Der grüne Good Boy.

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30 31 GRUEN INTERVIEW BASTIEN GIROD Nationalrat Bastien Girod über Fair Food, seine Ambitionen als Bundesrat und über die Welt, in der seine Kinder aufwachsen sollen. Text: Nina Siegrist / Fotos: Marc Wetli Noch sind nicht alle Türklingeln der brandneuen Überbauung in Zürich-West beschriftet. Ein Name aber sticht ins Auge: «Girod», steht da auf einem der silbernen Schilder – und wer sich beim Hauseingang etwas genauer umschaut, der entdeckt das vermutlich meistfotografierte Politiker- Velo der Schweiz: Bad Boy, so heisst der Drahtesel von Bastien Girod, 33, National- rat und Mitglied des Vizepräsidiums der Grünen. Bad Boy hat schon ein paar Jähr- chen auf dem Buckel, und Girod selbst ist mittlerweile ein ganz schöner Good Boy: Statt auf provokante Aktionen (man erin- nere sich an den Nacktprotest gegen Leibes- visitationen der Polizei) setzt der ehemalige Greenpeace-Aktivist heute auf politische Debatten. Er ist verheiratet und folgt den veganen Ernährungstipps von Ehefrau Ellen. Ihre gemeinsame Wohnung sieht dank viel Gussbeton und schlichten Möbeln aus, wie einem «Schöner wohnen»-Magazin entnommen. Und der Hausherr selbst setzt sich adrett frisiert und in perfekt gebügel- tem Hemd an den langen Holzesstisch. GRUEN: Herr Girod, für einen Grünen wohnen Sie ganz schön ungrün. Ungrün würde ich nicht sagen. Wir leben einfach urban. Im Moment ist das perfekt: Ich kann mit dem Velo über die Viaduktbögen zur Arbeit an die ETH fahren. Der Bahnhof Hardbrücke ist ein paar Schritte entfernt, und mit der S-Bahn ist man innert Minuten auf dem Land. So belasten wir die Umwelt kaum mit unserer Mobilität. Haben Sie vor dem Wohnungskauf auf die Bauart des Gebäudes geachtet? Der grüne Good Boy Girod online www.bastiengirod.ch www.twitter.com/bastiengirod Seine Partei www.gruenezuerich.ch www.gruene.ch Bastien Girod, 33, wuchs in Biel auf. Er studierte Umweltwissenschaften an der ETH, war Gründungs- mitglied der Jungen Grünen Zürich. 2007 trat er in den Nationalrat ein.

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Interview über Fair Food mit Bastien Girod im Magazin "SI Gruen".

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Nationalrat Bastien Girod über Fair Food, seine Ambitionen als Bundesrat und über die Welt, in der seine Kinder aufwachsen sollen. Text: Nina Siegrist / Fotos: Marc Wetli

Noch sind nicht alle Türklingeln der brandneuen Überbauung in Zürich-West beschriftet. Ein Name aber sticht ins Auge: «Girod», steht da auf einem der silbernen Schilder – und wer sich beim Hauseingang etwas genauer umschaut, der entdeckt das vermutlich meistfotografierte Politiker-Velo der Schweiz: Bad Boy, so heisst der Drahtesel von Bastien Girod, 33, National-rat und Mitglied des Vizepräsidiums der Grünen. Bad Boy hat schon ein paar Jähr-chen auf dem Buckel, und Girod selbst ist mittlerweile ein ganz schöner Good Boy: Statt auf provokante Aktionen (man erin-nere sich an den Nacktprotest gegen Leibes-visitationen der Polizei) setzt der ehemalige Greenpeace-Aktivist heute auf politische Debatten. Er ist verheiratet und folgt den

veganen Ernährungstipps von Ehefrau Ellen. Ihre gemeinsame Wohnung sieht dank viel Gussbeton und schlichten Möbeln aus, wie einem «Schöner wohnen»-Magazin entnommen. Und der Hausherr selbst setzt sich adrett frisiert und in perfekt gebügel-tem Hemd an den langen Holzesstisch. GRUEN: Herr Girod, für einen Grünen wohnen Sie ganz schön ungrün. Ungrün würde ich nicht sagen. Wir leben einfach urban. Im Moment ist das perfekt: Ich kann mit dem Velo über die Viaduktbögen zur Arbeit an die ETH fahren. Der Bahnhof Hardbrücke ist ein paar Schritte entfernt, und mit der S-Bahn ist man innert Minuten auf dem Land. So belasten wir die Umwelt kaum mit unserer Mobilität.Haben Sie vor dem Wohnungskauf auf die Bauart des Gebäudes geachtet?

Der grüne Good Boy

Girod online www.bastiengirod.ch www.twitter.com/bastiengirod Seine Partei www.gruenezuerich.ch www.gruene.ch

Bastien Girod, 33, wuchs in Biel auf. Er studierte Umweltwissenschaften an der ETH, war Gründungs-mitglied der Jungen Grünen Zürich. 2007 trat er in den Nationalrat ein.

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„Als Kind wollte ich eine Kuh, schwenkte dann auf Schaf oder Ziege um und bekam am Ende dann Hühner. Ich wollte unbedingt Bauer werden.“

Ja. Wir wohnen in einem Minergiehaus. Wir hätten eine noch ökologischere Miner-gie-P-Wohnung vorgezogen, aber in Zürich hat man da leider nicht so eine Wahl.Sie hatten schon in Ihrer Kindheit in Biel eine Affinität zur Natur, haben Bienen aus dem Brunnen gerettet und wünschten sich eine Kuh als Haustier … … erst wars eine Kuh, dann folgten grosse Verhandlungen mit den Eltern, ich schwenkte auf Schaf oder Ziege um und bekam am Ende dann Hühner. Ich wollte unbedingt Bauer werden.Wuchsen Sie in einem sehr ökologischen Umfeld auf?

Meine Eltern waren nicht politisch aktiv, wir sind auch mal mit dem Renault Espace nach Italien gefahren. Aber meine Familie war schon umweltbewusst und sozial engagiert. Auf den Esstisch kamen vor allem lokale Produkte, rundherum sassen vier bis sechs meiner Geschwister. Es wurde viel debattiert, auch über Umweltschutz. Das hat mich geprägt.Sie haben die Steiner-Schule besucht. Das hat Sie sicher beeinflusst.In gewisser Weise bestimmt. Als Teil des Unterrichts habe ich beispielsweise ein Landwirtschaftspraktikum auf einem Bio-Hof absolviert. Vor allem aber hat mich

Fair-Food-Initiative www.fair-food.ch www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis452.html www.eidgenoessische-abstimmungen.ch/fair-food-initiative- abstimmung-gruene-partei Ellen Girod www.twitter.com/ellengirod http://about.me/ellengirod Vegane Ernährung www.vegan.ch

Girod auf seinem Arbeitsweg an die ETH, vorbei an den Zürcher Viadukt bögen. Immer dabei: sein Velo Bad Boy.

die Steiner-Schule vor Negativerlebnissen bewahrt: Ich war Legastheniker, konnte bis zur achten Klasse kaum einen geraden Satz schreiben. Das hätte mich in der staatlichen Schule mehr gekostet. In der Steiner-Schule war das in Ordnung, es gab ja andere Fächer, die mir besser lagen. So habe ich keinen Komplex entwickelt, ging voller Selbstbewusstsein an die Gymi-Prüfung, wo ich in Deutsch und Franzö-sisch ziemlich versagte. Zum Glück war ich in Mathe gut.Erinnern Sie sich an Ihren ersten Einsatz als Umweltschutzaktivist? Nein – aber ich erinnere mich an den spektakulärsten: ein Protest gegen den Erdölmulti Esso 2004. Wir hatten uns vor den Eingang des Hauptsitzes in England gekettet. Nach zwölf Stunden durchtrennte eine Spezialeinheit die Ketten. Wir wurden verhaftet, aber nach einer Nacht im Gefängnis wieder entlassen.Als Aktivist wollten Sie für Ihre Einsätze sogar Gleitschirmfliegen lernen. Das hab ich auch gemacht, ich hab vierzig Flüge absolviert! Gebraucht hab ichs aller-

dings nie, in dieser Zeit musste ich mich nämlich entscheiden, ob ich meinen Weg als Aktivist oder als Politiker weitergehe. Ich hab mich für Letzteres ent schieden, weil ich gemerkt habe, dass mir verbale Auseinandersetzungen liegen.Vermissen Sie die «wilde Zeit» als Green- peace-Aktivist?Manchmal ja. Für seine Überzeugungen mit ganzem Körpereinsatz einzustehen, beispielsweise eine Bohrung in der Ant-arktis aufzuhalten, hat schon seinen Reiz.Apropos Körpereinsatz: Ihre Ehefrau Ellen ernährt sich mehrheitlich vegan – essen Sie nun auch kein Fleisch mehr? Ich esse wenig Fleisch und wenn, dann möglichst Schwein und Poulet anstatt Rind, das ist weniger umweltbelastend. Vegane Menüs schmecken mir aber sehr, da gibt es viele kreative Rezepte und ein immer grösseres Angebot.Trotzdem vertrauen Sie nicht allein auf den Markt und wollen mit der Fair-Food-Initiative das Lebensmittel-angebot reglementieren. Ja. Ein Beispiel: Wenn ich im Restaurant

meine Pizza mit Parma-Schinken bestelle, weiss ich nie genau, woher dieses Fleisch kommt. Mit der Fair-Food-Initiative wollen wir gewisse Mindeststandards für Tierwohl, Umwelt und soziale Arbeits-bedingungen politisch verankern, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Niemand will Fleisch aus Tierfabriken in China, in denen die Tiere mit Antibiotika vollgestopft werden. Aber der einzelne Konsument ist schlecht organisiert und hat viel zu wenig Einfluss. Es braucht politische Instrumente, um vor allem bei den Importprodukten sicherzustellen, dass sie einigermassen nachhaltig hergestellt werden – allein schon aus Fairness gegen-über den Schweizer Produzenten, die bereits sehr hohe Standards erfüllen.Sie selbst gehören zur Kategorie der DINKS – doppeltes Einkommen, keine Kinder. Wie aber sollen sich Familien teure Bio-Produkte leisten können?Fairness und Umweltfreundlichkeit sind nicht unbedingt kostspieliger. Wenn man schaut, wie viel teurer ein Fair-Trade- Kaffee ist, dann sind das am Ende

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Für den Geschmack meiner Berge.

Für unsere Berge. Für unsere Bauern.

In der Bündner Höhenluft in Sufers entsteht auf 1430 Metern ü. M. der Bergkäse von Dionis Zinsli. Raues Klima, aroma-tische Bergmilch und stolze Käserkunst schaffen hier zusammen ein unverwechselbares Pro Montagna Produkt. Auch in Zukunft: Denn bei jedem Kauf fl iesst ein Solidaritätsbeitrag an die Coop Patenschaft für Berggebiete. Damit unsere Berge weiter bewirtschaftet werden. Und wir Unterländer auch morgen noch echte Bergprodukte geniessen dürfen. www.coop.ch/promontagna

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Girods Arbeit und Publikationen www.sustec.ethz.ch/people/bgirod www.weltbild.ch/3/16873104-1/buch/green-change.html

„Grundsätzlich ist der Job eines Bundesrats sehr spannend – aber da fehlt mir noch etwas die Exekutiverfahrung.“

nicht mal fünf Rappen pro Tasse – die grösste Marge hat ja nicht der Kaffeebauer, sondern der Zwischenhändler. Proble-matisch ist, dass solche Produkte oft nur im Reformhaus erhältlich sind, und da kosten sie aus anderen Gründen etwas mehr Geld. Im Migros oder Coop sind die Bio-Produkte aber nur unwesentlich teurer und meist sogar günstiger als Markenprodukte.Sie setzen sich auch für eine grüne Wirtschaft ein. In welchen Bereichen sehen Sie den grössten Handlungsbedarf? In der Fliegerei und beim Fleisch fehlen uns definitiv noch innovative Ideen. Es gibt einige gute Ansätze wie beispiels-weise das Start-up Eaternity, das klima-freundliche Menüs auszeichnet und zusammen mit Kantinen und Restaurants erarbeitet. Aber die Forschung hat noch keine Alternative zum Fleisch hervor-gebracht, die geschmacklich genauso über-zeugt. Noch gibt es keine klimafreund-lichen Flieger – und die Tatsache, dass Flüge momentan teilweise weniger kosten als Zugreisen, ist mehr als bedenklich.In was für einer Welt sollen Ihre Kinder aufwachsen? Ich hoffe, dass sie ihren Strombedarf komplett mit Wind-, Sonnen- und Wasser-kraftenergien decken können und sich mit Elektromobilen oder Wasserstoff-fahrzeugen fortbewegen. Und ich würde mir wünschen, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich geringer ist, nicht mehr auf der einen Seite Menschen verhungern und auf der anderen Seite Essen weggeworfen wir.

Und wann gibts einen grünen Bundesrat?Schwer zu sagen. Erfolgschancen sehe ich dann, wenn sich Grüne und Grün liberale auf einen Kandidaten einigen.Werden Sie das sein? Grundsätzlich ist es ein sehr spannender Job, aber da fehlt mir noch etwas die Exekutiverfahrung. Wenn schon ein grüner Bundesrat, dann wird er erst mal grün sein – und nicht auch noch jung.In Ihrer wissenschaft lichen Arbeit befassen Sie sich mit Glücks faktoren. Sie haben darüber bereits ein Buch verfasst. Ganz akademisch betrachtet: Sind Sie glücklich? Ja! Natürlich ist man immer am Optimieren. Glück kommt nicht auto-matisch, und unser ein-ziger Ratgeber ist heute oftmals die Werbung, die vortäuscht, man müsse gewisse Dinge kaufen, um glücklich zu sein. Das führt zu Überarbei-tung, Stress und immer mehr Burnouts. Wenn man aber wirklich mal über Glück nachdenkt und andere Leute fragt, was sie glücklich macht, findet man heraus, dass es beispielsweise sehr entscheidend ist, einen erfüllenden Beruf zu

wählen. Deshalb bin ich auch der Ansicht, dass man das Thema Glück als Schulfach in den Lehrplan integrieren müsste.Haben Sie einen Tipp für ein glück-licheres – und nachhaltigeres – Leben?Ballast abwerfen, den Besitz verringern und sich bei allen Dingen, die man kauft, fragen, ob man sie in drei Wochen immer noch will. So bleibt mehr Zeit für das, was wirklich glücklich macht: Hobbys, Familie und Selbstbestimmung.

DER GRUEN-FOOTPRINT

Der GRUEN-Footprint wurde vom WWF Schweiz für SI GRUEN entwickelt. Der Test soll für den Alltag sensibilisieren und Spass bereiten. Berechnen Sie Ihren eigenen Footprint auf den Seiten 16 und 17.

Wie grün ist Bastien Girods Homeoffice?

Total Punkte 42

1 Gerätezahl 4

2 Technologie 3

3 Abschalten 2

4 Ersetzen 7

5 Entsorgen 6

6 Neukauf 6

7 Papierverbrauch 6

8 Strombezug 8

42 Punkte = Top! Der grüne Politiker wird seinem Ruf gerecht. Zu Hause bezieht Bastien Girod zertifizierten Ökostrom, er

besitzt keinen Drucker und vergeudet dadurch nicht unnötig Papier.