Der letzte Luxus: die Musik

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Der letzte Luxus: die Musik Eine Festschrift zum 20-jährigen Bestehen der Konzertgesellschaft München von Axel Brüggemann Es besteht ein Vorurteil über die klassische Musik, das einfach nicht totzukriegen ist. Es handelt sich um das Vorurteil, dass Bach, Beethoven und Brahms Luxus seien, ja, dass klassische Konzer- te etwas besonderes, etwas außerordentliches sind. Veranstaltungen, zu denen sich nicht die All- gemeinheit, sondern eine auserwählte Gruppe von Menschen trifft. Und so provokant diese Be- hauptung sein mag, dieses Vorurteil besteht nicht ganz zu Unrecht. Doch da wäre zunächst einmal zu fragen, was Luxus heute überhaupt bedeutet, was eigentlich noch besonders ist in einer Gegenwart, in der nicht nur die Werbeslogans versprechen, dass nichts unmöglich sei, in der weitgehend jede Befriedigung überall zu haben ist – real oder virtuell. Luxus leitet sich vom Lateinischen her und bedeutet so viel wie „üppige Fruchtbarkeit“ – und das ist ja erst einmal nicht schlecht. Gemeint sind allerdings: „Phänomene, die für einen großen Teil der Menschen erstrebenswert, aber nicht erreichbar sind, weshalb ihr Tauschwert oft erheblich ist.“ Luxus ist also eine Sache, die man sich wünscht, deren Erreichen allerdings eine große An- strengung voraussetzt. Einen „Tauschwert“, der nicht allein materiell, sondern auch ideologisch sein kann. Bei genauer Betrachtung ist der materielle „Tauschwert“ für klassische Musik mit Nichten hoch: ein Konzert-Billet ist unerheblich teurer als eine Kinokarte, sogar günstiger als die Leasingrate für ein neues Auto oder der Vertrag für ein Mobiltelefon. Und klassische Musik ist besonders in Deutschland, selbst in den föderalen Provinzen, für jedermann erreichbar: Konzerthäuser, Phil- harmonien und selbst Operhäuser sind jedem zu moderaten Preisen zugänglich. Worin also besteht der eigentliche Luxus der klassischen Musik. Was ist der wirkliche Tauschwert, den wir ihr entge- genbringen müssen? Der größte Luxus, den wir uns heute leisten können, in einer Gegenwart, die vom persönlichen Terminkalender, vom „Filofax“ oder von „Outlook-Express“ bestimmt wird, in denen wir die Ta- ge, unsere Treffen, Besprechungen und unsere Freizeit streng einteilen und organisieren, ist der Luxus der Zeit. Musik wird gemeinhin als „gestaltete Zeit“ definiert. Ihr zuzuhören ist Luxus in mehrfacher Form: Es sind nicht die Kosten der Konzertkarten, die heute ins Gewicht fallen, vielmehr ist es die Zeit, die aufgebracht werden muss, um eben dieses Konzert zu besuchen. Der „Tauschwert“ des Kon- zertes liegt heute nicht in seinem Preis, sondern in den drei Stunden, die sich der Konzertbesucher entschließt, mit anderen Menschen in einem Saal zu sitzen, das Mobiltelefon auszuschalten, die Welt sich selbst zu überlassen und im Angesicht der Musik ganz bei sich zu sein. In der Musik wird die Zeit durch Rhythmen gefüllt, durch eine Abfolge von Tönen und Harmo- nien, durch Geschichten, die meist ohne Text auskommen und oft alles andere als konkret sind. Konzerte sind Architekturen der Zeit, deren eigentlicher Sinn eine Ästhetik ist und immer auch die Bewusstwerdung der Zeit. Oder andersherum: die für das Vergessen der Zeit sorgt. Ein Konzert- besucher weiß, jedenfalls wenn ihm die Regeln des Konzertes und der Respekt gegenüber den

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Der letzte Luxus: die Musik Eine Festschrift zum 20-jährigen Bestehen der Konzertgesellschaft München von Axel Brüggemann Es besteht ein Vorurteil über die klassische Musik, das einfach nicht totzukriegen ist. Es handelt sich um das Vorurteil, dass Bach, Beethoven und Brahms Luxus seien, ja, dass klassische Konzer-te etwas besonderes, etwas außerordentliches sind. Veranstaltungen, zu denen sich nicht die All-gemeinheit, sondern eine auserwählte Gruppe von Menschen trifft. Und so provokant diese Be-hauptung sein mag, dieses Vorurteil besteht nicht ganz zu Unrecht. Doch da wäre zunächst einmal zu fragen, was Luxus heute überhaupt bedeutet, was eigentlich noch besonders ist in einer Gegenwart, in der nicht nur die Werbeslogans versprechen, dass nichts unmöglich sei, in der weitgehend jede Befriedigung überall zu haben ist – real oder virtuell. Luxus leitet sich vom Lateinischen her und bedeutet so viel wie „üppige Fruchtbarkeit“ – und das ist ja erst einmal nicht schlecht. Gemeint sind allerdings: „Phänomene, die für einen großen Teil der Menschen erstrebenswert, aber nicht erreichbar sind, weshalb ihr Tauschwert oft erheblich ist.“ Luxus ist also eine Sache, die man sich wünscht, deren Erreichen allerdings eine große An-strengung voraussetzt. Einen „Tauschwert“, der nicht allein materiell, sondern auch ideologisch sein kann. Bei genauer Betrachtung ist der materielle „Tauschwert“ für klassische Musik mit Nichten hoch: ein Konzert-Billet ist unerheblich teurer als eine Kinokarte, sogar günstiger als die Leasingrate für ein neues Auto oder der Vertrag für ein Mobiltelefon. Und klassische Musik ist besonders in Deutschland, selbst in den föderalen Provinzen, für jedermann erreichbar: Konzerthäuser, Phil-harmonien und selbst Operhäuser sind jedem zu moderaten Preisen zugänglich. Worin also besteht der eigentliche Luxus der klassischen Musik. Was ist der wirkliche Tauschwert, den wir ihr entge-genbringen müssen? Der größte Luxus, den wir uns heute leisten können, in einer Gegenwart, die vom persönlichen Terminkalender, vom „Filofax“ oder von „Outlook-Express“ bestimmt wird, in denen wir die Ta-ge, unsere Treffen, Besprechungen und unsere Freizeit streng einteilen und organisieren, ist der Luxus der Zeit. Musik wird gemeinhin als „gestaltete Zeit“ definiert. Ihr zuzuhören ist Luxus in mehrfacher Form: Es sind nicht die Kosten der Konzertkarten, die heute ins Gewicht fallen, vielmehr ist es die Zeit, die aufgebracht werden muss, um eben dieses Konzert zu besuchen. Der „Tauschwert“ des Kon-zertes liegt heute nicht in seinem Preis, sondern in den drei Stunden, die sich der Konzertbesucher entschließt, mit anderen Menschen in einem Saal zu sitzen, das Mobiltelefon auszuschalten, die Welt sich selbst zu überlassen und im Angesicht der Musik ganz bei sich zu sein. In der Musik wird die Zeit durch Rhythmen gefüllt, durch eine Abfolge von Tönen und Harmo-nien, durch Geschichten, die meist ohne Text auskommen und oft alles andere als konkret sind. Konzerte sind Architekturen der Zeit, deren eigentlicher Sinn eine Ästhetik ist und immer auch die Bewusstwerdung der Zeit. Oder andersherum: die für das Vergessen der Zeit sorgt. Ein Konzert-besucher weiß, jedenfalls wenn ihm die Regeln des Konzertes und der Respekt gegenüber den

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Künstlern nicht vollends fremd sind, dass er während der Aufführung nicht mit seinem Chef tele-fonieren sollte, dass er das Gespräch mit seiner Gattin oder seinen Freunden für zwei oder drei Stunden einzustellen hat, dass er ganz bei sich und in der Musik zu sein hat. Dass die Zeit für ihn stehen bleibt, während sie im Rest der Welt unbeirrt weitertickt. Der Philosoph Walter Benjamin hat sich einmal über die Authentizität der bildenden Kunst Ge-danken gemacht und versucht, den Unterschied zwischen einem echten Gemälde und seiner tech-nischen Reproduktion (etwa einer Fotografie) zu erklären. Sein größter Maßstab war neben der Aura, die das Original ausstrahlt, die Möglichkeit der Sammlung des Betrachters. Der Begriff der Aura lässt sich leicht auf die Musik übertragen. Sie markiert den Unterschied zwischen einem Live-Konzert und einer CD. Im Konzert geht es nicht um die Dokumentation der Perfektion, son-dern um die Authentizität des Augenblickes, um den Moment, in dem eine uralte Partitur mit Mu-sikern aus dem Heute zu neuem Leben erweckt wird. Einen einmaligen Augenblick lang, von dem nichts anderes als eine kostbare Erinnerung zurückbleibt. Sammlung bedeutet für Benjamin, dass der Betrachter seine Gedanken sammelt, ganz bei sich ist, während er der Kunst gegenübersteht. Das Gegenteil der Sammlung beschreibt er mit dem Begriff der Zerstreuung – sie ist letztlich nur eine bequeme Ablenkung vom Wesentlichen. Konzerte sind Orte der bedingungslosen Sammlung. Die Zeit eines Konzertes lässt dem Besu-cher keine andere Wahl, als im Angesicht der Musik bei sich selbst zu sein, die Zeit zu nutzen, sich zu sammeln und den Kontext, in dem er in der Welt steht. In einer Welt, deren Zeit im Kon-zert für eben diese Sammlung stehen bleibt. Wenn wir den wahren Luxus der klassischen Musik und des Konzertes als Zeit betrachten, wäre es nun also genauer, zu sagen, dass das Konzert eine Entscheidung dafür ist, sich Zeit zur Sammlung zu nehmen und es allen Angeboten der Zerstreu-ung, dem Fernsehen, dem Videospiel, dem Shopping oder dem Kaffeekränzchen vorzuziehen. Nun werden Sie sich wahrscheinlich längst gefragt haben, was diese lange Vorrede eigentlich soll, was sie mit einer Festschrift zum 20-jährigen Bestehen der Konzertgesellschaft München zu tun hat. Diese Frage stellt sich zu Recht, denn alle Thesen, die Sie bislang gelesen haben, haben einen großen Haken. Und dieser Haken liegt im Wert, der dem Luxus des klassischen Konzertes in un-serer Zeit gegenübergebracht wird. Tatsächlich ist es heute so, dass sich eine Grundauffassung gegenüber der klassischen Musik und der Kunst im Allgemeinen zu verändern scheint. Und diese Veränderung hat etwas mit dem Beg-riff des Luxus zu tun. Nicht mit dem Luxus, wie er in den letzten Zeilen definiert wurde, als Luxus der Zeit, sondern mit dem Luxus, wie er gemeinhin betrachtet wird: mit dem Luxus des Über-flusses. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich der Staat, die Politik, die Städte, Gemeinden und Kommunen im allgemeinen Sparzwang immer weiter aus der Förderung der Kunst und der klassi-schen Musik im Besonderen zurückziehen. Für sie scheint der Luxus des Konzertes nicht länger positiv besetzt zu sein, sondern tatsächlich einen Überfluss darzustellen, den man durch finanziel-le Beschneidungen weiter eingrenzen kann. Für eine Politik, die mit maroden Haushalten kämpft, ist das Geld zum Tauschwert für Musik geworden, nicht ihr emotionales und zeitaufwendiges En-gagement. Am 15. Juli 1987 wurde ein Festkonzert im Kirchensaal des Bayerischen Nationalmuseums gege-ben. Das war der Anfang der Konzertgesellschaft München. Helmut Pauli und Johann Georg Prinz von Hohenzollern hatten längst den wahren Luxus der Musik begriffen: die Zeit, die Aura und die Sammlung. Sie erkannten den Wert der Musik, vertrauten darauf, dass Konzerte, Wettbewerbe und Nachwuchsförderung kein Überfluss sind, sondern aktive Posten innerhalb ei-nes Gemeinwesens. Sie wollten den Standort München durch Kulturprojekte stärken und hochbe-gabte Musiker fördern. Dafür bekamen sie zwar keine Staatlichen Förderungen, wohl aber das Siegel der Gemeinnützigkeit. Die Gründer der Konzertgesellschaft München waren ihrer Zeit weit voraus. 1987 florierte die öffentlich subventionierte Kultur noch immer. Eine Rückbesinnung auf bürgerliches Engagement

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schien eher suspekt und elitär als zukunftsorientiert und wegweisend. Kein Wunder, denn noch galt die Klassik nicht als finanzieller, sondern als intellektueller Luxus, den man sich leistete. Sie war ein Allgemeingut, dessen Förderung sich der Staat bedingungslos angenommen hatte. Tatsächlich war die Konzertgesellschaft München in ihrer Auffassung, dass Bürger die Belange der Musik selbst in die Hand nehmen können, nicht nur visionär sondern führte gleichsam eine gute alte Tradition der Klassik fort, die im 19. Jahrhundert, der Blütezeit der klassischen Musik, erfunden wurde: die Unterstützung der Musik und der Künstler durch das Bürgertum. Im 17. Jahrhundert wurden Konzerte noch selbstverständlich von den Kirchen ausgerichtet – jede Messe war eine Veranstaltung mit großem Chor, extra arrangierten Oratorien und selbstverständli-chen Uraufführungen. In diesem Kontext war die Musik, wie der Dirigent Nikolaus Harnoncourt es sagt, jedem öffentlich und kostenlos zugänglich. Neben den Kirchen waren es die Könige und Fürstenhöfe, die ihre musikalischen Veranstaltungen zu wahrlichen Abenden des Luxus verwan-delten – aber eben auch immer zu Veranstaltungen der Sammlung. Musik galt selbst unter Monar-chen als Medium der Besinnung, der Bewusstwerdung und der öffentlichen Repräsentation der Menschlichkeit. Bis heute gibt es viele Kritiker des bürgerlichen Engagements in der klassischen Musik. Das Bür-gertum habe die Musik vereinnahmt, Konzerte durch hohe (da unsubventionierte) Billetpreise un-erschwinglich gemacht, es habe sich in die Erziehung der Musiker eingemischt, Konservatorien gegründet und einen musikalischen Kanon entworfen. Ein Argument, das sicherlich richtig ist, das aber durch die Arbeiten bekannter, von Bürgern geförderter Künstler, unbedingt differenziert wer-den muss: Was wären Schubert und Schumann, Liszt, Chopin und Brahms ohne die Unterstützung des privat engagierten Bürgertums? Mehr noch: Bürgerliches Engagement hat zwar einen ästhetischen Kanon geschaffen, aber es hat die Aufgabe der Musik auch grundlegend verändert. Sie diente plötzlich nicht mehr allein der kö-niglichen Repräsentation oder der christlichen Botschaft, sondern kümmerte sich nun auch um das Alltägliche, um die Sorgen und Nöte, die Gefühle der Menschen. Um es kurz zu sagen: die Klas-sik wurde weltlich. Die Konzertgesellschaft München ist sich dieser historischen Größe des privaten Engagements durchaus bewusst. Sie bietet nicht nur Konzerte an, sondern hat die Förderung der Musik von An-fang an ganzheitlich gesehen. Die Konzertvereinigung hat in den letzten 20 Jahren nicht nur erst-klassige Konzerte mit den besten Künstlern angeboten und so ein gesellschaftliches Forum etab-liert, sondern ganz bewusst, aus Überzeugung und Begeisterung für die klassische Musik gewor-ben. Gute Werbung braucht glaubhafte Menschen. Und vielleicht ist es ein Problem des aktuellen Kon-zertbetriebes, dass es ihm an Vermittlern fehlt, an begeisterten Menschen, an Kommunikatoren. Mit August Everding hatte die Konzertgesellschaft München einen solchen Menschen auf ihrer Seite. Everding überzeugte durch Fachwissen und die gleichzeitige Fähigkeit, es ohne Dünkel, ohne Kompliziertheit zu vermitteln. Eine Figur wie er hat die Konzerte der Gesellschaft der Stadt und dem Publikum geöffnet. Einer wie er wusste, dass er einen Luxus lebt, einen Luxus, der aber nicht durch den Gegenwert des Geldes (das beschaffte er en passant), sondern allein durch den Gegenwert des Engagements aufzuwiegen ist. Kaum ein anderer hat sich so sehr für die klassische Musik und das Konzert engagiert wie Everding. Überhaupt ist die Begeisterung eine Grundkonstante, die klassische Musik am Leben zu halten. Musik braucht Idole, und sie braucht Nachwuchs. Das eine ist nur durch das andere zu haben. Nehmen wir ein Beispiel aus einem ganz anderen Kontext: Nachdem Boris Becker das Tennistur-nier von Wimbledon gewonnen hatte, sind Tausende deutscher Kinder in Tennisvereine eingetre-ten. Ein Moderator wie August Everding, der in jedem Fernsehsender die Trommel für die Musik gerührt hat, schaffte es, Klassik, Konzert und Oper selbst in Unterhaltungssendungen hoffähig zu machen. Er hat Generationen von Eltern und Kindern begeistert – und auf den Weg gebracht, ein Instrument zu lernen oder zumindest ein Konzert zu besuchen. Die Konzertgesellschaft München war sich von Beginn an dieser Mechanismen bewusst. Nicht

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ohne Grund haben ihre Gründer, Helmut Pauli und Johann Georg Prinz von Hohenzollern, parallel zu den Konzerten auch die Förderung begabter Musiker vorangetrieben. Und dafür haben sie Vor-bilder gesucht. August Everding war eines, und seit diesem Jahr ist einer der Wettbewerbe der Konzertgesellschaft München dem leider viel zu früh verstorbenen Dirigenten Marcello Viotti gewidmet. Wir haben bereits über den eigentlichen Luxus der klassischen Musik gesprochen: über die Zeit. Sie wird nicht allein vom Publikum erwartet. Sicherlich wird der Genuss des Konzertes erst durch die Auseinandersetzung mit der Musik, den Künstlern und Komponisten gesteigert. Auf der ande-ren Seite wird gute Musik aber auch erst durch die Investition von Zeit möglich. Zeit und Fleiß der Künstler, ein Konzert möglichst ideenreich, virtuos und aussagekräftig über die Bühne zu bringen. Die Produktion tiefster Gefühle (und was anderes ist Musik als das?) setzt ein Höchstmaß an Ar-beit voraus. Auch in ihrer Förderung der hochbegabten Künstler war die Konzertgesellschaft München ein Vorreiter in einer Zeit, als Hochbegabung noch als elitär abgetan wurde. Heute ist es längst selbst-verständlich geworden, dass Politik und Wirtschaft davon reden, die besten Leute in ihrem Fach zu halten und einzustellen, dass sie Angst haben, dass begabte Techniker, Mathematiker, Wissen-schaftler und Forscher dem Standort Deutschland abhanden kommen. Die Konzertgesellschaft München hat schon vor 20 Jahren damit begonnen, die musikalische Elite in ihr Konzert-Konzept aufzunehmen. Ein weit reichender Gedanke nicht nur, weil dadurch viele neue Vorbilder eine Chance bekommen haben, sich vorzustellen und gefördert zu werden, sondern weil das Publikum in den letzten 20 Jahren immer wieder Gelegenheit hatte, bei der Geburt eines neuen Klassik-Stars dabei zu sein. Wo stehen die klassische Musik und der Konzertbetrieb heute? Sicherlich ganz wo anders als vor 20 Jahren. Aber was genau hat sich eigentlich geändert? Eine einschneidende strukturelle Wand-lung haben wir bereits angeschnitten: Die Politik zieht sich immer weiter aus der öffentlichen För-derung der Musik zurück. Diese Sparmaßnahmen kann man kritisieren, ja, sogar anklagen. Aber das hilft der Musik nicht weiter. Die Konzertgesellschaft München hat sich das Lamentieren nie zu Eigen gemacht. Sie hat es immer vorgezogen, zu handeln. Übrigens ist sie damit zum Glück nicht mehr die einzige Institution, andere sind ihrem Beispiel gefolgt. Dem Geist des Vereines liegt die Überzeugung zu Grunde, dass Musik eine feste Konstante innerhalb der Gesellschaft ist – und dass sie nicht von der Gutwilligkeit der Politik allein überleben kann, sondern an sich selbst die Kraft hat, gesellschaftliche Gruppen zu bündeln. Die Konzerte der Konzertgesellschaft München werden nicht öffentlich, sondern privat geför-dert. Und in diesem Konzept liegt eine der größten Chancen der klassischen Musik in der Zu-kunft. Während die Politik die Klassik zunehmend als Luxus, der durch Geldzuwendungen finan-ziert wird, vernachlässigt, haben Bürger und Firmen einen anderen Luxus der klassischen Musik erkannt. Es ist der Luxus der Zeit, aber auch der Luxus einer offenen Form der Kommunikation. Auch dieses ist eine Konstante, die sich in den letzten 20 Jahren grundlegend geändert hat. Wäh-rend „sponsoring“ vor Jahren noch einen schalen Beigeschmack hatte, ist es heute zu einer großen Triebfeder der Kultur geworden, und es lohnt sich, einen Augenblick darüber nachzudenken, wa-rum das so ist. Warum also fördert eine große Bank, ein Automobilhersteller oder eine Klein-dungsfirma ausgerechnet ein klassisches Konzert oder die Ausbildung des musikalischen Nach-wuchses? Eine Antwort wurde bereits im Zusammenhang mit der Hochbegabtenförderung, dem Engage-ment und der Qualität der Sammlung gegeben. Wirtschaft und Kultur sind sich in ihren Ansprü-chen gar nicht so fern wie es scheint: ihnen geht es um Qualität. Jedes gute Produkt versteht sich außerdem auch als Kunst und wird nach den gleichen Kriterien gestaltet wie ein Konzert: es wird geübt, probiert, es soll gefallen und anregen. Viel wesentlicher aber scheint ein anderer Aspekt zu sein, und der führt uns zurück zum Gedanken des Luxus. Wir haben bereits festgestellt, dass der Staat die Kultur nicht aus Lust und Laune, wohl aber aus Sparzwängen zusammenschrumpft – der Tauschwert für das Konzert ist für ihn das Geld.

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Im Sponsoring verhält sich das genau andersherum. Wer Kultur fördert, fördert den letzten, den sinnlichen Luxus, den wir haben: die Schönheit und die Zeit. Gutes Kultursponsoring hü-tet sich, Einfluss auf die Kunst zu nehmen. Es hat begriffen, dass der eigentliche Wert der Kunst in ihrer Kreativität liegt, in ihrer individuellen Gestaltung der Zeit, in ihrer Experimentierfreude und Sinnlichkeit. Die Kultur zu bestimmen, in eine Richtung zu leiten, würde ihr jeglichen Wert nehmen. Bürgerliche Kulturförderung und die Förderung der Kultur durch Firmen basiert auf verschiede-nen Grundsätzen, und die gleichen erstaunlicher Weise denen des Publikums. Wer Kunst fördert, will gefordert werden, so wie jeder gute Konzertbesucher auch. Man will Sammlung, keine Zer-streuung, die ist anderenorts billiger und effektiver zu haben. Das Aufeinandertreffen von Wirt-schaft und Musik lehrt die Wirtschaft, jenseits der eingefahrenen Bahnen zu denken, es öffnet Ho-rizonte und basiert auf der Ernsthaftigkeit und der Investition von Zeit. Firmen leisten sich den Luxus der Musik, und sie wissen längst, dass sie diesen Luxus nicht allein durch ihr finanzielles Engagement bekommen können. Was das Kultursponsoring so attraktiv macht, ist, dass es die eigene Kreativität und die eigene Zeit fordert. Und darin unterscheidet sich die private von der öffentlichen Förderung. Ein einmaliges Engagement, sagen wir eines Nach-wuchswettbewerbs, ist kaum fruchtbar. Wer aber über Jahre in diesen Wettbewerb investiert, für eine erstklassige Jury sorgt, mit seinem Geld den Austausch von Vorbildern und Nachwuchs för-dert, ist Teil einer unglaublichen Entwicklung – der Lohn der Investition in Kultur ist langfristig, dafür aber um so befriedigender. Wer sagt nicht gern von sich, dass er bei der Geburt eines neuen Klassik-Stars geholfen hat? Und noch einen positiven Aspekt hat das moderate Kultursponsoring, wie es die Konzertgesell-schaft München betreibt: Sponsoren haben ein Interesse an der Verbreitung ihres Engagements und damit an der Verbreitung der Musik an sich. Konzerte, die von Firmen mitfinanziert werden, sind günstiger als andere und stehen dadurch einem breiteren Publikumskreis offen, sie finden neue Werbemaßnahmen und öffnen sich einem Publikum, das zwar der Firma, nicht aber unbe-dingt der Musik nahe steht. Auch das kann dem Konzertwesen nur entgegenkommen. Es ist inzwischen nicht selten, dass große Unternehmen Kultur mit dem Argument fördern, dass auch am Anfang der Konzertgesellschaft München stand: sie wollen den eigenen Standort attrak-tiv machen, weil sie wissen, dass gute Fachkräfte nicht allein durch ein anständiges Salär zu haben sind, sondern auch Wert auf das Umfeld ihrer Arbeit legen – und da gehören Konzerte zur Grund-ausstattung einer attraktiven Stadt. Der Wichtigste Aspekt, wenn sich Kultur und Kapital treffen, ist aber ein anderer. Es geht um die Musik als Form der Kommunikation. Konzerte sind inspirierend, stellen Fragen an unser Leben, an unser Selbstverständnis als Menschen. Auch dieser Austausch über das Gehörte fällt unter den Faktor der Sammlung und des Luxus’ der Zeit. Man kann Bankette und Umtrünke nach den Kon-zerten als gesellschaftliche Events an die Seite schieben. In Wirklichkeit bedienen aber auch sie eine uralte Tradition des Konzertwesens, sind Foren, um sich über die Inspiration der Musik aus-zutauschen. Sie sind so etwas wie die modernen Salons, in denen die Klassik seit jeher zu Hause war. Die Konzertgesellschaft München versteht sich seit ihrer Gründung als Ort des Austausches, will nicht „nur“ Konzerte anbieten, sondern sie in einen gesellschaftlichen Kontext stellen. Dazu ge-hört nicht nur die Verankerung vor Ort, also die direkte Förderung des Standortes, sondern auch die Aktivierung des Netzwerkes der Klassik. Und welche Kunst kommt den Anforderungen einer globalisierten Welt näher als die Musik, die ohne Sprache Menschen verbindet, die – allein schon durch die ausübenden Künstler – international ist. Für Musiker sind Grenzen allein realpolitische Landmarken, nie aber Barrieren. In diesem Kontext hat das Europäische Musikfest „EUROPA-MUSICALE“ der Konzertgesellschaft München, in der der europäische Gedanke selbstverständ-lich durch Musik belebt wird, mehr als nur Symbolcharakter. Zur Kommunikation gehören Gala-Empfänge ebenso wie Vorbereitungsgespräche oder eben der Schulterschluss mit der Wirtschaft. Vereine wie die Konzertgesellschaft München leben eine mu-

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sikalische Idee, die in den letzten Jahren fast vergessen schien. Die Idee, dass Musik mitten in der Welt steht, über die sie spricht, die sie zum Anlass ihrer Kompositionen und ihrer Interpretationen hat. Veranstalter, Publikum und Förderer stehen letztlich alle auf der gleichen Seite. Sie sind ge-meinsam der leidenschaftlichen Überzeugung, dass Musik ein Luxus ist, den wir uns nicht nur leisten sollten, sondern ohne den unser Leben arm wäre. Sie verstehen das Wort Luxus in seiner ursprünglichen Bedeutung, sie arbeiten an der „üppigen Fruchtbarkeit“ der klassischen Musik. Axel Brüggemann lebt als Musikjournalist in Berlin. Er schreibt unter anderen für die „Frankfur-ter Allgemeine Sonntagszeitung“, den „Stern“ und die „BBC“. Außerdem ist er Chefredakteur der Klassik-Zeitschrift „crescendo“. Von ihm ist das Buch „Wagners Welt. Oder wie Deutschland zur Oper wurde“ (Bärenreiter) erschienen. Außerdem ist er für Konzept und Umsetzung der Kin-derklassik-Serie „Der kleine Hörsaal“ (Deutsche Grammophon) verantwortlich.