Der Mann im «Seilkoffer»

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  • 7/28/2019 Der Mann im Seilkoffer

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    OKTOBER 2007 KNIZER ZEITUNGDER SENSETALERBEGEGNUNG

    RIGGISBERG Seit vie-len Jahren ist Ernst Sinzig

    unterwegs. Mit seinem

    Seilkoffer ist der Hobby-

    Seiler eine Attraktion auf

    jedem Mrit.

    Ernst Sinzig ist an diesem sch-

    nen Herbsttag schon lange auf

    den Beinen. Frh morgens hat

    er seinen alten Traktor gestartet

    und ist in Richtung Wattenwil

    getuckert. Seit sechs Uhr sitzt er

    in seinem Seilkoffer und drehtunter den neugierigen Blicken

    der Mrit-Besucher Seile.

    Die Seilerei ist in Sinzigs Fami-

    lie Tradition. Mein Vater hat

    das Hobby von seinem Stiefvater

    bernommen, erzhlt er. Wie

    viele Generationen schon Seile

    hergestellt haben, weiss er nicht.

    Aber es werden wohl einige ge-

    wesen sein. Sein Gesicht strahlt

    in der warmen Morgensonne.

    Die Stricke reissen nicht mehr

    Der Beruf des Seilers ist in der

    Schweiz selten geworden. Nur

    noch alle paar Jahre wird ein

    Lehrling ausgebildet. Die meis-

    ten Seile werden heute indus-

    triell gefertigt. Hauptberuflich

    ist Sinzig freischaffender Last-

    wagenchauffeur. Die Seilerei

    ist mein Hobby, erzhlt er.

    Der Mann im SeilkofferErnst Sinzig reist mit seinen Seilen von Mrit zu Mrit

    sen die Stricke und es mussten

    neue angeschafft werden. Das

    Material sei mit der Zeit ro-

    buster geworden. Die Seile aus

    Hanf und Poliprop, welche er

    heute herstellt, halten zehn bis

    zwanzig Jahre lang. Ein Eigen-

    goal, meint Sinzig mit einem

    Lcheln.

    rit-Tag verkauft Sinzig zwischen

    100 und 200 Seile. Vor allem

    an Bauern, die sie als Berg-

    Huslig oder Halfter fr ihre

    Tiere verwenden. In den letzten

    Jahren sind Ernst Sinzigs Ge-

    schfte rcklufig: Die neuen

    Tierschutzvorschriften verbieten

    das Anleinen von Jungtieren.

    Der Landwirtschaftssektor wird

    immer kleiner, Laufstlle sind im

    Trend. Diese Tatsachen wirken

    sich natrlich negativ auf den

    Verkauf aus, so Sinzig.

    Stammkunden von nah und fern

    Seine Kunden hlt der Seiler mit-

    tels besonderen Dienstleistungen

    bei der Stange: Anders als die

    Industrie, kann ich die Stricke

    den Kundenwnschen anpas-

    sen. Sinzigs Stammkunden

    nehmen deshalb manchmal einen

    weiten Weg in Kauf. Es kommen

    Bauern aus dem Diemtigtal und

    aus den Freiburger Alpen. In derRegion ist Sinzig der einzige,

    der auf dem Mrit Seile anbietet.

    Auf alle Flle ist mir kein Kon-

    kurrent bekannt, schmunzelt er.

    Wer eins will, bekommt es auch

    Fnfmal im Jahr fhrt Ernst Sin-

    zig mit seiner Seilkiste zum

    Markt. Wer ein Seil braucht,

    muss aber nicht auf den nchs-

    ten Mrit warten. Wer eins will,

    bekommt es auch, so Sinzig. Al-

    lerdings ist er auf seinem kleinen

    Bauernhof, den er ebenfalls als

    Hobby betreibt, nicht regelms-

    sig anzutreffen. Bestellte Ware

    hnge ich aber gerne vor die Tr,

    damit sie abgeholt werden kann,

    erklrt Sinzig.

    Den nchsten Mrit den Ernst

    Sinzig mit seinem Seilkoffer

    ansteuert, findet am 26. Oktober

    in Riggisberg statt. Auch dann

    werden wieder viele Mrit-Besu-

    cher vor Sinzigs Koffer verweilen

    und ihm beim Seilern zuschauen.

    Ernst Sinzig geniesst die Auf-

    merksamkeit, die er erhlt. Auch

    das ist Lohn fr meine Arbeit,

    lacht er. Wenn ich arbeite, binich nie allein. Gerne nutzt er die

    Gelegenheit, um mit den Leuten

    ber Gott und die Welt zu plau-

    dern. Barbara Imboden

    Vor vierzig Jahren wurden die

    Seile noch aus Hanf oder Sisal

    hergestellt, erinnert sich Ernst

    Sinzig. Nach zwei Jahren ris-

    Rcklufiges Geschft

    Fr die Herstellung eines 2-Me-

    ter-Seils bentigt Sinzig gerade

    mal drei Minuten. An einem M-

    Sinzigs Seile bestehen aus Hanf und Poliprop. | bi

    Ernst Sinzig geniesst die Aufmerksamkeit, die ihm die Mritbesucher entgegenbringen. | bi

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