; er schlägt dem

Khan vor, ihn zu sich und unter Edelmänner zu rufen, um ihn zu fangen: "Să ne ierţi,

mărite han, /Nu-l prindem noi pe oştean; /Cheamă-l ici, între mîrzaci, /Şi apucă-l de

nădragi !" (cf. v 59- 62). Es scheint, er habe Angst vor Barbă.

Religion / Ideale:

d) Der Khan will Barbă töten, weil dieser das heidnische Gesetz mit Füßen tritt und sich

zum Christentum bekehrt: "Hanul vrea ca să-l omoare" /Fiindcă-i călca în picioare /Legea

lui cea păgînească, /Dîndu-se-n cea creştinească" (v 27-30). Der Khan spricht noch ein

zweites Mal vom christlichen Glauben, den Barbă wolle und vom heidnischen Glauben,

den Barbă ablehne: "El vrea să se creştinească, /Nu vrea legea păgînească" (v 37-38).

g) In der schon erwähnten Bezeichnung des Edelmannes als Drachen (v 49-50) könnte eine

religiöse Anspielung des religiös Falschhandelnden bzw. -gläubigen mitschwingen. Dieser

Eindruck wird verstärkt durch die Handlung des Fluchens, die dem Edelmann

zugeschrieben wird, mit der er eine Gotteslästerung per se begeht: "Şade-n genunchi

blestemînd (v 50).

Leidenschaften:

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Wien, am 02.06.11, Seite 233 von 259

f) Barbă hat keine Ähnlichkeit mit einem Tataren; er verbringt den ganzen Tag damit, viele

Maße zu trinken und der Kaffee schmeckt ihm nicht: "Barbă, fiu de căpitan, /Nu semăna a

tătar. /Ziua toată-şi petrecea /Şi multe ocale bea, /Şi cafeaua nu-i plăcea" (v 21-25). Diese

Schilderung erzählt implizit, daß der Tatare im allgemeinen keinen Alkohol, aber Kaffee

trinkt. Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

c) Der Vater Barbăs, der Tatare, ist, wie schon erwähnt wurden, Kapitän in der Armee des

Khans und Kapitän des Heeres des Sultans ("Este Barbă hoţoman, /Tată-său era tătar, /Erea

mare căpitan /În urdia hanului /Şi oastea sultanului"; "Căpitan de turci haini"; v 12-16, 17).

In der parataktischen Formulierung în urdia hanului şi oastea sultanului könnte eine enge

Beziehung zwischen dem Khan und dem Sultan zum Ausdruck kommen, die aber nicht

explizit gemacht wird.

d) Der Khan ist der Befehlshaber über ein Heer (urdia hanului, v 15). Er befindet sich in

einem Zeltlager, in dem er am Tisch auf Teppichen aus Seide sitzt; der Tisch ist reich und

ebenso mit Seide bedeckt: "În tabără tătărască /Şade hanul tot la masă /Pe covoare de

mătasă" (v 31-33); "Masă mare aşternea, /Masă mare,-mbelşugată, /Cu mătase îmbrăcată"

(v 95-97).

e) Der Sultan wird ebenfalls in der Erwähnung einer oastea sultanului als Befehlshaber

eines Heeres dargestellt (v 16).

g) In seinem Lager sitzend ruft der Khan nach einem Kapitän, einem Edelmann, wie schon

gezeigt wurde: "În tabără tătărască /Şade hanul tot la masă... /Şi strigă la căpitan" (v 31-34).

Dieser scheint also zur oberen Hierarchie des tatarischen "Hofes" zu gehören.

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

a) b) Es ist an den Ufern des Oltflusses, wo Barbă Türken und Tataren trifft: "Foicica

fagului, /Foicica bradului, /În negura muntelui, /Şade fiul cîmpului, /Fratele săracului. /Pe

marginea Oltului. /Cin’ păduri cutriera, /Pe ciocoi îi spînzura /Şi pe turci îi ciopîrţea, /Pe

tătari îi alunga, /Pe săraci îi ocrotea ?" (v 1-11).

d) Der Bote fordert Barbă, der sich beim Khan einfinden soll, auf, am nächsten Tag ins

Dorf zu kommen: "Vino mîine pîn’ la tîrg" (v 78). Zu Pferde begibt sich Barbă dann zum

Palast des Khans, inmitten dieses Dorfes: "Şi pe murg încăleca, /Şi iute se-ncumeta /În

inima tîrgului, /La palatul hanului" (v 88-91).

25.25. Ballade Ţarul Murad şi Radu Voivoda

Die vorliegende Ballade aus der Anthologie Cîntecul epic eroic von Amzulescu zählt 283

Verse. Die wichtigsten zwei Protagonisten sind der Türke Murat und der Woiwode Radu,

rumänische Nebenfiguren sind eine alte Frau und ein Bischof, als Nebengestalten der

türkischen Welt treten auf Wesire, Offiziere, Soldaten, der Türke Ali und ein Pascha (die

möglicherweise ident sind). Außerdem wird mehrere Male eine türkisches Heer erwähnt. In

der Geschichte stehen sich im wesentlichen Murat und der Woiwode Radu als Feinde

gegenüber. Nachdem Murats Soldaten Serbien und Bulgarien verwüstet haben und

christliche Gefangene weggeschleppt haben, bedrohen sie auch die rumänische Walachei

und die Moldau. Ihr Anführer will den Rumänen beseitigen, verliert aber eine Schlacht

zwischen den beiden. Danach bietet er Radu mit betrügerischer Absicht an, diesen zum

Herrscher von Ţarigrad zu machen. Als der Rumäne kein Interesse für diese Herrschaft

zeigt, schickt Murat den Türken Ali aus. Mit der Hilfe eines Bischofs, der den Rumänen

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Wien, am 02.06.11, Seite 234 von 259

betrunken macht, gelingt es Ali, Radu zu fesseln und nach Istanbul zu bringen. Als die

Türken sich daran machen, Radu zu töten, gelingt es ihm, seine linke Hand zu befreien. Er

tötet alle Türken außer Murat, der ihn in seine Heimat ziehen läßt. Auf dem Heimweg

sucht Radu den verräterischen Bischof auf und tötet auch diesen. In Zukunft wird er weiter

in Fehde mit den Türken leben und viele christliche Klöster erbauen. Die Figur Radus

stellt, wie es aus der Bezeichnung Radu voievod (v 89) oder aus dessen palastähnlicher

Wohnung in Bukarest hervorgeht ("Radu...din cerdac vorbea", v 108-109; "Bre, Ali, voinic

viteaz... /De-ai venit cu voie bună, /’Aide, în palate-mi tună... /Eşti la Radu-n Bucureşti", v

110-117) einen rumänischen Woiwoden / Fürsten dar. Dieselbe Figur weist aber

gleichzeitig auch gewisse Parallelen mit der Haiduckenfigur anderer Balladen auf. Radu

wird - von Murat - als Tapferer angesprochen und äußert auch selbst Worte über seine

Tapferkeit ("Radule, viteaz mare", v 77; "Nu e Radu voievod /Un fricos şi un neghiob" (v

89-90); Er muß, den Worten Alis zufolge, auch stark sein. Der Türke bemerkt dem

Rumänen gegenüber, daß er nicht gekommen sei, um mit ihm zu kämpfen, da er weiß, daß

Radu stärker ist, als er: "Ascultă la vorba mea: /M-am venit să ne luptăm... /Nu sînt eu

voinic în stare, /te ştiu că tu eşti mai tare !" (v 125-129); Außerdem trinkt Radu so gerne,

sodaß es einem Kirchenmann gelingt, ihn betrunken zu machen: "El (Ali) pe Radu-l

îmbăta, /Pe sub masă îmi cădea" (v 136-137). Als man Radu von seinen Fesseln befreit,

tötet er mit einer einzigen Ausnahme alle Türken: "Mîna stîngă-i dezlega, /Lanţuri grele

zîngănea; /Cum ridica sabia, /Începea la turci tăia", "P’in călăi cum se-nvîrtea, /Capetili le-

asvîrlea, /Şi pe toţi el mi-i tăia, /Numai Murat rămînea" (v 190-193, 196-199). NB In

seinen Worten an Murat bezieht sich Radu an einer Stelle (v 43-36) verallgemeinernd auf

den Rumänen, der sich nicht fürchte, zu sterben: "Deie-ţi Domnu sănătate, /Să luptăm pe

direptate, /Că rumânu e voinic, /Nu se teme de pierit !" (v 43-46).

Namen / Bezeichnung:

a) Die ersten auftretenden Figuren sind Wesire: "Pe cîmpul Solunului, /Da’ şi cu-al

Stambulului, /Multă ordie mi-e-ntinsă, /De viziri mi-este cuprinsă" (v 5-8).

b) Der "erste" Protagonist unter den Türken ist eine Figur, die als - strahlende - Spitze der

Offiziere zunächst in ihrer hierarchischen Stellung genannt wird; dann wird ein Titel,

zuletzt der Eigennamen der Figur bekannt: "Da-n fruntea vizirilor, /Mare fală-agalilor,

/Ţarul Murat cel bătrîn" (v 9-11). Das zitierte fală, rumänisch 'Glanz, Ruhm' dürfte, wie

auch der Titel Ţarul, aus dem Altslavischen stammen. Der Protagonist wird - von Radu - in

hohem Grade würdigend als Eure Hoheit, Kaiser, edler / lobgepriesener Kaiser

angesprochen ("Ce caţi tu, măria-ta, /Aci pe moşia mea ?", "Ţar Murate împărate", mărite-

mpărate; v 25-26, 85, 156). In Vers 69 wird in der Bezeichnung Murat cel fălos die

Beifügung der Hochmütige, in Vers 98 in der Bezeichnung Murat al mînios, die Beifügung

der Zornige verwendet.

c) Es werden zweimal Offiziere der Janitscharen erwähnt, die aber nicht handelnd

auftreten: "Da-n fruntea vizirilor, /Mare fală-agalilor, /Ţarul Murat cel bătrîn"; "Aşa

(Murat) la agali vorbea" (v 9-11; 167).

d) Es ist zweimal von einem großen Heer die Rede (Multă ordie, v 7; "Ţarul Murat...

/Oastea, vezi, şi-o rînduia, v 11-13).

e) Es tritt ein Türke mit dem Namen Ali auf: "(Murat î-)l trimeasă el pe Ali" (v 98-100). Er

wird als tapferer Ali bezeichnet, eine Anrede, die sich als Ali, tapferer Krieger in Radus

Worten wiederholt: "Şi-ntr-o joi de dimineaţă... /Vine viteazul Alie"; "Bre, Ali, voinic

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Wien, am 02.06.11, Seite 235 von 259

viteaz" (v 110; 104-107). In einem späteren Vers wird dieselbe Figur Türke und tapferer

Araber genannt: "Da’ turcu, arap viteaz...lui Radu-aşa-i vorbea" (v 122-124).

f) Es werden kurz Soldaten erwähnt, denen Murat seinen Befehl erteilt und die Ali um sich

versammelt; Zu diesen Gestalten wird kein weiterer Hinweis gegeben, als ihr Auftreten in

der Zahl von fünfhundert: "Voi cinci sute de gelaţi"; "Ali găvaji mi-aduna" (v 146; 172).

g) In Vers 183 wird mit einem paşa, ein hoher, titeltragender Beamter der Hohen Pforte

erwähnt, den die Soldaten erzürnen: "Şi cum stau şi să trudea, /Sabia nici că-mi putea /Di

la pămînt a urnea, /Dară paşa îmi turba !" (v 180-183; ad paşa cf. Turzismen).

h) In einer Bemerkung an Radu bezieht sich Murat mit dem Türken auf sein eigenes Volk:

Er fordert Radu auf, in seine Heimat zu ziehen, denn der Türke könne ihm nichts anhaben:

"Du-te-n ţara-ţi sănătos... /Că turcu n-are ce-ţi face !" (v 205-208). Zwei weitere Male wird

verallgemeinernd der Türke genannt, um die Gruppe dieser Menschen zu bezeichnen. In

Vers 216 denkt Radu an den Verräter, der ihn dem Türken (= den Türken) ausgeliefert hat:

"Pe mîna la turc m-a dat" (v 216); Nach seiner Heinkehr kämpft Radu erneut mit dem

Türken (= den Türken): "Iar cu turcu să bătea" (v 272).

Genealogie / Familiensippen: ——

Soziale Struktur / Stellung und Funktion in einer Familie / Sitten und Bräuche:

b) Der Text spiegelt in mehreren Passagen ein strenges hierarchisches Sozialgefüge wider.

Murat sitzt als der scheinbare Herrscher von allen auf einem Thron: "Apoi Murat supărat

/De pe tron tare-a strigat" (v 176-177). Er ist, wie schon erwähnt wurde, die Spitze der

Wesire und hohen Offiziere und verfügt über / befehligt aus dieser Stellung die Armee:

"Da-n fruntea vizirilor, /Mare fală-agalilor, /Ţarul Murat cel bătrîn... /Oastea, vezi, şi-o

rînduia" (v 9-11). Er gibt seine Befehle an Untergebene weiter; so sendet er z.B. Ali mit

Geschenken zu Radu bzw. er erteilt den Soldaten den Befehl, den Rumänen zu töten: "Lui

Murat al mînios /Îi pică cartia jos /Şi-l trimeasă el pe Ali /Cu multe frumoase daruri /Pe

Radu să-l dăruiască" (v 98-102), "Murat ţaru de-l vedea /Da ordinu a-l tăia" (v 144-145).

Die Untergebenen Murats befehligen ihrerseits ihnen untergebene Gruppen von Personen,

wie beispielsweise Ali die Soldaten: "Ali găvaji mi-aduna" (v 172). In der Welt der Türken

gibt es Sklaven. Dies geht aus der Behauptung Radus hervor, die Rumänen würden einen

tapferen Tod der türkischen Sklaverei vorziehen bzw. er, Radu, wäre nicht so töricht, als

Sklave der Türken zu enden: "Decît robie turcească, /Noi vrem moarte vitejească !" (v 35-

36), "Nu e Radu voievod /Un fricos şi un neghiob, /S-ajungă la turci un rob !" (v 89-91). Er

schlägt Ali vor, ein solches Fest zu feiern, daß der Sultan davon höre: "Să facem o veselie

/S-audă la-mpărăţie" (v 118-119). Scheinbar wird dem Sultan Bericht über bedeutende

Ereignisse erstattet. Aus den an Murat gerichteten Worten Radus wird außerdem deutlich,

daß der Sultan den Rumänen hohe Steuern auferlgen wollte: "(Vreai) Biruri grele să ne-

njugi, /Numai asta n-ai s-ajungi !" (v 29-34).

Geographische Herkunft: ——

Aussehen / Alter:

b) Murat wird der Alte genannt, der der Beschreibung zufolge, keinen Bart trägt: "Da-n

fruntea vizirilor, /Mare fală-agalilor, /Ţarul Murat cel bătrîn, /N-are barbă, ca un spîn" (v 9-

12).

Kleidung / Ausstattung:

f) Die Soldaten bewegen sich zu Pferde (cf. v 63).

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Wien, am 02.06.11, Seite 236 von 259

Körperliche Eigenschaften:

f) Trotz ihrer Anstrengung schaffen es die (große Anzahl von) Soldaten nicht, das Schwert

Radus vom Boden aufzuheben: "Şi cum stau şi să trudea, /Sabia nici că-mi putea /Di la

pămînt a urnea" (v 180-182). Diese Darstellung zeigt die Protagonisten als überaus

schwach.

Geistige Eigenschaften (z.B. Fähigkeiten):

a) - f) In der Schlacht gelingt es Radu eine List anzuwenden und die Türken zu besiegen.

Dem Rat einer alten Frau folgend, stellen die Rumänen versteckte Pfähle in den Boden, auf

denen sich die Pferde Murats und seiner Gefolgschaft aufspießen: "Multe suliţe-nfigea /Cu

vîrfu p’in rămurea, /Şi cum Murat mi-alerga /Caii-n suliţi să-nfigea." (v 65-66). Die

Rumänen sind also - im Kampf - klüger als die Türken.

f) Der gefangene Radu bittet die türkischen Soldaten, seine Hand zu entfesseln. Er wolle

ihnen, seinen Worten zufolge, dabei helfen, das Schwert zu heben, um seinen Kopf

abzuschneiden: "Dezlegaţi-mi mîna stîngă... /Să v-ajut s-o ridicaţi, /Cu ea capu să-mi tăiaţi

!" (v 186-189). Die Soldaten schenken diesen Worten Glauben, werden dabei aber

überlistet. Als sie Radus linke Hand befreien und das Schwert heben, beginnt Radu damit

sie zu töten: "Mîna stîngă-i dezlega... /Cum ridica sabia, /Începea la turci tăia" (v 190-193).

Moral und moralische Eigenschaften:

b) Die Darstellung des Türken Murat entspricht einer reichen Charakterdarstellung des

Genannten. Murat ist derjenige, der eine Armee einsetzt. Er ist der Verantwortliche für das

Leid von Christen in verschiedenen Ländern, für Krieg und die Verwüstung ganzer Länder:

"Da-n fruntea vizirilor, /Mare fală-agalilor, /Ţarul Murat cel bătrîn... /Oastea, vezi, şi-o

rînduia, /Pe creştini, zo, mi-i robea, /Multe războaie-mi făcea... /Pe Sîrbia-o pustia,

/Bulgăria iar aşa" (v 9-18). Er tritt als Feind der Rumänen auf, da er - nach Serbien und

Bulgarien - auch nach den rumänischen Ländern, der Walachei und Moldau, trachtet: "O

dorea pe Vlahia, /Da’ şi pe Moldovia !" (v 19-20). Radus Worte stellen Murat als feindlich

und gewissermaßen habgierig dar; er fragt diesen, was er auf seinem Besitz zu suchen hätte

und ob ihm seine Herrschaft nicht genügen würde, sodaß er auch nach dem Besitz der

Walachei trachte: "Ce caţi tu, măria-ta, /Aci pe moşia mea ? /N-ai destulă-mpărăţie /Dă

rîvneşti şi la Vlahie" (v 25-28). Murat droht Radu mit der Vernichtung seines Landes, wie

es mit anderen geschehen ist, die Murat im Wege standen: "Măi Radule, fii cuminte, /Cu-a

mea oaste nu te prinde ! /Cine-n cale mie-a stat, /În pămînt s-a îngropat; /Stai, şi nu fii tu

nebun /Că-ţi prefac ţara în scrum !" (v 37-42). Die Worte Radus enthüllen weitere

Mißetaten, die im Auftrag "des Fürsten" geschehen könnten. Der Rumäne fragt den

Türken, ob er Rumänen, Kinder und Frauen versklaven wolle, um sie nach Istanbul zu

bringen: "Vreai pe noi să ne robeşti, /Copii, neveste răpeşti, /Să ni-i duci la Ţaligrad

/Făr’de milă şi păcat ?" (v 29-32). Dies könnte also, dem letzten Vers zufolge, ohne

Erbarmen und Reue des Türken geschehen". Murat sucht nach einem Weg, Radu zu töten,

und gibt, als er ihn endlich vor sich hat, den Soldaten den Befehl zu dieser Tat: "Cum să

facă, cum să dreagă, /Pe Radu el să mi-l piardă ?"; "Murat ţaru de-l vedea /Da ordinu a-l

tăia"; "Pe Radu de nu-l tăiaţi, /Capu-n ţapă-i alinaţi !"(v 73-74; 144-145; 148-149).

Andererseits zeigt derselbe Türke auch eine gewisse Milde / Toleranz, indem er der -

christlichen - Bitte Radus nachkommt (siehe v 160-171). Die Darstellung Murats zeigt

noch weitere Aspekte seiner Persönlichkeit. Die Vernichtung seiner Armee durch Radu

veranlaßt Murat, mit gesenktem Kopf und mit Eile vom Schlachtfeld zu fliehen: "Ţarul

Murat cel fălos /Îmi pleca cu capu-n jos /Şi fugea cît îmi putea" (v 69-71). Er scheint in

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Wien, am 02.06.11, Seite 237 von 259

seinem Stolz verletzt zu sein und bemüht, sein Leben zu retten. Murat versucht den

Rumänen zu überreden, zu ihm zu kommen. Dazu verspricht er ihm fälschlicherweise die

Herrschaft von halb Ţarigrad und ein Drittel seiner Gebiete: "Radule, viteaz mare... /Vino

pîn’ la Ţaligrad, /În sarai te fac-mpărat; /Ţaligradu jumătate, /Da-mpărăţia a tria parte, /Ţi

le dăruiesc pe toate /Da’ fă-ţi cale-n astă parte !" (v 77-84). Er zeigt außerdem ein

erzürnbares Gemüt. Als die Soldaten nicht schaffen, was er erwartet, schreit er sie erzürnt

und mit lauter Stimme an: "Apoi Murat supărat /De pe tron tare-a strigat" (v 176-177).

d) Die von Murat eingesetzte Armee verursacht Leid, sie versklavt Christen, bringt Krieg

und verwüstet ganze Länder (siehe oben v 9-20).

e) Der Türke Ali wird, wie schon erwähnt wurde, zunächst als tapferer Krieger bezeichnet.

Zuerst ist es für den Rumänen unklar, ob der Türke ihn mit bösem oder mit gut gemeintem

Herzen aufgesucht hat: "Bre, Ali, voinic viteaz, /De-ai venit cu vrun năcaz, /Noi în sabii

ne-om purta. /De-ai venit cu voie bună, /’Aide, în palate-mi tună" (v 110-115). Ali lügt

Radu zwar nicht an, sagt ihm aber auch nicht den wahren Grund seines Kommens:

"Ascultă la vorba mea: /N-am venit să ne luptăm" (v 125-126). Er handelt in gewisser

Weise feige, da er den Rumänen erst gefangennimmt und fesselt, als dieser betrunken. In

diesem Zustand bringt er ihn nach Ţarigrad: "Mi-l lega, mi-l ferega, /El pe cal mi-l arunca

/Şi-l trecea chiar Dunărea. /Mi-ajungea la Ţaligrad" (v 139-143).

f) Die Soldaten bringen Radu an den Bosporus, um ihm den Kopf abzuschneiden: "La

Bosfora mi-l ducea /Gata capu a-i tăia" (v 150-151). Sie halten den Rumänen in schweren

Ketten gefangen: "Numa-n lanţuri mi-l ţînea"; "Mîna stîngă-i dezlega, /Lanţuri grele

zîngănea" (v 152; 190-191).

g) Die Unfähigkeit der Soldaten, ein Schwert hochzuheben erweckt beim Pascha Zorn: "Şi

cum stau şi să trudea, /Sabia nici că-mi putea /Di la pămînt a urnea, /Dară paşa îmi turba !"

(v 180-183).

Religion / Ideale:

d) Die Soldaten des anfangs erwähnten Heeres Murats rauben Christen: "Oastea, vezi, şi-o

rînduia, /Pe creştini, zo, mi-i robea" (v 13-14).

Leidenschaften:

e) Ali kommt der Aufforderung Radus, gemeinsam zu zechen (siehe oben v 110-119) nach

und beide beginnen zu trinken: "Şi-ncepea de chefuia" (v 130).

Attribute: ——

Soziale Stellung / Funktion (und Besitztum):

a) Auf die hohe gesellschaftliche Stellung Murats wurde schon hingewiesen (cf. Soziale

Struktur). Diese ermöglicht es dem Türken, Ali mit vielen schönen Geschenken für Radu

auszuschicken: "(î)-l trimeasă el pe Ali /Cu multe frumoase daruri /Pe Radu să-l dăruiască"

(v 100-102). Als Herrscher von Konstantinopel scheint der Türke Macht und Länder nach

seinem Gutdünken vergeben zu können. Er bietet dem Rumänen an, ihn zum Herrscher

von halb Konstantinopel zu machen und ihm ein Drittel seiner Herrschaft zu schenken:

"Radule, viteaz mare... /Vino pîn’ la Ţaligrad, /În sarai te fac-mpărat; /Ţaligradu jumătate,

/Da-mpărăţia a tria parte, /Ţi le dăruiesc pe toate" (v 77-83).

Toponyme (Wohnort, Wohnung, Kampfstätten, etc.):

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Wien, am 02.06.11, Seite 238 von 259

d) Das Heer Murats lagert in der Ebene von Konstantinopel und erreicht (die rumänische

Grenze bei) Vidin an der Donau, nachdem es Serbien und Bulgarien bedroht hat und dann

auch nach der Walachei und der Moldau trachtet: "Pe cîmpul Solunului, /Da’ şi cu-al

Stambulului, /Multă ordie mi-e-ntinsă, /De viziri mi-este cuprinsă"; "Oastea... /Multe

războaie-mi făcea, /Pîn’ la Dii el mi-ajungea, /Pe Sîrbia-o pustia, /Bulgăria iar aşa; /O

dorea pe Vlahia, /Da’ şi pe Moldovia !" (v 5-8; 13-20). Nach der Niederlage im Kampf

flieht Murat über die Donau: "Ţarul Murat cel fălos /Îmi pleca cu capu-n jos /Şi fugea cît

îmi putea, /Abia Dunărea-o trecea..." (v 69-72). Aus den Worten des Türken geht hervor,

daß er seinen Palast in Konstantinopel hat: "Radule, viteaz mare... /Vino pîn’ la Ţaligrad,

/În sarai te fac-mpărat" (v 77-80). Es ist auch diese Stadt, in die Ali den Rumänen bringt,

nachdem er diesen gefangen genommen und über die Donau gebracht hat: "Mi-l lega, mi-l

ferega, /El pe cal mi-l arunca /Şi-l trecea chiar Dunărea. /Mi-ajungea la Ţaligrad" (v 139-

143).

f) Die Soldaten bringen Radu an den Bosporus: "La Bosfora mi-l ducea" (v 150).

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Wien, am 02.06.11, Seite 239 von 259

KONKLUSION UND AUSBLICK

DIE RE-KONSTRUKTION DES ANDEREN

26. Das Maurenporträt aus spanischer Sicht

Wir fassen im folgenden Abschnitt die Ergebnisse, die die Analysen der spanischen

Romanzen ergeben haben (cf. Abschnitt 24.), zusammen. Wir gehen dabei nicht exhaustiv

vor, sondern beschränken uns darauf, die wichtigsten Tendenzen zu zeigen, die sich als

Konstanten in der Beschreibung des Maurenporträts widerspiegeln. In der Analyse haben

wir die verschiedenen Maurenporträts einundderselben Erzählung voneinander

unterschieden. Es hat sich aber herausgestellt, daß sich die unterschiedlichen maurischen

Figuren einer Erzählung in (den Parametern) ihrer Darstellung sehr oft decken. Daher

können wir in der hier angestrebten Synthese von dieser Differenzierung absehen und in

verallgemeinerndem Sinn über das „Maurenporträt“ sprechen, welches in den Analysen

verschiedenen Figuren entsprach. Wo es uns möglich ist, belegen wir noch einmal die von

uns festgestellten charakteristischen Züge der Fremdfigur mit einigen ausgewählten,

möglichst repräsentativen Beispielen aus den Analysen (mit einem nachstehenden Verweis

auf die Nummer der entsprechenden Romanze). Wir müssen uns im folgenden meist darauf

beschränken, die in den Analysen gewonnenen Beschreibungen der maurischen Figuren

„synthetisch“ wiederzugeben, da sie, wie im zweiten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, oft

in lange Textpassagen verwoben sind.

Wie schon gezeigt wurde (cf. auch Abschnitt 20.) erzählen Romanzen häufig die

Geschichte eines Mauren, der loszieht, um an einem Turnier teilzunehmen (z.B. 1, 2), der

in den Krieg zieht (3), in die Verbannung (Romanze 4 von Luis de Góngora oder 17) oder

loszieht zu seiner Geliebten (6). Romanzen erzählen desweiteren häufig über ganze

Maurenverbände, die an Reitspielen oder bei bestimmten gesellschaftlichen Anlässen

teilnehmen (8). Die Maurenfigur/en der untersuchten Texte ist/sind ausnahmslos der/die

primäre/n Protagonisten, um die es geht. In einigen Erzählungen entsteht der Eindruck, der

maurische Protagonist sei etwas ganz Besonderes. Die Hauptfigur in der Romanze

Nummer 4 von Luis de Góngora beispielsweise wird, wie wir gesehen haben, 'von den

Alten bewundert, ist den Kindern und dem Volk bekannt, wird von den Frauen geliebt und

von Glück und Zeit begünstigt'.

Neben den Erzählfiguren primärer Bedeutung tritt häufig eine Reihe sekundärer, vor allem

maurischer, vereinzelt aber auch christlicher oder in ihrer Ethnizität nicht identifizierbarer

Figuren auf (1, 2, 3, 4, 7, etc.). Sie werden, wie oben erläutert wurde, generell zwar nicht

quantitativ, jedoch qualitativ mit denselben Beschreibungsaspekten dargestellt, wie die

ersten Erzählfiguren, daher sind in der nachfolgenden Zusammenfassung erste und zweite

Protagonisten fast ohne Unterscheidung berücksichtigt.

Die maurischen Protagonisten unserer Texte tragen sehr häufig Eigennamen; nicht immer,

jedoch mehrheitlich sind diese arabisch oder arabisiert: Abenamar, Abençulema,

Abenhumeya, Abindarraja, Abindarráez, Adulce, Albayaldos, Albençayde, Alçaidos,

Almançor, Audalla, Celindos, Muça, Tarfe, Xarife, Zayde, Zulema, etc. Auch die

auftretenden Maurinnen werden sehr oft namentlich und oft, aber nicht ausschließlich mit

einer Namensentlehnung aus dem Arabischen genannt: Adarifa, Azala, Balaja, Celinda,

Daraja, Fátima, Zayda / Zaida, Zara, Xarifa, etc. (cf. Abschnitt 22.). Häufig werden ganze

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Wien, am 02.06.11, Seite 240 von 259

Personenverbände genannt wie die Adarifes, Ganzules, Gomeles, Reduanes, Sarracines /

Sarracinos, Zulemas. Erwähnt werden auch historische Sippen von Al-Andalus wie die

(A)Bencerrajes, Aliatares, Zegríes (12) oder vereinzelte Persönlichkeiten aus der

Geschichte der Iberischen Halbinsel unter arabischer Herrschaft (Almançor). Zur

Bezeichnung aller dieser Maurengestalten verwenden die spanischen Interpreten sehr

häufig neben dem Eigennamen das Ethnonym moro, mora. Mehrmals tragen die genannten

Protagonisten einen historischen Titel. Beispiele dafür sind Almoralife, der Visorrey del

Alpuxarra, Alférez mayor del reino, los dos Alcaides (3,4, 8, 10).

Bezeichnungen der auftretenden Figuren als damas, señoras (1,4,6,7 und 2, 7, etc.),

caballero, un bizarro der Cartama, gran Zegrí (5, 6, 15), los bandos ilustres (5), Xarife /

Jarife (6), ein Name, dem die Grundbedeutung von 'nobel' zugrundeliegt, etc. skizzieren

eine gehobene und hochgeschätzte Gesellschaftsschicht. In selteneren Fällen spiegeln die

Bezeichnungen der Protagonisten negative Konnotationen wider. Beispiele dafür sind

Abindarraja, der Name einer schönen Maurin, der semantisch mit 'Verleumdung,

Täuschung, Betrug' verwandt zu sein scheint; die Bezeichnungen der alárabes und

Sarrazinos 'brutale, rohe Personen' (cf. 5 und 13), oder die Anrede als 'Verräter', die sich

der Protagonist der Erzählung 8 gefallen lassen muß: „Prendan al traidor de Azarque“. Als

sekundäre, nicht immer eindeutig als maurische Figuren identifiziert, treten häufig auf eine

Königsgestalt, beispielsweise der Rey Chico de Granada oder Zayde, Rey de Belchite (7

und 8; 7), eine Königin / Reina (7), ein Königspaar (12), desweiteren andere

Herrschergestalten, wie el Valenciano Tarfe, el Infante de Túnez (8, 5). Sehr oft werden

Personen genannt, die Untergebene des Königs sind, wie el Alcaide und los Donceles, der

königliche Schloßwächter Celín (7, 8), etc. Auch unter den Erzählfiguren sekundärer

Bedeutung treten „Repräsentanten“ historischer maurischer Clans auf, eine bella Zegrí, las

damas Gomeles, las pocas Bencerrajes, algunas Almoradíes; un Bencerraje (7; 9).

Die Analyse einer Serie von Texten hat gezeigt, daß Hinweise zu Genealogie und

Familienstruktur der Maurenfigur konstante Beschreibungsparameter sind. Diesbezügliche

Hinweise spiegeln sich implizit in der literarischen Inszenierung historischer Maurensippen

wider (cf. supra Namen der Maurenverbände), andererseits wird im Text immer wieder die

'Abstammung', das 'Blut', 'das Geschlecht' des Mauren explizit angesprochen: „el

enamorado Audalla, /galán Zegrí de linaje“, „sepan quién es Tarfe /y de qué sangre

deciende, „que me hagan la salva, /los demás de alta progenie“ (5, 12). Nicht selten wird

auf die Blutsverwandtschaft des Dargestellten mit dem Königshaus hingewiesen („Azala,

prima del Rey“, „Adulce es de sangre real“, „el sobrino de Zulema, /Visorrey del

Alpuxarra“, etc.). Einige Romanzen spiegeln wage die Familienstruktur wider, in die der

auftretende Maure / die Maurin eingebettet ist. Beispielsweise werden in der Erzählung 6

kurz die Vater-Tochterbeziehung zwischen Hamete Persa und Celindaja, in 8 eine Mutter-

Tochterbeziehung, in 11 das enge Familienband zwischen vier der erwähnten

Personen(gruppen), in 12 eine Sohn-Vaterverwandtschaft und eine Tochter-

Vaterverwandtschaft, in 15 die verwandtschaftlichen Verhältnisse mehrerer auftretender

Figuren (cf. „[Zelindos...] sobrino del gran Zegrí“/primo hermano de Abenamar“, „dos

Moros primos suyos /y hermanos de Celindaja“), etc.

Wie schon gezeigt wurde, reflektieren die Romanzen oft eine in Sippschaften zergliederte

Gesellschaft (cf. supra Namen). Mehrmals handelt der oder die Protagonisten in einer

Weise, die auf ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe schließen läßt (cf.

das Geschehen in den Handlungen in 7 und 12). In der inszenierten Welt gibt es zwei Arten

von gesellschaftlichen Ereignissen ganz besonderer Bedeutung. Auffallend häufig werden

genannt Turnierspiele zu Pferd (cf. correr / jugar cañas, fiesta de placa, tirar los

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Wien, am 02.06.11, Seite 241 von 259

bohordos, jugar las canas, 1, 2, 4, 7, 8, 13, etc.) sowie gesellschaftliche Zusammenkünfte,

die teilweise in der Nacht, mit Musik und Tanz stattfinden (14; cf. sarao, danzar, zambra

in 5, 7, 9, etc). Einer Reihe von Protagonisten wird Untreue vorgeworfen, in einigen Fällen

auch der Umstand, zwei Frauen zur selben Zeit zu huldigen. Aufgrund dieser

Darstellungen ergibt sich das wage Bild einer Gesellschaft, in der sich der Mann mehreren

Frauen widmet. In einigen Romanzen, jedoch nicht sehr frequent, wird die geographische

Herkunft des Protagonisten „attributiv“ angedeutet, beispielsweise in der Erwähnung eines

Pferdegeschirrs aus Marrokko (4) oder einem Schild aus Fez (5).

Der Maurische Protagonist ist ein Mann von Stattlichkeit, was sein Aussehen und seinen

Körper betrifft. Er wird überaus häufig als galán oder gallardo 'stattlich, anmutig'

beschrieben (1, 2, 3, 4, 6, 7, 8, etc.). Alle drei der in 6 auftretenden Mauren beispielsweise

haben diese Eigenschaft (un bizarro de Cartama, Dos dispuestos Moros), ebenso wie der

in 13 auftretende Maure und der (maurische) König: „los gallardos cuerpos cinen“.

Gegenteilige Beschreibungen sind selten, in 9 wird Muca als 'wenig anmutig, ohne seine

Waffen' dargestellt, allerdings nachdem er zuvor als gallardo bezeichnet wurde: „poco

galán sin las armas“. Die Maurin ist fast immer von außergewöhnlicher Schönheit. Balaja

z.B. wird, wie schon gezeigt wurde, als 'sehr schön', eine andere Protagonistin als 'Maurin,

die unter Maurinnen schön genannt wird' und noch einmal im Text als 'schön' bezeichnet:

„la hermosísima Balaja“; „Mora que entre Moras bella /la llaman“, la hermosa Celindaja

(4, 6). Xarifa, Zaida und Zara werden als 'die Blume und der Schmuck des Festsaals'

bezeichnet: „eran la flor de la sala, /eran el adorno della“ (9), Celia mit 'schöner und

anmutiger Stirn' („con hermosa y grata frente, 12), Doralice als von den Göttinnen um ihre

hermosura 'Schönheit' beneidet (13), Bindarraja als 'himmlisch, bezaubernd, schön,

strahlend' beschrieben, Zaida zweimal als schön beschrieben: „Parte la gallarda Mora“,

„aquesta Mora locana“ (15), etc. Während das Aussehen der Protagonisten also

thematisiert wird, werden die Protagonisten altersmäßig kaum erfaßt. Darstellungen wie

diejenige der zwei Moros mancebos 'Mauren jugendlichen Alters' (18) sind selten.

Der spanische Interpret liefert uns in vielen seiner Schöpfungen ein detailreiches Bild über

die äußere Erscheinung des Mauren. Dieser trägt sehr oft eine Festtagskleidung, ein oder

mehrere Umhänge, manchmal in typisch maurischem Stil. Zur Festtagskleidung des

Mauren zählen beipsielsweise der albornoz, die marlota, der capellar, die librea, der

alquizel. Der Maure trägt häufig eine Kopfbedeckung (bonete) und ein schmückendes Tuch

(almaizar, toca). Seine Bekleidung und sein Schleier sind aus auffallend wertvollem oder

wertvoll verziertem Stoff, meist aus Seide, gemacht (Brokat / damasco oder Seide / seda)

und er trägt, vor allem wenn er sich im Rahmen eines Turniers präsentiert, Schmuck,

darunter sehr kostbaren, das seinem Aussehen schmeichelt (Federn bzw. Federbuschen /

plumas, Edelsteine / rubíes, esmeraldas, Perlen / alfójar, etc.). Und auch sein Pferd ist mit

Federn und schönem, kostbaren Geschirr geschmückt.

Zur seiner Ausstattung gehören verschiedene Waffen, desöfteren trägt er mehrere. Im

Turnier treten die maurischen Reiter auf mit Wurfspießen (canas, bohordos), einem

Lederschild (adarga) bzw. mit einer Lanze (lanza) oder einem Schwert (espada). Der

Maure Abenhumeya, Protagonist der gleichnamigen Erzählung El gallardo Abenhumeya

beispielsweise tritt, wie in der Analyse schon gezeigt wurde, schwer bewaffnet, mit

Eisenbeschlägen, einem Eisenhemd, einer Lanze in der rechten Hand und einem Schild auf.

Auffallend ist die Farbenpracht, die die Kleidung und Ausstattung der Mauren

widerspiegelt. Die Teilnehmer an Reitfestspielen sind mit allen Farben geschmückt, die sie

mitunter auch zugleich tragen. In unseren Texten werden beispielsweise genannt

dunkelviolette, dunkelrote und gelbe Umhänge, weiße und schwarze Tücher, blaue Banner,

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Wien, am 02.06.11, Seite 242 von 259

dunkelviolette und grüne Schärpen, rote Livreen, dunkelblaue Kopfbedeckungen. Die

Sarrazinos, Aliatares, Adalifes und Azarques, vier Maurengruppe, die in der Romanze

Ocho a ocho y diez a diez nacheinander auftreten, sind gekleidet mit Umhängen

rötlichgelber und grüner Farbe, roten Livreen, mit Kleidung roter und gelber Farbe und

einer Bekleidung blauer, dunkelvioletter, gelber Farbe und grünen Schildern. Die Mauren

schmücken ihre Kleidung auch mit schöner Musterung. Der äußere Umhang Abenhumeyas

beispielsweise ist von dunkelroter Farbe und dunkelviolettem Blumenmuster.

Während über die äußere Erscheinung der Maurin keinerlei Hinweise gegeben wird,

erscheint der Maure mit außergewöhnlicher Pracht. Als besonderes Beispiel dafür fassen

wir die Beschreibung des Protagonisten der Romanze Cubierta de treze en treze an dieser

Stelle noch einmal zusammen. Celindos trägt einen an den Stoffzusätzen und Ärmeln mit

zahllosen blauen Tupfen bedeckten Umhang dunkelvioletter Farbe, einen zweiten Umhang

gelblicher Farbe mit roten Streifen und silbernen Quasten, desweiteren eine türkise

Kopfbedeckung mit vier weißen Knoten, Wappen und verschiedenfärbige Federn, eine

blau, weiß und gelbgefärbte Lanze, einen schwarzen Schleier, ein Schild mit unzähligen

Glaskristallen, Embleme aus Silber, schwarze, am Stulp vergoldete Stiefel und ein blaues

Banner, das grüne Granatäpfel zeigt und einen Schriftzug.

Die untersuchten Romanzen enthalten viele explizite aber auch implizite Beschreibungen,

die den Mauren explizit als 'sehr stark' bezeichnen („fuerte y bravo en la batalla“, „Aquel

rayo de la guerra“, „el fuerte Moro“, cf. auch die Zeichnungen, die manche Reitergruppen

auf ihren Schildern tragen). Die Darstellung der Kraft des Mauren in den Romanzen ist

außergewöhnlich redundant. In der Erzählung Aquel firme y fuerte muro wird in wenigen

Versen die Kraft des Mauren, wie wir gesehen haben, immer wieder thematisiert: „Aquel

firme y fuerte muro“, „al que teme todo [por su fuerza] el mundo /por su fuerte braço y

lança“, „el fuerte Sarracino“). In einigen wenigen Fällen wird den Protagonisten auch

Geschicktheit / Flinkheit zugewiesen, beispielsweise den zwei Verfolgern von Xarife,

sowie dem Tarfe, der mit dem König um die Wette reitet: "Dos dispuestos Moros siguen

/con callada y veloz planta /por el rastro de las vozes", "Y arrancando muy veloces...“.

Geistige Eigenschaften des Mauren werden in unseren Texten generell wenig deutlich

gemacht. Allerdings gibt es einige Texte, in denen der Maure oder die Maurin mit dem

Adjektiv discreto/a und cortesano beschrieben wird, beispielsweise in der Romanze Aquel

rayo de la guerra: „el querido de las damas /por cortesano y discreto“, „discreta en todo

estremo“ (cf. auch El gallardo Abenhumeya). Der spanische Interpret zeigt uns die

Protagonisten also mit einer gewissen Fähigkeit zu gutem Benehmen, also auch einer

gewissen geistigen Größe. Die Figur des weisen Ratgebers taucht nur einmal in der

Erzählung von Lope de Vega El mayor Almoralife, auf.

Auffällig redundant und einheitlich werden moralische Wesenszüge des Mauren

beschrieben. Den Darstellungen der Romanzen zufolge, wird der Maure beherrscht von

Streit-, Angriffslust, Zorn und Rachsucht, Eigenschaften, die letztendlich auf ein stark

ausgeprägtes Ehrgefühl zurückgehen. Alle Protagonisten der Romanze Aquel Moro

enamorado handeln beispielsweise aus den genannten Gefühlen heraus. Auch weibliche

Protagonisten, deren Handlungsprofil in den Romanzen sehr schwach ausgeprägt ist,

reagieren oder handeln aus Zorn. Xarifa beispielsweise schlägt aus Wut ihren Freier: „La

mano le suelta al Moro“. Die Intensität des Zorns wird in vielen Versen bildlich zum

Ausdruck gebracht, beispielsweise in der Darstellung eines Menschen, der vor Gefühl

„kocht“: („Tarfe sudando de coraje“).

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Wien, am 02.06.11, Seite 243 von 259

Der Maure ist von großem Stolz, der ihn zu übertriebenen Selbstdarstellungen und

Prahlereien, wie es die folgenden sind, veranlaßt: „Vale Adulce por mil Moros“, „Sobre mí

fuego no basta“, „contra mí nada basta“ (cf. die selbsherrlichen Präsentationen einiger

Protagonisten in El gallardo Abenhumeya, Abrasado en viva llama, En dos yeguas muy

ligeras), etc. Der Maure ist fähig zu großer Grausamkeit. Er tötet Christen, macht sie zu

Gefangenen, säumt Satteldecken mit Trophäen, signalisiert Gewaltbereitschaft oder spricht,

wie im folgenden Beispiel, Todesdrohungen aus: "pasarte he con esta lança". Der Maure ist

niederträchtig. In einer langen Reihe von Textpassagen verschiedener Romanzen

verleumdet, beleidigt und beschimpft ein Maure aus Kränkung bzw. Zorn einen oder

mehrere andere(n). In selteneren Fällen wird ein Maure als Verräter, Ruchloser, eine Sippe

oder die Gemeinschaft der Mauren als Alar(a)bes oder Sarrazenen bezeichnet und damit

als Person/en bösen Charakters dargestellt. In vielen Romanzen wirft eine Maurien, wie im

folgenden Beispiel, dem Protagonisten Untreue und Täuschung in der Liebe vor: "¿Pará

qué entrastes encubierta, /traidor, la enganosa cara? /Arroja el fingido rostro". Aufgrund

solcher Art von Vorwürfen entsteht das Porträt eines Menschen, der häufig lügt.

Der Maure wird aber auch immer wieder als sehr kampfesmutig und daher Ehrenhafter

bezeichnet. In vielen Textpassagen tritt er als ein zum Kampf herausfordernder, scheinbar

keinen Kampf scheuender oder von Wunden genesener Krieger auf: „Aquel rayo de la

guerra... /tan galán como valiente /y tan noble como fiero, el que dos vezes armado / más

de valor que de azero, sale el Moro /con animoso denuedo, a su patria libertó /de dos

peligrosos cercos“; no teme aquesta guerra /pues salió de otras más bravas“, „convaleciente

de heridas“. In einigen anderen Fällen wird ein gegenteiliges Porträt kreiert und der Maure

als feige handeld dargestellt. Dies ist beispielsweise der Fall in der Romanze Una parte de

la vega, in der zwei Mauren gemeinsam gegen einen dritten vorgehen. Der Vorwurf der

Feigheit wird auch immer wieder von verschiedenen maurischen Protagonisten an andere

Mauren gerichtet. In einigen Darstellungen beweist der Maure desweiteren Ergebenheit

und Treue gegenüber seinem König, hört auf dessen Befehl oder eilt in die Schlacht,

seinem König zuhilfe kommend.

Der spanische Dichter kreiert kein besonders reichhaltiges Bild des von ihm aus gesehenen

andersgläubigen Mauren. Er identifiziert diesen im wesentlichen als den 'Erzfeind der

Christen'. Das geschieht beispielsweise durch die Darstellung eines Mauren, der 'die

Moscheen mit siegreichen Trophäen auskleidete und die Verließe mit christlichen Rittern

bevölkerte' („el que vistió las mezquitas /de vitoriosos trofeos, /y el que pobló las

mazmorras /de Christianos caballeros“, Aquel rayo de la guerra; cf. auch Aquel firme y

fuerte muro). Der Maure wird desweiteren in einigen Romanzen als 'Anhänger Allahs'

identifiziert. Das geschieht beispielsweise dadurch, daß Allah angerufen wird: "De mitad

de vulgo sale /un gritar: Alá te guíe".

In fast allen untersuchten Romanzen ist Liebe die wesentliche Triebfeder, die die

Handlungen und Zustände der Mauren bestimmt. In der Romanze Aquel Moro enamorado

lassen Liebesgefühle Streit und Chaos unter einer ganzen Hochzeitsgesellschaft

ausbrechen. In Ocho a ocho y diez a diez erzürnt die Liebe einer Maurin zu einem Mauren

den König, der diesen gefangennehmen lassen will. In Abindarráez y Muça werden die

Liebesgefühle einer ganzen Reihe von Personen erzählt, etc. Wie schon in den einzelnen

Analysen detailliert gezeigt wurde, wird das Thema der Liebe in den Erzählungen meist in

einer langen Reihe von Versen mehr oder weniger explizit, jedoch auf redundante Weise

thematisiert. Die Liebe des Abenhumeya zu einer Maurin spiegelt sich, wie schon gezeigt

wurde, in einer Vielzahl von Hinweisen wider. Zu ihnen gehören der gedankenverlorene

Zustand des Protagonisten ("ausente y enamorado"), seine Wünsche ("quiere gozar de sus

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Wien, am 02.06.11, Seite 244 von 259

ansias"), sein Leid, seine Hoffnung, seine Ängste, seine Eifersucht („el mal que pasa“, su

esperanca, desconfiancas, "herido por...zelos"), etc. Insbesonders redundant wird, wie aus

den vorangehenden Zitaten ersichtlich wird, die Leidenschaft des liebenden Mauren zum

Ausdruck gebracht. Das auffällige Kennzeichen (cf. Abschnitt 17.) des Mauren ist der

Krummsäbel / alfanje oder cimitarra. Desweiteren wird in einigen Romanzen die Sprache

des Mauren / Arábigo, vereinzelt auch ein für die Mauren typischer Ausruf, die algazara,

erwähnt.

Die auftretenden Figuren sind, wie schon gezeigt wurde, überwiegend Repräsentanten der

hohen oder höchsten Gesellschaftsschichten. Sie verkehren am Königlichen Hof, nehmen

an Reitfestspielen oder an Festveranstaltungen am Hof teil. Sekundäre Erzählfiguren sind

häufig im Dienst eines Königs, wie beispielsweise die auftretenden alcaides /

Schloßwächter, der Oberbefehlshaber der Wache / Capitán de la guarda ("el bravo Ferrí

/que es Capitán de la guarda"), etc. Als Persönlichkeiten hohen gesellschaftlichen Ranges

verfügen sie über einen großen Besitz. So beklagt Almoralife beispielsweise, wie schon

gezeigt wurde den Umstand, seine Bäder, Gärten, sein Haus zurückgelassen zu haben:

„¡Ay mis banos y jardines! /que al mejor tiempo os dexaba“, „¿qué hago en dexar mi

casa?“ (El mayor Almoralife). Der Reichtum der Mauren spiegelt sich auch in dem Besitz

von Edelsteinen, kostbaren Emblemen, in Gold oder Silberfäden bestickten Umhängen,

Perlen oder in den im folgenden Beispiel erwähnten goldverzierten Seidenstoffen wider:

„[Adulce] Brocados saca a las fiestas“.

Orte wie Alora, Alpujarra, Andújar, Antequera, Baça/Baza, Gelves, Xerez/Jérez und Flüsse

wie der Darro, Genil, Guadalquivir, Xaragui de Granada, in deren Nähe sich der maurische

Protagonist häufig bewegt, zeichnen das Porträt einer Person, die unmittelbar mit dem

historischen Reich von Granada verbunden ist. Dieser Eindruck wird verstärkt durch

bestimmte Bezeichnungen mancher Protagonisten (valientes Andaluzes) und insbesondere

durch das immer wiederkehrende Bild der Alhambra (dos Alcaides /del Alhambra) bzw.

die explizite Erwähnung von Granada („el Rey Chico de Granada“, „los buenos de

Granada“, „contigo a Granada iréme“, „Viviremos en Granada“).

27. Das Türkenporträt aus rumänischer Sicht

Im folgenden Abschnitt fassen wir die Ergebnisse der rumänischen Textanalysen (cf.

Abschnitt 25.) zusammen. Es sollen noch einmal die wichtigsten Tendenzen gezeigt

werden, die sich konstant in der rumänischen Beschreibung des Türkenporträts

wiederholen. Wie gezeigt wurde, treten in den Balladen, wie auch in den Romanzen,

Erzählfiguren primärer und sekundärer Bedeutung auf. Ihre Darstellungen decken sich

generell oft weniger stark, als dies bei der Darstellung der maurischen Figuren und

Nebenfiguren feststellbar war. Wir werden im folgenden zwar verallgemeinernd von „dem

Türkenporträt“ sprechen, jedoch sehen, daß sich dieses, stärker als es in den spanischen

Quellen geschieht, in zwei unterschiedliche, teilweise kontrastive Porträtierungen

aufsplittern wird. Wo es uns möglich ist, belegen wir die Darstellungsparameter mit kurzen

Beispielen aus den entsprechenden Balladen. Wo dies nicht möglich ist, weil die Semantik

der Beschreibung nur kontextuell vollständig verständlich wird, synthetisieren wir die

erzählten Inhalte oder verweisen nur auf die entsprechenden Texte.

Wie schon erwähnt wurde, sind die untersuchten Balladen im wesentlichen die

Geschichten eines rumänischen «Helden», der sich entweder auf die Suche nach den

Türken macht oder von ihm aufgestöbert wird (cf. Abschnitt 20. sowie die einführenden

Inhaltsangaben der einzelnen Texte in Abschnitt 25.). Die Analysen haben den

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Wien, am 02.06.11, Seite 245 von 259

rumänischen Helden in allen untersuchten Texten als stark „profilierte“ Figur erkennen

lassen. Sie ist die eigentliche Hauptfigur der rumänischen Balladen, die mit der Figur des

Türken als Anti- bzw. Nebenfigur kontrastiert. Es fällt auf, daß der Türke der rumänischen

Balladen sehr oft in einer Pluralität auftritt und dies auch gegenüber einem singulären

Haiducken. Es fällt desweiteren auf, daß die Mehrzahl der Türken sehr oft eine

überdimensionale ist. Als Beispiel erinnern wir an die 'riesige Anzahl von Türken' in der

Ballade Novac, die 'wie eine Wolke den Himmel verdunkelt'. In der Ballade Iancul Mare

überwältigt der gleichnamige Protagoniste zwei Gruppen von je fünzig Agas und Paschas.

In Bîcul Haiducul besiegt der gleichnamige Protagonist 4000 türkische Streiter. In der

Erzählung von Şiret Pîrcălabul wird die Anzahl von achzigtausend Tataren erwähnt. Die

Türken, die den Haiducken Badiul suchen sind 'fast zuviele, um in den Dachboden des

Hauses zu passen'. Es fällt weiters auf, daß sich rumänische Interpreten manchmal mit

einer abstrakten Mengenangabe wie turcime 'Türkenschaft, Gesamtheit der Türken, alle

Türken', aber auch mit einem Singularwort („der Türke“) auf seine pluralen Protagonisten

bezieht: „Turcimea /Alerga“ 'alle Türken rannten davon', „Cînd turcu striga: Aman!, /Să-i

bat“ 'Wenn der Türke Amen scheit, werde ich sie schlagen' (cf. Bîcul Haiducul, Novac).

Neben der erwähnten „Vielzahl von Türken“ tritt desweiteren sehr oft ein singulärer,

individualisierter Protagonist auf. In der Geschichte des Novac ist dies beispielsweise ein

berühmter türkischer Soldat („ostaş vestit“). Die türkischen und tatarischen Erzählfiguren

werden in allen untersuchten Texten überwiegend mit ihrem Ethnonym als turc oder tătar

angesprochen. Eigennamen kommen bedeutend seltener vor (Caragea in Novac, Mustafa

in Niculca, Mustafa in Manuilă şi Mustafa). Diese Eigennamen haben selten einen

historischen Bezug.

Es treten immer wieder Protagonisten auf, die keinen Namen, jedoch einen Titel tragen. Zu

diesen gehören verschiedene Bezeichnungen des 'Anführers eines Soldatentrupps,

Infanteriekorps, der Janitscharen' wie aga, ius-başa, deli-başa, beşleaga, deliu; die Bulă-

mpărătească 'eine Frau des türkischen Kaisers'; der caimacam (ursprünglich) 'der Vertreter

des Großwesirs und zuständig für die Bewachung der Stadt und Abgaben der Bürger'; der

han 'Khan'; der paşă 'Pascha'; der vezir 'Wesir'; der împărat 'Kaiser/Sultan', etc. (cf.

Abschnitt über die Turzismen). In der Ballade von Iancul Mare beispielsweise tragen alle

auftretenden Protagonisten einen Titel.

Titelträger und insbesonders der Kaiser und der Khan werden oft würdevoll angesprochen,

wie beispielsweise Împărate /Înalţată, măria-sa, 'Eure Hoheit'; „Cinstiţi caimacanilor“

'Geehrte Herren', etc., (cf. Ballade von Român Grue und von Niculca). Gleichzeitig werden

die Türken, insbesondere die Menge der Türken, sehr oft sehr abwertend bezeichnet,

beispielsweise als „hündische Heiden“ oder „Grausame“ (cf. beispielsweise Marcu), und

sie werden auch als „fremde, fremdartige“ Personen als „türkischer Eindringing“ bzw.

„Fremder“ (cf. A lui Şoimănel, Român Grue) bezeichnet. Sekundäre Erzählfiguren sind

sehr oft mit militärischen bzw. kriegerischen Absichten verbunden, wie etwa das türkische

Heer, das der Kaiser in Novac vinde pe Gruia aufstellen läßt, die Kuriere in Novac vinde pe

Gruia, der ceauş und die fünfzig Janitscharen in Vîlcan, die spahii 'berittene Soldaten' in

Badiul, etc.

Rumänische Balladen spiegeln verschiedene Gepflogenheiten und Strukturen der

türkischen und tatarischen Welt, über die sie erzählen, wider. Sie reflektieren

beispielsweise die Existenz einer Dienerschft am türkischen Sultanshof, die durch

Händeklatschen herbeigerufen wird: „O dată [Bula-mpărătească] din pălmi plesnea, /Două

slugi că îmi veneau“. Man würdigt den Kaiser, in dem man sich vor ihm verbeut und ihm

seines Kleidersaum küßt: „Temeneaua că-şi făcea, /Poala, mîna-i săruta“ (vgl. Vîlcan). Der

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Wien, am 02.06.11, Seite 246 von 259

Pascha ist ein Untergebener des Wesirs, der wiederum dem Kaiser untersteht. Kaiser und

Wesir sind die höchste Entscheidungsinstanz für und müssen daher von allem unterrichtet

werden (vgl. Iancul Mare). Am Hof leben türkische Frauen in einem Harem, sie werden

gut umsorgt (implizit in Iancu und Bîcul Haiducul). Eine Sitte des Türken ist es, kein

Schweinefleisch und keinen Alkohol zu sich zu nehmen (vgl. Iancu, Român Grue). Der

Türke pflegt es, Almosen zu spenden (implizit in Marcu). Die Tataren sind dafür

verantwortlich, die Steuern der Christen einzuheben (vgl. Şiret Pîrcălabul, Stoian-

Bulibaşa, Vîlcan).

Rumänische Balladen spiegeln selten die Genealogie ihrer Protagonisten wider. Wenn sie

es tun, dann insbesonders bei Mitgliedern des Hofs (cf. „die Enkelin des Sultans“ in Serb-

Sărac, „die Tochter des Sultans“ in A lui Şoimănel). Schiffe, Furten, Brücken und die

Donau, die in den Texten immer wieder in Zusammenhang mit der Türkenfigur erwähnt

werden, zeigen, daß die Türken über das Wasser und aus dem Süden kommen. Die Tataren

hingegen tauchen, wie es in den Analysen gezeigt wurde, aus dem Osten auf (vgl. Şiret

Pîrcălabul, Niculca). Türken werden desöfteren als alt beschrieben („un turc cam bătrînel“

in Gruia lui Novac). Dasselbe gilt für die Tataren, die generell in einer sehr reduzierten

Reihe von Beschreibungselementen beschrieben werden („Tu tătar bătrîn“ 'du alter Tatare'

in Tătarii şi robii, vgl. außerdem den alten Khan in Stoian-Bulibaşa). Der Türke hat

krauses Haar, trägt einen Schnauzbart und hat kleine Augen (vgl. Turcul şi Novăceştii,

Niculca, Badiul). Es fällt auf, daß der Türke in unseren Texten vereinzelt als kleinköpfig,

der Tatare hingegen als großköpfig beschrieben wird (vgl. Gheorghiţa Zătreanu und

Vîlcan). Über auftretende Türkinnen erfahren wir kaum etwas, manchmal werden sie als

schöne Frauen erwähnt (vgl. die metaphorische Beschreibung der Nichte des Sultans als

Blümchen in Serb-Sărac).

Weder Türken noch Tataren werden in den untersuchten Balladen in ihrer äußeren

Erscheinung beschrieben, es werden jedoch immer wieder Waffen erwähnt, die diese bei

sich haben (cf. Novac). Türken und Tataren werden in äußerst redundanter und

übetriebener Weise als klein dargestellt (vgl. „Un tuculeţ mititel“ 'ein winzigkleiner Türke'

in z.B. Novac). Sehr häufig ist diese Darstellung implizit. Wie schon erwähnt wurde,

gelingt es Iancul Mare in der gleichnamigen Erzählung 100 Türken einzuschüchtern, in der

Geschichte von Bîcul Haiducul besiegt der gleichnamige Protagonist 4000 türkische

Streiter. Die dargstellte (Kampf-)Größe, mit der die rumänischen Helden gezeigt werden,

läßt eine überdimensionale Figur entstehen, die den Gegner, die Türken, klein erscheinen

läßt. In Badiul entsteht der Eindruck, die rumänische Figur habe es mit sehr

leichtgewichtigen, also vermutlich auch kleingewachsenen Personen zu tun, von denen der

Wirt und die Wirtin gleich mehrere auf einmal wegtragen können, etc. Paradoxerweise

evoziert eine (einzige) andere Textstelle das Bild von fetten Türken („Carnea grasă se

frigea“ 'das fette Fleisch verbrannte', cf. Badiul). Sehr selten sind Textstellen, die wie in der

Ballade Bîcul Haiducul die auftretenden Protagonisten - drei Kuriere - als 'geschickt von

der Hand und stark an Muskeln' beschreiben. Gruia lui Novac ist eines der raren Beispiel,

in dem einem Türken Flinkheit zugeschrieben wird.

Was die geistigen Fähigkeiten des Türken betreffen, so kreiert der rumänische Dichter ein

Doppelporträt. Der Türke wird, vor allem wenn er in einer Gruppe auftritt, konstant und

teilweise mit großer Redundanz als sehr dumme Person dargestellt, die sich überlisten läßt,

auf Schmeicheleien hereinfällt, etc. (cf. z.B. Gruia lui Novac, Novac, Novac vinde pe

Gruia, Iancul Mare, Vîlcan, Marcul viteazul, etc.). Andererseits entsteht sehr oft das

Porträt eines listigen, auf seine Weise klugen Mannes: „Împăratul sa sfătuit /C-un turcuţ

micuţ isteţ“ 'der Kaiser beriet sich mit einem kleinen schlauen Türken'). Meist ist es eine

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individualisiert auftretende Figur, die man in dieser Eigenschaft zeigt. In Ilincuţa Sandului

beispielsweise hebt sich ein Türke von seiner Gruppe ab, indem er sich nicht belügen läßt.

Außerdem benützen türkische Protagonisten wiederholt eine List, um den Haiducken zu

fangen (cf. z.B. Gruia a lui Novac, Badiul, etc.).

Das Porträt des Türken und des Tataren ist vor allem anderen ein moralisches. Der Türke

des rumänischen Heldengesangs hat mehrere charakteristische Eigenschaften. In vielen

Szenen wird der Türke dargestellt, der aus Angst flieht, aus Angst versteinert, aus Angst

um sein Leben bettelt (cf. z.B. „Numai fuga l-au scăpat“ 'nur die Flucht hat ihn gerettet',

„Turcul, măre, -ncremenea“ 'der Türke erstarrte'; cf. Gruia a lui Novac, Marcul viteazul,

etc.). Auf diese Weise wird in stark übertriebener und redundanter Weise die Feigheit des

Türken erzählt. Bedeutend seltener spiegelt sich sein mutiges Wesen wider. In Badiul

verliert ein einziger aus einer Gruppe von Türken angesichts des gefürchteten Feindes die

Beherrschung nicht (cf. auch die genannte Figur des 'berühmten Soldaten' in Novac, sowie

den als sehr tapfer berzeichneten Bruder des Khans in Român Grue).

Türken und Tataren sind äußerst böse Menschen. Diese pejorative Konnotation der

Protagonisten spiegelt sich in sehr vielen, expliziten und impliziten Beschreibungen und

Verwünschungen wider, z.B. in der Bezeichnung der Protagonisten/des Protagonisten als

die Hunde, die Grausamen, der verfluchte Drachen (cf. Gruia lui Novac, Novac). Wie

gezeigt wurde, tritt der Türke häufig, der Tatare immer als Krieger, Soldat, Reiter,

Infanterist, Kommandant, etc. auf, der dem rumänischen Helden begegnet und ihn oft

töten, aufhängen, verbrennen, ihm den Kopf abschneiden will (cf. z.B. Gruia lui Novac,

Bîcul Haiducul, Badiul, etc.). Er ist also der Feind per se. In dieser Rolle verübt er viele

Untaten, er raubt, versklavt Frauen und Kinder, verwüstet das Land (cf. Gruia a lui Novac,

Roman Voinicul und Tătarii şi robii, Şiret Pîrcălabul). Er ist von so bösem Charakter, daß

es besser ist zu sterben, als in seine Hände zu gelangen. Dies wird beispielsweise in der

Ballade von Ilincuţa Sandului demonstriert, in der sich die gleichnamige Protagonistin das

Leben nimmt, weil sie von den Türken geraubt wurde. Der Türke und der Tatare wird als

zutiefst grausam, mitleidlos, quälerisch dargestellt (cf. Tătarii şi robii, Şiret Pîrcălabul).

Die Intensität der Grausamkeit des Türken und Tataren wird, wie in den Textanalysen

gezeigt wurde, in vielen Versen dargestellt. Corbea wird von seinen Feinden so stark

festgebunden, daß seine Fesseln sein Fleisch bis zu den Knochen einschneidet und die

Türken es zulassen, daß ihm das Blut seines Bruders ins Gesicht tropft (Novac). Der

Protagonist einer anderen Geschichte streut Salz auf die wunden Brüste einer Frau, um von

ihr eine Antwort zu bekommen (cf. Ilincuţa Sandului). Eine Reihe von dargestellten

Handlungen evozieren das Bild einer falschen, jähzornigen, (geld-)gierigen, arroganten,

sturen, schadenfrohen Person.

Sehr selten wird der Türke, der Tatare niemals in den untersuchten Texten, als moralisch

„groß“, also positiv dargestellt, wie z.B. die zwei „großen/berühmten Türken“ in der

Ballade von Badiul. Eine in gewisser Weise moralisch positive Darstellung erfolgt auch in

einigen Versen, die den Türken als barmherzig und großzügig zeigen. In der Erzählung von

Marcul viteazul lautet der Text, wie schon gezeigt wurde, explizit der Türke ist von Herzen

weich. In der erzählten Handlung läßt sich der Türke von der Mutter des Haiducken zu

Schandtaten überreden. Auch der Pascha einer anderen Geschichte beschreibt

Seinesgleichen als omenos, also 'gutmütig' und schlägt die Forderungen des Rumänen nie

aus. Angesichts eines vermeintlichen Grabs zeigt eine Mehrheit von Türken Mitgefühl (cf.

Ilincuţa Sandului).

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Die Protagonisten werden namentlich oft als die Heiden bezeichnet (cf. Gruia lui Novac,

Marcul viteazul, Badiul; cf. auch die Bezeichnung spurcii 'die Befleckten, die Unsauberen'

in Roman Voinicul). Der Türke vertritt seine Religion mit Inbrunst. In der Erzählung von

Iancul Mare beweist der Pascha einerseits Geduld, andererseits läßt er es sich ein

Vermögen kosten, um den Haiducken zu bekehren. Desweiteren bezeichnet er seinen

Glauben als 'von Gott gewollt /und erfüllender /und von Gold und Silber /und von Honig

und Butter'. Der Türke hat bestimmte Leidenschaften, er trinkt mit Vorliebe Kaffee, aber

auch Wein, wie es durch viele zechend dargestellte Protagonisten zum Ausdruck kommt

(cf. z.B. Novac, Marcul viteazul, etc.). Er liebt den Tabak, Spiele, die Wette, Pferde und er

hat eine Schwäche für Frauen (cf. Gheorghiţa Zătreanu, Marcu, Serb-Sărac, Ilincuţa

Sandului). In manchen Erzählungen wird auf die Andersartigkeit des Türken hingewiesen,

indem man ihn sprachlich nachahmt. Manche Balladen enthalten Ausdrücke aus dem

Türkischen, wie Aman 'Erbarmen! Verzeihung!', adet 'Sitte, Brauch', «Işala», ein türkischer

Freudenausruf, «selamalîc», eine Grußformel, «Anasîni », ein Ausdruck des Unmuts (cf.

Gruia a lui Novac, Bîcul Haiducul, Ilincuţa Sandului).

Der Türke trägt desöfteren Waffen, darunter einen typischen Krummsäbel: „Turcii sabii

descingeau“ 'Sie legten die Schwerter ab', „han batrîn, /cu hanger la sîn“ 'ein alter Khan mit

einem Säbel an seiner Brust '; cf. Iancul Mare, Stoian-Bulibaşa). Er wird desweiteren

gekennzeichnet durch einen gebundenen Turban. So sagt Iancul in der gleichnamigen

Ballade zu seinen Gästen: „Dezlegaţi... /Cealmalele“ 'Nehmt die Turbane ab'. Auch

bestimmte Objekte zur Verzierung der Kleidung (paftale, eine Art Gürtel), der Gebrauch

von Teppichen, die Farbe Grün und besondere Arten von Ruheplätzen (divan, iatac) sind

Kennzeichen der türkischen Welt.

Die Türken und Tataren unserer Texte haben oft eine hohe militärische Macht, Funktion,

Besitz und damit einen hohen gesellschaftlichen Status inne. Die in Bîcul Haiducul

genannten Anführer beispielsweise herrschen über eine Region oder Besfestigungsanlage.

Auch Mustafa, Protagonist der Geschichte Niculca scheint über zwei Regionen oder Städte

zu herrschen und hat soviel Geld, daß er es schaufelweise ausgibt. Die auftretenden

Herrschergestalten sind überaus vermögend. Sie sind im Besitz von auserlesenen Pferden,

von Edelsteinen, Smaragden, Geld, Silbermünzen, Talern und Goldmünzen (cf. Gruia a lui

Novac, Iancul Mare, Vîlcan). Die rumänischen Haiducken begegnen dem Türken in erster

Linie in Konstantinopel / Ţarigrad, dann an der Donau und in den rumänischen Städten

Vidin, Giurgiu, Galaţi und Brăila. Mit diesen Ortsnamen sind Toponyma genannt, die

bedeutende Referenzpunkte in der Geschichte der osmanisch-rumänischen Kontakte und

Konflikte waren.

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28. Strategien der Konzeptualisierung des Anderen

Die Analyse unserer spanischen und rumänischen Quellentexte hat folgende

Porträtierungen an die Oberfläche gebracht: Der maurische Protagonist der spanischen

Romanzen wird in einer Reihe von Beschreibungselementen tendenziell einheitlich

dargestellt. Er ist namentlich individualisiert, er ist als Deszendent hoher Abstammung, als

Mitglied einer Clangesellschaft, als Gesellschaftsfreudiger, als Mann von Stattlichkeit und

Stärke, als prachtvoll Gekleideter, er ist charakterlich in auffallend redundanter Weise als

ein Mann von Tapferkeit, aber auch von Stolz und Falschheit, er ist als Todfeind des

Christen, als leidenschaftlich Liebender, als ständiger Träger eines Krummsäbels oder von

anderen Waffen, als durch seine Sprache Gekennzeichneter, als Person hohen Rangs,

vermögend und topographisch unmittelbar mit dem historischen Reich von Granada

verbunden, porträtiert. Der türkische Protagonist der rumänischen Balladen wird ebenso in

einer Reihe von Beschreibungselementen tendenziell einheitlich dargestellt. Er ist in

überwiegender Mehrheit namentlich prototypisch erfaßt als „der Türke“, er ist mit

Kriegsabsichten verbunden, pflegt besondere kulturelle Sitten, kommt aus südöstlicher

Richtung, hat charakteristische Gesichtsmerkmale, ist körperlich schwach, geistig einfältig,

moralisch bösartig, religiös falschgläubig. Er frönt vielen Leidenschaften, er charakterisiert

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sich sprachlich auf besondere Art, ist vermögend und unmittelbar mit Konstantinopel und

Ortschaften der südlichen Donauregionen in Zusammenhang zu bringen.

Ein Vergleich des spanischen mit dem rumänischen Porträt zeigt, daß die Beschreibung des

„jeweiligen Anderen“, des Mauren und des Türken, asymmetrisch ist und sich nicht in

allen Beschreibungsparametern deckt. Der rumänische Interpret stellt beispielsweise die

kulturelle Welt seiner Erzählfiguren differenzierter und reicher dar, als dies der spanische

Dichter tut. In den spanischen Texten sind es ausnahmslos die zambra bzw. der saraos,

'eine gesellschaftliche Zusammenkunft bei Musik und Tanz' oder das juego de caña 'eine

Art von Turnier zu Pferd', die als einzige Hinweise auf die kulturelle Welt der inszenierten

Figuren erwähnt bzw. deren Ablauf skizziert wird. Balladen spiegeln im allgemeinen

mehrere Aspekte der Kultur der türkischen Welt wider. Zu diesen Aspekten gehört

beispielsweise eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft. Wie gezeigt wurde, treten in

den Balladen unterschiedliche türkische Führergestalten auf, die Untergebene

kommandieren, ihrerseits jedoch dem Sultan unterstehen. Wie aus den Erzählungen

hervorgeht, scheinen Türken kein Schweinefleisch zu essen, sie scheinen Almosen zu

entrichten und es gibt für sie bestimmte Moralvorstellungen, die den Konsum von Wein

betreffen. Während der maurische Protagonist der spanischen Romanzen beispielsweise in

seinen geistigen Fähigkeiten kaum, jedoch in seiner äußeren Erscheinung überaus

detailreich und redundant erfaßt wird, wird der Türke der rumänischen Balladen sehr

deutlich als überwiegend dumme Gestalt, und was seine Bekleidung und Ausstattung

betrifft, überhaupt nicht thematisiert. Einem immerzu sehr prachtvoll gekleideten Mauren

steht ein Türke gegenüber, dessen äußeres Erscheinungsbild in den Balladen nicht

reflektiert wird. Spanische Romanzen erzählen hingegen selten etwas über die

geographische Herkunft, kaum etwas über das Alter der maurischen Protagonisten und nur

oberflächlich etwas über ihr Aussehen, kennzeichnende Gesichtsmerkmale der Mauren

fehlen. Einer ausschließlich als „stattlich“ beschriebenen Maurenfigur steht ein

schnautzbärtiger, kleinäugiger und kraushaariger Türke gegenüber. Die literarische

Repräsentation des Anderen, die wir in ihrer schriftlichen Fixierung untersucht haben, zeigt

sich in den Romanzen und Balladen als differenzierte, die Konzeptualisierung der

Fremdfigur als selektivierende.

Stellen wir das spanische Porträt des Mauren dem rumänischen Porträt des Türken

gegenüber, ergeben sich auffällige Kontraste, was die Bezeichnung und die Rollenfunktion

der beiden Figuren innerhalb der einzelnen Texte betrifft. Dem generell einzeln

auftretenden Mauren steht meist eine überwiegende Mehrzahl türkischer Protagonisten

gegenüber. Zugleich entspricht dem in der Regel namentlich bezeichneten Mauren der

Romanzen ein im allgemeinen namenloser Türke in den Balladen. Während dem erst

genannten Protagonisten also eine (namentliche) Identität verliehen wird, bleibt der Türke

der rumänischen Balladen tendenziell identitätslos. In der Regel ist der Maure die primäre

Erzählfigur, der Türke hingegen tritt in der Rolle einer sekundären oder einer Anti-Figur

auf, die im wesentlichen dazu dient, die Größe, Besonderheit, Stärke des rumänischen und

eigentlichen Protagonisten zu kontrastieren und hervorzuheben. Während also aus der

spanischen Perspektive heraus der Maure als eine Figur mit eigenständiger Identität

konzipiert wird, wird der Türke in der rumänischen Perspektive dem Rumänen

untergeordnet. Hierzu fällt desweiteren auf, daß der Türke, wie es die Analysen gezeigt

haben, sehr oft von dem rumänischen Protagonisten vollständig vernichtet wird, während

es in den Romanzen die Mauren sind, die Christen töten. Diese unterschiedlichen

Gestaltungen des Mauren und des Türken zeigen, daß der Andere konzeptuell auf

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verschiedene Identitätsstufen gestellt werden kann. Er kann als eigenständige Identität

neben der eigenen konzeptualisiert oder der eigenen untergeordnet werden.

Wie aufgrund der Einzelanalysen gut ersichtlich wurde, ist der Maure der Romanzen ein

ständig Verliebter und, aufgrund seiner Gefühle der Liebe, zutiefst Gequälter. Er ist die

personifizierte Liebesleidenschaft. Auch in den Balladen wird der türkische Protagonist mit

Leidenschaften assoziiert - er liebt den Tabak, die Spiele, das Wetten, die Pferde, den

Kaffee und den Wein -, aber auch mit der Vorstellung von Leid, das er verursacht. Die

Darstellung der Leidenschaft des Mauren und des Türken sowie, andererseits, der

Verursachung von Leid durch den Türken/Tataren ist überaus redundant und wirkt stark

emotionalisierend.

Vergleichen wir die beiden aus den Analysen deduzierten Fremdporträts ergibt sich eine

auffallende Parallele. Im Vergleich unserer Quellen tritt die Figur des Mauren in einer

stärker historisierten Welt (cf. die vielen Namen historischer Persönlichkeiten und Sippen,

Toponyma, die Erwähnung historischer Schlachten, etc.), der Türke hingegen in einer

Erzählwelt auf, die stark an die mythologische Welt des Märchens erinnert. Obwohl beide

Fremdfiguren also in ganz unterschiedlicher Weise kontextualisiert werden, erweist sich

die moralische Darstellung des jeweiligen Fremden in den beiden Textreihen unter allen

Beschreibungsparametern als die expliziteste und sie basiert im wesentlichen auf fast

denselben semantischen Beschreibungselementen. Der Maure wird mit den folgenden, in

ihrer Reihenfolge signifikanten Eigenschaften dargestellt: Kampfgeist, Tapferkeit und

damit verbundene Ehrenhaftigkeit, sowie Unbeherrschtheit, Streit-, Angriffs-, Rachsucht,

Zorn, Stolz, Hochmut, Niederträchtigkeit, Falschheit, Feigheit. Die charakteristischen

Eigenschaften des Türken sind - in ebenso signifikanter Reihenfolge - Feigheit,

Schlechtigkeit, Grausamkeit, Falschheit, Jähzornigkeit, (Geld-)Gier, Arroganz, Sturheit,

Schadenfroheit, Barmherzigkeit.

Die vorangehende Auflistung zeigt, daß die Darstellung des Mauren und des Türken

grundsätzlich in sich dichotom ist und einundderselben Figur mitunter auch gegensätzliche

Eigenschaften zuschreibt. Beispielsweise tritt in vielen Balladen neben mehreren als

„dumm“ bezeichneten Türken, ein listiger auf, der sich nicht betrügen läßt. Manchmal

zeigen die generell sehr grausam dargestellten Türken Mitgefühl und Barmherzigkeit. Die

Analysen haben sehr deutlich gezeigt, daß die Porträtierung des Mauren und des Türken im

Grunde eine doppelte ist, eine vom moralischen Standpunkt aus gesprochen, stärker positiv

konnotierte und eine stärker negativ konnotierte. Auch die Romanzen, die traditionell als

maurophile Literatur gelten, enthüllen in ihrer Tiefenstruktur durchaus auch ein negativ

gezeichnetes Bild ihrer Protagonisten. Vergleichen wir die Bilder des Mauren und des

Türken, wie sie aufgrund der Analysen erkennbar werden, ist ersteres tendenziell positiver,

zweiteres tendenziell negativer konzipiert. Während auf der Iberischen Halbinsel die

Christen die arabische Herrschaft Ende des 15. Jahrhunderts definitiv beendet haben, war

die Türkengefahr für die Rumänischen Länder über rezentere Jahrhunderte viel stärker

gegenwärtig und könnte in die Negativisierung des Türkenbilds als einzige Möglichkeit der

Verteidigung eines bedrohten Selbswertgefühls der Rumänen geführt haben.

Die Darstellungen des Mauren und des Türken haben sich in beiden untersuchten

Textreihen als hochgradig stereotyp erwiesen, sie rekurrieren auf Vorstellungen, die sich

konstant und mit großer Redundanz wiederholen. Die Konzeptualisierung des maurischen

und türkischen „Anderen“ hat sich desweiteren als selektiv erwiesen, da bestimmte

Parameter thematisiert, andere in der Porträtierung der Fremdgestalt nicht berücksichtigt

werden. Im Vergleich mit der historischen Situation in Al-Andalus und in den türkisch

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dominierten Rumänischen Ländern, wie sie aus der Geschichte rekonstruierbar ist, zeigt

sich, daß die paraliterarische Darstellung des Anderen reduktionistisch und in gewissem

Sinn abstrakt ist, indem sie die historische Realität nur skizzenhaft und verallgemeinernd

widerspiegelt. Die Konzeptualisierung des Anderen hat sich aufgrund der erzählten

emotiven Inhalte und moralischen Handlungen stark emotionalisierend und unterschiedlich

konnotierend, stärker positiv in der spanischen Perspektive, stärker negativ in der

rumänische Perspektive, erwiesen. Dieser dichotomen Re-Konstruktion der Fremdfigur

könnte ein anthropologischer Mechanismus unseres Bewußtseins zugrundeliegen, ein

Mechanismus, der das Andersartige in antagonistischen Freund-/Feindbildern konzipieren

läßt. Sprachwissenschaftliche Untersuchungen, wie die hier gezeigte, können

möglicherweise einen wichtigen Beitrag zur Erkennung anthropologisch verankerter

Bewußtseinsprozesse liefern, in dem sie sprachlich fixierte Denkstrategien freilzulegen

vermögen.

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