Der Metallerstreik 1956/57 in Karikaturen · Wie in vielen anderen Kari-katuren wird der...

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Der Streik der schleswig-holsteinischen Metallarbeiter 1956/57. 1 Mitten im „Wirtschaftswunder“ er- lebte Schleswig-Holstein einen bundesweit einmaligen Arbeitskampf. Zwischen Oktober 1956 und Februar 1957 streikten Beschäftigte in der Metallindustrie des Landes – 114 Tage lang. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Frage nach der „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“. Es ging im Kern also um einen weiteren Schritt hin zur Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, die bereits seit Jahrzehnten auch bei Krankheit ihr Gehalt – befristet – weiter bezahlt bekamen. Weitere Hauptforderungen bestanden in der Zahlung eines zusätzlichen Ur- laubsgeldes sowie einer Verlängerung des Urlaubs. Erstmalig ging es bei einem großen Arbeitskampf nicht um die Höhe der Löhne, sondern um die tarifvertraglich festgeschriebenen Arbeitsbedingungen. Die Arbeitgeberseite unterschätzte zunächst die prinzipielle Bedeutung, welche die „Lohnfortzahlung“ für die Gewerkschaftsvertreter und die Arbeitnehmer besaß. Konjunktur und eine hervorragende Auftragslage der auf Jahre ausgelasteten Werften, auf denen 25 000 der insgesamt 65 000 Metallarbeiter Schleswig-Holsteins arbeiteten, sowie gut gefüllte Streikkassen er- mutigten zur lokal begrenzten Auseinandersetzung in dieser Region. Im September 1956 erklärten die Gewerkschaften das Angebot der Arbeitgeber in der laufenden Tarifrunde für unzureichend und organisierten für den 11. und 12. Oktober 1956 eine Urabstimmung, bei der sich 88 Prozent der teilnehmenden Gewerkschaftsmitglieder dem Streikaufruf anschlossen. Am 24. Oktober begann der Streik in 15 Betrieben mit insgesamt rund 20 000 Beschäftigten. Die Metall- gewerkschaft verfolgte die neue Streiktaktik der „flexiblen Eskalati- on“, bei der zunächst nur ein Teil der Metall verarbeitenden Betriebe im Tarifgebiet Schleswig-Holstein bestreikt werden sollte. Um die Streikfront möglichst geschlossen zu gestalten und die Zahl der „Streikbrecher“ möglichst niedrig zu halten, konzentrierten sich die Streiks zunächst vor allem auf Betriebe der Schlüsselindustrie Schiffbau, die in Schleswig-Holstein auch eine große symbolische Bedeutung besaß und in der der gewerkschaftliche Organisations- grad besonders hoch lag. Bis Januar 1957 wuchs die Zahl der be- streikten Betriebe auf 38 und die Zahl der streikenden Arbeiter auf rund 34 000. Eine wichtige Ausnahme bildete die Ahlmann Carls- hütte in Büdelsdorf/Rendsburg, wo weniger als die Hälfte der Ar- beitnehmer gewerkschaftlich organisiert war und Unternehmerin Käte Ahlmann mit Druck, aber auch durch Appelle an das Betriebs- zugehörigkeitsgefühl, das auf der „Hütte“ in Büdelsdorf besonders stark wirkte, einen Streik abwendete. Die Stimmung der Streikenden war gut, nicht zuletzt dank einer geschickt organisierten ‘Streikkultur’. Die zentrale Streikleitung der IG Metall koordinierte von Kiel aus die Aktionen der Gewerkschaft, die von Anfang an nicht nur in Schleswig-Holstein große Aufmerk- samkeit erregten. Dazu gehörte beispielsweise ein eigenes ‘Kul- 1 Vgl. zum Metallerstreik in Schleswig- Holstein: Danker, Uwe: Metallarbeiter- streik 1956/57, in: Ders.: Die Jahrhun- dert-Story, Band 1, Flensburg 1998, S. 88-107. Dittrich, Irene/Kalk, Wilfried: „Wir wollen nicht länger Menschen zweiter Klasse sein!“ Der Metallarbeiterstreik in Schleswig-Holstein 1956/57, in: Demo- kratische Geschichte 2 (1987), S. 351 - 394. Dokumentation. Streik der Metaller in Schleswig-Holstein 1956/57. Hrsg. vom Vorstand der IG Metall, Frankfurt 1978. Joho, Michael: Die Geschichte der Metallarbeiterbewegung und ihrer Gewerk- schaften in Flensburg, Flensburg/Hamburg 1992. Kalk, Winfried: Arbeiterbewegung in Rendsburg. Die Geschichte der IG Me- tall-Verwaltungsstelle bis 1986, Kiel 1987. Kalk, Winfried: 120 Jahre Metallar- beiterbewegung in Kiel. Die Geschichte der IG Metall-Verwaltungsstelle bis 1989, Kiel 1989. Stamp, Friedrich: Arbeiter in Bewe- gung. Die Geschichte der Metallgewerk- schaften in Schleswig-Holstein, Malente 1997. Streiknachrichten (Dokumentati- on), hrsg. vom Vorstand der IG Metall, Frankfurt 1976. Sebastian Lehmann, unter Mitarbeit von Astrid Schwabe: Der Metallerstreik 1956/57 in Karikaturen Sebastian Lehmann Der Metallerstreik 1956/57 in Karikaturen 171

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Der Streik der schleswig-holsteinischen Metallarbeiter1956/57.1 Mitten im „Wirtschaftswunder“ er-lebte Schleswig-Holstein einen bundesweiteinmaligen Arbeitskampf. Zwischen Oktober1956 und Februar 1957 streikten Beschäftigtein der Metallindustrie des Landes – 114 Tagelang. Im Zentrum der Auseinandersetzung

stand die Frage nach der „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“. Esging im Kern also um einen weiteren Schritt hin zur Gleichstellungvon Arbeitern und Angestellten, die bereits seit Jahrzehnten auch beiKrankheit ihr Gehalt – befristet – weiter bezahlt bekamen. WeitereHauptforderungen bestanden in der Zahlung eines zusätzlichen Ur-laubsgeldes sowie einer Verlängerung des Urlaubs.

Erstmalig ging es bei einem großen Arbeitskampf nicht um dieHöhe der Löhne, sondern um die tarifvertraglich festgeschriebenenArbeitsbedingungen. Die Arbeitgeberseite unterschätzte zunächstdie prinzipielle Bedeutung, welche die „Lohnfortzahlung“ für dieGewerkschaftsvertreter und die Arbeitnehmer besaß. Konjunkturund eine hervorragende Auftragslage der auf Jahre ausgelastetenWerften, auf denen 25 000 der insgesamt 65 000 MetallarbeiterSchleswig-Holsteins arbeiteten, sowie gut gefüllte Streikkassen er-mutigten zur lokal begrenzten Auseinandersetzung in dieser Region.

Im September 1956 erklärten die Gewerkschaften das Angebotder Arbeitgeber in der laufenden Tarifrunde für unzureichend undorganisierten für den 11. und 12. Oktober 1956 eine Urabstimmung,bei der sich 88 Prozent der teilnehmenden Gewerkschaftsmitgliederdem Streikaufruf anschlossen. Am 24. Oktober begann der Streik in15 Betrieben mit insgesamt rund 20 000 Beschäftigten. Die Metall-gewerkschaft verfolgte die neue Streiktaktik der „flexiblen Eskalati-on“, bei der zunächst nur ein Teil der Metall verarbeitenden Betriebeim Tarifgebiet Schleswig-Holstein bestreikt werden sollte. Um dieStreikfront möglichst geschlossen zu gestalten und die Zahl der„Streikbrecher“ möglichst niedrig zu halten, konzentrierten sich dieStreiks zunächst vor allem auf Betriebe der SchlüsselindustrieSchiffbau, die in Schleswig-Holstein auch eine große symbolischeBedeutung besaß und in der der gewerkschaftliche Organisations-grad besonders hoch lag. Bis Januar 1957 wuchs die Zahl der be-streikten Betriebe auf 38 und die Zahl der streikenden Arbeiter aufrund 34 000. Eine wichtige Ausnahme bildete die Ahlmann Carls-hütte in Büdelsdorf/Rendsburg, wo weniger als die Hälfte der Ar-beitnehmer gewerkschaftlich organisiert war und UnternehmerinKäte Ahlmann mit Druck, aber auch durch Appelle an das Betriebs-zugehörigkeitsgefühl, das auf der „Hütte“ in Büdelsdorf besondersstark wirkte, einen Streik abwendete.

Die Stimmung der Streikenden war gut, nicht zuletzt dank einergeschickt organisierten ‘Streikkultur’. Die zentrale Streikleitung derIG Metall koordinierte von Kiel aus die Aktionen der Gewerkschaft,die von Anfang an nicht nur in Schleswig-Holstein große Aufmerk-samkeit erregten. Dazu gehörte beispielsweise ein eigenes ‘Kul-

1 Vgl. zum Metallerstreik in Schleswig-Holstein: Danker, Uwe: Metallarbeiter-streik 1956/57, in: Ders.: Die Jahrhun-dert-Story, Band 1, Flensburg 1998,S. 88-107. Dittrich, Irene/Kalk, Wilfried:„Wir wollen nicht länger Menschen zweiterKlasse sein!“ Der Metallarbeiterstreik inSchleswig-Holstein 1956/57, in: Demo-kratische Geschichte 2 (1987), S. 351 -394. Dokumentation. Streik der Metallerin Schleswig-Holstein 1956/57. Hrsg.vom Vorstand der IG Metall, Frankfurt1978. Joho, Michael: Die Geschichte derMetallarbeiterbewegung und ihrer Gewerk-schaften in Flensburg, Flensburg/Hamburg1992. Kalk, Winfried: Arbeiterbewegungin Rendsburg. Die Geschichte der IG Me-tall-Verwaltungsstelle bis 1986, Kiel1987. Kalk, Winfried: 120 Jahre Metallar-beiterbewegung in Kiel. Die Geschichte derIG Metall-Verwaltungsstelle bis 1989, Kiel1989. Stamp, Friedrich: Arbeiter in Bewe-gung. Die Geschichte der Metallgewerk-schaften in Schleswig-Holstein, Malente1997. Streiknachrichten (Dokumentati-on), hrsg. vom Vorstand der IG Metall,Frankfurt 1976.

Sebastian Lehmann,unter Mitarbeit von Astrid Schwabe:Der Metallerstreik1956/57in Karikaturen

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turangebot’: Filmvorführungen für Streikende, eine „Streikrevue“,Kasperletheater und Modenschauen.

Mit zunehmender Dauer des Ausstands versuchte die Politik, Be-wegung in die festgefahrenen Positionen zu bringen. Der Landtagbeschäftigte sich mit dem Thema und der schleswig-holsteinischeMinisterpräsident Kai-Uwe von Hassel führte insgesamt sechs – er-folglose – Gespräche mit den Streikenden. Der Druck der Öffent-lichkeit zu einer Einigung zu kommen, stieg beständig, so dass dieTarifkonfliktparteien im Dezember 1956 die Schlichtungsstelle an-riefen. Deren Vorschlag erschien der Gewerkschaft jedoch nicht ak-zeptabel, so dass sie ihn ihren Mitgliedern am 7. Januar zur Urab-stimmung vorlegte. Das Ergebnis: 97 Prozent der streikenden Metal-ler stimmten gegen den Schlichtungsvorschlag und für eine Fort-führung des Streiks. In der Öffentlichkeit mehrten sich Stimmen, diesich dafür aussprachen, politisch in die Auseinandersetzung einzu-greifen und die Tarifparteien zu einer Einigung zu zwingen. Ein er-neuter Schlichtungsversuch, diesmal auf Einladung von Bundes-kanzler Konrad Adenauer, schien Mitte Januar den Durchbruch zubringen: Bei der Hauptforderung der Gewerkschaft, der Lohnfort-zahlung im Krankheitsfall, hatten die Arbeitgeber Teilzugeständnis-se gemacht.

Bei der nun folgenden dritten Urabstimmung erlebte die IG Me-tall am 30. Januar 1957 ein überraschendes Debakel. Trotz ihrerEmpfehlung zur Annahme sprachen sich 76 Prozent der Stimmbe-richtigten gegen die Einigung aus. Nach 14 langen Wochen Streikerschien dieses „Bonner Abkommen“ als zu dürftig. Erst nach einererneuten Nachbesserung kam in der 4. Urabstimmung am 9. Februardie notwendige 3/4-Mehrheit für eine Fortsetzung des Streiks nichtmehr zustande, auch wenn mehr als die Hälfte der Stimmberechtig-ten den Streik ablehnte und in Flensburg tumultartige Proteste gegendie Gewerkschaft ausbrachen.

Die erbitterte und längste Tarifauseinandersetzung der deutschenGeschichte endete am 15. Februar 1957. Sie lieferte den Durchbruchin der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, aber es blieb dabei: Ar-beiter und Angestellte wurden noch nicht vollständig gleichgestellt.

Die „Streiknachrichten“ der IG Metall und der Streik im Spiegel der Karikaturen.Von Anfang an wurde der Streik, der keineswegs über Nacht auf dieBeteiligten zukam, sondern sich lange abgezeichnet hatte, publizi-stisch und öffentlichkeitswirksam „begleitet“ – sowohl von Arbeit-geber- wie auch von Gewerkschaftsseite. Aus der Perspektive der or-ganisierten Arbeitnehmer dokumentierten die „Streiknachrichten“der IG Metall vom ersten Tag an den Verlauf des Ausstands. Nahezutäglich erschienen die „Streiknachrichten“ – insgesamt 80 Ausga-ben. Für die Redaktion waren vor allem die beiden SPD-PolitikerHeinz Ruhnau von der Bezirksleitung der IG Metall und Julius Bre-denbek von der IG Metall-Verwaltungsstelle Kiel verantwortlich.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bestehen die „Streiknach-richten“ aus zwei Doppelseiten, inhaltlich bieten sie eine anspre-

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chende und illustrierte Mischung aus Leitartikeln zu aktuellen Ent-wicklungen an der ‘Verhandlungsfront’, Reportagen vom Streikge-schehen an den verschiedenen Standorten, Solidaritätsadressen ausdem Rest der Bundesrepublik und aus dem Ausland, Terminhinwei-sen (beispielsweise zu Aufführungen der „Streikrevue“), Beiträgenzu historischen Streiks – und Unterhaltsames: So gibt es den zeit-gemäßen Comic-Strip „Hein Mück auf Streikposten“, Kurzge-schichten und vor allem täglich Karikaturen, die das Streikgesche-hen zugespitzt auf den Punkt bringen.

Die meisten dieser Karikaturen entstammen der Feder von PeterLeger (1925-1991), der seit den späten 1940er Jahren unter anderemfür die „Hannoversche Presse“ und die „Süddeutsche Zeitung“, vorallem aber für den sozialdemokratischen „Vorwärts“ und eine ganzeReihe von Gewerkschaftszeitungen arbeitete. Fast in jeder Ausgabeder „Streiknachrichten“ finden sich eine oder mehrere Karikaturen,teils nehmen sie sehr konkret Bezug auf aktuelle Ereignisse und Ent-wicklungen, teils erinnern sie die Leser in erster Linie an den offen-bar unüberbrückbaren, grundsätzlichen Gegensatz zwischen Arbeit-nehmern und Arbeitgebern. Fast immer sind sie polemisch, überspit-zen, übertreiben, arbeiten mit Klischees und eindeutigen Symbolen.Selten findet sich ein Unternehmer, der ohne fette Zigarre oderdicken Wohlstandsbauch dargestellt ist. Einige sind brüllend ko-misch, einige bitterböse, einige muten sogar rührselig an. Einenernsten Hintergrund haben sie alle: Die von beiden Seiten hart ge-führte Auseinandersetzung um die Gleichstellung von Arbeitern undAngestellten, aus Arbeitnehmersicht der Wunsch, nicht länger als„Menschen zweiter Klasse“ behandelt zu werden.

Im Folgenden findet sich eine Auswahl der über hundert Karika-turen, welche die Geschichte der wichtigsten Tarifauseinanderset-zung in Schleswig-Holstein dokumentieren. Inhaltlich sind es imKern acht Motive, die oft wiederkehren und die aus Sicht der Ge-werkschaftler und der Arbeitnehmer die zentralen Themen desStreikgeschehens bilden: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ur-laubsregelungen und Urlaubsgeld, Unternehmerverhalten währenddes Streiks, Streikbrecher, Rolle der Unternehmerverbände, Eingrei-fen der Regierungspolitik in das Streikgeschehen, aktuelle Bezügeund Propagandaaktivitäten der Arbeitgeber.

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Lohnfortzahlung im KrankheitsfallUnternehmerwunsch. Mit bitterböser Ironieüberzeichnet der Karikaturist die Positio-nen der Unternehmerseite auf den dreiwichtigsten Feldern der tariflichen Ausein-andersetzung: Arbeitsfreier Samstag, Ur-laub und Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung imKrankheitsfall. Wie in vielen anderen Kari-katuren wird der Unternehmer als Stereo-typ mit Schmerbauch, Zigarre und feistemGrinsen dargestellt.(Streiknachrichten Nr. 50 vom 9. Januar1957, S. 2)

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Die Folgen des Lohnausfalls im Krankheits-fall: Offenbar eignete sich das für viele Ar-beitnehmerfamilien geradezu existentielleThema nicht für eine Pointe, so dass dieseZeichnung weniger eine Karikatur als eineauf jeden Witz verzichtende Anklage dar-stellt.(Streiknachrichten Nr. 6 vom 1. November1956, S. 3)

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Urlaubsregelungen und UrlaubsgeldDer stereotyp gezeichnete Unternehmerlebt „la dolce vita“ und pfeift zynisch aufdie Ansprüche der Arbeitnehmer. Die fürdie Karikaturen charakteristische Schwarz-Weiß-Malerei stützt eindeutige Wahrneh-mungen und stärkt den Durchhaltewillen indem langen Arbeitskampf.(Streiknachrichten Nr. 5 vom 31. Oktober1956, S. 3)

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Die Karikatur nimmt Bezug auf zwei derzentralen Forderungen der streikenden Me-tallarbeiter, nämlich die Zahlung eines zu-sätzlichen Urlaubsgeldes sowie eine Ver-längerung des Urlaubs. Gleichzeitig spieltsie ironisch mit dem dahinter stehendenGedanken einer stärkeren Gleichstellungder Arbeiterschaft mit anderen Berufsgrup-pen und unterstellt der Unternehmerschaftmassive Ängste vor der Aufhebung sozialerStandesgrenzen, die sich eben auch im Ur-laubsort manifestieren.(Streiknachrichten Nr. 30 vom 6. Dezem-ber 1956, S. 1)

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Unternehmerverhalten während desStreiksDie Karikatur kritisiert die aus Sicht derMetallarbeiter unseriöse Aufrechnung, dieeinige Arbeitgeber in Mitarbeiterbriefenaufgestellt hatten, dass die Forderungender Streikenden nach Lohnfortzahlung, Er-höhung des Urlaubs und Zahlung von Ur-laubsgeld insgesamt 37 Prozent der Lohn-summe eines Betriebes ausmache. In Ge-genberechnungen der Gewerkschaften ka-men diese auf lediglich 4 Prozent.(Streiknachrichten Nr. 5 vom 31. Oktober1956, S. 1)

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Kritik am vermeintlich vernunftwidrigenVerhalten der Arbeitgeber, die sich den For-derungen nach Lohnfortzahlung im Krank-heitsfall widersetzten und dabei ungleichhöhere Gewinnausfälle durch eine Verlän-gerung des Arbeitskampfs in Kauf nähmen.Die Karikatur wurde flankiert von einigenArtikeln, die genau diese Argumentationverfolgten, und sie ist einzuordnen in einewachsende Zermürbung der beiden Lagernach über zweieinhalb Monaten Streik.(Streiknachrichten Nr. 54 vom 15. Januar1957, S. 2)

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StreikbrecherDas Problem der „Streikbrecher“ bliebüber die gesamte Dauer des Arbeitskampfsein wirklich brisantes Thema bei den Strei-kenden, die das Verhalten arbeitender Kol-legen als zutiefst unsolidarisch und krie-cherisch brandmarkten und mit durchauszu hinterfragenden Aktionen sanktionier-ten, beispielsweise durch öffentliche Stig-matisierung und soziale Ausgrenzung derBetreffenden. Die Perspektive der biswei-len der blanken Not Gehorchenden bliebdabei ausgeblendet.(Streiknachrichten Nr. 3 vom 29. Oktober1956, S. 2)

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Das „Rattenfänger“-Motiv aufnehmend,thematisiert diese Karikatur das Bemühender Unternehmer mit verschiedenen Me-thoden „Streikbrecher“ zu mobilisieren –hier am Beispiel der Electroacustic GmbH(„Elac“) in Kiel, die seit dem 5. November1956 bestreikt wurde.(Streiknachrichten Nr. 10 vom 7. Novem-ber 1956, S. 1)

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Rolle der UnternehmerverbändeDurchgängig findet sich in Artikeln und Ka-rikaturen der „Streiknachrichten“ die Kritikan der Einmischung der größeren Arbeitge-berverbände, die aus Sicht der Streikendendie unnachgiebige Haltung des schleswig-holsteinischen Arbeitgeberverbands ze-mentierten und so den Streik verlängerten.(Streiknachrichten Nr. 7 vom 2. November1956, S. 2)

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Nach einem Vierteljahr Streik stellt die Ka-rikatur die als nach wie vor unnachgiebigempfundenen schleswig-holsteinischen Me-tallarbeitgeber als ferngesteuerten Roboterdar, der nur noch durch den ‘Tropf’ des„Solidaritäts-Fonds“ der Arbeitgeberver-bände funktionstüchtig gehalten werdenkann.(Streiknachrichten Nr. 62 vom 25. Januar1957, S. 2)

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Eingreifen der Regierungspolitik indas StreikgeschehenUnmittelbar nach Beginn des Streiks sorg-te das Verhalten des schleswig-holsteini-schen Innenministers Helmut Lemke für ei-nen Aufschrei der Empörung bei der Ge-werkschaft, als er Auszüge eines so ge-nannten „Weißbuchs“ in Form einer Diens-tanweisung an die Polizeidienststellen desLandes verteilte: Ziel war es offenbar, diePolizeidienststellen auf eventuell die öf-fentliche Ordnung gefährdende Aktionen

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der Streikenden einzustellen. In dem„Weißbuch“, zusammengestellt von denbayrischen Metallarbeitgebern, war einStreik der bayrischen Metaller zwei Jahrezuvor als „Terrorfeldzug“ diffamiert wor-den. Hierin erblickten nicht nur die „Strei-knachrichten“ ein einseitiges Eingreifenund „Scharfmacherei“ durch die Landesre-gierung(Streiknachrichten Nr. 3 vom 29. Oktober1956, S. 2)

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Nicht nur den christdemokratischen Lan-despolitikern, sondern – wie in dieser Kari-katur vom 18. Januar 1957 – auch Bun-deswirtschaftsminister Ludwig Ehrhardwarfen die Metaller unternehmerfreundli-che Einmischung in den Arbeitskampf vor,weshalb die „Streiknachrichten“ in derentsprechenden Schlagzeile „Keine Einmi-schung des Staates!“ forderten. Hinter-grund waren die „Informationsgespräche“der Tarifparteien auf Einladung Bundes-kanzlers Adenauer im Bonner Bundeskanz-leramt, die einen Tag zuvor stattgefunde-nen hatten.(Streiknachrichten Nr. 57 vom 18. Januar1957, S. 1)

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Aktuelle BezügeViele der Karikaturen kommentierten un-mittelbar aktuelle Themen des Streikge-schehens, wie beispielsweise die hier ab-gebildete vom 8. November 1956. Sie be-zieht sich auf ein Urteil eines HamburgerArbeitsgerichts, das per Einstweiliger Ver-fügung den Metallarbeitgebern untersagte,diffamierende Zeitungsanzeigen zu schal-ten. In diesen war unter anderem die Be-hauptung aufgestellt worden, dass derStreik längst hätte beendet werden kön-nen, „wenn die Arbeiter durch den Terrorder zentralen Streikleitung am Betreten ih-rer Werke nicht gehindert“ worden wären.(Streiknachrichten Nr. 11 vom 8. Novem-ber 1956, S. 1)

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Die Karikatur kommentiert die im Zuge desStreiks mehrfach aufgetretenen Versucheder DDR-Gewerkschaft FDGB, mit Hilfe vonSolidaritätsadressen, personeller, ideologi-scher und vor allem finanzieller Unterstüt-zung der Streikenden propagandistischesKapital aus dem Streikgeschehen „im Wes-ten“ zu ziehen. Die demonstrative Abgren-zung durch die Streikleitung gegen derartunwillkommene Solidaritätsbekundungenaus „dem Osten“ besaß in Zeiten des Kal-ten Kriegs enorme Bedeutung für die Legi-timität des Arbeitskampfs.(Streiknachrichten Nr. 58 vom 21. Januar1957, S. 1)

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Propaganda der ArbeitgeberEin ständig wiederkehrendes Motiv in denKarikaturen ist die Kritik an den „Propa-gandamethoden“ der Arbeitgeber, wie bei-spielsweise der hier erhobene Vorwurf, dieangeblich hervorragende Auftragslage derUnternehmen zu verschleiern.(Streiknachrichten Nr. 21 vom 23. Okto-ber 1956, S. 4)

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‘Wehklagen’ der Unternehmer über ruinö-se Forderungen der Gewerkschaften als‘alte Platte’ – ein zeitloses Motiv in den„Streiknachrichten“.(Streiknachrichten Nr. 31 vom 7. Dezem-ber 1956, S. 4)

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