Der Koran Und Das Meer

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Der Koran und das MeerO. Von W. W. Barthold. j 111 seinem Artikel über den koraniscben Terminus fulk' (Schiff) in der Enzyklopädie des Islam weist H. Baueb darauf-: hin, welchen großen Eindruck auf Muhammed das Segeln deri Schiffe auf dem Meer gemacht haben muß. Wie er ausführt, wird in zahlreichen Koranstellen die Tatsache, daß Gott den Menschen das Wasser Untertan gemacht hat, so daß es willig die Schiffe trägt, ihnen zu Nutz und Frommen, als ein be-! sonderer Gnadenbeweis Gottes betrachtet. | H. Bauek hätte hinzufügen können, daß die Schilderungen des Meeres und der Meeresstürme im Koran sich durch eine: Klarheit auszeichnen, Avie sie im allgemeinen im Koran selten' anzutreffen ist. Muhammed, der bei seinen Naturschilderungen; selbst bei der Beschreibung der Paradiesesgärten eine recht! dürftige Phantasie an den Tag legt, stellt sich lebhaft vor,! wie die Schiffe die Wogen durchschneiden (16, 4) wie ange-! nehm es ist, bei nicht zu starkem Wind auf dem Meer zu fahren,! und welche Angst die Seeleute ausstehen, wenn stürmisches! AVetter einsetzt und von allen Seiten sich die Wogen erheben,j (10, 23); das Leben der Ungläubigen wird verglichen mit der Fata Morgana in der Wüste (24, 39) nnd mit der Dunkelheit,: die eintritt auf sturmbewegtem Meere, wobei sich der Prophet: lebhaft vorstellt, wie sich Woge über Woge erhebt, wie darüber; die dunklen Wolken aufziehen, und eine so dicke Finsternisi eintritt, daß man kaum die Hand vor Augen sehen kann (24,40).j Die traditionelle Biographie Muhammeds, die Sira, deren- Zuverlässigkeit durch die neuere Forschung so stark erschüttertj 1) (Aus Zapiski kollcirii vostokovedov 1 [1925] S. lOC-110}! iibersetzt von H. K itter. !

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W. W. Barthold,Der Koran und das Meer,Zeitschrift der Deutschen Morgenl?ndischen Gesellschaft,1929.

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Page 1: Der Koran Und Das Meer

Der Koran und das MeerO.

Von W. W. Barthold. j

111 seinem Artikel über den koraniscben Terminus fulk'

(Schiff) in der Enzyklopädie des Islam weist H. Baueb darauf-:

hin, welchen großen Eindruck auf Muhammed das Segeln deri

Schiffe auf dem Meer gemacht haben muß. Wie er ausführt,

wird in zahlreichen Koranstellen die Tatsache, daß Gott den

Menschen das Wasser Untertan gemacht hat, so daß es willig

die Schiffe trägt, ihnen zu Nutz und Frommen, als ein be-!

sonderer Gnadenbeweis Gottes betrachtet. |H. Bauek hätte hinzufügen können, daß die Schilderungen

des Meeres und der Meeresstürme im Koran sich durch eine:

Klarheit auszeichnen, Avie sie im allgemeinen im Koran selten'

anzutreffen ist. Muhammed, der bei seinen Naturschilderungen;

selbst bei der Beschreibung der Paradiesesgärten eine recht!

dürftige Phantasie an den Tag legt, stellt sich lebhaft vor,!

wie die Schiffe die Wogen durchschneiden (16, 4) wie ange-!

nehm es ist, bei nicht zu starkem Wind auf dem Meer zu fahren,!

und welche Angst die Seeleute ausstehen, wenn stürmisches!

AVetter einsetzt und von allen Seiten sich die Wogen erheben,j(10, 23); das Leben der Ungläubigen wird verglichen mit der

Fata Morgana in der Wüste (24, 39) nnd mit der Dunkelheit,:

die eintritt auf sturmbewegtem Meere, wobei sich der Prophet:

lebhaft vorstellt, wie sich Woge über Woge erhebt, wie darüber;

die dunklen Wolken aufziehen, und eine so dicke Finsternisi

eintritt, daß man kaum die Hand vor Augen sehen kann (24,40).j

Die traditionelle Biographie Muhammeds, die Sira, deren-

Zuverlässigkeit durch die neuere Forschung so stark erschüttertj

1) (Aus Zapiski kollcirii vostokovedov 1 [1925] S. lOC-110}!iibersetzt von H. K itter. !

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Sticky Note
W. W. Barthold, Der Koran und das Meer, Zeitschrift der Deutschen Morgenl?ndischen Gesellschaft, 1929.
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38 W. W. Babthold, Der Koran und das Meer

ist, liefert uas kein ausreichendes Material zur Aufklärung

der Frage, wie und wo Muhammed eine so klare Vorstellung

über das Meer und seine Stürme gewonnen hat. Diese Frage

ist aber gerade deswegen von besonderem Interesse, weil

Schilderungen des Meeres im allgemeinen der arabischen Poesie,

insbesondere der vorislamischen, fremd sind. Die Biographie

Muhammeds schreibt ihm keinerlei Seereisen, nicht einmal

Reisen an die Meeresküste zu; nirgends ist davon die Rede,

daß Muhammed etwa die Mekka nächstgelegenen Häfen Djidda

und Shu'aiba besucht hätte. (Der erstere wird erwähnt

Tabari 1, 1135, 10 bei der Erzälilung von dem gestrandeten

griechischen Schiff, das die Kuraischiten zum Bau der Ka'ba

verwendeten, dei- zweite bei der Erzählung von der ersten

Auswanderung der Muslime nach Abessinien; Shu'aiba lag

etwas südlicher als Djidda) i). Es ist zwar die Rede von den

Reiseu Muhammeds nach Syrien, anfangs mit der Karawane

seines Oheims Abü Tälib, dann mit der Karawane seiner

späteren Gemahlin Chadidja, aber auch in diesen Erzählungen

findet sich kein Wort darüber, daß Muhammed etwa in der

Arabien zunächst gelegenen Küstenstadt Syriens, in Ghaza,

wo man später das Grab seines Ahnherrn Häshim zeigte, ge¬

wesen wäre. Die Reisen Muhammeds in Syrien gehören zu

jeneu Zügen der Biogi-aphie des Propheten, dei-en Glaubwürdig-

k"it von der neueren Forschung bezweifelt wird. Angesichts

der Dürftigkeit der Phantasie, die Muhammed bei der Beschrei¬

bung der Paradiesesgärten an den Tag legt, stellt Lammens^)

die Frage: „Comment concilier cette indigence descriptive avec

l'hypothöse de ses voyages en Syrie?" Wenig überzeugend

ist die, neuerdings wieder von Hiuschfeld') vertretene .An¬

sicht, daß der Koranvers (37, 137), in dem Muhammed nach

der Schilderung des Unterganges der Landsleute Lots zu den

Kuraischiten sagt: „Ihr kommt vorbei am Morgen und in

der Nacht an jenen Orten, wo sie gewesen sind" eine Be¬

kanntschaft Muhammeds mit der Küste des Toten Meers be¬

ij BGA. VI, HS. 8; 193, 1.

2) Berceau dc rislaiii I, 90.

3) New researches into the com position and cx 'gesis of the Qoran 28.

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weise. In der Biographie des Propheten findet sich eine über

Ibn Sa'd und Wäqidi auf Zuhri zurückgehende Nachricht,

daß Muhammed mit der Karawane der Chadidja nach dem

Markt Hubäsha in der Tihäma gereist sei. Mit dem Ausdruck

Tihäma wird bekanntlich in Arabien der heiße Küstenstrich

bezeichnet, jedoch werden hierzu auch Örtlichkeiten gerechnet,

die ziemlich bedeutend vom Meer entfernt lagen, manchmal

wird selbst Mekka in die Tihäma miteinbezogen. Als ein Punkt

an der Meeresküste Arabiens wird der Markt Hubäsha nicht

erwähnt, überhaupt war die Lage des Ortes nicht genau bekannt,

Jäqüt weiß davon nur aus einem Zuhri zugeschriebenen

Hadith und aus einem Werke des Abü 'Ubaid, wo der

Markt Hubäsha Mai kt der Qainuqä' genannt wird, d. h. jenes

in Medina lebenden Judenstammes, der in der Folgezeit von

Muhammed vertriebeu wurde. Es ist kein Grund anzunehmen,

daß diese Juden, städtische Handwerker, die kein eigenes Land

besaßen, an der Meeresküste gewohnt oder etwa dort Handel

getrieben hätten.

Das arabische Wort bafir, ebenso wie das persische Wort

darjä, bedeutet nicht nui' „Meer", sondern auch „großer Fluß",

danach sind, was auch von einigeu muhammedanischeu Kom¬

mentatoren anerkannt wird, die Koran verse (25, 55 und 35, 13)

zu erklären, wo von zwei Meeren, einem süßen und einem

salzigen, die Rede ist. In einem Verse (25, 55) wird hinzu¬

gefügt, daß Gott zwischen beide Meere eine Schranke und

unverletzliche Verwehrung des Zugangs gesetzt habe. Der

Begriff „süß" wird durch das Wort furät ausgedrückt, mit dem

auch der Fluß Euphrat bezeichnet wird; es ist sehr wohl

möglich, daß dieser Gleichklang hier nicht zufällig ist und

daß in dem Ver.se (35, 13), wo gesagt wird, daß die Menschen

von beiden Meeren, dem salzigen und dem süßen, nützliche

Waren erhalten, an die Schiffahrt auf dem Indischen Ozean

und dem Euphrat gedacht ist. Unter den „Schranken" sind

dann die Sandbänke zu verstehen, welche dem Euphrat den

Weg zum persischen Golf versperren. Bekanntlich wurde in

der damaligen Zeit als der Hauptarm des Euphrat der west¬

liche betrachtet, der dicht bei Hira vorbeifloß und sich in

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Sümpfen verlor; nur ein Nebenarm des Euphrat vereinigte

sich mit dem ins Meer einmündenden Tigris. Nocb im 9. und

10. Jahrhundert herrschte bei den Muslimen die freilich ver¬

kehrte Vorstellung, daß das Festlandsgebiet zwischen Hira

und dem Meere sich in relativ junger Zeit gebildet habe nnd

daß Hira ursprünglich ein Seehafen gewesen sei. Über die

Örtlichkeiten am Euphrat besaß Muhammed einige Kenntnisse ;

außer Ägypten ist Babylon der einzige geographische Punkt

außerhalb der arabischen Halbinsel, der im Koran erwähnt

wird (2, 96).

Sehr merkwürdig ist die Verbindung, in die im Koran

die Seefahrt mit dem Bekenntnis zu dem einigen Gott Allah

gebracht wird. Nach Macdonalu's Artikel „Alläh" in der

Enzyklopädie des Islam riefen die Mekkaner Allah in Augen¬

blicken besonderer Gefahr an. An eiuer Stelle des Koran (16,55 f.)

wird denn auch tatsächlich gesagt, daß immer das L'nglück

die Menschen zwingt, sich zu Allah zu bekehren, daß aber,

sobald Allah das Unheil von ilmen abwendet, einige ihrem

Herrn Genossen beilegen, d. h. von neuem in die Vielgötterei

verfallen. In vier anderen Versen jedoch (10,23; 17,69;

25, 65 und 31, 31) wird die Anrufung Allahs mit dem Ge¬

löbnis, ihm allein zu dieuen, in Verbindung gebracht mit der

Seenot, die Rückkehr zur Vielgötterei mit der Rückkebr aufs

feste Land. Als Illustration zu diesen Koranversen kann eine

Überlieferung dienen, die bei Tabari (1, 1040 f.) nach Ibn

Ishäq wiedergegeben wird, aber nicht in den Text des Ibn

Hishäm aufgenommen ist und daher weder von Speknokr

benutzt noch auch sonst von der europäischen Wissenschaft

verwertet worden ist. Es wird dort die Erzählung eines der

Feinde Muhammeds angeführt, der von ihm bei der Eroberung

Jfekkas von der Amnestie ausgeschlossen wurde, uämlich des

•Ikrima ibn abi Djahl: „Ich wollte mich ans Meer begeben,

nm mich den Abessiniern anzuschließen"; als ich zu dem Schiffe

kam, das ich besteigen wollte, sagte der Besitzer des SchitTes

zu mir: „Knecht Gottes, besteige mein Schilf nicht, ehe du

die Feinheit Gottes beknnnt und dich von allen Göttern außer

ihm losgesagt hast; denn wenn du das nieht tust, geheu wir

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auf dem Schiff zu Grunde". Ich sagte: „Begibt sich denn

keiner aufs Meer, der nicht die Einheit Gottes bekennt und

sich von allem außer ihm lossagt?" Er sprach: „Freilich,

keiner begibt sich aufs Meer außer mit reinem Glauben". Ich

sagte: „Warum soll ich mich dann von Muhammed absondern?

Das ist ja dasselbe, womit er zu uns gekommen ist? Ich

schwöre bei Allah: der auf dem Meere unser Gott ist, ist unser

Gott auch auf dem Festlande. Da nahm ich den Islam an,

und er drang in mein Herz". Natürlich ist es unmöglich zu

beweisen, daß diese 'Ikrima zugeschriebene Erzählung einen

wirklichen Vorgang wiedergibt. 'Ikrima wurde, wie derselbe

Ibn Ishäq einige Zeilen vorher sagt, auf Grund der Für¬

sprache seines Weibes Umm Hakim, die den Islam angenommen

hatte, von Muhammed begnadigt; sie machte sich auf, ihren

nach dem Jemen geflüchteten Gatten zu suchen und brachte

ihn zum Propheten. In einer anderen Erzählung bei Tabari

(III, 2306 f.), die, vermittelt durch Wäqidi, dem Werke des

Vorgängers von Ibn Ishäq, Müsä ibn 'Oqba, entnommen ist,

werden die Einzelheiten etwas anders dargestellt; nachdem

Umm Hakim durch ihre Bitten die Begnadigung ihres Mannes

erlangt hatte, machte sie sich auf, ihn zu suchen, und fand

ihn in einem der Küstenoite der Tihäma, wo es ihm bereits

gelungen war, sich aufs Meer zu begeben, d. h. ein Schiff" zu

besteigen. Sie begann ihm Zeichen zu machen und sprach:

„Sohn meines Oheims, ich komme zu dir von dem gnädigsten

der Menschen, dem gütigsten der Menschen und dem besten

der Menschen ; stürze dich nicht selbst ins Verderben, ich habe

ihn um Gnade für dich gebeten, und er hat dich begnadigt.

Er sagte: „Das hast du getan?" Sie sprach: „Ja, ich habe

mit ihm gesprochen, und er hat dich begnadigt". Daraufhin

kehrte er mit ihr zurück. Als er sich Mekka näherte, sagte

der Gesandte Gottes zu seinen Anhängei'n: 'Ikrima, der Sohn

des Abü Djahl kommt zu euch als Gläubiger und Muhädjir.

Schmähet nicht seinen Vater, die Schmährede gegen den Toten

kränkt nur den Lebenden und erreicht den Toten nicht.

Darauf wird die Zusammenkunft von 'Ikrima mit Muhammed

erzählt.

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Aus der Erzählung des frühen schi'itischen Schriftstellers

Ja'qübi (11,62) könnte man jedoch den Schluß ziehen, daß

'Ikrima überhaupt nicht genötigt gewesen sei, sich durch die

Flucht aus Mekka zu retten. Dort heißt es, daß der Prophet

nach der Einnahme von Mekka dem Biläl befahl, das Dach

der Ka'ba zu besteigen und von dort den Gebetsruf erschallen

zu lassen. Den Kuraischiten kam das hart an; 'Ikrima ibn

abi Djahl und Hälid ibn Asid sagten: „Ibn er-Rabäh (d. i.

Biläl) brüllt auf der Ka'ba". (Über dasselbe) sprachen auch

(andere) Leute; der Gesandte Gottes schickte zu ihnen; sie

sagten : „Wir haben (es) gesagt und bitten Gott um Verzeihung".

Muhammed sprach: „Ich weiß nicht, was ich euch sagen soll,

aber jetzt naht die Gebetszeit; wer das Gebet verrichtet, vor

dem ist der Weg offen, wer es aber nicht verrichtet, den werde

ich vorführen und ihm das Haupt abschlagen". Ja'qübi

zählt also ' Ikrima zu den Teilnehmern an dem ersten muham¬

medanischen Gottesdienst an der Ka'ba.

Sehr ähnlich der Erzählnng des Müsä ibn 'Oqba über die

Flucht des 'Ikrima — bis in die Ausdrücke hinein — ist die

Erzählung des Ibn Isljäq (Ibn Hishäm 825 f. und Tabari

I, 1644 f.) über die Flucht eines andern Kuraischiten, eines

Verwandten Muhammeds, nämlich Safwän ibn Umaija. (Die

Mutter Muhammeds war eine Tochter des Ahnherren^) von

§afwän). Safwän flieht nach Djidda, um sich vou dort nach

dem Jemen zu begeben, offenbar zur See. Für ihn erwirkt

sein älterer Verwandter, 'Uuiair ibn Wahb, der Bruder der

Mutter Muhammeds, die Begnadigung; 'Umair hält Safwän

in Djidda an, wo er sich schon anschickt sich aufs Meer zu

begeben, redet ihm zu, sich nicht ins Verderben zu stürzen

und sagt zu ihm über Muhammed: „Der Sohn deiner Tante

ist der vortrefflichste der Menschen, der gütigste der Menschen,

der mildeste der Menschen, der beste der Menschen; seine

Erhöhung ist deine Erhöhung, seine Erniedrigung deine Er¬

niedrigung, seine Herrschaft deine Herrschaft". Safwän läßt

sich nach einigem Schwanken durch die Argumente 'Umairs

überzeugen und kehrt mit ihm zu Muliammed zurück.

1) Urgroßvaters.

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Der Vergleich dieser Erzählungen beweist deutlich, wie

stark das Element der literarischen Erfindung selbst in den

Berichten über die letzten Jahre des Lebens von Muhammed

ist, nicht zu reden von der mekkanischen Periode seiner

Tätigkeit. Nichtsdestoweniger stellt die dem 'Ikrima zuge¬

schriebene Erzählung, selbst wenn man in ihr nur ein legendäres

Motto sehen will, eine auffallende Parallele dar zu den Koran¬

versen, in denen vom Anrufen Allahs auf dem Meere und dem

Abfall zum Götzendienst auf dem Festlande die Eede ist. Es

ist möglich, daß die Seeverbindung zwischen Arabien und dem

gegenüberliegenden Ufer des Roten Meeres in der Hand der

christlichen Abessinier lag, und daß die Christen den Zorn

Gottes auf sich und ihre Schiffe herabzuziehen fürchteten,

wenn ein gottloser Heide sich unter ihnen befand. In diesem

Falle kann man in jenen Koranversen eine neue Bestätigung

des Resultates sehen, zu dem die Erforschung der Urgeschichte

des Islam mehr und mehr gelangt; daß die Gottesvorstellung

Muhammeds sich mehr nnter dem Einfluß des Christentums

als unter dem des hebräischen Monotheismus herausgebildet hat.

[Vgl. noch die von Nöldeke, Islam V, 163, Nr. 3 auf Grund

derselben Koran verse geäußerte Vermutung: „Möglicherweise

ist Muhammed selbst einmal drüben gewesen". Sollte diese

Vermutung das Richtige treffen, so würde die von Nöldeke

im allgemeinen angenommene Glaubwürdigkeit der Sira (die

über solch eine Seereise nichts weiß) dadurch noch mehr er¬

schüttert werden als es durch Lammens u. a. geschehen ist.]

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Zur Frage einer ägyptisclien Literaturgescliiehte

Von Alfred Hermann.

Während die Wissenschaften, die sich mit den Kultur-

gegeuständen etwa der europäischen Länder beschäftigen, die

Erforschung von dereu Literaturen von vornherein und als

SpezialWissenschaften betrieben haben, konnte sich die Ägypto¬

logie bisher nicht speziell literarisch diesem besonderen Zweige

widmen; und dies aus gutem Grunde. Das erste Jahrhundert

der Wissenschaft war erfüllt von mühevoller Arbeit, die nach

der Entzifferung der Hieroglyphen der Erkenntnis des Baues

der ägyptischen Sprache, der Herstellung einwandfreier Texte,

deren sprachlicher Interpretation und Übersetzung, der Fest¬

stellung des ägyptischen Wortschatzes, wie zugleich auch

archäologischen Forschungen galt. In letzter Zeit scheint sich

eine Weiterentwicklung anzubahnen. Die nach Vorantritt von

G. Maspehos Contes populaires in weiteren Kreisen freudig

aufgenommene A. EnMANSche „Literatur der Ägypter", die von

G. Roeder herausgebrachten: „Ägyptischen Märchen", weiter

A. DE Bucks kürzlich ins Holländische übersetzten „Egyptische

Verbalen", schließlich der von M. Pieper unternommene Versuch

einer ersten Darstellung der gesamten ägyptischen Literatur'):

diese Erscheinungen können als Symptom dafür betrachtet

werdeii, daß man die Zeit für eine nähere Beschäftigung mit

der ägyptischen Literatur in- und außerhalb der zuständigen

Fachwissenschaft für gekommen hält. Die Frage der Mög¬

lichkeit einer ägyptischen Literaturgeschichte überhaupt, von

K. Sethe (A. 0. 23, 1, S. 25) bezweifelt, wird im besonderen von

1) M. PiEPEii, Die Literatur der Ägypter, Handbuch der Litcratui -

wisseuschal't, Berlin-Potsdam 1927, herausgegeben von O. Wai.zel. B-.'-

sprechung von II. 0. Lange in DLZ. 1928 Sp. 274ff.