Der Müller und sein Kind. Von Ernst...

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Der Müller und sein Kind Von Ernst Raupach

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Der Müller und sein Kind

Von Ernst Raupach

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[U1]

EIN WEIHNACHTSABEND AUF DEM FRIEDHOFE

[U2. leer] [1]

DER MÜLLER UND SEIN KIND

ODER

DIE ERSCHEINUNGEN AUF DEM KIRCHHOF AM WEIHNACHTSABEND

Schauspiel in 5 Akten von Doktor Raupach *

PERSONEN.

Reinhold, ein Müller

Marie, seine Tochter

Die Schulzin, Reinholds Schwester

Jakob, ein Bauer

Reimann, ein Gastwirth

Margarethe, dessen Frau

Johann, Elisabeth, beider Kinder

John, Todtengräber

Wittwe Brünig, eine alte Frau

Rektor Ewald

Konrad, Brünings Sohn, Mühlknappe

Kasper [Kaspar], David, Mühlburschen

* Der Müller und sein Kind oder Die Erscheinung auf dem Kirchhof am Weihnachtsabend. Schauspiel in 5 Akten von Doktor [Ernst] Raupach. Handschrift. Format: 16,5 x 20,5cm; kartoniert. Puppentheater-sammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Sign. Manuskript D4-466. Herausgegeben von Matthias Posch und Beatrix Müller-Kampel. Orthographie und Interpunktion wurden im Haupttext beibehalten, im Nebentext (Regieanweisungen) der leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit halber vereinheitlicht und vervollständigt. – Mit Makron (Bal-ken) versehenes »m« oder »n« wurde mit »m[m]« bzw. »n[n]« aufgelöst. – Von einer anderen Hand nach-träglich Eingefügtes ist zwischen »{ }« gesetzt. – »[Glocke]« markiert deren Zeichnung. © Mit freundlicher Genehmigung der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dres-den.

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[2]

{Verw. Mühle}

ERSTER ACT.

Eingangszimmer bei Brünig.

BRÜNIG sitzt am Tische, KONRAD kommt mit Felleisen.

KONRAD. Guten Abend, Mutter!

BRÜNIG. Ach du mein Gott, Konrad, bist du es! Gott grüße dich, aber sage mir nur, wo

kommst du denn her?

KONRAD. Wo wird’ ich denn herkommen, von Probsthain, ich bin aus dem Dienst gegangen.

BRÜNIG. Aus dem Dienst gegangen, ich dachte, du kämst, um mich zur Hochzeit zu bitten.

KONRAD. Zu was für einer Hochzeit, Mutter?

BRÜNIG. Nun, mit dir und deiner Meisterin in Probsthein, es wissens seit acht Tagen schon alle

Leute.

KONRAD. Nun ja, ich wills Euch nur erzählen, [3]

aber sagt Niemandem etwas davon, ich merkte gleich nach der Ernte, daß die Müllerin

Absichten habe, mich zu heirathen. Vorgestern kam sie zu mir in die Mühle und fragte, die

Schulmeisterin sei oben und wollte ein Wort mit mir reden. Ich wußte aber wohl, was das für

ein Wort sein werde. Liebe Meisterin, sagte ich, ich habe auch nothwendig mit Euch zu spre-

chen; mir ist nämlich schon lange Zeit nicht recht und ich weiß nicht, was mir fehlt, ich will

Euch einen anderen Knappen für mich stellen, und so denke ich, werdet Ihr es nicht für ungut

nehmen, wenn ich nächster Tage heimkehre. Sie wurde blaß und merkte wohl, wo ich hinaus

wollte. Als ich gestern wieder vom Weggehen anfing, sagte sie kleinlaut. Nun, Konrad, wie Ihr

denkt, [4]

und so schnallte ich mein Bündel, verließ die Mühle und bin hier.

BRÜNIG. Na, da hat man’s liebe Gut, da könnte man krank werden vor Aerger; bist ein armer

Mühlknappe und konntest hier Herr und Meister werden.

KONRAD. Das konnte ich wohl, aber liebe Mutter, es geht nicht; denn wer eine andere lieb hat,

der muß auch anders denken. Hätte ich ja gesagt, hätte ich die gute Meisterin betrogen.

BRÜNIG. Ach was betrogen, und was soll denn werden mit dir und Marien?

KONRAD. Was Gott will! Doch wie geht es Ihr?

BRÜNIG. Wie soll es ihr gehen, sie ist gewaltig blaß geworden und hat schlimme Tage beim Alten

und hört nichts als Vorwürfe und Schimpfworte. [5]

KONRAD. Daß er mich aus dem Dienste wieß, als er merkte, daß ich und Marie einander liebha-

ben, das habe ich ihm vergeben; aber daß er so unbarmherzig mit seinem eigenen Kinde ver-

fährt, das kann ihm Gott selbst am jüngsten Gericht nicht vergeben.

BRÜNIG. Und jetzt heißt es gar, er will sie zwingen, den Bauerssohn aus Modelsdorf zu hei-

rathen!

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KONRAD. Mutter, wenn das geschieht, dann ist meines Bleibens nicht länger auf der Welt!

BRÜNIG. Ach du ruchloser Mensch du, willst du Gott Trotz bieten? Gott will sie dir nun einmal

nicht geben.

KASPAR ein.

[KASPAR.] Mühlenelement! da hab ich auf einmal im Dorfe gehört, daß mein alter [6]

Kamerad wieder da ist. Blitz, dacht‘ ich, den mußt du gleich ein mal aufsuchen! Wenn du mir

nicht so ein langer Zengstnaus wärst, ich thät dir gleich vor Freude einen Schmatz geben, ich

werde deiner Alten einen geben.

BRÜNIG. Ach geh, du Schlingel!

KONRAD. Kaspar, du bist doch immer froher Laune!

KASPER. Nun soll man sich denn auf einer solchen schönen Erd Kugel nicht freuen, wo es so

viel Schnaps gibt, jemehr man trinkt, desto mehr man trinken will! Und am Ende wird man so

selig, daß mans im Stehen nicht mehr aushält und sich legen muß.

KONRAD. Kaspar, was macht denn Marie?

KASPER. Kalender mit trüber Witterung, die [7]

denkt nur immer an dich und weint, sie führt ein wahres Hundeleben. Und der Müller, ihr

Vater, der alte Geizhals, der geht den ganzen Tag in der Mühle rum und hustet, da ist mir ‘s,

als bellte er den Todtengräber an!

KONRAD. Kaspar, du mußt Marien trösten!

KASPAR. Trösten? Ja wenn ich anfange zu trösten, da lacht sie mich aus und sagt. Geh Kasper,

an dir ist Hopfen und Malz verlohren, und das ist nicht wahr! Hopfen und Malz, daraus wird

Bier gebraut, und das geht bei mir nicht verlohren, trinken thue ich immer!

KONRAD. Dir macht nur immer Essen und Trinken Noth.

KASPAR. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, ich glaube, wenn ich nicht [8]

mehr Essen und Trinken sollte, ich wäre in 14 Tagen todt, mausetodt! Nee halt, ich muß jetzt

wieder machen, daß ich in die Mühle komme, denn wen[n]s der Alte weggriegt, daß ich fort-

gelaufen bin, da geht mirs hundeschlecht. Na ich komme bald wieder[.] Gute Nacht miteinan-

der! ab

KONRAD. Ich muß hinaus! Ich muß ein Lied auf meiner Flöte blasen, es klingt besser in frischer

Luft. Ich kann nicht schlafen, bevor ich nicht mein Abendlied geblasen habe.

BRÜNIG. O schweig still, ich weiß wohl, für wen du ein Lied blasen willst.

KONRAD. Nun Mutter, ist ‘s denn ein Verbrechen? Als wir früher noch wohlgemuts beisam-

mensaßen, machte es ihr immer Freude, wenn ich zum Feierabendvor der Mühle ein Gottes-

lied auf [9]

meiner Flöte blies. Soll ich ihr denn nichts mehr zu Liebe tun?

BRÜNIG. Meinetwegen, ich habe dir zugeredet wie eine Mutter, wenn du aber nicht hören willst,

nun so lauf in dein Verderben! ab

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KONRAD. Ins Verderben? Lieber Himmel, will ich denn etwas Böses thun?Ich will sie ja nicht

einmal sehen, ich will ihr blos durch meine Flöte sagen, Konrad ist wieder da! ab

Verwandlung. Zimmer in der Mühle.

SCHULZIN und MARIE.

MARIE. Ach, liebste Base, es {ist} gut, daß Ihr kommt!

SCHULZIN. Ich kann mir es denken, weil Jakob beim Vater ist und um dich anhält. Und dann

will er auch ein Wörtchen mit dir reden. [10]

Nun Mariechen, ich denke du wirst den Willen deines Vaters thun.

MARIE. Wenn es der Vater durchaus verlangt, daß ich dem Jakob die Hand reichen soll, doch

den Konrad kann ich nicht vergessen!

SCHULZIN. Wenn er dich aber vergäße, möglich wäre es doch. Daß es mit Euch beiden nichts

werden kann, weiß er so gut wie wir, und wenn sich eine gute Gelegenheit für ihn fände,

warum sollte er nicht zugreifen. Er wird doch nicht denken, sein lebelang ein armer Mühl-

knappe zu bleiben?

MARIE. Sagt es nur gerade heraus, Konrad ist mir untreu geworden, nicht wahr?

SCHULZIN. Nun ja, wie es heißt, wird er die verwittwete Müllerin heirathen, bei der er dient. Sie

soll wohlhabend sein, Kinder hat sie auch nicht, [11]

und so ist es ganz natürlich, wenn er zugreift.

MARIE. Gott segne seinen Hausstand, ich will nicht mehr so oft an ihn denken. Seit er von uns

fort ist, habe ich so oft seiner gedacht. Ach, wenn er auf seiner Flöte blies. Wer nur den lieben

Gott läßt walten, das freute mich immer!

KASPAR ein.

[KASPAR.] Mariechen, ich bringe ganz was nagelneues, beim Meister unten ist ein Freier, er wird

aber nicht etwa den Meister haben wollen, nee Euch! Schade, daß ich kein Mädel bin, den

Brauer Jakob heirathete ich blos des Bieres wegen. Ach, das müßte ein höchstseeliger Ehe-

stand sein!

DAVID ein.

[DAVID.] I potz Geier, ich weiß aber was schönes, unten in der Stube is e Feie!

KASPAR. David, was sagst du, ein Feuer? [12]

DAVID. I nee, potz Geier, e Feie, e Feie!

KASPAR. Nu Kerl, wo brennts denn?

DAVID. I nee, ich meene a Feia, e Feie, er will Marien heirathen!

KASPAR. Ja so, ein Freier, das hab ich eher gewußt wie du dummes Gesichte, er will dich wohl

heirathen?

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DAVID. I nee, Marie thut er heirathen.

KASPAR. Wärst du lieber in der Mühle geblieben, du Tagedieb und hättest was gemacht!

DAVID. I Kaspar, Mehl hab ich schon wegdenommen.

KASPER. Ei du Schafskopf, ich habe auch schon welches weggenommen, das geht nicht, daß wir

ihre zweie metzen, da wird ‘s ja zuletzt alte. Marsch in die Mühle und gleich schafft ‘s wieder

hin!

KASPAR und DAVID ab [13]

SCHULZIN. Sammle dich jetzt Mariechen, jetzt kommt Jakob.

JAKOB. Frau Schulzin und verehrliche Jungfer, grüße Euch Gott!

SCHULZIN. Schönen Dank, Meister Jakob.

JAKOB. Liebste Jungfer Marie, sie wird wissen, daß unsere Väter wünschen, es möchte ein

christliches Ehepaar aus uns werden, mein Vater hat mir indeß die Brauerei in Alzenau

gepachtet. Aber die Hauptsache bleibt doch immer, was sie dazu meint, und darum, verehrli-

che Jungfer, wollte ich fragen, wie es schon sonst Sitte und Brauch war.

MARIE. Lieber Meister, ich werde mich nie dem Willen meines Vater widersetzen!

JAKOB. Drum eben wollte ich sie fragen, ob [14]

sie wohl ein Herz zu mir und für mich haben kön[n]te, wie ich zu ihr. Antworten sie mir unge-

scheut und vertrauensvoll!

MARIE. Lieber Meister, weil ihr so ehrlich gegen mich seid, will ich es auch gegen Euch sein.

Wenn es der Vater durchaus verlangt, daß ich Euch meine Hand reichen soll, so werde ich

mich nicht weigern, doch das Herz, lieber Meister, steht nur in Gottes Hand.

JAKOB. Ich danke ihr, für Ihre offene und ehrliche Antwort.

SCHULZIN. Lieber Jakob, Ihr habt selbst gewollt, daß Marie ehrlich mit Euch reden sollte, nun

dürft Ihr es auch nicht übel nehmen.

JAKOB. Das thue ich auch nicht. Besser vorher als nachher! Nun lassen wir das gutsein, lebe [15]

sie gesund Jungfer Marie, und Gott helfe Ihr einmal, wenn Sie einen schweren Stand mit dem

Vater haben sollte wegen mir. Ich will ihm selber sagen, daß es mit uns beiden nicht Gottes

Willen ist. Leben Sie beide wohl!

SCHULZIN. Grüßt vielmals Vater und Mutter!

JAKOB. Ich danke Frau Schulzin ab

MARIE. Ach liebe Base, habe ich auch recht gethan? Wird mich der Vater schelten?

SCHULZIN. Ich will hinunter in die Mühle zu ihm und ihm erzählen, wie Alles gekommen ist, da

wird er doch einsehen, daß du nicht schuld bist, und auf eine ehrliche Frage nur ehrlich geant-

wortet hast. Uebrigens, laß es gut sein, du hast ja oft in der Kirche und zu Konrads Flöten

gesungen. Wer nur den lieben Gott läßt walten,

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und was ich abwenden kann, bei meinem Bruder, das soll gewiß geschehn. ab

MARIE. Es ist alles vorbei. Ja, Konrad hat recht, warum soll er umsonst harren und hoffen. Nun

bin ich allein, wie eine arme verlassene Waise, die niemand hat auf der weiten Welt. Aber Gott

wird mir helfen.

Man hört die Flöte. Wer nur den lieben Gott läßt walten, von außen

Ja – horch – was ist das? – Konrads Flöte! – Er ist wieder da, er ist mir treu geblieben.

[Glocke]

Vorhang fällt

[17]

{Verw. b. Brünig}

II. ACT.

Zimmer in der Mühle.

SCHULZIN und MARIE.

SCHULZIN. Liebe Marie, härme dich nicht so ab, du wirst ja von Tag zu Tag blässer!

MARIE. Der Vater ist zehnmal schlimmer geworden, seit Jakob mich aufgegeben hat, und Kon-

rad wieder da ist. Sein Schelten und Schmähen treibt mich Abends ins Bett, und ruft mich

Morgens wieder wach, das mag es wohl sein, daß ich blässer werde. Gott wird mich erlösen

zur rechten Zeit.

SCHULZIN. Ach daran mußt du nicht denken.

MARIE. Voriges Frühjahr, als ich gerade einmal recht traurig war, habe ich den Kukuk gefragt,

wie lange ich noch leben würde, er hat nur einmal [18]

gerufen.

SCHULZIN. Wer wird denn an so etwas denken glauben!

MARIE. Man weiß viele Beispiele, daß es zugetroffen hat, und es wäre auch recht gut für mich.

Der Vater will durchaus, ich soll den Konrad vergessen, und das kann ich nicht. Er hat sein

Glück für mich aufgegeben, gerade, da ich einen andern nehmen sollte. Es wäre schlecht von

mir, wenn ich ihn nun vergessen wollte.

man hört husten von außen

SCHULZIN. Da kommt der Vater heim, laß mich mit ihm allein.

MARIE. Ihr werdet sehen, mir ist nicht zu helfen. ab

SCHULZIN. Es ist weit gekommen – nur einmal hat der Kukuk gerufen – lieber Himmel hilf, daß

wir das Mädchen nicht verlieren.

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REINHOLD hustet dann und wann KASPAR Eule in [19]

der Hand. DAVID.

REINHOLD. Hab ich dich endlich, du unberufener Leichenbitter, nun wirst du wohl die Leute

schlafen lassen, wolltest andre in die Grube kreischen, nun hast du dir aber selbst das Todten-

lied gesungen.

KASPAR. Der Galgenstrick wollte, es sollte von uns eins aus der Welt, aber ich habe ihm den

Spaß vertrieben.

REINHOLD. Bist ein wackerer Bursche, Kaspar, hast gut getroffen.

KASPAR. Ja, wo ich hinziele muß alles prasseln, und wenn es sein müßte, ich machte einen Krieg

ganz alleine aus!

DAVID. O du Modkel [Mordskerl], du bist nicht gescheid.

KASPAR. Ja, das ist mir ganz egal, und du, Davidel, du kämst zuerst nit dran, denn dein [20]

{Mücken-}Leben kann die stillste Mailuft ausblasten, für solche Sachen reicht er wohl nicht,

dein Verstand.

DAVID. O Kasper, ich bin gar a gescheider Kerl.

KASPAR. Ja, wenn du allene bist, aber ‘s Pulver hast du nicht erfunden.

SCHULZIN. Bruder Christoph, was habt Ihr denn hier?

REINHOLD. Mein Christbeschersel, ist doch heute Christtag!

KASPAR. Ja, heute kommt der Rupprecht mit dem Besen.

REINHOLD. Zwei Nächte hat der Vogel auf meinem Dach gesessen, als wenns keine andere in

Dorfe gäbe. Er wäre wohl heute zur Christnacht wiedergekommen, aber Kaspar hat ihm den

Garaus gemacht.

KASPAR. Er ist hinüber. So ein Mordelementer muß vertilgt werden, der braucht uns kein Con-

cert vorzukrächzen, was uns an den klapprichen Tod erinnert. [21]

DAVID. Wie Kaspar that schießen, bin ich vor Schreck hingepurzelt.

KASPAR. Nee Mester denkt Euch nur, wie ich schieße, fällt der dumme Kerl in Schnne und

bleibt liegen.

DAVID. Ja, ich dachte, ich wär todt.

REINHOLD. Hier Kaspar, hast du ein Trinkgeld, trink meine Gesundheit aber 3 mal, hörst du,

drei mal!

KASPAR. Mester, mir ist sechs Mal nicht zu viel!

REINHOLD. Und den Mitternachts Küster nagle mir ans Hoftor, nagle ihn aber fest!

KASPAR. Sorgt nicht Meister, der soll gewiß nicht wieder fortfliegen; und nachher geht ‘s Trin-

ken los, ich habe tuchtigen Appetit.

DAVID. Ich trinke auch mit, weil ich hingepuzelt bin.

KASPAR. Na na komm, David, da wollen wir

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[22]

uns ein kaufen.

BEIDE ab

SCHULZIN. Lieber Bruder, ich möchte noch ein ernsthaftes Wort mit dir reden.

REINHOLD. Nur zu, nur zu!

SCHULZIN. Bruder, die Sache mit deiner Tochter fängt an bedenklich zu werden, sie zehrt zuse-

hends ab, und es wäre doch entsetzlich, wenn sie der Gram in ihren jungen Jahren dahinraffte.

REINHOLD. Narrenspossen! Unkraut verdirbt nicht! Es wäre auch kein Schade um so ein

ungerathenes Kind.

SCHULZIN. Christoph, versündige dich nicht, Gott könnte dich strafen und dir das einzige Kind

wegnehmen.

REINHOLD. Wetter noch einmal, meinst du, ich werde zu Kreuze kriegen, weil das Mädchen

blaß wird? Warum wird sie blaß, leidet sie etwa [23]

Hunger oder Durst? Und wenn ihre Backen weiß werden wie Weizenmehl und ihre Augen

hohl wie ein Drichter, Christoph Reinhold wird doch thun was er will.

SCHULZIN. Ueberlege es doch recht, Bruder, ehe es zu spät wird, und ein Gehülfe wär‘ dir auch

nöthig. Du bist sechzig Jahre und immer kränklich.

REINHOLD. Das ist nicht mehr, ich bin gesund, kerngesund, du denkst wohl, weil ich manchmal

huste, ja ja, ich weiß schon, ihr wartet alle auf meinen Tod.

SCHULZIN. Wier sind alle sterblich, und auch an dich wird die Reihe kommen und du kannst

nichts mit hinübernehmen.

REINHOLD. Nichts, gar nichts, schlimm genug, aber mein mühsam erworbenes Vermögen einem [24]

Bettler in den Rachen werfen, das wäre noch zehnmal schlimmer.

SCHULZIN. Aber wozu hat man den Gottes Segen?

REINHOLD. Was, fällt etwa das Geld vom Himmel wie der Schnee, oder wächst es draußen im

Wald wie die Tannenäpfel, was hatte ich denn, als ich meines Vaters Mühle übernahm, das

Gehöfte lag noch wüst vom Kriege her, die der Mutter mußte ich herausgeben, dir mußte ich

herausgeben, mir blieb so viel wie gar nichts, aber ich habe fleißig gearbeitet Tag und Nacht,

und habe dabei dem Magen jeden Bissen abgehandelt. Ei ich wäre auch gerne in die Schenke

gegangen und hätte einen Krug Bier getrunken wie andere, aber ich sah mein Geld an, und das

dauerte mich. Was ich habe, das habe ich mir erworben durch saure Mühe und Sparsamkeit,

und ihr werdet mir [25]

doch nicht zumuthen wollen, einen Schwiegersohn zu nehmen, der es nicht erwarten kann,

mich auf der Bahre zu sehen.

SCHULZIN. Aber Konrad ist ein braver Bursche!

REINHOLD. Teufel noch einmal, wenn ich bedenke, daß der Gelbschnabel hier säße in meiner

schönen Mühle mit vier Gängen und meiner herrlichen Kundschaft. Fort, fort, ich will nichts

mehr hören. Gehe mit Gott auf Nimmerwiedersehen!

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SCHULZIN. Lebe wohl! Ich gehe und will Gott bitten, daß er dein Herz zum Besten lenke, ehe es

zu spät wird. ab

REINHOLD. Tod und Teufel, ich will mir Ruhe schaffen, ich will Euch zeigen, daß ich Herr bin!

Doch jetzt muß ich gleich mit dem Mädel sprechen! Heda Marie! Marie!

MARIE ein. Was wollt Ihr, mein Vater? [26]

REINHOLD. Deine liebe Base sagt, du würdest alle Tage blasser, was fehlt dir denn, mein aller-

liebstes Kind, was muß ich denn thun, damit du wieder rothe Bäckchen griegst? Willst du viel-

leicht ein Püppchen haben oder dein liebes Konradchen zum heiligen Christ?

MARIE. Ach Vater, laßt mich – – –

REINHOLD. Oder soll ich von Haus zu Haus gehen, mein Herzchen, und deinem treuen Konrad

Platz machen? Recht gern, ich gehe, laß mich nur erst ein Brodsäckchen mitnehmen und einen

Stock aus unserem Erlenbusch. Du bist ein gutes Kind, wirst mir doch auch ein Almosen

geben, wenn ich wieder mal vor meine Thüre komme.

MARIE. Vater! Vater! was habe ich denn so großes verbrochen, daß ihr mich so quält, ich bin

Euer einziges Kind, aber ein Dorn in Eurem Auge, ich habe [27]

Arbeiten gelernt, ich will mir einen Dienst suchen.

REINHOLD. Einen Dienst, o du abscheuliches Geschöpf! Meine Tochter dienen! Des Müllers

Reinhold einziges Kind eine Magd! O du ungerathene, ehrvergessene Dirne, ja, du sollst fort,

aber nicht in den Dienst, schnüre dein Bündel, morgen mußt du fort nach Goldberg zur

Muhme, diese lieblosen Menschen passen für dich!

MARIE. Um Gottes Willen, mein Vater, bringt mich nicht dorthin, wo ich sterben müßte!

REINHOLD. Still ruchloses Kind, willst du den Taugenichts vergessen! –

MARIE. Ich will, ich will!

REINHOLD. Gut, aber noch eins von wegen dem Konrad seiner Flöte; ich kann das Gedudle

nicht leiden. Wenn ich noch einmal das Gepfeife des Taugenichts [28]

höre, so mußt du nach der Stadt, sowahr mir Gott gnädig sei!

JOHN DER TODTENGRÄBER ein.

[JOHN.] Gott grüß Euch, Meister Reinhold!

REINHOLD. Schönen Dank, Meister John, geh, Marie, und denke an das, was ich dir geschworen

habe.

MARIE ab

– Nun, was bringt Ihr mir denn lieber John?

JOHN. Ich bringe Euch nichts, ihr habt mir ja sagen lassen, ich möchte zu Euch kommen!

REINHOLD. Ja richtig, ich wollte mit Euch reden, ihr sollt mir einen Gefallen thun, ich will Euch

auch eine Metze Mehl zum Feiertagen geben. Ihr wißt doch, daß ich etwas kurzathmig bin,

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eigentlich bin ich es schon von Kindheit an gewesen, und Ihr sagtet neulich, ja wie war es

denn? – – –

JOHN. Nun, ich sagte, wenn man in der Christnacht [29]

zwischen 12 und 1 Uhr auf den Kirchhof von einem frischen Grabe sich ein Stück Erde hole

und auf die Brust lege, das hülfe.

REINHOLD. Richtig, ja, so war es! Seht, das ist mir diese Nacht wieder eingefallen, als ich vor

Husten nicht schlafen konnte, heute ist nun heiliger Abend!

JOHN. Ja, und ein frisches Grab ist auch da!

REINHOLD. Nun, da könnt Ihr mir den Gefallen, und ein paar Hände voll solcher Erde bringen.

JOHN. Nein, da hilfts nichts, Ihr müsst die Erde selbst holen.

REINHOLD. Verflucht! Um Mitternacht auf den Kirchhof! – – –

JOHN. Es geht nicht anders, wenn Ihr aber wollt, so will ich Euch begleiten.

REINHOLD. Gut, das nehme ich an! Soll aber in [30]

dieser Nacht viel auf dem Kirchhof geschehen!

JOHN. Freilich. Lieber Müller, allerhand Seltsames!

REINHOLD. Man sagt. Alle, die das nächste Jahr sterben, gehen in dieser Nacht ins Leichenhaus.

JOHN. Ja, das thun sie Schlag 12 Uhr. Wir wollen ein bischen früher gehen, wenn die Kirche

erleuchtet ist, so sehet nur nicht hin.

REINHOLD. Richtig, Ihr sollt mich Schlag 12 Uhr bei der großen Linde am Pfarrhof treffen, jetzt

kommt, ich willl Euch das Mehl einmessen lassen. Es ist eigentlich Uebermuth, daß ich noch

gesünder werden will, aber der kurze Athem ist mir unbequem.

BEIDE ab

Verwandlung. Zimmer bei Brünig

KONRAD und MARIE

KONRAD. Großer Gott, Marie, was ist mit dir, du [31]

bist so ängstlich!

MARIE. Konrad, ich habe eine Bitte an dich.

KONRAD. Sag, was soll ich thun, mit Freuden – –

MARIE. Konrad, spiele nicht mehr des Abends vor der Thüre auf deiner Flöte!

KONRAD. Das ist eine traurige Bitte, warum soll ich denn nicht mehr spielen, gewiß hast du

deswegen Aergernis mit deinem Vater gehabt?

MARIE. Er sagte, wenn er noch einmal deine Flöte hörte, wollte er mich nach der Stadt schicken.

Du kennst die lieblosen Menschen, sie würden mich zu Tode quälen.

KONRAD. Ich will nicht mehr blasen, aber von dem Alten ist es abscheulich.

MARIE. Konrad, es ist mein Vater!

KONRAD. Was hat er denn gegen mein Blasen,

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[32]

waren es nicht lauter Gotteslieder? Gut, meine Flöte soll nun verstummen wie die Todten.

Aber nun will ich auch nicht mehr hier bleiben, denn nun weiß ich ja nicht mehr, wann du an

mich denkst.

MARIE. Konrad, der Vater will mich in die Stadt schicken, wenn du bis über Neujahr noch zu

Hause bist.

KONRAD. Gut, ich gehe noch vor Neujahr! damit du Ruhe bekommst, aber Marie, könnte sich

der Vater nicht noch besinnen?

MARIE. Nein, das thut er nicht, wir müssen scheiden. Lebe wohl, Konrad, ich will und werde

deiner gedenken, der Himmel möge dich behüten!

KONRAD. Lebe wohl, Marie, aber nicht für immer! Ich will hoffen. – – –

MARIE. Vertraue auf Gott, und hoffe auf ihn, er wird ‘s wohl machen. ab [33]

KONRAD. Sie ist fort, nun ist Alles vorbei, aller Trost, alle Hoffnung dahin. Ich muß hinaus, ich

muß mir Luft schaffen. Ich will auf meiner Flöte blasen, ach ich darf ja nicht mehr blasen, der

alte Neidhart gönnt ja Niemanden eine Freude, ach du arme Flöte, du sollst nun stumm wer-

den, ich zerbreche dich in tausend Stücke. Aber der alte Satan wird auch stumm werden, wenn

ihn der Tod zu Boden wirft.

[Glocke]

Vorhang fällt

DRITTER ACT.

Gaststube in einer Schenke. Christbaum.

WIRTH, MARGARETHE, ihre 2 KINDER. KONRAD u[nd] KASPAR und DAVID.

Einlage!!! [34]

ELISABETH. O das ist schön, es sollte alle Tage Christabend sein!

KASPAR. Ja, es sollte alle Tage Christabend sein. Ich habe meine Weihnachtsgeschenke schon im

Kopfe und zugleich die ganze Illumination. Wenn nur der heilige Geist den guten Einfall

gehabt hätte und hätte mir ein Faß 90 grädigen geschenkt.

DAVID. O Kaspar, da müßte ich och was griegen!

KASPAR. Du Schafskopf, du brauchst blos den 16ten Theil, aber ich vertrage eine derbe Quanti-

tät.

WIRTH. Gretche, bring doch die Kinder zu Bette, der Wächter hat schon gerufen!

MARGARETHE. Ja Kinder kommt, es ist Zeit!

ELISABETH. Ach wir wollten gerne noch aufbleiben Mutter.

WIRTH. Nein, geht nur zu Bette Kinder!

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[35]

KASPAR. Ja, macht, daß ihr zu Bette kommt, sonst setzt ‘s Weihnachtskeule!

MARGARETHE. Kommt Kinder, ehe der Vater böse wird.

ab mit KINDERN

WIRTH. Nun Vetter Konrad, du bist ja ganz stumm geworden.

KASPAR. Ja er sitzt da, wie ein ausgestopfter Krautmann. Freue dich doch mit den Fröhligen,

sieh mich an, an mir lacht und lebt Alles. Ich möchte die ganze Welt umarmen, wenn nur sonst

die Arme zulangten.

DAVID. Kaspar, wir sind fidele Kerle!

KASPAR. Ich weiß schon, dir liegt die Marie im Kopfe, die Liebe hat dich so verdreht gemacht,

daß du den heutigen Weihnachtsabend für Pfingsthen hälst. [36]

WIRTH. Mir ist es eben so gegangen, Konrad, als mir mein seliger Schwiegervater meine Marga-

rethe nicht geben wollte, ging ich aus Verzweiflung zum Soldaten. Margarethe war indes ledig

geblieben und ich hatte unterdessen drei Feldzüge mitgemacht. Als ich heimkehrte, lag der Alte

auf dem Krankenbette, und das ist ein hartes Lager, worauf der Mensch weich wird, und so

kann es mit dir auch werden.

KONRAD. Nein, es ist alles, alles aus!

MARGAR[ETHE] ein

KASPAR. Und ich hatte auch eine Geliebte, und in 2 Tagen hatte ich wieder eine, endlich in

8 Tagen drauf die dritte, schnell drauf hatte ich auch die vierte, und jetzt habe ich gar keine

mehr. Aber deswegen fährt der Kaspar nicht aus der Haut, ich getraue mir auf die neue Woche

wieder ein halbes dutzend zu kriegen. Sie laufen ein ja manchmal im Wege rum. [37]

WIRTH. Verzage nicht, Konrad, mit der Zeit kann viel geschehn.

KASPAR. Ja, Marie kann immer noch deine Frau werden.

MARGARETHE. Vetter, der alte Reinhold ist schwindsüchtig, wer weiß, ob er den Kukuk noch

einmal schreien hört, und dann ist Marie das reichste Mädchen im Dorfe und kann thun und

lassen was sie will.

WIRTH. Rede doch nicht so ins Zeug hinein, man soll keinen Menschen auf eines andern Tod

vertrösten.

MARGARETHE. Warum nicht, Veit, es hofft immer einer auf der Welt auf des anderen Tod.

WIRTH. Wohl dem Menschen, der Niemandem im Wege steht.

KASPAR. Na aber Reimann, so ein alter Geizhals [38]

wie unser Alter, der sollte schon lange nicht mehr leben. Ach wenn doch der Tod käme und

holte ihn. Das Todtengräber Lohn wollte ich geben.

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JOHN ein.

[JOHN.] Guten Abend miteinander!

KASPAR. Na Gott sei uns gnädig, das ist der Todtengräber, komm Davidel, wo der ist, bin ich

nicht gerne.

KASPAR u[nd] DAVID ab

WIRTH. Ja, John guten Abend, wo kommt denn Ihr noch her am heiligen Abend?

JOHN. Ich habe diese Nacht auf dem Kirchhof zu thun und wollte mich bei Euch wärmen. Ich

habe auch Euren Mägden etwas Blei mitgebracht von zerbrochenen Kirchenfenstern. Die

wollen diese Nacht Blei gießen.

WIRTH. Dummes Zeug, wenn unser Herrgott gewollt hätte, daß wir im Voraus wissen sollten,

was uns widerfahren werde, so würde er es wohl anders ein- [39]

gerichtet haben.

JOHN. Ich wollte, Ihr wäre ein Jahr lang Todtengräber, dann würde Euch der Glaube in die

Hand kommen.

MARGARETHE. Meister John, eure Handthierung hat etwas unheimliches.

JOHN. Ja wohl, es gehört ein starker Geist zum Todtengräber, so in der Nacht, wie es manchmal

vorkommt, auf dem Kirchhof herumzuwirthschaften.

MARGARETHE. Und gar in einer Nacht wie heute!

JOHN. Jawohl, Frau Margarethe, heute ist eine Nacht, wo ein Todtengräber zeigen kann, was er

ist, eine Nacht, wo man das Herz auf dem rechten Platz haben muß, die schlimmste Nacht im

ganzen Jahre.

MARGARETHE. Soll heute viel Wunderliches auf den Kirchhöfen geschehen. Sollen doch alle, die

im nächsten [40]

Jahre sterben werden, Gott steh’ uns bei, in dieser Nacht ins Leichenhaus gehen und um Mit-

ternacht in die Kirche kommen.

WIRTH. Hört auf! Aberglaube! – –

JOHN. Kommt nur hin um 12 Uhr, und Ihr werdet sehen, wie der Zug kommt, Männer, Frauen,

Jünglinge, Jungfrauen, alle in Leichentücher gehüllt und mit Lichter in der Hand.

MARGARETHE. Hu, mich schüttelt, wenn ich daran denke.

JOHN. So kommen sie paarweise still, ganz still und alle leichenblaß. Wenn das erste Paar an die

Kirchthüre kommt, geht sie von selbst auf, und wenn die Letzten hinein sind, geht sie von

selbst wieder zu, und so sitzen sie eine Stunde in der Kirche und beten.

KONRAD steht auf. Habt Ihr das alles selbst gesehn? [41]

JOHN. Na, man spricht nicht gern davon, und ein christlicher Todtengräber sieht hübsch auf

seinen Spaten.

MARGARETHE. Wer wollte da auch so vorwitzig sein und hinsehen, man könnte sich ja – selber

sehen.

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WIRTH. Selber sehen, dummes Zeug, ich kann doch nicht auf dem Kirchhof stehen und

Zuschauer sein, und zu gleicher Zeit mit im Zuge der Geister.

JOHN. Na bei den Geistern ist nichts unmöglich. Wer sich selber sähe, müßte ich für dieses Jahr

gefaßt machen.

MARGARETHE. Gott stehe uns bei!

KONRAD. Gott stehe uns bei, das ist wahr. Aber was wäre es denn weiter, Muhme, es geht auf

der Erde nicht immer lustig her, daß man ewig bleiben möchte, sterben müssen wir alle einmal.

Doch es wird spät, ich will gehen. Gute Nacht miteinander! ab [42]

ALLE. Gute Nacht!

JOHN. Ich weiß wohl, was der wünscht. Es möchte heute Nacht auch einer in die Kirche gehen,

doch nichts weiter davon. Es wird Zeit, daß auch ich gehe, ich habe mich ausgewärmt. Gute

Nacht miteinander! Ich wünsche gesunde Feiertage! ab

WIRTH u[nd] WIRTHIN. Gleichfalls John! Gute Nacht! Bald wieder!

WIRTH. Ich wollte du hättest dem Vetter das zweite Viertelchen nicht gegeben. Wenn man

Gram im Herzen hat, soll man nicht trinken.

MARGARETHE. Nun Veit, er hat ja weiter nichts vor! Er ist zu Hause gegangen und dann ins

Bett, und das wollen wir auch thun, komm mein Väterchen.

WIRTH. Du hast recht, es ist Mitternacht vorüber.

BEIDE ab

Verwandlung. Kirchhof.

KONRAD im Mantel [43]

KONRAD. Hier ist der Ort, wo für die Ewigkeit gesammelt wird, bald kommen sie jung und alt,

ich will sie sehen und will wissen, ob der alte Neidhart noch heuer in die Grube fährt, und

sollte ich dabei zu Grunde gehen. Hu, der Wind ist eiskalt, er schneidet wie ein Scheermesser

durch Mark und Pein [!], aber ich will wissen, ob der Bösewicht und Geizhals noch das Jahr

überlebt, – ich weiß nicht, wovon ich auf ein mal so müde bin – wenn es Marie wüßte, sie

würde mich schelten, aber thue ich es nicht ihretwegen! – – – – Hu, man erstarrt ganz, ich muß

mich setzen, hier hinter diesem Graben bin ich geschützt – hier will ich sie erwarten.

Pause! – – –

Es ist grausam still, die Thurmuhr geht, wie eine große Todtenuhr – Friedhofsstille – Geister-

nähe – – [44]

Ich wollte, die Hunde bellten im Dorfe – der Wächter riefe – Hu! – die Eulen schreien! –

Kalt! – Eisig kalt.

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Schlägt 1 Uhr / Geisterzug! MÜLLER und MARIE zuletzt.

Wenn Marie kommt springt KONRAD auf.

[KONRAD.] Bleib! Marie bleib! Auch du! Auch du! Was hilft es mir, wenn der alte fort muß,

wenn auch du gehst. Verlohren – verlohren – Alles verlohren! Wehe mir, ich habe Gott ver-

sucht, ich bin ein Mörder!

REINHOLD kommt als Mensch mit JOHN

JOHN. Kommt, Meister Reinhold, bald werden wir bei dem frischen Grabe sein!

KONRAD. Ja, Nachtgespenst, kommst du wieder! Willst du mich erdrosseln, weil ich Gott ver-

suchte! Kannst du nicht bleiben in der Kirche! In die Kirche! Zu die Kirche mit dir, fort! Fort!

Schnell ab

REINHOLD. Was war das, Konrad war hier, [45]

er hat die Todten gesehen, er hat auch mich gesehn! Ich muß sterben – aber ich will nicht ster-

ben und mag nicht sterben! Kommt John, wir wollen den Kirchhof so schnell wie möglich

verlassen.

BEIDE gehen ab

[Glocke]

Vorhang fällt

{Verw. Mühle Verw. Garten}

VIERTER ACT.

Zimmer bei Brünig.

KONRAD u[nd] BRÜNIG.

BRÜNIG. Kannst immer näher kommen, mein Sohn, wenn du mich in der Christnacht auch

gesehen hast. Warum sollte ich mich denn vor den Tode fürchten, ich bin eine alte Frau.

KONRAD. Mutter, ich habe es Euch schon mehr denn 20 mal gesagt, ich habe Euch nicht

gesehen, niemand [46]

als den Müller!

BRÜNIG. Ja ja, du hättest auch von dem geschwiegen, wenn er dir nicht in den Weg gekommen

wäre! Wo läufst du nur den ganzen Tag herum, das ist nun schon drei Wochen lang so fort

gegangen!

KONRAD. Mutter, laßt mich nur noch ein paar Tage in Ruhe. Künftigen Sontag gehe ich {fort}

und komme nicht wieder!

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BRÜNIG. Thue, was du willst, man sagt der Müller überlebt die Fasten nicht!

KONRAD. Nicht! – Und Marie – –

MARIE kommt ein

Ja, Marie! – – –

MARIE. Erschrickst du vor mir, Konrad! Liebe Brünig, laßt mich einen Augenblick allein; ich

muß mit ihm reden und darf nicht lange vom kranken Vater bleiben. [47]

BRÜNIG. Von Herzen gern, Jungfrau Marie! ab

MARIE. Konrad, ich hätte dich wohl nicht mehr sehen sollen, aber, es hat mit keine Ruhe gelas-

sen.

KONRAD im[m]er ohne sie anzusehen.

[KONRAD.] Marie, ach ich wollte, du wärst nicht gekommen, denn ich weiß nicht, was ich dir

sagen soll! Ich habe übel gethan vor Gott und dir, kaum habe ich den Muth es zu sagen, Marie,

vergieb mir!?

MARIE. Bitte Gott um Vergebung, was würde dir die meinige helfen, wäre ich lieber in die Stadt

gegangen zur Muhme, ach dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Mit dem Vater wird es

alle Tage schlechter, und je schlechter er wird, destomehr wächst sein Grimm gegen uns beide,

er nennt uns nur seine Mörder. Doch wir wollen nicht weiter davon sprechen, ich bin [48]

gekommen, eine Frage an dich zu thun. Bist du wirklich in der Absicht und mit dem bösen

Wunsche, meinen Vater zu sehen, auf den Kirchhof gegangen? Deine Muhme meinte, du hät-

test den Abend mehr denn sonst getrunken und möchtest vielleicht aus Zufall auf dem Kirch-

hof gerathen sein

KONRAD. Nein Marie, der böse Feind zog mich hin.

MARIE. Wenn du nur meinem Vater nicht begegnet wärest, er war schon lange kränklich, viel-

leicht hätte ihn Gott bald zu sich genommen; aber nun stirbt er an dem Gedanken, daß er

sterben muß.

KONRAD imer noch abgewendet. Und darum bin ich sein Mörder, das willst du doch sagen!

MARIE. Nein, das will ich nicht sagen, darüber mag Gott richten! Bereust du es denn nicht Kon-

rad?

KONRAD. Bis in die tiefste Seele, doch es ist nicht [49]

wieder gut zu machen, und darum werde ich auch keine Ruhe mehr haben in dieser Welt. Ach

Marie, ich kann dir nicht sagen, wie mir zu Muthe ist.

MARIE. Konrad, warum siehst du mich nicht an?

KONRAD. Dich? – Ich habe – ich sehe – die Leute nicht mehr viel an, sie fürchten sich alle vor

mir.

MARIE. Ich nicht, Konrad, aber fürchtest du dich vor mein blasses Gesicht?!

KONRAD. Nein, du bist nicht blaß, warst es niemals.

MARIE. Gehe doch, geh Konrad, du hast auch mich gesehn.

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KONRAD. Nein Marie, nein, ich habe dich nicht gesehn, nein, nein! schnell ab

MARIE. Er hat auch mich gesehn! Mein Gott, warum bin ich auf einmal so erschroken? es ist ja

gut, was soll ich denn noch auf der Welt. Ich wußte es schon lange, die Base wollte es nicht

glauben, [50]

und nun ist es doch so! Guter Gott, nimm du mich in Gnaden auf! ab

Verwandlung. Zimmer in der Mühle.

REINHOLD Geldsäcke in beiden Händen. Es muß sein! Sterben muß ich, sterben werde ich, aber

sorgen will ich noch vorher für mein liebstes auf der Welt! Ja! 2000 und einige Hundert! Ihr

schönen blanken Doppelthaler, ihr seid meine Lust gewesen mein lebelang, und nun habe ich

Euch zum letzten Male. Aber es hilft nichts, ihr müßt in die finstere Erde hinunter, denn ich

muß auch in die finstere Erde, aber wir können nicht beisammen bleiben, und so sollt ihr auch

nicht in fremde Hände fallen! Ein glücklicher Einfall, daß ich das noch auf meine Mühle

geborgt habe. Sie denken wohl, ich [51]

werde ihnen die schöne Mühle schuldenfrei hinterlassen, es sind blos 2 Drittheile des Werthes,

aber auf hohe Zinsen. Nun mögen sie sich heirathen, die Mühle können sie doch nicht behal-

ten, können nicht! Erg [!], er ist fleißig und sparsam, ich Narr! Ich will aber einen Fluch über

die Mühle sprechen, damit kein Segen dabei ist. Ja, das will ich!

MARIE ein.

[MARIE.] Vater, was macht Ihr noch auf, ich bitte Euch, geht zu Bette.

REINHOLD. Zu was ins Bette, ich bin nicht krank! Vor 4 Wochen war ich noch ein gesunder,

starker Mann, nur ein bischen kurzathmig und nun bin ich nur noch ein Schatten durch die

Ruchlosigkeit des bösen Buben. Mag er dafür in der Hölle brennen!

MARIE. Die Stube wird kalt, Vater ich bitte Euch, [52]

legt Euch zu Bette!

REINHOLD. Ich will nicht zu Bette gehen, ich will von deiner Hochzeit reden! Ei da werdet ihr

springen und tanzen vor Freude, daß der Alte todt ist!

MARIE. Vater, laßt es gut sein! O Gott Eure Worte! Ich habe Euch doch schon zugesagt und

geschworen, daß wir niemals ein Paar werden.

REINHOLD. Ja. wer ’s glaubt. Ich gebe ihm meinen Fluch, dem bösen Buben!

MARIE. Wer einen Menschen verflucht, greift Gottes Gericht vor, sagt der Herr Rektor. Ich bitte

Euch, Vater, laßt den Herrn Rektor kommen, und berathet Euch mit ihm über Eure Seele.

REINHOLD. Den Rektor mag ich nicht sehen, es hat auch nicht bei mir mahlen lassen; er hat

meinen Dienst verschmäht, so mag ich nun seinen auch nicht!

[53]

MARIE. Es ist die Rede von Eurer Seele Vater!

REINHOLD. Ich bin unbeküm[m]ert um meine Seele, und du brauchst dich auch nicht darum zu

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bekümmern.

MARIE. Vater, ich bitte Euch, bald könnte Euch Gott abrufen aus der Welt, gehet in Euch und

denkt nicht an Verwünschen und Verfluchen!

REINHOLD. Ich will fluchen, und du sollst mit fluchen dem Ruchlosen auf der Stelle! Willst du?

MARIE. Nimmer mehr Vater!

REINHOLD. Nicht? Und wenn ich dir darum meinen Fluch gebe!

MARIE. Der barmherzige Gott wird seine Hand über mich halten, daß mich Euer Fluch nicht

trifft, denn er weiß, ich kann nicht anders.

REINHOLD. Kannst nicht, nun so verfluche ich – –

MARIE. Haltet ein! Vater, ehe der Mond wieder [54]

hell wird, stehen wir vielleicht schon beide vor Gottes Gericht! Konrad hat auch mich gesehn!

REINHOLD erschrocken. Auch gesehn – – – Ich will zu Bette, Marie, gehe auch du! Geh, mein

Kind! Gute Nacht!

MARIE. Gute Nacht, Vater! ab

REINHOLD. Auch gesehn! – So jung, so blutjung, der abscheuliche Bösewicht! Vater und Toch-

ter! – – Aber nein, das sind Lügen, das sagt sie blos, damit ich sie nicht enterben soll. Enter-

ben, der Vater sein einziges Kind, das wäre schlecht! Und wem sollt ich auch mein Geld ver-

machen, der Schwester? – die ist immer gegen mich gewesen. Den Verwandten? – nein, das

thue ich nicht! Der Kirche? – die braucht es nicht – – den Armen – hei, das waren immer

meine Todfeinde, die griegen [55]

gar nichts! Niemand soll mein Geld haben als die finstere Erde, denn ich muß auch hinunter!

ab

Verwandlung. Garten an der Mühle.

KONRAD. Noch einmal, und wenn sie blässer wäre als der Tod, ich muß sie sehen, und dann

nicht wieder! Hier am Zaune blies ich zum letzten Male Wer nur den lieben Gott läßt walten, o

hätte ich ihn walten lassen. Jetzt will und muß ich fort, weit übers Meer , in die neue Welt, und

das Morgen. Noch einmal möchte ich sie sehen, aber wird sie mich auch sehen wollen – sie ist

gewiß noch auf! Ich will sie sehen nur einen Augenblick. ab

REINHOLD mit dem Gelde mühsam. Hat mich doch das bischen Berg so ermüdet, als wenn es der

Grätitsberg wäre! Ja es ist ein schwerer [56]

Gang, wenn man mit seinen Freunden zu Grabe geht. Ich habe vorhin schon hier mit großer

Mühe ein Loch gemacht, denn hier ruht schon einer von meinen Freunden, mein alter treuer

Hund Mordax, er liegt hier begraben. 20 Jahre hat er schon mein Hab und Gut bewacht, er

solls nun wieder bewachen. O er wird ein guter Wächter sein, denn die Leute werden sich

scheuen, das Thier auszugraben. Ich muß ein wenig ruhen, ich muß mich setzen.

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setzt sich daß ihn KONRAD nicht sehen kann

KONRAD ein. Ihre Lampe brennt noch, aber sehen konnte ich sie nicht, ihren Schatten habe ich

gesehen und als ich diesen sah, habe ich ihr alles abgebeten und auf ewig Lebe wohl gesagt.

REINHOLD steht auf. Aber nun frisch an die Abreit, ich fühl ‘s, der Tod könnte kommen, und

dann [57]

fände man mein schönes Geld.

KONRAD sieht ihn. Was ist das?! – – –

REINHOLD erschrickt. Der Tod, der Tod ist da – der Tod!

sinkt um und stirbt

KONRAD. Hilf Gott, das ist der Alte! Gott er wollte hier sein Geld vergraben und sich um die

Ruhe in der Erde bringen! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Ist niemand in der Nähe? Der Schlag hat ihn

gerührt!

KASPAR und DAVID ein

KASPAR. Alle Graupelvetter, was ist denn los, Konrad? Was machst du denn hier bei der Kälte?

KONRAD. Sehet dorthin und helft, Euer Meister ist hier und stirbt!

KASPAR. Wie? unser Meister? Was der tausend – Ja!

DAVID. Geh weg, Kasper, ä möchte uns haun.

KASPAR. Sprich nicht so laut, David, daß er nicht [58]

wieder aufwacht.

DAVID. Du bist gescheid, gut daß ä todt ist!

KONRAD. Bringt ihn hurtig ins Haus!

DAVID. Meinetwegen kann ä liegen bleiben.

KASPAR. I was der Teufel, David, sieh mal her, i da hat er ja seine Geldsäcke.

DAVID. Kaspar, wir wollen ein stehlen!

KASPAR. Du Spitzbube, ich glaube, er käme aus dem Grabe wieder und holte es. Na, die

Begräbnißkosten sind da, es wird wohl für uns auch noch was übrig bleiben! Und was – hier

liegt er, wo sein alter Hund begraben liegt! Also können wir sagen, er ist bis auf den Hund

gekommen. Ach da kommt auch Marie – –

MARIE ein.

[MARIE.] Um Gottes Willen, was geschieht hier!

KASPAR. Der Meister ist gestorben. [59]

MARIE. Mein Vater!

KONRAD. Marie, ach es ist wohl vorbei mit ihm!

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MARIE. Konrad du hier? Fort! fort! Abscheulicher Mörder!

KONRAD. Marie! Marie! Ich – der Mörder –

[Glocke]

Vorhang fällt

{Verw. Mühle}

FÜNFTER ACT.

Gastzimmer

REIMANN, MARGARETHE, KINDER

WIRTH. Ist ‘s denn wahr, daß es mit Marien so schlecht steht?

MARGARETHE. Jawohl, der Doktor hat zur Schulzin gesagt, sie würde wohl den Sonntag nicht

erleben, und der ist schon morgen, sie haben [60]

deshalb auch den Rektor holen lassen, ihr das heilige Abendmahl zu reichen.

WIRTH. Jm! – Vor drei Wochen der Vater, und jetzt die Tochter!

MARGARETHE. Ja, und wenn man vollends bedenkt, wie der alte, Gott steh’ uns bei, da ist es

wohl nicht mit natürlichen Dingen zugegangen.

WIRTH. Die verwünschte Geschichte hat mich um allen frohen Muth gebracht.

MARGARETHE. Nun siehst du, daß die, die das nächste Jahr sterben, zur Christnacht in die Kir-

che gehen.

WIRTH. Ach wer weiß, wie ‘s damit gewesen ist, der arme Konrad, Gott prüft ich hart, wo er nur

sein mag, seit des Müllers Tod hat man nichts wieder von ihm gehört.

MARGARETHE. Laß ihn sein, wo er will, das war [61]

ein ängstliches Leben die 4 Wochen lang, als er hier war, wenn er jemand aus dem Dorfe

ansah, so mußte man immer denken, er hat ihn {einen} zur Christnacht auch gesehn.

WIRTH. Ach dummes Zeug, wer wird an solche Sachen glauben, auch mag ich deshalb dem

Konrad nicht zürnen, denn er hat seinen Fehltritt zu hart gebüßt. Aber du bleibst bei deinem

Sinn, beim Aberglauben.

MARGARETHE. Und da habe ich Recht, Konrad ist in der Christnacht auf den Kirchhof gewe-

sen, um unter denen, die als Geister zur Mitternacht in die Kirche gehen, den alten Müller zu

sehen, das heißt Gott versuchen, und deshalb habe ich mich nach der Zeit immer vor ihn

gefürchtet.

KONRAD langsam ein

Mein Gott, da ist er, der Konrad, kommt Kinder, kommt, seht ihn nicht an, kommt, kommt!

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mit KINDERN ab [62]

KONRAD. Fürchtet sich denn Alles vor mir seit des Müllers Tode, sehet auch ihr mich darauf an,

daß ich schuld sei an seinem schnellen Ende. Nun so kann ich auch hier nicht bleiben. Lebt

wohl Vetter! will gehen.

WIRTH. Halt Konrad, bleibe, ich fürchte mich nicht vor dir, ich denke nicht, du hättest in der

Christnacht auch mich gesehen, wie andere Leute, die dein spurloses Verschwinden nach des

Müllers Tod bis heute in ihrem Aberglauben bestärkte. Sei mir willkom[m]en, ich nehme dich

freudig auf, wie sonst, wenn auch du nicht mit fröhlichem Herzen zu mir kommst. Ich kann

mich recht gut in deine Lage denken, und sehe an deinem abgezehrten Gesicht, wie sehr du

den voreiligen Schritt gebüßt hast.

KONRAD. Vetter, alles wer mich kennt, flieht jetzt meiner Nähe, ich habe nirgends Ruhe, nur du

nimmst [63]

mich freundschaftlich auf, ich danke dir für deine Liebe.

WIRTH. Laß gut sein Konrad, stetze dich ruhig nieder, ich weiß, daß kein böser Sinn deinen

Fehltritt verursachte, an mir sollst du allezeit einen Freund und eine Stütze haben. Nur erzähle

mir, wo bist du seit der Zeit gewesen.

KONRAD. Alles, lieber Vetter, sollt Ihr erfahren. Nach des Müllers Tod suchte ich meinen Trost

in der Arbeit und war als Knappe in einer weit entfernten Mühle, aber ich fand die gesuchte

Ruhe nicht und ging außer Dienst. Im Vorbeigehen schloß ich mich als Musiker einem Cirkus

an, um in dem bunten Treiben desselben meinen Trübsinn zu verbannen; allein ein trauriges

Metier, den Leuten immer ein lustiges Stück aufzuspielen mit Gram im Herzen. Gestern

kamen wir nach Löwenberg, und da hörte ich, [64]

daß Marie sehr krank sei, und wohl sterben müsse würde.

WIRTH. Ja, sie soll sehr krank sein, aber der Mensch denkt, und Gott lenkt. Kommst du denn

direkt die Straße her?

KONRAD. Nein, ich bin schon über eine Stunde hier im Dorfe, ich bin beim Herrn Rektor gewe-

sen, es ist soeben zu Marien gegangen, er will sie bitten, mit zu vergeben, und will mich dann

von hier abholen lassen, wenn sie mich noch einmal sehen will. Ich denke, wenn sie mir verge-

ben hat, und ich sie noch einmal gesehen habe, dann kann ich hinziehen, wo ich hin will. Aber

lieber Vetter, ich möchte dich um etwas bitten?!

WIRTH. Recht gern, nur zu!

Konrad. Als ich ging, hatte ich noch Geld, und ich habe auch die Zeit her gute Verdienste

gehabt, ich will [65]

es dir geben, Vetter, sei so gut und gib es meiner Mutter.

WIRTH. Vetter, hast du denn deine Mutter nicht gesehn, und willst du sie denn nicht auch spre-

chen?

Konrad. Ach nein, Sie hat viel Sorge und Mühe mit mir gehabt, und ich habe es ihr schlecht

vergolten, ihren Segen könnte sie mir doch nicht von Herzen geben, und das Geld würde sie

von mir nicht nehmen.

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WIRTH. Nun Vetter, ich will es thun, aber offen gesagt, du führst doch nicht etwa etwas Böses

im Schild!

KONRAD. O nein, das wollte Gott verhüten!

WIRTH. Aber mit den herumziehenden Musikanten ist es auch nichts, du greifst doch wieder zu

deinem Handwerk.

KONRAD. Nein, ich kann das Waser nicht mehr rauschen und die Mühle nicht mehr klappern

hören,

[66]

dir Vetter will ich ‘s vertrauen, ich werde Soldat.

WIRTH. das ist brav, Soldat! Ja das Sprichwort sagt. Wer nicht Hausvater werden kann, der kann

nichts besseres thun, als Soldat zu werden! Aber da will ich dir vor allen Dingen drei Regeln

geben.

KONRAD. Das thue, aber komm hinaus in die freie Luft,

WIRTH. Meinetwegen, da will ich dir auch zeigen, wie hübsch in meinem Garten schon die

Märzblümchen blühen.

KONRAD. Blühen sie? O ja die blühen alle Jahre wieder auf, nur Marie nicht wieder.

BEIDE ab

Verwandlung. Zimmer in der Mühle.

SCHULZIN u[nd] BRÜNIG führen MARIE weiß gekleidet herein, setzen sie

REKTOR. Thut immer was sie will, es wird ihr nicht schaden. [67]

SCHULZIN. Aber Kind, zu lange darfst du hier nicht bleiben.

MARIE. Solange Ihr wollt, Base, o wie herrlich die Sonne dort untergeht, es muß heuer ein schö-

nes Frühjahr werden.

REKTOR. Ja der Herr ist gnädig und gibt es recht fruchtbar für Felder und Gärten. Und nun

meine Tochter, du hast mich rufen lassen, hast du dich denn mit dem Himmel versöhnt, und

bist du es auch mit allen Menschen?

MARIE. Ich bin es, mir hat Niemand etwas zu Leid gethan.

REKTOR. Da ist aber der Sohn dieser alten Frau, ich weiß als du ihn das letzte Mal gesehn, hast

du ihn hart einen Mörder gescholten.

MARIE. Ja, das war wohl hart! Aber er hat doch meinen Vater in die Grube gebracht! [68]

REKTOR. Deinen Vater hat der Herr abgerufen, Konrad hat nur darin übel gethan, daß er Gott

versuchte, und dafür ist er gestraft durch den Verlust seines irdischen Glückes. Der Mensch

soll aber niemals zürnen, am wenigsten da, wo der Himmel schon gerichtet hat. Also ist es

deine Pflicht, dich mit Konrad zu versöhnen.

MARIE. Wird nicht mein Vater im Grabe mit mir zürnen, wenn ich mich mit seinem ärgsten Fein

versöhne?

REKTOR. Im Grabe ist kein Haß, kein Zorn und keine Feindschaft mehr, du magst vergeben

ohne Furcht, wenn, wie ich hoffe, dein Herz vergeben kann.

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MARIE. Wie gerne, ehrwürdiger Herr, ach da fällt mir ja die letzte Last vom Herzen. Mutter

Brünig, wenn Ihr ihn wieder sehet, so – – –

REKTOR. Willst du es ihm nicht selber sagen, Konrad [69]

ist hier.

BRÜNIG. Mein Sohn hier?

REKTOR. Vor einer Stunde kam er zu mir und ging mich um eine Fürsprache an. Willst du ich

sehen?

MARIE. Ja, ich will ihn sehen!

REKTOR. So geht, liebe Frau, ihr findet ihn bei Eurer Schwester Sohn.

BRÜNIG ab

MARIE. Die Sonne ist hinunter, und der Tag zu Ende.

REKTOR. Aber die Nacht ist nicht lang für den, der auf dem sanften Kissen eines guten Gewis-

sens ruht, und der Tag, der kommen soll, wird heller sein, denn der vergangene.

MARIE. Nicht wahr, ich werde meine Mutter dort wiedersehen?

REKTOR. Das wirst du, meine Tochter! [70]

MARIE. Aber auch den Vater, der ohne Beichte und Abendmahl gestorben ist?

REKTOR. Gottes Gnaden ist ein Brunen, der nie versiegt!

KONRAD u[nd] BRÜNIG ein

REKTOR. Komm näher mein Sohn und empfange die Hand der Versöhnung.

KONRAD. Habt dank, ehrwürdiger Herr! Ach Gott Marie.

MARIE. Konrad, komm her, ich kann nicht sehr laut sprechen, ich habe dich das letzte Mal sehr

hart gescholten, hast du mir vergeben?

KONRAD. Ach Marie, du hast mir nichts zu Leid gethan, vergieb du mir, ich habe dir so viel

Herzeleid angethan, daß du mir nicht vergeben kannst, und bringe dich am Ende noch ins

Grab.

MARIE. Nicht doch Konrad, sterben werde ich freilich, und das recht bald; aber das wußte ich

schon lange, du bist nicht schuld, es ist Gottes Willen, wir

[71]

vergeben einander vom ganzen Herzen und von ganzer Seele, bitte zu Gott wie ich schon

gebeten, daß er uns vergebe Konrad.

KONRAD. Ja!

MARIE. Konrad, ich wünschte, du hättest deine Flöte noch.

KONRAD. Marie, die erste zerbrach ich, aber ich kaufte eine andere.

MARIE. Ach dann spiele mir noch einmal das Lied. Was Gott thut, das ist wohl gethan.

KONRAD. Ach Marie, ich werde vor Weinen nicht mehr blasen können.

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MARIE. Konrad, du wirst doch nicht weinen, daß mich der liebe Gott zu sich nimmt, vergönne

mir die ewige Freude.

KONRAD. Marie, wenn du es willst, will ich es noch [72]

einmal vor deiner Thüre spielen. ab

Adagio

MARIE. Dort hinter dem Vorhange – als ständest du dort – und das Lied – klänge den Berg –

dort oben – – – herunter – – stirbt

REKTOR. Sie ist entschlafen in dem Herrn!

[Glocke]

Vorhang fällt

FINIS

Geschrieben von E[rnst] Trommer am Weihnachtsabend 1892.