Der Mythos der „sauberen Wehrmacht“

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Améry, J. (1966): Jenseits von Schuld und Sühne. Bewälgungsversuche eines Überwälgten. 2. Auflage. Szczesny Verlag: München. | Arani, M. Y. (2002): „Und an den Fotos entzündete sich die Krik“. Die „Wehrmachtsausstellung“, deren Kriker und die Neukonzepon. Ein Beitrag aus fotohistorisch-quellenkrischer Sicht. In: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhek der Fotografie. Heſt 85/86. Jonas Verlag: Marburg, S. 97 — 124. | Arendt, H. (1976): Organisierte Schuld. In: Die Wandlung, 1 (1946): S. 333 —344; wieder abgedruckt in: diess.: Die Verborgene Tradion. Frankfurt am Main. | Assmann, A. (2006): Der lange Schaen der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolik. München. | Assmann, A., Frevert, U. (1999): Geschichtsvergessenheit — Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stugart. | Assmann, J. (1988): Kollekves Gedächtnis und kulturelle Identät. In: Assmann, J., Hölscher T (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Suhrkamp: Frankfurt am Main, S. 9 — 19. | Bartov, Omer u. a. (2000): Bericht der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1945.“ Hamburger Instut für Sozialforschung: Hamburg. | Bald, D. (2005): Adenauers Geheimnis. hps://www.zeit.de/2005/23/50_Jahre_BuWe (Stand 23.06.2019) | Browning, C. (1993): Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Reinbek bei Hamburg. | Dönitz, K. (1945): Radio unterm Hakenkreuz von 1933 bis 1945. CD 1, Teil 15. hps://www.youtube.com/watch?v=8mPoILVkrJI (Stand 23.06.2019). | Fischer, T., Lorenz M. N. (Hrsg.) (2015): Deutsche Opfernarrave. In: Lexikon der „Vergangenheitsbewälgung“ in Deutschland: Debaen- und Diskursgeschichte des Naonalsozialismus nach 1945. 3. Auflage. Transcript Verlag: Berlin, S. 364 — 385. | Grimann, E., Pater, M. (2000): Wider die Erinnerung – der mediale Diskurs um die Ausstellung „Vernichtungskrieg“. Leske + Budrich: Opladen. | Hartmann, C. (2004): Verbrecherischer Krieg — verbrecherische Wehrmacht? Überlegungen zur Struktur des deutschen Ostheeres 1941 — 1944. In: Vierteljahrsheſte für Zeitgeschichte, Heſt 1. Instut für Zeitgeschichte: München. | Heer, H. (1995): Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Parsanenkampf. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edion HIS Verlag: Hamburg, S. 104 — 156. | Heer, H. (2014): Wie kann man die Geschichte des Holocaust und des Vernichtungskrieges erzählen? Über Erinnerungspolik in einer erinnerungsresistenten Gesellschaſt. In: Obermair, H., Michielli, S. (Hrsg.): Erinnerungskulturen des 20. Jahrhunderts im Vergleich. Bolzano, S. 115 — 153. | Heer, H. (2015): Das Ende vom Mythos der „sauberen Wehrmacht“ - Hannes Heer über die erste Wehrmachtsausstellung. hps://www.youtube.com/ watch?v=lwGGETsKbU8 (Stand 23.06.2019). | Heer, H., Naumann, K. (Hrsg.) (1995): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edion des HIS Verlag: Hamburg. | Jaspers, K. (1979): Die Schuldfrage. Für Völkermord gibt es keine Verjährung. München, S. 12 — 93. | Keßelring, Agilolf (2017): Die Organisaon Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik. Ch. Links Verlag: Berlin. | Klose, M. (2017): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Rezepon und Reakonen im Kontext von persönlicher Erfahrung und familiärer Erinnerung. Bachelorarbeit, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. | Kniel, H. (1967): Der Roman in der deutschen Illustrierten 1946-1962. Freie Universität Berlin. | Knopp, G. (1995): Hitler — Eine Bilanz (sechsteilig). Universum Film GmbH: München. | Krischer, M., Vernier, R. (1997): WEHRMACHTSAUSSTELLUNG: Warnung vor „Bild 26“. hps://www.focus.de/polik/deutschland/wehrmachtsausstellung-warnung-vor-bild-26_aid_165477.html (Stand 23.06.2019). | Latzel, K. (1995): Tourismus und Gewalt. Kriegswahrnehmung in Feldpostbriefen. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edion HIS Verlag: Hamburg, S. 447 — 459. | Liebsch, B. (2000): Trauer als Gewissen der Geschichte. In: ders., Jörn Rüsen (Hrsg.): Trauer und Geschichte. Köln, S. 15 — 62. | Monath, H. (1999): Falsche Bilder, echte Gefühle — Die Wehrmachtsausstellung muss nun überprüfen, was sie zeigt und erzeugt (Kommentar). hps://www.tagesspiegel.de/kultur/falsche-bilder-echte-gefuehle-die-wehrmachtsausstellung-muss-nun-ueberpruefen-was- sie-zeigt-und-erzeugt-kommentar/99634.html (Stand 23.06.2019). | O.A. (2016): Hannes Heer im Interview: „Es bräuchte eine neue Wehrmachtsausstellung“. hps://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_arkel,-Es-braeuchte-eine-neue-Wehrmachtsausstellung-_arid,1296071.html (Stand: 23.06.2019). | O.A. (1999): Kampagne gegen Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Anfaschissches Infobla (AIB 48 / 3.1999). hps://www.anfainfobla.de/arkel/kampagne-gegen-ausstellung-verbrechen-der-wehrmacht (Stand 23.06.2019). | Römer, F. (2012): Kameraden. Die Wehrmacht von innen. Bundeszentrale für polische Bildung: Bonn. | Rosenthal, G. (1995): Vom Krieg erzählen, von den Verbrechen schweigen. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edion HIS Verlag: Hamburg, S. 651 — 663. | Rosenthal, G. (1990): „Als der Krieg kam, hae ich mit Hitler nichts mehr zu tun“: zur Gegenwärgkeit des „Drien Reiches“ in Biographien. Leske + Budrich: Opladen. | Schönemann, S. (2016): Visualisierte Geschichte und Alltagsgedächtnis. Empirische Befunde über die Bedeutung der Geschichtssozialisaon bei der Rezepon von Fotografien des Holocaust. hps://www. academia.edu/36965748/Visualisierte_Geschichte_und_Alltagsged%C3%A4chtnis._Empirische_Befunde_%C3%BCber_die_Bedeutung_der_Geschichtssozialisaon_bei_der_Rezepon_von_Fotografien_des_Holocaust_2016 (Stand 23.06.2019). | Schornstheimer, M. (1995): „Harmlose Idealisten und draufgängerische Soldaten“ Militär und Krieg in den Illustriertenromanen der fünfziger Jahre. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edion HIS Verlag: Hamburg, S. 634 — 650. | Welzer, H. u. a. (2002): Opa war kein Nazi. Naonalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main. | Zipfel, G. (1995): Wie führen Frauen Krieg? In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edion HIS Verlag: Hamburg, S. 460 — 474. Der Mythos der „sauberen Wehrmacht“ Wie kam es zu der Konstruktion dieser Legende, die generationenübergreifend wirksam war? D ie Wehrmacht und ihre über 18 Millionen Angehörigen aus dem Kontext der NS-Verbre- chen, die alleine in der Sowjetunion schätzungsweise 17 Millionen zivile Menschenleben forderten, auszugrenzen, ist wissenschaſtlich schon lange nicht mehr haltbar. Enge Verstrickun- gen zwischen der Wehrmachtsführung, aber auch zwischen einfachen Soldaten und dem NS-Re- gime, sind, wie auch die millionenfache Beteiligung an Kriegsverbrechen, nachgewiesen. Deshalb geht es nicht mehr darum, diesen Mythos, der auch heute noch in Teilen der Polik sowie in der deutschen Erinnerungskultur aufrechterhalten wird, zu widerlegen, sondern viel- mehr darum, Gründe dafür zu finden, weshalb dieser Mythos erst 50 Jahre nach Kriegsende in der deutschen Öffentlichkeit hinterfragt und widerlegt wurde. Dafür wurden diverse historische Quellen, hier u. a. Interviews mit deutschen Kriegsteilnehmern und Holocaust-Überlebenden sowie Analysen zum Thema der Opfernarrave im Nachkriegsdeutschland, mithilfe der Theorie des „kollekven Gedächtnisses“ von Jan Assmann, untersucht. Wie konnte die deutsche Polik nach 1945 und die Erinnerungskultur in Deutschland zu der Konstrukon dieser Legende beitragen? Forschungskontext Das „kollektive Gedächtnis“ von J. Assmann Das kommunikative Gedächtnis Das kulturelle Gedächtnis X Beruht auf Alltagsnähe und Alltags- kommunikaon. X Die spezifische Prägung eines Men- schen bzw. seines kommunikaven Gedächtnisses entsteht durch Sozi- alisaon und Überlieferung. X Beschränkter Zeithorizont, der die letzten 80 bis 100 Jahre umfasst und mit dem fortschreitenden Gegen- wartspunkt mitwandert. Z D.h.: Das kommunikave Gedächt- nis konstruiert sich in der Kommu- nikaon mit anderen und besteht über die letzten 3 bis 4 Generao- nen hinweg. X Durch Alltagsferne geprägt. X Das kollekv geteilte Wissen einer Gesellschaſt wird im kulturellen Ge- dächtnis vermielt und objekviert (z.B. in Form von Schriſten, Riten, Bildern oder Zeremonien). X Besitzt gruppenspezifische Fixpunk - te, die nicht mitwandern. X Das Wissen ist von Kultur zu Kultur und von Epoche zu Epoche verschie- den und kann Jahrtausende zurück- reichen. Z „Die einen erinnern sich an die Ver- gangenheit aus Angst, von ihrem Vorbild abzuweichen, die anderen aus Angst sie wiederholen zu müs- sen“ (Assmann, J. 1988: 16). Literatur Methodisches Vorgehen eorie des kollektiven Gedächtnisses 1 ¹ 8. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht. ² Viele Faktoren, die zu der (selektiven) privaten Erinnerungskultur in Deutschland beigetragen haben, lassen sich in den ersten Nachkriegsjahren und in der politischen Situation der neugegründeten BRD wiederfinden. Die Umstände des Kalten Krieges und die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO trugen dazu bei, dass die Wehrmacht bereits 1951 bzw. 1952 von Adenauer als „rehabilitiert“ erklärt wurde. Die ehemaligen Soldaten wurden für die Gründung der Bundeswehr benötigt, weshalb Ade- nauer in einer Ehrenerklärung verkündete, dass alle Soldaten, die ehrenvoll für ihr Heimatland kämpften, von der BRD anerkannt werden. Juristisch verurteilt wurden nur 0,05% der Wehrmachtsangehörigen — was einen „Freispruch“ für die restlichen Soldaten implizierte. Damit wurde bereits 5 Jahre nach Kriegsende ein wichtiger Faktor für die Konstruktion der Legende der „sauberen Wehrmacht“ geschaffen. ³ In den 1950er Jahren erlangten Geschichten über den deutschen Soldatenalltag eine große Popularität in der deutschen Bevölkerung. Geschichten in Illustriertenmagazinen oder Nachkriegsromanen wurden millionenfach gelesen und stellten neben dem Radio das beliebteste Medium dieser Zeit dar. Problematisch war dabei, dass sich in den Geschichten eine Vielzahl deutscher Opfernarrative wiederfinden ließen und niemals von der Rolle des deutschen Soldaten als Täter berichtet wurde. Diese sehr selektiven Darstellungen trugen in vielen Fällen zu der Konstruktion dieser Legende bei bzw. verzichteten sie zumindest auf sämtliche Darstellungsmöglichkeiten, die Deutsche ebenfalls in einer verbrecherischen Täterrolle zeigen könnten. ⁴ Der Kniefall von Willy Brandt 1970 in Warschau, als Geste der Schuld, deutet 25 Jahre später darauf hin, dass nicht nur wenige hochrangige Nazis die Schuldigen waren und legt die Vermutung eines kollektiven Schuldgefühls nahe. Zeitgeschichtliche Dokumentationen, wie z.B. die von Guido Knopp im ZDF trugen ebenfalls dazu bei, dass die deutsche Erinnerungskultur ohne wirkliche Gedanken an eine kollektive Schuld fortgeführt wurde — u.a. deshalb, da in ihr häufig „authen- tisch“ wirkende Zeitzeug*innen zu Wort kamen, die sich im Sinne des „kollektiven Gedächtnisses“ schon zu sehr an das deutsche Opfernarrativ gewöhnt hatten. ⁶ In der Zeit der Wiedervereinigung sind viele neue Dokumente und Akten zu den Verbrechen der Wehrmachtsangehörigen aufgetaucht oder zur Analyse freigegeben worden. ⁷ In der ersten Wehrmachtsausstellung 1995 wurde das Bild der verbrecherischen Wehrmacht dem Mythos der „sauberen Wehrmacht“ gegenübergestellt, was zu seiner endgültigen wissenschaftlichen Widerlegung führte. 50 Jahre nach Kriegsende kam es das erste mal zu einem großen öffentlichen Diskurs um die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Trotz der Widerlegung gab es viele kritische Stimme gegen die Ausstellung: Die private Erinnerung vieler Deutscher führte dazu, dass ihr verinner- lichtes Bild, des unschuldigen, selbst zum Opfer des Systems gewordenen Wehrmachtssoldaten, im Widerspruch zu den Präsentationen der Ausstellung standen. Analyse deutscher Opfernarrative (M. Schornstheimer, T. Fischer & M.N. Lorenz) Analyse qualitativer Interviews (G. Rosenthal, M. Klose) X In Illustriertenzeitschriſten („der Stern“ und „Quick“) und Romanen der 1950er Jahre (geschätzte wöchentliche Le- ser*innenreichweite von 20 Millionen). o In den zeitgeschichtlichen Dokumenta- onsfilmen Guido Knopps. Z Ziel: Welchen Einfluss nahmen Lite- ratur und Medien nach 1945 auf die Konstrukon der Rolle der Deutschen bzw. der Rolle der Wehrmacht im Na- onalsozialismus? X Auswertung der Interviews mit Kriegs- teilnehmern und deren Verfolgten mit- hilfe der Interpretaonen Rosenthals. o Vergleich dieser Interviews mit Befra- gungen der Generaon der „Kriegsen- kel“. Z Ziel: Wie stark war der Mythos (ge- neraonenübergreifend) durch die private Erinnerungskultur im Sinne des „kommunikaven Gedächtnis- ses“ beeinflusst worden? Forschungsergebnisse Ausblick X Die Mitläufer und Täter verfolgten mit ihren Erzählungen das Ziel, ihre eigene und die kol- lekve Verstrickung im NS-System zu verhüllen. X Die Überlebenden der Shoah versuchten, sofern sie sich ihren traumaschen Erfahrungen stellen und über sie sprechen konnten, die kollekve deutsche Schuld zu enthüllen. X Schuld, Legimaonsstrategien und traumasche Erlebnisse werden im Sinne des kommu- nikaven Gedächtnisses an die nachfolgenden Generaonen weitergegeben. X Die Literatur der 50er Jahre unterstützte die Verhüllungsstrategien, während Guido Knopps Dokumentaonen der 80er und 90er Jahre krischer waren, aber dennoch Opfernarrave reproduzierten. Z Die polische Situaon nach 1945 trug maßgeblich zu der Konstrukon bei². Z Das persönliche Erinnern stellt einen „dynamischen Prozess“ dar und orienerte sich meist an den Ereignissen der Vergangenheit, die zu einem posiven Selbstbild beitragen — diese Art der Vergangenheitsaufarbeitung sei hinsichtlich der vielen Opfer des NS-Regimes „un- tauglich“. (Assmann, A. 2006: 175; Heer, H. 2014: 122). 2 3 4 5 6 7 Polikwissenschaſtliche Analyse der polischen Fakto- ren, die nach 1945 zu der Legende beigetragen haben. Betrachtung erziehungs- und kulturwissenschaſtlicher Annahmen hinsichtlich der Konstrukon (deutscher) Er- innerungen. Interdisziplinäre Zusammenhänge Abb. 3 bis 5: Diese drei Fotografien entstanden 1941 in Minsk und zeigen, wie deutsche Soldaten sowjesche Widerstandskämpfer*innen erhängen. Diese Bilder wurden auch in der ersten Wehrmachtsausstellung 1995 präsenert (Abb. 3: M. Romm, 1965; Abb. 4 und 5: Presseagentur Novos, Moskau. Fotos entnommen aus: Heer, H., Naumann, K. (Hrsg.) 1995: 483). Abb. 1: Jugendliche demonstrieren Ende der 90er Jahre auf einer Protestaktion extrem rechter Aktivist*innen gegen die Ausstellung „Vernich- tungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung: „Mein Opa war kein Mörder! Ich trete für ihn ein!“ (C. Ditsch, antifainfoblatt.de) Abb. 2: Eines der vielen Titelbilder der populären Nachkriegs- literatur und -zeitschriſten (Hier: Der Stern, 14.12. 1957, Gruner + Jahr). X Die private, häufig durch Auslassungen geprägte, Erinnerungskultur in Deutsch- land sowie die polische Situaon² haben maßgeblich zu der Konstrukon des Mythos und seiner Manifeserung beigetragen. X Obwohl es auch vor 70 Jahren schon viele, meist jüdische, Smmen gab, die sich gegen die deutsche Erinnerungspraxis aussprachen: „[Das] deutsche Volk [...] [muss] Verantwortung tragen für jene 12 Jahre, die es ja nicht selber endigte“ (Améry, J. 1966: 122. Améry überlebte vier KZs und wählte 1978 den Freitod). X Ein (selbst-)krisch-reflexiver Umgang mit der eigenen sowie mit der kollek- ven Erinnerung, hier vor dem Hintergrund der Sozialisaon in einer deutschen Familie, ist unverzichtbar. Lehrforschungsprojekt: Deutsche Erinnerung — Naonalsozialismus. Georg-August-Universität Göngen, Sozialwissenschaſtliche Fakultät, SoSe 2019. Postergestaltung: Frederik Rix. Forschungsfrage:

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Page 1: Der Mythos der „sauberen Wehrmacht“

Améry, J. (1966): Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. 2. Auflage. Szczesny Verlag: München. | Arani, M. Y. (2002): „Und an den Fotos entzündete sich die Kritik“. Die „Wehrmachtsausstellung“, deren Kritiker und die Neukonzeption. Ein Beitrag aus fotohistorisch-quellenkritischer Sicht. In: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie. Heft 85/86. Jonas Verlag: Marburg, S. 97 — 124. | Arendt, H. (1976): Organisierte Schuld. In: Die Wandlung, 1 (1946): S. 333 —344; wieder abgedruckt in: diess.: Die Verborgene Tradition. Frankfurt am Main. | Assmann, A. (2006): Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München. | Assmann, A., Frevert, U. (1999): Geschichtsvergessenheit — Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart. | Assmann, J. (1988): Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Assmann, J., Hölscher T (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Suhrkamp: Frankfurt am Main, S. 9 — 19. | Bartov, Omer u. a. (2000): Bericht der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1945.“ Hamburger Institut für Sozialforschung: Hamburg. | Bald, D. (2005): Adenauers Geheimnis. https://www.zeit.de/2005/23/50_Jahre_BuWe (Stand 23.06.2019) | Browning, C. (1993): Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen. Reinbek bei Hamburg. | Dönitz, K. (1945): Radio unterm Hakenkreuz von 1933 bis 1945. CD 1, Teil 15. https://www.youtube.com/watch?v=8mPoILVkrJI (Stand 23.06.2019). | Fischer, T., Lorenz M. N. (Hrsg.) (2015): Deutsche Opfernarrative. In: Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland: Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. 3. Auflage. Transcript Verlag: Berlin, S. 364 — 385. | Grittmann, E., Pater, M. (2000): Wider die Erinnerung – der mediale Diskurs um die Ausstellung „Vernichtungskrieg“. 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(1995): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edition des HIS Verlag: Hamburg. | Jaspers, K. (1979): Die Schuldfrage. Für Völkermord gibt es keine Verjährung. München, S. 12 — 93. | Keßelring, Agilolf (2017): Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik. Ch. Links Verlag: Berlin. | Klose, M. (2017): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Rezeption und Reaktionen im Kontext von persönlicher Erfahrung und familiärer Erinnerung. Bachelorarbeit, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. | Knittel, H. (1967): Der Roman in der deutschen Illustrierten 1946-1962. Freie Universität Berlin. | Knopp, G. (1995): Hitler — Eine Bilanz (sechsteilig). Universum Film GmbH: München. | Krischer, M., Vernier, R. (1997): WEHRMACHTSAUSSTELLUNG: Warnung vor „Bild 26“. https://www.focus.de/politik/deutschland/wehrmachtsausstellung-warnung-vor-bild-26_aid_165477.html (Stand 23.06.2019). | Latzel, K. (1995): Tourismus und Gewalt. Kriegswahrnehmung in Feldpostbriefen. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edition HIS Verlag: Hamburg, S. 447 — 459. | Liebsch, B. (2000): Trauer als Gewissen der Geschichte. In: ders., Jörn Rüsen (Hrsg.): Trauer und Geschichte. Köln, S. 15 — 62. | Monath, H. (1999): Falsche Bilder, echte Gefühle — Die Wehrmachtsausstellung muss nun überprüfen, was sie zeigt und erzeugt (Kommentar). https://www.tagesspiegel.de/kultur/falsche-bilder-echte-gefuehle-die-wehrmachtsausstellung-muss-nun-ueberpruefen-was-sie-zeigt-und-erzeugt-kommentar/99634.html (Stand 23.06.2019). | O.A. (2016): Hannes Heer im Interview: „Es bräuchte eine neue Wehrmachtsausstellung“. https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-Es-braeuchte-eine-neue-Wehrmachtsausstellung-_arid,1296071.html (Stand: 23.06.2019). | O.A. (1999): Kampagne gegen Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Antifaschistisches Infoblatt (AIB 48 / 3.1999). https://www.antifainfoblatt.de/artikel/kampagne-gegen-ausstellung-verbrechen-der-wehrmacht (Stand 23.06.2019). | Römer, F. (2012): Kameraden. Die Wehrmacht von innen. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn. | Rosenthal, G. (1995): Vom Krieg erzählen, von den Verbrechen schweigen. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edition HIS Verlag: Hamburg, S. 651 — 663. | Rosenthal, G. (1990): „Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun“: zur Gegenwärtigkeit des „Dritten Reiches“ in Biographien. Leske + Budrich: Opladen. | Schönemann, S. (2016): Visualisierte Geschichte und Alltagsgedächtnis. Empirische Befunde über die Bedeutung der Geschichtssozialisation bei der Rezeption von Fotografien des Holocaust. https://www.academia.edu/36965748/Visualisierte_Geschichte_und_Alltagsged%C3%A4chtnis._Empirische_Befunde_%C3%BCber_die_Bedeutung_der_Geschichtssozialisation_bei_der_Rezeption_von_Fotografien_des_Holocaust_2016 (Stand 23.06.2019). | Schornstheimer, M. (1995): „Harmlose Idealisten und draufgängerische Soldaten“ Militär und Krieg in den Illustriertenromanen der fünfziger Jahre. In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edition HIS Verlag: Hamburg, S. 634 — 650. | Welzer, H. u. a. (2002): Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main. | Zipfel, G. (1995): Wie führen Frauen Krieg? In: Heer, H., Naumann. K. (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944. Hamburger Edition HIS Verlag: Hamburg, S. 460 — 474.

Der Mythos der „sauberen Wehrmacht“Wie kam es zu der Konstruktion dieser Legende, die generationenübergreifend wirksam war?

Die Wehrmacht und ihre über 18 Millionen Angehörigen aus dem Kontext der NS-Verbre-chen, die alleine in der Sowjetunion schätzungsweise 17 Millionen zivile Menschenleben

forderten, auszugrenzen, ist wissenschaftlich schon lange nicht mehr haltbar. Enge Verstrickun-gen zwischen der Wehrmachtsführung, aber auch zwischen einfachen Soldaten und dem NS-Re-gime, sind, wie auch die millionenfache Beteiligung an Kriegsverbrechen, nachgewiesen.

Deshalb geht es nicht mehr darum, diesen Mythos, der auch heute noch in Teilen der Politik sowie in der deutschen Erinnerungskultur aufrechterhalten wird, zu widerlegen, sondern viel-mehr darum, Gründe dafür zu finden, weshalb dieser Mythos erst 50 Jahre nach Kriegsende in der deutschen Öffentlichkeit hinterfragt und widerlegt wurde. Dafür wurden diverse historische Quellen, hier u. a. Interviews mit deutschen Kriegsteilnehmern und Holocaust-Überlebenden sowie Analysen zum Thema der Opfernarrative im Nachkriegsdeutschland, mithilfe der Theorie des „kollektiven Gedächtnisses“ von Jan Assmann, untersucht.

Forschungsfrage: Wie konnte die deutsche Politik nach 1945 und die Erinnerungskultur in Deutschland zu der Konstruktion dieser Legende beitragen?

Forschungskontext

Das „kollektive Gedächtnis“ von J. Assmann

Das kommunikative Gedächtnis Das kulturelle Gedächtnis

X Beruht auf Alltagsnähe und Alltags-kommunikation.

X Die spezifische Prägung eines Men-schen bzw. seines kommunikativen Gedächtnisses entsteht durch Sozi-alisation und Überlieferung.

X Beschränkter Zeithorizont, der die letzten 80 bis 100 Jahre umfasst und mit dem fortschreitenden Gegen-wartspunkt mitwandert.

Z D.h.: Das kommunikative Gedächt-nis konstruiert sich in der Kommu-nikation mit anderen und besteht über die letzten 3 bis 4 Generatio-nen hinweg.

X Durch Alltagsferne geprägt. X Das kollektiv geteilte Wissen einer

Gesellschaft wird im kulturellen Ge-dächtnis vermittelt und objektiviert (z.B. in Form von Schriften, Riten, Bildern oder Zeremonien).

X Besitzt gruppenspezifische Fixpunk-te, die nicht mitwandern.

X Das Wissen ist von Kultur zu Kultur und von Epoche zu Epoche verschie-den und kann Jahrtausende zurück-reichen.

Z „Die einen erinnern sich an die Ver-gangenheit aus Angst, von ihrem Vorbild abzuweichen, die anderen aus Angst sie wiederholen zu müs-sen“ (Assmann, J. 1988: 16).

Literatur

Methodisches VorgehenTheorie des kollektiven

Gedächtnisses

1

¹ 8. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht.² Viele Faktoren, die zu der (selektiven) privaten Erinnerungskultur in Deutschland beigetragen haben, lassen sich in den ersten Nachkriegsjahren und in der politischen Situation der neugegründeten BRD wiederfinden. Die Umstände des Kalten Krieges

und die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO trugen dazu bei, dass die Wehrmacht bereits 1951 bzw. 1952 von Adenauer als „rehabilitiert“ erklärt wurde. Die ehemaligen Soldaten wurden für die Gründung der Bundeswehr benötigt, weshalb Ade-nauer in einer Ehrenerklärung verkündete, dass alle Soldaten, die ehrenvoll für ihr Heimatland kämpften, von der BRD anerkannt werden. Juristisch verurteilt wurden nur 0,05% der Wehrmachtsangehörigen — was einen „Freispruch“ für die restlichen Soldaten implizierte. Damit wurde bereits 5 Jahre nach Kriegsende ein wichtiger Faktor für die Konstruktion der Legende der „sauberen Wehrmacht“ geschaffen.

³ In den 1950er Jahren erlangten Geschichten über den deutschen Soldatenalltag eine große Popularität in der deutschen Bevölkerung. Geschichten in Illustriertenmagazinen oder Nachkriegsromanen wurden millionenfach gelesen und stellten neben dem Radio das beliebteste Medium dieser Zeit dar. Problematisch war dabei, dass sich in den Geschichten eine Vielzahl deutscher Opfernarrative wiederfinden ließen und niemals von der Rolle des deutschen Soldaten als Täter berichtet wurde. Diese sehr selektiven Darstellungen trugen in vielen Fällen zu der Konstruktion dieser Legende bei bzw. verzichteten sie zumindest auf sämtliche Darstellungsmöglichkeiten, die Deutsche ebenfalls in einer verbrecherischen Täterrolle zeigen könnten.

⁴ Der Kniefall von Willy Brandt 1970 in Warschau, als Geste der Schuld, deutet 25 Jahre später darauf hin, dass nicht nur wenige hochrangige Nazis die Schuldigen waren und legt die Vermutung eines kollektiven Schuldgefühls nahe.⁵ Zeitgeschichtliche Dokumentationen, wie z.B. die von Guido Knopp im ZDF trugen ebenfalls dazu bei, dass die deutsche Erinnerungskultur ohne wirkliche Gedanken an eine kollektive Schuld fortgeführt wurde — u.a. deshalb, da in ihr häufig „authen-

tisch“ wirkende Zeitzeug*innen zu Wort kamen, die sich im Sinne des „kollektiven Gedächtnisses“ schon zu sehr an das deutsche Opfernarrativ gewöhnt hatten.⁶ In der Zeit der Wiedervereinigung sind viele neue Dokumente und Akten zu den Verbrechen der Wehrmachtsangehörigen aufgetaucht oder zur Analyse freigegeben worden.⁷ In der ersten Wehrmachtsausstellung 1995 wurde das Bild der verbrecherischen Wehrmacht dem Mythos der „sauberen Wehrmacht“ gegenübergestellt, was zu seiner endgültigen wissenschaftlichen Widerlegung führte. 50 Jahre nach Kriegsende kam

es das erste mal zu einem großen öffentlichen Diskurs um die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Trotz der Widerlegung gab es viele kritische Stimme gegen die Ausstellung: Die private Erinnerung vieler Deutscher führte dazu, dass ihr verinner-lichtes Bild, des unschuldigen, selbst zum Opfer des Systems gewordenen Wehrmachtssoldaten, im Widerspruch zu den Präsentationen der Ausstellung standen.

Analyse deutscher Opfernarrative

(M. Schornstheimer, T. Fischer & M.N. Lorenz)

Analyse qualitativer Interviews

(G. Rosenthal, M. Klose)

X In Illustriertenzeitschriften („der Stern“ und „Quick“) und Romanen der 1950er Jahre (geschätzte wöchentliche Le-ser*innenreichweite von 20 Millionen). o In den zeitgeschichtlichen Dokumenta-tionsfilmen Guido Knopps.

Z Ziel: Welchen Einfluss nahmen Lite-ratur und Medien nach 1945 auf die Konstruktion der Rolle der Deutschen bzw. der Rolle der Wehrmacht im Na-tionalsozialismus?

X Auswertung der Interviews mit Kriegs-teilnehmern und deren Verfolgten mit-hilfe der Interpretationen Rosenthals. o Vergleich dieser Interviews mit Befra-gungen der Generation der „Kriegsen-kel“.

Z Ziel: Wie stark war der Mythos (ge-nerationenübergreifend) durch die private Erinnerungskultur im Sinne des „kommunikativen Gedächtnis-ses“ beeinflusst worden?

Forschungsergebnisse

Ausblick

X Die Mitläufer und Täter verfolgten mit ihren Erzählungen das Ziel, ihre eigene und die kol-lektive Verstrickung im NS-System zu verhüllen.

X Die Überlebenden der Shoah versuchten, sofern sie sich ihren traumatischen Erfahrungen stellen und über sie sprechen konnten, die kollektive deutsche Schuld zu enthüllen.

X Schuld, Legitimationsstrategien und traumatische Erlebnisse werden im Sinne des kommu-nikativen Gedächtnisses an die nachfolgenden Generationen weitergegeben.

X Die Literatur der 50er Jahre unterstützte die Verhüllungsstrategien, während Guido Knopps Dokumentationen der 80er und 90er Jahre kritischer waren, aber dennoch Opfernarrative reproduzierten.

Z Die politische Situation nach 1945 trug maßgeblich zu der Konstruktion bei². Z Das persönliche Erinnern stellt einen „dynamischen Prozess“ dar und orientierte sich meist

an den Ereignissen der Vergangenheit, die zu einem positiven Selbstbild beitragen — diese Art der Vergangenheitsaufarbeitung sei hinsichtlich der vielen Opfer des NS-Regimes „un-tauglich“. (Assmann, A. 2006: 175; Heer, H. 2014: 122).

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Politikwissenschaftliche Analyse der politischen Fakto-ren, die nach 1945 zu der Legende beigetragen haben.

Betrachtung erziehungs- und kulturwissenschaftlicher Annahmen hinsichtlich der Konstruktion (deutscher) Er-innerungen.

Interdisziplinäre Zusammenhänge

Abb. 3 bis 5: Diese drei Fotografien entstanden 1941 in Minsk und zeigen, wie deutsche Soldaten sowjetische Widerstandskämpfer*innen erhängen. Diese Bilder wurden auch in der ersten Wehrmachtsausstellung 1995 präsentiert (Abb. 3: M. Romm, 1965; Abb. 4 und 5: Presseagentur Novosti, Moskau. Fotos entnommen aus: Heer, H., Naumann, K. (Hrsg.) 1995: 483).

Abb. 1: Jugendliche demonstrieren Ende der 90er Jahre auf einer Protestaktion extrem rechter Aktivist*innen gegen die Ausstellung „Vernich-tungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 — 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung: „Mein Opa war kein Mörder! Ich trete für ihn ein!“ (C. Ditsch, antifainfoblatt.de)

Abb. 2: Eines der vielen Titelbilder der populären Nachkriegs-literatur und -zeitschriften (Hier: Der Stern, 14.12. 1957, Gruner + Jahr).

X Die private, häufig durch Auslassungen geprägte, Erinnerungskultur in Deutsch-land sowie die politische Situation² haben maßgeblich zu der Konstruktion des Mythos und seiner Manifestierung beigetragen.

X Obwohl es auch vor 70 Jahren schon viele, meist jüdische, Stimmen gab, die sich gegen die deutsche Erinnerungspraxis aussprachen: „[Das] deutsche Volk [...] [muss] Verantwortung tragen für jene 12 Jahre, die es ja nicht selber endigte“ (Améry, J. 1966: 122. Améry überlebte vier KZs und wählte 1978 den Freitod).

X Ein (selbst-)kritisch-reflexiver Umgang mit der eigenen sowie mit der kollekti-ven Erinnerung, hier vor dem Hintergrund der Sozialisation in einer deutschen Familie, ist unverzichtbar.

Lehrforschungsprojekt: Deutsche Erinnerung — Nationalsozialismus. Georg-August-Universität Göttingen, Sozialwissenschaftliche Fakultät, SoSe 2019. Postergestaltung: Frederik Rix.

Forschungsfrage: