DER IRAK-KRIEG DIE DEUTSCHE MITTÄTERSCHAFT · dung Al Kaida–Saddam oder über...

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institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung münchen e.V. 18 Schutzgebühr: 2,50 Euro DER IRAK-KRIEG und die Folgen DIE DEUTSCHE MITTÄTERSCHAFT am völkerrechts- widrigen Angriffskrieg gegen den Irak KONSEQUENZEN deutscher Politik und die mörderischen Mitherausgeber: Bündnis München gegen Krieg und Informationsstelle Militarisierung IMI e.V.

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institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung münchen e.V.

18

Schutzgebühr: 2,50 Euro

DER IRAK-KRIEGund die Folgen

DIE DEUTSCHEMITTÄTERSCHAFTam völkerrechts-widrigen Angriffskrieggegen den Irak

KONSEQUENZENdeutscher Politik

und diemörderischen

Mitherausgeber: Bündnis München gegen Kriegund Informationsstelle Militarisierung IMI e.V.

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Impressumisw-spezial 18, Dezember 2003Herausgeber: isw – institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V.(in Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Militarisierung, IMI e.V.und dem Bündnis München gegen Krieg)80639 München, Johann-von-Werth-Str. 3, Tel. 089/130041 Fax: 168 94 15email: [email protected], http://www.isw-muenchen.deKonto: Sparda Bank München, Konto-Nr. 98 34 20 (BLZ 700 905 00)IBAN: DE49 7009 0500 0000 9834 20, Swift-Code: GENODEF1S04Redaktion: Claus SchreerVerantwortlich im Sinne des Presserechts: Fred SchmidGrafiken: Bernd Bücking, Monika ZiehausLayout: Monika ZiehausRedaktionsschluss: 27. November 2003Druck: Das Freie Buch, München Schutzgebühr: 2,50 EURNachdruck – auch auszugsweise – nur mit vorheriger Genehmigung des isw e.V.

Inhalt

I. Die US-Propaganda zur Rechtfertigung des Krieges1. Lügen, Erfindungen, gefälschte Beweise ...................................................................... 32. Die Ergebnisse der UN-Waffeninspektionen von 1991 bis 1998 .................................. 43. Die UN-Resolutionen des Weltsicherheitsrats – kein Mandat für Krieg ........................ 54. Ob mit oder ohne UNO – der Krieg war lange vorher beschlossene Sache ................. 65. Die Kriegsermächtigung durch den US-Kongress ......................................................... 7

II. Die Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den Irak1. Deutschland: logistische Drehscheibe für den Krieg ..................................................... 82. Die direkte und indirekte Beteiligung der Bundeswehr am Krieg ................................ 10

III. Völkerrechts- und Verfassungsbruch durch die Bundesregierung1. Die UN-Charta .............................................................................................................. 112. Verfassungsbruch der Regierung ................................................................................ 123. Die angeblichen Bündnisverpflichtungen Deutschlands ............................................. 13

IV. Mörderische Konsequenzen deutscher Politik1. Globalisierungsstrategie Deutschlands und der EU .................................................... 14

Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien ........................................................... 15Ein Neuer Kraftakt für die Militärmacht Europa ........................................................... 16Die EU-Verfassung: Aufrüstungsverpflichtung ............................................................ 17

2. Das Verhältnis Deutschland/EU zu den USA: Politakrobatik ...................................... 18Die EU – Instrument deutscher Großmachtambitionen ............................................... 19Die deutsche Gratwanderung ...................................................................................... 20

Anhang: Kostspielige Aufrüstung der Bundeswehr-"Einsatzkräfte" ..................................... 22

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I. Die US-Propaganda zur Rechtfertigung des Krieges

"’Gott hat uns aufgerufen, unser Land zu verteidi-gen und die Welt zum Frieden zu führen’, erklärteGeorge W. Bush in seiner Rede in Nashville am10.2.2003. Ein solch hoher Zweck heiligt jedesMittel, auch das der umfassenden Täuschung derÖffentlichkeit über die Gründe des Irakkriegs.Bushs Kriegserklärung an den Irak vom 7.10.2002trägt auf der Website des Weißen Hauses denTitel ’Denial and Deception’, Leugnen und Täu-schung. ’Indeed’, kommentiert New York Times-Autor Paul Krugman. In der Tat, die von Bushangegebenen maßgeblichen Gründe – SaddamHussein steht in Verbindung zu Al Kaida; der Irakverfügt über Massenvernichtungswaffen – warengelogen. Es gab keinerlei Beleg über eine Verbin-dung Al Kaida–Saddam oder über Massenvernich-tungswaffen in den Händen des Saddam-Regimes,und das Weiße Haus wusste, dass es keine Belegefür seine Behauptungen gibt. Doch schlimmernoch: die Regierung Bush strich aus den Geheim-dienstdokumenten alle Fakten, die ihren öffentli-chen Behauptungen zuwiderliefen. (John B. Judis/Spencer Ackerman: Deception and Democracy.New Republic, 30.6.2003). Vizepräsident Cheney,Verteidigungsminister Rumsfeld, AußenministerPowell, die Nationale Sicherheitsberaterin Riceund CIA-Direktor Tenet haben nachweislich in derÖffentlichkeit falsches Zeugnis abgelegt. So wa-ren diese Hauptakteure der Bush-Regierung früh-zeitig von den eigenen Experten informiert wor-den, dass die bis zuletzt als Beleg für das irakischeAtomwaffenprogramm genannten Aluminium-röhren für Atomwaffen ungeeignet waren. Nochphantastischer war der Umgang mit dem angebli-chen schriftlichen Nachweis eines Urangeschäftszwischen Niger und dem Irak. ’Ein ohne Beweiseentfesselter Präventivkrieg wäre für das Rechtsbe-wusstsein des Westens ein Desaster’, sagt HeinerGeissler (Süddeutsche Zeitung, 20.1.2003). DasDesaster ist da, aber ’the rest of the west’ bemühtsich eher um gutes Wetter über dem Atlantik, alsdass er vom US-Präsidenten Aufklärung und Kon-sequenzen forderte." (aus: Conrad Schuhler: UnterBrüdern. Papyrossa-Verlag, Köln 2003)

1. Lügen, Erfindungen, gefälschte BeweiseNach dem offiziell verkündeten Kriegsende durch-kämmten 1.400 US-Spezialisten den von US-ame-rikanischen und britischen Truppen besetztenIrak. Bis heute sind sie auf der Suche nach demangeblichen Kriegsgrund. "Wir haben jedes iraki-sche Munitionslager zwischen Kuwait und Bagdaduntersucht, aber es ist einfach nichts da", erklärteder kommandierende US-General James Conwayim ARD-Magazin ’Panorama‘ am 12. Juni 2003.Die Behauptung, Saddam Hussein hätte Massen-vernichtungswaffen, mit denen er die USA undden Weltfrieden bedroht, war die zentrale Kriegs-begründung der US-Regierung. Schon im August2002 erklärte US-Vize-Präsident Dick Cheney: "Esbesteht kein Zweifel, dass Saddam Hussein heuteMassenvernichtungswaffen besitzt; es bestehtkein Zweifel, dass er sie hortet für den Einsatzgegen unsere Freunde, gegen unsere Verbünde-

ten und gegen uns." Am 28. Januar 2003 behaup-tete US-Präsident George W. Bush in seiner Redezur Lage der Nation ebenfalls: "Jahr für Jahr hatSaddam Hussein enorme Summen ausgegeben,um Massenvernichtungswaffen zu bauen und zubehalten. ... Die britische Regierung hat herausge-funden, dass Saddam Hussein jüngst größereMengen Uran aus Afrika kaufen wollte." Auch alsalle Lügen längst wie Seifenblasen zerplatzt wa-ren, blieb die US-Regierung bei dieser Behaup-tung. Am 18. März 2003, zwei Tage vor Beginnder Bombardierung Bagdads, erklärte US-Präsi-dent Bush in seiner Fernsehansprache erneut: "Ge-heimdienstinformationen unserer und andererRegierungen lassen keinen Zweifel, dass dasirakische Regime einige der tödlichsten Waffenbesitzt und versteckt, die jemals entworfenwurden."Sechs Wochen vorher, am 5. Februar, hat US-Außenminister Colin Powell seinen großen Auftrittim UN-Sicherheitsrat. Er präsentierte die bis dahingeheim gehaltenen angeblichen Beweise für dieirakischen Massenvernichtungswaffen.Beweis Nr. Eins: Luftaufnahmen einer "Chemiewaffenfabrik"!Die UN-Inspektoren hatten diese Anlage jedochlängst inspiziert – ohne eine Spur von Waffenpro-duktion zu finden.Beweis Nr. Zwei: Mobile Giftgaslabore!Powell präsentiert handgemalte Bilder eines LKW– angeblich ein Dekontaminierungslastwagen. DieInspektionsteams der UNO hatten diese Fahrzeu-ge aber keineswegs übersehen. "Es waren Wasser-tankwagen", stellte UN-Waffeninspektor Jörn Silje-holm in einem Interview mit dem ARD-Magazin’Panorama’ (12.6.2003) klar.

Beweise Nr. Drei, Vier und Fünf: Saddams Atomprogramm!Powell zeigt Fotos von Aluminiumröhren, angeb-lich eine Spezialanfertigung für den Bau vonAtomwaffen. Experten des US-amerikanischenEnergieministeriums hatten jedoch längst heraus-gefunden, dass die Aluminiumröhren für die Her-stellung von Atomwaffen völlig ungeeignet waren(nach ’New Republic’, 30.6.03).Und schließlich zitiert Powell aus einem britischenGeheimdienstbericht und wiederholt die Behaup-tung des britischen Premierministers Toni Blair:"Wir wissen: der Irak hat chemische und biologi-sche Waffen. Er stellt sie nach wie vor her und

Powels handgemalte "Beweise"

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will sie auch einsetzen. Saddam kann diese Waf-fen innerhalb von 45 Minuten aktivieren." Der bri-tische Sender BBC enttarnte diese Propaganda-märchen. Das Geheimdienst-Dossier war seiten-weise aus einer zwölf Jahre alten Diplomarbeitdes Studenten Ibrahim Al-Marashi abgeschriebenworden, selbst die Tippfehler wurden übernom-men (vgl. ’Stern’, 13/2003).Noch dreister war der angebliche Beweis einesirakischen Urangeschäfts mit Niger, den Powelldem Weltsicherheitsrat vorlegte. Diesen Deal hat-te es nie gegeben. Mohammed El-Baradei, Chefder Internationalen Atomenergiebehörde, undUN-Chefinspektor Hans Blix enttarnten die angeb-lichen Dokumente als "plumpe Fälschungen". Tat-sächlich lagern die Papiere im Panzerschrank derAtomenergiebehörde in Wien und die Unterschriftdes nigerianischen Außenministers, der schon seitJahren nicht mehr im Amt ist, war gefälscht. EinDiplomat des CIA, der deswegen in den Niger ge-reist war, hatte das bereits im Jahr zuvor, im Fe-bruar 2002, herausgefunden (’Panorama’, 12.6.03und New Republic‘, 30.6.03). US-KriegsministerRumsfeld drehte den Spieß einfach um: "Das Feh-len von Beweisen", sagte er, "ist kein Beweis fürdas Fehlen von Massenvernichtungswaffen".

Ebenso völlig frei erfunden war die Behauptungder US-Regierung, Saddam Hussein hätte etwasmit den Terroranschlägen des 11. September zutun und hänge mit dem Terrornetzwerk Osamabin Ladens zusammen. US-Präsident Bush in sei-ner Rede vor dem amerikanischen Kongress am29. Januar 2003: "Beweise aus Geheimdienstquel-len enthüllen, dass Saddam Hussein Terroristenunterstützt und schützt, darunter Mitglieder vonAl-Qaida. (Frankf. Rundschau, 30.1.03). Und am1. Mai 2003, bei der Verkündung des Sieges überden Irak, erklärte Bush: "Die Schlacht im Irak warein Sieg im Kampf gegen den Terrorismus, der am11. September begonnen hat. Die Befreiung desIrak war ein entscheidender Schritt im Kampf ge-gen den Terror. Wir haben einen Verbündetenvon Al-Qaida beseitigt und eine Finanzierungs-quelle des internationalen Terrorismus trocken ge-legt." Selbst der CIA hat diese Märchen demen-tiert. Greg Thielmann, ehemaliger US-Geheim-dienstchef: "Ich kenne wirklich keinen einzigen Ex-perten in der US-Administration für Terrorismus,der Osama bin Laden als einen Alliierten von Sad-dam betrachten würde." (’Monitor’, 28.8.03.)

2. Die Ergebnisse der UN-Waffen-inspektionen von 1991 bis 1998

Nach dem Golfkrieg 1991 war der Irak demstrengsten Waffeninspektionsregime unterwor-fen, das es je für irgend ein Land gegeben hat. Dieirakischen Massenvernichtungswaffen und dieentsprechenden Produktionsanlagen wurden zer-stört. Scott Ritter, der Leiter der UN-Sonderkom-mission im Irak von 1991 – 1998 hat die Behaup-tungen der US-Regierung eindeutig widerlegt. Diefolgenden Aussagen machte Scott Ritter am 16.und 19. August 2002:

"1998, in dem Jahr, als ich den Irak verließ unddas UN-Waffeninspektionsprogramm beendetwurde, waren die (Atom-)Infrastruktur und dieAnlagen zu 100 Prozent zerstört. (...) Wir haben

das Atomwaffenprogramm des Irak vernichtet,und wenn der Irak es wieder aufbauen würde ...Der Irak könnte das nicht verbergen." "Chemische Waffen wurden in der Anlage inder Region Muhanna hergestellt. Diese riesigeProduktionsstätte für chemische Waffen wurde imGolfkrieg bombardiert, danach kamen die Waf-feninspekteure und vernichteten alles, was davonnoch übrig war. Damit verlor der Irak die Grund-lage für die Herstellung von Sarin und Tabun. (...)Sarin und Tabun zerfallen binnen fünf Jahren undwerden damit völlig nutzlos. Es ist kein wirksamerchemischer Kampfstoff mehr, vor dem sich dieWelt zu fürchten hätte. (...) Hätten sie etwas ver-steckt, dann hätten wir es gefunden. Aber neh-men wir einmal an, es wäre ihnen tatsächlich ge-lungen, etwas davon zu verstecken Es wäre inzwi-schen nur noch eine unbrauchbare und harmloseSchmiere." "Wir haben mehr Produktionsanlagen für biolo-gische Waffen kontrolliert als sonst etwas – übertausend Einrichtungen, ein paar hundert davonsogar mehrmals. Die Fabrik in Al Hakam ist eingutes Beispiel. ... Wir wussten, dass hier Kampf-stoffe hergestellt wurden. Die Iraker bestrittendies. Am Ende gaben sie es zu, und wir zerstörtendie Fabrik. So viel steht fest. Auch unter idealenLagerbedingungen beginnt flüssiges Anthrax in-nerhalb von drei Jahren zu keimen und wird da-mit unbrauchbar. Auch wenn uns also die Irakerangelogen und Antrax zurückbehalten haben ...Der Irak besitzt heute keine biologischen Waffenmehr, weil sowohl das Anthrax als auch das Botu-linumtoxin inzwischen unbrauchbar gewordensind. (...) Noch einmal: Die Forschung und Entwick-lung biologischer Waffen wurde von den Inspek-teuren besonders sorgfältig überprüft. Wir habenim Irak überall gesucht, in jeder Forschungs- undEntwicklungseinrichtung, in jeder Universität, injeder Schule, jedem Krankenhaus und jeder Bier-brauerei – überall, wo Fermentationsprozessestattfinden könnten, haben wir kontrolliert undnirgendwo einen Beleg dafür gefunden, dass wei-terhin Forschung und Entwicklung betrieben oderMaterialien zurück behalten wurden." "Wir brachten Bomben, Raketen und Spreng-köpfe, die mit diesen Kampfstoffen gefüllt waren,gezielt zur Explosion. Wir entleerten Scud-Rake-tensprengköpfe, die damit bestückt waren. Alldas Zeug haben wir ausfindig gemacht und zer-stört ... Die Vorstellung, der Irak könne plötzlichmit einer Langstreckenrakete aufwarten, ist ab-surd. (...) Dazu müssen jede Menge Tests durch-geführt werden ... Man muss die Raketen ins Freiebringen und von Abschussrampen abfeuern ...Unsere Radaranlagen registrieren diese Tests; wirwissen also, was dort getestet wird, und das, waswir wissen, braucht uns nicht zu beunruhigen."(W.R. Pitt – Scott Ritter: Krieg gegen den Irak – Was die Bush-Regierung verschweigt, Köln 2002)

Trotz all dieser unwiderlegbaren Fakten, wurdedie Weltöffentlichkeit weiterhin ganz bewusst be-logen. Einziges Ziel der US-Regierung war: denIrak militärisch zu besetzen. Nach dem Krieg ließUS-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz dieKatze aus dem Sack. Er erklärte: "Aus bürokrati-schen Gründen setzten wir auf das Thema Mas-senvernichtungswaffen, weil es der einzige Grundwar, bei dem jeder zustimen konnte."

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3. Die UN-Resolutionen des Weltsicherheitsrats –kein Mandat für KriegDie UN-Resolution 678 vom 29. November 1990,mit der die Verbündeten Kuwaits seinerzeit auto-risiert wurden, "alle erforderlichen Mittel" einzu-setzen, um Kuwait von den damals eingefallenenirakischen Truppen zu befreien, war bereits imJahr 1991 erfüllt. Der Zweck jener Ermächtigungwar die Vertreibung der irakischen Besatzer ausKuwait. Weder die USA noch ihre Verbündetenwaren damals autorisiert worden, Saddam Hus-sein und sein Regime mit militärischen Mitteln zustürzen und einen Systemwechsel herbeizuführen.Die anschließenden UN-Resolutionen über denAbschluss eines Waffenstillstandes sowie die Ein-setzung und Entsendung eines UN-Inspektion-steams (UNSCOM, und seit 1999 UNMOVIC) zumAufspüren und Vernichten möglicher atomarer,biologischer und chemischer Waffensysteme er-mächtigten ebenfalls nicht zur Anwendung militä-rischer Gewalt gegen den Irak. Sie sahen wedervor, die Kooperation mit dem UN-Inspektionsteamdurch militärische Mittel zu erzwingen, noch dassdas Regime von Saddam Hussein durch Krieg ge-stürzt werden sollte.Dies gilt auch für die nach wochenlangen Ver-handlungen am 8.11.2002 vom UN-Sicherheitsrateinstimmig verabschiedete Resolution 1441. Dieselegte ein präzises inhaltliches und zeitliches Re-gime für die an den Irak gerichteten Forderungensowie die Grundsätze für die Arbeit des UNMO-VIC- und IAEA-Inspektorenteams fest.

Resolution 1441Einen Tag nach der Verabschiedung der Resoluti-on 1441 im Weltsicherheitsrat schrieb die NewYork Times‘: "Der Beschluss stellt es den USA frei,den Irak anzugreifen – auch ohne zweite Resoluti-on, die den Einsatz von Gewalt ausdrücklich auto-risiert." Diese Interpretation, die in krassem Ge-gensatz zum Text der Resolution steht, gehörteseitdem zum offiziellen Repertoire der US-Kriegs-propaganda. Die Resolution 1441 war zwar dasbis dahin schärfste Ultimatum gegenüber dem ira-kischen Regime, enthielt aber keinerlei Autorisie-rung für den Einsatz militärischer Gewalt.Einige der wichtigsten Passagen sollen hier nocheinmal in Erinnerung gebracht werden:In Ziffer 2 der Resolution beschloss der UN-Sicher-heitsrat, dem Irak "eine letzte Chance einzuräu-men, seinen Abrüstungsverpflichtungen nach deneinschlägigen Resolutionen des Rates nachzukom-men; und demgemäß ein verstärktes Inspektions-regime einzurichten, mit dem Ziel, den vollständi-gen und verifizierten Abschluss des mit Resolution687 (von 1991) und späteren Resolutionen desRates eingerichteten Abrüstungsprozesses herbei-zuführen."Der Irak wurde verpflichtet, innerhalb von 30 Ta-gen eine vollständige und umfassende Auflistungseiner Waffenbestände und Programme in Bezugauf Massenvernichtungswaffen vorzulegen. (Die-ser Bericht, der schließlich 12.000 Seiten umfass-te, wurde bekanntlich fristgerecht übergeben.)In Ziffer 4 der Resolution wurde festgestellt, dass"falsche Angaben oder Auslassungen" in diesemBericht sowie die Weigerung, mit dem Inspektions-

team "uneingeschränkt zu kooperieren, eine wei-tere erhebliche Verletzung der VerpflichtungenIraks darstellen, die dem Rat gemeldet werden(sollen), damit er eine Bewertung trifft".In den folgenden Ziffern wurden bis ins Detail dieRechte des UN-Inspektionsteams auf "unbehinder-ten, bedingungslosen und uneingeschränkten Zu-gang zu allen Einrichtungen ... Unterlagen" usw.festgelegt, "die diese zu inspizieren wünschen".In Ziffer 7 der Resolution wird festgelegt: Die In-spektionsteams "die UNMOVIC und die IAEO ha-ben das Recht, nach ihrem alleinigen Ermessenalle verbotenen Waffen, Subsysteme, Komponen-ten, Unterlagen, Materialien und andere damitzusammenhängende Gegenstände verifizierbar zuentfernen, zu vernichten oder unschädlich zu ma-chen, sowie das Recht, alle Einrichtungen oderAusrüstungen für deren Produktion zu beschlag-nahmen oder zu schließen".Zwar "erinnert" die Ziffer 13 der UN-Resolutiondaran, dass der Sicherheitsrat den Irak wiederholtvor "ernsthaften Konsequenzen" gewarnt hat,"wenn Irak weiter gegen seine Verpflichtungenverstößt". Worin diese "serious consequences" be-stehen würden, hatte er jedoch bewusst offen ge-halten.Wären tatsächlich verbotene Waffenbeständeoder entsprechende Produktionsanlagen gefun-den worden, dann hätten sie "unschädlich ge-macht und vernichtet" werden sollen (siehe Zif-fer 7), genauso, wie das zwischen 1991 und 1998sehr erfolgreich praktiziert worden war.Ausdrücklich wird schließlich in den Schlusspassa-gen der Resolution klargestellt, dass der Welt-sicherheitsrat die Einhaltung der Abrüstungsver-pflichtungen des Irak "einschließlich seiner Ver-pflichtungen betreffend der Inspektionen" selbstüberwachen und auch selbst alle weiteren Ent-scheidungen treffen werde.In den Ziffern 11, 12 und 14 beauftragte der Sicher-heitsrat die Leiter der UN-Waffeninspektions-teams, "über jedes Versäumnis Iraks" im Zusam-menhang mit der Resolution "Bericht zu erstat-ten", und beschloss, "sofort nach Eingang des Be-richts zusammen zu treten, um über die Situationund die Notwendigkeit der Befolgung aller ein-schlägigen Ratsresolutionen zu beraten." Und:"mit der Angelegenheit befasst zu bleiben".

In der US-Propaganda wurde immer wieder be-hauptet, dass das Auffinden verbotener Waffenund Waffensysteme (z.B. Raketen mit einer Reich-weite von mehr als 150 km) auf jeden Fall einenMilitärschlag legitimieren würde. In der Resoluti-on des Sicherheitsrats stand davon jedoch nichts. Die Resolution 1441 mag in zahlreichen Punktenäußerst doppeldeutig formuliert sein. Aber: "DerWortlaut der Resolution ist eindeutig genug,um aus ihm keine Ermächtigung für den Kriegherauslesen zu können, selbst im Falle ihrereindeutigen und nachhaltigen Verletzungdurch Irak." (Prof. Norman Paech, Völkerrechtleran der Universität für Wirtschaft und Politik inHamburg).Dieses "Problem" musste schließlich auch von denUSA und Großbritannien zur Kenntnis genommenwerden, weshalb sie sich krampfhaft um einezweite Sicherheitsrats-Resolution bemühten. Nach-dem in den Beratungen klar wurde, dass der Si-

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cherheitsrat die Inspektionen fortsetzen wollteund eine Ermächtigung zum gewaltsamen Regi-mewechsel im Irak auch gar nicht hätte erteilenkönnen, stellten die USA ihren zweiten Resoluti-onsentwurf gar nicht erst zur Abstimmung.

4. Ob mit oder ohne UNO – der Krieg war lange vorher beschlossene SacheSaddam Hussein war zweifellos ein skrupelloserDiktator, der in den 80er Jahren einen mörderi-schen Krieg gegen den Iran geführt hat (mit hun-derttausenden von Toten), der Giftgas gegen dieeigene Bevölkerung eingesetzt hat (in Halabschawurden dabei 5.000 Kurden ermordet), und derfast die gesamte fortschrittliche und linke Opposi-tion liquidiert bzw. ins Exil getrieben hat.

Aber gerade in dieser Zeit war Saddam Husseinder Liebling des Westens. Mit dem Sturz desSchahs von Persien (1979) hatten die USA und diewesteuropäischen Staaten ihren wichtigsten Ver-bündeten im Nahen Osten verloren. 1980 beginntSaddam Hussein den Krieg gegen den Iran, derzehn Jahre andauert und bei dem auf beiden Sei-ten Hunderttausende Menschen getötet wurden.Um einen Sieg der verhassten Mullahs zu verhin-dern, erhielt das Saddam-Regime Staatskrediteaus den USA und wurde insbesondere von denwestlichen Großmächten mit Rüstungsgütern je-der Art beliefert. In dem 12.000-Seiten starkenBericht des Irak an die Vereinten Nationan wur-den 24 US-Firmen genannt, darunter amerikani-sche Labore, die Bakterienkulturen an den Irak ge-liefert haben. Die Spitzenstellung nimmt Deutsch-land ein. 98 deutsche Firmen waren an Rüstungs-geschäften mit dem Irak beteiligt. Deutschlandhalf bei der Modernisierung der Scud-Raketenund lieferte Anlagen zur Entwicklung und Herstel-lung von Massenvernichtungswaffen.Seit 1991 ist der Irak jedoch keine Gefahr mehrfür seine Nachbarstaaten. Der Irak war und ist deram meisten abgerüstete und am strengsten vonUN-Inspektoren kontrollierte Staat der Welt. DerIrak war also nicht in der Lage weder die USAnoch Europa militärisch zu bedrohen, und er warerst recht keine Bedrohung für den Weltfrieden.

Der Irak wurde nicht deshalb angegriffen, weil ermilitärisch stark war, sondern gerade deshalb,weil er so schwach war.Die Haltung des Weltsicherheitsrats war für dieEntscheidung der US-Regierung von Anfang anzweitrangig. Der Krieg gegen den Irak – ob mitoder ohne Genehmigung der UNO – war seit lan-gem beschlossene Sache. Wesley Clark, ehemali-ger Oberbefehlshaber der NATO in Europa (er hat-te 1999 das Oberkommando im NATO-Krieg ge-gen Jugoslawien), erklärte Anfang Februar, dassdie Entscheidung, militärisch gegen den Irak vor-zugehen, bereits kurz nach dem 11. September2001 gefallen ist. Clark äußerte bei dieser Gele-genheit, dass "Syrien und Iran als nächste dran"seien. (Interview in Welt am Sonntag, 9.2.2003).US-Verteidigungsminister Rumsfeld, sein Stellver-treter Paul Wolfowitz und Pentagon-Berater Ri-chard Perle drängten den damaligen US-Präsiden-ten Bill Clinton aber bereits im Januar 1998 "zurBeseitigung des Saddam-Regimes". Die Pläne für die derzeitige US-Politik und den"Globalen Krieg" wurden bereits in den 70er Jah-ren von denen entworfen, die sie heute durchset-zen. Conrad Schuhler: "Der ’Krieg gegen den Ter-ror’, der aggressive Unilateralismus der USA ent-springt nicht den Terrorakten von Al Kaida oderanderen, sondern wird getrieben von den Interes-sen der in der Bush-Regierung dominanten Kapi-talfraktionen, die schon in den Siebzigern damitbegonnen hatten, einen Brain Trust zu organisie-ren, der schließlich den politischen Diskurs unddann die praktische Politik der Regierung bestim-men sollte. Die Gruppe wurde in den Siebzigernvon Rumsfeld, damals Verteidigungsminister inder Ford-Regierung, und von Cheney, Stabschefvon Präsident Ford, ins Leben gerufen. In den Rea-gan-Jahren stießen die radikalsten Vordenker derRechten hinzu, unter ihnen Paul Wolfowitz, Ri-chard Perle, Eliott Abrams und Zalmay Khalilzad.Unter der Leitung von Dick Cheney, dem damali-gen Verteidigungsminister, schrieb die Gruppe ihr

Donald Rumsfeld und Saddam Hussein am 20. Dezember 1983in Bagdad. Als Sonderbotschafter des damaligen US-PräsidentenRonald Reagan führte der heutige US-Verteidigungsminister dieVerhandlungen über eine verstärkte militärische Zusammenar-beit zwischen den USA und dem Irak im Krieg gegen den Iran.

Saddam Hussein und Donald Rumsfeld arbeiten Hand in Hand (Der Spiegel)

1983 setzte die damalige US-Regieurng alles daran,das Saddam-Regime zum Machtfaktor im NahenOsten aufzubauen. US-Präsident Reagan schickteden heutigen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld alsSonderbeauftragten nach Bagdad. Das Treffen mitSaddam Hussein verlief in bester Harmonie. In einerdiplomatischen Depesche betonte Rumsfeld an-schließend ausdrücklich die "’Bereiche großer Ge-meinsamkeiten’ beider Staaten. Es wäre durchaus’vorteilhaft für den Irak’, wenn er ’seine natürlicheRolle in der Region ausfüllt, dmit die Ambitionenanderer nicht überhand nehmen’. (... ) Ein Kriegs-ausgang, der die Rolle des Irak schwäche, liegtnicht im westlichen Interesse. (...) Seit Monatenhäufen sich Berichte über Iraks völkerrechtswidri-gen Einsatz von chemischen Kampfstoffen im Iran,Rumsfeld erklärte jedoch voller Verständnis: ’Unab-hängige und souveräne Nationen haben das Recht,Dinge zu tun, mit denen wir oder andere nicht ein-verstanden sind". (’Der Spiegel’ Nr. 47/2003)Nach dem Rumsfeld-Besuch wird der Irak quasi zumBündnispartner der USA. Saddam erhält logistischemilitärische Unterstützung, insbes. kriegswichtigeLagebilder amerikanischer Spionagesatelliten.

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erstes großes Manifest: ’Orientierungspunkte zurVerteidigungsplanung für die Haushaltsjahre1994-1999’. Als Autoren firmierten Wolfowitzund Khalilzay.Das als ’No Rivals’-Plan in die Geschichte einge-gangene Manifest erklärt nach dem Zusammen-bruch des Sowjetsystems als das ’erste Ziel’ derUSA, ’das Wiederauftreten eines neuen Rivalen zuunterbinden’. Vielmehr müsste die US-Politik die’modernen Industrienationen’ davon ’abschrek-ken’, ’unsere Führung in Frage zu stellen’. Manmüsse mögliche Konkurrenten davon abhalten,’eine größere regionale oder globale Rolle auchnur anzustreben’. ’Wir werden an der Verpflich-tung festhalten, diese Fehlverhalten, die unsereInteressen bedrohen ..., zum Thema zu machen ...Verschiedene US-Interessen können in solchenFällen eine Rolle spielen: der Zugang zu lebens-wichtigen Rohstoffen, vor allem Öl vom Persi-schen Golf; die starke Vermehrung von Massen-vernichtungswaffen und ballistischen Raketen, Be-drohung von US-Bürgern durch Terrorismus.’1997 gründeten die unilateralistischen Politstrate-gen eine private Stiftung namens Project for theNew American Century (Pnac – Projekt für dasneue amerikanische Jahrhundert), in dessen Grün-dungsaufruf sie versprechen, ’Beistand zu sam-meln für die globale Führung Amerikas’ und des-sen ’militärische Stärke und moralische Reinheit’wiederherzustellen. Zu den Stiftungsgründern zäh-len die schon einschlägig bekannten PolitprofisCheney, Rumsfeld, Wolfowitz, Khalilzad, LewisLibby sowie die Publizisten Francis Fukuyama, Wil-liam Bennett, Norman Podhoretz, Bill Kristol undRobert Kagan." (Conrad Schuhler: Unter Brüdern.a.a.O.)"Am 26. Januar 1998 forderte diese Vereinigungin einem Brief an den damaligen Präsidenten Clin-ton die ’Beseitigung des Regimes von SaddamHussein’. In Briefen an die Führer des Kongressesverlangten sie: ’Wir sollten eine starke militärischePräsenz der USA in dieser Region einrichten undaufrechterhalten, und wenn nötig, Saddam ent-machten.’ Offen erklärten sie, das Ziel sei die per-manente koloniale Besetzung des Irak und dieamerikanische Herrschaft über die ganze Regionund ihres Öls. Unterzeichner dieses Manifests:Dick Cheney, heute Vizepräsident; I. Lewis Libby,heute Stabschef des Vizepräsidenten; Paul Wolfo-witz, heute Stellvertreter von Verteidigungsmini-ster Rumsfeld; Richard Armitage, heute Stellver-treter von Außenminister Powell; Richard Perle,heute Vorsitzender des VerteidigungspolitischenBeirats der Regierung und zahlreiche weitere füh-rende Mitarbeiter der Bush-Regierung, die heutedieses Konzept für ein neues Jahrhundert ameri-kanischer Weltherrschaft durchsetzen will. Wiewenig die aktuelle Lage und irgendwelche Faktenim Irak mit dem Kriegswillen der USA zu tun ha-ben, beweist auch die Direktive, die Verteidi-gungsminister Rumsfeld schon am 11.9.2001, amTag der Anschläge von New York und Washing-ton, an die Geheimdienste ausgab: ’Werten Siedanach, ob das Material gut genug ist, gleichzei-tig den Schlag gegen Saddam Hussein zu führen.Nicht nur Osama bin Laden. Kehren Sie alles nachoben. Dinge, die damit zusammenhängen, undsolche, die nicht." (Conrad Schuhler: Rede auf derBerliner Demonstration gegen den Irak-Krieg am15. Februar 2003)

Im Juni 2002, zeichnet der Präsident vor den Ab-solventen der Elite-Militärakademie West Pointdas Bild der USA als gnadenlosen Weltpolizist, fürden die bisherigen Regeln des Völkerrechts undder Friedenssicherung nicht mehr gelten. US-Ame-rikaner haben "jederzeit bereit zu sein, um ohneZeitverlust in jeder dunklen Ecke der Welt zuschla-gen zu können. Unsere Sicherheit verlangt vonallen Amerikanern, resolut nach vorn zu schauenund bereit für präventive Schläge zu sein, wannimmer das notwendig ist, um unsere Freiheit undunser Leben zu verteidigen ... Wir müssen dieSchlacht auf dem Boden der Feinde führen, ihrePläne vereiteln und den schlimmsten Bedrohun-gen begegnen, bevor sie auftauchen." (vgl. Cle-mens Ronnefeldt, zitiert nach C. Schuhler, UnterBrüdern, a.a.O.)Am 19. September 2002, eineinhalb Monate vorder Verabschiedung der Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat, legte Präsident Bush dem Kongresseinen Resolutionsentwurf vor, der ihn zum Krieggegen den Irak auch ohne Zustimmung der UNOermächtigen sollte. Im Januar 2003 bekräftigteUS-Außenminister Colin Powell noch einmal aus-drücklich die Position seiner Regierung: "Wir ha-ben immer klar gemacht, dass die USA auch ohnezweite Resolution handeln werden". Und dannsagte er: "Wenn die internationale Gemein-schaft nicht bereit dazu ist, den Irak zu ent-waffnen, dann werden die USA mit gleichge-sinnten Nationen diese Verpflichtung alleinetragen." (SZ, 18./19.1.2003)

5. Die Kriegsermächtigung durch den US-KongressAuszug aus der "Ermächtigungsresolution zur An-wendung militärischer Gewalt gegen den Irak2002" (Beschlossen von Senat und Repräsen-tantenhaus im US-amerikanischen Kongress am10./11. Oktober 2002. – Gesamtwortlaut doku-mentiert in: Blätter für deutsche und internationa-le Politik, 11/2002)"...Der Irak stellt eine fortgesetzte Bedrohung fürdie nationale Sicherheit der Vereinigten Staatensowie den internationalen Frieden und die Sicher-heit in der Golfregion dar und kommt auf eklatan-te und inakzeptable Weise nach wie vor nicht sei-nen internationalen Verpflichtungen nach, indemer unter anderem weiterhin chemische und biolo-gische Waffen besitzt und entwickelt, sich aktivum Atomwaffen bemüht und Terrororganisatio-nen Unterschlupf gewährt und unterstützt. ...Die vom Irak unter Beweis gestellte Fähigkeit undBereitschaft Massenvernichtungswaffen einzuset-zen, das Risiko, dass das gegenwärtige irakischeRegime diese Waffen entweder bei einem Überra-schungsangriff auf die Vereinigten Staaten odergegen ihre Streitkräfte einsetzt oder sie internatio-nalen Terroristen zur Verfügung stellt, die dies tunkönnten, und das enorme Ausmaß an Schaden,der den Vereinigten Staaten und ihren Bürgerndurch einen solchen Anschlag entstehen würde –all diese Gründe zusammengenommen rechtferti-gen ein Vorgehen der Vereinigten Staaten zurSelbstverteidigung. ...Der Präsident hat verfassungsgemäß die Autori-tät, Maßnahmen zu ergreifen, um internationaleTerrorakte gegen die Vereinigten Staaten abzu-

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wenden oder ihnen vorzubeugen. ... Es liegt imnationalen Sicherheitsinteresse der VereinigtenStaaten, den internationalen Frieden und dieSicherheit in der Golfregion wiederherzustellen:Daher beschließen der Senat und das Repräsent-antenhaus der Vereinigten Staaten von Amerikaim Kongress: Die gemeinsame Resolution wird als"Ermächtigungsresolution zur Anwendung militä-rischer Gewalt gegen den Irak 2002" bezeichnet.Ermächtigung: Der Präsident ist ermächtigt, dieStreitkräfte der Vereinigten Staaten so einzuset-zen, wie er es als notwendig und angemessenerachtet, um die nationale Sicherheit der Vereinig-ten Staaten gegen die fortgesetzte Bedrohungdurch den Irak zu verteidigen und alle relevantenIrak-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats durchzu-setzen".

II. Die Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den Irak

"Deutschland wird sich nicht am Krieg gegen denIrak beteiligen", mit dieser Lüge hatte es Bundes-kanzler Gerhard Schröder im September 2002 ge-rade noch einmal geschafft, die Bundestagswah-len zu gewinnen. Seine Anhänger feierten ihn als"Friedenskanzler". Doch im krassen Gegensatz zur öffentlich verkün-deten Kriegsablehnung stand von Anfang an diepraktische Unterstützung, die die Bundesregie-rung den USA und Großbritannien bei der Vorbe-reitung und der reibungslosen Durchführung desvölkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen denIrak gewährte.Deutschland war am Krieg direkt beteiligt: Erstens als zentrale logistische Drehscheibe fürdie US-Kriegsmaschinerie, für die Truppen- undKriegswaffentransporte in die Golfregion. Wohlwissend, dass die Vorbereitung und die Führungeines Angriffskrieges vom Grundgesetz (Artikel26) verboten und ein Straftatbestand (§§ 80, 80aStGB) ist, wurde die Nutzung von Flughäfen undMilitärstützpunkten erlaubt, wurden Überflug-rechte für die US-amerikanischen und britischenBombenflugzeuge erteilt.Zweitens mit Unterstützungsleistungen der Bun-deswehr, insbesondere durch die deutschen Be-satzungen in den fliegenden Feuerleitstellen, denAWACS-Maschinen, mit den Fuchs-Spürpanzern inKuwait, dem Geleitschutz für US-Kriegstransportedurch die Bundesmarine und mit Tausenden Bun-deswehrsoldaten, die zur Bewachung amerikani-scher Militäreinrichtungen abgestellt wurden.

1. Deutschland: logistische Drehscheibe für den KriegBeim NATO-Gipfel am 21./22. November 2002 inPrag garantierte Bundeskanzler Schröder den USAnoch einmal ausdrücklich die uneingeschränkteNutzung ihrer Militärbasen und volle Bewegungs-freiheit. Begründete wurden diese Zusicherungenmit Bündnisverpflichtungen, die von Deutschland– ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten –auf jeden Fall eingehalten werden. Die USA erhiel-ten also ganz offiziell grünes Licht, obwohl derBundesregierung bekannt war, dass der US-ameri-kanische Kongress dem US-Präsidenten die Kriegs-ermächtigung – auch ohne UN-Mandat – erteilthatte.Anfang Februar 2003 behauptete der Bundes-kanzler zwar immer noch: "Eine direkte oder indi-rekte Beteiligung an einem Krieg wird es nichtgeben", gleichzeitig garantierte er jedoch den Ag-gressoren uneingeschränkte Bewegungsfreiheitfür ihre Angriffshandlungen auf dem Gebiet derBundesrepublik. In einem ’Stern’-Interview wurdeihm die Frage gestellt: "Welche Konsequenzenhätte es für die deutsche Unterstützung, wenn dieUSA den Irak ohne UN-Mandat angriffen?". Schrö-der: "Die gegenwärtige Lage lässt keinen Raum fürSpekulationen. Nur so viel: Es geht hier nicht umJuristerei, sondern um eine politische Entschei-dung. Ich habe immer erklärt, dass wir die Bewe-gungsfreiheit unserer Verbündeten nicht ein-schränken werden. Das bezieht sich auf die USAebenso wie auf Großbritannien." (Stern, 8/2003vom 12.2.03)Am 17. Februar 2002 stimmte die Bundesregie-rung auf einer Sondertagung der EU-Regierungs-chefs einer gemeinsamen Erklärung zu, in der derKrieg "als letztes Mittel" gebilligt wurde. Der"Krieg" sei zwar "nicht unvermeidlich", erklärte derEuropäische Rat in seinem Beschluss, "die Inspek-tionen können jedoch nicht unbegrenzt fortge-setzt werden."

Die 25 größten US-Militärstützpunkte in Deutsch-land waren ganz wesentlicher Bestandteil der mi-litärischen Infrastruktur bei der Kriegführung ge-gen den Irak. Von den über 70.000 in Deutsch-land stationierten amerikanischen Soldaten erhiel-ten im Februar und März Tausende den Marsch-befehl in Richtung Golf. Wichtiges Kriegsmaterial,aber auch die 1. Panzerdivision der US-Army wur-den z.B. über Vielseck (Bayern) und vor allem ausUS-Kasernen aus Baden-Württemberg, Hessenund Rheinland-Pfalz nach Bremerhaven transpor-tiert und dort verschifft. Ebenso die 1. Panderdivi-sion der Briten, die hier stationiert ist. Aus demMilitärstützpunkt Wiesbaden folgte die 1. Divisi-on samt einem Versorgungskommando. Eingroßer Teil des V. Korps, das 40.000 Soldaten um-fasst und sein Hauptquartier in Heidelberg hat,wurde zum Aufbau der Nordfront in die Golf-region geschickt. Aus Mannheim wurde z.B. eineHubschrauberstaffel und eine Feldjägerbrigadenach Kuwait befehligt.Die US-Airbase Ramstein ist der größte Stütz-punkt der US-Luftwaffe außerhalb den USA. Vonhier aus wurde schon die Luftversorgung der Sol-daten für die Kriege auf dem Balkan und in Af-ghanistan organisiert. Die 86. Airlift Wing (AW)Germany hat laut Brigadegeneral Erwin F. Lessel

"Aus bürokratischen Gründen setzten wir auf das Thema Massenvernichtungs-waffen, weil es der einzige Grund war, bei dem jeder zustimen konnte."US-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz im Mainach dem Krieg (zit. nach ’Spiegel’, 24/2003)

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die Aufgabe "Luftbrücken zu bauen für den Trans-port von Menschen und Material, Hilfs- und Nach-schubgüter aus der Luft abzuwerfen und Soldatenim Notfall zu evakuieren". Ramstein ist der größteUmschlagplatz der US-Luftwaffe in Europa unddamit die zentrale Drehscheibe für den Krieg. Hierlandeten und starteten die dickbäuchigen C-130HERCULES und die gigantischen C-5 GALAXY. US-Logistiker, Ladeexperten und Piloten sorgten da-für, dass das aus den USA eingeflogene Kriegsge-rät umgeladen und zu den Truppen am Golf aus-geflogen wurde. Auch Kriegsverbündete wie Groß-britannien konnten diese US-Airbase für ihre Ein-sätze benutzen. Ganz in der Nähe befinden sichdas US-Militärkrankenhaus Landstuhl und der Mi-litärstützpunkt Baumholder, wo 8.000 US-Solda-ten stationiert sind. Diese Base diente ebenfalls –wie schon im Afghanistan-Krieg – als Luftbrückeins Kriegsgebiet.

Weiterhin spielt die US-Airbase Spangdahlem inder Eifel eine wichtige militärische Rolle. DerStandort soll bis 2005 so ausgebaut werden, dasser die Rhein-Main-Airbase ersetzen kann. InSpangdahlem gibt es bereits 92 Flugzeugbunkerund 70 Munitionsbunker. Von hier aus startetauch der berüchtigte Tarnkappenbomber F-117-A.Im Oktober 2002 meldete die Presse: "Die USAhaben vier Tarnkappenbomber vom Typ NightHawk von New Mexico auf den Stützpunkt Spang-dahlem (Rheinland-Pfalz) verlegt. Derzeit werdennach Air Force-Angabe Starts und Landungen ge-übt. Die Bomber (Stückpreis: 100 Millionen US-Dollar) hatten im Golfkrieg 1991 mit ihren laser-gesteuerten Raketen 40 Prozent aller Ziele im Irakgetroffen." (Bild-Zeitung, 16.10.2002) Auf demMilitärflughafen sind 5.000 Soldaten stationiert,mit drei Kampfschwadronen und einer Kontroll-

schwadron. Das hier stationierte 52. Jagdge-schwader der US-Army wurde zu Beginn des Jah-res 2003 in die Golfregion verlegt.Maßgeblich beteiligt am Truppentransport in dieGolfregion war auch die Rhein-Main-Airbase inFrankfurt, die zweite große Drehscheibe der US-Airforce. Hier sind die mächtigen TankflugzeugeKC-135 Stratotanker stationiert, die Kampfjets undTransportflugzeuge in der Luft betanken. Hier star-teten pausenlos Maschinen direkt an die Kriegs-front – beladen mit Bomben, Kriegsgerät und Sol-daten. Auf dem Rückflug brachten sie verwundeteSoldaten zurück, die in Wiesbaden oder Landstuhlin US-Krankenhäusern behandelt wurden.

Die Bundesregierung hatte den Aggressorstaatenpauschale Überflugrechte über deutsches Terri-torium gewährt. Ebenso wie in Ramstein, konntenauf der Airbase Frankfurt amerikanische Militär-transporter (Galaxy und Globemaster) ihren Zwi-schenstopp auf dem Weg in die Kriegsregion ein-legen. Überflogen wurde die Bundesrepublik, wieein Sprecher des Verkehrsministeriums in Berlinbestätigte, auch von den aus Großbritannien kom-menden US-Bombern des Typs B-52, die auf dieseWeise den Irak auf direktem Wege anfliegen unddort ihre Tod und Verwüstung bringende Last ab-werfen konnten. Die amerikanischen und briti-schen Flugzeuge wurden nach den Angaben desSprechers wie Zivilmaschinen über den deutschenLuftraum "durchkoordiniert".

Seit Anfang Februar 2003 wurden ganze Divisio-nen, Corps und andere Bataillone von den ver-schiedenen Militärbasen in Deutschland, wie Ans-bach, Gießen-Friedberg, Bad Kreuznach, Bam-berg, Darmstadt, Büdingen, Hanau, Illesheim, Kit-zingen, Schweinfurt, usw. an den Golf verlagert.

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Grafenwöhr (Oberpfalz), der größte US-Truppen-übungsplatz in Europa, diente bereits beimGolfkrieg 1991 als wichtigstes US-Trainingslager.Anfang des Jahres fand dort als direkte Kriegs-vorbereitung das virtuelle Manöver "Victory Scrim-mage" statt: 1.000 US-Offiziere übten einen Com-puter-simulierten Angriff auf den Irak. Zusätzlichwurde auf dem riesigen Gelände ein Hightech-Manöver durchgeführt. Tausende US-Ranger undMarines wurden hier trainiert und dann in denIrak verschickt. Für die Vorbereitungen auf denHäuserkampf wurden zivile Statisten aus Grafen-wöhr angeheuert.Über den Ausgang Vielseck wurden hunderte vonKettenfahrzeugen, schweres Kriegsgerät, LKW undBulldozer sowie Waffen und Munition aus demTruppenübungsplatz Grafenwöhr an die Irak-Frontverladen.Demnächst sollen in Grafenwöhr alle in Deutsch-land befindlichen US-Spezialeinheiten zu einerweltweit agierenden "Schnellen Eingreiftruppe" zu-sammengelegt werden. Der 21.000 Hektar großeTruppenübungsplatz soll für rund 3.000 zusätz-liche US-Soldaten und 5.500 Familienangehörigeausgebaut werden. Für den Ausbau der neuenInfrastruktur auf dem Militärgelände hat das Pen-tagon 650 Millionen Euro vorgesehen.

In Geilenkirchen befindet sich die AWACS-Base.Sie ist seit 1982 die Kommandozentrale derNATO-AWACS-Maschinen, die im Irak-Krieg zumEinsatz kamen. An diesem Standort, in der Nähevon Aachen, sind 3.000 Soldaten und Zivilange-stellte untergebracht. Die AWACS-Aufklärungs-flugzeuge werden zur "Kommunikationsunterstüt-zung bei Luftoperationen" und zur "Luftunterstüt-zung für Bodentruppen" – überwiegend für dieUS-amerikanische Kriegsführung – eingesetzt.Eine der bedeutendsten US-Militäreinrichtungenin Europa ist das EUCOM in Stuttgart-Vaihingen.Ein "virtueller Feldherrnhügel für die halbe Welt",wie die ’taz’ titelte (13.1.2003). Das EUCOM (Eu-ropean Command), die europäische Kommando-zentrale der US-Streitkräfte in Europa, ist keineNATO-Einrichtung, sondern untersteht direkt demPentagon und dem amerikanischen Präsidenten.Das EUCOM ist nicht nur zuständig für ganz Euro-pa, sondern auch für Afrika, Russland, die ehema-ligen Sowjetrepubliken in Zentralasien sowie fürIsrael, Syrien und Libanon. Alle US-Militäropera-tionen in diesen Ländern werden nicht etwa inden Vereinigten Staaten, sondern von Stuttgartaus koordiniert. Das EUCOM ist zugleich die Kom-mandozentrale für den (Erst-) Einsatz der in Euro-pa und Deutschland stationierten US-amerikani-schen Atomwaffen. Etwa 1.200 Offiziere allerWaffengattungen arbeiten dort. Vom EUCOMwurde die Bombardierung Libyens (1986), desIrak (1991) und Jugoslawiens (1999) befehligt,ebenso wie die Operation "Northern Watch", dieKontrollflüge und Bombardements im Nordenund Süden des Irak. (Diese beiden Flugverbotszo-nen waren eigenmächtig – ohne Mandat der UNO– von den USA, Großbritannien und Frankreich1991 gegen den Irak verhängt worden).

"Deutschland bleibt wichtigster US-Standort", titel-te die Süddeutsche Zeitung am 27. November2003. Nach den Plänen der US-Regierung sollen80 Prozent der 70.000 US-Soldaten weiterhin in

Deutschland stationiert bleiben. "Ausschlagge-bend für die Entscheidung Washingtons" sei ge-wesen, dass "die in in Deutschland stationiertenEinheiten fast ausnahmslos im Irak eingesetzt"werden und die Truppen und ihre Familien keinenzusätzlichen Belastungen ausgesetzt werden sol-len. "Deutschland habe sich als zuverlässigerBündnispartner erwiesen. Berlin habe keine Über-flugrechte verweigert, die Standorte nicht regle-mentiert und die Kasernen zusätzlich bewacht",zitiert die SZ das Weiße Haus.

2. Die direkte und indirekte Beteiligung der Bundeswehr am Krieg

Militärhilfe für die Türkei

Die Bundesregierung hat einem Beschluss derNATO zur militärischen Unterstützung der Türkeizugestimmt, der – so die offizielle Begründung –die Türkei vor einem drohenden Angriff des Irakschützen sollte und als Beistandsverpflichtungnach Art. V des NATO-Vertrages deklariert wurde.

Die Türkei war jedoch vom Irak in keiner Weisebedroht, sondern: Erklärte Absicht der türkischenRegierung war es von Anfang an, gemeinsam mitden US-Streitkräften in die kurdischen Gebiete desNord-Irak einzumarschieren. Gleichzeitig war dieTürkei von der US-Regierung als Aufmarschgebietfür 60.000 US-Soldaten und als Versorgungsbasisfür die US-Truppen vorgesehen, die den Irak vomNorden her angreifen sollten. Diese Planungscheiterte schließlich am Mehrheitsvotum der Ab-geordneten im türkischen Parlament. Die US-Armee erhielt jedoch die Erlaubnis, den türkischenLuftraum für den Einsatz von Marschflugkörperngegen den Irak zu nutzen. Damit war die Türkeieingebunden in die Kriegsoperationen der US-Aggressoren.

Die Bundesregierung hatte die Entsendung vonABC-Spezialeinheiten der Bundeswehr, die Liefe-rung von Patriot-Luftabwehrraketen und die deut-sche Beteiligung an den AWACS-Einsätzen an derGrenze zwischen der Türkei und dem Irak zuge-sagt. Ohne großes Aufsehen wurden die Patriot-Raketen – aus kosmetischen Gründen über dieNiederlande – in die Türkei verschifft.

AWACS-Einsätze

Die NATO-AWACS-"Aufklärungsflugzeuge", derenBesatzung zu einem Drittel von der Bundeswehrgestellt werden, sind – anders, als der Name sagt– fliegende Gefechtsstände! Im Radius von 400km ermöglichen sie eine genaue Zielplanung fürelektronisch gesteuerte Waffensysteme. Sie kön-nen sowohl zur Abwehr feindlicher Flugkörper,aber ebenso für die Zielsteuerung eigener Rake-tenangriffe genutzt werden.Die AWACS-Einsätze führten zu einem parlamen-tarischen Scheingefecht. Die FDP forderte eineEntscheidung des Bundestages – nicht etwa, umeine Beteiligung der Bundeswehr zu verhindern,sondern ausdrücklich, um eine Bundestagszustim-mung durchzusetzen, die mit den Stimmen derCDU/CSU und der FDP auf jeden Fall sicher war.

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Das AWACS-Urteil des Bundesverfassungsgerichtsvon 1994 verlangt für den Einsatz der Bundes-wehr außerhalb des Bündnisgebiets die vorherigeZustimmung des Bundestages. Die Bundesregie-rung behauptete jedoch, dass die AWACS-Flügean der irakisch-türkischen Grenze nichts mit dembevorstehenden amerikanisch-britischen Angriffs-krieg zu tun hätten, sondern lediglich dem Schutzeines NATO-Bündnispartners dienen würden. Die’Frankfurter Allgemeine Zeitung’ gab dazu denbissigen Kommentar: "Dass Fernaufklärer, die hartan der irakischen Grenze entlang fliegen, ihre An-tennen nur auf den Boden unter sich richten, wirdwohl niemand annehmen." (FAZ, 18.3.2003)

Fuchs-Spürpanzer

Kriegsunterstützung waren auch die in Kuwaitstationierten ABC-Abwehrkräfte der Bundeswehrmit ihren sechs Fuchs-Spürpanzern. Sie wurdentrotz der von den USA offen verkündeten An-griffspläne nicht aus Kuwait abgezogen, sondernzu Beginn des Krieges um weitere 100 Bundes-wehrsoldaten verstärkt.

BundesmarineEbenfalls beteiligt am Krieg war die Bundesmarineam Horn von Afrika. Sie gaben den US-amerika-nischen Seetransportern Geleitschutz auf demWeg in den persischen Golf.Der ARD-Weltspiegel begleitete die Fregatte derdeutschen Marine "Mecklenburg-Vorpommern"bei ihrem Einsatz im Rahmen von "Enduring Free-dom" am südlichen Ausgang des Roten Meeres.Am 9. März 2003 berichtete das ARD-Team überden deutschen Geleitschutz für das Transport-schiff "Gordon" der US-Navy. Bei der "Gordon"handelt es sich nach Informationen der FAS (Fede-ration of American Scientists) um ein ca. 290 Me-ter langes Roll-on/Roll-off-Transportschiff, das u.a.58 Panzer und über 900 Lastwagen sowie Ausrüs-tung zur Unterstützung von Kampfaufträgentransportieren kann. Damit ist die "Gordon" einesvon 19 sog. LMSR (large, medium-speed, roll-on/roll-off ships) die nach den Erfahrungen des vor-ausgegangenen Golfkrieges (1991) zur Verbesse-rung der Seetransportkapazität um- oder neu ge-baut wurden und selbst unbewaffnet sind. Dermilitärische Geleitschutz für unbewaffnete Kriegs-transportschiffe wie die "Gordon" dürfte für dieUS-Navy eine höchst willkommene Unterstützunggewesen sein und die Eskorte durch die "Mecklen-burg-Vorpommern" war mit Sicherheit nicht dieeinzige. Auf der Homepage des ARD-Weltspiegels heißt es:"Die Kriegsschiffe des internationalen Verbandesim Seegebiet vor dem Horn von Afrika werden inden letzten Wochen immer mehr für solche Gelei-te eingesetzt. Die Wasserstraße gehört zu den amdichtesten befahrenen der Welt. Durch sie läuftein großer Teil des Nachschubes für den Auf-marsch gegen den Irak. Die Grenzen zwischendem Anti-Terroreinsatz und dem Aufmarsch ge-gen den Irak sind jedenfalls in der Vorbereitungs-phase fließender geworden." So hatten die USAz.B. im März als verstärkten Begleitschutz für ihreKriegsschiffe auf dem Weg zum Golf Raketen-Schnellboote der Bundeswehr für das Mittelmeerangefordert. Promt sagte die Bundesregierung zu,einen solchen Einsatz zu prüfen. (vgl. HB, 31.3.03)

Wacheschieben für die US-ArmeeKurz vor dem Krieg übernahm die Bundeswehr dieBewachung von 62 US-Kasernen (laut Bundesver-teidigungsministerium. HB, 31.3.2003) und ande-ren Militäreinrichtungen der USA auf deutschemBoden. Die dafür eingesetzten ca. 3.700 Bundes-wehrsoldaten waren – obwohl nicht im direktenKriegseinsatz – eine willkommene Entlastungsakti-on für die US-Truppen. Die dadurch in Deutsch-land nicht benötigten GIs konnten jetzt an dieFront im Irak verlegt werden.

III. Völkerrechts- und Verfassungsbruch durch die Bundesregierung

Der folgende Text beruht im Wesentlichen auf ei-ner rechtlichen Einschätzung des Bundesvorstan-des der Vereinigung Demokratischer Juristinnenund Juristen (VDJ), die bereits vor dem Irak-Kriegveröffentlicht wurde (siehe www.vdj.de) sowie ei-nem Gutachten von Dieter Deiseroth, veröffent-licht in der Zeitschrift ’Wissenschaft und Frieden’(Nr. 1/2003).

1. Die UN-ChartaDer Krieg gegen den Irak, den die USA gemein-sam mit Großbritannien geführt haben, ist derklassische Fall eines völkerrechtswidrigen Angriffs-krieges.Die Charta der Vereinten Nationen verpflichtetalle Mitgliedstaaten, ihre Streitigkeiten auf fried-lichem Wege beizulegen und sie verbietet jeglichegegen die territoriale Unversehrtheit eines ande-ren Staates gerichtete Androhung oder Anwen-dung von Gewalt.

Ziele und Grundsätzeder Charta der Vereinten Nationen

Artikel 2, Nr. 3:"Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitig-keiten durch friedliche Mittel so bei, dass derWeltfriede, die intenationale Sicherheit und dieGerechtigkeit nicht gefährdet werden."

Artikel 2 Nr. 4:"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationa-len Beziehungen jede gegen die territoriale Unver-sehrtheit eines Staates gerichtete oder sonst mitden Zielen der Vereinten Nationen unvereinbareAndrohung oder Anwendung von Gewalt".

Charta der Vereinten Nationen, Kapitel I

Einzige Ausnahme des allgemeinen Gewaltverbotsist das in Artikel 51 der UN-Charta festgelegte"Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstver-teidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs ge-gen ein Mitglied der Vereinten Nationen". Einzel-staatliche Gewaltanwendung ist selbst im Fall ei-nes bewaffneten Angriffs nur so lange völker-

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rechtlich gedeckt, solange der UN-Sicherheitsratnicht selbst Maßnahmen zur Beendigung desKonflikts beschlossen hat."Ein Staat, der sich über diese Beschränkungender einzelstaatlichen Gewaltanwendung in derUN-Charta hinwegsetzt und – unter von ihm defi-nierten Voraussetzungen und Bedingungen – einRecht zum Präventivkrieg in Anspruch nimmt,handelt damit völkerrechtswidrig. Er begeht eineAggression." (Dieter Deiseroth, Richter am Bun-desverwaltungsgericht, Beirat der Vereinigung De-mokratischer Juristinnen und Juristen e.V.; in:Wissenschaft und Frieden 1/2003)Eine völkerrechtswidrige "Aggression" ist nach deram 14. Dezember 1974 beinahe einstimmig be-schlossenen Resolution der UN-Generalversamm-lung die Erstanwendung von Waffengewalt durcheinen Staat gegen die Souveränität, die territorialeUnversehrtheit eines anderen Staates. Eine Ag-gressionshandlung ist (wie in Art. 3 der Resolution1/3314 festgelegt ist) auch die "Handlung einesStaates, die in seiner Duldung besteht, dass seinHoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zurVerfügung gestellt hat, von diesem anderen Staatdazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegeneinen dritten Staat zu begehen"."Völkerrechtswidrig handelt danach aber nichtnur der Aggressor selbst, sondern auch der-jenige Staat, der einem Aggressor hilft, etwaindem er auf seinem Hoheitsgebiet dessenkriegsrelevante Aktionen duldet oder gar un-terstützt." (Dieter Deiseroth, a.a.O.)Die Gewährleistung internationaler Sicherheit istnach der Charta der Vereinten Nationen nicht dieAufgabe irgend eines Staates, sondern ausschließ-lich Sache der Vereinten Nationen bzw. des UN-Sicherheitsrats. Nach Artikel 42 der UN-Chartakann nur der Weltsicherheitsrat eine Bedrohungdes Weltfriedens feststellen und Maßnahmen be-schließen – unter Umständen auch den Einsatzmilitärischer Gewalt –, um die internationale Sicher-heit wieder herzustellen und zu gewährleisten.Die nach der UN-Charta zwingend erforderlichenVoraussetzungen für eine solche Resolution lagenallerdings nicht vor, und der Weltsicherheitsrathätte – selbst wenn eine Mehrheit dazu bereitgewesen wäre – militärische Gewaltmaßnahenniemals beschließen dürfen. Schon gar nicht,nachdem die US-Regierung in aller Offenheit ver-kündet hatte, dass es ihr um einen Regimewech-sel im Irak geht. Und die Bundesregierung hättedeshalb von vornherein klarstellen müssen, dasssie einen Beschluss, der die Prinzipien der UN-Charta verletzt, auf keinen Fall befolgen werde.Die USA verzichteten schließlich auf eine Abstim-mung, denn trotz beispielloser Pressionen von Sei-ten der US-Regierung weigerte sich die Mehrheitder Mitglieder des Weltsicherheitsrats, der vonden USA geforderten Kriegsermächtigung zuzu-stimmen. Selbst enge Verbündete haben derWeltmacht USA die Gefolgschaft verweigert. Da-mit hat der Weltsicherheitsrat eindeutig klar ge-stellt, dass weder die Resolution 1441 noch alleanderen vorausgegangenen UN-Resolutionen dieUSA und Großbritannien zum Einsatz militärischerGewalt gegen den Irak ermächtigen. Schließlichhat der UN-Sicherheitsrat in der Resolution unterZiffer 14 selbst unmissverständlich zum Ausdruckgebracht, dass er mit der Angelegenheit befasst

bleiben werde. Er hat klargestellt, dass er – wie inder UN-Charta vorgesehen – selbst darüber ent-scheiden will, welche Konsequenzen aus einemeventuellen Fehlverhalten des Irak im Zusammen-hang mit der Durchsetzung der Resolutionen ge-zogen werden sollen.

2. Verfassungsbruch der RegierungDie Bundesregierung hat mit ihren Unterstüt-zungsleistungen für die US-amerikanischen undbritischen Truppen im Krieg gegen den Irak dieVerfassung der Bundesrepublik Deutschlandgleich mehrfach gebrochen.

1. Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes lautet:"Handlungen, die geeignet sind und in der Ab-sicht vorgenommen werden, das friedliche Zu-sammenleben der Völker zu stören, insbeson-dere die Führung eines Angriffskrieges vorzu-bereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind un-ter Strafe zu stellen."Ginge es nach Recht und Gesetz, müssten diejeni-gen, die einen Angriffskrieg vorbereiten, alsostrafrechtlich verfolgt werden. Paragraph 80 desStrafgesetzbuches lautet: "Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesre-publik Deutschland beteiligt sein soll, vorberei-tet und dadurch die Gefahr eines Krieges fürdie Bundesrepublik Deutschland herbeiführt,wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mitFreiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren be-straft." Das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegesschließt naturgemäß die Führung eines Angriffs-krieges selbst und die Beteiligung daran ein.

2. Im "Zwei plus Vier"-Vertrag (vom 12.9.1990),mit dem die Siegermächte über Hitler-Deutsch-land der Vereinigung der beiden deutschen Staa-ten zugestimmt haben, steht in Artikel 2 die völ-kerrechtliche Verpflichtung: "Die Regierungen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Deutschen Demokratischen Repu-blik bekräftigen ihre Erklärungen, dass vondeutschem Boden nur Frieden ausgehen wird."

3. Die Bundesrepublik Deutschland ist laut Ver-fassung gleichzeitig an die Normen des Völker-rechts gebunden, also an das nach der UN-Chartaverbindliche Verbot der Anwendung von Gewaltgegen einen anderen Staat. Artikel 25 des Grund-gesetzes lautet: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sindBestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen denGesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflich-ten unmittelbar für die Bewohner des Bundes-gebietes".Nach der Aggressionsdefinition der Vereinten Na-tionen (Beschluss der UN-Generalversammlungvom 14.12.1974) handelt derjenige Staat völker-rechtswidrig, der auf seinem Hoheitsgebiet kriegs-relevante Aktionen für einen Angriff auf einen an-deren Staat duldet. Artikel 25 des Grundgesetzesverbietet somit auch jede indirekte Beteiligung,etwa logistische oder finanzielle Unterstützung ei-nes Aggressors gegen einen Drittstaat.

4. Das Verbot der Vorbereitung und Führung ei-nes Angriffskrieges gilt insbesondere für die Bun-deswehr, deren Aufgabe nach dem Grundgesetz

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ausschließlich die Landesverteidigung ist. Eindeu-tig steht in Art. 87a, Abs. 1 des Grundgesetzes:"Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf."Und nach Art. 115a, Abs. 1 des Grundgesetzesliegt der "Verteidigungsfall" vor, wenn "das Bun-desgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird,oder ein solcher Angriff unmittelbar droht". Auchder nach Art. 87a, Abs.2, 3 und 4 "zulässige" Ein-satz der Bundeswehr im Inneren ist an den "Ver-teidigungsfall" bzw. an eine "drohende Gefahr fürdie freiheitlich demokratische Grundordnung" ge-koppelt.Um eine Grundgesetzänderung zu umgehen, wasmit Sicherheit eine wohl nicht erwünschte öffent-liche Debatte auslösen würde und äußerst riskantwäre, beruft sich die Bundesregierung heute (bei-spielsweise in den neuen ’Verteidigungspoliti-schen Richtlinien’, Ziffer 5) auf ein höchst umstrit-tenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts von1994. Das Gericht hatte am 12. Juli 1994 – unterHinweis auf Artikel 24, Abs. 2 des Grundgesetzes– die AWACS-, Adria- und Somalia-Einsätze derBundeswehr gebilligt.Artikel 24, Abs. 2 GG lautet: "Der Bund kann sichzur Wahrung des Friedens einem System gegen-seitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wirdhierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrech-te einwilligen, die eine friedliche und dauerhafteOrdnung in Europa und zwischen den Völkern derWelt herbeiführen und sichern". Das Bundesver-fassungsgericht bewertete damals Militärbündnis-se wie die NATO als "System kollektiver Sicherheit"und Kriegseinsätze, die der UN-Charta und selbstdem NATO-Vertrag widersprechen, als Maßnah-men "zur Wahrung des Friedens". Das Gericht in-terpretierte den Artikel als Ermächtigungsgrund-lage für Auslandseinsätze der Bundeswehr – ob-wohl darin die "Streitkräfte" und eine "ausdrück-liche Zulassung" ihres Einsatzes mit keinem Worterwähnt sind. Dies ist aber nach Artikel 87a desGrundgesetzes explizit vorgeschrieben: "Außer zurVerteidigung dürfen Streitkräfte nur eingesetztwerden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrück-lich zulässt." (Art. 87a, GG)

3. Die angeblichen Bündnis-verpflichtungen DeutschlandsSelbst der NATO-Vertrag verbietet jeden Aggressi-onskrieg. Ein NATO-Staat, der eine Aggressionplant und ausführt, verstößt nicht nur gegen dieUN-Charta, sondern zugleich auch gegen Artikel 1des "Nordatlantikvertrags". Darin haben sich alleNATO-Staaten verpflichtet, "in Übereinstimmungmit der Satzung der Vereinten Nationen jeden in-ternationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind,auf friedlichem Wege so zu regeln, dass der inter-nationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtig-keit nicht gefährdet werden und sich in ihren in-ternationalen Beziehungen jeder Gewaltandro-hung oder Gewaltanwendung zu enthalten, diemit den Zielen der Vereinten Nationen nicht ver-einbar ist.""Das heißt, ein nach Art. 51 der UN-Charta nichtgerechtfertigter "Präventivkrieg" kann auch nie-mals einen "NATO-Bündnisfall" nach Art. 5 desNATO-Vertrages auslösen und rechtfertigen. Wasgegen die UN-Charta verstößt, kann und darf dieNATO nicht beschließen und durchführen, auch

nicht auf Wunsch oder auf Druck einer verbünde-ten Regierung. Ein Angriffskrieg wird nicht durchdie Ausrufung des NATO-Bündnisfalles zum Ver-teidigungskrieg." (Dieter Deiseroth, a.a.O.)Auch Artikel 5 des NATO-Vertrages regelt die Bei-standspflicht nur für den Verteidigungsfall. Er ver-pflichtet die Mitgliedsstaaten zum militärischenBeistand "im Falle eines bewaffneten Angriffs" ge-gen eine oder mehrere Vertragsparteien. DieseVoraussetzung für den "Bündnisfall" lag weder fürden Afghanistan-Krieg noch im Falle des Irak vor.

Das NATO-TRUPPEN-STATUTNach der Neufassung des Zusatzabkommens zumNATO-Truppen-Statut von 1994 (ZA-NTS 1994) –als Folge der Aufhebung des Besatzungsregimesfür Deutschland – brauchen die im Bundesgebietstationierten US-Streitkräfte grundsätzlich jeweilsdie Genehmigung durch die deutsche Bundesre-gierung, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luft-fahrzeugen in die Bundesrepublik "einreisen odersich in und über dem Bundesgebiet bewegen"wollen (Art. 57 Abs. 1 Satz 1 ZA-NTS 1994). Lediglich Militärtransporte und Truppenbewegun-gen von NATO-Kontingenten mit Aufgaben imRahmen und im Auftrag der NATO "gelten als ge-nehmigt". Das gleiche gilt für die in Deutschlandgelegenen US-Stützpunkte. In diesen Liegenschaf-ten dürfen die US-Streitkräfte nach Art. 53 Abs 1ZA-NTS "die zur Erfüllung ihrer Verteidigungs-pflichten erforderlichen Maßnahmen treffen".Nach Abs. 2 der Vorschrift gilt dies "entsprechendfür Maßnahmen im Luftraum über den Liegen-schaften".

Bundestagsgutachten: Souverän in vollem Umfang

Im Fall eines Alleingangs gegen den Irak sind die USAnicht berechtigt, ihre Militärbasen in Deutschland sowieden deutschen Luftraum ohne ausdrückliche Genehmi-gung der Bundesregierung zu nutzen. Zu diesem Ergeb-nis kam ein bereits am 18. Dezember 2002 abgeschlos-senes Gutachten von RD Kramer, WissenschaftlicheDienste des Deutschen Bundestages." ... Durch den ’Vertrag über die abschließende Regelungin Bezug auf Deutschland’ vom 12.9.1990 (Zwei-plus-Vier-Vertrag) wurde nicht nur die deutsche Wiederverei-nigung ermöglicht, sondern auch das Besatzungsrechtvollständig abgelöst und damit die deutsche Souveräni-tät in vollem Umfange wieder hergestellt. Ausdruck die-ser Souveränität war u.a. die am 29.3.1998 in Kraft ge-tretene Änderung des Zusatzabkommens zum Truppen-statut, nach der ’Manöver und andere Übungen im Luft-raum der Bundesrepublik’ nunmehr der Zustimmungdeutscher militärischer Behörden unterliegen bzw. inter-

Artikel 5 des NATO-Vertrags

"Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter An-griff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europaoder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle an-gesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dassim Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jedevon ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Sat-zung der Vereinten Nationen anerkannten Rechtsder individuellen oder kollektiven Selbstverteidi-gung der Partei oder den Parteien, die angegriffenwerden, Beistand leisten."

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nationalen Gepflogenheiten folgend, im Verkehrsrechtder ausländischen Streitkräfte das Erfordernis der Ge-nehmigung der Bundesregierung beim Überschreitender nationalen Grenzen eingeführt wurde."Truppen der Vertragsparteien sind "... vorbehaltlich derGenehmigung der Bundesregierung berechtigt, mitLand-, Wasser- und Luftfahrzeugen in die Bundesrepu-blik einzureisen oder sich in und über dem Bundesgebietzu bewegen.""Fazit: NATO-Truppenstatut sowie Zusatzabkommenzum Truppenstatut sind im Zusammenhang mit demNordatlantikvertrag zu berücksichtigen. Liegen die Vor-aussetzungen des Bündnisfalls, wie bei einer präventivenmilitärischen Maßnahme, nicht vor, kann aus dem Trup-penstatut sowie dem Zusatzabkommen für die Streit-kräfte der Vereinigten Staaten von Amerika keine Be-rechtigung folgen, eigenständig präventive Angriffs-handlungen über das Territorium der BundesrepublikDeutschland zu führen. Eine derartige Berechtigungkann sich auch für das in Artikel 57 Abs. 1 Zusatzabkom-men enthaltene Verkehrsrecht der ausländischen Streit-kräfte bei einer Sinn und Zweck des Zusatzabkommensentsprechenden Auslegung nicht ergeben." Der volle Wortlaut des Gutachtens in: junge welt, 1./2.12.2003.www.jungewelt.de

Nachdem der Krieg gegen den Irak eine rein US-nationale Entscheidung war – nicht nur völker-rechtswidrig, sondern auch ein Verstoß gegenden NATO-Vertrag – gab es keinerlei Beistandsver-pflichtung, weder für die eigenen militärischenUnterstützungsleistungen, weder für die Duldungder Nutzung der militärischen Infrastruktur inDeutschland, noch für die Genehmigung von Mili-tärtransporten und von Überflugrechten. Im Ge-genteil: Die Bundesregierung hätte all das unter-sagen und jede eigene Hilfsleistung verweigernmüssen.

IV. Mörderische Konsequenzen deutscher Politik

1. Globale Kriegsstrategie Deutschlands und der EUNach dem Sieg über den Hitlerfaschismus gab eseinen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens inder Bundesrepublik: "Von deutschem Boden sollnie wieder Krieg ausgehen." Heute rühmt sichBundeskanzler Gerhard Schröder, "diese traditio-nelle Tabuisierung des Militärischen durchbro-chen" zu haben. Das, was jahrzehntelang undenk-bar gewesen ist, gilt heute wieder als "normal".Die Bundeswehr wird zum Instrument deutscherAußenpolitik. Krieg ist wieder Mittel der Politik,Mittel zur Durchsetzung deutscher Interessen undglobaler Machtansprüche.Die entscheidende "Zäsur" (Schröder) war derNATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien. 1999 be-teiligte sich die Bundeswehr 78 Tage lang an derBombardierung jugoslawischer Städte, bei derfast die gesamte zivile Infrastruktur des Landeszerstört wurde. Der Krieg wurde damals mit ähn-lich dreisten Lügen begründet, wie sie die US-Re-gierung zur Rechtfertigung des Irak-Krieges ver-breitet hat. Ein UN-Mandat, auf das die Bundesre-gierung heute angeblich so großen Wert legt, wur-de damals gar nicht erst in Erwägung gezogen.

"Noch vor zehn Jahren hätte niemand von unserwartet, dass Deutschland sich anders als durchso etwas wie ’sekundäre Hilfsleistungen’ – alsoZur-Verfügung-Stellung von Infrastruktur oderGewährung von Finanzmitteln – an internationa-len Bemühungen zur Sicherung von Freiheit, Ge-rechtigkeit und Stabilität beteiligt. ... Diese Etappedeutscher Nachkriegspolitik ... ist unwiederbring-lich vorbei. Gerade wir Deutschen ... haben nunauch eine Verpflichtung, unserer neuen Verant-wortung umfassend gerecht zu werden. Dasschließt – und das sage ich unmissverständlich –auch die Beteiligung an militärische Operationenzur Verteidigung von Freiheit und Menschenrech-ten, zur Herstellung von Stabilität und Sicherheitausdrücklich ein." (Bundeskanzler Schröder, Regie-rungserklärung Oktober 2001)Am 16. November 2001 stimmte der Bundestag –unter massivem, ultimativem Druck des Bundes-kanzlers – einer "Kriegsermächtigung" zur "Beteili-gung der deutschen Streitkräfte an der "OperationEnduring Freedom" zu. "Deutschland ist bereit zumilitärischen Risiken", erklärte Bundeskanzler Schrö-der im Vorfeld. Den USA wurde ein Hilfsangebotnach dem anderen gemacht, der Einsatz deutscherTruppen in Afghanistan wurde von der Bundesre-gierung geradezu herbeigebettelt. Eine völker-rechtliche Legitimation hielt man diesmal genausowenig für nötig, wie im Krieg gegen Jugoslawien.Für diesen Einsatz "bewaffneter deutscher Streit-kräfte" beschloss der Bundestag "die Bereitstellungvon 3.900 Bundeswehrsoldaten". Das Einsatzge-biet: "die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentral-asien, Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzendenSeegebiete".Am 14. November 2003 beschloss der Bundestag,das Mandat für "Enduring Freedom" erneut umweitere 12 Monate zu verlängern. Ein möglicherEinsatz wurde auf 3.100 Bundeswehrsoldaten re-duziert. Das beschlossene Gesamtpotenzial wurdeschon in den vergangenen zwei Jahren nur zueinem geringen Teil ausgeschöpft. Nach dem Ab-zug der Elitekampftruppe "Kommando Spezial-kräfte" (KSK) aus Afghanistan sowie der Fuchs-Spürpanzer und ABC-Abwehrkräfte aus Kuwait

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werden nach offiziellen Angaben zur Zeit (Okto-ber 2003) rund 710 Soldaten für "Enduring Free-dom) benötigt.Es handelt sich also um einen Vorratsbeschluss.Kampfeinsätze der Bundeswehr können somit je-derzeit von der Bundesregierung um das Vielfacheausgeweitet werden, ohne dass der Bundestagdamit befasst wird oder zustimmen muss. Er istein Freibrief, eine Kriegsermächtigung für die Re-gierung.Nach aktuellen Angaben des Bundesverteidi-gungsministeriums sind derzeit rund 7.300 Bun-deswehrsoldaten (demnächst rund 8.000) auf ei-nem Drittel des Globus im Einsatz, vorwiegend alsBesatzungstruppen in den NATO- oder EU-Protek-toraten: 1.820 in Afghanistan und Usbekistan (dieum rund 400 für den neuen Einsatz in Kunduzaufgestockt werden sollen), 3.350 im Kosovo,1.320 in Bosnien-Herzegovina, 52 in Mazedonien,11 in Georgien und 710 im Rahmen des Einsatzesder Bundesmarine am Horn von Afrika und imMittelmeer sowie auf Stützpunkten in Bahrain,Djibuti und in Kenia. Ganz nebenbei schickte dieBundesregierung im Juni 350 deutsche Soldatennach Uganda zu einem (inzwischen beendeten)EU-Einsatz im Kongo – ein Probelauf für zukünfti-ge EU-geführte Militärinterventionen. "Für Einsät-ze der Bundeswehr im Ausland scheint es Tabusnicht mehr zu geben. Sie wird mehr und mehr zueinem Instrument weltumspannender Politikdeutscher Regierungen." (Spiegel, 25/2003)Die Kosten der weltweiten Kriegseinsätze der Bun-deswehr liegen im Jahr 2003 bei rund 1,4 Milliar-den Euro. 2002 waren sie auf den bisherigen Spit-zenwert von gut 1,5 Milliarden Euro gestiegen.(Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1880,Stand: 31.Oktober 2003.) Jeder Soldat und jedeSoldatin im Auslandseinsatz kostet den Steuer-zahler also rund 16.000 Euro monatlich.

Die Regierung verabschiedet sich endgültig vom GrundgesetzDie Regierungen Deutschlands und der EU-Staa-ten ziehen ihre eigenen Lehren aus dem Krieg.Seit dem offiziellen Kriegsende wird mittels einerMedienkampagne versucht, die großen Antikriegs-proteste in Europa in euronationalistische Bahnenzu lenken. Von der Bundesregierung bis zu Politi-kern der CDU/CSU versucht man uns weis zu ma-chen, die Lehre aus dem Irakkrieg und die richtigeKonsequenz nach dem militärischen Alleingangder USA sei ein starkes Europa. Die EU müsse jetztnoch größere Anstrengungen unternehmen, umeigenständig militärisch handlungsfähig zu wer-den. Als Alternative zur aggressiven US-Politik,quasi als zivilisatorisches Gegengewicht wird unsdie Militärmacht Europa angepriesen.Alles, was in Kapitel III. über die Verfassungs-widrigkeit der deutschen Beteiligung am Angriffs-krieg gegen den Irak gesagt wurde, gilt in glei-chem Maße für die neuen militärstrategischenWeichenstellungen seit Anfang der 90er Jahreund für den Umbau der Bundeswehr zur weltweiteinsetzbaren Interventionsstreitmacht. Mit denneuen "Verteidigungspolitischen Richtlinien" (VPR),die am 20. Mai 2003 von Kriegsminister PeterStruck verkündet und vom Bundeskabinett abge-segnet wurden, hat sich die Bundesregierung jetztganz offiziell vom Grundgesetz verabschiedet.

Die neuen "VerteidigungspolitischenRichtlinien" (VPR)

Die VPR sind die "verbindliche Grundlage für dieVerteidigungspolitik" und "bestimmen den Auf-trag der Bundeswehr". Die "Richtlinien" dokumen-tieren mit geradezu unverfrorener Selbstverständ-lichkeit die Verfassungswidrigkeit der derzeitigenund zukünftigen Einsatzaufgaben der Bundes-wehr. Ausdrücklich wird festgestellt: Für die imGrundgesetz definierte Landesverteidigung, ("wenndas Bundesgebiet angegriffen wird oder ein sol-cher Angriff unmittelbar bevorsteht", GG Art. 115a:Feststellung des Verteidigungsfalls), wird die Bun-deswehr "nicht mehr benötigt" (Ziffer 62 der VPR).Zutreffend wird festgestellt, dass es "eine Gefähr-dung deutschen Territoriums durch konventionel-le Streitkräfte derzeit und auf absehbare Zeit nichtgibt" (Ziffer 9). Landesverteidigung "entspricht (des-halb) nicht mehr den aktuellen sicherheitspoliti-schen Erfordernissen" (Ziffer 12). Laut Peter Struckwird Deutschland heute "am Hindukusch vertei-digt", rund 5.000 Kilometer weit weg von dendeutschen Grenzen. Diese Äußerung war nichtnur so dahin gesagt, wie Struck auf einer Presse-konferenz am 21. Februar 2003 ausdrücklich be-tonte: "Der damals nicht unumstrittene Satz gilt:Deutschland wird auch am Hindukusch vertei-digt." In einem Interview mit dem online-Dienstseines Ministeriums erkärte der Verteidigungs-minister: "Landesverteidigung ist nicht mehr dieerste Priorität. Wir brauchen mehr Truppen, dieim Ausland eingesetzt werden können ... Wirmüssen in der Lage sein, über 50.000 Mann inAuslandseinsätzen halten zu können oder alter-nativ dazu mehrere kleine Auslandseinsätze mitbis zu 10.000 Mann zu bewältigen." In den neuenVPR ist jetzt von einem "weiten und umfassendenVerständnis deutscher Sicherheitspolitik" die Rede– eine Umschreibung für die neue aggressive Mili-tärstrategie Deutschlands.

Der Irak-Krieg hat dafür noch einmal neuen Zünd-stoff geliefert. Bundeswehr-GeneralinspekteurSchneiderhahn stellte im Zusammenhang mit dem(damals) bevorstehenden Krieg fest, dass eineneue "Lage eingetreten" sei, die es "rechtfertigt,von den bisher gültigen Maßstäben abzuwei-chen". Deutschland stehe vor einem "Problem, ...das sich für die Bundeswehr und das sicher-heitspolitische Denken der Bundesrepublik offiziellbisher nicht gestellt hat". Laut dachte er darübernach, ob es richtig sein kann, "abzuwarten, obman von einem anderen angegriffen wird" oderob es nicht besser sei, "sich gegen diese möglicheGefahr vorauseilend zu schützen und selbst dieInitiative zu ergreifen". (FAZ, 23.1.2003)

Zwei Monate vor der Verkündung der neuen Ver-teidigungspolitischen Richtlinien war diese Auf-forderung, "von bisher gültigen Maßstäben abzu-weichen" nichts anderes als ein Plädoyer dafür,die US-Präventiv-Kriegsdoktrin zu übernehmen.Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichneteSchneiderhahns "’Äußerungen" als ein "Revolutio-när neues Verständnis von Verteidigung" ... "Esverändert nicht nur den möglichen Operations-raum der Bundeswehr, sondern auch das Ver-ständnis, ja sogar die Definition dessen, was ’Ver-teidigung’ im Sprachgebrauch der Bundeswehrseit dem Tag ihrer Gründung bedeutet hat." (FAZ,23.1.2003).

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An Stelle von Landesverteidigung: Weltweite Kriegseinsätze der Bundeswehr

In den neuen "Verteidigungspolitischen Richtlini-en" wird die von der Vorgängerregierung ent-wickelte aggressive Außen- und Militärpolitik fort-geschrieben und zur "verbindlichen Grundlage"für die sog. "Streitkräfte der Zukunft". Das Einsatz-spektrum der Bundeswehr sind Kriegseinsätzerund um den Globus. Wörtlich: "Künftige Einsätzelassen sich weder hinsichtlich ihrer Intensität nochgeografisch eingrenzen. Der politische Zweck be-stimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes."(Ziffer 57). Der politische Zweck heiligt also dieMittel. Unmissverständlich wird die Bundeswehrals Instrument imperialistischer Einflussnahmedefiniert: "Die Bundeswehr", heißt es, "sichert dieaußenpolitische Handlungsfähigkeit" Deutschlands(Ziffer 71). Sie sei ein "unverzichtbares Instru-ment", "unabdingbar, um die Interessen (Deutsch-lands) und seinen internationalen Einfluss zu wah-ren" (Ziffern 72 und 73).Die Interessen Deutschlands? In den Verteidi-gungspolitischen Richtlinien von 1992 wurde un-ter dieser Chiffre der eigene Anspruch "auf unge-hinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen inaller Welt" angemeldet. Erstmals in einem offiziel-len Regierungsdokument wurden damals Groß-machtansprüche formuliert, die mit Hilfe Europasdurchgesetzt werden sollten. Unter besondererBetonung der "legitimen nationalen InteressenDeutschlands" wurde die "Entwicklung Europaszum globalen Akteur" zu einer "Aufgabe von stra-tegischem Rang" erklärt. Die EU-Militärmacht wur-de zum zentralen Projekt deutscher Außenpolitik.Europäische Streitkräfte müssten "in Krisensitua-tionen handlungsfähig sein, in denen die NATOnicht in der Lage oder willens ist, einzugreifen".Das Projekt einer europäischen Militärmacht istseit den EU-Gipfeln von Köln und Helsinki im Jahr1999 (wo die entscheidenden Beschlüsse gefasstwurden) insbesondere von Deutschland undFrankreich mit großer Zielstrebigkeit vorangetrie-ben worden. Bereits Ende 2003 soll die "SchnelleEingreiftruppe" der EU einsatzbereit sein. Die Bun-deswehr stellt mit 18.000 Soldaten das mit Ab-stand größte Kontingent für die EU-Streitmacht.108 der 383 Kampfflugzeuge stellt Deutschland.Und ab 2005 wird das radargestützte Satellien-system SAR-Lupe der Bundeswehr eine heraus-ragende Stellung verschaffen. Die Europäische Union steht mit rund 170 Mrd.Euro nach den USA an zweiter Selle bei den welt-weiten Militärausgaben. (Der Schlussbericht Grup-pe 8 des Europäischen Konvents beziffert die Mili-tärausgaben der 15 EU-Staaten auf exakt 170,7Milliarden Euro. vgl. Andreas Wehr, in: jungewelt, 28.7.2003)

Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung derEU zu einem militärischen Machtfaktor, siehe isw-report 56. Arno Neuber: Militärmacht EUropa.

Ein Neuer Kraftakt für die Militärmacht EuropaWie ernst Deutschland und Frankreich ihr Bestre-ben nehmen, die Unabhängigkeit der EU-Militär-macht von den USA auch zu institutionalisieren,machte der Brüsseler "Vierergipfel" Ende April2003 deutlich, auf dem die Regierungschefs von

Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgieneine neue Initiative für "verstärkte militärische Fähig-keiten" der EU starteten.Nach dem militärischen Alleingang der USA gegenden Irak und den damit einher gehenden transat-lantischen Verstimmungen zogen die vier Regie-rungschefs die Schlussfolgerung: Die EU-Militär-macht müsse durch "neue Impulse" und mit "neu-em Schwung" vorangebracht werden. In ihrer ge-meinsamen Erklärung vom 29. April 2003 verkün-deten sie: "Glaubwürdig – und somit wirksam – istDiplomatie nur, wenn sie sich auf wirksame zivileund militärische Fähigkeiten stützen kann". Jetztsei "der Zeitpunkt gekommen ... eine neue Phaseeinzuleiten ... zur Schaffung Europas, das auf ver-stärkten militärischen Fähigkeiten gründet".Dem EU-Konvent und für den Verfassungsvertragwerden weitreichende Vorschläge gemacht. Sozum Beispiel: Die Aufforderung für "eine Neuformulierungder Petersberg-Aufgaben, die es der EU ermög-lichen ... militärische Mittel einzusetzen ... um Kri-sen, einschließlich anspruchsvollster Aufgaben zubewältigen; Die "Schaffung einer europäischen Agentur fürEntwicklung und Beschaffung militärischer Fähig-keiten", um dazu beizutragen, "eine wettbewerbs-fähige europäische Rüstungsindustrie zu schaffen."

Kerneuropa als LokomotiveZentrales Anliegen der Initiative des Viererclubs istdie Bildung einer Europäischen Sicherheits- undVerteidigungs-Union (ESVU): eines Kerns ent-schlossener Staaten, die die Entwicklung der EUzur Militärmacht vorantreiben. "Alle Mitgliedstaa-ten, die dies wünschen ... die bereit sind, raschereund weiterreichende Fortschritte bei der Verstär-kung ihrer (militärischen) Zusammenarbeit zu er-zielen ... soll es möglich sein, Verpflichtungen ein-zugehen", denen zögerliche EU-Länder nicht zu-stimmen müssen, und die für diese auch (noch)nicht bindend seien.Die an der ESVU beteiligten Staaten sollen denmilitärischen Kern innerhalb der EU bilden. Sieverpflichten sich zum militärischem Beistand undsie verpflichten sich, "ihre militärischen Fähigkei-ten auszubauen", ihre Anstrengungen "bei Investi-tionen in die militärische Ausrüstung zu verstär-ken" und durch "Bündelung ihrer Mittel und Fä-higkeiten zur Stärkung der Effizienz bei(zu)tra-gen". Ziel ist: "Die Schaffung einer europäischen schnellenReaktionsfähigkeit ... für europäische Einsätze" "Die Einrichtung eines europäischen strategi-schen Lufttransportkommandos" und als Voraus-setzung die "Beteiligung am A-400M-Programmfür den strategischen Lufttransport". "Die Stärkung der europäischen Fähigkeiten imBereich "Planung und Einsatzführung", um Militä-reinsätze auch "ohne Mittel und Fähigkeiten derNATO ... selbstständig durchzuführen".Selbstverständlich soll die ESVU allen derzeitigenund künftigen Mitgliedstaaten der EU offen ste-hen. Der "harte Kern" mit Deutschland und Frank-reich an der Spitze will jedoch voran gehen. Siewollen, so die Ankündigung in der Erklärung desVierergipfels, "den Nukleus einer kollektiven (mili-tärischen) Kapazität schaffen, den sie der EU an-

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stelle nationaler Mittel für die operative Planungund Führung EU-geführter Operationen zur Verfü-gung stellen".(Alle Zitate aus "Verstärkte militärische Fähigkei-ten", Gemeinsame Erklärung Deutschlands, Frank-reichs, Luxemburgs und Belgiens zur Europäi-schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, vom29.4.2003. Wortlaut in: Blätter für deutsche undinternationale Politik Nr. 6/2003)In den Medien wurde das Treffen der vier Regie-rungschefs (meist als "Pralinengipfel" bezeichnet)als nicht sonderlich bedeutsam eingestuft. Knappzwei Monate später, beim EU-Gipfel in Thessaloni-ki und dann bei der Vorlage des EU-Verfassungs-entwurfs zeigte sich, wie sehr dieser exclusiveClub – sozusagen als Lokomotive – die Militärpoli-tik der EU vorantreibt. Die zentrale Forderung inder Vierer-Gipfelerklärung nach "verstärkten mili-tärischen Fähigkeiten" wurde als "Verpflichtung"aller Mitgliedstaaten in den EU-Verfassungsent-wurf aufgenommen. Ebenso das Konzept zur Bil-dung einer militärichen Kerneuropa-Gruppe, alsderen Avantgarde sich der Viererclub versteht.

EU-Gipfelpläne zur Präventiven KriegsführungBeim EU-Gipfel am 20. Juni 2003 in Thessalonikilegt der Hohe Beauftragte der EU-Außenpolitik,Javier Solana, den Entwurf für eine "EuropäischeSicherheitsstrategie" vor. Seine Empfehlungen fin-den die Zustimmung aller 25 versammelten Regie-rungschefs. Bis Ende des Jahres soll die vorge-schlagene gemeinsame EU-Strategie ausformuliertund vom Europäischen Rat beschlossen werden.

Solanas Kernaussagen:Die Europäische Union soll zu einem handlungs-starken, globalen Akteur werden und zu frühzeiti-gen, robusten Militärinterventionen bereit sein.Sie soll in die Lage versetzt werden, mehrere Ope-rationen gleichzeitig durchzuführen, die dafürnotwendigen Fähigkeiten entwickeln und die finan-ziellen Mittel aufstocken.Im Folgenden werden einige wesentliche Passa-gen aus dem Strategie-Papier zitiert, das JavierSolana unter dem harmlos klingenden Titel "Einsicheres Europa in einer besseren Welt" in Thessa-loniki vorgetragen hat: Zusätzlich zu den bereits bekannten "globalen Be-drohungen" durch internationalen Terrorismusund die Weiterverbreitung von Massenvernich-tungswaffen erwähnt Solana gleich mehrmals,dass sich das "Phänomen der gescheiterten Staa-ten", ausbreite und eine Bedrohung für Europadarstelle. In diesen "gescheiterten Staaten könnenmilitärisch Mittel zur Wiederherstellung der Ord-nung ... erforderlich sein". Die EU setze zwar aufDialog mit zweifelhaften Regimen, wer sich je-doch nicht an die internationalen Regeln halte,"muss begreifen, dass er dafür einen Preis be-zahlt". Folgerichtig heißt es dann: "Die neuen Be-drohungen haben ihren Ursprung oftmals in fer-nen Gebieten", deshalb werde "die erste Verteidi-gungslinie oftmals im Ausland liegen" und die EUmüsse "bereit sein, vor dem Ausbrechen einer Kri-se zu handeln. ... Konflikten und Bedrohungenkann nicht früh genug vorgebeugt werden". ImKlartext ist Solanas Vorschlag beinahe wörtlich dieEU-Variante der US-Präventivkriegs-Doktrin.

Zwar wird wie üblich die Stärkung der VereintenNationen und eine "normengestützte Weltord-nung" beschworen, "bei Verstößen gegen ihre Re-geln" sei aber die EU gefordert und "sollte zumHandeln bereit sein". Denn: "Die EU als Zusam-menschluss von 25 Staaten mit über 450 Millio-nen Einwohnern, ... eine Union, die insgesamt160 Milliarden Euro für die Verteidigung aufwen-det, sollte nötigenfalls in der Lage sein, mehrereOperationen gleichzeitig aufrechtzuerhalten. Wirmüssen eine strategische Kultur entwickeln, dieein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustesEingreifen begünstigt. ... Ein handlungsfähigesEuropa liegt in greifbarer Nähe ... wenn wir esernst meinen mit den neuen Bedrohungen unddem Aufbau von flexibleren mobilen Einsatzkräf-ten", und wenn die EU-Staaten "die Mittel für dieVerteidigung aufstocken".Am Ende seiner Strategischen Orientierung ver-kündet Solana die verheißungsvolle Botschaft:Wenn es der EU gelingt, "zu einem handlungsstar-ken Akteur zu werden, dann besitzt sie das Poten-zial" ..... zur Weltmacht! So sagt er es natürlichnicht, sondern: "um Einfluss im Weltmaßstab aus-zuüben".(Der volle Wortlaut des Solana-Entwurfs in: ’Blät-ter ...’, Dokumente zum Zeitgeschehen, 8/2003.)

Die EU-Verfassung:Aufrüstungsverpflichtung undweltweite Kampfeinsätze als Verfassungsnorm!Die gemeinsame Militärpolitik ist eines der zentra-len Elemente im Verfassungsentwurf der EU. Daszukünftige "Grundgesetz" der EU wird weit mehrund detailliertere militärische Regelungen enthal-ten, als jede andere Verfassung der Welt. "Die Uni-on ist dafür zuständig, eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik einschließlich der schritt-weisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidi-gungspolitik zu erarbeiten und zu verwirklichen."(Artikel I-11, Abs. 4 des EU-Verfassungsentwurfs,ähnlich und fast wortgleich in Artikel I-15, Abs. 1).Einzelstaaten der EU können nach der Verabschie-dung der EU-Verfassung die voranschreitende ge-meinsame Militärpolitik nicht mehr ohne weiteresverhindern. Bei Annahme dieses Verfassungsent-wurfs wird der gemeinsamen Militärpolitik der Eu-ropäischen Union eine – wenn nicht die – zentraleFunktion im Integrationsprozess der 25 Mitglieds-staaten zugewiesen.

Die wichtigsten Punkte des EU-Verfassungsentwurfs:1. Es gibt so etwas wie eine Loyalitätspflicht in-nerhalb der EU: In Artikel I-15, Abs. 2 heißt es:"Die Mitgliedstaaten unterstützen die Gemeinsa-me Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktivund vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und dergegenseitigen Solidarität und achten die Rechts-akte der Union in diesem Bereich. Sie enthaltensich jeder Handlung, die den Interessen der Unionzuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit schadenkönnte."2. "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre mili-tärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern"(Art. I-40, Abs. 3). Um diese regelmäßige Aufrüs-tung zu kontrollieren und sicher zu stellen, wirdein "Europäisches Amt für Rüstung, Forschung

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und militärische Fähigkeiten eingerichtet, dessenAufgabe es ist, den operativen Bedarf zu ermittelnund Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern,zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung derindustriellen und technologischen Grundlage desVerteidigungssektors beizutragen und diese Maß-nahmen gegebenenfalls durchzuführen." (ArtikelI-40, Abs. 3).3. EU-Streitkräfte sollen zu "Kampfeinsätzen imRahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frie-den schaffender Maßnahmen" (Art. III-210) einge-setzt werden. Weiter heißt es: "Mit allen diesenMissionen kann zur Bekämpfung des Terrorismusbeigetragen werden, unter anderem auch durchdie Unterstützung für Drittstaaten bei der Be-kämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsge-biet". (Art. III-210). Ein extrem weit gefasstes Man-dat: Grenzenlos und für jeden Zweck. Es würdeder EU sogar erlauben, sich in Bürgerkriegen aufdie Seite der einen oder anderen Fraktion zuschlagen und den Kriegsausgang zu beeinflussen.(Artikel I-40, Abs. 3)4. Damit die EU-Militärmacht schneller voran-kommt, wurden die Vorschläge des Vierergipfels(Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg)vom April 2003 in die Verfassung aufgenommen:Die Bildung eines Kerns entschlossener Staaten,die ihre militärische Zusammenarbeit verstärkenund der EU vorangehen. In Artikel I-40, Absatz 6des Verfassungsentwurfs heißt es: "Die Mitglied-staaten, die anspruchsvolle Kriterien in Bezug aufdie militärischen Fähigkeiten erfüllen und die imHinblick auf Missionen mit höchsten Anforderun-gen untereinander festere Verpflichtungen einge-gangen sind, begründen eine strukturierte Zusam-menarbeit im Rahmen der Union". Und in ArtikelI-40, Absatz 7: "So lange der Europäische Rat kei-nen Beschluss gefasst hat, wird im Rahmen derUnion eine engere Zusammenarbeit im Bereichder gegenseitigen Verteidigung eingerichtet". Diesist im militärischen Bereich das, was Jacques Chi-rac als "Vorausteam bei der Tour de France" be-zeichnete, und der deutsche Außenminister (inseiner Grundsatzrede "Vom Staatenverbund zurFöderation", am 12.5.2000 in Berlin) als "Avant-garde" und "Gravitationszentrum" innerhalb derEU beschrieben hat. An der Beschlussfassung überdie "strukturierte Zusammenarbeit" nehmen lautVerfassungsentwurf ausdrücklich nur die Vertreterder Mitgliedstaaten dieses Exclusivclubs der EUteil (Art. III-213, Abs. 3)5. Über zukünftige Militäreinsätze der EU ent-scheidet allein der Ministerrat. Das EU-Parlementwird entmachtet. In Artikel I-40 Abs. 4 des Verfas-sungsentwurfs steht: "Über militärische Einsätzeder EU entscheidet der Ministerrat". Das EU-Parla-ment wird lediglich über die "grundlegenden Wei-chenstellungen ... auf dem laufenden gehalten"und "kann Anfragen stellen". (Art. I-40, Abs. 8,Art. III-205 Abs. 2). Zugleich wird das Grundgesetzausgehebelt, denn: Die Regelungen der EU-Ver-fassung wären dem Grundgesetz übergeordnet.

Dazu passt auch die Forderung der Bundesregie-rung nach einem Bundeswehr-"Entsendegesetz".In den Verteidigungspolitischen Richtlinien hatte"Verteidigungs"minister Struck für Auslandsein-sätze der Bundeswehr eine "schnelle politischeEntscheidungsfähigkeit auf nationaler Ebene" ge-fordert (Ziffer 53 VPR). Mit dem Entsendegesetz

(das grotesker Weise als "Parlamentsbeteiligungs-gesetz" bezeichnet wird) soll die lästige parlamen-tarische Befassung und Zustimmung für Militär-einsätze weitgehend eingeschränkt werden. We-sentliche Entscheidungen sollen dann am Bundes-tag vorbei von der Regierung getroffen werdenkönnen.

Die Verpflichtung zur Aufrüstung, die jetzt in derEU-Verfassung festgeschrieben werden soll, hat inDeutschland schon seit Jahren höchste Priorität.Im Anhang (ab Seite 22) wird deshalb die kost-spielige Aufrüstung der Bundeswehr mit neuenWaffensystemen etwas näher behandelt.

2. Das Verhältnis Deutschland/EU zu den USA:Politakrobatik zwischen Komplizenschaft und Konkurrenz

Die Ablehnung des Irakkrieges durch die Bundes-regierung sowie der Regierungen Frankreichs undRusslands war (wie aus den vorangegangenenAbschnitten bereits deutlich wird) keine Anti-kriegsposition. Die angebliche Kriegsgegnerschaftwar keine Ablehnung militärischer Gewalt, vonKrieg als Mittel der Politik. Sie richtete sich in er-ster Linie gegen den Alleingang der USA. Die Aus-einandersetzungen zwischen der Bush-Adminis-tration und dem politischen Führungspersonal inParis und Berlin über den Irak-Kurs waren keineKontroverse zwischen bellizistischen "Bush-Krie-gern" und einer europäischen "Achse des Frie-dens", sondern der erstmals offen ausgetrageneKonflikt darüber, wie die "Schlachtordnung" derverschiedenen impieralistischen Mächte bei dermilitärischen Absicherung der kapitalistischen Glo-balisierung künftig aussehen soll.Die eigenmächtigen Weltordnungskriege der USA,im aktuellen Fall die militärische Durchsetzungamerikanischer Vorherrschaftsansprüche in der öl-reichen Golfregion, werden von den konkurrieren-den Großmächten zunehmend als geschäftsschä-digend angesehen. Nachdem die US-Regierungpraktisch das gesamte Konstrukt von Abstim-mung, Interessenausgleich und Machtbalance zu-gunsten eines unumschränkten Führungsan-spruchs niedergerissen oder aufgekündigt hatte,versuchten Paris und Berlin im Vorfeld des Irak-Krieges, der Hegemonialmacht Grenzen zu setzen.Auf der weltpolitischen Bühne präsentiert sich dieBundesregierung – gemeinsam mit Frankreich –als Verfechterin des Gewaltmonopols der Verein-ten Nationen und einer multipolaren Weltord-nung. Europa – so die Botschaft – sei so etwaswie das zivilisatorische Gegengewicht zu der ag-gressiven und imperialen US-Politik.Die imperialistischen Staaten Europas legen Wertdarauf, dass bei ordnungspolitischen Entschei-dungen wie im Falle des Irak, ihre eigenen Interes-sen berücksichtigt werden. Wenn sie von der in-ternationalen Gemeinschaft reden, dann meinensie aber nicht die 191 Mitgliedsstaaten der Verein-

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ten Nationen und nicht einmal den Weltsicher-heitsrat, sondern den Club der reichen und mäch-tigen Staaten, vor allem die USA und Europa.Beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 hatauch die Bundesregierung keinerlei Wert auf eineEntscheidung des Weltsicherheitsrates oder aufein UN-Mandat gelegt. Die NATO hat sich selbstdas Mandat zum Krieg erteilt. Der Sicherheitsratwurde gar nicht erst in Anspruch genommen. DieUNO war für die Bundesregierung damals genau-so "irrelevant" wie sie es heute für die US-Regie-rung ist. Als es im Bundestag um die Zustimmungfür den NATO-Angriffskrieg und die Bombardie-rung Belgrads ging, erklärte Bundeskanzler Schrö-der: "Heute müssen wir erkennen, dass die intensi-ven Bemühungen (mit Milosevic) zu einer Ver-handlungslösung zu kommen, erfolglos waren"."Verhandlungslösung"? Es gab nichts zu verhan-deln. Die NATO hatte damals in Rambouillet einUltimatum gestellt: Jugoslawien sollte dem Ein-marsch von NATO-Truppen zustimmen und einBesatzungsstatut unterschreiben, oder es gäbeKrieg! Schröder erklärte im Bundestag: Weil Milo-sevic dem Rambouillet-Diktat und einer NATO-Be-satzung eines Teils von Jugoslawien nicht zuge-stimmt habe, "war es richtig, die Bemühungen umeine politische Lösung mit einer glaubwürdigenDrohung zu verbinden", und diese "militärischeDrohung uneingeschränkt wahr zu machen. ...Auch mir wäre ein neues, mit einer klaren Er-mächtigung versehenes UNO-Mandat lieber ge-wesen. Dass es dieses Mandat nicht gibt, lag abernicht an den NATO-Mitgliedern. Gerade mit Rück-sicht auf Russland und gerade mit Rücksicht aufdie Stellung der Vereinten Nationen war es rich-tig, die NATO-Entscheidungen nicht von einerweiteren Sicherheitsratsresolution abhängig zumachen." (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll13/248, 16.10.1998). Die gleichen Lügen von "er-folglosen Bemühungen" um eine Lösung des Irak-Konfliks hat diesmal die US-Regierung aufge-tischt. So dreist wie Schröder – die Selbstermäch-tigung zum Krieg mit Rücksichtnahme auf die Ver-einten Nationen zu rechtfertigen –, so dreist warnicht einmal George W. Bush.

Die EU – Instrument deutscher GroßmachtambitionenWährend führende Repräsentanten der US-Regie-rung die Haltung der Bundesregierung zum Irak-Krieg als Wahlkampfmanöver geißelten, wurdendie Äußerungen des Bundeskanzlers hierzulande –weit über die Anhängerschaft von SPD und Grü-nen hinaus – für bare Münze genommen oder garals Friedenspolitik interpretiert. Tatsächlich jedochhat dieser "deutsche Weg" weder etwas mit demEinschwenken der Regierung auf Mehrheitsmei-nungen in der Bevölkerung, noch hat er etwas mitFriedenspolitik zu tun.Die bislang schärfste diplomatische Auseinander-setzung in den deutsch/us-amerikanischen Bezie-hungen hängt vor allem mit den rivalisierendenInteressen der Kontrahenten zusammen.1990 hat sich der deutsche Imperialismus – nachJahrzehnten aufgezwungener außenpolitischerBeschränkungen – als neue Großmacht auf derweltpolitischen Bühne zurück gemeldet. Die Zei-ten der "Scheckbuchdiplomatie", die Zeiten, alsDeutschland 1991 den Golfkrieg der USA mit 18

Milliarden Mark mitfinanzierte, sind endgültigvorbei. Der deutsche Imperialismus will wieder inder ersten Liga der Weltpolitik mitspielen.Auf dem Balkan hat Deutschland erstmals seineneu gewonnene Machtposition ausgespielt undsich als Kriegsbrandstifter betätigt. Gegen die da-maligen Vorstellungen der USA und der anderenEU-Staaten war die Bonner Regierung die treiben-de Kraft bei der Zerschlagung Jugoslawiens. Mitder einseitigen Unterstützung nationalistischerund sezessionistischer Kräfte, erst in Slowenienund Kroatien, später im Kosovo, hat Deutschlandan vorderster Front den Balkankonflikt eskaliertund entscheidend an der Inszenierung des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien mitgewirkt.Eine wirklich globale Rolle aber kann Deutschlandnur mit Hilfe der EU spielen – das hat die bundes-deutsche Machtelite seit langem begriffen. Als derBundeskanzler gefragt wurde, ob er mit der politi-schen Verfassung der Europäer angesichts des"Kriegs gegen den Terror" zufrieden sei, antworte-te Gerhard Schröder: "Bei dem, was man Neuposi-tionierung in einer sich verändernden weltpoliti-schen Landschaft nennt, würde Deutschland ohneEuropa jedenfalls weniger wert sein als integriertin Europa. Das ist also nicht etwa die Stunde derVerlangsamung der europäischen Integration; sieist eher mit Dynamik auszustatten." (FTD, 8.1.01).Außenminister Fischer sieht das genauso. Am 18.Oktober 2001 zitiert ihn die Süddeutsche Zeitngmit den Worten: "Wir sind eingebunden in Euro-pa, und dieses Europa als ganzes hat globale In-teressen. ... Der 11. September hat zu einer Ach-senverschiebung geführt, und wir Europäer müs-sen darauf achten, nicht an den Rand gedrängt zuwerden. Wenn wir getrennt bleiben, werden wirunsere Rolle in der Welt und bei ihrer Gestaltungnicht wahrnehmen können."Deutschland ist mit dieser Sicht auf die "weltpoliti-sche Landschaft" nicht alleine. Nicht nur in Frank-reich, sondern im Establishment aller EU-Staatenwird das genauso gesehen. Und vor allem: Einestarke EU ist im Interesse des europäischen Kapi-tals, insbesondere der global operierenden Kon-zerne Europas. Deutschland war jedoch von Be-ginn an die treibende Kraft in diesem Prozess. DieAnfang der 90er Jahre von den herrschendenKräften Deutschlands formulierte Europa-Strate-gie ist heute die Grundlage der EU-Politik. Durchden Zusammenschluss von 25 Staaten, mit demEURO als konkurrierende Weltwährung entstehtein Machtblock, dessen Führungselite den Welt-führungs- und Vorherrschaftsanspruch der USAnicht mehr akzeptiert.Die EU will – wie es ganz offiziell heißt – "aufgleicher Augenhöhe" mit den USA auf der weltpo-litischen Bühne mitspielen können. Aber nochfehlt der EU ein vergleichbarer militärischer Knüp-pel. "Das Problem sei nicht die Stärke Amerikas,sondern die Schwäche Europas", lautet die diplo-matische Formel. Der Ausbau der militärischen Fä-higkeiten ist deshalb das zentrale Anliegen. Dieglobalen Expansions- und Machtansprüche Deut-schlands und der EU lassen sich nur durch dieStärkung der eigenen politischen und militäri-schen Potenz durchsetzen.Der US-Imperialismus andererseits steht vor einemnahezu unlösbaren Widerspruch. Ein Verzicht aufdie derzeitige Hegemonialposition würde notwen-

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dig den Aufstieg konkurrierender Mächte beför-dern. Konsensherstellung, selbst mit den europäi-schen Bündnispartnern, untergräbt den globalenVorherrschaftsanspruch der USA. Imperiale Allein-gänge wiederum gefährden die zerbrechlichenBündnisbeziehungen und vertiefen die Risse inder NATO.Die Differenzen und Konfliktfelder zwischen denUSA und den EU-Staaten sind heute kaum nochzu übersehen. Sie treten in beinahe allen interna-tionalen Fragen zu Tage und zeigen sich insbeson-dere in der aktuellen Debatte um "Unilateralismusoder Multilateralismus" sowie in den gegenläufi-gen Militärstrategien und konkurrierenden Mili-tärprojekten. In der Auseinandersetzung um denIrak-Krieg erreichten diese Differenzen ihren vor-läufigen Höhepunkt. Das Kriegsziel der USA warund ist es, die Vorherrschaft über die für sie le-benswichtige Ölregion am Golf zu behalten undzu verhindern, dass sie dort von konkurrierendenMächten verdrängt werden.Die sogenannten Kriegsgegnerstaaten (insbeson-dere Deutschland, Frankreich und Russland) be-fürchteten jedoch eine Gefährdung ihres wirt-schaftlichen Engagements im Irak. Nicht nur russi-sche und chinesische, sondern auch europäischeÖlkonzerne hatten seit langem Vorverträge für dieErschließung und Ausbeutung der irakischen Öl-felder. Den zweigrößten Vertrag (nach Russland)hatte Frankreich abgeschlossen. Weitere Verträgeexistieren mit den Niederlanden, Spanien und Ita-lien. Insgesamt handelte es sich um geplante In-vestitionen von mehr als 40 Milliarden Dollar.Dem Weltenergieausblick 2001 der ’InternationalEnergy Agency’ (IEA) zufolge, hatte der Irak be-reits die Rechte an geschätzten 44 Milliarden Bar-rel Öl verkauft, was fast einem Drittel der gesi-cherten irakischen Ölreserven entspricht. Zu denVertragspartnern dieser Deals gehörten europäi-sche Ölkonzerne wie ENI und TotalFinaElf gemein-sam mit der russischen Lukoil und der chinesi-schen National Petroleum Company (CNPC).Gleichzeitig ist der Irak hochverschuldet. Die Gläu-bigerstaaten Deutschland, Russland und Frank-reich erwarten selbstverständlich, dass ihre Kredi-te, incl. Zinsen, vom Irak zurückgezahlt werden.(vgl. isw-spezial 15: Krieg ums Erdöl)Die ’Neue Züricher Zeitung" berichtete am 24. Ja-nuar 2003: Der republikanische Senator RichardLugar "ließ ... durch einen Sprecher mitteilen,Frankreich und Russland müssten sich an einemAnriff auf den Irak beteiligen, wenn sie von iraki-schem Öl profitieren wollten. Sie müssten sich so-wohl an den militärischen Anstrengungen alsauch an den Kosten beteiligen. Nur dann könntensie Zugang zu irakischem Öl bekommen".

In den Jahren der Feindseligkeit zwischen denUSA und dem Irak – aber auch wegen der offenenUnterstützung Israels durch die USA im Nah-Ost-Konflikt – haben sich die WirtschaftsbeziehungenDeutschlands und der EU mit den meisten arabi-schen Ländern recht gut entwickelt. Die Geschäftekönnten noch viel besser laufen, wäre es gelun-gen, das Embargo aufzuheben. – Was im Interes-se der irakischen Bevölkerung dringend gebotengewesen wäre! Verhindert wurde das durch dasVeto der US-Regierung im Weltsicherheitsrat. EinKrieg und der vorhersehbare Sieg der stärkstenMilitärmacht der Welt über den Irak, die Errich-

tung eines Kontrollregimes unter dem Kommandoder USA und die Zementierung amerikanischerVorherrschaft im Nahen Osten – das war auch fürdeutsche Kapitalinteressen keine vorteilhafte Zu-kunftsperspektive.Deutschland und die EU konnten sich auf Grundzunehmender antiamerikanischer Stimmungen inden arabischen Ländern durchaus reale Hoffnun-gen machen, die Vorherrschaft der USA im NahenOsten zu brechen und deren Nachfolge anzutre-ten. Diese Hoffnungen wurden zusätzlich dadurchbeflügelt, dass bereits im vergangenen Jahr derIrak, Venezuela und der Iran angekündigt hatten,künftig ihr Öl in Euros abzurechnen. Auch SaudiArabien wollte diese Möglichkeit ernsthaft prüfen.Bisher werden alle Öl-Abrechnungen in Dollar be-zahlt. Die Dollar-Abrechnung ermöglicht es denUSA, nicht nur die Entwicklungsländer, sondernauch die wichtigsten kapitalistischen Rivalen zudominieren. Andere Länder müssen für ihre Ölim-porte Dollars kaufen und einen höheren Wechsel-kurs bezahlen.Elmar Altvater schreibt: "Die Kontrolle einesgroßen Teils des Angebots auf den globalen Öl-märkten durch die USA würde dafür sorgen, dassdie Ölrechnungen auch in Zukunft in US-Dollarausgestellt werden. Das möglicherweise ist dasentscheidende Motiv für die brutale Konsequenz,mit der der Irak unter US-Einfluss gebracht wer-den soll. Die US-amerikanischen Eliten verspre-chen sich, auch in Zukunft die Ölrechnung in Dol-lar begleichen zu können. ... Für die USA ist dieseAussicht wie ein Märchen aus Scheherazades Tau-send und Eine Nacht. Sie würden den Lebenssaftihrer Ökonomie fast umsonst bekommen. DieDruckerei der Federal Reserve verwandelte sich ineine sprudelnde Ölquelle. Dollar können in jedergewünschten Menge ’gedruckt’ werden, um dasÖl zu importieren." Würde dagegen das Öl nichtmehr in US-Dollar, sondern beispielsweise in Eurofakturiert, und die Ölpreise würden gleichzeitigsteigen, entstünde für die USA mit ihrem riesei-gen Handelsbilanzdefizit und der Finanzierungder enormen Ölimporte ein ahezu unlösbaresProblem. (Elmar Altvater, Professor für politischeÖkonomie, Berlin. In: "Die Währung des Schwar-zen Goldes", www.verdi.de)Der Wechsel des weltweiten Ölhandels von derDollar- zur Euro-Währung, würde die US-Wirt-schaft massiv und dauerhaft schädigen und denEURO-Raum stärken. Für die USA waren das trübeAussichten, für die EURO-Mächte dagegen einGrund mehr zur Ablehnung des Irak-Krieges.

Die deutsche GratwanderungTrotz zunehmender rivalisierender Interessen wirdaber ein direkter Konfrontationskurs gegenüberden USA vermieden. Die deutsche Außen- und Mi-litärpolitik ist deshalb schon seit geraumer Zeit einDrahtseilakt zwischen Komplizenschaft und Kon-kurrenz. Einerseits wird die Gegenmachtbildungvorangetrieben – andererseits soll ein Bruch mitden USA vermieden werden, denn im NATO-Ver-band und im Fahrwasser des von den USA verkün-deten "globalen Krieges gegen den Terror" kommtauch der deutsche Imperialismus gut voran. Bundeswehrtruppen stehen heute – mit Hilfe derUSA – nicht nur auf dem Balkan, in Afrika und ineinigen arabischen Ländern, sondern auch in Us-

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bekistan und Afghanistan. So weit weg von der Hei-mat waren deutsche Soldaten zuletzt unter KaiserWilhelm. Wo immer die USA Krieg führen, sollnach Möglichkeit die Bundeswehr mit dabei sein.Deshalb beteiligt sich Deutschland auch an dervon Präsident Bush geforderten und auf demNATO-Gipfel im November 2002 beschlossenenschnellen Eingreiftruppe, der Nato-Response Forces– einer europäischen Hilfstruppe, die für die goba-len Kriegseinsätze der USA vorgesehen ist. Deshalb wurde auch im Irakkrieg trotz öffentlichverkündeter Ablehnung die Komplizenschaft mitden USA nicht aufgekündigt. Deutschland schick-te zwar keine Kampfverbände in den Irak, die USAerhielten aber alle anderen für sie unverzichtbarenUnterstützungsleistungen für den Krieg.Schließlich haben die angeblichen Kriegsgegner-staaten sogar den völkerrechtswidrigen Angriffs-krieg gegen den Irak nachträglich legitimiert. Aus-drücklich haben sie in zwei Sicherheitsrats-Resolu-tionen im Mai und im August 2003 die Aggressor-staaten als Besatzungsmächte anerkannt und ih-nen die Vollmacht (die "Autorität") zur Regelungder politischen und ökonomischen Angelegenhei-ten des Irak übertragen.Ein wie immer geartetes Engagement im Irak unddie Zusammenarbeit mit den Aggressorstaatenwird von der Bundesregierung heute nicht mehrausgeschlossen. Um die Beziehungen zu den USA

nicht noch weiter zu belasten, empfiehlt der Bun-deskanzler dirngend, "bitte jetzt keine rückwärts-gewandten Diskussionen zu führen" (Der Spiegel,24/2003). Im Vordergrund der außenpolitischenStrategie steht jedoch die Entwicklung der EU-Mi-litärmacht, die der Bevölkerung als angebliche "Zi-vilmacht Europa" oder als anti-US-imperialistischesProjekt verkauft wird.Eurochauvinistische Auffassungen wie "Europadürfe nicht länger Trittbrettfahrer der USA sein"oder dem "Größenwahn der Weltmacht und ihrenimperialistischen Bestrebungen könne nur einemilitärisch starke EU Einhalt gebieten", haben inden Medien Hochkonjunktur und finden inzwi-schen große Zustimmung.Die Verwirklichung dieser Vorstellungen ist – ab-gesehen von den Kosten des damit verbundenenRüstungswettlaufs – ist eine mindestens ebensogroße Bedrohung für die Menschheit, wie die ver-meintliche Unterordnung gegenüber der Welt-macht USA, denn das Euro-imperialistische Bünd-nis ist ebenso brandgefährlich wie der Transatlan-tische Imperialismus. Von zwei hochgerüstetenMachtblöcken mit globalen Interessen und An-sprüchen sind zivilisierte internationale Beziehun-gen oder auch der Verzicht auf die Anwendungmilitärischer Gewalt kaum zu erwarten. Eher sichgegenseitig eskalierende Machtkämpfe und nichtweniger, sondern mehr Kriege.

Der Irak-Krieg – und die Folgenvon Naomi Klein

Am 6. April machte es der stellvertretende Verteidi-gungsminister Paul Wolfowitz klar: Die UNO wird keineRolle bei der Einsetzung einer Übergangsregierung imIrak spielen. (...) Und wenn dann das irakische Volk beider Wahl einer Regierung mitsprechen darf, sind diewichtigsten wirtschaftlichen Entscheidungen über dieZukunft des Landes bereits von den Besatzern gefälltworden. (...) Man nennt den Prozess, die Infrastrukturwieder funktionstüchtig zu machen, "Wiederaufbau". (...)

Hier sind einige Glanzpunkte: Der Vertrag über die Ver-waltung des Hafens Umm Qasr im Wert von 4,8 Millio-nen Dollar ist bereits an eine amerikanische Gesellschaft,die Stevedoring Services of America, gegangen und dieFlughäfen stehen zur Versteigerung bereit. Das amerika-nische Büro für internationale Entwicklung (US Agencyfor International Development) hat US-amerikanischemultinationale Konzerne eingeladen, um für alles Mögli-che, von der Wiedererrichtung der Straßen und Brückenbis zum Druck von Lehrbüchern, Angebote abzugeben.Die meisten Verträge erstrecken sich über ein Jahr, aberandere enthalten Optionen, die bis zu vier Jahre verlän-gert werden können. Wie lange wird es dauern, bis diesein langfristige Verträge für privatisierte Wasserversor-gungssysteme, Transitstrecken, Straßen und Schulenund das Telefonsystem übergehen? Wann wird aus demWiederaufbau eine verschleierte Privatisierung? (...)

Und dann gibt es noch das Öl. Die Bush-Administrationweiß, dass sie nicht offen über den Ausverkauf der iraki-schen Ölquellen an ExxonMobile und Shell reden kann.Sie überlässt das Fadhil Chalabi, einem ehemaligen Be-amten im irakischen Ölministerium: "Wir sind darauf an-gewiesen, dass viel Geld ins Land kommt", sagt Chalabi."Der einzige Weg dazu ist die Teilprivatisierung der Indu-strie." Er gehört zu einer Gruppe von Exil-Irakern, die dasUS-Außenministerium dabei beraten haben, wie mandiese Privatisierungen realisiert, ohne dass sichtbar wird,dass sie von den USA initiiert werden. (...)

Es gibt nicht wenige, die behaupten, es wäre zu einfachzu sagen, bei diesem Krieg gehe es um Öl. Sie habenRecht. Es geht um Öl, Wasser, Straßen, Eisenbahnen,Telefonsysteme, Häfen und Medikamente. Und wenndieser Prozess nicht zum Halten gebracht wird, findet im"freien Irak" der größte Ausverkauf der Welt statt. Es istkeine Überraschung, dass sich so viele multinationaleKonzerne auf den ungenutzten irakischen Markt stür-zen. Nicht nur weil der Wiederaufbau einen Wert von100 Milliarden Dollar hat, sondern auch weil der "freieHandel" mit weniger gewalttätigen Mitteln in der letztenZeit nicht besonders gut lief. (...)Bis jetzt hat sich die Debatte über den Wiederaufbau desIraks in der Presse auf ein Fairplay konzentriert: NachMeinung des EU-Kommissars für Außenbeziehungen,Chris Patten ist es "außergewöhnlich ungeschickt", wenndie USA die gesamten profitablen Verträge für sich be-halten. Sie müssen lernen zu teilen: ExxonMobile sollteFrankreichs TotalFinaElf an den lukrativsten Ölfeldernbeteiligen; Bechtel sollte der britische Thames Water ei-nen Anteil an den Verträgen über die Kanalisation abge-ben. Aber während Patten den US-Unilateralismus är-gerlich findet und Tony Blair vielleicht die Aufsicht derUNO fordert, hat das mit dieser Sache nicht das Gering-ste zu tun. Wen interessiert es, welcher multinationaleKonzern die besten Verträge im vordemokratischen Auf-lösungs-Ausverkauf des Iraks nach Saddam bekommt?Was spielt es für eine Rolle, ob die Privatisierung unilate-ral von Washington durchgeführt wird oder von denUSA, Europa, Russland und China? Vollkommen abwesend bei dieser Debatte ist das iraki-sche Volk, das vielleicht – wer weiß? – einen Teil seinesVermögens behalten möchte. Nach dem Ende der Bom-bardierungen ist man dem Irak massive Reparationenschuldig, aber ohne die Ingangsetzung eines wirklichendemokratischen Prozesses sind das Geplante weder Re-parationen, noch ein Wiederaufbau, noch eine Rehabili-tation. Es ist Raub: Massendiebstahl verschleiert alsNächstenliebe, Privatisierungen ohne Regierungsbeteili-gung. (...) April 2003 / www.friedensratschlag.de / Quelle: www.zmag.de

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Anhang

Kostspielige Aufrüstung der Bundeswehr-"Einsatzkräfte" Spätestens mit dem Bundeswehrplan 1997 unddem am 14. Juni 2000 im Bundeskabinett be-schlossenen "Eckpfeiler"-Papier zur Erneuerungder Bundeswehr "von Grund auf" waren die Wei-chen gestellt, um die deutschen Streitkräfte struk-turell angriffsfähig und weltweit interventions-fähig zu machen. Der Aufbau der 150.000 Mannstarken "Einsatzkräfte" – von denen 50.000 Solda-ten ständig einsatzbereit sind – soll bis zum Jahr2006 abgeschlossen sein. Laut Regierungsbe-schluss soll die Bundeswehr dann in der Lage sein,"eine große Operation mit bis zu 50.000 Soldatenaller Teilstreitkräfte über einen Zeitraum von biszu einem Jahr oder zwei mittlere Operationen mitjeweils bis zu 10.000 Soldaten über mehrere Jahresowie jeweils parallel dazu mehrere kleine Opera-tionen durchzuführen." (Rudolf Scharping: "DieBundeswehr sicher ins 21. Jahrhundert. Eckpfeilerfür eine Erneuerung von Grund auf". www.bun-deswehr.de).Die Speerspitze bei den Auslands-Kampfeinsätzender Bundeswehr ist die 1.000 Man starke Elite-kampftruppe "Kommando Spezialkräfte" (KSK)und die "Division Spezielle Operationen" (DSO) mit7.400 Soldaten. Das "Kommando Spezialkräfte",das mit rund 100 Soldaten in Afghanistan einge-setzt war, hat seinen Sitz in Calw und ist die Sym-boltruppe der neuen Interventions-Bundeswehr.Die ’Die Welt’ nannte die Truppe eine "Para-Kom-mando-Brigade für den Guerillakampf". In Militär-zeitschriften wird beschrieben, wie sie kämpfensoll: Die Elitetruppe soll "mit ihren Spezialwaffenhinter den feindlichen Linien abspringen, gegneri-sche Kommunikationsnetze zerstören oder militä-rische Hauptquartiere im Hinterland lahmlegen".Geübt wurde "das Agieren aus dem Hinterhaltund das Vorgehen nach Handstreichmanier" eben-so wie der "Umgang mit Sprengmitteln und derNah- und Häuserkampf". Die Aufgabenstellungder "Division Spezielle Operationen", die aus denbisherigen Luftlandebrigaden in Oldenburg undSaarlouis gebildet werden, ist mit der des KSKweitgehend identisch. Beides sind mit High-Tech-Waffen ausgerüstete Elite-Kampftruppen, ihre Ein-satzgebiete und Kampfaufträge sind geheim undjeder parlamentarischen oder gar öffentlichenKontrolle entzogen. In Afghanistan waren nachoffiziellen Angaben ca. 100 KSK-Soldaten einge-setzt. Sie kämpften unter amerikanischem Kom-mando. Gefangene werden nur "wenn notwen-dig" gemacht und offensichtlich den US-Streitkräf-ten übergeben – wo sie nicht als Kriegsgefangene,sondern als sog. "unrechtmäßige Kämpfer" behan-delt und auf dem berüchtigten US-StützpunktGuantanomo interniert werden.

Die neuen Waffensysteme für den globalen EinsatzDie folgenden Angaben über die Anschaffungneuer Waffensysteme und die vorraussichtlichenKosten stammen vorwiegend aus einer umfang-reichen Recherche von Lühr Henken ("Zur künfti-gen Entwicklung der deutschen Militärausgaben"in: IMI-Studie 01/03 – www.imi-online.de).

Um weltweit interventionsfähig zu sein, werdenfür die "Einsatzkräfte" der Bundeswehr neue Waf-fensysteme angeschafft, die rund 150 Mrd. Euroverschlingen. In Scharpings "Eckpfeiler"-Papier vom Juni 2000wurden "Prioritäten" für die militärische Neuaus-rüstung der Bundeswehr festgelegt:Erste Priorität hat die Verbesserung der strategi-schen Verlegefähigkeit, also Großraum-Militär-transporter für die weltweit operierenden Inter-ventionstruppen.Zweite Priorität haben leistungsfähige Kommuni-kations- und Führungsmittel. In Ergänzung derFähigkeiten des Bündnisses erhält deshalb dieBundeswehr "eine eigene raumgestützte Aufklä-rungsfähigkeit.Dritte Priorität hat die Verbesserung der Ab-stands- und Präzisionsfähigkeit. Dabei geht es umferngesteuerte zielgenaue Marschflugköprer fürdie Tornados und den Eurofighter, die MAW-TAU-RUS, für die bereits im Bundeswehrplan 1997 dieSumme von 2,15 Milliarden Euro (4,3 Mrd. DM)veranschlagt waren.Unter Berücksichtigung dieser "Prioritäten" legteGeneralinspekteur Kujat im März 2001 ein Materi-al- und Ausrüstungkonzept (MatKonz) vor: Ein Be-schaffungsprogramm für 213 Waffensysteme undAusrüstungen, das als Grundlage für die jährlicheRüstungsplanung gilt.Anfang 2002 hat das Verteidigungsministerium(BMVg) den Bundeswehrplan 2002 (BwPl 02) her-ausgegeben. Er gibt – wie die Pläne von 1997 und1999 – Auskunft über die militärischen Beschaf-fungen und die dafür veranschlagten Kosten. Der"Bundeswehrplan 2002" enthält eine Liste vonüber "30 wesentlichen Großvorhaben", Waffen füralle denkbaren Kriegsszenarien. Die (unvollständige) Liste dieser Waffensysteme(siehe Tabelle gegenüberliegende Seite) unter-streicht den interventionistischen Charakter derbeabsichtigten Bundeswehreinsätze.Den Tornados und Eurofightern werden Marsch-flugkörper und lasergelenkte Bomben unterge-hängt. Die Marine erhält bis Ende des Jahrzehntsneue Fregatten und Korvetten, die speziell für denEinsatz von See auf Land konzipiert sind: Für "am-phibische Landeoperationen", ausgerüstet mitMarschflugkörpern von einer Reichweite bis zu400 Kilometern und manuell lenkbaren Präzisions-flugkörpern, die insbesondere für den "Landziel-beschuss" geeignet sind.Mit den 80 hochmodernen KampfhubschraubernTIGER nimmt das deutsche Heer eine europäischeSpitzenstellung ein. In der Entwicklung befind-liche automatisierte Kampfdrohnen sollen dasspäter noch unterstützen. Um weltweit rund umdie Uhr und wetterunabhängig erspähen zu kön-nen, was am Boden geschieht, erhält die Bundes-wehr ein Radarsatellitensystem. Und, wie den VPRzu entnehmen ist, wird der Plan für ein kostspie-liges "Luftverteidigungssystem" weiterverfolgt. In der Entwicklungsphase befindet sich das trans-atlantische Projekt MEADS, das zur Landesvertei-digung weder geeignet noch dafür vorgesehenist. Die präzisionsgesteuerten Raketen mit einerReichweite bis zu 1.000 Kilometern sind als An-griffswaffe und zum Schutz der NATO-Interventi-onstruppen bei ihren "Out-of-area"-Einsätzen be-

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stimmt. Über die Kosten gibt es nur vage Schät-zungen. Der deutsche Anteil soll bei 15 bis 20Milliarden Euro liegen (Spiegel, 17.4.2000). ImBundeswehr-Beschaffungsplan 2002 ist MEADSjedoch nur mit Kosten in Höhe von 2,6 Mrd. Euroenthalten.Mit besonders großer Eile vorangetrieben wird dieAnschaffung der Militär-Airbusse A-400M. DieBundeswehr und die EU-Streitkräfte brauchen die-ses "Strategische Transportflugzeug" für die schnel-le Truppenverlegung und den Transport gepan-zerter Fahrzeuge in die zukünftigen Kriegsgebiete.Für gute Stimmung bei den deutschen Rüstungs-konzernen sorgte jetzt die Ankündigung der Bun-desregierung, Deutschlands Rüstungshaushalt eben-falls – nach Großbritannien und Frankreich – ab-solut zu steigern. Die derzeitigen Umschichtungeninnerhalb des Militäretats zugunsten von Neuan-schaffungen für die Interventionsstreitkräfte rei-chen nicht. Ab 2006 wird deshalb nach einer Ver-einbarung zwischen dem "Verteidigungs"- unddem Finanzminister der Etat der Bundeswehr umjährlich 800 Millionen Euro erhöht (FAZ, 24.6.03).Dieser Beschluss erfolgte zur gleichen Zeit, als dieSchröder-Regierung den Sozialstaat zum Abschussfreigab.Doch bei dieser Erhöhung der Militärausgabenwird es nicht bleiben. Der ’Spiegel’ schätzte schonEnde September 2002 die Kosten für die Neuan-schaffungen auf "gut 110 Mrd. Euro, verteilt überetwa zehn Jahre" (Spiegel, 30.9.2002). Der Bun-desrechnungshof kommt auf der Grundlage derKostenangaben im Bundeswehrplan 2002 auf dieSumme von 87,5 Mrd. Euro für alle militärischenBeschaffungen bis zum Jahr 2014. Die tatsäch-lichen Kosten der militärischen Aufrüstung dürf-ten jedoch noch weit höher liegen:Erstens, weil eine Reihe von Projekten bewusstniedrig veranschlagt wurde (siehe Kasten Euro-fighter);Zweitens, weil bei einigen Waffensystemen dieStückzahlen vorläufig reduziert wurden, die Bun-deswehrführung aber einen weit höheren Bedarfangemeldet hat (z.B. bei den Fregatten und denMarschflugkörpern für die Luftwaffe);

Drittens, weil einige Projekte, wie das Fernmelde-und Führungssystem HEER, nicht mehr im Bun-deswehrplan auftauchen. Diese IT-Technologie istjedoch zur Führung der "Einsatzkräfte" unverzicht-bar und soll jetzt offensichtlich als europäischesProjekt verwirklicht werden. Kosten: rund 600 Mil-lionen Euro jährlich über einen Zeitraum von 10Jahren.Viertens gehen die offiziellen Berechnungen vomPreisstand Dezember 2001 aus, Preissteigerungensind nicht einkalkuliert.

Seriöse Schätzungen unabhängiger Experten ge-hen deshalb davon aus, dass die Anschaffungs-kosten für das neue Kriegsgerät bis zum Jahr 2015die astronomische Summe von 150 MilliardenEuro erreichen wird.

Bundeswehrplan 2002 bis 2014 und Folgekosten nach 2014

Waffensysteme veranschlagte Kosten

Transporthubschrauber NH 90 / MH 90 6,1 Mrd. Euro

Gepanzerte Transport-Fahrzeuge GTK / BOXER 4,8 Mrd. Euro

Gepanzerte Fahrzeuge IGEL 19,8 Mrd. Euro

Kampfhubschrauber UHU / TIGER 3,4 Mrd. Euro

Marschflugkörper MAW-TAURUS und Seeziel-Lenkfugkörper 1,2 Mrd. Euro

Luft/Luft-Rakete FMRAM/AMRAAM (Meteor/Irist) 1,7 Mrd. Euro

Taktisches Luftverteidigungssystem – MEADS 2,6 Mrd. Euro

Euro-Fighter EF2000 12,0 Mrd. Euro

Airbus A-400M 8,1 Mrd. Euro

Fregatten F124 / 125 4,9 Mrd. Euro

Korvetten 1,0 Mrd. Euro

U-Boote U 212 2,5 Mrd. Euro

Seefernaufklärungsflugzeug MPA 2000 1,5 Mrd. Euro

Signalerfassungssysteme, Satellitenaufklärung und -kommunikation 2,5 Mrd. Euro

Der Eurofighter – gut angelegtes Geld?

"Mit geplanten Gesamtkosten von 19,5 Milliar-den Euro für 180 Exemplare ist der Eurofighterdas teurste Rüstungsprojekt in der bundesdeut-schen Geschichte." (Der Spiegel, 28/2003)Bei der Präsentation der ersten Maschine in einerWerkshalle des EADS-Konzerns rühmte "Verteidi-gungs"-Minister Struck den Eurofighter als dasideale Gerät für die geplanten weltweiten Interven-tionseinsätze der Bundeswehr: "Er passt perfekt zuden vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit."Die jüngsten Kriege hätten schließlich gezeigt, wiewichtig die "Luftüberlegenheit" sei.Nach den offiziell veranschlagten Gesamtkostenliegt der Preis für ein Exemplar dieses Kampfflug-zeugs bei 108 Millionen Euro. Der Bundesrech-nungshof rechnet allerdings mit Gesamtkosten von21,2 Milliarden, also mit 117 Millionen Euro proStück. Dass es dabei bleibt, ist äußerst fraglich,denn 1997 sollte der Preis einer Maschine noch bei125 Mio. DM (!), also bei 64 Millionen Euro liegen.Kostensteigerung: Rund 170 Prozent innerhalb vonsechs Jahren. Der Eurofighter, betonte PeterStruck, sei "sehr gut angelegtes Geld". (Alle Angaben: ’Spiegel’, 28/2003)

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Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)forderte deshalb schon vor einem Jahr mehr Geldfür die Bundeswehr. BDI-Präsident Rogowski: InZukunft müssten "etwa drei Milliarden Euro zu-sätzlich ausgegeben werden, um die Bundeswehrmit einer Ausrüstung zu versehen, die den politi-schen und militärischen Anforderungen genügt".(FAZ, 5.9.2002 "BDI: Rüstung darf kein Stiefkindsein")Völlig unberücksichtigt bleiben bisher die steigen-den Kosten für die Auslandseinsätze der Bundes-wehr. Die derzeitigen Einsätze von rund 7.300Soldaten verschlingen bereits 1,4 Milliarden Eurojährlich. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist je-doch die Fähigkeit zu mehreren weit größeren"Operationen" mit einer Anzahl von "bis zu 50.000Soldaten". Die laufenden Einsatzkosten für dieBundeswehr werden sich demnach vervielfachenund könnten schon in wenigen Jahren auf jährlich5 Milliarden Euro und mehr ansteigen.Bei der Bundesregierung stoßen die Forderungender Kapitalvertreter und Rüstungskonzerne auf of-fene Ohren. Unermüdlich erklärt der Bundeskanz-ler den engen Zusammenhang zwischen der De-montage des Sozialstaats und den Weltmachtam-bitionen Deutschlands. So betonte Gerhard Schrö-der bei der Vorstellung der Agenda 2010 aus-drücklich, dass die vorgesehenen sozialen Ein-schnitte der "wirtschaftlichen Entwicklung Deut-schlands geschuldet" sind, "zugleich" gehe es aberauch um "unsere Verantwortung für ein starkesEuropa und damit für seine Rolle in der Welt".Gegenüber dem ’Spiegel’ wird er noch deutlicher:"Es gibt einen Zusammenhang zwischen Emanzi-pation im Äußeren und den Reformen zur Wieder-erlangung der ökonomischen Kraft." (Spiegel,13/2003). Und bei der Eröffnung der HannoverMesse im April 2003 erklärte Schröder: "Das, wasich mit der Agenda 2010 bezeichnet habe (...) hatmit dem Thema zu tun, das ich anfangs erörterthabe. Wenn Deutschland seine Rolle in Europaund damit Europa seine Rolle in der Welt in demgekennzeichneten Maße spielen will und soll, ...dann reicht es eben nicht aus, das nur zu wollen,sondern dann muss man das Land ökonomisch inStand setzen, auch die Kraft zu haben und siediesem Europa zur Verfügung zu stellen, um dieseRolle realisieren zu können."Aufrüstung und weltweite Kriegsfähigkeit sind dieInstrumente der Regierung für Deutschlands "Eman-zipation im Äußeren" und Deutschlands "Rolle inEuropa und der Welt". Der soziale Kahlschlag istdie Kehrseite dieser Medaille.

Dank an Tobias Pflüger (IMI e.V.), dessen Textewichtige Fakten und Daten zu dieser Arbeit beige-steuert haben.Der Autor Claus Schreer, Mitarbeiter des isw e.V,ist einer der Sprecher des "Bündnis München gegen Krieg" und Mitorganisator des MünchnerHearings "Der Irak-Krieg und die Folgen".

AbkürzungenBlätter – Blätter für deutsche und internationale PolitikFAZ – Frankfurter Allgemeine ZeitungFTD – Financial Times DeutschlandSZ – Süddeutsche Zeitung

Informationen, Bibliothek, Recherchen, Vorträge

Themen: Ursachen von Krieg und Konflikten, Krieg als Mittel derAußenpolitik, Bundeswehr und Nato, Militarisierung der EU, Rechts-extremismus und Militär, Aufrüstung in der Welt.

IMI e.V., Hechingerstraße 203, 72072 Tübingen, fon: 07071/49154, fax: 07071/49159, email: [email protected]

Bündnis MÜNCHEN GEGEN KRIEGDas Bündnis aus Einzelpersonen und VertreterInnen mehre-rer Organisationen entstand im Februar 1003 aufgrund desdrohenden Angriffskrieges gegen den Irak und organisierteim Vorfeld und während des Krieges fast alle Protestaktio-nen und große Demonstrationen in München. Ein Anti-kriegszelt des Bündnisses auf dem Marienplatz war sechsWochen lang Kristallisationsort für die Friedensbewegungin München. Das BÜNDNIS MÜNCHEN GEGEN KRIEG ge-hört zu den Organisatoren des Münchner Hearings "DerIrak-Krieg und die Folgen" und der Proteste gegen die sog.NATOSicherheitskonferenz am 6./7. Februar 2004 in Mün-chen. www.muenchen-gegen-krieg.de

www.imi-online.de

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..... report 92: Der Überfall der Banken. Wie die Banken die Gesellschaft ruinieren u. wie sie an die Kette zu legen sind (April 2013) 1,00 EUR

..... report 93: Die Schulden streichen! Grundlage für eine Erneuerung Europas (21. isw-forum) (Juni 2013) 1,00 EUR

..... report 94: Zwischen Dauerkrise, Widerstand, Transformation: Kapitalismus am Ende? (Sept. 2013) 1,00 EUR + Versand

..... report 95: Die Krise und die Spaltung Europas. Europa am Scheideweg (Dez. 2013) 3,50 EUR + Versand

..... report 96: Widerstand – Kapitalismus oder Demokratie (März 2014) 3,50 Euro + Versand

..... report 97: Wirtschafts-Nato TTIP – STOP! (Juli 2014; akt. Beilage April 2016) 3,50 Euro + Versand

..... report 98: Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich? Beiträge 22. isw-forum (Sept. 2014) 3,00 EUR + Versand

..... report 99: Die Energiewende im Würgegriff der Konzerne (Dezember 2014) 3,50 EUR + Versand

..... report 100/101: Umbruch im globalen Kapitalismus. Abstieg der G7-Metropolen - Aufstieg der Schwellenländer (April 2015) 6,00 EUR

..... report 102: Der Aufstieg des Südens – Umbruch in der globalen Machtverteilung? Doku 23. isw-forum (Sept. 2015) 3,00 EUR

..... report 103: Wege aus dem Kapitalismus. Die Alternativen entfalten sich nur in sozialen Kämpfen (Nov. 2015) 4,50 EUR + Versand

..... report 104: Auf der Flucht – Fluchtursachen. Festung Europa. Alternativen (Februar 2016) 4,00 EUR

..... report 105: Demokratie & Internet (April 2016) 2,50 EUR + Versand

..... report 106: Digitale Arbeit und Industrie 4.0 Doku 24. isw-forum (H.J. Urban, Th. Hagenhofer, M. Schwarzbach) (Sept. 2016) 2,50 EUR

..... report 107/108: Pulverfass Nahost (Februar 2017 in Zusammenarbeit mit IMI e.V.) 4,50 EUR + Versand

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