DER INDER WILL ZUR BRONX · Das ist’n Türke, Du Arschloch. Guck Dir doch bloß mal den schrillen...

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DER INDER WILL ZUR BRONX (The Indian wants the Bronx) Stück von Israel Horovitz Deutsch von Daniel Call Textbuch

Transcript of DER INDER WILL ZUR BRONX · Das ist’n Türke, Du Arschloch. Guck Dir doch bloß mal den schrillen...

DER INDER WILL ZUR

BRONX (The Indian wants the Bronx)

Stück von Israel Horovitz

Deutsch von Daniel Call

Textbuch

praabe
Rechteck

DER INDER WILL ZUR

BRONX (The Indian wants the Bronx)

Stück von Israel Horovitz

Deutsch von Daniel Call

Textbuch

Alle Rechte vorbehalten

Unverkäufliches Manuskript

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Wird das Stück nicht zur Aufführung angenommen, so ist das Buch umgehend zurückzusenden an:

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Personen:

Gupta, ein Inder

Joey

Murph

Ort:

Eine Bushaltestelle in der oberen Fifth Avenue in New York City.

Zeit:

Eine kühle Septembernacht.

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Als sich der Vorhang öffnet und das Licht aufblendet, erblicken wir Gupta, einen

Ostinder. Er steht alleine in der Mitte der Bühne, gleich unter dem

Bushaltestellenschild. Links eine Telefonzelle. Rechts einige Abfalleimer. Gupta ist in

den Fünfzigern. Er ist dunkelhäutig, aber nicht schwarz. Er ist bescheiden und hat

augenscheinlich Angst vor der Stadt. Er trägt ein traditionelles indisches Gewand,

den Septembertemperaturen angepasst. Gupta hält Ausschau nach dem Bus.

Angestrengt blickt er nach dem Horizont. Aus der Ferne hören wir die Stimme zweier

singender Jungs. Sie singen inbrünstig einen Rock’n Roll Song; versuchen, zu

harmonisieren.

JOEY auftretend

I walk the lonely streets at night,

A’lookin’ for your door,

I look and look and look and look,

But, Baby, you don’t care.

Baby, you don’t care.

Baby, no one cares.

Murph folgt und unterbricht ihn.

MURPH

Warte mal ne Minute, Joey. Ich übernehme die Harmonie. Hör zu.

(Er singt:)

But, baby, you don’t care,

Baby, you don’t care,

Baby, no one cares.

Überzeugt, die Harmonie perfekt eingefangen zu haben, prahlt er…

MURPH

Siehst Du? Ich hab den Dreh raus, was Harmonien angeht. Du

übernimmst den tieferen Part.

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MURPH + JOEY singen zusammen

I walk… the lonely, lonely street…

A’listenin’ for your heartbeat,

Listenig for your love.

But, Baby, you don’t care,

Baby you don’t care,

Baby, no one cares.

Joey ist ein schmächtiges Milchgesicht Anfang 20. Murph ist stärker gebaut, hat

langes Haar, selbes Alter. Murph dreht sich im Kreis, während Joey sich zu den

Abfalleimern bewegt.

MURPH singt

The lonely, lonely streets, called out for lovin’

But there was no one to love

‘cause Baby, you don’t care…

JOEY stimmt in den Gesang mit ein

Baby, you don’t care…

MURPH singt

Baby, you don’t care

Baby, you don’t care

Baby, no one cares

Baby, no one cares

Murph grölt in den Zuschauerraum, Richtung der Apartmenthäuser jenseits des

Parks.

MURPH

Hey, Pussyface! Hörst Du Deine Babys singen? Pussyface! Wir rufen

Dich!

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JOEY stimmt mit ein

Pussyface! Deine Babys besingen Deine Schönheit!

Sie lachen.

MURPH

Baby, no one cares.

JOEY + MURPH singen

Baby, no one cares

Baby, no one cares

MURPH brüllt

Pussyface! Interessiert Dich eh nicht, gottverfluchte Vollidiotin. (Er bemerkt

den Inder:) Hey! Guck mal! Ein Türke!

Joey stellt einen Fuß auf den Abfalleimer, betrachtet den Inder.

JOEY

Noch ne hübsche Visage. Nebenbei: Das ist kein Türke, das ist ein Inder.

MURPH singt

Baby, no one cares.

Er stolziert tänzelnd zu seinem Lied in Richtung des Inders. Dann wendet er sich

Joey zu, während er die Strophe beendet, und fingiert einen Boxkampf.

MURPH singt

I walk the lonely, lonely streets

A’callin’ out for loving

But, Baby, don’t give a Christ for

Nothin’… Not for nothin’

Murph tut so, als würde er Joey einen Haken versetzen. Joey strauchelt lachend.

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MURPH

Du bist bekloppt. Das ist’n Türke.

JOEY

Ich wette um nen Zehner – das ist’n Inder.

MURPH

Das ist’n Türke, Du Arschloch. Guck Dir doch bloß mal den schrillen Hut

an. (Grölt wieder über die Straße:) Hey, Pussyface! Joey denkt, wir haben

hier nen Inder! (Zu Joey:) Gib mir ne Kippe.

JOEY

Du schuldest mir schon ne ganze Schachtel, Murphy.

MURPH

Dann schulde ich Dir halt ne Schachtel. Gib mir ne Kippe.

JOEY

Wie wär’s mit einem *Bitte*?

MURPH

Wie wär’s, wenn ich Dir die Fresse poliere, wenn Du mit keine Kippe

gibst?

JOEY

Eine Kippe, eine Kopfnuss.

MURPH

Erst die Kippe.

JOEY

Du bist ein Schnorrer, Murphy.

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Als Joey die Schachtel auspackt, greift Murph sie sich, duckt sich hinter dem

Abfalleimer.

MURPH

Chance verpasst, Baby. (Grölt Richtung der Wohnhäuser:) Pussyface!

Joey hat seine Chance verpasst!

JOEY

Wir hatten ne Abmachung. Abmachung ist Abmachung. Du bist ein

Schnorrer, Murphy. Ein verdammter Schnorrer. (Richtung der

Wohnhäuser:) Hör mal, Pussyface! Murphy ist ein verdammter Schnorrer

und hat mir ne ganze Schachtel abgezogen! Null Respekt, Pussyface!

Und außerdem schuldet er mir ne Kopfnuss!

MURPH

Ich gebe Dir 20 Kopfnüsse, und wir sind quitt.

Er schlägt Joey gegen den Arm. Der Inder blickt auf, als Joey kreischt.

JOEY

Hey! Der Inder glotzt.

MURPH Joey erneut gegen den Arm boxend

Dein Inder ist’n Türke.

Joey greift Murph beim Arm, nimmt ihn in den Polizeigriff.

JOEY

Gib mir meine Schachtel zurück, und außerdem ist das’n Inder – hab ich

Recht?

MURPH

In einer Minute hau ich Dir den Schädel ein, Du Volltrottel.

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JOEY

Inder? Inder? Sag Inder!

Murph dreht den Spieß um, greift Joey, verdreht ihm langsam den kleinen Finger,

was diesem augenscheinlich Schmerz bereitet.

MURPH

Türke? Türke?

JOEY

Türke. Okay. Lass mich los.

Murph lässt ihn los, lacht. Joey springt auf und brüllt…

JOEY

Inder! (Rennt ein paar Schritte:) Inder!

MURPH boxt im erneut gegen den Arm

Hier hast Du noch nen Hieb, Du Depp.

Der Inder hustet.

JOEY

Hey, schau mal. Der mag uns. Soll ich ihm zuzwinkern.

MURPH

Du Sexmonster zwinkerst doch allem zu, was Hosen trägt.

JOEY

Komm schon – sehe ich etwa aus wie Murphy?

Murphy verdreht Joey beide Arme hinter dessen Rücken.

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MURPH

Nimm das zurück.

JOEY

Aua! Du Bastard! Ich nehm’s zurück.

MURPH

Du stehst auf Türken, was?

JOEY

Richtig.

MURPH

Sag’s.

JOEY

Ich steh auf Türken.

MURPH

Du bist ein Türkenficker, was?

JOEY

Du bist ein Türkenficker.

MURPH

Sag: Ich bin ein Türkenficker.

JOEY

Sag ich doch. Du bist ein Türkenficker.

Murph erhöht den Druck.

JOEY

Aua! Mieses Dreckschwein! Okay! Ich bin ein Türkenficker. Zufrieden?

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Joey versucht, zu lachen.

MURPH

Du wirst ihn küssen und umarmen und wie ne Mutter lieben.

JOEY

Wessen Mutter?

MURPH

Deine Mutter. Die bumst doch Türken, oder?

JOEY

Aua! In Ordnung. Ja. Sie bumst Türken. Endlich zufrieden?

MURPH von ihm ablassend

Du bist frei.

JOEY das Spiel verändernd, neuer Ton

Wo bleibt der Bus?

MURPH

Wegen Mutti?

JOEY

Meine Alte bringt mich um. Muss schon höllisch spät sein.

MURPH

Vielleicht mieten wir uns ne eigene Bude. Yeah. Wie wär das, Joey?

JOEY

Logisch. Ich ziehe aus, und sie krepiert. Das weißt Du genau.

MURPH

Dann lass sie krepieren, Türkenficker.

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Joey boxt Murphy gegen den Arm, lacht.

JOEY

Du redest über meine Mutter. Also Respekt, Du Scheißbastard.

MURPH

Wie respektiert man ne Nutte? Indem man sie *Dame* nennt?

JOEY

Kannst ja mal Deine Mutter fragen.

MURPH Joey gegen den Arm schlagend

Große Klappe, was?

JOEY

Hey, warum suchst Du Dir nicht wen in Deiner Größe aus – wie den

Türken da?

MURPH

Lass den Türken aus dem Spiel. Der hat wahrscheinlich 6 Elefanten in der

Tasche.

JOEY lachend

Hey, Türke, hast Du 6 Elefanten in der Tasche?

MURPH

Fresse, Joey.

Er blickt in Richtung des Inders, der erwidert den Blick.

MURPH

Fresse.

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JOEY

Frag ihn nach Feuer.

MURPH

Frag Du ihn doch.

JOEY

Du hast die Kippen.

MURPH

Nöö.

JOEY

Schisser. Willst Du’n paar Sonnenblumenkerne, um drauf zu kauen.

MURPH

Ich geb Dir gleich was zum Kauen.

JOEY

Geh, frag ihn. Ich hab noch nie nen Inder Türkisch reden hören.

MURPH

Das ist’n Türke, sag ich. Jeder Idiot sieht doch, dass das’n Türke ist.

JOEY

Dann bist Du der Idiot, denn ich sehe definitiv nen Inder.

MURPH

Yeah?

JOEY

Yeah.

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MURPH

Ich zeigs Dir.

Murph bewegt sich auf den Inder zu. Er braucht eine ganze Minute, die Bühne zu

kreuzen. Er schlittert von einer Seite zur anderen. Sucht pantomimisch nach

Streichhölzern.

JOEY

Hey Murph! Ich lad Dich zum Essen ein. Es gibt Turkey. Sag Deinem

Türken, er soll seine Elefanten mitbringen!

MURPH

Arschloch! Wie soll er 6 Elefanten in einer Rikscha unterbringen?

JOEY rundheraus

Vier vorne, drei hinten.

Murphy gestikuliert seine Suche nach Streichhölzern. Anmerkung: Der Inder

antwortet in seiner eigenen Sprache, Hindi, nicht in Deutsch; Ausnahmen werden

angemerkt.

INDER

Ich spreche Ihre Sprache nicht. Ich verstehe Sie nicht.

Murph glotzt, dann ungläubig zu Joey…

MURPH

Der will mich verarschen.

Die beiden lachen.

INDER

Verzeihen Sie. Ich verstehe Sie nicht.

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MURPH

Sprichst kein Englisch, was?

Der Inder starrt ihn an.

MURPH lauter

Sprichst kein Englisch, was?

Der Inder blickt ihn ob der Lautstärke verwirrt an. Er lächelt.

JOEY rundheraus

Hurensohn. Weißt Du was, Murph? Dein Türke spricht nur Indisch.

Murphy bewegt sich taxierend auf den Inder zu.

MURPH

Sag was auf Indisch, Großmaul.

JOEY hebt die Hand

Wie steht’s um Dein Tipi? (Der Inder starrt in an, er lacht:) Siehst Du?

Der Inder reagiert auf Joeys Lachen mit einem Lächeln. Er greift nach den Händen

der beiden, schüttelt sie. Murph nickt und lächelt beim Shakehands. Grinst auch ob

der Inders Lächeln, das Ganze steigert sich, bis sie alle laut lachen.

MURPH

Du bist ne Schwuchtel, was?

INDER immer noch lächelnd

Ich verstehe Sie nicht. Ich suche nach dem Haus meines Sohns. Wir

wollten uns treffen, aber ich habe ihn nicht gefunden. Jetzt suche ich nach

seinem Haus. Das ist seine Adresse. Fahre ich in die richtige Richtung?

Der Inder kramt einen Zettel mit einer Adresse und ein Foto hervor.

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MURPH nimmt das Photo

Gupta. In der Bronx. Vielleicht ein Inder. Große Sache. (Zum Inder:) Inder,

richtig? Du bist’n Inder? Inder? (Pause.) Er weiß es nicht.

Murph nickt lächelnd. Der Inder missversteht dies als Geste der Zustimmung, dass er

sich auf dem richtigen Weg befindet. Er lächelt und nickt auch.

MURPH

Das Bild muss sein Sohn sein. Sieht aus wie Du, Joey.

JOEY betrachtet das Bild, tritt aus Murphys Reichweite

Sieht Irisch aus.

Er gibt Murphy das Bild zurück.

BEIDE

Oooooh!

MURPH

Yeah. Warum vergewaltigst Du immer diese ganzen unschuldigen Kinder?

(Pause.) Ich glaube, er ist ein falscher Inder. (Zum Inder:) Arbeitest Du in

nem Restaurant? (Pause.) Es ist eine Schande, all diese Inder

abzumurksen. Sie machen so schöne Perlenketten.

Murphy nickt grinsend.

INDER

Ich habe meinen Sohn den ganzen Tag nicht gesehen. Ihre Stadt ist so

groß und geschäftig.

JOEY

Sag ihm, er soll uns seine Elefanten zeigen.

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MURPH

Frag Du. Du sprichst doch türkisches Indisch.

JOEY tritt auf sie zu, hebt sie Hand

Weißer Mann spricht mit gespaltener Zunge. (Lässt die Hand sinken.)

Nöö, der versteht mich nicht. Du fragst. Du hast den richtigen Akzent

drauf. Ihr Ausländer versteht einander doch immer.

MURPH

Willst Du noch einen auf die Nuss?

JOEY

Vielleicht will der Türke ein paar auf die Nuss?

MURPH nickend

Willst Du eins auf die Nuss, Kumpel?

INDER zustimmend

Entschuldigung. Ich bin noch nicht lange hier.

MURPH

Gib ihm eins auf die Nuss.

JOEY

Nöö. Er ist Dein Freund. Du schlägst ihn. Dafür sind Freunde da.

Murphy schaut den Zettel und das Photo an.

MURPH

Jesus, schau Dir diese Visage an. Prem Gupta. In der Bronx. Jesus, das

ist ganz schön abgefahren. Der Inder will zur Bronx.

JOEY

Mit dem Bus kommt er nicht zur Bronx.

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MURPH

Hey, mein indischer Kamerad. Mit dem Bus findest Du nicht zur Bronx.

Aber ich hab ne abgefahrene Idee – bringt Spaß und Kohle.

INDER

Verzeihung?

MURPH sich an den Abfalleimer lehnend

Warum kommst Du nicht mit zu mir und triffst meine Mutter? (Der Inder

antwortet nicht.) Oder vielleicht willst Du Pussyface mal kennenlernen?

(Zu Joey:) Sollen wir ihn rüber zu Pussyface bringen?

JOEY

Der weiß doch noch nicht mal, wer Pussyface ist. Du kannst so nen Inder

doch nicht zu nem Blind Date bringen – der kriegt nen Zusammenbruch.

MURPH zum Inder

Okay, Chef. Jetzt kommen wir zum Pussyface-Zusammenbruch. Sie ist

ein Schwein. Sie wohnt da drüben, in dem hübschen Haus. (Zeigt über

das Publikum hinweg in die letzte Reihe:) Das da. Das Schicke. Das ist

das Versteck von Pussyface. Sie ist unsere Sozialarbeiterin.

JOEY

Das stimmt.

MURPH

Pussyface wurde uns zugeteilt, als wir noch kleine Lümmel waren, was,

Joe?

JOEY

Kleine Burschen.

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MURPH

Pussyface wurde uns von der Stadt geschickt. Um ein Auge auf uns zu

haben. Und uns wie eine Mutter zu lieben. Nicht, weil sie das wollte.

Sondern weil sie dafür bezahlt wurde. Weil wir böse Jungs waren. Wir

haben ein Auto geklaut.

JOEY

Wir haben 2 Autos geklaut.

MURPH

Wir haben zwei Autos geklaut. Und ein Kid abgestochen.

JOEY

Du hast das Kid abgestochen.

MURPH zu Joey

Das erzähl mal dem Richter, Kumpel.

Er kramt ein Taschenmesser hervor, zeigt es dem Inder, der ängstlich zurückweicht.

JOEY

Der Chef denkt, Du schlitzt ihn am Totempfahl auf.

MURPH

Nur die Ruhe, Chef. Ich hab noch nie nen Inder aufgeschlitzt.

Er steckt das Messer wieder weg.

JOEY

Du hast ja noch nie im Leben nen Inder gesehen.

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MURPH

Egal. Du hast die Wahl: Entweder meine Mutter, die übrigens eine ganz

außergewöhnliche Persönlichkeit ist. Oder Pussyface, unsere geliebte

Sozialarbeiterin.

JOEY

Wo bleibt der Bus?

MURPH

Der kommt schon noch.

JOEY

An Weihnachten.

MURPH

Hey. Zeig dem Türken doch mal meine Weihnachtskarte für Pussyface.

(Zum Inder:) Pussyface gibt uns Hausaufgaben. Ich musste letztes Jahr

Weihnachtskarten basteln. (Zu Joey:) Los. Zeig dem Chef die Karte.

Joey kramt in seiner Tasche, findet eine Karte mit Eselsohren, gibt sie Murph, der sie

dem Inder weiterreicht. Dieser betrachtet sie neugierig.

INDER

Was ist das?

MURPH

Hab ich mit meinen eigenen beiden Arschbacken gemacht. Erzähl’s ihm,

Joey.

JOEY

Blödsinn, der spricht doch kein Englisch.

MURPH

Spielt keine Rolle. Interessiert ihn doch – oder etwa nicht?

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JOEY

Du bist’n tratschender Wichser.

MURPH

Oooo! Gleich gibt’s noch ein paar Kopfnüsse. Das ist eine

Weihnachtskarte. Ich hab sie gemacht. Kapiert? Pussyface hat uns letztes

Jahr Weihnachtsjobs verschafft. Ich kriegte einen in der City. Im Kampf

gegen die Armut. Ich hab den Kopierer bedient.

JOEY

Jesus, bist Du doof. Er kapiert kein Wort von dem, was Du sagst.

MURPH spielt langsam die Szene vor

Aber es interessiert ihn doch, oder? Das ist mehr, als man von den

meisten behaupten kann. (Zum Inder:) Willst Du wissen, wie man seine

eigenen Weihnachtskarten mit einem einfachen Xerox 2400 machen

kann? Ganz einfach, ich zeig’s Dir. Schau zu. (Demonstriert den Akt:)

Erstmal schließt Du die Türe zum Kopierraum ab, damit niemand

reinplatzen kann. Dann schaltest Du den Kopierer an. (Geht zum

*Kopierer*, *wählt ein Programm*:) Dann wählst Du die Anzahl der Leute

aus, denen Du ne Karte schicken willst, und gibst sie ein: 30, 40.

JOEY

3 oder 4.

MURPH

Richtig, Kumpel. Dann lässt Du die Hosen runter, dann die Unterhosen –

das sind die Hosen unter den Hosen. Dann setzt Du Dich aufs Glas. Dann

drückst Du den kleinen Knopf. Das Licht blitzt auf. Wenn das Bild fertig ist,

schreibst Du *Noel* drauf. (Pause, er geht zu Inder, der ihm die Karte

wieder zurückgibt:) So macht man Weihnachtskarten. (Er wartet auf eine

Reaktion des Inders, wendet sich dann bestürzt zu Joey zu:) Er wartet auf

den Bus. (Gibt Joey die Karte wieder.)

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JOEY

Jesus, ich auch. Dass ich immer zu spät kommen muss!

MURPH

Sag ihr, sie soll drauf scheißen. Bist doch ein großer Junge.

JOEY

Sie hat Angst, das ist alles. Es ist ihr egal, wie spät ich komme, solange

ich ihr sage, wann ich daheim bin. Wenn ich sage, ich komm um 1, und ich

bin bis halb 2 nicht da, ist sie schon rot angelaufen, wenn ich da bin.

(Pause.) Sie ist schon ganz in Ordnung. Wo bleibt bloß der gottverfluchte

Bus? (Ruft durch den Park:) Pussyface! Hast Du den Bus geklaut, Du

dreckige alte Nutte? Pussyface! Ich ruf nach Dir! (Pause; hält Ausschau

nach dem Bus:) Sie ist in Ordnung, Murph. Gott, sie ist meine Mutter. Ich

hab sie mir nicht ausgesucht. Sie ist in Ordnung.

MURPH

Wer ist in Ordnung? Diese Türkenfickerin? (Zum Inder:) Seine Alte fickt

nämlich Türken, musst Du wissen. (Er grinst, der Inder nicht.) Hey, der

Türke macht auf Cool. (Der Inder hält nach dem Bus Ausschau.)

Wenigstens hast Du wen, der auf Dich wartet. Meine Alte würde nicht

mitkriegen, wenn ich ein Jahr ausbliebe.

JOEY

Was? Diese Türkenfickerin?

MURPH brüllt den Inder an

Hey! (Der Inder springt vor Schreck beiseite, Murph lacht.) Hey! Laufen da

kleine Inder um Dein Tipi rum? Nein? Yeah? Nein? Mann, bist Du ein

blöder Inder. Wo bleibt der gottverfluchte Bus?

JOEY

Lass uns zu Fuß gehen.

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MURPH

Vergiss es. 100 Blocks? Außerdem müssen wir dem alten Türken hier

Gesellschaft leisten. Wir können ihn ja schlecht ganz allein in der

Großstadt stehen lassen. Könnten ja ein paar böse Jungs vorbeikommen

und ihn aufmischen, was?

JOEY

Wir können laufen. Lass den Inder krepieren.

MURPH geht zu Inder

Dann lauf, Du Trottel. Ich warte hier mit dem Chef.

JOEY

Komm, wir nehmen die U-Bahn.

MURPH

Joe, die Züge fahren jetzt, wann sie wollen. Egal – ich warte hier mit

meinem Freund, dem Chef. Wenn Du gehen willst, geh. (Murmelt:) Wo ist

er, Chef? Ist er das? Da kommt er, was? (Schaut nach dem Bus, spielt als

würde er ihn sehen:) Ich glaube, ich seh ihn schon! Sicher!

JOEY denkt nach

Ja, wir sollten für den Türken Ausschau halten.

Er stellt sich auf die andere Seite des Inders, der sich langsam aus ihrer Mitte und

Richtung des Bushaltestellenschildes bewegt.

MURPH

Schau mal, Türke, unser kleiner Joey leistet uns Gesellschaft. Das ist

doch nett, oder? (Der Inder schaut nach dem Bus, hält seinen Ausweis

bereit.) Weiß Du was, Joey, der Türke geht mir langsam auf den Sack. Er

schaut mich nicht an, wenn ich mit ihm spreche.

Er nimmt dem Inder den Ausweis ab, gibt ihn Joey.

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JOEY

Er sollte höflicher sein.

Gibt Murph den Ausweis hinter dem Rücken des Inders. Sie geben spielerisch den

Ausweis hin und her. Der Inder lächelt.

MURPH

Ich glaube, dem haben sie in Indiana nicht genug Manieren eingebläut.

Jede Schlampe weiß, dass man hinguckt, wenn einer mit ihr spricht. Hä?

JOEY

Das ist nicht irgendeine Schlampe. Das ist definitiv ne türkisch-indische

Schlampe.

Sie reichen einander den Ausweis vor und hinter dem Inder zu, als würden sie einen

Zaubertrick veranstalten, um ihn zu verarschen.

MURPH

Wahrscheinlich ist er ne Iraki-Schlampe. Kriegslüsterner Bastard. (Reicht

Joey den Ausweis vor dem Inder zu:) Unser Saddam hier vergewaltigt

kleine Kinder.

JOEY

Schlimme Sache. (Ausweis an Murph.) Zu blöd, dass wir ihm nicht ein

paar verpassen können. Wir würden ihm ne Menge verpassen. (Ausweis

an den Inder.) Sollen wir Dir ein paar verpassen, Chef?

INDER

Ich verstehe Sie nicht. Bitte? Wann kommt der Bus an? Ist das die richtige

Haltestelle? (Er bewahrt lächelnd die Kontenance.)

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JOEY

Hey, schau mal. Der quatscht nur aus einem Mundwinkel. Stimmt ja…

Hey, Murph. Tragen indische Weiber ihre Schals nicht auch nur auf einer

Seite? Aber sicher.

MURPH grinsend

Du meinst ihre Spalten, Joey.

JOEY

Nein. Indische Weiber. Alle ausländischen Weiber. Sie tragen ihre Tücher

seitwärts. Deswegen zeigen bei allen ausländischen Autos die Rücksitze

zur Seite. Stimmt’s?

MURPH

Stimmt das, Türke? Eure Weiber haben Horizontalfetzen?

INDER blickt ihn nervös an

Ich verstehe Sie nicht.

MURPH wiederholt in der Sprache des Inders

Ich verstehe Sie nicht.

INDER seine Sprache wahrnehmend, dann unglaublich schnell sprechend

Ja, das stimmt. Ich verstehe Ihre Sprache nicht. Es tut mir Leid, aber ich

bin erst seit einigen Tagen in Ihrem Land. Ich habe noch keine Zeit

gehabt, Ihre Sprache zu erlernen. Bitte verzeihen Sie mir. Ich wurde von

meinem Sohn getrennt. Er lebt seit 6 Jahren in Ihrem Land. Als seine

Mutter vor 2 Monaten starb, lud er mich ein. Ich kam sofort. Er ist ein guter

Sohn. Es tut mir Leid, dass ich Ihre Sprache noch nicht erlernt habe, aber

ich werde sie lernen.

MURPH kategorisch

Dieser Türke geht mir schwer auf den Sack.

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JOEY

Nöö. Ich find’s ganz spannend. Ich hab noch nie nen Inder gesehen.

MURPH schlägt Joey gegen den Hinterkopf

O. Wie faszinierend. Wie fabelhaft. Diese Stadt ist ein Schmelztiegel.

Türken. Juden wie Du. (Pause.) Ich hatte sogar mal ne Französin.

JOEY

Ne Französin?

MURPH

Ja, ne echte französische Braut.

JOEY

Warst Du wieder mal mit Deiner Mutter zusammen.

MURPH ihm gegen den Arm boxend

Klugscheißer. Das, was niemand leiden kann. Ein Klugscheißer.

JOEY

Wo hattest Du denn die Französin her?

MURPH

Hab sie drüben im Park aufgerissen. (Zeigt:) Genau da hat sie auf ner

Bank gesessen. Die war klasse. (Prahlt:) Ein echtes Talent.

JOEY

Ja, schon klar. (Ruft in den Park:) Hallo, Talent! Hallo, Talent! (Pause:) Ich

hatte auch mal ne Französin. (Versucht, ob der Lüge Murphs Blick

auszuweichen:) Wo bleibt der Bus, zum Teufel?

MURPH

Klar hattest Du eine. Zur gleichen Zeit, wie Du’s mit ner Meerjungfrau

getrieben hast.

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JOEY

Kannst mir ruhig glauben. Sie war keine richtige Französin. Sie hatte da

nur für länger gelebt. Ich bin mit ihr in eine Klasse gegangen. Sie war

meine erste Freundin. (Sehr schnell:) Ihr Alter war in der Armee, oder so.

Darum waren sie nach Frankreich gezogen. Sie kam zurück, als wir auf

die Highschool gingen.

MURPH

Und was passierte dann?

JOEY

Nichts. Sie kam zurück, und das war’s.

MURPH

Ich dachte, Du hättest gesagt, Du hast sie gehabt.

JOEY

Nein, sie war bloß meine Freundin.

MURPH

Auf der Highschool?

JOEY

Ja, und jetzt ist gut. Wir waren in einer Klasse. Ich hab’s Dir gerade

erzählt.

MURPH

Du hattest sie in Deiner Klasse.

JOEY

Jesus, bist Du blöde! Sie war meine Freundin, das ist alles.

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MURPH tut interessiert

Hey, was für eine hübsche kleine Geschichte! (Rundheraus:) Was, zur

Hölle, tickt bei Dir nicht richtig?

JOEY

Was meinst Du?

MURPH

Was meinst Du mit *was meinst Du*? Erst sagst Du, Du hattest ne

Französin, dann sagst Du, Du hattest eine in der Klasse, die mal in

Frankreich war. Was soll das für ne Geschichte sein?

JOEY

Eine wahre Geschichte. Deine ist doch totale Scheiße.

MURPH

Was ist totale Scheiße?

JOEY

Die Französin im Park. Du hattest nie ne Französin, es sei denn, Du

hattest wieder was mit Deiner Alten. Oder vielleicht warst Du bei

Pussyface?

MURPH

Du legst es drauf an, was?

JOEY

Ich meine nur, wenn Du Deinem besten Kumpel Lügen erzählst, dann

musst Du schon ziemlich übel drauf sein.

MURPH mit harter Geste

Bester Kumpel – Du?

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Zeigt Joey den Stinkefinger, was der Inder aufnimmt und mit selbigen beantwortet,

da er es für ein amerikanisches Begrüßungsritual fehldeutet.

JOEY

Türke! Benimmt man sich so in Ceylon, der Herr?

MURPH

Say-lon? Was, zur Hölle, ist Say-long?

JOEY

Mensch, bist Du ein Depp! Ceylon ist ein Teil von Indien. Da wächst Tee.

MURPH

Verarschst mich nicht? Mann, ist schon doll, was man alles so lernt, wenn

man an irgend ’ner Ecke mit nem Arschloch wie Dir abhängt. Tee, was?

(Schreit den Inder an:) Hey!

Er schaut nach dem Bus, geht zu dem Inder. Der dreht sich alarmiert um, versucht

jedoch, Murphs Spiel mitzuspielen, lächelt. Murph grinst zurück und fragt:

MURPH

Wie geht’s Deinen Teebeuteln? (Keine Antwort.) Nein? (Zu Joey:) Ich

glaube, Du liegst wieder mal falsch. Der weiß nix über Teebeutel.

Übergangsszene: Murph schreit *Hey!*, der Inder lächelt. Sie führen einen

Kriegstanz um ihn herum auf. Dabei schlagen sie Rhythmen auf Mülldeckeln,

fauchen und heulen eine volle Minute lang. Murph ängstigt den Inder, der

zurückweicht. Murph beendet den Tanz mit einem finalen *Hey!*. Der Inder springt

vor Schreck beiseite. Murph drängt den Inder hinter die Abfalleimer. Nun, da sie

seine Angst begreifen, endet die Komödie.

MURPH

Der Türke wirkt gelangweilt.

32

JOEY

Armer alter Inder. Vielleicht will er Spielchen spielen?

MURPH

Kennst Du irgendwelche armen alten Inderspielchen?

JOEY

Wir könnten ihn am Marterpfahl abfackeln. (Er lacht.) Gar keine so blöde

Idee. Wir machen aus ihm nen indischen Eintopf.

MURPH

Nöö, wir können doch nicht so nen netten Kerl wie unseren Türken hier

abfackeln. Das wäre gemein.

JOEY

Wir müssen ein Spiel spielen. Pussyface sagt uns immer, wir sollten

Spiele spielen. (Ruft Richtung der Wohnhäuser:) Stimmt doch, Pussyface?

Du willst doch, dass wir Spiele spielen?

MURPH schreit

Hey! (Der Inder springt vor Schreck beiseite.) Hey! Ich keine ein Spiel!

(Markiert einen Sprung Richtung des Inders:) „Inder – Inder – wo steckt

der Inder?“

JOEY

Das ist ein nettes Spiel. Hab ich seit Jahren nicht mehr gespielt.

MURPH Richtung Joey

Klugscheißer. Du willst doch Spielchen spielen, oder etwa nicht?

JOEY

Inder, Inder – wo steckt der Inder?

33

MURPH geht zu Joey

Hör mal zu: Ich dreh Dich, bis Dir schwindlig wird. Dann läufst Du über die

Straße und holst Pussyface. Ich schnapp mir den Inder und versteck ihn.

Dann kommst Du mit Pussyface, und ihr müsst uns finden.

JOEY

Wir drehen uns, was?

MURPH

Klar.

JOEY

Und wer wischt hinter Dir auf. Denk mal an das Riesenrad, Großmaul. All

die glücklichen Gesichter, die zu Dir hoch glotzten.

MURPH

Ich dreh mich nicht, Du wirst gedreht. Ich verstecke den Chef. Komm

schon. Dreh Dich.

JOEY

Wie wär’s, wenn wir erstmal die Regeln abklären? (Zum Inder:) Wie

findest Du das, Chef?

INDER

Es tut mir Leid, ich verstehe Ihre Sprache nicht.

MURPH

Er redet wieder Indiagagga. Er kapiert nix. Komm schon, ich schnapp mir

den Chef während Du Dich drehst. Zähl bis 10. Ich versteck den Chef,

während Du Pussyface holst. Mach schon. Drehen.

JOEY Ich dreh mich nicht, dann wird mir schlecht.

34

MURPH

Willst Du nicht spielen?

JOEY

Ich will spielen. Aber ich kann mich nicht besser drehen als Du. Mir wird

schlecht. Das weißt Du. Was hältst Du davon, wenn Du Dich drehst und

ich den Chef halte? Du holst Pussyface. Sie mag Dich eh lieber als mich.

MURPH

Pussyface ist nicht zuhause. Das weißt Du. Sie ist in New Jersey.

JOEY

Was soll dann dieses Spiel überhaupt, Teufeleins?

MURPH

Ist bloß’n Spiel. Wir tun so, als ob.

JOEY

Wir können von mir aus mit Murmeln spielen. Ich werde mich bloß nicht

drehen, das ist alles. Und Du auch nicht. Also lass uns das Spiel

vergessen.

MURPH wütend

Drehen! Drehen!

JOEY

Dreh Du Dich doch!

MURPH boxt Joey gegen den Arm

Hey. Ich hab Dir gesagt, Du sollst Dich drehen.

Murph geht bedrohlich in Angriffsstellung gegen Joey. Dieser blickt ihm einen

Moment in die Augen.

35

JOEY

Okay, keine große Nummer. Dreh ich mich halt. Und dann geh ich zu

Pussyface, richtig? Bist Du fertig, Dir den Chef zu grapschen?

MURPH

Hörst Du auf zu quatschen und fängst an, Dich zu drehen?

JOEY

In Ordnung, in Ordnung – ich mach ja schon.

Kleinlaut beginnt Joey, sich zu drehen. Murph greift sich den Inder, läuft mit ihm zum

Abfalleimer. Joey kichert, weil er sich langsam dreht. Murph wirft Joey einen Blick zu,

der so tut als ob. Murph ist verwirrt.

JOEY

Hier. Ich hab mich gedreht. Ist das okay?

MURPH

Das nennst Du drehen?

JOEY

War nicht gerade wie’n Wirbelsturm.

MURPH

Ich hab Dir gesagt, Du sollst Dich drehen. Jede Schlampe weiß, dass das

kein Drehen war. Jetzt dreh Dich, gottverdammt – dreh Dich!

JOEY geht zu Murph

Das ist Schwachsinn. Du willst Spielchen spielen. Du willst schnellere

Drehungen. (Schlägt auf Murph ein:) Du drehst Dich!

Ein Handgemenge. Joey schlägt Murph. Sie erstarren. Murph umkreist Joey, als

wolle er ihn schlagen. Er geht in Angriffsstellung, wirkt brutal.

36

MURPH

Dreh mich.

Joey bringt Murph in den Polizeigriff, so dass dieser hilflos ist. Joey dreht ihn dreimal,

das erste Mal langsam, dann schneller. Schneller. Er setzt seine Feindseligkeit frei;

lacht.

JOEY

Du wolltest Dich drehen. Drehen, drehen.

Joey dreht Murph wie wahnsinnig. Der Inder betrachtet schockiert das Geschehen.

Er schleicht zum Bushaltestellenschild, seiner Insel der Sicherheit. Murphy schreit.

MURPH

Es reicht, Du kleiner Bastard!

JOEY ihn weiterdrehend

Jetzt holst Du Pussyface! Mach schon! (Er dreht ihn rascher, wie bei

einem grotesken berserkerhaften Tanz:) Ich versteck den Chef. Das ist

Dein Spiel! Das ist Dein Spiel. Du holst Pussyface. Ich versteck den Chef.

Mach schon, Murph. Willst Du Dich noch’n bisschen drehen? (Joey stoppt

die Drehungen. Murph ist offensichtlich schlecht.) Willst Du noch’n

bisschen drehen?

MURPH

Hör auf, Joey, mir ist schlecht.

JOEY ihn noch einmal drehend

Du willst Dich noch’n bisschen drehen und dann Pussyface holen und den

Chef und mich suchen?

MURPH

Du kleiner Bastard.

37

JOEY ihn nochmals drehend, in Hilflosigkeit haltend

Ich verstecke den Chef. Du holst Pussyface, um uns zu finden. Okay?

Okay? Okay?

MURPH stammelt

Okay, Du Bastard. Okay.

JOEY dreht ihn nochmals

Noch einmal, zur Sicherheit.

Joey dreht Murph drei weitere Male, wütend, schubst ihn dann ins Off. Man hört

Murphy würgen, mit dem Brechreiz kämpfend, während der letzten Drehungen. Als

er Murph von der Szene entfernt hat, greift er sich den Inder, der sich wehrt. Joey

schubst den Inder hinter die Abfalleimer.

INDER

Nein, bitte! Was haben Sie vor?

JOEY

Locker, Chef. (Er schlägt den Inder.) Ist nur’n Spielchen. Murph ist

abgedreht. Ist nur’n Spiel. Ich muss Dich jetzt verstecken.

Aus der Ferne hören wir, wie sich Murph übergibt.

INDER

Nein, nein. Bitte, ich flehe Sie an.

38

JOEY

Locker Chef. Schau mal, das ist alles nicht echt, versprochen. Ist nur ein

Spiel. Ein Spiel. Kapiert? Alles ein Spiel. Jetzt muss ich bin 10 zählen. 1 –

2 – 3… Murphy? (Er lacht.) 4 – 5 – Murph? Komm und such uns! 6 – 7 –

Pussyface wartet! 8 – 9… (Pause.) Murph? Murphy? Hey, Kumpel! 10.

Steh auf. Auf! (Keine Antwort.) Steh auf, Türke. (Er wendet sich um, sieht,

dass der Inder bereits aufgestanden ist. Der Inder zittert vor Angst. Dann

fröstelt er. Joey zieht seinen Pulli aus, bietet ihn dem Inder an:) Hier. Zieh

an. Ist okay. Zieh an. (Joe legt dem Inder den Pulli um die Schultern. Der

Inder starrt den Pulli verwundert an.) Ich hoff, ich hab Dir nicht zu

wehgetan. Bist Du okay? (Keine Antwort.) Dir geht’s nicht zu schlecht,

oder? (Pause.) Hä? (Keine Antwort.) Ich wollte nicht zu roh werden,

aber… Du weißt schon, hä? (Der Inder hebt den Blick, Joey weicht diesem

aus.) Ich hoffe, Du bist nicht sauer auf mich, oder so. (Pause.) Mann, wird

ganz schön frostig. Ich meine, richtig kalt, was? Plötzlich so still hier.

Gespenstisch, was? (Ruft:) Hey, Murphy! Joey lacht laut.) Murph ist kein

schlechter Kerl. Er ist mein bester Kumpel, verstehst Du? Manchmal dreht

er ein bisschen durch, aber das ist auch schon alles. Jeder dreht mal

durch, richtig? (Keine Antwort.) Jesus, bist Du ein blöder Inder. Kannst Du

kein Wort Englisch? Nein? Wieso, zur Hölle, kommst Du dann hierher?

Vor allem, wenn Du nicht unsere Sprache sprichst. Du solltest irgendwas

sagen. Kannst Du nichtmal *Danke* sagen?

INDER auf Deutsch

Danke.

JOEY

Ich will verdammt sein. Bitteschön. (Weist den Inder an, ihm zu folgen.)

Bitteschön. (Wartet.)

INDER a.D.

Bitteschön.

39

JOEY

Ist ja toll. Bitteschön. (Joey lächelt ihn an, als sei alles vergeben und

vergessen:) Wie geht’s Dir?

INDER a.D.

Bitteschön.

JOEY

Nein! Wie’s Dir geht?

Joey ist erregt. Der Inder könnte ein neuer Freund sein.

INDER a.D.

Wie geht’s Dir?

JOEY erfreut

Jesus! Du redest im Nullkommanichts wie wir! Du bist in Ordnung, was?

Du blutest doch nicht, oder so? Ich wollte Dir nicht wehtun. Aber Murph

mischt alles auf. Du weißt schon, was ich meine. Er regt sich immer so

schnell auf. Das ist nicht das erste Mal, musst Du wissen. O nein, mein

Herr.

INDER a.D.

O nein, mein Herr.

JOEY

Richtig. Er ist vor allem hinter den Bräuten her.

INDER a.D.

Bräuten.

40

JOEY vergisst, dass der Inder nur nachahmt

Richtig. Bräute. (Pause, erinnert sich:) Was quassle ich hier eigentlich?

Erzähl mir was über Indien, ja? Ich will irgendwann mal nach Indien.

Vielleicht. Glaubst Du, ich würde Indien mögen? Indien? (Keine Antwort.)

Da kommst Du doch her, oder nicht? Gott, was für ein blöder Inder. Indien.

(Buchstabiert:) I-N-D-I-E-N. Nichts. Arschloch. Indien.

INDER a.D.

Indien.

JOEY

Yeah. Erzähl mir von Indien. (Lange Pause, da sie einander anstarren.)

Nein? Du redest nicht, was? Also, was willst Du machen? Murphy wird

bald zurück sein. (Entdeckt eine Münze in seiner Tasche, geht damit zum

Inder.) Willst Du mit Münzen schnipsen? Schnipsen? Nein? Schau,

Kennedy.

Er vollzieht drei Zaubertricks mit der Münze. Nr. 1: Er lässt sie in der einen Hand

verschwinden, in der anderen wieder auftauchen. Der Inder fasst sich erstaunt an

den Turban.

JOEY

Ungefähr so, was?

Nr.2: Er schlägt die Münze gegen seine Brust.

JOEY

Unter welcher Hand ist sie? Ist das die richtige Hand? Unter welcher Hand

ist sie? Diese Hand hier. Ist das die richtige? Diese Hand? Nein, sie ist in

dieser Hand. Zurück zu was Blödem? Hier, das mochtest Du doch.

Er wiederholt Trick Nummer 1. Diesmal tippt der Inder auf die richtige Hand.

41

JOEY

Du bist wohl ein Falschspieler, was? Also, doppelt oder nichts. (Er

schnipst die Münze.) Kopf, Du lebst. Zahl, Du stirbst. Okay? (Zeigt die

Münze:) Ich will verdammt sein. Du hast echtes Inderglück. Schau nur.

Hier. (Gibt dem Inder die Münze.)

INDER schaut fragend

Nein?

JOEY Betrug riechend

Nimm sie. Du hast gewonnen. Nein, mach schon. Behalt sie. (Bietet dem

Inder die Münze an, die dieser annimmt.) Ich bin kein Inderspender.

(Pause, Joey lacht, keine Antwort.) Du hast auch keinen Sinn für Humor,

was?

INDER

Danke.

JOEY

Murph ist mein bester Kumpel. Wir sind schon Kumpels, seit wir Kinder

waren. Immer Murph und ich. Und Maggie, seine kleine Schwester.

(Pause.) Ich hatte mal was Maggie. Jedenfalls irgendwie. Fast. Ja, ich

hatte schon was mit ihr. Stimmt schon. Murph weiß nichts davon. Macht

jetzt sowieso keinen Unterschied mehr. Maggie ist tot. Es macht keinen

Unterschied, wenn Du tot bist. (Singt:) Die Würmer kriechen rein, die

Würmer kriechen raus. (Spricht:) Was zur Hölle soll das schon für einen

Unterschied machen? Richtig?

INDER a.D.

O nein, mein Herr.

42

JOEY ihn ignorierend

Deswegen ist Murphy durchgeknallt. Ich meine, deshalb dreht er immer

wieder durch. Sie ist mit 17 gestorben, das ist alles. 17. Einfach so.

Appendix. Keiner da. Es war keiner da. Seine Alte? Vergiss sie. Der Alte

ist vor Jahren abgehauen. Es gab nur Murph und Maggie. Deswegen hat

er’s ausgehalten. Daheim. Du denkst, meine Alte ist schlimm? Die ist

nichts dagegen. Seine Alte ist ne Nutte. Verstehst Du? Sie macht’s noch

nichtmal, um davon zu leben. Sie ist eine Dreckshure. Nichtmal zum

Überleben. Sie ist eine Hündin. Ich würde ihr keinen Nickel dafür geben.

Nichtmal nen Nickel. Nicht, dass ich mit Murphys Alter rummachen würde.

O! Nicht, dass sie’s nicht versuchen würde. Sie versucht’s. Immer wieder.

(Er phantasiert:) Deswegen besuch ich ihn nicht so oft bei sich daheim.

Sie versucht’s immer wieder. Sie würde mir auch bestimmt nichts dafür

berechnen. Aber ich mach nicht mit der Alten von meinem besten Kumpel

rum, richtig? Ich würde mich scheiße fühlen, wenn ich so was tun würde.

Sie sieht nicht schlecht aus, aber es wäre nicht richtig. Ich wette, sie

macht auch Murph an. Sie versucht’s bestimmt bei ihm. Das ist die Nutte

in ihr. Sie macht’s nicht bloß zum Überleben. Glaubst Du, Pussyface

könnte helfen? Das ist doch ein bescheuerter Witz!

Der Inder ist völlig konfus. Auf den Namen Pussyface reagiert er leicht, erkennt

Joeys Besorgnis, hätschelt ihn. Für einen kurzen Moment umarmen sie sich – ein

krankes Vater – Sohn – Tableau.

JOEY

Pussyface. Das Superhirn. Willst Du sehen, was sie uns Weihnachten

gegeben hat. (Er fischt ein Messer aus seiner Tasche.) Messer. Brillant,

was? Murph wird verdächtig, ein Kid niedergestochen zu haben, und sie

schenkt uns zu Weihnachten Messer. Um damit zu schnitzen. Sie ist noch

verrückter als Murph, hah!

Er fuchtelt mit dem Messer vor dem Inder herum, der dies als Drohung

missinterpretiert. Der Inder verharrt, Joey vorsichtig fixierend, bis dieser den Blick

abwendet. Joey geht zu der Stelle, da er Murph von der Bühne stieß.

43

JOEY

Hey Murph!

Der Inder bewegt sich langsam zur anderen Seite der Szene. Joey registriert die

Bewegung, rennt, ihn aufzuhalten, da er fürchtet, der Inder könne flüchten.

JOEY

Hey! Wo willst Du hin? Renn nicht weg. Wir müssen auf Murphy warten.

Der Inder weiß, dass er geschlagen wird. Er versucht, sich mit Gesten zu erklären.

Sinnlos.

JOEY

Du wolltest wegrennen, was? Hurensohn! Du wolltest mich an Murphy

verraten.

Joey schlägt den Inder – rechts, links, rechts, links. Der Inder bricht zusammen, rennt

dann hinter die Abfalleimer. Joey jagt ihn, erteilt ihm einen Genickschlag. Der Inder

rennt in Murph hinein, der gerade wieder auftritt. Der Inder fällt gegen die

Telefonzelle. Der Inder unternimmt einen letzten Fluchtversuch, läuft schreiend über

die Bühne, spuckt Blut. Murph bleibt stehen, schaut den Inder an, der ihm praktisch

in die Arme läuft. Joey läuft dem Inder nach, versetzt ihm einen Karateschlag ins

Genick. Joey schluchzt. Der Inder bricht auf der Bühne zusammen wie der Stier in

der Arena, der den finalen Schwertstich erwartet. Joey verharrt über dem Inder.

Murphy starrt zunächst Joey, dann den Inder an.

MURPH

Pussyface ist noch nicht zuhause. Sie ist noch in New Jersey.

JOEY starrt den Inder an, schluchzt, erkennt seinen Irrtum

Inder sind dämlich.

44

MURPH

Pussyface ist nicht daheim. Ich hab geklingelt. Sie hat nicht aufgemacht.

Ich denke, ist noch im Urlaub. Sie hat unser Spiel ruiniert.

JOEY schluchzend

O Gott. Gott, Gott, Gott – Inder sind dämlich.

MURPH

Pusyface ruiniert alles. Sie interessiert sich nicht wirklich für unsere Spiele.

Sie ruiniert unsere Spiele. So wie Inder. Die wissen auch nicht, wie man

spielt.

JOEY schluchzt

Inder sind dämlich. Dämlich.

MURPH geht zu Joey, boxt seinen Arm

Was, zur Hölle, ist hier los?

JOEY

Er wollte abhauen. Ich hab ihn geschlagen.

MURPH

Yeah. Das hab ich gesehen. Du hast es ihm ordentlich gegeben. (Starrt

den Inder an:) Lebt er noch?

Der Inder stöhnt, geht auf die Knie.

JOEY

Er wollte kämpfen. Da hab ich ihn geschlagen.

MURPH

Okay, Du hast ihn geschlagen.

Der Inder stöhnt, dann spricht er bittend…

45

INDER

Bitte. Tun Sie mir nicht mehr weh. Was habe ich verbrochen? Bitte tun Sie

mir nicht mehr weh.

MURPH zu Joey

Er bettelt um irgendwas. Vielleicht bettelt er um sein Leben. Vielleicht.

Ziemlich sicher sogar.

JOEY hilft dem Inder wieder auf die Beine

Komm schon, Chef. Steh auf. Stell Dich der Welt. Komm schon, Chef.

Alles wird gut.

MURPH

Was ist überhaupt in Dich gefahren?

JOEY

Komm schon, Chef. Komm zurück in die Welt. Alles ist okay.

Der Inder stammelt stumm Wörter der Furcht und des Schmerzes.

MURPH

Lass ihn. (Joey fährt mit seiner Hilfe fort.) Lass ihn. Was ist los mit Dir?

Hey, Joey – ich sagte: Lass ihn!

Er stößt Joey weg, der Inder weicht ängstlich zurück.

JOEY

Okay, Murph, genug ist genug.

MURPH

Sag mir, was zur Hölle mit Dir los ist?

JOEY gegen einen Abfalleimer tretend

Er wollte abhauen, das ist alles. Themawechsel. Themawechsel.

Unwichtig. Ich hab ihn geschlagen, das ist alles.

46

MURPH

Okay, Du hast ihn also geschlagen.

JOEY

Okay. Wo warst Du? Krank? War Dir’n bisschen schlecht? Ich meine, Du

kannst niemanden besucht haben, denn es war ja niemand da, den Du

hättest besuchen können.

MURPH geht zu Joey

Was meinst Du?

JOEY

Wo, zur Hölle, hast Du gesteckt? (Betrachtet Murph kichernd:) Du siehst

ein bisschen grün aus.

MURPH

Du bist ja echt lustig. Was, zur Hölle, ist so lustig?

JOEY

Nichts ist lustig. Der Chef und ich hatten ein kleines Powwow, und wir

haben uns gewundert, wohin Du gerannt bist. Ist doch ganz natürlich,

dass wir uns gewundert haben, oder? (Zum Inder:) Richtig, Chef?

MURPH geht zu dem Inder, fühlt am Pulli

Schau mal einer an. Der Türke hat denselben Wollpulli wie Du. Ist das

nicht ein komischer Zufall? Habt ihr zwei Strippoker gespielt?

JOEY

Na klar. Strippoker. Der Chef hat meinen Pulli gewonnen und ich drei

seiner Federn und einen gebrochenen Flügel. (Zum Inder, mit tiefer,

autoritärer Stimme:) Du fragst Dich, wer ich bin, was? Vielleicht wird Dir

diese silberne Kugel helfen, mich zu erkennen?

47

Joey streckt seine Hand aus. Der Inder betrachtet verwirrt die leere Handfläche.

Murph schlägt Joey rasch unter die Hand, sodass dieser dem Inder mit der seinen

gegen das Kinn schlägt. Der Inder taumelt zurück. Joey wendet sich Murph zu.

JOEY

Wieso hast Du das getan, Du Idiot? Der Chef hat nichts verbrochen!

MURPH

Jesus, der Chef und Du, ihr seid schon richtige Kumpels, was. (Äfft ihn

nach:) „Der Chef hat nichts verbrochen.“ Jesus. Du gibst ihm Deinen Pulli.

Vielleicht willst Du ihn ja auf ein Bier einladen?

JOEY nimmt seinen Pulli wieder an sich

Lass es, Murph. Du gehst mir auf den Sack.

MURPH kontert wütend, gegen Joey

Du kleiner Pisser! Mit wem, zur Hölle, denkst Du, dass Du sprichst?

Das Telefon der Zelle klingelt. Alle horchen auf, speziell der Inder, der Hoffnung

schöpft.

JOEY nach kurzer Stille, rundheraus

Telefon.

MURPH zum Inder

Der Junge ist ein Genie. Er hat’s genau begriffen.

Erneut klingelt das Telefon.

JOEY

Sollen wir rangehen?

MURPH

Wozu? Wer soll schon hier anrufen? Falsch verbunden.

48

Das Telefon klingelt erneut. Plötzlich schießt der Inder in die Zelle, nimmt den Hörer

ab. Joey und Murph sind zu überrascht, ihn aufzuhalten. Der Inder bittet in seiner

Sprache.

INDER

Prem? Ist das mein Sohn? Prem. Bitte sei es, Prem. Bitte hilf mir. Ich

fürchte mich. Bitte hilf mir. Zwei Jungs schlagen mich. Ich fürchte mich.

Bitte… Prem?

Der Inder stoppt, lauscht der Stimme, falsche Antwort. Er lässt den Hörer sinken,

betrachtet die Jungs voller Furcht. Murph registriert die Angst des Inders und lacht

hysterisch. Joey starrt ihn stumm an. Der Inder murmelt weinend. Er verlässt die

Telefonzelle. Man hört aus dem Hörer eine Stimme. Die Handlung stoppt.

MURPH legt den Hörer auf, lachend

Hey! (Tritt nach dem Inder.) Was ist los, Türke? Hast Du kein Kleingeld?

Gib dem Türken Kleingeld, Joey. Gib ihm Kleingeld.

JOEY

Jesus, bin ich froh, dass ich kein Inder bin.

MURPH

Hey, den Zettel. Nimm ihm den Zettel ab, Joey. Wir rufen für ihn in der

Bronx an.

JOEY

Hör auf, Murph. Genug ist genug.

MURPH

Jetzt nimm schon den beschissenen Zettel. Was ist überhaupt mit Dir los?

JOEY

Ich finde es bloß keine so tolle Idee, das ist alles.

49

MURRH

Du bist ne Memme. Genau das bist Du.

JOEY

Glaubst Du, sein Sohn hat schon die Bullen gerufen? Er weiß doch, dass

sein Alter kein Englisch spricht. Er hat die Bullen angerufen, richtig? Und

die verfolgen unseren Anruf zurück.

MURPH

Du bis bekloppt. Die verfolgen keine Anrufe zurück. Außerdem sind wir

dann schon längst weg. Du bist bekloppt.

JOEY

Ich will das nicht machen.

MURPH

Verdammt, die verfolgen nichts zurück. Wer sollte schon was

zurückverfolgen? Gib den Zettel her.

JOEY tritt zurück

Nimm ihn Dir selbst. Mach schon. Nimm ihn Dir selbst. Ich tu’s nicht.

MURPH

Komm schon, Joey. Ist doch alles nicht echt. Ist bloß’n Spiel. Ich tu

niemandem weh. Das weißt Du. Ist bloß’n Spiel.

JOEY

Warum rufen wir nicht wen Anderes an? Wir könnten wen anrufen und den

Inder quatschen lassen, das würde Sinn machen. Stell Dir vor, Dich ruft

ein Inder an und spricht Indisch mit Dir. Ich wette, der Chef zieht mit.

Jesus, Murphy.

MURPH

Gib mir den Zettel und das Photo.

50

INDER

Was haben Sie vor? Es tut mir Leid. Ich dachte, es sei mein Sohn, Prem.

Ich dachte, vielleicht ruft mich Prem auf diesem Telefon an. Prem. Ich

dachte, der sei dran. Prem.

MURPH zum Inder

Prem? Das ist sein Name?

INDER

Prem?

MURPH

Ja, Prem. Ich will Prem anrufen. Gib mir den Zettel mit seinem Namen.

INDIAN

Was reden Sie über Prem? Was haben Sie Prem angetan? Was wissen

Sie über ihn? Wissen Sie, wo er ist?

MURPH

Halt die Fresse und gib mir den Zettel. (Den Inder von der Zelle

wegziehend.) Und schön locker bleiben. Ich tu Dir nichts. Bleib locker.

JOEY

Jesus, Murph.

MURPH wendet den Inder zu sich, blickt ihn an

Das ist lächerlich. (Durchsucht den Inder, der sich zunächst sträubt, dann

aufgibt. Murph findet den Zettel.) Ich hab ihn, ich hab ihn. Klasse! *Prem

Gupta*. In der Bronx. Der beschissenen Bronx. Das ist klasse. Hier. Halt

ihn mal.

Der Inder folgt Murph.

51

INDER

Was tun Sie? Rufen Sie meinen Sohn an?

MURPH

Sorg dafür, dass er die Klappe hält. (Joey hält den Inder fest, Murph fischt

nach einem Dime.) Gib mir nen Dime, verdammt. Das ist klasse.

JOEY fischt Münzen aus seiner Tasche, gibt sie Murph

Hier sind zwei Nickel. Ich finde, das ist eine lausige Idee. Das finde ich.

(Murph geht zur Telefonzelle.) Und denk dran, dass Du mir zwei Nickel

schuldest.

MURPH

Halt’s Maul. (Ruft die Vermittlung an.) Hallo. Ja, ich brauche eine

Auskunft. Ich will ne Nummer in der Bronx. Gupta. G-U-P-T-A. Ein Inder.

Sein Vorname ist Prem. P-R-E-M. Nein, die Adresse kann ich nicht lesen.

Warten Sie ne Sekunde. (Er liest:) Mein Gott. Wie viele Inder gibt’s denn in

der Bronx? Da kann’s doch nur einen Inder geben, der Gupta heißt. Da

gibt’s zwei Guptas. (Zur Vermittlung:) Heißen alle beide Prem? (Pause.)

Ja, das genau hab ich Ihnen gesagt. Jesus, warten Sie ne Minute. Okay,

okay. Sagen Sie das noch mal. Okay, okay. Richtig. Okay. Danke. (Wirft

eilig Münzen nach, Gupta murmelt.) Quatsch mich nicht an. (Er wählt:) 6 –

74 – 0 – 1. (Pause.) Es klingelt. Es klingelt. (Pause.) Hallo? Sind Sie Prem

Gupta? O, prima. Wie geht’s Ihnen? (Zu Joey:) Ich hab den Sohn dran.

Der Inder löst sich von Joey, rennt zum Telefon. Murph streckt das Bein aus, hält den

Inder auf Distanz. Der Inder kämpft, ist jedoch geschwächter denn je. Er gibt auf.

Joey beschwichtigt ihn. Der Inder schreit.

INDER

Bitte lasst mich mit meinem Sohn reden!

Murph stößt den Inder brutal beiseite. Joey beobachtet dies alles wie erstarrt. Der

Inder klagt, spricht schließlich wie in Trance.

52

INDER

Bitte lasst mich mit meinem Sohn sprechen. O, Prem. Bitte. Ich bitte euch.

Bitte. Ich gebe euch alles, was ich habe. Sagt mir, was ihr von mir wollt.

Aber lasst mich mit meinem Sohn sprechen.

Murph blickt den Inder an, der ihn nun nicht mehr unterbricht, da ihm klar wird, dass

er einer Sprache lauschen muss, die er nicht versteht.

MURPH

Jetzt hör mir mal gut zu, Gupta. Ich habe keine Ahnung, wo Dein Alter

steckt, deswegen rufe ich an. Wir haben hier unten in Miami einen alten

Elefanten gefunden, und wir dachten, der müsste Dir gehören. Man weiß

nie genau, wem so ein Elefant gehört – Du verstehst schon, was ich

meine? (Er lacht.) Was war das? Sag das noch mal. Ich kann Dich kaum

hören. Liegt an der Entfernung, Du verstehst? Ist ein langer Weg nach hier

unten – kannst Du mir folgen? Nein. Einen Inder haben wir nicht

gefunden. Nur nen Elefanten. Und der frisst all meine Erdnüsse. Gupta,

Du redest zu schnell. Mach mal halblang.

INDER

Prem! Prem! Bitte komm her und hol mich ab! Bitte lassen Sie mich mit

meinem Sohn reden, Mister. Wieso lassen Sie mich nicht mit meinem

Sohn reden?

Er rennt zur Zelle, Murph stößt ihn weg, Joey wirft den Inder zu Boden, hält ihn fest.

Joey liegt auf dem Inder.

53

MURPH

Das war der Kellner. Ich bin in nem indischen Restaurant. (Pause.) Hey,

mach mal langsam, Mann, das war niemand. Bloß Einbildung. Ne fixe

Idee. (Pause, schreit dann in den Hörer:) Fresse, verdammt! Und hör zu.

Okay, hörst Du mir zu? (Murph genießt den Augenblick. Er legt auf. Zu

Joey:) Der hat sich aber aufgeregt. (Zum Inder:) Der hat sich aber

aufgeregt. (Pause) Was ist verdammt noch mal los mit Dir? Ich hab ihm

bloß gesagt, dass ich nen Elefanten gefunden habe, das war alles. Ich

dachte, vielleicht hat er nen Elefanten verloren.

INDER

Warum haben Sie das getan? Was haben Sie meinem Sohn gesagt?

MURPH zum Inder

Du musst mir nicht danken, Türke. Ich hab ihm bloß gesagt, dass Dein

Elefant okay ist. Er war wahrscheinlich krank vor Sorge wegen des

Elefanten. (Murph lacht, geht zu Joey.) Das ist klasse, Joey, klasse. Du

hättest das Gejammer von dem Kerl hören sollen. Der war so aufgeregt,

dass er angefangen hat, wie der Chef Indisch zu quatschen. Er sagte,

dass er und unser Türke hier heute getrennt wurden. Der Türke ist erst

seit heute in der Stadt. Du bist ziemlich blöd, Türke. Ein Tag in der Stadt…

und schau Dir an, was für ein Chaos Du angerichtet hast. Du bist so blöd.

Wir rufen noch mal an. Sicher. (Geht wieder in die Telefonzelle.) Sicher.

Der Inder springt Murph an, der ihn von sich stößt, viermal gegen die Telefonzelle

schlägt, schreit…

MURPH

Schaff ihn mir vom Hals!

Murph kramt einen Dime hervor, zeigt ihn Joey, wirft ihn ein, wählt. Joey hält den

Inder mit Ringergriff fest. Murph spricht in den Hörer.

54

MURPH

Hallo? Ist da wieder Gupta? O, hallo. Ich ruf noch mal an, um mich über

Deinen Elefanten zu beschweren. Hey, beruhig Dich, okay? Lass mich

reden. Okay? Dein Elefant geht mir gehörig auf die Eier. Kapiert? Hä?

Kannst Du mir soweit folgen? (Pause.) Ich verstehe nicht, was Du laberst,

Mann. Wie wäre es, wenn Du das Quatschen mir überlässt? Dein Elefant

ängstigt mich und meinen Kumpel zu Tode. Wir mögen das gar nicht,

Elefanten in unseren Straßen zu sehen. Spinnen und Schlangen sind

okay, aber Elefanten jagen uns Angst ein. Elefanten. Ja, richtig. Kapierst

Du’s nicht, Kumpel? Hör mal, wir sehen hier ständig Spinnen und

Schlangen. Aber wir haben nie mit nem Elefanten gerechnet. Was meinst

Du? Ich sei verrückt? Ich weiß nichts über Deinen Alten. Ich rede über

Deinen Elefanten. Dein Elefant regt mich ganz schön auf. Also sei ein

netter Inder und komm ihn abholen. Richtig. Warte ne Sekunde, ich muss

das Straßenschild checken. (Hält den Hörer zu.) Das ist klasse. (Redet

wieder in den Hörer:) Jesus, tut mir Leid. Hier gibt’s kein Straßenschild.

Schöne Scheiße. Ich fürchte, Du bist Deinen Elefanten los. Was erwartest

Du von mir? Dass ich den Elefanten den ganzen Weg zur Bronx bugsiere?

Komm runter, Kumpel. Du würdest mir meinen Elefanten auch nicht

bringen. Ich bin kein Kind mehr, okay? Ich hab schon ne Menge Elefanten

verloren. (Lauscht.) Jesus, Du ödest mich an. Ich hab keine Ahnung,

worüber Du redest. Vielleicht willst Du ja mal mit Deinem Elefanten

sprechen, hä? (Zum Inder:) Komm schon, rede mit Deinem Baby. (Bietet

ihm den Hörer an. Der Inder starrt ihn ungläubig an., greift dann nach dem

Hörer, spricht hektisch hinein.)

INDER

Prem? O, Prem. Bitte komm und hol mich ab. Was? Ich weiß nicht, wo ich

bin. Bitte komm und hol mich heim. Bitte? Hier sind zwei böse Menschen.

Zwei junge Männer. Sie sind gefährlich. Ich kann mich nicht vor ihnen

schützen. Bitte. Du musst herkommen und mich holen.

Murph nimmt sein Messer, schneidet die Telefonschnur durch.

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MURPH

Das reicht, Chef.

Murph lacht den Inder aus, der den Hörer mit der baumelnden Schnur in Händen

hält. Der registriert zunächst nicht, dass die Leitung unterbrochen ist, redet weiter in

Hindi.

INDER

Prem. Prem. Bitte komm her. Auf dem Straßenschild steht…

Nun realisiert er, dass die Schnur durchschnitten ist. Dumpf starrt er den toten Hörer

an, während Murph mit der Schnur vor seinem Gesicht wedelt.

INDER zu Murph

Was haben Sie getan?

MURPH

Hier ist sie, Türke. Mit wem quatschst Du eigentlich?

INDER zu Joey, schreit mit väterlicher Wut und Ekel

Warum habt ihr das getan? Bitte! Bitte hilf mir!

Joey hat sich aus der gesamten Szene herausgehalten. Erstarrt in Wut und Ekel. Er

geht ab, murmelnd, schluchzend. Murph tritt den Inder Richtung Joey.

MURPH

Mach schon, Joey! Liebe ihn! Wie eine Mutter! Hey, Joey? Was, zum

Teufel, ist los??? Komm schon, Kumpel!

Murph schnappt sich den Inder, schneidet ihm in die Hand, die Klinge seines

Messers ist blutverschmiert.

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MURPH

Tut mir Leid, Chef. Ich tu das für meinen Kumpel Joe. Und für Pussyface.

(Er ruft Richtung Off:) Joey! Kumpel! Was zur Hölle ist los??? (Murph

rennt von der Bühne, Joey hinterher.) Joey! Warte Joey! Ich hab den Inder

kaltgemacht!

Murph ab. Der Inder starrt stumpf seine bluttriefende Hand an. Dann schaut er den

Hörer an, spricht hinein.

INDER

Prem. Prem.

Er geht in die Mitte der Bühne, weg von der Telefonzelle.

INDER

Wieso kann ich meinen Sohn Prem nicht hören? Warum hast Du mir das

angetan?

Plötzlich klingelt das Telefon. Einmal, zweimal. Der Inder erstaunt. Er spricht in den

Hörer, während er die abgeschnittene Schnur in der blutenden Hand hält.

INDER

Prem? Bist Du das, Prem? (Das Telefon klingelt ein drittes Mal.)

Prem. Prem? Bist Du das?

Ein viertes Klingeln. Der Inder versteht, dass der Apparat tot ist.

INDER

Prem. Prem. Hilf mir. Prem.

Das Telefon klingelt erneut. Durch die Stille der Nacht erklingen die Stimmen der

singenden Jungs.

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JOEY

I walk lonely streets at night

A’lookin’ for your door

MURPH

I look and look and look and look…

JOEY

But, Baby, you don’t care

But, Baby, no one cares

But, Baby, no one cares…

Mit der Wiederholung der Zeilen kommen mehr mehr und mehr Stimmen hinzu; es

entsteht der Effekt eines vielstimmigen Chores. Das Telefon klingelt fort und fort.

INDER auf Deutsch

Wie geht es Dir? Bitteschön. Bitteschön. Wie geht es Dir? Wie geht es

Dir? Danke. (Nach vorn:) Danke.

Black.

ENDE DES STÜCKS

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