Der Konflikt um Stuttgart 21 – Interview mit Wolfgang Schuster u. Jens Loewe

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In der Ausgabe 6/2010 führten wir ein Interview mit dem ehemaligen Oberbürgermeister von Stuttgart Wolfgang Schuster und dem Projektgegner Jens Loewe. Dabei ging es um den Bahnhof, die Unzufriedenheit der Bürger mit ihren Repräsentanten, "weißer Korruption" und Bürgerbeteiligung.

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Im ersten Buch von Douglas Adams !e Hitchhiker‘s Guide to the Galaxy wird folgende Geschichte erzählt:

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58 Interview: Wolfgang Schuster Jens Loewe Der Konflikt um Stuttgart 21 – Zeichen für eine lebendige Demokratie oder Chance für eine echte Demokratie?

DER KONFLIKT UM STUTTGART 21

DER KONFLIKT UM STUTTGART 21

DER KONFLIKT UM STUT TGART 21 !

Fotos: Björn Geissler (www.monow.de) und Wolfram Bernhardt

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Wolfgang Schusterwurde er für weitere acht Jahre wiedergewählt. Er studierte in Tübingen, Genf und Freiburg Rechts- und Staatswissenschaften. 1976 erfolgte die Promotion im Zivilrecht. Nach seiner Referendariatszeit setzte er sein Studium an der Pariser Ecole Nationale d’Administration (ENA) fort. Von 1978 bis 1980 war er Referent im Staatsministerium Baden-Württemberg unter den damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger und Lothar Späth. 1985 wurde er

Schwäbisch Gmünd. Danach war er bis 1996 Bürgermeister für Kultur, Bildung und Sport der Landeshauptstadt Stuttgart.

Jens Loewe ist Autor und Aktivist, Mitbegründer des Stutt-garter Wasserforums und des Bürgerbegehrens „100-Wasser“ zur Rekommunalisierung der Stuttgarter Wasserversorgung; Mitbegründer des Netzwerks Wasser in Bürgerhand (W!B)

Er war ferner Mitglied der 1997 durchgeführten Bürgerbetei-ligung zu Stuttgart 21 und dabei Sprecher des Arbeitskreises Stadtplanung. Zuletzt erschienene Buchtitel: Das Wassersyn-dikat, Pforte Verlag, Schweiz; Water Ablaze, Verlag NWWP, Stuttgart.

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Für die Befürworter von Stuttgart 21 ist das Bauprojekt demokratisch legiti-miert, weil ihm die zuständigen Gremien mehrheitlich zugestimmt haben. In der „Rhein-Neckar-Zeitung“ war in Bezug auf Stuttgart 21 sogar zu lesen: „Es geht um die Machtfrage, bei der eine ‚überparlamentarische‘ Opposition die Beschlüsse der gewählten Gremien und rechtsgültige Verträge nachträglich delegitimieren möchte. Wenn das geschieht, haben wir eine andere politische Realität, die aber den ständig behaupteten Politikverdruss nicht lindert, sondern die Parlamente zu Kabarettbühnen degradiert.“ Ist die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 eine Gefahr für die Demokratie?

WS:

JL:

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Bei allen großen Bauprojekten hat man mit Planungsunsicherheit, steigenden Kosten, Korruption, Betrug, Spekulation und massiven Beeinträchtigungen der Anwohner während des Baus zu rechnen. Sollen deshalb aber keine Projekte dieser Art mehr in Angri! genommen werden?

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WS:

JL:

Stuttgart 21 wurde bereits 1994 der Ö!entlichkeit vorgestellt. Der Protest gegen das Projekt hielt sich lange Zeit in Grenzen. Was hat sich geändert?

WS:

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JL:

Der Politik wird immer vorgeworfen, dass sie sich zu sehr nach den Interessen der Wirtschaft richtet, aber ist es nicht tatsächlich so, dass die Politik letztlich keine Wahl hat, da die Wirtschaft die Politik jederzeit erpressen kann?

WS:

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JL:

Die ökonomische Ordnung wird oft auch als wettbewerbliches System bezeichnet, in welchem sich das Beste durchsetzt. Veränderungen dieses Systems können sehr schnell vonstattengehen. Es ist möglich, dass innerhalb kürzester Zeit aus einer Gründung ein Weltkonzern wird. Warum geht das nicht im politischen System, das man ja im weitesten Sinne auch als wettbewerblich charakterisieren kann?

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WS:

JL:

Viele Menschen haben das Gefühl, am bestehenden System nichts verändern zu können. Hat das bestehende System den Kontakt zum Volk verloren, oder sind die einzelnen Individuen zu egoistisch geworden und akzeptieren keine Mehrheitsent-scheidungen mehr?

WS:

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JL:

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Angenommen, in Baden-Württemberg hätte nicht die CDU, sondern eine Partei wie die SPD, die Grünen oder die Linke die Mehrheit. Glauben Sie, dass sich dadurch die Haushaltsplanung des Landes wesentlich verändern würde? Auch im Hinblick auf Stuttgart 21?

WS:

JL:

Angenommen, eine andere Partei beziehungsweise Koalition würde einen Baustopp von Stuttgart 21 durchsetzen. Welche Auswirkungen hätte das?

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WS:

JL:

Ist der deutsche Bürger nicht kompetent genug, um über Volksbefragungen in wich-tige Entscheidungen eingebunden zu werden? Kann der Bürger die Auswirkungen eines Baustopps von Stuttgart 21 überhaupt absehen?

WS:

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JL:

Viele Protestbewegungen der Vergangenheit, die die Demokratie erst ermöglicht haben, mussten blutig geführt werden. Was würde passieren, wenn die Leute bei-spielsweise Steine werfen oder zu Wa!en greifen – wäre das der Anfang eines wirk-lichen Umbruchs oder bereits der Anfang vom Ende?

WS:

JL:

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Etliche Indices, wie zum Beispiel der Index of Democracy des Magazins „!e Eco-nomist“, bescheinigen Deutschland hinsichtlich der gelebten Demokratie eine Spitzenposition im internationalen Vergleich. Jammern wir nicht auf sehr hohem Niveau?

WS:

JL:

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Geht es bei S 21 überhaupt um S 21 oder nicht um eine generelle Unzufriedenheit mit Volksvertretern und anderen Führungskräften? Ist nicht angesichts einer sowohl finanziell wie auch weltpolitisch viel schwierigeren Situation die Bürgerschaft der Ansicht, dass jene, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten das Sagen hatten, den Problemen der Zukunft nicht mehr gewachsen sind?

WS:

JL:

Handelsblatt.com, 4.Oktober 2010

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„Bürgerprotest ist zum Investitionshemmnis Nummer eins geworden“ konnte man auf Handelsblatt.com lesen, Vertreter von Industrie und Wirtschaft sehen Innova-tion und Wachstum durch Protestbewegungen in Deutschland gefährdet. Der Pro-test des Bürgers – des Souveräns – ist aber Teil der Demokratie. Müssen wir uns in Deutschland von der Vorstellung verabschieden, dass Demokratie automatisch zu Wohlstand und Wachstum führt? Oder akzeptieren wir Demokratie nur als Wachs-tumstreiber?

WS:

JL:

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Stuttgarts Bevölkerung ist durch Stuttgart 21 in zwei Lager gespalten. Wie kann man diese Lager wieder vereinen und künftig solchen Entwicklungen entgegenwir-ken?

WS:

JL: