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Victor Hugo Der Glöckner von Notre-Dame Roman Aus dem Französischen von Franz Kottenkamp Anaconda

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Victor Hugo

Der Glöcknervon Notre-Dame

Roman

Aus dem Französischenvon Franz Kottenkamp

Anaconda

Titel der französischen Originalausgabe:Notre-Dame de Paris (Paris 1831)

Die Übersetzung aus dem Französischen von Franz Kottenkampwurde durchgesehen und behutsam modernisiert.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Datensind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung© Aufbau Media Betreuungsgesellschaft mbH, Berlin 2005, 2009© dieser Ausgabe 2014 Anaconda Verlag GmbH, KölnAlle Rechte vorbehalten.Umschlagmotiv: Arthur Ranson, »The Hunchback of Notre Dame«,Private Collection / © Look and Learn / bridgemanart.comUmschlaggestaltung: www.katjaholst.dePrinted in Czech Republic 2014ISBN [email protected]

Inhalt

Vorwort des Verfassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Der große Saal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Peter Gringoire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23Der Herr Kardinal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Meister Jakob Coppenole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Quasimodo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48Die Esmeralda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Von der Szylla in den Charybdis . . . . . . . . . . . . . . . 57Der Grèveplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Besos para golpes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60Entstehende Ungelegenheiten, wenn man einem

hübschen Mädchen des Nachts in den Straßen nachläuft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Der zerbrochene Krug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Die Brautnacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Die Kirche Notre-Dame . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101Gute Herzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108Claude Frollo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Immanis pecoris custos, immanior ipse . . . . . . . . . . 114Der Hund und sein Herr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121Abbas Beati Martini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125Dieses wird jenes töten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136Unparteiischer Blick auf den alten Richterstand . . . 148Das Rattenloch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156Geschichte eines Maiskuchens . . . . . . . . . . . . . . . . . 158Eine Träne für einen Tropfen Wasser . . . . . . . . . . . . 176Es ist gefährlich, einer Ziege ein Geheimnis

anzuvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185Priester und Philosoph sind zweierlei . . . . . . . . . . . . 200

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Die Glocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209’ΑNAΓKH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212Die beiden Schwarzröcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223Sieben Flüche in freier Luft und ihre Folgen . . . . . . 229Das Gespenst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233Vom Nutzen der Fenster, die nach dem Fluß

hinausgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241Der verwandelte Taler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249Lasciate ogni speranza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265Die Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278Drei verschieden gebildete Männerherzen . . . . . . . . 282Das Fieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297Bucklig, einäugig, hinkend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306Taub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310Steingut und Kristall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313Der Schlüssel der roten Tür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324Gringoire hat mehrere gute Einfälle . . . . . . . . . . . . . 330Werde Landstreicher! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340Es lebe die Lust! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342Ein ungeschickter Freund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349Ludwig XI. in der Bastille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366Der kleine Schuh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397La creatura bella bianco vestita . . . . . . . . . . . . . . . . 436Des Phoebus Heirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444Im Tod vereint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

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Vorwort des Verfassers

Vor einigen Jahren, als der Verfasser dieses Buches dieKirche Notre-Dame besuchte oder vielmehr genau durch-forschte, sah er in einem dunklen Winkel eines Turmes dasWort ’ΑNAΓKH* in die Mauer gegraben. Diese griechi-schen und vor Alter geschwärzten Buchstaben waren tiefin den Stein geschnitten. Ihr eigentümlich gotischer Cha-rakter und ihre Stellung ließen erkennen, daß die Inschriftim Mittelalter entstanden war. Dieses alles, besonders aberder düstere, verhängnisvolle Sinn des Wortes machte aufden Verfasser tiefen Eindruck.

Er suchte zu erraten, welche schmerzgebeugte Seelenicht von der Erde scheiden wollte, bevor sie dieser alten,ehrwürdigen Kirche solch Brandmal eines Verbrechensoder Unglücks aufgedrückt hatte.

Seitdem ist die Mauer neu übertüncht worden und dieInschrift ist verschwunden. Seit zweihundert Jahren ver-fährt man ja auf diese Weise mit den wunderbaren Kirchendes Mittelalters. Verstümmelungen dringen von innen undaußen auf sie ein, der Priester läßt sie anstreichen, der Ar-chitekt sie abkratzen; endlich stürzt das Volk herbei undreißt sie nieder.

Außer dem vergänglichen Denkmal, das der Verfasserdieses Buches dem geheimnisvollen Wort im düstern Turmvon Notre-Dame hier weiht, ist gegenwärtig jegliche Spurdes unbekannten Schicksals verschwunden, das jenes Wortso schwermütig andeutete. Die Person, die dieses Wort auf die Mauer zeichnete, erlosch schon seit Jahrhunderten

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* Griechisch: Verhängnis, Schicksal.

aus den Menschengeschlechtern, das Wort erlosch an derMauer der Kirche, vielleicht wird auch die Kirche einst vonder Erde verschwinden.

Dieses Wort wurde die Veranlassung zu diesem Buch.Im März 1831.

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Der große Saal

Am Morgen des 6. Januar 1482 erwachten die Pariserbeim Lärm aller Glocken, die im dreifachen Bereiche derAltstadt, der Universität und der Südstadt sämtlich undlaut erklangen. Übrigens ist das kein Tag, dessen die Ge-schichte einer Erwähnung würdigte. In dem Ereignis, dasseit der Morgenröte Bürger und Glocken von Paris in Be-wegung setzte, lag eben nichts Außerordentliches, das derAufzeichnung wert war. Es galt weder einen Sturm der Pi-cardier oder Burgunder, noch einen Einzug unseres sehrgefürchteten Herrn, des Königs, noch endlich ein Hängenvon Dieben oder Diebinnen von Seiten der Gerichtsbarkeitzu Paris. Es war nicht einmal der einer Gesandtschaft, mitStickerei und Federbüschen geschmückt. Erst vor zwei Ta-gen hatten die flamländischen Gesandten, welche die Ehedes Dauphins und der Margarete von Flandern schließensollten, zum großen Verdruß des Kardinals von Bourbonihren Einzug in Paris gehalten; denn dieser mußte dem Kö-nig zu Gefallen den bäurischen Schwarm flamländischerBürgermeister mit heiterem Antlitz empfangen und sie inseinem Hotel von Bourbon mit einem sehr schönen Mo-ralitäts-, Lust- und Possenspiel bewirten, während einPlatzregen seine prächtigen Wandteppiche vor seiner Türüberschwemmte.

Am 6. Januar war das ganze Volk von Paris, wie Jehanvon Troyes erzählt, durch eine doppelte, seit undenklichenZeiten vereinigte Feier in Bewegung gesetzt, durch den Tagder Heiligen Drei Könige und das Narrenfest. An dem Tagbrannte ein Freudenfeuer auf dem Grèveplatz; ein Mai-baum war an der Kapelle von Braque aufgepflanzt, und ein

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Mysterium wurde im Justizpalast gegeben. Am Tag vorherwar dieses auf den Kreuzwegen von den Leuten des HerrnPrévot, in schönen Röcken von veilchenblauem Kamelottmit weißen Kreuzen auf der Brust, öffentlich ausgerufenworden. Häuser und Buden waren geschlossen und dasGedränge der Bürger und Bürgerinnen wogte schon seitdem Morgen von allen Seiten auf einen der bezeichnetenOrte zu. Jeglicher hatte sich seinen Platz schon gewählt,der eine das Freudenfeuer, der andere den Maibaum, einanderer das Mysterium. Zum Ruhm des alten gesundenMenschenverstandes der Pariser Maulaffen müssen wirhier berichten, daß der größere Teil des Gedränges zumFreudenfeuer, das für die Jahreszeit durchaus sich eignete,oder zum Mysterium hinwogte, das im wohlverschlosse-nen und bedeckten Hauptsaal des Palais gegeben werdensollte. Die Neugierigen waren sämtlich übereingekom-men, den armen Maibaum ohne Blütenschmuck ganzallein im Januarwinde auf dem Kirchhof der Kapelle vonBraque klappern zu lassen.

Hauptsächlich strömte das Volk in die Zugänge des Ju-stizpalastes; denn man wußte, die vor zwei Tagen ange-kommenen flamländischen Gesandten würden bei derVorstellung des Mysteriums und bei der Wahl des Nar-renpapstes, die ebenfalls im Hauptsaal des Palais gesche-hen sollte, gegenwärtig sein.

Es war nicht leicht in das Innere zu dringen, obgleich der Saal damals für den größten bedeckten Raum in derganzen Welt galt. Der mit Volk gefüllte Platz vor dem Pa-last bot den Neugierigen an den Fenstern der Häuser denAnblick eines Meeres, wohin fünf oder sechs Straßen,gleich Mündungen von Flüssen, stets neue Fluten vonKöpfen ausgossen. Die Wogen dieses stets schwellendenGedränges brachen sich an den Ecken der Häuser, die hierund da gleich Vorgebirgen in das unregelmäßige Becken

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des Platzes vorsprangen. Im Mittelpunkt der gotischenVorderseite des Palastes wogte auf der großen Treppe eindoppelter Strom Hinauf- und Hinabsteigender auf undnieder, der, nachdem er sich unter dem mittleren Auftrittgebrochen, in breiten Wellen die Seitenabhänge hinabfloß.So rieselte es die Haupttreppe hinab, unaufhörlich auf denPlatz, wie ein Wasserfall in einen See. Geschrei, Lachen,Trampeln von tausend Füßen erweckte ungeheuren Lärm.Von Zeit zu Zeit wurde dieser verdoppelt; der Strom, derdas Gedränge zur Haupttreppe trieb, brauste zurück undwirbelte. Der Rippenstoß eines Bogenschützen oder dasPferd eines Sergeanten der Prévoté, der die Ordnung wie-derherstellte, verursachte diese Wirren. An den Türen, anden Fenstern, zu den Dachluken heraus, auf den Dächernwimmelten zu Tausenden wackere Bürgerfiguren, ruhigund ehrenfest, den Palast, die Menge anguckend, ohneweitere Ansprüche; denn von der Pariserschaft begnügtsich die Mehrzahl, nur die Zuschauer zu beschauen; eineMauer, hinter der sich irgend etwas ereignet, ist für unsschon ein hinreichender Gegenstand der Neugier.

Wenn der Leser damit einverstanden ist, so wollen wirversuchen, den Eindruck wiederzugeben, der auf ihn ge-wirkt hätte, wenn er, mit uns über die Schwelle jenes gro-ßen Saales treibend, mitten in das Gewühl geraten wäre. Imersten Augenblick summt es uns in den Ohren, schwimmtes uns vor den Augen, über unsern Häuptern erhebt sich ein doppeltes Spitzgewölbe, mit hölzernen Bildwerken aus-getäfelt, mit goldnen Lilien auf azurnem Grunde bemalt;unsere Füße betreten einen Estrich von wechselweise ge-legten, schwarzen und weißen Marmorplatten. EinigeSchritte weit von uns erhebt sich ein ungeheurer Pfeiler,weiterhin ein zweiter, – ein dritter, – in der ganzen Längedes Saales sieben, die in der Mitte seiner Breite die Kernedes Doppelgewölbes stützen. Rings um die vier ersten Pfei-

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