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DER ÖFFENTLICHE SEKTOR FORSCHUNGS- MEMORANDEN 3-4/2004 Ursachen und Auswirkungen staatlicher Regulierung und Deregulierug auf das Eisenbahnwesen - ein historischer Überblick von Helge Molin Öffentlicher Verkehr in Österreich - Geldvernichtungsmaschine oder Sytemnot- wendigkeit? von Leonhard Höfler Wettbewerb in der Wasserwirtschaft - Überlegungen zur Chancengleichheit von öffentlichen und privaten Unternehmen von Ulrich Scheele Private Versorger und lokale Behörden - 20 Jahre privatisierte Wasserwirt- schaft in Frankreich von Pierre van de Vyver Trinkwassergewinnung im Mittleren Osten und in Nordafrika - ein Techno- logie- und Kostenvergleich für Iran, Jordanien, Libyen und Tunesien von Lisa Liebert Die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Regionen. Am Beispiel EuRegio West/Nyugat Pannonia von Thomas Leitner

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DERÖFFENTLICHESEKTOR

FORSCHUNGS-MEMORANDEN

3-4/2004

Ursachen und Auswirkungen staatlicher Regulierung und Deregulierug auf dasEisenbahnwesen - ein historischer Überblick

von Helge Molin

Öffentlicher Verkehr in Österreich - Geldvernichtungsmaschine oder Sytemnot-wendigkeit?

von Leonhard Höfler

Wettbewerb in der Wasserwirtschaft - Überlegungen zur Chancengleichheitvon öffentlichen und privaten Unternehmen

von Ulrich Scheele

Private Versorger und lokale Behörden - 20 Jahre privatisierte Wasserwirt-schaft in Frankreich

von Pierre van de Vyver

Trinkwassergewinnung im Mittleren Osten und in Nordafrika - ein Techno-logie- und Kostenvergleich für Iran, Jordanien, Libyen und Tunesien

von Lisa Liebert

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Regionen.Am Beispiel EuRegio West/Nyugat Pannonia

von Thomas Leitner

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Herausgeber: A.o. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Blaas, c/o Fachbereich für Finanzwissenschaft und Infrastruktur-politik, Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung der Technischen UniversitätWien, Karlsgasse 13, A-1040 Wien, Tel. +43/1/58801-26701, Email: [email protected], Web: http://www.ifip.tuwien.ac.at

Für den Inhalt verantwortlich:Ass.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Johann Bröthaler, c/o Fachbereich für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik,Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung der Technischen Universität Wien,Resselgasse 5/2/2, A-1040 Wien, Tel. +43/1/58801-26701, Email: [email protected], Web: http://www.ifip.tuwien.ac.at

Abonnements:Karin Neumann, c/o Fachbereich für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik, Department für Raum-entwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung der Technischen Universität Wien, Resselgasse 5/2/2,A-1040 Wien, Tel. +43/1/58801-26701, Email: [email protected], Web: http://www.ifip.tuwien.ac.at

ISSN 1563-4604

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InhaltsverzeichnisRedaktion: Wolfgang Blaas

Layout und Textverarbeitung: Karin Neumann

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004

Gedruckt mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur

30. Jahrgang

Heft 3-4/2004, November 2004

Preis: Inland Ausland

Einzelnummer € 5,10 € 5,80Doppelnummer € 9,50 € 10,90Jahres-Abo € 16,00 € 18,20

PSK-Konto-Nr. 2.415.150(Österreichische Postsparkasse)

Ursachen und Auswirkungen staatlicher Regulierung und Deregulierugauf das Eisenbahnwesen - ein historischer Überblick

Helge Molin 1

Öffentlicher Verkehr in Österreich - Geldvernichtungsmaschine oderSytemnotwendigkeit?

Leonhard Höfler 7

Wettbewerb in der Wasserwirtschaft - Überlegungen zur Chancengleich-heit von öffentlichen und privaten Unternehmen

Ulrich Scheele 19

Private Versorger und lokale Behörden - 20 Jahre privatisierte Wasser-wirtschaft in Frankreich

Pierre van de Vyver 39

Trinkwassergewinnung im Mittleren Osten und in Nordafrika - ein Tech-nologie- und Kostenvergleich für Iran, Jordanien, Libyen und Tunesien

Lisa Liebert 43

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Regionen.Am Beispiel EuRegio West/Nyugat Pannonia

Thomas Leitner 55

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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Ursachen und Auswirkungen staatlicher Re-gulierung und Deregulierung auf das Eisen-bahnwesen - ein historischer Überblick1

1 ProblemstellungDie Reform der bestehenden Staatsbahnsysteme isteines der Hauptanliegen der europäischen Verkehrs-politik. Eine der Hauptfragen betrifft die Neuorgani-sation des Eisenbahnwesens, wobei das anstrebens-werte Ausmaß staatlicher Regulierung im Mittel-punkt der politischen Diskussion steht. Obwohl derGroßteil der europäischen Bahnen sich im Staatsei-gentum befindet, war die historische Entwicklung infast allen Ländern von ursprünglich privaten Bahnengeprägt. Ebenso wurden in einigen Ländern bereitszuvor Reformen der Bahnen durchgeführt, derenAuswirkungen bereits messbar sind.

Im Rahmen einer Diplomarbeit am IFIP wurdeuntersucht

- welche Ursachen staatliche Eingriffe ins Eisenbahnwesen hatten, mit

- welchen Instrumenten der Staat diese umsetzteund

- welche Auswirkungen damit erreicht wurden.

2 Die Entwicklung in einigenwichtigen Ländern2.1 Großbritannien: In Großbritannien wurde das Bahnnetz von privatenGesellschaften aufgebaut. Der Groß Teil des Netzeskonnte bis 1850 fertiggestellt werden. Der Staat griffvor allem bei der Wettbewerbsregulierung zur Auf-rechterhaltung des freien Wettbewerbs in das Privat-bahnwesen ein (vor allem durch den Railway Act1844 - Gladstone Act). Die militärische Krise desErsten Weltkriegs führte zur staatlichen Verwaltungder Bahnen auf Grund der Bestimmungen des Geset-zes von 1844. Nach Ende des Krieges wurden dieBahnen von der Regierung neu gegliedert und wie-der den privaten Eigentümern überlassen. Der Zwei-te Weltkrieg machte abermals die staatliche Verwal-tung der Bahnen aus militärpolitischen Gründen not-wendig. Nach dessen Ende waren die Bahnen so

stark abgewirtschaftet, dass ein wirtschaftlicher pri-vater Betrieb nicht mehr möglich schien und daher1948 alle Bahnen verstaatlicht wurden. Die steigen-den Betreibsdefizite bei gleichzeitiger Ineffizienzdes Unternehmens (vor allem durch zu hohen Ein-fluss der Gewerkschaften) führten zu ersten Refor-men der Staatsbahn in den 1980er Jahren unter Mar-gret Thatcher. Unter ihrem Nachfolger John Majorwurden die Bahnen Anfang der 1990er Jahre wiedervollständig privatisiert. Obwohl durch privateBetreiber der Verkehrsanteil der Bahn am Gesamt-verkehrsaufkommen gesteigert wurde, brachte diemangelnde Instandhaltung des Netzes durch dieebenfalls private Infrastrukturgesellschaft Railtrackgravierende Probleme. Diese führten neben derzunehmender Unpünktlichkeit der Züge auch zueinem schweren Unfall bei dem mehrere Tote zubeklagen waren. Aus diesem Grund wurde das Netzwieder unter staatliche Verwaltung gestellt, wobeiein erheblicher Zuschussbedarf seitens des Staatesbesteht.

2.2 Österreich:Obwohl die ersten Strecken in Österreich privaterrichtet wurden führten deren enttäuschender wirt-schaftlicher Erfolg sowie das Vorhandensein einesstaatlichen Eisenbahnkonzepts zur sukzessiven Ver-staatlichung fast aller Strecken mit Ausnahme derKaiser Ferdinand Nordbahn. Die in den 1850er Jah-ren einsetzende Staatsfinanzkrise erforderte dieReprivatisierung der Staatsbahnen, wobei der Staatden privaten Investoren Ertragsgarantien auf ihr ein-gesetztes Kapital gab. Die hohe Inanspruchnahmedieser Garantien verbunden mit einem aus staat-licher Sicht unzureichenden Ausbau des Netzesdurch die neuen Privatbahnen, führten zu einer wei-teren Verstaatlichungswelle in den 1870er Jahren. ZuBeginn des Ersten Weltkrieges waren bis auf dieSüdbahn fast alle wichtigen Hauptbahnen im Staats-besitz. Mit dem Ende der Donaumonarchie wurdenauch die Bahnen neu aufgeteilt, wobei nach längerenVerhandlungen der österreichische Teil der SüdbahnMitte der 1920er Jahre den neu gegründeten staat-

Helge Molin

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Staatliche Regulierung/Deregulierung: Eisenbahn

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lichen Österreichischen Bundesbahnen (BBÖ) zuge-teilt wurde. Mit dem Anschluss Österreichs an dasDeutsche Reich 1938 wurden die BBÖ Teil derDeutschen Reichsbahn und wurden erst mit demEnde des Dritten Reichs wieder eine eigenständigeBahnverwaltung. Während der Bahnbetrieb vor demZweiten Weltkrieg profitabel durchgeführt werdenkonnte, wurden danach zunehmend Verluste erwirt-schaftet, die vom Staat abgedeckt wurden. Währendanfangs eine möglichst flächendeckende Versorgungdes Landes mit der Bahn aus sozialpolitischen Grün-den (Mobilität für sozial Schwache) erfolgte, rücktein den 1980er Jahren umweltpolitische Erwägungenin den Vordergrund. Die steigenden jährlichenZuschüsse zur Defizitabdeckung des Bahnbetriebsführten zur ersten Bahnreform 1992, welche unteranderem die Umstrukturierung der bisher als Behör-de geführten Bahn in ein selbstständiges Unterneh-men zum Ziel hatte. Weitere Vorgaben der EU erfor-derten eine neue Bahnreform, welche die vollständi-ge Trennung von Infrastruktur und Betrieb in einzel-ne Unternehmen zum Ziel hat. Diese wird derzeit(2003/04) umgesetzt. Eine weitere Bezuschussungdes Bahnbetriebs wird, vor allem, um negativeUmweltauswirkungen des MIVs zu vermeiden,weiterhin notwendig bleiben.

2.3 Frankreich:Nach längeren politischen Diskussionen entschiedman sich in Frankreich ein staatlich-privates Misch-system zu errichten. Durch die Gewährung vonBetriebsmonopolen an private Investoren hoffte derStaat dauerhaft wirtschaftlich gesunde Unternehmenzu ermöglichen. Im Gegenzug legte der Staat dieNetzgestalt, die Trassen (oft nach militärisch, strate-gischen Gesichtspunkten) fest und führte die Unter-bauarbeiten durch. Die privaten Gesellschaften stell-ten den Oberbau und das Betriebsmaterial zur Verfü-gung. Ende der 1850er Jahre, nachdem sich die gro-ßen Gesellschaften herauskristallisiert hatten (Nord,Est, PLM, Midi, PO und Ouest) kam es bedingtdurch eine Wirtschaftskrise zum Stillstand des Net-zausbaus. Nur die Zusage staatlicher Ertragsgaran-tien für neue Streckenabschnitte konnte einenWeiterbau des Netzes ermöglichen. Die Jahre nachdem Deutsch-Französischen Krieg Anfang der1870er Jahre waren von einer wirtschaftlichenRezession geprägt, die auch das Eisenbahnwesentraf. Um den weiteren Ausbau des Netzes zu ermög-lichen verpflichtete sich der Staat die Ertragsgaran-tien auf alle Strecken auszudehnen, bzw. begann ereinige Strecken komplett zu verstaatlichen. Als 1909die Westbahn (Ouest) in Konkurs ging, wurde diese

ebenfalls dem mittlerweile angewachsenen staat-lichen Etat System angegliedert. Nach immer größe-ren ökonomischen Problemen der Bahnen, auch aufGrund des Aufkommens neuer Verkehrsmodi, wer-den 1937 alle Bahnen in der staatlichen SNCFzusammengefaßt. An dieser Gesellschaft hielt derStaat nur 51% der Anteile und musste daher an dierestlichen Anteilseigner Garantiezahlungen entrich-ten. Die nach dem Zweiten Weltkrieg stetig steigen-den Zahlungen des Staats zur Defizitabdeckung derSNCF verbunden mit den Garantiezahlungen an dieprivaten Teilhaber, führen zu ersten Reformbestre-bungen in den 1960er Jahren. Neben einer stärkerenkaufmännischen Ausrichtung des Betriebs empfiehlteine Expertenkommission die Errichtung einesHochgeschwindigkeitsbahnnetzes (TGV) nach japa-nischem Vorbild um Marktanteile im hochwertigenPersonenverkehr vom Flugverkehr zurückzuerobern.Obwohl der Betrieb der SNCF weiterhin insgesamtdefizitär ist, konnten die staatlichen Subventionenauf Grund des profitablen TGVs reduziert werden.

2.4 Deutschland: Die Entwicklung der Bahnen in Deutschland warstark von den politischen Vorgaben der einzelnendeutschen Kleinstaaten geprägt. Es existierten priva-te- (Preußen), staatliche- (Brandenburg) und auchgemischte- (Bayern. Sachsen) Bahnsysteme. Mit derGründung des Deutschen Reiches versuchte Bis-marck alle Bahnen in einer Reichsbahn zusammen-zufassen, was allerdings am Widerstand der Länder,scheiterte. Daraufhin begann er preußische Bahnenzur verstaatlichen und der Königlich PreußischenEisenbahnverwaltung (KPEV) zuzuführen. Diesführte aus Angst vor "Verpreußung" wiederum zurVerstaatlichung privater Bahnen in den anderen Län-dern des Reichs und somit zu einem uneinheitlichen,von der "Kleinstaaterei" geprägten Bahnnetz imDeutschen Reich. Neben der Errichtung neuer Strek-ken zur französischen Grenze aus militärstrategi-schen Gründen, forcierte Bismarck auch den Baueiner neuen Alpenquerung über den St. GotthardPass um Teile des europäischen Nord-Süd Handelsvon französischen, auf deutsches Gebiet lenken zukönnen. Der Erste Weltkrieg offenbarte die Schwä-chen des uneinheitlichen deutschen Eisenbahnsy-stems. Es kam zu schweren betrieblichen Problemenaus denen als Folge, verbunden mit der schlechtenwirtschaftlichen Lage nach dem Krieg die DeutscheReichsbahn als gesamtdeutsche Bahngesellschafthervorging. Diese führte ein Vereinheitlichungspro-gramm durch und begann der wachsenden Konkur-renz durch das Flugzeug und dem MIV mit dem Auf-

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bau eines Städteschnellverkehrs im Personenverkehrund beschleunigter Güterzüge zu begegnen. Paralleldazu war die Reichsbahn verantwortlich für denAufbau des Reichsautobahnnetzes. Mit der TeilungDeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurdedie Eisenbahn in die Deutsche Bundesbahn (BRD)und die Deutsche Reichsbahn (DDR) geteilt. Wäh-rend erstere von Mitteln des Marshall-Plans profitie-ren konnte musste die andere eine größere Menge anBetriebsmittel and die Sowjetunion abgeben. Diezunehmende Konkurrenz anderer Transportmodiund gestiegene Personalkosten führten auch bei derDeutschen Bundesbahn zu steigenden Betriebsdefi-ziten, die vom Staat gedeckt wurden. Die Wieder-vereinigung Anfang der 90er Jahre verbunden mitneuen EU Vorgaben führten zur Bahnreform 1994.Die neue Bahn AG sollte profitabel arbeiten und spä-ter über die Börse privatisiert werden. Obwohl inden ersten Jahren Profite erwirtschaftet werdenkonnten, führte die mangelnde Instandhaltung derStrecken zu schweren Verspätungen im Betrieb undzu einem hohen Investitionsbedarf in das Netz.Neben den laufenden Subventionszahlungen, überNahverkehrsverträge im Regionalverkehr, erhielt dieDBAG vom Bund einen Großteil der Erlöse aus derUMTS-Lizenz-Versteigerung im Jahr 2000.

2.5 USA:Die Entwicklung des amerikanischen Eisenbahnwe-sens begann im Nordosten des Landes. Neben priva-ten Kapitalgebern investierten auch Bundesstaatenund Stadtverwaltungen in neue Eisenbahnunterneh-men, um eine Besserstellung im Standortwettbewerbzu erreichen. In den 1850er Jahren begann einePhase der aktiven Förderung des Bahnbaus durch dieVergabe von Landzuweisungen (Land Grants) an dieBahnen durch einige Bundestaaten. Dieses Systemwurde ausgeweitet und auch für die Unterstützungdes Baus der ersten Transkontinentalbahn verwen-det. Diese wurde von höchster politischer Seitegefordert, um die Westküste des Kontinents stärkeran die USA zu binden, denn zunehmend versuchteneuropäische Großmächte am nordamerikanischenKontinent an Einfluss zu gewinnen. Mittels des"Pacific Railway Act" von 1862 wurden die "UnionPacific RR" und die "Central Pacific RR" beauftragteine mittlere Transkontinentalbahn zu errichten. DieErrichtung einer nördlichen Strecke wurde 1864vom Kongress beschlossen. Der Bau der mittlerenVerbindung wurde 1869 abgeschlossen, die Eröff-nung der nördlichen durch die "Northern PacificRR" sollte bis 1883 dauern. Die südliche Streckewurde im Jahr davor von der "Southern Pacific RR"

und der "Texas Pacific RR" fertig gestellt. Ursäch-lich für die Verzögerungen am Bau der "NorthernPacific" waren wirtschaftliche Probleme, insbeson-dere die Folgen der Börsenkrise von 1873, die teil-weise durch einen aufgedeckten Finanzskandal beider Errichtung der ersten Transkontinentalbahn aus-gelöst wurde. Während breite Schichten der Öffent-lichkeit zu Beginn des Eisenbahnzeitalters denEisenbahnen sehr positiv gegenüber standen, änder-te sich dies in weiterer Folge zunehmend. Einerseitsführten häufige Finanzmanipulationen einiger Mehr-heitseigentümer zu beträchtlichen Vermögensverlu-sten bei Kleinanlegern, andererseits gab es in vielenBundesstaaten keine gesetzliche Basis für das Tarif-wesen, was zu vor allem bei Zwangskunden zuextrem hohen Tarifen führte. Vor allem die Bauerndes Mittleren Westen sahen sich als extrem benach-teiligt an und es folgten erste Regulierungsgesetzefür das Eisenbahnwesen auf bundesstaatlicherEbene. Obwohl eine erste Untersuchung des Tarif-wesens der Bahnen durch den Kongress bereits 1872durchgeführt wurde, kam es erst 1887 zum erstenbundesweiten Eisenbahnregulierungsgesetz, dem"Interstate Commerce Act". Dieser und ihm weiterfolgende Gesetze sollten aber wenig Wirkung zei-gen. Die Börsekrise von 1893 führte sogar zu einerVerschärfung der Situation, als sich immer mehr einlandesweites Eisenbahn-Oligopol bildete. Erst imZwanzigsten Jahrhundert kam es mit der Amtsüber-nahme des Präsidenten Theodore Roosevelt zu ein-schneidenden und wirksamen Regulierungen. Mitdem "Railroad Violaton Act" (1906) wurde die"Interstate Commerce Commission" (ICC) ermäch-tigt "faire und gerechte" Tarife festzulegen. Eineneuerliche Verschärfung staatlichen Eingreifenserfolgte mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als dieUS-Bahnen den immensen Anstieg des Frachtauf-kommens nicht bewältigen konnten und der Staatden Betrieb auf allen Bahnstrecken übernahm.Neben einer Vereinheitlichung der Betriebsmittel istdiese Zeit vor allem auch durch zwei Bahnstreiksgeprägt, die eine beträchtliche Erhöhung der Perso-nalkosten zur Folge hatten. Als die Bahnen nachEnde des Krieges wieder ihren Besitzern übergebenwurde, versuchte man kurzfristig nach englischemVorbild eine Neuorganisation des Bahnwesensdurchzuführen, scheiterte aber letztendlich. Wäh-rend des Wirtschaftsaufschwungs der 1920er Jahreführten die meisten Bahnen große Investitionspro-gramme durch, um ihre Effizienz zu steigern. Dersteigenden Konkurrenz durch andere Verkehrsmodiversuchte man durch die Einführung neuer Stromli-nienzüge zu begegnen. Obwohl die Wirtschaftskriseder 1930er Jahre viele Bahnen schwer traf, konnte

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das gestiegene Verkehrsaufkommen des ZweitenWeltkriegs von den Bahnen problemlos bewältigtwerden. Eine abermalige Verstaatlichung konntesomit abgewendet werden. Nach dem Krieg kam esvor allem im Personenverkehr zu dramatischen Ein-brüchen, als das Auto auf kurzen und mittlerenStrecken und das Flugzeug auf Langstrecken zuneh-mend Marktanteile erobern konnten. Während derdie Bahn im Güterverkehr auf den Transkontinental-strecken Marktanteile halten konnte, begann sie vorallem im industriellen Nordosten auch hier Marktan-teile zu verlieren. Unterstützt wurde dieser Trendvon der einseitigen Regulierung der Bahn im Ver-gleich zu anderen Modi und durch den Bau des staat-lichen "Interstate Highway Systems". Als 1967 mitder "PennCentral" die größte US-Bahn Zahlungsun-fähigkeit anmeldete, griff der Staat massiv in dasEisenbahnwesen ein. Den Bahnen wurde die Mög-lichkeit gegeben den stark defizitären Personenver-kehr an die neu gegründete staatliche Personenver-kehrsgesellschaft "Amtrak" zu übergeben. Die PennCentral wurde mit anderen wirtschaftlich schwachenBahnen zur "Consolidated Rail Group" (Conrail)zusammengefasst, die ebenfalls vom Staat betriebenwurde. Im Gegensatz zu Europa, wo die Deckunglaufender Betriebsdefizite der Bahnen durch denStaat politisch üblich war, entschied man sich in denUSA die Güterbahnen nachhaltig zu reformieren.Mit staatlicher Unterstützung wurde einerseits dasNetz Conrails gestrafft und wieder in Stand gesetzt,andererseits wurden durch den "Staggers Act 1980"weitreichende Deregulierungsmaßnahmen beschlos-sen. Durch weitere Fusionen und Streckenabtretun-gen an Regionalbahnen entstanden größere, effizien-tere Bahngesellschaften. In weiterer Folge konntendie Bahnen ihre Marktanteile im Güterverkehr wie-der erhöhen. Im Gegensatz dazu scheiterten bis datodie meisten Versuch "Amtrak" nachhaltig zu refor-mieren. Der "Amtrak Reform Act" verpflichtete dieGesellschaft bis 2003 im Betrieb ausgeglichen zubilanzieren. Der Staat würde nur bei mehr bei Inve-stitionen ins Anlagenkapital unterstützend eingrei-fen. Dieses Ziel wurde allerdings klar verfehlt undderzeit wird an der nächsten Reform gearbeitet.

2.6 Japan:Bis zum Zweiten Weltkrieg nahm Japan keine sehrwichtige Rolle bei der Entwicklung der Eisenbahnein. Dies änderte sich, als nach dem Krieg dasgesamte Netz modernisiert wurde und die erste reineHochgeschwindigkeitsstrecke der Welt errichtetwurde. Diese Strecke wurde vor allem gebaut umder Bahn im Wettbewerb mit dem Flugverkehr

Marktanteile zu sichern. Nach der Eröffnung derStrecke Tokio - Osaka wurden weitere Streckenerrichtet. Jedoch wurden auch in Japan zunehmendeBetriebsdefizite der staatlichen JNR bei sinkendenMarktanteilen zum Problem. Anfang der 1980erJahre wurde daher eine Bahnreform eingeleitet, wel-che die Privatisierung der JNR zum Ziel hatte.Obwohl der private Bahnbetrieb insgesamt Profiteerwirtschaftet, muss der Betrieb des Personennah-verkehrs weiterhin bezuschusst werden. Außerdemhält der japanische Staat noch die Schulden der JNRin der Höhe von 28 Billionen Yen. Das sind 5% derGesamtschulden Japans.

3 Analyseergebnisse:Nach Analyse der Entwicklungen in Großbritannien,Österreich, Frankreich, Deutschland, USA undJapan, vom 19. Jahrhundert bis zum Beginn des 21.Jahrhunderts, konnten folgende Ursachen für staatli-che Maßnahmen im Eisenbahnwesen festgestelltwerden:

1. Vorhandensein prinzipieller Rechtsunsicherheitbezüglich des Eisenbahnwesens (Herbeiführungvon Rechtssicherheit als öffentliches Gut für alleam Angebot Interessierten)

2. Staatspolitische Selbstbehauptung (Dominanz-streben) eines Landes

2.1. Staatspolitisch- militärische Selbstbehauptung

2.1. Außenhandelspolitische Selbstbehauptung

3. Behebung (selten Vermeidung) von Marktversa-gen

3.1. in Form von mangelndem Wettbewerb

3.1.1. in Form von Eigentumskonzentration

3.1.2. bei der Preisbildung

3.2. bei Vorliegen von Externer Effekte (Umweltver-schmutzung durch MIV)

4. Herstellung/Erhaltung einer möglichst flächen-deckenden Erschließung des Staatsgebietes

5. Behebung vorangegangenen Staatsversagens

5.1. Bekämpfung des Egoismus beim Zugriff vondominanten Interessensgruppen auf kollektiveMittel (z.B. Gewerkschaften, wirtschaftliche Lob-bys)

5.2. Bekämpfung von Verschwendung durch man-gelnde Kostenverantwortung (bei öffentlicherVerwaltung der Bahnen - Behördenbahn)

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Dabei setzt der Staat hauptsächlich folgende Instru-mente ein:

1. Leistungspolitik

1.1. Realtransfers

1.1.1. Erbringung von Verkehrsleistungen

1.1.2. Bereitstellung von Information

1.2. Geldtransfers und Finanzierungshilfen

1.2.1. Subventionen an Verkehrsunternehmen

1.2.2. Staatliche Kapitalbeteiligungen und Darlehenfür Investitionen

2. Setzen von Verhaltensrichtlinien

2.1. Festlegung von Normen (Gebote und Verbote)

2.1.1 Wettbewerbsregulierung und Deregulierung

2.1.2. Fahrzeugvorschriften

2.1.3. Vorschriften für den Betrieb

2.1.4.Vermeidung externer Kosten (Vermeidung vonUmweltverschmutzungen im Verkehrswesen)

2.2. Preisbeeinflussung

Die Auswirkungen dieser Eingriffe lassen sich grobin folgende Wirkungsfelder einteilen:

1. Veränderung der Marktform (vom Monopol/Oli-gopol - zum freien Wettbewerb)

2. Veränderung der Profitabilität der Bahngesell-schaften

3. Veränderung der Ausbaugeschwindigkeit des Net-zes

4. Veränderung der Ausgestaltung des Netzes

5. Veränderung der Verkehrsleistung

6. Veränderung des Modal Splits

7. Vermeidung negativer externer Effekte (durchmodale Verkehrsverlagerungen)

Bei der Betrachtung der Entwicklungen fallen unter-schiedliche Schwerpunkte der staatlichen Maßnah-men im Eisenbahnwesen auf:

Staatliche Eingriffe erfolgten aus unterschiedlichenGründen, wobei vor allem die herrschende politischeStrömung für deren Ausprägung ausschlaggebendwar. Bei der Betrachtung der Entwicklung innerhalbder EU ist festzustellen, dass weder die Reformen inGroß-Britannien noch jene in Deutschland, die in sie

gesetzten Erwartungen erfüllen konnten. In beidenLändern musste der Staat durch massive Eingriffedie negativen Folgen der vorangegangen Reformen,die vor allem auf Grund mangelnder Wartung derInfrastruktur entstanden, beseitigen. Auch das japa-nische Beispiel zeigt, dass gewisse Strecken weiter-hin vom Staat subventioniert werden müssen.

Lediglich die Reformen im amerikanischen Güter-verkehr brachten eine Steigerung der Verkehrslei-stung und der Profitabilität der Betriebe, allerdingswerden nur jene Verkehre angeboten, die betriebs-wirtschaftlich sinnvoll sind. Das heißt ökologischeZiele (Vermeidung externer Effekte) lassen sich(wenn überhaupt) nur sehr schwer umsetzen. Ähnli-ches zeigt auch die Reform der Bahn in Deutschland,wo die Deutsche Bahn im Güterverkehr aus Kosten-gründen ihr Angebot vor allem im ländlichen Gebietverringerte.

Diese Entwicklung steht aber im Widerspruch zurVorgabe der EU, den Anteil des Schienengüterver-kehrs am Gesamtvolumen zu erhöhen. Basis einerfunktionierenden Reform des Eisenbahnwesensmuss daher eine klar formulierte Verkehrspolitik,also eine umfassende Verkehrsstrategie, sein. Es gilt,die unterschiedlichen Ziele hinsichtlich des Eisen-bahnwesens widerspruchsfrei zu gewichten (Ökolo-gie - Betriebswirtschaft) und dann deren Umsetzungdurch die entsprechende finanzielle Ausstattung zuermöglichen. Wie das Beispiel Englands zeigt, erfor-dert eine höhere Verkehrsleistung auch eine ange-passte Infrastruktur. Einen höheren Anteil der Schie-ne am Gesamtverkehrsaufkommen zu fordern,gleichzeitig aber die Mittel zur Realisierung diesesZiels nicht bereitzustellen ist wenig sinnvoll.

1 Zusammenfassung der gleichnamigen Diplomarbeit, ausgeführtam Institut für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik derTechnischen Universität Wien, Februar 2004.

ANGABEN ZUM AUTOR:

DI Helge Molin

Absolvent der Studienrichtung Raumplanung undRaumordnung an der TU Wien

Dr. Barilits Gasse 8/1/11, 1230 [email protected]

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Der öffentliche Verkehr brauchteine Systemreform! Der öffentliche Verkehr ist im Gespräch - derGesamtbefund ist eindeutig und ernüchternd; deröffentliche Verkehr belastet die Haushalte von Bund,Ländern und Gemeinden. Dabei hat in den letztenJahren trotz zunehmender Staus auf den Straßen dieBenutzung von Bahn und Bus abgenommen. Ohnewirksame gegensteuernde Maßnahmen kann der her-kömmliche öffentliche Verkehr die Erwartungen derFahrgäste immer weniger erfüllen; weiteres Zuwar-ten wird die Situation verschlechtern. Gefragt isteine tiefgreifende und umfassende Systemreform,die alle Angebotsbereiche umfasst.

Neben diesem Allgemeinbefund gibt es laufendBeschwerden über die Qualität; Verspätungen mitversäumten Anschlüssen, überfüllte Busse, veralteteZüge und unfreundliches Personal sind Fixthemender Leserbriefecke. Allerdings kann nach einerobjektiven Beurteilung der qualitative Standard desöffentlichen Verkehrs in Österreich im europäischenVergleich durchaus im Mittelfeld eingestuft werden.Bessere Angebote gibt es in der Schweiz und inDeutschland, schlechtere beispielsweise in England.

Obwohl bereits derzeit die Zuschüsse hoch sind,kann dieser gewohnte Standard in Zukunft nur beisteigendem öffentlichen Mitteleinsatz aufrechterhalten werden. Doch trotz der laufenden Zuschuss-finanzierung benutzen die Fahrgäste immer wenigerBahnen oder Busse. Steigende öffentliche Zahlun-gen bei abnehmender Akzeptanz bedeutet fallendeverkehrspolitische Effizienz.

Dieser seit Jahren anhaltende Trend provoziertErklärungsbedarf, vor allem in Zeiten allgemeinerBudgetrestriktionen aller Entscheidungsebenen. Sowerden in der politischen Debatte die Zuschüsse zurÖBB thematisiert und in einem Satz mit historisch-institutionell bedingten "Kostentreibern" desBundesbudgets, wie der längerfristigen Sicherung

der Pensionen und der Aufrechterhaltung desgewohnten Standards im Gesundheitswesen,genannt. Wenn man die Reformschritte dieser Lei-stungsbereiche als Vergleich heranzieht, reichen imöffentlichen Verkehr oberflächliche Symptomkor-rekturen für ein zukunftsfähiges System nicht aus.Das Gesamtsystem gehört auf den verkehrs- undfinanzpolitischen Prüfstand! Notwendig ist dieBeseitigung struktureller Mängel und die Schaffungder Voraussetzungen für ein zukunftsfähiges System- die Verkehrspolitik ist im Zugzwang.

Nicht programmatische Aussagen der Politik überden Stellenwert des öffentlichen Verkehrs sind maß-gebend. Die Entscheidung über die Angemessenheitder Angebote treffen die Fahrgäste bei ihrer täg-lichen Verkehrsmittelwahl. Laufende Beobachtun-gen des Verkehrsgeschehens geben Auskunft überdie Mobilität; in Oberösterreich werden in Zehnjah-resabständen landesweite Erhebungen nach demDesign von Haushaltsbefragungen durchgeführt. Diedabei gewonnenen Ergebnisse sind - mit den not-wendigen regionalen Besonderheiten - auf andereRäume übertragbar.

In Oberösterreich hat zwischen 1982 und 2001 (alsoinnerhalb von zwei Jahrzehnten) die Anzahl derWege mit öffentlichen Verkehrsmitteln von rund480.000 auf rund 440.000 pro Werktag, also um rund8% (rund 1,0% p.a.) abgenommen. Auch aktuelleMeldungen aus den Verkehrsverbünden bestätigenFahrgastrückgänge in den letzten Jahren. Im Ver-gleich dazu haben in Oberösterreich die Wege mitprivaten Pkw von rund 1,30 Mio. auf rund 2.00 Mio.(jeweils pro Werktag) um rund 54% (rund 1,5% p.a.)zugenommen. Auch in angestammten Vorteilsberei-chen des ÖV, wie auf den nach Linz führenden Ach-sen haben Bahn und Bus an Bedeutung verloren. ImJahr 1982 waren von den 132.000 werktäglichenFahrten nach Linz rund 42.000 (rund 32%) dem ÖVzuzuordnen; bei der Erhebung 2001 wurden rund162.000 Fahrten nach Linz registriert, von denenrund 35.000 (rund 22%) auf den öffentlichen Ver-

Öffentlicher Verkehr in Österreich -Geldvernichtungsmaschine oder Systemnot-wendigkeit?Eine haushaltswirtschaftlich und verkehrspolitisch zukunftsver-trägliche Organisation des öffentlichen Verkehrs als gesell-schaftspolitische Aufgabe

Leonhard Höfler

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kehr entfallen.

Ein vergleichbares Bild ergibt sich im Umland vonLinz; also in einem Raum, in dem - so die öffentli-che Diskussion - das Straßennetz chronisch überlas-tet ist und zudem ein einigermaßen gutes ÖV-Ange-bot vorgehalten werden kann. Doch trotz dieserRandbedingungen hat auch in angestammten Vor-teilsbereichen der öffentliche Verkehr nicht nurMarktanteile verloren, sondern absolut Fahrgästeabgegeben.

Noch dramatischer ist die Situation im ländlichenRaum. Schon seit Jahren wurde das Fahrgastpotenzi-al ausgehöhlt, In weiten Bereichen rekrutiert sich dieKundschaft des öffentlichen Verkehrs zu über 95%aus Schülern und Lehrlingen, die über keine Wahl-möglichkeiten verfügen. Nicht einmal bei Fahrten indie zentralen Orte wird der öffentliche Verkehr ange-nommen. Auch Angebotsverbesserungen bringenkeine spürbaren Fahrgastzunahmen. Die Allgegen-wärtigkeit des Pkw schafft eine nahezu unüberwind-liche Konkurrenz.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind vielfältig,und lassen sich mit mangelnder Finanzierung oderfehlenden Zuschüssen aus öffentlichen Haushaltenerklären oder auf die allgegenwärtige Konkurrenzdes Pkw reduzieren. Eine Reihe von Mängeln lassensich durch brancheninterne Denkstrukturen erklären;danach dominiert unternehmensbezogenes Handeln,während der Fahrgast ein unternehmensübergreifen-des Gesamtangebot will.

Die institutionelle Marktferne der ÖV-Branche lässtsich anhand der Entwicklung der Verkehrsverbündeillustrieren. Den verbundteilnehmenden Verkehrs-unternehmen musste die Verbundteilnahme durchdie Garantie der Einnahmen vor dem Verkehrsver-bund ("Alteinnahmengarantie", AEG) "abgekauft"werden, obwohl zu diesem Zeitpunkt (etwa Beginnder 80er Jahre) deutlich erkennbar war, dass deröffentliche Verkehr nur in regionalen Dimensionenerfolgreich konzipiert werden kann, und unterneh-mensübergreifende Kooperationsformen unabding-bare Voraussetzung zur Verbesserung der Wettbe-werbssituation gegenüber dem Pkw sind.

Zusammenfasssend zeigt sich, dass im Wettbewerbder Verkehrsmittel der ÖV immer weniger denBedürfnissen der Verkehrsteilnehmer entspricht.Diese Entwicklung provoziert die Frage nach denUrsachen, ob und mit welchen Mitteln wirksamgegengesteuert werden kann.

Die Ursachen der Schwäche desÖV haben eine lange Geschich-teDie dargestellten empirischen Befunde werdenangesichts der für den ÖV verausgabten öffentlichenMittel oft mit Verwunderung zur Kenntnis genom-men. Offensichtlich entwickelt sich die Nachfragezunehmend in Richtung Pkw, während sich Bahnund Bus auf der Verliererseite finden - auch diehohen öffentlichen Mittel haben daran nichtsWesentliches geändert. Unzureichende Qualität deröffentlichen Verkehrsmittel und generelle System-mängel sind hinreichend thematisiert und - oft bezo-gen auf medienwirksame Einzelfälle - auch Gegen-stand der täglichen Berichterstattung.

Als driving forces der Systemdynamik gelten diezunehmende Breitenwirkung des Pkw - zurecht als"Massenmotorisierung" bezeichnet. Bereits derzeitsind pro 1000 Einwohner rund 550 Pkw zum Ver-kehr zugelassen; damit ist der Sättigungswert, deraus Analogieüberlegungen mit in der Motorisierungweiter fortgeschrittenen Staaten abgeleitet und beirund 650 bis 700 Pkw/1000 Einwohner angenom-men wird, noch lange nicht erreicht. In ihrer Wir-kung wesentlich höher zu veranschlagen ist die Auf-rüstung der Pkw-Flotte hinsichtlich installierter Lei-stung, Komfortkomponenten und Sozialprestige.Durch Siedlungsentwicklung abseits der Hauptach-sen, "Nachrüstung" der Straßennetze, Vorgaben fürdie gesellschaftliche Zeitorganisation und Konditio-nierung des institutionellen Bewusstseins hat sichder Pkw als Massenerscheinung ein Ambientegeschaffen, das nur durch den Pkw sinnvoll bedientwerden kann. Der private Pkw wird zum entschei-denden Maßstab der Verkehrsmittelwahl! - für denöffentlichen Verkehr eine epochale Herausforde-rung.

Seit Jahren wird in Strategiepapieren aller Entschei-dungsebenen der öffentliche Verkehr als verkehrspo-litischer Problemlöser gesehen. Diskussionsbestim-mende Argumente sind zunehmende Staus auf denStraßen, Lärm und Schadstoffemissionen, Beein-trächtigung der Wohn- und Aufenthaltsqualität undneuerdings vor allem die Beeinflussung des Klimasdurch Kohlendioxidausstoß als globale umweltpoli-tische Herausforderung. Die angesprochene Ange-botsschere zwischen fehlenden Straßen und zuneh-mendem Verkehr soll durch Verlagerungen auf Bahnund Bus geschlossen werden. Trotz des Widerspru-ches zwischen den politischen Zielen und dem Ver-halten der Verkehrsteilnehmer beharrt die politischeRhetorik unverändert auf Problemlösung durch tra-

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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ditionelle Angebotsstrategien. Bisher wurde deröffentliche Verkehr allerdings nicht in die Lage ver-setzt, diesen hohen politischen Erwartungen auch zuentsprechen.

Angesichts der tatsächlichen Entwicklung - steigen-de Pkw-Ausstattung der Haushalte, Zersiedlung derLandschaft - werden die Bereiche, in denen der ÖVzur Lösung von verkehrspolitischen Problemen bei-tragen kann, ständig auf schmälere Sektoren einge-grenzt. Diese Situation ist seit Jahren bekannt undGegenstand verkehrspolitischer Debatten; auch diewissenschaftliche Analyse hat sich des Themasangenommen und den Nachweis erbracht, dassdurch angebotsorientierte Strategien im ÖV dieKräfte des Mobilitätsmarktes nicht kompensiert wer-den können. In brancheninternen Kausalanalysenwird diese Marktschwäche auf die Vorteile des Kon-kurrenzsystems "Straße-Pkw", die raumplanerischeFehlentwicklung der Zersiedlung im Umkreis derStädte und im ländlichen Raum zurückgeführt; alsResidualfaktor verbleibt ein Megatrend zu mehrIndividualität und eigenbestimmter Mobilität. ÖV-systeminterne Mängel, wie schlechte Qualität, man-gelndes Systemverständnis, unzureichende Markto-rientierung, fehlendes strategisches Denken odereinfache Schnittstellenprobleme zwischen den Ver-kehrsunternehmen werden vergleichsweise seltenthematisiert.

Eine wesentliche Ursache der unbefriedigenden Ent-wicklung im ÖV liegt in der Tatsache, dass im Kon-zert aller brancheninternen Meinungen die Verkehrs-unternehmen, die Politik und die Verwaltung, auchInteressensvertretungen und Verkehrsverbünde ein-deutig identifizierbar positioniert sind, während dietatsächlichen Bedürfnisse des Fahrgastes (auch derpotentiellen) nicht entsprechend berücksichtigt sind.Derzeit gibt es keine Rückkoppelung zwischen derunternehmensübergreifenden Erfüllung der Fahr-gastbedürfnisse und der öffentlichen Zuschüsse.

Mit diesen Entwicklungen sind die Probleme aufge-zeigt: auf der einen Seite öffnet sich die Schere zwi-schen ständig steigendem Autoverkehr und den Aus-baumöglichkeiten der Straßen zunehmend; anderer-seits werden ohne wirksame korrigierende Maßnah-men die Fahrgäste von Bahn und Bus weiter abneh-men. Zwangsläufig stellen sich Fragen: (1) Waskann der ÖV tatsächlich leisten? (2) Sind flächen-deckende Angebote vielleicht ein Relikt vergangenerZeiten? (3) Gibt es zu einer Vorwärtsstrategie keinerealistische Alternative? (4) Wie lange ist das derzei-tige System finanzierbar? oder, (5) ist die politischeEffizienz nur durch eine Fundamentalreform des ÖVsteigerbar?

Die Finanzierung des ÖV - einFass ohne Boden? Systemisch betrachtet ist der öffentliche Verkehreine äußerst komplexes Gebilde mit einer Fülle vonAkteuren, vielfältigen (auch gegensätzlichen) Zielenund differenzierten Zuständigkeiten. Auf der Ebeneder Gebietskörperschaften ist der Bund verantwort-lich für eine Reihe ordnungs- und finanzpolitischerFragen, wie Gesetzgebung (KflG, ÖPNRV-G,Bundesbahngesetz, Eisenbahngesetz, Privatbahnge-setz, Finanzausgleichsgesetz etc.). Der Bund ist auchEigentümer von österreichweit agierenden Verkehrs-unternehmen, ferner durch Zuschüsse, Abgangsdek-kung und Schülerfreifahrt engagiert. Die Länder undGemeinden sind näher als der Bund mit den direktenBürgerwünschen und den verkehrspolitischen Pro-blemlagen, beispielsweise den Stausituationen inden Ballungsräumen und der Frage einer Mindestbe-dienung im ländlichen Raum, konfrontiert.

Zuständigkeitsüberschneidungen sind vor allemdann ein Problem, wenn zur kontinuierlichenWeiterentwicklung aufeinander abgestimmte Ziel-vorgaben und Finanzierungsregelungen erforderlichsind. Mehrfachzuständigkeiten finden sich auch imBereich der Finanzierung. Die Zahlungsströme sindnicht transparent, sodass bei Reformen stets Miss-trauen unter den betroffenen Akteuren die Hand-lungsmöglichkeiten begrenzt. In diesem institutio-nellen Umfeld haben sich Kostentreiber und Quali-tätskiller etabliert.

Unüberschreitbare Grenzen der Veränderung inner-halb des bestehenden Systems sind durch die Finan-zierbarkeit gegeben. Derzeit fließen pro Jahr rund2,5 Mrd. € durch die Kassen der Verkehrsunterneh-men. Rund 30% davon entfallen auf Tarifeinnahmen,der Rest sind Zahlungen aus den Haushalten derGebietskörperschaften oder kommen aus Querfinan-zierung ertragreicherer Versorgungsbereiche. ÖVohne Zuschussfinanzierung scheint heute unmög-lich. Auch eine Systemreform gibt es nicht zumNulltarif.

Tatsächlich sind die Finanzierungsströme im ÖV sokomplex, dass kaum eine umfassende Übersicht zuerstellen ist. Als Eckpunkte lassen sich die jährlichenZahlungen des Bundes an die Schienenverkehrs-unternehmen im Rahmen der Sozialtarifabgeltung(Größenordnung 500 Mio. €), die Zahlungen desBundes und der Länder an die Verkehrsverbünde(Größenordnung 180 Mio. €), die Zahlungen ausdem Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) für dieSchüler- und Lehrlingsfreifahrt (rund 400 Mio. €),Privatbahnfinanzierung (rund 16 Mio. €, dazu 12

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Mio. € von den Ländern) und schließlich die Ver-kehrsdiensteverträge der Länder (gesamt rund 25Mio. €) fixieren. Die Zahlungsströme der Länderoder der Gemeinden sind weniger transparent.

Die derzeitige Finanzierung des ÖV ist nicht Ergeb-nis einer politischen-strategischen Überlegung, son-dern historisch gewachsen und Teil der Aufgaben-verteilung zwischen den Gebietskörperschaften.Initiativen zur Bereinigung des Finanzierungssy-stems werden darum stets vor dem Hintergrundbeabsichtigter (oder befürchteter) Verlagerungenvon Zahlungsverpflichtungen - in der Regel vomBund zu den Ländern - gesehen und darum reflexar-tig tabuisiert, auch wenn damit eine Steigerung derSystemeffizienz erreicht werden könnte. Eventuel-le win-win-Situationen mit Nutzenpotenzialen füralle Akteure bleiben damit von vornherein außerBetracht.

Eine wesentliche Ursache der systemimmanentenZuschussdynamik liegt in der institutionellen Tren-nung von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung,die nicht sachlogisch, sondern nur durch die histori-sche Entwicklung erklärt werden kann. Bisher warenfür wesentliche Sektoren der ÖV-Versorgungbundeseigene Betriebe zuständig, deren Abgängelange Zeit ohne weiteren Begründungsbedarf ausdem Bundesbudget oder durch Querfinanzierung(z.B. Post) abgedeckt wurden. Anpassungen der Lei-stung an geänderte Bedürfnisse scheitern vielfach anden Widerständen der Verkehrsunternehmen, auchder Länder und Gemeinden.

Bisher sahen die regionalen Gebietskörperschaftenkeine Veranlassung, im Rahmen ihrer raumordneri-schen Zuständigkeiten für ÖV-kompatible Sied-lungsstrukturen zu sorgen. In weiten Bereichenwaren die Entwicklung der Siedlungen und dieFinanzierung der ÖV-Angebote voneinander entkop-pelt. Beispielsweise hat im Raum Linz in den letztenbeiden Jahrzehnten der Pkw-Verkehr pro Werktagum rund 250.000 Fahrten (rund 35%) zugenommen,während Bahn und Bus rund 55.000 Fahrten verlo-ren haben. Von den Zunahmen der Pkw-Fahrten ent-fallen rund 20 bis 25% (also rund 50.000 Fahrten)auf Effekte einer ÖV-feindlichen Siedlungsstruktur.

Schon aus Gründen der politischen Effizienz gilteine Zusammenführung der Aufgaben- und Ausga-benverantwortung als unverzichtbare Voraussetzungjeder zuschussstabilisierenden Politik; eine Reihevon Reformansätzen wurden versucht, sind bislangjedoch nicht gelungen. Auch das ÖPNRV-G istinkonsequent in der Weise, dass eine durchgehendeAufgabenteilung zwischen den Akteuren nicht vor-

genommen wurde. Bundeszahlungen (Absicherungder "Grundversorgung") und Zuschusszahlungen beiLeistungsbestellungen ("nach Maßgabe der budgetä-ren Mittel") sind vorgesehen.

Weitere Kostentreiber sind den bisherigen Verbund-systemen mit der Garantie der Alteinnahmen imma-nent. Durch die Verlagerung des Einnahmenrisikosvon den Unternehmen zu den verbundtragendenGebietskörperschaften sahen sich die Unternehmenwenig veranlasst, innovative Ideen zu entwickelnund qualitätssteigernde Maßnahmen umzusetzenund dadurch die Fahrgastfrequenzen zu steigern. BeiFahrgastgewinnen wären die zusätzlichen Einnah-men nicht dem jeweiligen Verkehrsunternehmenzugute gekommen, sondern hätte den Zuschuss derverbundfinanzierenden Gebietskörperschaften ver-ringert. Entsprechend dem ÖPNRV-G wurde inOberösterreich dieses System durch leistungsbezo-gene Zuschusszahlungen abgelöst.

Das System öffentlicher Verkehr in der derzeitigenForm wird also durch laufende systemexterne Geld-zuflüsse am Leben erhalten. Trotz dieser Finanzie-rungssituation halten einzelne Verkehrsunternehmen(und auch die Interessensvertretung und politischeAkteure) unverändert an der Fiktion eines eigenwirt-schaftlichen ÖV fest. Entsprechend dieser Meinunggelten die Zuschüsse der Gebietskörperschaften alsTarifersätze und sind als solche mit den Zahlungender Fahrgäste gleichzusetzen. Dabei wird schamhaftverschwiegen, dass ohne diese Zuschüsse ein Groß-teil der Fahrgäste andere Alternativen suchen - undimmer mehr auch finden - würden.

Die Vergangenheit bestimmt dieOrganisation des ÖV - es gibtAlternativen Veränderungen gewohnter Strukturen sind immerschwierig. Denn, schon bei einer oberflächlichenBetrachtung stellt man fest, dass der Verkehr übereine Unzahl Querverbindungen mit nahezu allenBereichen des öffentlichen, wirtschaftlichen und pri-vaten Lebens vernetzt ist. Diese Situation trifft auchauf den ÖV mit einer systemimmanenten Behar-rungstendenz zu. Darum betreffen substantielleÄnderungen in der Regel mehrere Ebenen der staat-lichen Organisation, und kommen nur bei Minimal-konsens der zuständigen Akteure zustande, ein zuRecht als "Politikverflechtung" bezeichneter Zu-stand. Anpassungen an geänderte Systemumgebun-gen ergeben sich nicht aufgrund systeminternerImpulse, sondern werden nur bei Druck von außen

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durchgeführt.

Die aktuelle Situation lässt sich anhand eines Gedan-kenexperimentes darstellen: Wäre im Laufe der Ent-wicklung die Existenz des ÖV allein von Marktkräf-ten und von den Einnahmen der Verkehrsunterneh-men aus Fahrscheinverkäufen (und sonstigen unter-nehmenseigenen Einnahmen) abhängig gewesen,würde sich die Verkehrslandschaft grundsätzlichvom derzeitigen Erscheinungsbild unterscheiden.Angebot und Nachfrage wären besser aufeinanderabgestimmt und die Unternehmen hätten ein wirt-schaftliches Interesse an der Gewinnung von Fahr-gästen entwickeln müssen. Eine brancheninterneQuerfinanzierung von aufkommensstarken Berei-chen zur Aufrechterhaltung des Verkehrs in Räumenund Zeiten schwacher Nachfrage wäre nicht möglichgewesen.

Bei den derzeit geltenden Rahmenbedingungen wärein einem streng eigenwirtschaftlichen ÖV-Systemeine flächendeckende Erschließung im herkömm-lichen Linienverkehr schlicht und einfach unvor-stellbar - die Kosten der Bedienung in Zeiten undRäumen schwachen Aufkommens würden diesunmöglich machen. Bei einem gewissen Spielraumder Tarife gäbe es attraktive Angebote bestenfalls(wenn überhaupt) in den Ballungsräumen und aufaufkommensstarken Achsen aus den Umlandberei-chen in die Städte. Auf jeden Fall wäre der öffentli-che Verkehr vollkommen anders organisiert, kun-denfreundlicher, flexibler und wahrscheinlich wür-den innerhalb der Branche durch KooperationenVorteilsbereiche geschaffen. Vielleicht hätten auchLänder und Gemeinden in weiser Voraussicht dieZeichen der Zeit erkannt und aus verkehrspoliti-schen Überlegungen ergänzende Bestellleistungenübernommen und im Gegenzug dazu mehr für einegeordnete Siedlungsentwicklung Sorge getragen. Ineinem derartigen System wäre auch ein vollkommenanderer verkehrspolitischer Rahmen. Mehr als aka-demisch interessant ist die Frage, ob es in einer der-artigen Welt Konzessionen, Verkehrsverbünde odersonstige Regelmechanismen gäbe - oder ob sie über-haupt erforderlich wären.

Wie wir wissen, unterscheidet sich die tatsächlicheÖV-Welt in mehrerer Hinsicht von diesem Bild: DasEngagement der Gebietskörperschaften (der Politik)als "Ersatz" zum nicht existierenden Markt hat imöffentlichen Verkehr eine lange Tradition. Ohnestaatliche vorgegebenen Ordnungsrahmen ist derÖV in der derzeitigen Form unvorstellbar; ohnesichere Zuschüsse aus den öffentlichen Haushaltengäbe es keinen (oder bestenfalls einen rudimentären)öffentlichen Verkehr. Das politische Engagement ist

allerdings nicht Ergebnis strategischer Entscheidun-gen sondern Ausfluss einer kontinuierlichen("schleichenden") Entwicklung, die durch die Betei-ligung mehrerer Akteure nur im Kontext der vielfäl-tigen Abhängigkeiten von Politikentscheidungen(also der Politikverflechtung) verstanden werdenkann. Schleichende Systementwicklungen ("Pfadab-hängigkeit von Technologien und Institutionen")verringern die Handlungsoptionen und verstärkenden Zwang, den einmal beschrittenen Weg fortsetzenzu müssen - ein Zustand, der zu Recht durch dieMetapher der Falle beschrieben ("Mobilitätsfalle,Technologie-Falle, Politikverflechtungsfalle"). Da-mit stellt sich die Frage nach realistischen Alternati-ven.

Der Rahmen ist im Umbruch -der ÖV wird sich verändern(müssen!) Die bisherige Organisation des öffentlichen Verkehrsging von der Idee einer eigenwirtschaftlich zuerbringenden Leistung aus. Diese Vorstellung hatseit mindestens 20 Jahren an Realitätsgehalt verlo-ren. Derzeit befindet sich die ÖV-Branche insgesamtin einer äußerst schwierigen Umbruchssituation. Vordem Hintergrund der umfassenden Veränderung derRahmenbedingung schränken zunehmende Markt-schwäche, chronische Finanzierungsengpässe, syste-mische Investitionsdefizite und sektorexterne Ein-flüsse den Handlungsspielraum ein. Europaweitkommt es auf den lokalen und regionalen Verkehrs-märkten zu grundlegenden Umstrukturierungen; dieVeränderungsdynamik ist allerdings in den einzelnenLändern unterschiedlich, sodass wir uns die Erfah-rungen anderer zunutze machen können.

Anlass ist eine Neuinterpretation des geltendenRechtes sowie die Novellierung der für diesen Sek-tor geltenden EU-rechtlichen Vorgaben. BisherigeEntwicklungen stützen die Auffassung, dass schonunter dem gegenwärtigen Rechtsrahmen der öffentli-che Nahverkehr zu den günstigsten Kosten für dieAllgemeinheit zu organisieren ist, d.h. nach einemtransparenten Reglement - nicht zwingend nachWettbewerbsprinzipien auf der Basis der Ausschrei-bungen. Öffentliche Zuschüsse zu defizitären Ver-kehren werden in Zukunft auf vertraglicher Basisfinanziert werden müssen.

Zusätzlicher Handlungsbedarf wird sich aus der vonder EU-Kommission geplanten Novellierung deseinschlägigen Sekundärrechtes ergeben. So befindetsich derzeit ein Vorschlag zu Novellierung der VO(EWG) Nr. 1191/69 idgF. im Gesetzgebungsverfah-

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ren, wobei die Prinzipien des nicht-diskriminie-rungsfreien Marktzuganges für alle interessiertenUnternehmen präzisiert werden sollen. Ebenso liegtein Vorschlag der VO (EWG) Nr. 1170/70 vor, derzum Ergebnis haben könnte, das bereits aus beihil-fenrechtlichen Überlegungen allen Verkehrsunter-nehmen der Zugang zu betriebsnotwendiger Infra-struktur zu angemessenen (nicht-diskriminierenden)Bedingungen ermöglicht werden muss.

Auch wenn eine Reihe von Details noch offen ist,lässt sich der künftige Ordnungsrahmen der EU inden Konturen bereits deutlich erkennen. Die langeJahre aufrecht erhaltene Position, alle Bereiche derDaseinsvorsorge seien nur unter dem Schirm deröffentlichen Hand und auf jeden Fall außerhalb desMarktregimes zu erbringen - was auch mit verkehrs-wissenschaftlicher Unterstützung zu argumentierenversucht wurde - ist mittlerweile nicht mehr haltbar.Notwendige Zuschüsse der öffentlichen Handschließen Elemente der Marktsteuerung zur Steige-rung der Effizienz nicht aus - ganz im Gegenteil.

Weiterer Handlungsbedarf wird sich aus hauswirt-schaftlichen Zwängen ergeben, da die Lage deröffentlichen Hauhalte stark angespannt ist und dieFortsetzung der Zuschussdynamik der letzten Jahr-zehnte die Möglichkeiten aller Gebietskörperschaf-ten überschreiten wird. So haben besonders dieStädte ein großes Interesse, den Finanzierungsbedarfdes ÖV zu senken, wobei die Durchsetzbarkeitöffentlicher Interessen berücksichtigt und die Sozial-verträglichkeit der Systemtransformation gewahrtwerden soll.

Schon aus der Marktschwäche des öffentlichen Ver-kehrs gegenüber dem Pkw leitet sich ein notwendi-ger Qualitätsschub ab, der auch Verbesserungen derInfrastruktur und der Fahrzeuge erfordert. Alle Über-legungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes sindim Zusammenhang mit der Finanzierung von Inve-stitionen zu sehen. Angesprochen sind der Ausbauder Schienenwege, die Modernisierung der Fahrzeu-ge, kundenfreundlichere Gestaltung von Haltestel-len, Bahnhöfen und die Installation von unterneh-mensübergreifenden Fahrgastinformationssystemen.

In ersten Qualitätsoffensiven wird meist versucht,die im Straßenverkehr bewährten Strategien derAngebotsplanung - oft unkritisch - auf den öffent-lichen Verkehr zu übertagen. Dabei bleibt außerBetracht, dass sich der ÖV am Mobilitätsmarktbewähren muss. Die technische Aufrüstung der Ver-kehrssysteme (beispielsweise mit Telematik-Ein-richtungen) dürfte - relativ betrachtet - mehr denStraßenverkehr begünstigen. Auch das Warten auf

den Mega-Stau wird für den ÖV nicht die erwarteteLösung bringen. Soll sich der ÖV in Zukunft bewäh-ren, muss das Angebot insgesamt sich am Mobili-tätsmarkt behaupten können.

Die gesetzlichen Grundlagendes ÖV sind nicht zeitgemäßDer derzeitige Zustand des ÖV wird verständlich,wenn man bedenkt, dass die Gebietskörperschaftenbisher umfassende Reformen vermieden, und dashistorisch gewachsene System durch kompensatori-sche Systemkorrekturen am Leben erhalten haben -eine auch in anderen öffentlichen Bereichen desWohlfahrtsstaates angewandte - da konfliktminimie-rende - Strategie. So hat die Politik die Notwendig-keit einer Änderung der verkehrswirtschaftlichenRahmenbedingungen erst nach einem längeren time-lag zur Kenntnis genommen. Die politische Reali-tätsverweigerung ist auch daran erkennbar, dass bisBeginn des Jahres 2000 die Leistungserbringung imÖV grundsätzlich als eigenwirtschaftlich verstandenwurde, deren Organisation keiner gesondertengesetzlichen Regelung bedarf, obwohl sich etwa seitBeginn der 1980er Jahre in allen Ländern mit finan-zieller Unterstützung durch die Gebietskörperschaf-ten die Verkehrsverbünde als administrative Schlüs-selstellen etablierten.

So orientierte sich das KflG als Ableger des Gewer-berechtes lange Jahre an der Notwendigkeit derRegelung des konfliktfreien Betriebsablaufes (Kon-zessionsschutz, Bedienungsverbote etc.), also primäran den Bedürfnissen der Betreiber; strukturbestim-mend war der Fahrgast ohne Alternative ("captiverider"); diese Fiktion galt auch zu Zeiten, in denendie Verkehrsteilnehmer mehrheitlich die Dienste desÖV nicht mehr in Anspruch nahmen. Durch die Prio-rität der "politischen Systemfinanzierung" vor wett-bewerbswirtschaftlichen Überlegungen wurde aufkreatives Innovationspotenzial des Marktes verzich-tet. Die Notwendigkeit, die Organisation des ÖVentsprechend den Bedürfnissen der Fahrgäste oderder Optimierungsstrategien der Regionen anzupas-sen, wurde seitens der Unternehmen mit Forderun-gen nach zusätzlichen Zahlungen gekoppelt. Weitge-hend abseits der Realität wurde auch damit argu-mentiert, dass in Wettbewerbsmärkten sich Unter-nehmer einnahmenmaximierend verhielten, und die-ses Ziel nur durch mehr Fahrgäste zu erreichen sei.Die Tatsache, dass im öffentlichen Verkehr der Wett-bewerb um den Fahrgast ein eher seltenes Ereignisdarstellt, blieb dabei außer Betracht.

Erst die Wiederverlautbarung des KflG1999 brachte

Öffentlicher Verkehr in Österreich

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einige Änderungen im Hinblick auf Qualität, Kun-denfreundlichkeit und Informationssystem. Die Ideedes ÖV als System und die Junktimierung der Kon-zessionsvergabe an unternehmensübergreifendenKooperationen ist dem KflG nach wie vor fremd. Dadem Vernehmen nach auch im künftigen Ordnungs-rahmen der EU "Exklusive Rechte" einen fixenBestandteil darstellen werden, muss der Umgang mitden Koszessionen einen Fixpunkt jeder ÖV-Reformbilden.

Schon seit Jahren wurde erkannt, dass sich der recht-liche Ordnungsrahmen und die verkehrswirtschaftli-che Realität des ÖV zunehmend voneinander entfer-nen; zur Verbesserung der Finanzierung wurde ins-besondere von den Ländern eine gesetzliche Grund-lage entsprechend den aktuellen Verhältnissen gefor-dert. Nach jahrelanger Diskussions- und Kreativpha-se trat mit Beginn des Jahres 2000 das Gesetz zumÖffentlichen Personen und Nahverkehrsgesetz (kurzÖPNRV-G 1999) in Kraft; erstmals in Österreichwurde für den ÖV ein Ordnungsrahmen geschaffen.Allerdings hat sich das ÖPNRV-G durch die Tren-nung der Angebote in einen eigenwirtschaftlichenund einen gemeinwirtschaftlichen Leistungsbereichund die Definition des eigenwirtschaftlichen Berei-ches als "Normalfall" nur halbherzig von der ver-kehrswirtschaftlichen Fiktion eigenwirtschaftlich zuerbringender ÖV-Leistungen getrennt.

In einigen Passagen wurde allerdings der verkehrs-wirtschaftlichen Realität Rechnung getragen. Im §16 wurde die in der Praxis seit Jahren geübte Orga-nisationsprivatisierung in Verbundgesellschaftenrechtlich nachvollzogen. Die Aufgabenverteilungzwischen den Gebietskörperschaften wurde nor-miert; nach § 11 gelten die Länder und Gemeindenals Aufgabenträger, denen es obliegt, in planerischer,finanzieller und administrativer Hinsicht für eineangemessene Verkehrsbedienung zu sorgen, wäh-rend sich der Bund auf die Zahlung von Zuschüssenzurückzieht.

Bei Fortsetzung der Reformidee entsprechend denAnsätzen des ÖPNRV-G wären die Aufgaben für denÖV bei den Ländern und Gemeinden zu konzentrie-ren. Den Ländern sollten im Wege des Finanzaus-gleiches die derzeit vom Bund für den ÖV veraus-gabten Mittel zweckgewidmet für den ÖV zur Ver-fügung gestellt werden. Die weitere Organisationund Optimierung des Angebotes liegt im Zuständig-keitsbereich des jeweiligen Landes.

Ergänzend zum Betrieb und zu den Verkehrsverbün-den bedarf die Finanzierung von Investitionen imÖV dringend einer gesetzlichen Regelung, als Vor-

aussetzung für die Optimierung der Angebote, ohnedabei durch Verzicht auf teurere Schienenlösungender Bundesmittel verlustig zu gehen.

Die Verkehrspolitik ist gefordert- die Politik muss sich neu posi-tionierenDie neuen EU-rechtlichen Rahmenbedingungenwerden - nach entsprechenden Übergangsfristen -auch den politischen Einfluss verändern. Längerfri-stig gilt der öffentliche Verkehr als auszuschreiben-de Leistung, wobei die volle Rechtssicherheit derWettbewerber, die Transparenz der Vergabe undvolle Diskriminierungsfreiheit gewährleistet seinmuss. Gemessen an den derzeitigen Mitgestaltungs-und Einflussmöglichkeiten werden die neuen Rah-menbedingungen für die Politik gewöhnungsbedürf-tig sein. Einerseits ist die Politik als Repräsentantdes Aufgabenträger gefordert, die Zielsetzungen füreine ausreichende Verkehrsbedienung zu definierenund die Finanzierung für eine längerfristige Stabi-lität sicherzustellen, andererseits soll die Umsetzungmarktkonform durch unternehmerischen Wettbe-werb erfolgen, und dadurch der Einfluss der Politikauf das operative Geschäft gänzlich ausgeschaltetwerden.

Die neuen Rahmenbedingungen ergeben eine Reihevon Veränderungen:

Verkehrspolitisch ist der Stellenwert des ÖV - auchdes öffentlichen Interesses in Zuschussbereichen -zu definieren und längerfristig planbar festzulegen;die bisherige Zuständigkeitsverteilung mit der Tren-nung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung istunbefriedigend und mit eine Ursache der derzeitigenMisere. Die im ÖPNRV-G angedachten Reform-schritte sind konsequent fortzusetzen; die Ländersind als Aufgabenträger für den ÖV festzulegen.

Finanzpolitisch sind die Finanzierungsströme nach-vollziehbar offenzulegen. Den Aufgabenträgernmüssten die bisher bundesseits für den ÖV veraus-gabten Mittel zur Verfügung gestellt werden. Auf dieden bundesweit agierenden Verkehrsunternehmenzufließenden Mittel (beispielsweise im Bereich derSchienenerhaltung) sind zu berücksichtigen. Zu klä-ren ist die Aufteilung auf die Länder, die Konditio-nen der Mittelübertragung, die Fortschreibung übermehrere Jahre sowie die Sicherstellung der zweck-entsprechenden Verwendung.

Verkehrsrechtlich ist u.a. die Frage der Konzes-sionsvergabe zu regeln; die derzeitige Fassung des

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Öffentlicher Verkehr in Österreich

KflG schreibt den Besitzstandsschutz fort und orien-tiert sich vorwiegend an den Unternehmensbedürf-nissen. Elemente des Wettbewerbes (§ 23) sind nurin seltenen Fällen möglich; das KflG kann nur als"Schutzschild" für Unternehmen im Einflussbereichdes Bundes verstanden werden.

Organisatorisch sind Voraussetzungen zu schaffen,die das ÖV-Angebot entsprechend den Benutzerbe-dürfnissen als eine unternehmensübergreifende Auf-gabe festschreiben. Nicht in allen Fällen dürfte derherkömmliche Linienverkehr die optimale Bedie-nungsform darstellen. Dabei kann den Verbundge-sellschaften eine wichtige Rolle zukommen. Flexibi-lität und unternehmerische Motivation sind offenzuhalten.

EU-rechtlich wird dem Megatrend der Liberalisie-rung in allen Bereichen Rechnung zu tragen sein.Die Vorgaben sollen nationalstaatlich proaktivumgesetzt werden. Zielsetzung ist nicht die Fort-schreibung des bisherigen Zustandes, sondern dieSchaffung eines zukunftsfähigen Systems.

In technischer Hinsicht braucht der ÖV einen Mo-dernisierungsschub, der das ÖV-System in die Lageversetzt, die Fortschritte des KonkurrenzsystemsPrivat-Pkw erfolgreich zu kompensieren. Die durchrationellere Betriebsführung eingesparten Mittel sol-len nicht in das Budget fließen, sondern im ÖV-System verbleiben.

Schon die angesprochenen Fragen zeigen, dass derÖffentliche Verkehr ein äußerst komplexes Systemdarstellt, dass sich einer zentralen Detailsteuerungentzieht. Wesentliche Voraussetzung für einen Erfolgvon Reorganisationsbestrebungen ist, dass der ÖVmehr selbststeuernde Elemente - in möglichst kurzenRegelkreisen - enthält. Die Aufgabenträger müssenAnreize für die Schaffung ÖV-günstiger Siedlungs-formen finden; d.h. auch landesintern wird die Sinn-haftigkeit der derzeitigen Raumordnungspraxis zuhinterfragen sein. Die Länder werden veranlasst,ÖV-günstige Rahmenbedingungen zu schaffen.

Operative Überlegungen einerSystemreform des ÖV Bezüglich der Umsetzung einer Systemreform desÖffentlichen Verkehrs wird in eine Konzeptsphase,mit der Entwicklung von Lösungsvorschlägen undKonzepterstellung, einer Konsensfindungsphase,mit der erforderlichen Abstimmung der Akteure undeiner Realisierungsphase, die politisch zu tragen ist,ausgegangen. Zur Durchführung (der ersten beidenPhasen) scheint eine Projektorganisation mit eindeu-

tigen Projektzielen, klarer Aufgabenverteilung,sowie der Vorgabe von Zwischen- und Endterminennotwendig.

Unabdingbar ist eine Bereinigung der Zuständigkei-ten und die Zusammenführung der Aufgaben- undAusgabenverantwortung; diese Mammutaufgabescheint nur im Rahmen einer Bundesstaatsreform("Verfassungskonvent") lösbar. Für die organisatori-sche Umsetzung bietet die 2002 durchgeführte Über-tragung der Bundesstraßen an die Länder ("Verlän-derung") ein gutes Beispiel und Denkmodell. In ähn-licher Weise wäre die Mittelübertragung vom Bundzu den Ländern sicherzustellen. Übergangsfristenwären vorzusehen.

Im Rahmen der "Verländerung" des ÖV wären eineReihe gesetzlicher Grundlagen zu ändern bzw. an dieaktuellen Bedürfnisse anzupassen. Das Kraftfahrli-niengesetz regelt - wie bisher - das Verfahren derKonzessionsvergabe und legt österreichweit eineneinheitlichen Standard fest. Zusätzliche Bestimmun-gen sollten die Qualität des Angebotes normieren(inkl. einheitliches Tarifsystem). Die Verländerungder Mittel könnte im Finanzausgleichsgesetz gere-gelt werden. Das ÖPNRV-G in der derzeitigen Formwäre - da die "systemische Binnenorganisation" Auf-gabe der "Aufgabenträger" wäre - entbehrlich.

Im Zusammenhang mit der Systemreform ist auchder Umgang mit notwendigen Investitionen in dieInfrastruktur zu behandeln. Die bisherige Vorgangs-weise geht von einer Gemeinschaftsaufgabe allerGebietskörperschaften aus, wobei bei Nahverkehrs-investitionen die Initiative von den Ländern oderGemeinden ausgehen. Entsprechend bisher geübterPraxis der Nahverkehrsfinanzierung wird bei Maß-nahmen auf dem ÖBB-Schienennetz von einerKostenteilung zwischen Bund und Land von 80 zu20% ausgegangen. Eine gesetzliche Grundlage dafürexistiert nicht. Bei Maßnahmen auf dem Strecken-netz von Privatbahnen kommen die Mittel aus denmittelfristigen Investitionsprogrammen entspre-chend dem PBG, das von einer Kostenteilung zwi-schen Bund und Ländern von 50 zu 50% ausgeht.Bei Maßnahmen für die Busbedienung oder bei Stra-ßenbahnen sind keine Bundeszuschüsse vorgesehen.Dieses historisch gewachsene System ist unlogisch,in Einzelfällen kontraproduktiv und beinhaltetKostentreiber bei Infrastruktur und Betrieb. Effizien-te Optimierungsstrategien setzen eine Zusammen-führung der Zuständigkeiten für Betriebsfestlegun-gen, Investitionen und Folgekostenfinanzierung vor-aus.

Die Finanzierung von ÖV-Maßnahmen ist vor dem

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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Hintergrund der angesprochenen Politikverflechtungund der politischen "Farbenlehre" zwischen Bundund antragstellendem Bundesland zu sehen. Für dasÖV-System sind diese Rahmenbedingungen abträg-lich. Zur Herstellung der Systemeinheit auf Landes-eben wäre die Mittelvorsorge auf der Basis einerbundesgesetzlichen Grundlage, die Gleichbehand-lung von ÖBB-Netzen und den Schienennetzen derPrivatbahnen vorzusehen. Grundvoraussetzung einerzukunftsfähigen Veränderung ist eine längerfristigePlanungs- und Finanzierungsstabilität.

Für die Akteure erschließensich neue HandlungsoptionenEine wesentliche Motivation einer Systemreformdes ÖV ist mittelfristig eine Stabilisierung deröffentlichen Zuschüsse und die Steigerung der Effi-zienz der in das System fließenden öffentlichenMittel. Aufgrund der verkehrspolitischen Rahmen-bedingungen ist ein eigenwirtschaftlicher ÖV aufabsehbare Zeit nicht realistisch. Eine Systemreformhat die Kostentreiber, die auch in den gesetzlichenGrundlagen durch Fortschreitung der bisherigenOrganisationsstrukturen eingebaut sind, zu identifi-zieren. Die Betonung des Unternehmerinteressesgegenüber den Bedürfnissen der Fahrgäste oder demverkehrspolitischen Notwendigkeiten der Regionenverhindert die Umsetzung innovativer Ideen.

Nach dem Denkmodell der Verländerung wäre derÖV im jeweiligen Landesgebiet eigenverantwortlichvon den Ländern zu organisieren. Die Länder könn-ten (müssten) strategische Planungen (entsprechendden deutschen Nahverkehrsplänen) durchführen undkönnten beispielsweise in Räumen und Zeitenschwachen Verkehrsaufkommens kostengünstigereDienste anbieten. Auch die Verkehrsverbünde wärenin ausschließlicher Zuständigkeit der Länder.

Eine derartige Regelung ist erst nach Klärung einerReihe von Vorfragen, wie Aufteilung der Bundes-mittel zwischen den Bundesländern, Zurechnung desSchienenverkehrs zum Nah-, Fern- und Regional-verkehr, etc. politisch konsensfähig. Auch wenn ineiner Anfangsphase die ritualisierten Verteilungsdi-skussionen zwischen Bund und Ländern diskus-sionsbestimmend sein dürften, wären bei Betrach-tung einer längeren Periode win-win-Situationenvorstellbar. Insbesondere blieben der Landespolitikdie Pilgerfahrten zu Bundesdienststellen um Zu-schüsse erspart.

Nach wie vor bleibt der öffentliche Verkehr in wei-ten Bereichen eine öffentlich zu finanzierende Lei-

stung. Die öffentlichen Leistungen des ÖV müsstenbeziffert und den Verkehrsunternehmen abgegoltenwerden. Die bestellenden Gebietskörperschaftenhaben gegenüber den Verkehrsunternehmen den Sta-tus von Großkunden. Durch die Zuständigkeit derLänder wären die Anreize größer, im Rahmen derRaumordnungsgesetzgebung und -praxis ÖV-kom-patible Siedlungsstrukturen zu favorisieren. KurzeRegelkreise wären geschlossen.

Qualitätsoffensiven des ÖV sind unverzichtbar. DasSystem enthält eine Reihe von Mängeln, die aus derSicht der Benutzer unverständlich sind. Der ÖV alsDienstleistungssektor braucht für alle Akteure einemittel- bis längerfristige Stabilität. Ohne strategischePositionierung der Gebietskörperschaften (beispiels-weise in einem "Nahverkehrsplan" nach Muster desdeutschen Personenverkehrsgesetzes) ist diese Stabi-lität nicht erreichbar.

Längerfristig könnte der ÖV auch für privates Kapi-tal interessant sein. Bevor diese Utopie Realität wirdist der enorme Nachholbedarf abzuarbeiten. Dieöffentlichen Mittel reichen dafür nicht aus. Ange-sichts des derzeitigen Systemzustandes scheint die-ser Vorschlag provokant und weltfremd zugleich.Andererseits ist ein Vorwärts-Szenario vorstellbar, indem der ÖV in einem Zentralraum entsprechend denerkennbaren Bedürfnissen gesamthaft aufgerüstetwird und als verkehrspolitischer Flankenschutz ÖV-kompatible Rahmenbedingungen geschaffen wer-den. Beiträge des ÖV zur Standortqualität, zur Urba-nität und generell zur Lebensqualität wären unver-zichtbar.

Die angesprochene Zusammenführung der Zustän-digkeiten für Investitionen, betriebliche Festlegun-gen und Tragung der Folgekosten wird als der ent-scheidende Schritt zur Kostenstabilisierung, zurQualitätssteigerung und zur laufenden Anpassungdes öffentlichen Verkehrs an den Bedarf angesehen.Den Aufgabenträgern (Ländern) muss die Möglich-keit eingeräumt werden, systemische Optimierungs-strategien zu entwickeln, die nicht Umverteilungenzugunsten der Länder mit Schienenverkehren (Wien,Ballungsräume, Länder mit Hauptachsen) zur Folgehaben, sondern sich am kostengünstigsten Betriebzugunsten der jeweiligen Bedürfnisse orientieren.

Eine Abstimmung in strittigen Fragen könnte bei-spielsweise in der Weise erfolgen, dass als Voraus-setzung der Bundeszahlungen die Länder Nahver-kehrspläne entwickeln, in denen die künftige Ange-botsgestaltung mit erforderlichen Investitionen,Betrieb und Folgekostenabschätzung offen gelegtwird. Diese Planungen geben dem Bund die Mög-

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Öffentlicher Verkehr in Österreich

lichkeit für eine langfristig vorausschauende Bud-getplanung. Bei entsprechender Kostenteilung ergibtsich in Summe für alle Gebietskörperschaften eineKostenreduktion und durch die Optimierungsstrate-gie ein verkehrspolitischer Mehrwert.

Die Umsetzung der ÖV-Reform ist eine herausfor-dernde politische Aufgabe. Zwangsläufig sind dabeiauch jahrzehntelang gepflegte "heilige Kühe" derösterreichischen Verkehrspolitik anzusprechen. Jenach Ausdehnung des Argumentationskreises sindZahlungsströme zu ändern. In einer ersten Ebenesind die Zuschüsse des Bundes zum laufendenBetrieb (z.B. Verkehrsverbünde) zu nennen. Ein wei-terer Kreis betrifft die vom Bund direkt mit dem Ver-kehrsunternehmen verrechneten Zuschüsse zu denTarifen der Schienenbahnen und die Schüler- undLehrlingsfreifahrt. Die nächste Ebene ergibt sich ausder Finanzierung der Infrastrukturen im Zusammen-hang mit Nahverkehrsausbauten und Zuschüsse zuden Privatbahnen. Der letzte Kreis betrifft Inkonsi-stenzen der Verkehrspolitik aufgrund fehlenderRückkoppelungen zwischen Verursachen von Kos-tentreibern und den Zuständigkeiten für die Finan-zierung (z.B. Steuerung der Siedlungsentwicklung).

Vorteile für die Verkehrsunternehmen sind mehr-fach. Durch die Aufgabenkonzentration ergeben sicheinfachere Strukturen. Die marktwirtschaftlicheBasisorientierung hat weiters zur Folge, dass unter-nehmerische Initiativen in den ÖV-Betrieb einge-bracht werden können und sich diese auch lohnen.

ZusammenfassungAn der Spitze der Reform steht eine Vision: deröffentliche Verkehr als gleichberechtigter Bewerberam Mobilitätsmarkt. Der ÖV mit Dienstleistungsver-ständnis; die Bedürfnisse des Fahrgastes als system-bestimmende Determinante. Eindeutig definierteZuständigkeiten mit klaren Zahlungsströmen.Selbstbewusste Unternehmen mit dem Bewusstseinfür die soziale Verantwortung und den öffentlichenAuftrag. Öffentliche Beiträge für die politischbewertbare Leistung; langfristige Stabilität derFinanzierung.

Anders die Praxis: Seit Jahren wird in Strategiepa-pieren aller Gebietskörperschaften der öffentlicheVerkehr als verkehrspolitischer Problemlöser gese-hen. Die angesprochene Angebotsschere zwischenfehlenden Straßen und zunehmendem Verkehr solldurch Verlagerungen zum ÖV geschlossen werden.Trotz des Widerspruches zwischen den politischenZielen und dem Verhalten der Verkehrsteilnehmer

beharrt die politische Rhetorik unverändert auf denMöglichkeiten der Problemlösung durch den ÖV.

Ohne Systemreform des öffentlichen Verkehrs öffnetsich die Schere zwischen Realität und machbarerUtopie. Durch den Wettbewerb wird der öffentlicheVerkehr am Mobilitätsmarkt weiter marginalisiert.Die in das System fließenden Mittel dienen zur Auf-rechterhaltung des historisch gewachsenen Zustan-des. Die politische Effizienz der öffentlichen Zu-schüsse bleibt gering.

Als Kontrastprogramm zu einem Stagnationsszena-rio ist der politische Gestaltungsauftrag u. -anspruchsowohl aus verkehrspolitischen, vor allem jedochaus haushaltswirtschaftlichen Notwendigkeitenableitbar. Alljährlich fließen rund 2,5 Mrd. € durchdie Kassen der Verkehrsunternehmen; rund 30%davon werden durch Fahrscheinverkäufe gedeckt.Der Rest kommt aus Zuschüssen der öffentlichenHaushalte oder aus Querfinanzierungen. Mindestensdrei Viertel der Zuschüsse werden aus dem Bundes-budget finanziert.

Trotz dieser öffentlichen Zahlungen nehmen dieFahrgäste die Angebote von Bahn und Bus immerweniger in Anspruch. Dieser Trend hält seit Jahrenan - und wird ohne Systemkorrekturen sich inZukunft fortsetzen. Ursache der Zuschussdynamiksind systemimmanente Kostentreiber, wie die Struk-tur der Verkehrsverbünde, die Direktzahlungen desBundes, die institutionelle Trennung von Aufgaben-und Ausgabenverantwortung und die Begrenzungder Bundeszuschüsse zu einzelnen Nahverkehrsin-vestitionen.

Das System ÖV ist durch historische Hypothekenbelastet; bei der derzeitigen Organisation bestand fürdie Länder und Gemeinden keine Notwendigkeit, imRahmen der raumplanerischen Zuständigkeiten fürÖV-kompatible Siedlungsstrukturen zu sorgen. Auchdie Verkehrsunternehmen sahen sich wenig zu effi-zienzsteigernden Maßnahmen veranlasst.

Ohne tiefgreifende Systemreform wird in Zukunftder gewohnte Standard des ÖV nur bei steigendenöffentlichen Zuschüssen aufrecht erhalten werdenkönnen. Schon aufgrund der Zwänge des Mobilitäts-marktes gibt es mittel- bis langfristig zu einerzuschussstabilisierenden und qualitätssteigerndenReform keine Alternative.

Soll die Systemreform des ÖV anhaltende Wirkungentfalten, muss sie umfassend sein; die unabdingba-re Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg ist dieinstitutionelle Aufgabenkonzentration auf einerEbene, d.h. Kostentreiber sollen durch möglichstkurze Regelkreise zwischen Verursachern und Zah-

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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lern neutralisiert werden.

Sinnvoll ist die Fortsetzung der Reformschritte desÖPNRV-G, in dem die Länder und Gemeinden alsAufgabenträger für den ÖV normiert sind. DieAgenden des ÖV sollten bei den Ländern undGemeinden konzentriert werden. Die vom Bund inden ÖV fließenden Mittel sollten aufkommensneu-tral den Aufgabenträgern übertragen werden. DasReformpaket soll sich an die "Verländerung" derBundesstraßen anlehnen.

Nach Abschluss des Reformpaketes wäre es Aufga-be der Länder, längerfristige Planungen für den ÖVals Grundlage der Budgetierung der Bundeszuschüs-se vorzulegen. Die Folgekosten wären von den Län-dern zu übernehmen, wodurch kostendämpfendeElemente eingebaut sind.

Die Reform des ÖV hat im Vergleich zum bisherigenZustand weitreichende Systemänderungen zurFolge. Der Beginn in der Legislaturperiode erscheintmöglich; zur Minimierung sozialer Friktionen sindÜbergangsfristen vorzusehen. Die Reform sollteumfassend sein, d.h. den rechtlichen Rahmen, eineNeuorganisation der Zuständigkeiten für Betrieb undInfrastruktur und die Finanzierung umfassen. Ohnediese Gesamtsicht bleibt jede Reform Stückwerk.Bei entsprechender Gestaltung der Reforminhalte,der Konzeptsphasen und der Übergangsfristen sindmultiple win-win-Situationen konstruierbar.

Aus verkehrspolitischen Überlegungen steht dieNotwendigkeit eines leistungsfähigen ÖV außerDebatte. Dabei sollten nicht veraltete Strukturenkonserviert, sondern die institutionellen Vorausset-zungen für eine zukunftsfähige ÖV-Branche gelegtwerden. Weiteres Zuwarten ist nicht die Lösung,sondern erschwert eine spätere Konsensfindung.Ziel ist ein kostengünstigerer, auch in Zukunft finan-zierbarer und kundennäherer ÖV. Ein konkurrenzfä-higer ÖV muss sich am Verkehrsmarkt bewähren.

ANGABEN ZUM AUTOR:

HR DI Dr. Leonhard Höfler

Vorsitzender des Aufsichtsrates der Oberösterreichi-schen Verkehrsverbundgesellschaft

Amt der Oberösterreichischen Landesregierung -Leiter der Dienstelle Verkehrskoordinierung

Bahnhofplatz 1, 4021 [email protected]

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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1. Einleitung und Problemstel-lungEs ist zur Zeit Mode geworden, die deutsche Was-serwirtschaft einer äußerst kritischen Bewertung zuunterziehen. Ein hohes technisches Niveau, einehohe Umweltqualität und eine ausgeprägte Versor-gungssicherheit stehen auf der anderen Seite - so dieKritik - extrem hohe Wasserpreise, ein sehr zersplit-tertes und damit auch ineffizientes System Tausen-der selbständiger Unternehmen, eine unzureichendeIntegration von Wasser- und Abwasserdienstleistun-gen sowie insgesamt ein mangelndes Kostenbe-wusstsein in der Branche gegenüber. Abgeleitet wirdaus dieser kritischen Einschätzung u.a. die Forde-rung nach einer Reform des Ordnungsrahmens inRichtung auf eine stärkere Wettbewerbsorientierung,gleichzeitig begründet dies aber auch nach Ansichtvon Experten die mangelnde Präsenz deutscher Was-serunternehmen auf den internationalen Wachstums-märkten.1

Es geht im Folgenden nicht mehr um das Ob einerLiberalisierung und die Pro- und Contra-Argumentebezüglich grundlegender Reformen, sondern derAusgangspunkt der Überlegungen ist ein liberalisier-ter Wassermarkt. Eine Marktöffnung in der Wasser-wirtschaft und gleichzeitig sich verstärkende Privati-sierungstendenzen werden jedoch keineswegs dasEnde der kommunalen/öffentlichen Wasserwirt-schaft bedeuten; kommunale Unternehmen werdenauch auf absehbare Zeit zumindest den inländischenMarkt dominieren. Aber ähnlich wie in der Energie-versorgung werden sich die kommunalen Unterneh-men erstmals einem zunehmenden Wettbewerb stel-len müssen und alte Positionen überprüfen müssen.Inwieweit die öffentlichen Unternehmen in diesemWettbewerbsprozess bestehen können, hängt dabeinicht nur von ihrer ökonomischen Leistungsfähig-keit ab, sondern wird auch durch rechtliche und poli-tische Vorgaben mitbestimmt. Während die öffent-lichen Unternehmen und ihre Interessensvertretun-gen in diesem Zusammenhang häufig auf die ihrerMeinung nach unzulässigen Beschränkungen ver-weisen, besteht auf der anderen Seite bei den priva-ten Unternehmen der Verdacht einer wettbewerbs-verzerrenden Bevorzugung öffentlicher Unterneh-

men. Wie sich die Wettbewerbschancen öffentlicherund privater Unternehmen in einem dereguliertenUmfeld gestalten werden, ist angesichts der weitge-henden fehlenden empirischen Erfahrungen nur vor-läufig zu bewerten. Angesichts der Unwägbarkeitenim Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung einerLiberalisierung in der Wasserwirtschaft werdenzunächst die unterschiedlichen Wettbewerbsmodellekurz skizziert.

Im dritten Kapitel werden dann die dominierendenAkteure auf dem Wassermarkt und ihre Strategiendargestellt. Kapitel 4 wird dann einige relevanteArgumente im Zusammenhang mit Vor- und Nach-teilen der verschiedenen Unternehmensformen auf-gegrifgen und vertieft. Eine Zusammenfassung undeine Darstellung möglicher Handlungsoptionen füröffentliche Unternehmen schließt den Bericht ab.

1 WettbewerbsmodelleDie derzeit im politischen und wasserwirtschaft-lichen Raum diskutierten Wettbewerbsmodelle2

orientieren sich weitgehend an den Erfahrungen mitder Marktöffnung in anderen liberalisierten Infra-struktursektoren, wobei jedoch den spezifischenMerkmalen des Wassermarktes Rechnung getragenwird. Die Modelle können u.a. danach unterteilt wer-den, inwieweit jeweils in die bestehenden Markt-strukturen eingegriffen werden muss.

1.1 Benchmarking und Yardstick Competition

Wettbewerb findet in diesem Fall nur indirekt statt,und lässt sich somit auch innerhalb des bestehendenOrdnungsrahmens umsetzen: entweder auf freiwilli-ger Basis (Verbandslösung) durchgeführte odergesetzlich verpflichtende Vergleiche geben Hin-weise auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligenUnternehmens in Relation zu anderen Unternehmeninnerhalb der Branche. Die im Rahmen dieser Ver-gleiche erhobenen Informationen können sich aufsehr verschiedene Indikatoren ökonomischer, techni-scher und ökologischer Art beziehen. Die Ergebnissedieser Leistungsvergleiche können entweder nurmittelbare Auswirkungen haben (naming and sha-

Wettbewerb in der WasserwirtschaftÜberlegungen zur Chancengleichheit von öffentlichen und privaten Unternehmeni

Heft 3-4/2004

Ulrich Scheele

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Wasserwirtschaft

ming), in dem etwa ein öffentlicher Druck auf Unter-nehmen ausgeübt wird, die in der Rangliste schlechtabschneiden, die Ergebnisse könnten aber auchunmittelbar Eingang in die staatliche Preisregulie-rung der Branche finden. Zulässige Preissteige-rungsraten können sich etwa am Branchendurch-schnitt oder am Kostenniveau des Branchenprimusorientieren; weniger effizient arbeitende Unterneh-men haben damit zusätzliche Anreize für ein kosten-bewusstes Handeln (sog. Yardstick Competition). Indiese Benchmarking-Studien können sowohl öffent-liche als auch private Unternehmen miteinbezogenwerden. Eine wesentliche Voraussetzung für dieAnwendung der Benchmarking-Ergebnisse ist eineeinigermaßen gesicherte Vergleichbarkeit der Unter-nehmen, ein Problem, vor dem etwa auch eine kar-tellrechtliche Preisaufsicht steht.3

1.2 Durchleitungsmodelle (common carriage)

Unabhängig vom Umfang der Marktöffnung bleibtfestzuhalten, dass die Versorgungsnetze in der Was-serwirtschaft auch weiterhin als natürliches Mono-pol anzusehen und entsprechend reguliert werdenmüssen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bleibtder Aufbau eines konkurrierenden Versorgungsnet-zes innerhalb eines Versorgungsgebietes unwirt-schaftlich. Wettbewerb um Endkunden wird unterdiesen Strukturbedingungen also nur möglich sein,wenn auch konkurrierenden Unternehmen derZugang zum Versorgungsnetz des bisher zuständi-gen Versorgers ermöglicht wird. Diese common car-riage-Lösungen, wie sie in der Zwischenzeit in ande-ren Sektoren (Energie, Telekommunikation, Ver-kehr) durchaus üblich geworden sind, stoßen in derWasserwirtschaft auf grundlegende Probleme (spezi-fische Kostenstrukturen; Sicherheits- und Qualitäts-fragen).

Zwar gibt es einige Länder, die mit solchen Ansätzenerste Erfahrungen machen (UK)4, oder in denendiese Durchleitungsmodelle diskutiert werden(Australien)5, ein Wettbewerb in der Wasserwirt-schaft über den konkurrierenden Zugang zum Netz,dürfte jedoch auch in der Zukunft zumindest einenur marginale Rolle spielen. Zwar gilt der § 19 Abs.4 GWB, der den Zugang zu Netzen regelt, auch fürdie Wasserversorgung, angesichts der ausreichendenVerfügbarkeit an Trinkwasser fehlen jedoch weitge-hend die ökonomischen Anreize für Durchleitungs-begehren.

1.3 Ausschreibungswettbewerb

Der Wettbewerb um Versorgungs- oder Entsorgungs-

Exkurs: Benchmarking in der Wasser-wirtschaft - Internationale AnsätzeEs gibt gegenwärtig in zahlreichen Ländern Bench-marking - Ansätze in der Wasserwirtschaft, undauch internationale Organisationen wie die Welt-bank fördern diese Verfahren zur Verbesserung derLeistungsfähigkeit der Wasserwirtschaft:

- In der privatisierten Wasserwirtschaft von Eng-land und Wales vergleicht der Regulierer Ofwat(Office of Water Services) die Leistungsfähigkeitder Unternehmen anhand einer Fülle an techni-schen, ökonomischen und ökologischen Krite-rien. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeitbereitgestellt und finden unmittelbar Eingang indie Regulierung der Unternehmen. [Informatio-nen unter: http://www. open.gov.uk/ofwat/]

- Der niederländische Verband der Wasserversor-gungsunternehmen VEWIN hat 1998 erstmalsauf freiwilliger Basis eine Benchmarking-Studieerstellt und veröffentlicht [VEWIN 1999a, b].Dieses Benchmarking soll nach dem neuen Was-sergesetz in der Zukunft verpflichtend sein.

- Die American Water Works Association(AWWA) bietet in Zusammenarbeit mit derWater Environment Federation (WEF) das Pro-gramm Qualserve an. Im Rahmen dieses Bench-marking-Prozess werden bis 26 Parametererfasst. Die Daten werden von den Unternehmenselbst erhoben, gleichzeitig findet aber auch eineBewertung des Unternehmens durch externe Gre-mien statt. Die Vorbereitung des Benchmarkingund auch die Schulung des Personals findet inZusammenarbeit mit AWWA statt. Die Teilnah-me von Wasser- und von Abwasserunternehmen

an Qualserve ist freiwillig. Nutzungsmöglichkei-ten der Benchmarking-Informationen werden zurZeit noch untersucht. [Informationen unterhttp://www.awwa.org/ qual02.htm]

- Die Weltbank bietet zur Zeit ein Programm an,mit dem der Aufbau eines weltweiten Benchmar-king in der Wasserwirtschaft angestrebt wird. DieInformationen können von den Unternehmen ineine Datenbank eingegeben werden und werdenvom System automatisch in die entsprechendenLeistungsindikatoren umgewandelt und mitdenen der anderen teilnehmenden Unternehmenverglichen [Informationen: World Bank, Bench-marking Water & Sanitation Utilities, A Start-UpKit, http://www.worldbank.org/html/fpd/water/topics/uom_bench.html]

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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lizenzen ist die in Infrastruktursektoren gebräuch-lichste Variante des Wettbewerbs. Die Konkurrenzfindet hier nicht auf dem Markt, sondern um denMarkt statt. Diese Konzessionsmodelle können insehr unterschiedlichen Varianten umgesetzt werden,sie unterscheiden sich in der Regel nach demUmfang der von den Unternehmen zu erbringendenLeistungen. Besteht für den Konzessionsnehmereine auch eine Investitionsverpflichtung, kann dieLaufzeit der Kontrakte sehr lang sein, um eineAmortisation des investierten Kapitals zu gewährlei-sten; die Verträge können entsprechend kürzer sein,wenn bspw. nur der Betrieb von Versorgungsanlagenausgeschrieben wird. Das unternehmerische Risikosteigt mit zunehmender Laufzeit der Verträge. Indem Ausschreibungsverfahren gewinnt in der Regeldas Unternehmen den Zuschlag, das für die Ver-tragslaufzeit unter Berücksichtigung der vertraglichfestgelegten Qualitäts- und Versorgungsstandardsden niedrigsten Preis für die Konsumenten garantie-ren kann. Nach Vertragsende werden die Kontrakteerneut ausgeschrieben.

Diese Modelle erbringen vor allem dann optimaleErgebnisse, wenn alle relevanten Sachverhalte inner-halb der Konzession geregelt werden können. BeiLaufzeiten von 20 - 30 Jahren liegt es jedoch auf derHand, dass dies in der Realität nie möglich seinwird. Die spezifischen Probleme dieser Wettbe-werbslösungen liegen vor allem in der Möglichkeitopportunistischen Verhaltens der beteiligten Akteu-re. Unternehmen können bspw. innerhalb der Aus-schreibung sehr niedrige und langfristig nicht tragfä-hige Gebote machen, weil sie nach dem Zuschlagauf Nachverhandlungen setzen, denen sich die aus-schreibende Gebietskörperschaft nicht entziehenkann.6

Grundsätzlich gilt, dass bei Konzessionsmodellenauch die sonstigen Transaktionskosten sehr hochsein können und bei einer Privatisierungsbeteiligungentsprechend mitberücksichtigt werden müßten.Unter diesen Kostenbegriff fallen etwa die Kostendes Vertragsabschlusses sowie der Durchsetzungund Kontrolle der Vertragsinhalte.

1.4 Cross-border competition und Wettbewerbum Großkunden

Es gibt Situationen, in denen eine unmittelbare Kon-kurrenz von Wasserunternehmen um Kunden mög-lich wird, und zwar über den Aufbau eigener Versor-gungsnetze. Denkbar ist dies vor allem im Grenzbe-reich von Versorgungsgebieten, wenn ein Versor-gungsunternehmen einen Kunden des benachbarten

Versorgers versorgt. Ein anderes Beispiel ist die Ver-und Entsorgung von neuen Stadtteilen oder Gewer-begebieten innerhalb des Zuständigkeitsbereichs desbisherigen Monopolisten. Eine gängige Version desunmittelbaren Wettbewerbs besteht in der schrittwei-sen Marktöffnung, vergleichbar der Entwicklung inanderen liberalisierten Infrastruktursektoren. Dabeikönnen nur Verbraucher oberhalb einer bestimmtenVerbrauchsmenge (Großverbraucher) ihren Versor-ger wählen. (Bsp. sogenannte inset appointements inEngland, Entwicklung in den Niederlanden).

1.5 Contracting out

Bestimmte Serviceleistungen im Rahmen der Was-serversorgung bzw. Abwasserbeseitigung wie etwaZählerablesung, Abrechnungen aber auch spezifi-sche technische Dienstleistungen müssen nicht vondem jeweiligen Ver- und Entsorgungsunternehmenselbst erbracht werden, sondern können ausgeschrie-ben werden. Ob eine solche Vergabe von Dienstlei-stungen kostengünstiger ist als die Ausführunginnerhalb des Unternehmens ist nicht grundsätzlichsondern jeweils im Einzelfall zu beantworten. DieseForm des Wettbewerbs ist nicht neu, wird aber - wieauch die Erfahrungen in anderen Infrastruktursekto-ren zeigen - in der Zukunft eine größere Rolle spie-len.

1.6 Wettbewerb um Ressourcen

In Deutschland wie auch in den meisten anderenIndustrieländern ist der Zugang zum Rohstoff Was-ser staatlich reglementiert. Die Zuteilung erfolgtnach unterschiedlichen Kriterien (Vorrang deröffentlichen Wasserversorgung; zeitliche Reihenfol-ge der Anträge ...) ökonomische Gesichtspunktespielen in der Regel keine Rolle, d.h. für dieRessource selbst wird kein Preis erhoben.Ressourcen- und Umweltökonomen haben immerwieder die Forderung nach mehr Markt auch in die-sem Bereich erhoben. Zuletzt hat etwa der Sachver-ständigenrat für Umweltfragen in seinem Jahresgut-achten 1998 die Forderung nach einer Ausschrei-bung von Entnahmerechten erhoben, um damit auchdie ökonomischen Anreize für eine sorgsamenGrundwasserschutz zu schaffen.7

Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Was-serversorgung stellt sich in diesem Zusammenhangdie Frage, ob nicht die Reform des Wasserrechts einezwingende Voraussetzung ist, um überhaupt Wettbe-werb zu ermöglichen.8

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Wasserwirtschaft

1.7 Konkurrenz um Weiterverteiler

Ein unmittelbarer Wettbewerb in der Wasserversor-gung besteht trotz der Regelung als wettbewerb-licher Ausnahmebereich (§103 GWB) insofern, alsein Wettbewerb um die Weiterverteiler stattfindet.Die Zahl der Unternehmen, die hier miteinanderkonkurrieren ist jedoch aufgrund der Ressourcenver-fügbarkeit eher gering (Bsp. Gelsenwasser, Har-zwasserwerke, Fernversorgungsunternehmen).

1.8 Private Lösungen

Bei allen bisherigen Wettbewerbsmodellen erfolgtdie Ver- bzw. Entsorgung der Kunden über "öffentli-che" Netze. Es gibt jedoch seitjeher in der Wasser-wirtschaft die Eigenver- bzw. Entsorgung. Einerechtliche Zulässigkeit unterstellt, hängt die Wirt-schaftlichkeit solcher Lösungen u.a. vom Zugang zuWasserressourcen (Wasserrechte) ab, aber natürlichauch von der technischen und ökonomischen Bedin-gungen einer zentralen Ver- und Entsorgung.

2 Konkurrenten auf den Wassermärk-ten: Von kommunalen Eigenbetriebenund Global Playern9

2.1 Vorbemerkung

Wer sind eigentlich die zentralen Akteure auf demWassermarkt? Gibt es auch hier Global Player,gegen die öffentlich-rechtliche, kommunale Unter-nehmen möglicherweise nur begrenzte Chancenhaben?

Die auf den internationalen Märkten tätigen Wasser-versorger haben von einigen Ausnahmen abgesehen,auch auf ihren Heimatmärkten eine herausragendeStellung. Das Argument, die deutschen Unterneh-men könnten nur dann auch international erfolgreichagieren, wenn sie über eigenen inländische Erfah-rungen mit privaten Lösungen verfügen, ist vor demHintergrund der Entwicklung auf den internationa-len Märkten nicht ganz von der Hand zu weisen. DieChancen deutscher Unternehmen hängen natürlichganz entscheidend von der Zahl der potentiellenKonkurrenten und deren Angebotsstrategien ab. Vorallem bei den weltweit führenden französischen undbritischen Konzernen kommt hinzu, dass sie sich inihren eigenen Ländern einem zunehmenden Regulie-rungsdruck ausgesetzt sehen (Bsp. striktere Preis-kontrolle in Großbritannien, wachsender politischerDruck auf Unternehmen in Frankreich vor allemauch als Folge von Korruptionsvorwürfen etc.)10

bzw. die Märkte damit auch langfristig vergeben

sind.11

Davon unterscheidet sich die Situation in Deutsch-land ganz erheblich: sowohl die Wasserversorgungals auch die Abwasserbeseitigung sind weitgehendkommunal orientiert, es gibt nur wenig privateUnternehmen bzw. Beispiele einer Privatisierung.Die nach wie vor anhaltende kommunale Finanzmi-sere sowie die gleichzeitig steigenden Anforderun-gen (EG-Trinkwasserrichtlinie, Wasserrahmen-richtlinie etc.) werden jedoch dazu führen, dass sichviele Kommunen zumindest mittelfristig um alterna-tive Lösungen Gedanken machen werden. AlsAkteure kommen hier aber nicht nur die internatio-nalen Konzerne in Frage, sondern natürlich auch diegrößeren kommunalen Versorgungsunternehmen,die über eine Ausweitung ihrer wirtschaftlichenAktivitäten ihre Marktpositionen zu stärken versu-chen. Denkbar ist auch ein stärkeres Engagement derEnergieversorger, die sich im Zuge der Liberalisie-rung der Energiemärkte zu umfassenden Infrastruk-turdienstleistern (Multi Utilities) entwickeln.13

Trotz dieser Chancen deutscher Unternehmen aufdem deutschen Markt, sind die ausländischen Kon-zerne nach wie vor weltweit führend. Der Stand derPrivatisierung und vor allem auch das zukünfige Pri-vatisierungspotential sind dabei in den Weltregionensehr unterschiedlich.

1995 wurden weltweit rd. 250 Mrd. US-Dollar indie Infrastruktur investiert, davon waren rd. 15% pri-vat finanziert:

Private Anteile an Infrastrukturinvestitionen

Quelle: Smith 1999

Der Infrastrukturbedarf im Bereich Wasser undAbwasser für die nächsten 10 Jahre wird je nachQuelle (World Bank, United Nations) auf 200 - 320Mrd. US $ veranschlagt, davon entfallen rd. 2/3 derInvestitionen auf den Bereich der öffentlichen Ver-und Entsorgung.14

Land Prozent Land Prozent

Großbritannien 71 Ungarn 76

USA 47 Chile 54

Japan 14 Philippinen 42

Frankreich 13 Thailand 17

Deutschland 9 Elfenbeinküste 10

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

23Heft 3-4/2004

Private Beteiligung in der Wasserwirtschaft und Privatisierungspotential

Quelle: Rerolle 200, Folie 22-25

Es gibt einige große Anbieter in der Branche, dienahezu in allen Weltregionen aktiv sind und dabeiauch unterschiedliche Kontrakte eingehen.

Private Unternehmen in der europäischen Wasserwirtschaft

Tabelle siehe Seite 24

Führende Unternehmen in der Wasserwirt-schaft: Infrastrukturprojekte in den Entwick-lungsländern mit privater Beteiligung 1990 - 1997

Quelle: Silva 1998

2.2 Französische Unternehmen

Rund 75% der französischen Bevölkerung werdenvon privaten Unternehmen mit Trinkwasser versorgt.Das französische System, bei der die Kommunen dieihnen per Gesetz übertragenen Aufgaben der Was-serversorgung und Abwasserbeseitigung über lang-fristige Konzessionen an private Unternehmen ver-geben werden, hat eine sehr lange Tradition. Es istdaher nicht überraschend, dass es vor allem die fran-zösischen Unternehmen sind, die aufbauend aufihrer starken Position auf dem inländischen Markt,den Weltmarkt für Wasserdienstleistungen dominie-ren. Hinzu kommt, dass dieses Privatisierungsmo-dell insbesondere von den internationalen Organisa-tionen, allen voran der Weltbank, als ein tragfähigesPrivatisierungsmodell für die Entwicklungsländerpropagiert wird.15

Es sind vor allem drei große Konzerne, die sowohlden französischen Markt dominieren als auch füh-rend auf dem internationalen Markt sind:

2.2.1 Suez - Lyonnaise des Eaux

SLE ist weltweit das größte Wasserversorgungs-unternehmen außerhalb Frankreichs. Das Unterneh-men ist zudem führend im Energiesektor (SLE ent-wickelt sich zu einem der weltweit größten privatenElektrizitätserzeugern) sowie im Abfallsektor (Sitaist eines der größten Abfallbeseitigungsunternehmenweltweit).

Im Wasserbereich setzt SLE eindeutig auf dasWachstum außerhalb Frankreichs und versucht seinestrategische Position zu stärken, indem es dengesamten Wasserzyklus beherrscht. Seine internatio-nalen Ambitionen hat SLE in den letzten Jahren etwadurch den Aufkauf des zweitgrößten US-amerikani-schen Wasserversorgers United Water Resources

Private Ver- und Entsorgung in % der Bevölkerung (1999)

Privatisierungspo-tential bis 2015 in %

der Bevölkerung

Land

Wasser Abwasser Wasser Abwasser

Belgien 5 35 15 55

Frankreich 77 60 85 80 Deutsch-land 9 7 20 25

Italien 14 7 45 35

Spanien 45 52 65 70 Großbri-tannien 87 90 88 95

Ungarn 25 25 35 35

Polen 2 0 15 15

Brasilien 12 5 25 20

Chile 50 50 85 85

USA 15 5 25 20

Ägypten 1 1 8 10

Marokko 10 5 35 30

Türkei 3 1 10 10

Australien 22 8 35 30

Malaysia 45 55 65 65

Thailand 2 0 60 50

Indien 0 0 5 2

Unternehmen Anzahl

der Projekte

Investitions-summe in Mill. US $

Suez Lyonnaise des Eaux

28 16.153

Vivendi 13 5.275

Agua de Barcelona 6 9.072

Thames Water 6 1.375

SAUR International 5 38

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24 Heft 3-4/2004

Wasserwirtschaft

Private Unternehmen in der europäischen Wasserwirtschaft

Quelle: Zusammenstellung nach Public Services International World Utilities Conference; World of the Multinationals[http://www.psi-utilities.org/wucweb/europe/]

Land Sektor Unternehmen Norwegen Wasser Suez - Lyonnaise Schweden Wasser Anglian Water Schweden Wassertechnologie, Ausrüstungen (4

Unternehmen) Anglian Water

Finnland Wasser AEP Großbritannien Wasser (3 Unternehmen) Bouygues Großbritannien Wassertechnologie Bouygues Großbritannien Wasser (3 Unternehmen) Electricity de France Großbritannien Wassertechnologie Electricity de France Großbritannien Wasser (2 Unternehmen) Enron Großbritannien Wasser (3 Unternehmen) SAUR Großbritannien Wassertechnologie SAUR Großbritannien Wasser Suez - Lyonnaisse Großbritannien Wasser (5 Untenehmen) Vivendi Großbritannien Wassertechnologie (2 Untenehmen) Vivendi Deutschland Wassertechnologie (2 Unternehmen) Anglian Water Deutschland Wasser Suez - Lyonnaise Deutschland Wasser Vivendi Deutschland Wassertechnologie (2 Unternehmen) Vivendi Deutschland Wasseranalytik Yorkshire Water Italien Wasser Bouygues Italien Wasser EDF Italien Wasser SAUR Italien Wasser Severn Trent Italien Wasser (3 Unternehmen) Suez Lyonaisse Italien Wasser (7 Unternehmen) Vivendi Spanien Wasser Biwater Spanien Wasser (3 Unternehmen) Bouygues Spanien Wasser (3 Unternehmen) Electricity de France Spanien Wasser Severn Trent Spanien Wasser (3 Unternehmen) SAUR Niederlande Wasseranalytik (2 Unternehmen) Yorkshire Water Belgien Wasser Severn Trent Belgien Wasser (2 Unternehmen) Suez - Lyonnaisse Belgien Wasser Tractabel/Vivendi Belgien Wasser Vivendi

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sowie der US-AbwasserbeseitigungsunternehmenNalco und Calgon zum Ausdruck gebracht. Im Was-serbereich ist das Unternehmen zudem engagiertetwa in Chile, Italien, Deutschland (über Eurawas-ser), vor allem aber auch in Ost- und Zentraleuropa(Tschechei, Ungarn, Slowakei).

2.2.2 Vivendi

Vivendi, das bis 1998 als Generale des Eaux firmier-te, ist vom Umsatz her weltweit das größte Wasser-versorgungsunternehmen. Die Kernaktivitäten desUnternehmens liegen daneben in den BereichenEnergie, Abfall, öffentlicher Nahverkehr und zuneh-mend in den Bereichen Telekommunikation undneue Medien. Im Wassergeschäft ist das Unterneh-men ebenso wie SLE weltweit aktiv. Die Übernahmevon US-Filter im Frühjahr 1999 zu einem Preis vonüber 6 Mrd. $ stärkte die herausragende Position vonVivendi auf dem amerikanischen Wassermarkt. InDeutschland ist vor allem die Beteiligung an denBerliner Wasserbetrieben hervorzuheben. Ebensowie SLE verfügt Vivendi in Ost- und Zentraleuropaüber zahlreiche Wasserkonzessionen.

Wachstumschancen auf dem Wassermarkt siehtVivendi vor allem in Westeuropa (hier in erster Liniein der BRD) sowie in Lateinamerika und Asien.

Die größten Konkurrenten sieht Vivendi dabei in dengroßen Energieversorgern, den öffentlichen Wasser-versorgern (u.a. Berliner Wasserbetriebe) sowie inder amerikanischen Enron. Vivendi versucht eineStärkung ihrer Position vor allem durch Kooperatio-nen (u.a. RWE, Veba).

2.2.3 Bouygues (SAUR)

SAUR ist der dritte große französische Wasserver-sorger. Anteilseigner sind hier der französische Bau-konzern Bouygues sowie die französische Electrici-ty de France. Das Unternehmen ist ebenfalls interna-tional aktiv, konzentriert sich dabei aber besondersstark auf den afrikanischen Kontinent. In Osteuropaverfügt SAUR bisher nur über eine Konzession inDanzig.

2.3 Englische Unternehmen

Nachdem die englische Wasserwirtschaft 1989 voll-ständig privatisiert wurde, haben eine Reihe derWasserversorgungsunternehmen auch ihre interna-tionalen Aktivitäten ausgebaut, wenn auch nichtimmer mit besonders großen wirtschaftlichenErfolg. Von den englischen Unternehmen auf demWeltmarkt hervorzuheben sind vor allem Anglian

Water, Hyder, Severn Trent, Thames Water und Uni-ted Utilities.

2.4 Sonstige Anbieter

Die amerikanische Azurix entstand 1998, nachdemder US-Energieversorger Enron das britische Was-serversorgungsunternehmen Wessex Water aufkauf-te und das neu gebildete Unternehmen 1999 an dieBörse gebracht wurde. Das Unternehmen hat bisherKonzessionen - oft zusammen mit anderen Anbie-tern - in Argentinien, den USA und in Mexikogewonnen oder übernommen. Der Versuch einerBeteiligung an den Berliner Wasserbetrieben schei-terte.

Einige spanische Wasserversorger, an denen wiede-rum zum Teil die französischen Versorger Vivendiund Lyonnaise des Eaux beteiligt sind, verfügen überWasserversorgungskontrakte in Portugal, in Nord-afrika sowie in Südamerika. Die beiden größtenUnternehmen sind Aguas de Barcelona sowie dieFoment des Contratas y Construcciones (FCC).

AMGA, Eni-Italgas und ENEL sind italienischeEnergie- und Wasserversorger, die sich jeweils inPartnerschaft mit Vivendi und Suez-Lyonnaise auchinternational engagieren (u.a. Russland, Argenti-nien).

2.5 Deutsche Unternehmen

Die deutschen Unternehmen weisen sowohl in derWasserversorgung als auch in der Abwasserbeseiti-gung eine sehr kleinteilige Struktur mit Vorrang füröffentlich-rechtliche Unternehmensformen auf. Esgibt bislang auch nur wenige deutsche Unterneh-men, die außerhalb ihrer eigentlichen Versorgungs-gebiete bzw. international aktiv sind. Hervorzuhebensind hier die RWE (Anteile an der privatisiertenBWB, sowie in Kombination mit Suez eine Konzes-sion in Budapest; Gelsenwasser mit Beteiligung anStadtwerken etc.).

Es gibt daneben eine Reihe von kommunalen Unter-nehmen, die sich etwa im Bereich der Abwasserbe-seitigung auch außerhalb ihres eigentlichen Versor-gungsgebietes engagieren.

Generell muss man jedoch feststellen, dass Deutsch-land das einzige größere Industrieland ist, das nichtmit eigenen Großunternehmen auf den Märkten miteinem hohen Privatisierungs- und Wachstumspoten-tial vertreten ist.

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 25

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3 Wettbewerb auf dem Wassermarkt:Vor- und Nachteile öffentlicher Unter-nehmenIm Folgenden werden einige der Argumente disku-tiert, die im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfä-higkeit öffentlich-rechtlicher Unternehmen vorge-bracht werden.

3.1 Multi Utilities

Der Trend auf den Märkten für Infrastrukturdienst-leistungen geht zur Zeit eindeutig in Richtung dersog. Multi-Utilities, d.h. Unternehmen, die unter-schiedliche Infrastrukturdienste anbieten und dabeivon den Synergieeffekten profitieren. In der Wasser-wirtschaft gibt es kaum private Unternehmen, die

nur Wasserversorgung oder nur Abwasserbeseiti-gung anbieten. Insofern stellt die deutsche Strukturauch international gesehen durchaus eine Besonder-heit dar, die den Unternehmen auch zum Wettbe-werbsnachteil gelangen kann. Nahezu alle großenKonzerne, die national oder international Wasser-dienstleistungen anbieten, sind jedoch darüber hin-aus auch in anderen Sektoren tätig, sie können alsoentweder eine gesamte Palette an Infrastrukturlei-stungen anbieten, oder aber sie sind in der Lage, diegesamte Wertschöpfungskette etwa im Wasserbe-reich abzudecken, d.h. beispielsweise Bau- und Pla-nungsleistungen, Wasser- und Umwelttechnik,Abrechnungssysteme etc. Hier liegen sowohl Syner-gieeffekte vor, es gibt aber auch Möglichkeiten etwader internen Subventionierung, denen die kommuna-len Unternehmen in ihrer bisherigen Form nichts

Heft 3-4/2004

Wasserwirtschaft

26

Wasserversorgung Abwasserentsorgung (60% der Gesamt-

bevölkerung) Anteil am

Wasseraufkom-men 1996

( %)

Anteil an Gesamtzahl der Unternehmen

1996 (%)

Anteil an den erfassten

Einwohnern 1997 (%)

Anteil an den erfassten

Einwohnern 1998 (%)

Regiebetriebe 0,5 4,4 33,7 23,5

Eigenbetriebe 20,5 50,2 36,2 41,7

Zweckverbände 19,1 17,5 12,7 14,5

Anstalt des öffentlichen

Rechts

3,8 0,1 11,0 10,1

Wasser- und

Bodenverbände

5,4 3,8

Öffentl. Gesellschaften

(AG, GmbH)

24,5 13,6

Eigengesellschaften (AG,

GmbH)

7,0 3,4 4,0 6,8

Gemischt - öffentlich -

privatwirtschaftl. Gesell-

schaften (AG, GmbH)

16,8 5,3

Privatwirtschaftliche AG

oder GmbH

2,4 1,4

Sonstige privat-rechtliche

Unternehmen

0,01 0,3 2,0 2,0

Betreibergesellschaften 0,4 1,4

Struktur der deutschen Wasserwirtschaft

Quelle: Wanka (1999, S. 123, nach BGW)

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entgegen zu setzen haben. Im Gegenteil ist imöffentlichen Sektor eher ein gegenläufiger Trendfestzustellen, wenn etwa Stadtwerke-Strukturen auf-gebrochen werden und die einzelnen Sparten selbst-ständig geführt bzw. verkauft werden.16

3.2 Flexibilität

Kommunalverfassungen, das öffentliche Tarifrecht,die Einflussnahme durch die politischen Gremiender Gebietskörperschaften sowie auch immer nochveraltete interne Organisations- und Entscheidungs-strukturen sind nur einige der Rahmenbedingungenfür öffentliche Unternehmen. Natürlich stehen ihnenauf der anderen Seite nicht immer nur moderngeführte und hochinnovative private Unternehmengegenüber, dennoch wird man feststellen müssen,dass der Handlungsspielraum der öffentlichenUnternehmen im unmittelbaren Wettbewerb mit pri-vaten Unternehmen nur beschränkt ist.

3.3 Erfahrungen im Umgang mit Regulierungs-behörden

Alle Erfahrungen aus anderen Ländern mit Liberali-sierungsmodellen in netzgebundenen Infrastruktur-sektoren zeigen, dass je nach Art und Umfang derStrukturreform im unterschiedlichen Maße eineRegulierung der Branche notwendig bleibt. ImMittelpunkt steht dabei die kartellrechtliche Wasser-preiskontrolle17, bei Konzessionsmodellen die Kon-trolle der Vertragsdurchsetzung und bei weitergehen-den Reformen wie bei Durchleitungsmodellen vorallem die Regulierung der Zugangsbedingungen undNetzpreise. Sowohl private als auch öffentlich-recht-liche Unternehmen sind gleichen Bedingungenunterworfen. Vor- oder Nachteile für bestimmteUnternehmen können sich jedoch ergeben, wenn sieim unterschiedlichen Maße im Umgang mit einersolchen Regulierungspraxis geübt sind. Insbesonde-re Unternehmen, die über Erfahrungen bspw. mitdem britischen Regulierungssystem verfügen, dürf-ten in diesem "Regulierungsspiel"18 Vorteile (Bsp.Durchsetzung von Unternehmensinteressen, Infor-mationspolitik; strategisches Verhalten ...) haben.

In den Fällen, in denen Kommunen bspw. ihreAbwasserbeseitigung vertraglich an ein privatesUnternehmen vergeben oder ein öffentliches Unter-nehmen eine anderes kommunales Versorgungsge-biet mitübernimmt, ist die jeweilige Gebietskörper-schaft für die Organisation des Vergabeverfahrensund für die Durchsetzung und Überwachung der Ver-träge zuständig. Öffentliche Unternehmen sind hier

möglicherweise im Vorteil, da sie sich einerseits mitdem administrativen System auskennen und anderer-seits möglicherweise die politische Akzeptanz priva-ter Unternehmen auch darunter leidet, dass man ihreKontrolle als schwierig einstuft. Andererseits istjedoch auf die besondere Komplexität von Aus-schreibungsverfahren hinzuweisen;19 hier dürftenvor allem die privaten Unternehmen mit entspre-chenden Erfahrungen im Vorteil sein.

3.4 Projektgröße, Laufzeiten und unternehmeri-sche Risiken

Viele Konzessionsprojekte und Betreibermodellesind sehr komplexer Art und erfordern hohe Investi-tionen. Diese Investitionsvolumina, lange Laufzei-ten, durchaus nicht immer sichere politisch-rechtli-che Rahmenbedingungen vor allem bei ausländi-schen Projekten bedingen Risiken, die selbst für pri-vate Konzerne allein nicht handhabbar sind. VieleProjekte gerade in der Wasserwirtschaft werdendaher in Form von Joint Ventures erbracht. Trotzaller Erfolgsmeldungen privater Wasserkonzernedarf aber auch nicht vergessen werden, dass esdurchaus eine Fülle gescheiterter Projekte gibt bzw.Projekte, die nur verlustreich weitergeführt werdenkönnen.

Nicht selten wird auf den Umstand verwiesen,öffentliche Unternehmen seien insofern im Vergleichzu privaten Unternehmen im Vorteil, als die Gefahrvon Konkursen nicht gegeben sei. Diese Gefahr istin den Infrastruktursektoren auch für private Anbie-ter nach allen Erfahrungen eher gering: Einerseitshaben die Gebietskörperschaften als Auftraggeberkein Interesse an einer Versorgungsunterbrechung,andererseits versucht man schon ein stabiles Regu-lierungsumfeld zu schaffen, das den Unternehmeneine Finanzierungssicherheit gibt und damit auch dieGefahr von Unternehmenszusammenbrüchen min-dert.20

Allein die Projektgröße und die damit verbundenenRisiken dürften die Leistungsfähigkeit vieler öffent-licher Unternehmen bei weitem übersteigen, zumaldie Kommunalverfassungen den Unternehmen indieser Hinsicht doch deutliche Grenzen setzen. Auchdie notwendigerweise oft sehr langen Laufzeiten derProjekte und damit auch des gebundenen Kapitalsdürften den öffentlich-rechtlichen Eigentümern nurschwer zu vermitteln sein.

3.5 Zugang zu Kapitalmärkten

In der Privatisierungsdebatte wurde häufig das Argu-

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 27

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ment gebracht, private Unternehmen hätten einenbesseren Zugang zum Kapitalmarkt und sein dahermöglicherweise vor allem bei größeren Investitions-projekten im Vorteil. Dieses Argument dürfte jedochgegenwärtig in dieser verabsolutierenden Formkaum noch zutreffen: Von speziellem Risikokapitalabgesehen, dürften private Unternehmen kaum nochVorteile haben; zudem gibt es zahlreiche Beispiele,in denen auch die Kommunen auf moderne Finan-zierungsvarianten zurückgreifen: So konnte dieStadt München bspw. eine 100 Mill. DM-Anleihebei der japanischen Nippon Life Insurance Companyplatzieren.21

Andererseits ist möglicherweise der Vorteil öffent-licher Unternehmen bei der Finanzierung unter Wett-bewerbsbedingungen nicht mehr gesichert: Öffentli-che Unternehmen können aufgrund ihrer besonderenBonität immer Kredite zu günstigeren Konditionenaufnehmen als private Unternehmen. Es ist jedochfraglich, ob Kreditgeber dazu auch dann noch bereitsind, wenn diese Kredite zur Finanzierung von wirt-schaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Unterneh-men außerhalb ihres eigentlichen kommunalen Wir-kungskreises dienen.

Im Zusammenhang mit der Finanzierung öffent-licher Unternehmen und der Wettbewerbssituationbleibt aber auch das Thema der Subventionierungrelevant. Die Größenordnung kommunaler Subven-tionen ist sehr umstritten, die Angaben variieren sehrstark nach dem zugrundgelegten Subventionsbegriff.Die folgenden Angaben basieren auf einer aktuellenAuswertung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft;danach sind die kommunalen Subventionen starkrückläufig, erreichen dennoch ein Niveau von über50 Mrd. DM pro Jahr, wobei die "heimlichen"Finanzhilfen noch gar nicht berücksichtigt sind:

Im Zuge der Liberalisierung von Wirtschaftsberei-chen, die in der Vergangenheit mehrheitlich durchnationale, regionale oder lokale Monopole gekenn-zeichnet waren bzw. von Wirtschaftsbereichen, indenen eine Liberalisierung zur Zeit noch ansteht,stellt sich nach Ansicht der Europäischen Kommis-sion zunehmend die Frage gleicher Wettbewerbsbe-dingungen zwischen öffentlichen und privatenUnternehmen. Die Kommission sieht die Gefahr,dass öffentliche Unternehmen bzw. private Unter-nehmen, die mit bestimmten ausschließlichen Rech-ten betraut sind, Wettbewerbsvorteile genießen, weilsie bspw. Zuschüsse von ihren öffentlichen Eigentü-mern erhalten. Zur Anwendung des Wettbewerbs-rechts in allen Wirtschaftssektoren werden Informa-tionen über die interne Organisation der Unterneh-men benötigt, an denen die öffentliche Hand betei-ligt ist oder die vollständig der Kontrolle der öffent-lichen Hand unterliegen.

Diese Informationen liegen nicht immer oder in nurunzureichendem Maße vor. In einem aktuellenTransparenzrichtlinienentwurf22 schlägt die Kom-mission daher eine getrennte Buchführung inbestimmten Unternehmen und Sektoren verpflich-tend vor.

Eine Transparenzrichtlinie ist bereits seit 1980 inKraft und wurde mehrfach ergänzt, u.a. wurden 1985auch die Unternehmen der Wasser- und Energiever-sorgung in den Adressatenkreis der Richtlinien mitaufgenommen. Der gegenwärtige Status quo istjedoch nach Ansicht der Kommission unzureichend,um wettbewerbsverzerrende öffentliche Beihilfen anöffentliche Unternehmen zu verhindern.

Der Richtlinienentwurf sieht daher sowohl eine Aus-weitung des Anwendungsbereichs vor als auch eineKonkretisierung der vorzulegenden Informationen.

Heft 3-4/2004

Wasserwirtschaft

28

Aufgabenbereich 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Gemeinden und Gemeindeverbände insgesamt

61.201 56.034 53.923 51.819 50.527 48.248

davon Abwasser-beseitigung und Wasserversorgung

9.308 7.878 6.616 4.900 3.911 3.735

Kommunale Zweckverbände insgesamt

5.917 6.260 6.255 5.465 5.598 5.345

davon Abwasser- u. Abfallbeseitigung, Wasserversorgung und überöffentliche Einrichtungen

4.273 4.865 4.199 3.033 3.175 3.032

Subventionen für Kommunen und kommunale Unternehmen in Mill. DM

Quelle:Boss/Rosenschon

2000, S. 22f

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Diese Buchführung soll getrennt nach Geschäftsbe-reichen vorgenommen werden und Kosten und Erlö-se der einzelnen Geschäftsbereiche klar erkennenlassen, ebenso wie die Methoden der Zuordnung undZuweisung der Kosten und Erlöse und der Verwen-dung der Nettoerlöse der einzelnen Geschäftsberei-che. Offenzulegen ist auch die unmittelbare odermittelbare Bereitstellung öffentlicher Mittel undderen Verwendung durch das Unternehmen.

Eine derartige Verpflichtung zu einer getrenntenBuchführung besteht bereits in einigen Sektoren undist in den entsprechenden Rechtsvorschriften derGemeinschaft geregelt (Telekom, Energie, Eisen-bahn ...), die Transparenzrichtlinie hat keinen Ein-fluss auf diese Rechtslage, sondern dehnt die Ver-pflichtung auf andere Wirtschaftsbereiche aus. Nachdem Entwurf, der sowohl auf private als auch öffent-liche Unternehmen anzuwenden ist, gilt diese Ver-pflichtung nicht:

- für Unternehmen, die in Bereichen tätig sind, indenen der Handel zwischen den Mitgliedsstaatennicht beeinträchtigt ist,

- für Unternehmen, die einen Jahresumsatz vonweniger als 40 Mill. Euro aufweisen,

- und für Unternehmen, die ausschließliche Versor-gungsrechte in einem transparenten, offenen undnicht-diskriminierenden Verfahren erhalten habenoder die eine Vergütung für die Erbringung vonDienstleistungen von allgemeinem wirtschaft-lichen Interesse erheben, die auf der Basis einessolchen Ausschreibungsverfahrens festgesetztwurde.

Obwohl es viele kritische Stimmen gibt, geht manvon einer Verabschiedung der Transparenzrichtlinieaus, zumal die Kommission das Recht hat, nacheinem Konsultationsverfahren eine Entscheidungauch ohne Zustimmung des Rats und des Parlamentszu erlassen.

Die Kritik, wie sie etwa von Verbänden der öffent-lichen Wirtschaft formuliert wird,23 konzentriert sichauf folgende Punkte:

- Die Liberalisierung ist in der Zwischenzeit in vie-len Sektoren sehr weit fortgeschritten und auchdie dort tätigen öffentlichen Unternehmen bzw.Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung habensich auch bezüglich Managementmethoden etc.soweit entwickelt, dass sie mit privaten Unterneh-men vergleichbar sind. Nach wie vor bestehendeUnterschiede resultieren nicht aus der Eigentums-form, sondern aus sektorspezifischen Merkmalen,aus der unterschiedlichen Unternehmensgröße

und der Art der den Unternehmen auferlegtenGemeinwohlverpflichtungen. Die Informations-auflagen im Rahmen der Direktive stellen dahereine ungerechtfertigte Benachteiligung öffent-licher Unternehmen dar.

- Die Ausweitung der Direktive auf Unternehmenmit einem Mindestumsatz von 40 Mill. Euroerfasst kleine und mittlere Unternehmen, derenEinfluss auf den zwischenstaatlichen Handel ver-nachlässigbar und die Wettbewerbsintensitätgering ist. Die Richtlinie ist unverhältnismäßig,zumal die Kommission über genügend alternativewettbewerbspolitische Instrumente verfügt.

- Der Kommissison ist es nach wie vor nicht gelun-gen, die Unstimmigkeiten in der Definition vonöffentlichen Unternehmen oder Unternehmen, dieDienstleistungen von allgemeinem wirtschaft-lichen Interesse erbringen, zu klären.24 DieseUngenauigkeiten, aber auch die unterschiedlichenAusgangsbedingungen in den Mitgliedsstaatenwerden zu einer uneinheitlichen Umsetzung derRichtlinie führen und damit zu weiteren Wettbe-werbsverzerrungen.

- Die Auflagen führen zu einem zusätzlichen büro-kratischen Aufwand innerhalb staatlicher Behör-den, vor allem aber bei den Unternehmen.

Auch wenn die Kritik nicht in jedem Fall nachvoll-ziehbar ist - so etwa im Hinblick auf die Gefährdungdes öffentlichen Aufrags des öffentlichen Unterneh-mens - kann aber resumierend festgehalten werden,dass sich bei einer konsequenten Umsetzung desRichtlinienentwurfs die Wettbewerbsstellung deröffentlichen Unternehmen nicht gerade verbesserndürfte. Argwöhnisch beobachtet werden dürfte vorallem die Ausdehnung auf neue Geschäftsfelder, ins-besondere dürfte durch die exakte Zuordnung vonKosten und Erlösen die Fortführung der bisherigenPolitik der Quersubventionierung sehr schwer auf-recht zu erhalten sein.

3.6 Gemeindeordnungen und einge-schränkte wirtschaftliche BetätigungDie Beseitigung der monopolartigen Strukturen inden verschiedenen Gebieten der kommunalenDaseinsvorsorge stellt die Kommunalwirtschaftaktuell vor neue Herausforderungen:

- neue Anbieter drängen auf den Markt und kon-kurrieren dort mit den kommunalen Unternehmen

- gleichzeitig ist jedoch versäumt worden, eineneinheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen: Teil-

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 29

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weise orientieren sich Bundes- und Landesgeset-ze, aber auch die Gemeindeordnungen nach wievor an den alten Monopolstrukturen; konkretbedeutet dies eine Beschränkung der wirtschaft-lichen Tätigkeit der Kommunalunternehmen.

Vor dem Hintergrund dieser veränderten Ausgangs-lage wird natürlich der Ruf nach einer Novellierungder Gemeindeeordnung laut; andererseits schaffendie kommunalen Unternehmen gegenwärtig aberauch Fakten, in dem sie sachlich und/oder räumlichneue Geschäftsfelder erschließen oder bereits vor-handene Geschäftsfelder intensivieren. Neben demEnde ihrer Monopolrechte spielen für diese unter-nehmerischen Strategien noch andere Motive eineRolle; so gibt es in den klassischen kommunalenAufgabenbereichen deutliche Wachstumsgrenzen(Bsp. Wasser), andererseits ist natürlich für vieleKommunen die Suche nach neuen kommunalen Ein-nahmequellen mit der ausschlaggebende Grund,ihren kommunalen Unternehmen das Engagementauf neuen Märkten zu erlauben.

Die Gemeindeordnungen der Bundesländer gebenim Wesentlichen den rechtlichen Rahmen für diewirtschaftliche Betätigung kommunaler Unterneh-men vor. Angesichts der Entwicklung auf den Märk-ten und dem anerkannten Reformbedarf hätte maneine Harmonisierung der Gemeindeordnungen derBundesländer erwarten können. Die aktuellenNovellierungen in den Ländern weisen jedoch ineine entgegengesetzte Richtung: Während etwa dieBayerische Gemeindeordnung von 1998 den Kom-munen und ihren Unternehmen nunmehr größereSpielräume für wirtschaftliche Aktivitäten einräumt,hat die neue rheinlandpfälzische Gemeindeordnungweitere Restriktionen eingeführt.

Besonders in Nordrheinwestfalen wurde in den letz-ten Jahren die Diskussion um die zukünftige Ausge-staltung der Gemeindeordnung sehr intensiv geführt.Auch die drei bislang wichtigsten höchstrichter-lichen Grundsatzentscheidungen zur Zulässigkeitkommunalwirtschaftlicher Tätigkeiten sind in NRWgefallen; nicht nur aus diesem Grund achten vielenauf die Entwicklung in diesem bevölkerungsreich-sten Bundesland.25

Trotz länderspezifischer Besonderheiten sind sichdie Gemeindeordnungen einig in der Anforderung,dass öffentliche Unternehmen dann wirtschaftlichaktiv sein dürfen, wenn diese wirtschaftliche Betäti-gungen einem öffentlichen Zweck dienen, einigeGemeindeordnungen fordern sogar einen "dringen-den" öffentlichen Zweck. Daraus wird vor allem einräumlicher Bezug zum jeweiligen Gemeindegebiet

abgeleitet, d.h. die Leistung des kommunalen Unter-nehmens muss in einem konkreten Zusammenhangmit den Bedürfnissen der Einwohner der jeweiligenGebietskörperschaft stehen.

In der novellierten nordrheinwestfälischen Gemein-deordnung ist in § 107 Abs. 3 S. 1 diese Beschrän-kung aufgegeben worden: Danach ist eine gemein-degebietsgrenzenüberschreitende Wirtschaftsaktiti-vät dann zulässig, wenn die allgemeinen Vorgabendes § 107 Abs. 1 GO NW eingehalten werden unddie "berechtigten Interessen" der betroffenen kom-munalen Gebietskörperschaft gewahrt bleiben. Diesdürfte dann immer der Fall sein, wenn diese Gebiets-körperschaft dem Engagement des jeweiligen Unter-nehmens zustimmt; andererseits dürfte es aber demberechtigten Interesse der Kommune widersprechen,wenn das fremde Kommunalunternehmen dem eige-nen Versorger Konkurrenz macht. Will ein kommu-nales Unternehmen auf ausländischen Märkten aktivwerden, ist dafür eine Genehmigung der Aufsichts-behörden erforderlich.

Ein öffentliches Unternehmen darf zudem nur tätigwerden, wenn Art und Umfang der Leistung ineinem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähig-keit der Kommune steht. Damit soll verhindert wer-den, dass Kommunen etwa durch die negativen Fol-gen von überdimensionierten Wirtschaftstätigkeitennachhaltig geschädigt werden. Den Kommunen stehthierbei aber natürlich ein sehr weiter Interpretations-pielraum zu; in den Gemeindeordnungen der neuenBundesländern aber auch nach der novellierten nord-rheinwestfälischen Gemeindeordnung ist zur Ermitt-lung des Bedarfs, sowie der Chancen und Risikender kommunalen Wirtschaftsaktivitäten eine Markt-analyse oder Markterkundungsverfahren obligato-risch.28

Die Gemeindeordnungen der Bundesländer enthal-ten daneben als letzten Punkt der sog. Schrankentri-as eine Subsidiaritätsklausel, wonach ein kommuna-les Unternehmen nur dann tätig werden soll, wenndie Aufgabe durch ein privates Unternehmen nichtbesser und wirtschaftlicher erbracht werden kann.Die Subsidiaritätsklauseln sind dabei in denGemeindeordnungen sehr unterschiedlich interpre-tiert: Während im Zuge der Novellierung der nord-rheinwestfälischen Gemeindeordnung diese Klauselvollständig gestrichen wurde,29 enthalten dieGemeindeordnungen von Bayern, Rheinland-Pfalzund Thüringen sogar "echte" Subsidiaritätsklauseln.Bei dieser restriktiven Auslegung ist eine kommu-nalwirtschaftliche Betätigung nur dann zulässig,wenn das kommunale Unternehmen den angestreb-ten Zweck nachweislich besser erfüllen kann. Diese

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Wasserwirtschaft

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Subsidiaritätsklauseln bedeuten jedoch nicht, dassEntscheidungen über die Übernahme neuer Aufga-ben nur reine Kosten- und Rentabilitätsvergleichezugrunde zu legen sind, es bleibt auch hier Aufgabeder politischen Entscheidungsträger zu definieren,was wirtschaftlicher und besser ist.

In den letzten Jahren ist es zu einer deutlichen Aus-dehnung der erwerbswirtschaftlichen Betätigunggekommen. An die Stelle von outsourcing tritt aufkommunaler Ebene eher in-sourcing, die Liste neuerwirtschaftlicher Aktivitäten der Kommunen ist lang,und bei vielen Aktivitäten ist nur mit viel Phantasieder öffentliche Zweck erkennbar.30

Ehlers spricht von einer Art Goldgräberstimmungauf lokaler Ebene.31 Das neue kommunalwirtschaft-liche Engagement wurde auch dadurch begünstigt,dass die Aufsichtsbehörden zumindest in der Ver-gangenheit wenig eindeutig und konsequent in ihrenEntscheidungen waren, es gab oft selbst dann keineIntervention, wenn kommunale Unternehmen auchVersorgungsleistungen außerhalb ihrer Regionenund sogar international erbrachten.

Innerhalb der Kontroverse um die Zukunft derGemeindeordnungen respektive der kommunalwirt-schaftlichen Betätigung sind zwei Argumentationsli-nien zu unterscheiden: Zum einen wächst der Wider-stand privater Unternehmen bzw. Unternehmensver-bände gegen die Ausweitung der Geschäftsaktivitä-ten kommunaler Unternehmen. Man vermutet - ineinigen Fällen sicherlich nicht zu Unrecht - nichtgerechtfertigte Wettbewerbsvorteile und sieht inBereichen wie der Abfallwirtschaft oder bei den sog.Annexaufgaben zahlreiche private Arbeitsplätze inGefahr.32 Mehrfach wurde in den letzten Jahrendiese Argumentation auch höchstrichterlich bestä-tigt.33

Aber es sind nicht nur potentielle private Konkur-renten, die sich gegen eine Ausweitung der kommu-nalen Wirtschaftstätigkeiten wenden. Eine grund-sätzliche Kritik entzündete sich vor allem am Enga-gement der kommunalen Energieversorgungsunter-nehmen im Bereich der neuen Telekommunikations-dienste, sie beschränkt sich aber nicht nur auf dieseAktivitäten.34 Sehr eindeutig hat in diesem Zusam-menhang die Monopolkommission in einem ihrerHauptgutachten Stellung bezogen: "Eine Betätigungvon Kommunen oder deren Unternehmen als Netz-betreiber und Anbieter von Kommunikationsdienst-leistungen ist nicht nur ordnungs- und wettbewerbs-politisch unerwünscht, sondern stößt zudem auferhebliche verfassungsrechtliche Bedenken."35

Die juristische Literatur ist hinsichtlich der Frage der

Zulässigkeit kommunalwirtschaftlicher Tätigkeitwenig eindeutig. Während bspw. Müller im Zusam-menhang mit kommunalen Telekommunikationsak-tivitäten die Auffassung vertritt "...dass weder dasEuropäische Gemeinschaftsrecht noch das Verfas-sungsrecht der Bundesrepublik Deutschland einehinreichende Grundlage für die Bejahung der Zuläs-sigkeit kommunaler Betätigung im Bereich der Tele-kommunikation bieten."36, kommt Nagel in seinerAnalyse gerade aus einer europarechtlichen Perpek-tive zu einem anderen Ergebnis:

Werden kommunale Unternehmen durch kommunal-rechtliche Vorschriften daran gehindert, sich in dementwickelnden Wettbewerb mit privaten Unterneh-men zu entfalten, dann werden sie wegen Verstoßesgegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzdes EG-Rechts unzulässig diskriminiert.37

Insgesamt besteht also hinsichtlich der Zulässigkeiteiner erweiterten kommunalwirtschaftlichen Betäti-gung eine große Unsicherheit, auch aus der Sicht derökonomischen Theorie ist die Bewertung nicht ganzeindeutig, legt man die strikten ökonomischen Krite-rien für staatliche Interventionen und Beteiligungenam Wirtschaftsprozess zugrunde, dann fällt dieBewertung eher negativ aus.38

Lösungen, wie verstärkte Kooperationsansätze undVerbandlösungen (Bsp. Wasser- und Abwasserver-bände) können sicherlich eine Alternative zur einsei-tigen kommunalwirtschaftlichen Ausdehung darstel-len, aber eben nicht in allen Fällen und unter allenBedingungen.

Den öffentlichen Unternehmen vor allem auf derkommunalen Ebene wird nach wie vor eine wichtigeRolle für die Modernisierung des Standorts Deutsch-lands beigemessen. Die Unternehmen haben histo-risch gesehen den Aufbau der zentralen Infrastruktu-ren des Landes maßgeblich mitbestimmt und dabeiauch im internationalen Maßstab sehr hohe Quali-tätsstandards erreicht. Die Position und auch dasAufgabenverständnis der Unternehmen ist natürlichin dem Maße Veränderungen unterworfen, wie sichauch die zentralen gesamtwirtschaftlichen undgesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern.Ohne entsprechende Rechtssicherheit und die Besei-tigung der Wettbewerbsdiskriminierung durch eineReform der Gemeindeordnungen und anderer rele-vanter Rechtsakte,39 die den kommunalen Unterneh-men die Möglichkeit einräumen, sich erfolgreich denverändernden Marktbedingungen anzupassen, istihre Position langfristig gefährdet. Bei allen Debat-ten um die Gemeindeordnungen darf aber auch nichtvergessen werden, dass von der Privatwirtschaft das

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kommunale Engagement nicht nur unter Konkur-renzbedingungen betrachtet wird, sondern zuneh-mend auch als eine neue Möglichkeit für vielfältigeFormen des public private partnerships gesehen wer-den.40

Grundsätzlich lassen sich aus der Diskussion um dieGemeindeordnungen zwei Schlussfolgerungenableiten:

- wenn Wettbewerbsbeschränkungen durch die GO-Novellierung abgebaut werden, müssen sichkommunale Unternehmen andererseits auch dieFrage nach der Zulässigkeit von Wettbewerbsbe-günstigungen gefallen lassen;

- kommuale Unternehmen müssen sich auf ihreKernkompetenzen konzentrieren, d.h. auf das,was sie besonders gut können. Ganz allgemeinbedeutet dies auch, dass auch der öffentlicheZweck oder der öffentliche Auftrag nicht zu einerLeerformel verkommen dürfen, sondern konkreti-siert und auch öffentlich vermittelt werden müs-sen.

3.7 Kostennachteile öffentlicher Unternehmen

Mit der Privatisierung öffentlicher Unternehmeninnerhalb von Infrastruktursektoren sind in derRegel zahlreiche wirtschafts- und finanzpolitischeZielsetzungen verknüpft. Trotz aller Unterschiedezwischen den Ländern mit Liberalisierungserfahrun-gen gibt es ein grundlegendes Motiv: durch die Pri-vatisierung soll die Effizienz der Ver- und Entsor-gung entscheidend verbessert werden. Grundlegendist dabei die Annahme, dass öffentliche Unterneh-men in der Regel weniger effizient arbeiten als pri-vate Unternehmen.41 Diesen Argumenten kam z.B.im Rahmen der Privatisierung der britischen Wasser-wirtschaft eine große Bedeutung zu,42 aber auch dieForderung nach einer Reform der deutschen Wasser-wirtschaft wird zumindest teilweise mit der Überle-genheit der privaten Unternehmen begründet.43

Unterstellt man zunächst die Richtigkeit dieserArgumentation, müsste man davon ausgehen, dassöffentliche Unternehmen langfristig im Wettbewerbmit privaten Unternehmen nicht bestehen könnten.So weit verbreitet diese These von der quasi natur-gesetzlichen Überlegenheit privater Unternehmenist, so wenig ist sie jedoch theoretisch und empirischgesichert: Es gibt hoch effiziente öffentliche Unter-nehmen aber auch schlecht geführte, ineffizientebürokratische Gebilde. Dies gilt aber auch umge-kehrt: Nicht alle privaten Unternehmen stellen effi-ziente, innovative Organisationen dar!44 Es hat zahl-

reiche Versuche gegeben, die Effizienzunterschiedezwischen Unternehmen unterschiedlicher Rechts-form nachzuweisen, die Ergebnisse sind jedochwenig eindeutig: In vielen Studien konnten keineUnterschiede nachgewiesen werden, es gibt natür-lich Untersuchungen, die auf eine kostengünstigereLeistungserstellung der privaten Unternehmen ver-weisen, es gibt aber gleichzeitig auch Studien, diesogar die Vorteile bei öffentlichen Unternehmensehen.45 Grundsätzliche Einwände gegen die Über-interpretation dieser Ergebnisse sind jedoch ange-bracht:

- Es ist methodisch äußerst schwierig, solche Effi-zienzunterschiede nachzuweisen und sie auf dieEigentumsform zu beziehen; gerade viele Arbei-ten, die die Vorteile bei privaten Unternehmensehen, sind methodisch angreifbar.

- Die Frage ist, ob überhaupt die Vergleichsbasisstimmt: Gerade öffentliche Wasserversorgungs-unternehmen haben zahlreiche öffentliche Ver-pflichtungen (Bsp. ökologische, sozial- undbeschäftigungspolitische Auflagen). Wenn Unter-nehmen solche Dienstleistungen zusätzlich über-nehmen können ihnen die dadurch entstehendenMehrkosten nicht als Ineffizienz angelastet wer-den!

- Entscheidend ist jedoch in der Zwischenzeit dieErkenntnis, dass nicht die Eigentumsform derUnternehmen entscheidend ist, sondern die Mark-struktur, d.h. die Intensität des Wettbewerbs.

Aus diesen Überlegungen heraus lässt sich derSchluss ziehen, dass vor allem unter Wettbewerbsbe-dingungen möglicherweise vorhandene Effizienz-unterschiede zwischen öffentlichen und privatenUnternehmen sich verringern werden, es also keineeindeutigen Wettbewerbsvorteile privater Unterneh-men gibt.

3.8 Steuerliche Problematik

Die Wettbewerbssituation zwischen öffentlichen undprivaten Unternehmen in der Wasserwirtschaft istandererseits durch die steuerliche Ungleichbehand-lung von privaten und öffentlichen Unternehmengekennzeichnet:46 Die kommunale Abwasserbeseiti-gung ist als hoheitliche Aufgabe, wenn sie kommu-nal durchgeführt wird, nicht steuerpflichtig. Ande-rerseits ist die gleiche Leistung, wenn sie von einemprivaten Unternehmen im Rahmen etwa von Betrei-bermodellen u.ä. erbracht wird, mit Mehrwertsteuerund direkten Steuern belastet. Bei einer Entschei-dung zwischen öffentlichen und privaten Betreibern

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bedeutet dies, dass mögliche Effizienzvorteile priva-ter Unternehmen zumindest zum Teil durch den steu-erlichen Nachteil kompensiert werden. Die Bundes-regierung hatte daher bereits 1993 eine Anpassungder steuerlichen Rahmenbedingungen angekündigt,um damit vor allem den Einsatz privaten Kapitalsbei dem Aufbau der kommunalen Infrastrukturen inden neuen Bundesländern zu fördern. Der Plan desBundesfinanzministers, gleichermaßen öffentlicheund private Betreiber einheitlich mit einem reduzier-ten Mehrwertsteuersatz von 7% zu belasten, mussteim Frühjahr 1995 aufgrund eines massiven Wider-standes vor allem der Länder und der Interessens-vertretungen von Kommunen und Städten verscho-ben werden. Von kommunaler Seite wurde auf dieGefahr verwiesen, die ohnehin schon hohen Gebüh-ren würden weiter ansteigen und damit die Bela-stung der Konsumenten zunehmen. Diese Argumen-tation ist nicht in jedem Fall stichhaltig.47 Modell-rechnungen zeigen, dass im ungünstigsten FallGebührenerhöhungen von bis zu 3% möglich wären.

In den Fällen jedoch, in denen Kommunen ihre Klär-anlagen oder die Kanalisation teilweise oder voll-ständig ersetzen müssen, fällt in der Regel die Steu-erreform gebührenneutral aus, weil die Kommunendie auf Investitionen zu leistende Mehrwertsteuer alsVorsteuer abziehen können.48

4 Zusammenfassung: Die Rolle öffentlicher Unterneh-men auf nationalen und interna-tionalen Wassermärkten Man kann zusammenfassend feststellen, dass dieöffentlich rechtlichen Unternehmen im Wettbewerbmit privaten Unternehmen auf dem Wassermarktnicht von vornherein chancenlos sind: Viele Bedin-gungen auf dem Markt gelten für alle Unternehmenund zwar unabhängig von der Eigentums- undRechtsform. Dennoch haben die Unternehmenjedoch jeweils spezifische Vor- und Nachteile.

- Öffentlich rechtliche Unternehmen sehen sichzunehmend unter einem Rechtfertigungsdruckund müssen ihre Existenzberechtigung legitimie-ren. Nach wie vor wird ein großer Druck von Sei-ten der Europäischen Union ausgehen, auch wenndas europäische Recht kein Privatisierungsgebotenthält. Für die öffentlichen Unternehmen wird esunter diesen Bedingungen vor allem daraufankommen, ihre besonderen Leistungen auch her-auszustellen und öffentlich zu vermitteln (Bsp.umwelt- und sozialpolitische Verpflichtungen

etc., Beiträge zur kommunalen und regionalenEntwicklung). Dieses spezifische Leistungsspek-trum muss auch stärker im Wettbewerb eingesetztwerden. Bei Ausschreibungen von Konzessionenist etwa der Preis nicht das alleinige und entschei-dende Kriterium. Für Kommunen und ihre Unter-nehmen bedeutet dies etwa auch, bei Entschei-dungen über Teilprivatisierung von Unterneh-mensteilen zu prüfen, welche Auswirkungendamit auf die verbleibenden Ausgaben ausgehen(Bsp. Verzicht auf Verbundvorteile etc.).

- Ein Engagement öffentlich-rechtlicher Unterneh-men vor allem auf den ausländischen Märkten istangesichts der sehr hohen Risiken mit viel Skep-sis zu betrachten und dürfte kaum mit den Ziel-setzungen öffentlicher Unternehmen in Verbin-dung stehen.

- Eine Chancengleichheit zwischen öffentlichenund privaten Anbietern setzt auf jeden Fall einezügige Klärung der Frage der rechtlichen Zuläs-sigkeit von kommunalwirtschaftlichen Aktivitä-ten voraus. Es gibt wie beschrieben sowohl ausrechtlicher als auch ökonomischer Sicht keineeinheitliche Bewertung, für die öffentliche Wirt-schaft wäre jedoch schon grundsätzliche Rechts-sicherheit ein wichtiger Schritt. Dies gilt auch fürdie nach wie vor ausstehende Klärung der steuer-lichen Frage und für die Frage der zulässigenöffentlichen Subventionierung.

- Auch wenn zur Zeit die konkrete Ausgestaltungvon Wettbewerbsmodellen noch unklar bleibt,sollten sich die Unternehmen rechtzeitig auf dieveränderten Marktbedingungen einstellen.

- Das Benchmarking bietet dazu interessante Mög-lichkeiten auch innerhalb des bestehenden Ord-nungsrahmens. Erfahrungen aus dem Auslandund aus anderen Branchen liegen vor und solltenentsprechend aufgearbeitet werden.

- Auch unternehmensintern könnte und sollte eineentsprechende Vorbereitung auf den Wettbewerbeingeleitet werden (Bsp. Diskussion über strategi-sche Unternehmensziele, Beteiligung der Mitar-beiter, Weiterbildungsoffensive etwa im Hinblickauf neue Qualifikationsanforderungen etc.) Dieteilweise sehr schmerzhaften Erfahrungen, die diekommunalen Stadtwerke im Zuge der Liberalisie-rung der Energiemärkte machen mussten, solltenhier für die Wasserwirtschaft eine Lehre sein.

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i Juli 2000

1 Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung "GlobaleUmweltveränderungen - WBGU, kommt in seinem Jahresgut-achten 1997 ebenfalls zu einer solchen Einschätzung; vgl.WBGU 1997

2 Vgl. etwa Webb/Ehrhardt 1998; OFWAT 1999/2000, Depart-ment of the Environment, Transport and the Regions (DETR)2000

3 Arbeitsausschuß Allgemeine Versorgungswirtschaft (AAV)1999

4 Vgl. u.a. OFWAT 2000 a,b

5 Vgl. Tasman Asia Pacific Pty Ltd 1997

6 Vgl. Jenkins/Meyer 1996

7 Vgl. SVR 1998

8 Der Reform des Wassernutzungsrechts wird daher in Großbri-tannien aktuell eine ganz besondere Bedeutung beigemessen;vgl. DETR 1999; siehe auch zu den Vorschägen auf der inter-nationalen Ebene: OECD 1998

9 Vgl. Hall 1999a b; Public Services International Research Unit1997; International Labor Organisation (ILO), 1999; Roger1999. Informationen zu den einzelnen Unternehmen und vorallem eine Einschätzung ihrer Entwicklungsperspektiven findetman auch in den Veröffentlichungen der Rating GesellschaftStandard & Poor´s Infrastruktur Finance unter http://www.stan-dardandpoors.com/ratings/infrastructurfinance

10 So hat das französische Cour de Comptes 1997. Die PublicServices International Research Unit [http://www.psiru.org]bietet eine Fülle an aktuellern - oft aber sehr einseitig bewerte-ten - Informationen insbesondere zu Problemen mit französi-schen Unternehmen; aktuell etwa: Lobina 2000

11 Wachstumschancen in Frankreich werden nur noch im Bereichder Abwasserwirtschaft gesehen, die in der Wasserversorgungtätigen öffentlichen Unternehmen zählen eher zu den effizien-ten Anbietern, sodass es in diesen Kommunen von daher kei-nen Anlass für eine Übertragung der Funktionen auf privateUnternehmen gibt.

12 Ohne an dieser Stelle auf die nicht ganz unproblematischenBedarfsstudien detaillierter einzugehen, nur zwei Anhaltspunk-te: allein im Abwasserbereich werden in Deutschland bis 2015rd. 350 Mrd. DM an Investitionen erforderlich sein (Zfk11/1997, S. 6), auf 30 - 40 Mrd. DM wird der Nachholbedarf inder Trinkwasserversorgung geschätzt (Handelsblatt Nr.200/1997, S. 8)

13 Vgl. Pfaffenberger/Salge/Scheele 1999; S. 83ff

14 Vgl. Rerolle 2000, Folie 5

15 Vgl. auch Batley 1996

16 Vgl. Hill 1998

17 Vgl. u.a. Decker 1999, Daiber 2000, Seidewinkel/Wetzel2000; Reif 2000

18 Vgl. Veljanovski 199; Burns/Estache 1998

19 Vgl. Hein 1998; Klein 1998

20 Vgl. Alexander/Mayer 1997

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21 Vgl. Zeitung für kommumale Wirtschaft 6/1997, S. 20

22 Vgl. Europäische Kommission 2000

23 Siehe etwa European Centre of Enterprises with Public Parti-cipation and of Enterprises of General Economic Interest(CEEP) 2000, VKU 2000

24 Vgl. Europäische Kommission 1996; Tettinger 1997

25 Vgl. Cronauge 1999, S. 24

26 Vgl. zur Diskussion u.a. Wieland/Hellermann 1995

27 Vgl. Kaltenborn 2000, S. 490f

28 Vgl. Nagel (1999). In der alten Fassung der nordrheinwestfäli-schen Gemeindeordnung war nur festgelegt, dass geplanteAktivitäten im Bereich der Telekommunikation dem Rat aufder Grundlage einer Marktanalyse über Chancen und Risikenmitgeteilt werden mußten. Grundsätzlich gilt dabei, dass dieGründung eines kommunalen Telekommunikationsunterneh-mens der Kommunalaufsicht angezeigt werden muß. Aus derAnzeige muß ersichtlich sein, dass alle gesetzlichen Anforde-rungen erfüllt sind, gleichzeitig muß sich die Anzeige auch mitZu-lässigkeitsaspekten auseinandersetzen und möglicheGegenargumente entkräften; vgl. ausführlicher Fiebig(1998a,b), Die nun erfolgte Ausweitung der Pflicht zur Markt-analyse auf alle kommunalen Wirtschaftsaktivitäten soll dieMitbestimmungsrechte der Kommunalparlamente stärken.

29 "Subsidiaritätsklauseln verlangen unmögliches, da die Privat-wirtschaft mit dem ausschließlichen Ziel der Gewinnmaximie-rung und die kommunale Wirtschaft mit der primären Aufga-benstellung der Verwirklichung des öffentlichen Auftrags nichtvergleichbar sind. Insoweit sollte auf derartige Klauseln -...-zukünftig verzichtet wer-den." Cronauge 1999, S. 32

30 Von der nordrheinwestfälischen Kommunalaufsicht untersagtwurde die Beteiligung eines Stadtwerks an einem ungarischenUnternehmen, das Reise- und Linienbusse produziert. DasStadtwerk begründete die Beteiligung damit, dass die Investi-tionen in Linienbusse einen wichtigen Kostenfaktor im ÖPNVdarstellen und eine Beteiligung an der Produktion des wichtig-sten Inputfaktors eine Möglichkeit ist, um die Wirtschaftlich-keit des städ-tischen Nahverkehrs zu verbessern.

31 Vgl. Ehlers (1998, S. 498) mit Beispielen

32 Vgl. aus der Sicht der Entsorgungswirtschaft etwa Cosson(1998); vgl auch Bentz (1998)

33 In einem Urteil vom 23. 09.1997 hat z.B. das Oberlandesge-richt Hamm der Stadt Gelsenkirchen untersagt, über ihrenEigenbetrieb "Gelsengrün" landschaftsgärtnerische Arbeitenprivaten Auftraggebern anzubieten oder solche Arbeiten auszu-führen. Vgl. auch Cronauge 1999

34 Vgl. etwa grundsätzlich Sachverständigenrat "SchlankerStaat" (1997), speziell mit Bezug auf die Abfallbeseitigung hatsich auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinemaktuellen Umweltgutachten sehr kritisch zu den bisherigen Pri-vatisierungs- und Marktöffnungsansätzen in dem Abfallbereichgeäußert; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (1998,S. 180ff)

35 Vgl. Monopolkommission (1996, S. 27). Obwohl die Mono-polkommission dieser Art von Rückverstaatlichung sehr kri-tisch gegenübersteht, erkennt sie jedoch an, dass zur Zeit nurUnternehmen wie die kommunalen Energieversorger aufgrundder vorhandenen Übertragungskapazitäten etc. überhaupt alspotentielle Newcomer auf den Markt treten und Wettbewerbinitiieren können. Siehe auch Hefekäuser (1996)

36 Müller (1998, S. 1263)

37 Vgl. Nagel (1999, S. 32)

38 Vgl. Döring/Wohltmann 1999

39 Auch in spezifischen Umweltrecht sind Restriktionen für das

wirtschaftliche Engagement der kommunalen Unternehmenenthalten, vgl. etwa Schink (1997)

40 Vgl. u.a. Heinz 1998

41 Zu den theoretischen Begündungen vgl. die Ausführungen beiScheele 1998 und die dort angegenene Literatur

42 Scheele 1991, 1997

43 So etwa im Bericht der Weltbank zur deutschen Wasserwirt-schaft:Briscoe 1995, vgl. auch zur Kritik an diesem BerichtBarrque 1998

44 Effizienzvergleiche zwischen öffentlichen und privaten Unter-nehmen berücksichtigen zudem oft nicht die Tatsache, dassviele öffentliche Unternehmen heute kaum noch diesem tradi-tionellen Bild entsprechen, sondern sich häufig von ihren Orga-nisations- und Managementstrukturen kaum noch von privatenUnternehmen un-terscheiden!

45 Vgl. Scheele 1998

46 Vgl. auch die Beiträge in: ATV - DVWK 2000

47 Es fällt auf, dass in der Argumentation gegen die Steuerreformselten auf dieses ursprüngliche Problem der Wettbewerbsver-zerrung eingegangen wird, sondern nur auf die Gefahr zukünf-tiger kommunaler Gebührensteigerungen.

48 Vgl. o.V. 1994

ANGABEN ZUM AUTOR:

Apl. Prof. Dr. rer. Pol. Ulrich Scheele

Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik,Fakultät II für Informatik, Wirtschafts- und Rechts-wissenschaften, Carl von Ossietzky UniversitätOldenburg

Ammerländer Heerstr. 114-118, D-26129 [email protected]

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 37

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

39Heft 3-4/2004

Das französische Betreibersystem der Wasserversor-gung war seit seiner Gründung ein liberales System.Nach der Anfangsphase von 1945 bis zu Beginn der80er Jahre setzten 1982 das Dezentralisierungsge-setz und 1993 die Einführung des Wettbewerbsge-setzes für die Vergabe von Betreiberdienstleistungenzwei entscheidende Meilensteine.

Der Betreiberverband französischer Kommunenbevorzugt bei der Vergabe öffentlicher Dienstlei-stungen weder Privatfirmen noch den kommunalenEigenbetrieb. Die Mitglieder haben von Anfang anvöllig frei entschieden, ob sie ihre Wasserversorgungim Eigenbetrieb oder durch Vergabe sicherstellen -und in diese Entscheidungen greift der Verband auchnicht ein.

Doch auch wenn das Betreibersystem liberalisiertist, kann die öffentliche Versorgung nicht privatisiertwerden, sie muss in öffentlicher Hand bleiben. DieNetzwerke gehören den Städten und Gemeinden unddie Verwaltungshoheit liegt ebenfalls bei ihnen.Daher gibt es für den Verband kein falsches oderrichtiges System - es gibt nur Systeme, in denenjeder seine eigene Verantwortung übernehmen muss.Mit dieser ‚Neutralität', ohne ein System zu bevor-zugen, versteht sich der Verband als fairer Vertreteröffentlicher Interessen.

Wasserversorgung in Frank-reich nach 1945Wo lagen die Herausforderungen? Welche struktu-rellen Probleme waren zu lösen? Welche Auswir-kungen hatte der Wettbewerb auf die Mitarbeiter undKooperationen? Wo waren Kompromisse zwischenHandeln und Risikovermeidung, zwischen Kostenund Nutzen erforderlich? Und: Wie sehen der Statusquo und die Perspektiven aus? Das sind einige derFragen, die im Folgenden angerissen werden sollen.

Wenige Daten und Fakten sollen den Umfang derHerausforderung skizzieren, die Wasserversorgungnach dem Ende des 2. Weltkrieges zu organisieren.Seit 1945 ist die Bevölkerung in Frankreich ummehr als 100 Prozent angewachsen. Über 13 Millio-nen neue Wohnungen und Häuser wurden errichtet

und waren an die Wasserversorgung anzuschließen;sämtliche Netzwerke wurden seit 1945 ausgebautoder erneuert. Die Länge von Strom- und Straßen-netz beträgt etwa eine Million Kilometer, das derWasserversorgung immerhin noch etwa die Hälfte,nämlich gut 600.000 Kilometer. Um ein solchesUnternehmen erfolgreich in die Tat umzusetzen - derZustand der Zerstörung war ja in Deutschland ver-gleichbar - ist eine starke Führung notwendig.Frankreich mit seiner zentralisierten staatlichenStruktur bewältigte daher diese Herausforderungenohne allzu große Schwierigkeiten.

Phasen und StrukturenIn der ersten Phase zwischen 1945 und 1982 wurdedie Versorgung wieder hergestellt. Die Versorgungs-netzwerke wurden sukzessive aufgebaut. Die Verant-wortung darin teilten sich vornehmlich der Staat undAußenstellen zentraler sowie lokaler Behörden. DenVersorgungsbetrieb in dieser Phase stellten haupt-sächlich lokale öffentliche Betreiber im Eigenbetriebund einige wenige landesweit operierende privateVersorger sicher; allerdings blieb ihr Marktanteil bis1982 verschwindend gering.

Ebenfalls zu vernachlässigen war eine private Betei-ligung an infrastrukturellen Maßnahmen, da dieöffentlichen Betreiber auf entsprechend günstigestaatliche Dienstleister zurückgreifen konnten.Dabei spielten auch finanzielle Aspekte eine Rolle,da das Steuersystem speziell auf die öffentlichenDienstleistungen zugeschnitten war. Dazu zähltebeispielsweise die Erstattung der Umsatzsteuer aufInvestitionen oder Erleichterungen bei der Mittelbe-schaffung für Erneuerungen. Für Anleihen gab es einspezielles System mit niedrigen Zinsen und sehr lan-gen Laufzeiten. Die Mittelverteilung über projektge-bundene Subventionen wurde von der eigens ge-gründeten, Agence de l'Eau' übernommen. DieseOrganisation hatte sechs Repräsentanzen im ganzenLand, die den sechs französischen hydrographischenZonen zugeordnet waren, die mit den großen Flüssenwie Seine, Loire, Garonne oder Rhone korrespon-dieren.

Auf institutioneller Ebene war die Zusammenarbeit

Private Versorger und lokale Behörden20 Jahre privatisierte Wasserwirtschaft in Frankreich1

Pierre van de Vyver

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40 Heft 3-4/2004

Privatisierte Wasserwirtschaft in FR

zwischen Städten und Gemeinden effizient zuregeln; immerhin gibt es in Frankreich mehr als36.000 Kommunen - zu viele, um den Vergabe- oderEigenbetrieb reibungslos zu regeln. Dennoch: Was-serversorgung und Abwasserentsorgung sind dieBereiche, in denen Städte und Gemeinden am eng-sten zusammenarbeiten. Rund 32.000 Städte undGemeinden haben sich in Wasserverbänden gemein-schaftlich organisiert.

Auf der Verwaltungsebene der Departements - esgibt 100 davon in Frankreich - wurden zur Etablie-rung einer funktionierenden Versorgungsorganisa-tion Regeln zur Vergabe von Dienstleistungen ent-wickelt. Von staatlicher Seite wurden dazu Standard-verträge entwickelt, um Ausschreibungsverfahrenzur Auswahl eines Betreibers zu vereinfachen undvergleichbar zu machen und darüber hinaus Kostenzu sparen. Ähnliches gilt für kommunale Eigenbe-triebe. Hier gibt es in Frankreich ein eigenes Gesetz,das die Gründung öffentlicher Joint Ventures zwi-schen Städten und Gemeinden und privaten Unter-nehmen ermöglicht, das sogenannte halb-öffentlicheBetreibermodell.

Schließlich wurden wirksame Kontrollorgane insti-tutionalisiert. Für die Kontrolle von Gebühren undDienstleistungsbefugnissen gibt es spezielle rechtli-che Rahmenbedingungen, die Städten und Gemein-den das Recht geben, Anlagen und Rechnungswesender Betreiber so gründlich zu überprüfen, wie sie esfür notwendig halten.

Das Dezentralisierungsgesetz aus dem Jahre 1982hat diese lokalen Befugnisse stark erweitert. VorEinführung des Gesetzes war es nicht gestattet, miteinem Betreiber Verträge zu schließen, wenn sienicht auf Basis des Standardvertrags ausgehandeltwaren. 1982 wurde dieser Vertrag in einen Modell-vertrag ohne bindende Nutzung umgewandelt. Seit-dem kann jede Stadt oder Gemeinde oder ein Ver-band nach einer Ausschreibung frei mit jedemBetreiber verhandeln. Dies eröffnete weitreichendeMöglichkeiten bei der Vergabe von Betreiberdienst-leistungen; dabei mag es durchaus auch zu Miss-bräuchen gekommen sein. Daher entschied dieRegierung 1989, den Handlungsspielraum der loka-len Behörden wieder ein wenig einzuschränken.

Dies wurde 1993 durch Einführung des wichtigstenGesetzes in der Betreiber-Chronologie geregelt: desWettbewerbsgesetzes für die Ausschreibung öffent-licher Dienstleistungen. Seitdem sorgen örtlicheKommissionen für Transparenz der Angebote unddie Offenlegung des Vergabeverfahrens in den kom-munalen Gremien. Zudem wurden neue Vertragsmo-

delle eingeführt, zunächst für Gas und Strom, dannfür Wasser und Abwasser. Pläne und Vorhabenwaren zuvor mit den Verbänden diskutiert und abge-stimmt worden.

Der menschliche FaktorIn Frankreich gibt es auf der einen Seite zentraleBetreiber für landesweite öffentliche Dienstleistun-gen wie Strom und Gasversorgung, Eisenbahn oderPost. Auf der anderen Seite - und das ist das hierinteressierende "französische Modell" - gibt es auchdie vielgenutzte Möglichkeit der Vergabe lokalerKonzessionen. Es gibt einen Wettbewerb zwischenden vielen lokalen Anbietern und damit auch einGleichgewicht zwischen Wirtschaftlichkeit undQualitätsanforderungen. Denn nach diesem 'franzö-sischen' Wettbewerbsmodell wird der Gewinnereiner Ausschreibung nach vielen Gesichtspunktenausgewählt. So zählen nicht nur finanzielle Krite-rien, sondern auch das Vertrauen. Das heißt, dasskein Wettbewerbsteilnehmer allein mit einem günsti-gen Preis punkten kann, wenn er nicht zugleichnachweisen kann, dass er beispielsweise auch diequalitativen Anforderungen erfüllen kann. Sinn derSache war es, die Macht der großen öffentlichenDienstleister damit ein wenig zu beschneiden, dieaufgrund ihrer Position und Verankerung im ganzenLand Vorschriften mühelos unterlaufen konnten.Doch das Beziehungsnetzwerk ist nach wie vor ein-zigartig und alle sind eine 'große Familie'. Die Ein-führung des Dezentralisierungsgesetzes hatte drasti-sche Kürzungen bei den staatlichen Subventionenzur Folge, unlängst wurden sie gänzlich gestrichen.Es gibt auch keine speziellen Banken mehr für denBereich der öffentlichen Verwaltung und Betriebe;schließlich wurden die staatlichen Angestellten ausdem öffentlichen Dienst entlassen und den Kommu-nen und/oder den lokalen Betreibern und Verbändenzugeordnet.

Kosten und NutzenFrankreich hat in der Wasserversorgung und derAbwasserentsorgung erhebliche Probleme mit allenArten anthropogener Verunreinigungen. Als Folgedavon stiegen von 1985 bis 1995 die Preise für dieAbwasserentsorgung um 60 Prozent, die der Wasser-versorgung immerhin noch um 30 Prozent. Bei die-ser extremen Entwicklung erbrachten private Unter-nehmen wirklichen Service und stärkten ihre Posi-tion; so ist beispielsweise der größte öffentliche Ver-sorger kleiner als der kleinste private Betreiber.

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Kom-munen und die Verlagerung der Prioritäten innerhalbder Kommunen auf soziale Probleme sind dafür einewesentliche Ursache. So wurde zwischen den Jahren1985 und 1995 die Vergabe des Versorgungsauftra-ges wichtiger als die Erteilung von Konzessionen,bei der die Kommune die Gesamtverantwortung inder Hand behält. Bei der Vergabe des Versorgungs-auftrages erhält der Betreiber nicht nur eine Konzes-sion; er ist darüber hinaus auch für die Infrastrukturverantwortlich und errichtet und finanziert beispiels-weise Versorgungsnetze.

Die lokalen, kommunalen Kontrollbehörden erhal-ten einen detaillierten Jahresbericht, der veröffent-licht werden muss. Er gibt Auskunft über die finan-zielle Entwicklung, den technischen Stand und dieAusführung der Dienstleistungen.

Ein Wort zur Preisgestaltung: Das Preisniveau fürWasser in Frankreich liegt für 120 Kubikmeter ein-schließlich Steuern im nationalen Durchschnitt bei146 Euro, also etwa 1.000 Francs oder 280 Mark; dieAbwasserentsorgung ist mit durchschnittlich 154Euro etwas teurer.

Die Preisunterschiede zwischen privaten Betriebenund den kommunalen Eigenbetrieben nivellierensich zunehmend. Im Jahre 1991 betrugen die Unter-schiede noch 23 Prozent; 1997 lagen die Preise derprivaten nur noch 14 Prozent über denjenigen derkommunalen Betreiber. Die Gründe für das relativhomogene Preisgefüge sind bislang nicht eindeutigfestzumachen.

Die regionalen Preisunterschiede zeigen ebenfallseine moderate Annäherungstendenz, wobei das 'teu-erste' Departement noch immer annähernd doppeltso teuer ist wie das günstigste. In Städten mittlererGröße mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern sind diePreise im nationalen Durchschnitt am höchsten; für120 Kubikmeter Wasser und der zugehörigenAbwasserentsorgung sind dort 320 Euro zu zahlen.In kleinen Gemeinden und großen Städten liegt derPreis mit etwa 280 Euro knapp darunter.

Konsequenzen des Wettbe-werbsVor zwei Jahren untersuchte der Verband möglicheKonsequenzen und Auswirkungen des Wettbewerbs-gesetzes auf den Markt für Betreiberdienstleistungenanhand der nach 1993 abgeschlossenen Verträge.Insgesamt wurden 900 Verträge nach den 'neuen'Ausschreibungsvorschriften abgeschlossen. DieErgebnisse sprechen für sich:

* Die durchschnittliche Vertragsdauer bei Verträgen,die vor 1993 abgeschlossen worden waren, betrug17 Jahre; danach nur noch elf Jahre. Die Kommu-nen verkürzen also die Vertragsdauer, um denWettbewerb öfter zum Zug kommen zu lassen.

* Die Preise gingen landesweit durchschnittlich um9 Prozent zurück; am deutlichsten war der Rück-gang in den mittelgroßen Städten (s. oben!).

* Infolge der Marktbewegungen kehrten 1,5 Prozentder Auftraggeber zum kommunalen Eigenbetriebzurück. 8 Prozent wechselten den beauftragtenBetreiber - dies ist möglich, sofern man nicht zumEigenbetrieb zurückkehrt. Der Anteil neuerMarktteilnehmer am Gesamtumsatz aller Verträgebeträgt 5 Prozent. Das System ist also nicht starrund unbeweglich.

Große Betreiber wie Vivendi oder Suez Lyonnaisedes Eaux monieren ihre im Vergleich zu den Tele-kommunikationsbetreibern niedrigen Profite; bei derWasserversorgung und Abwasserentsorgung betra-gen die Nettoeinkünfte vier bis fünf Prozent desUmsatzes. Das ist im Vergleich zum Kapitalbedarfvon 30 bis 40 Prozent relativ wenig - insbesonderewenn man in Betracht zieht, dass die Anteilseignervornehmlich Kleinanleger sind.

Zufriedener sind die Aktionäre von France Telecom,die mit bis zu 16 % Nettoeinkünften vom Umsatzrechnen dürfen - die Bewertung dieser Zahlen seianheimgestellt.

Schlussfolgerungen und Per-spektivenDie öffentlichen Versorgungsbetriebe müssenweiterhin wettbewerbsfähig bleiben oder werden,weil es in Frankreich erhebliche Probleme mit demWasserkreislauf, der Umweltverschmutzung geradein Städten und der Umweltsituation im Allgemeinengibt. Jeder versucht offensichtlich seinen Profit ohneRücksicht auf die Umwelt zu Ungunsten der Kon-kurrenz zu steigern und das betrifft vor allem dieLandwirtschaft. Die Bauern werden jetzt aber inten-siver in die Fragen der Wasserversorgung mit einbe-zogen.

Die Perspektiven für die Marktentwicklung sindpositiv. Die Wachstumspotenziale sind noch nichtausgeschöpft und das Wachstum des Marktes bietetweitreichende Möglichkeiten. Unzweifelhaft stimu-liert der Markt, doch dabei muss er kontrolliert wer-den, damit die Kosten möglichst gleichmäßig auf dieKunden verteilt werden. Die Globalisierung wirft

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Privatisierte Wasserwirtschaft in FR

aber auch die Frage des Verhältnisses zwischen'Global Playern' und lokalen Verbrauchern auf.Lokale Verbraucher werden dabei zu Produktivitäts-faktoren und während vor 20 oder 30 Jahren dieBetreiber den Versorgungsgebieten dienten, dienenjetzt die Versorgungsgebiete den Betreibern.

Mit der Delokalisierung der Betreiber, mit ihrer Zen-tralisierung in großen Städte verlagern sich dieBeschäftigungsmöglichkeiten. Die Wertschöpfungfindet nicht mehr vor Ort statt, sondern die Kundenzahlen nur noch, während das Geld an andere Stellenfließt. Beim kommunalen Betrieb kam und kommtes unmittelbar wieder der lokalen Wirtschaft zuGute. Noch gibt es keine Lösung für dieses Problemzwischen lokalen und globalen Spielern. Allerdingsscheint es erforderlich, bei globalen Betreibern denWettbewerb in ein Gleichgewicht zu bringen, dajeder Konzern versucht, seine Geschäftstätigkeitvertikal zu maximieren und Wettbewerber zu schlu-cken, ohne die horizontale Komponente zu beachten.

Was die Praxis der Vergabe von Dienstleistungenbetrifft, so bleibt noch viel zu tun. Denn wenn maneinen Vertrag aushandelt, muss man ein Gleichge-wicht zwischen den unterschiedlichsten Interessen -vom Verbraucher über die Qualität, den Preis bis hinzu Umwelt- oder auch sozialen Gesichtspunkten her-stellen. Es ist eben nicht so, dass man einen festge-setzten Preis hat und einen Betreiber, der keinen Pro-fit und keinen Marktanteil verlangt, und schon wärenalle Interessen im Gleichgewicht. Verträge müssenregelmäßig geprüft und kontrolliert werden, um siezu gegebener Zeit an die Entwicklung der Verbrau-cherbedürfnisse und die allgemeine Geschäftsent-wicklung anpassen zu können; das gilt insbesonderefür Verträge mit langer Laufzeit. Das Gleichgewichtzwischen Verbraucher, Öffentlichkeit, Kontrollins-tanz und Betreiber muss erhalten und immer auf denneuesten Stand gebracht werden.

1 Vortrag bei der internationalen Konferenz zum Thema “Euro-pe´s Water Industry between Sustaninability and Liberaliza-tion!, Oldenburg-Jeddeloh (D), 7. bis 8. Juni 2000

ANGABEN ZUM AUTOR:

Pierre VAN de VYVER, Ingénier des Ponts etChaussées

Delegierter des Verbandes kommunaler Wasserver-sorger in Frankreich (Fédération Nationale des Col-lectivités Concédantes et Régies)

Institut de la Gestion Délégueé84, rue de Grenelle, 75007 [email protected]

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1 EinleitungWasser, sein Verbrauch, seine Verteilung und seinPreis waren und sind hoch aktuelle Themen. Globa-ler Kollaps, völlige Erschöpfung der Ressourcenoder auch globaler Ausverkauf des Trinkwasserssind Schlagzeilen in der internationalen Presse.Durch immer genauere Messungen und Dokumenta-tionen wird zunehmend deutlicher, dass die Süßwas-serressourcen der Erde über Gebühr beanspruchtwerden, und dass der Bedarf des Menschen an sau-berem Wasser sehr viel schneller steigt, als der natür-liche Wasserkreislauf die Ressourcen wieder füllt.Und obwohl das Bild regional sehr unterschiedlichist, hängen die Schicksale und Strategien der Ländereng zusammen - und dies nicht nur, weil Wasserläu-fe keine Grenzen kennen, sondern zunehmend aucheine Globalisierung im Handel statt findet. So wieWasser transportiert werden kann - über Land, überWasser, durch Leitungen -, so kann Know-How dar-über transferiert werden, wie Süßwasser gewonnenoder sogar erzeugt werden kann, wie also der Was-serkreislauf beeinflusst und beschleunigt werdenkann.

Bei der Entwicklung der Strategien gegen Wasser-knappheit spielen mehrere Faktoren eine Rolle - dieDemografie, die Wirtschaftsentwicklung, die vor-handene Technologie, die Zahlungsfähigkeit, dieUmweltbedingungen, das politische System und vie-les mehr. Einer der entscheidenden Punkte ist, wieviel die Gewinnung von Trinkwasser in verschiede-nen Strategien kostet - ökonomisch und ökologischgesehen.

Ziel der präsentierten Arbeit ist es, dies anhand vonacht Regionen zu zeigen:

Welche Kosten verursachen verschiedene Wasserge-winnungstechnologien pro m³ Trinkwasser, undvon welchen Faktoren hängen diese Kosten imWesentlichen ab?

Die Beispielregionen befinden sich in vier Ländernder Großregion Mittlerer Osten und Nordafrika(kurz MENA genannt), wo der Wassermangel aufGrund geringen Niederschlags, hohen Bevölke-

rungswachstums und wachsenden Wasserverbrauchsvor allem in der Landwirtschaft gravierend ist undoftmals durch ökonomische und politische Bedin-gungen noch verschärft wird.

Die Arbeit beschäftigt sich ausführlich mit demThema Wasserknappheit im Allgemeinen, den geo-grafischen und hydrologischen Ausgangsbedingun-gen der Regionen und schließlich mit den Technolo-gien, die heute für die Trinkwassergewinnung ange-wendet werden, beginnend bei ursprünglichen Kon-zepten zur Niederschlagssammlung bis hin zurMeerwasserentsalzung.

Methode und notwendige Berechnungsschritte, diezum Konzeptvergleich angewendet worden sind,sind in folgendem Schema veranschaulicht (Abbil-dung 1 - siehe S. 44).

2 Wasserknappheit und ihreAuswirkungen

2.1 Definition des Begriffs Wasser-knappheitVon den Wasservorkommen der wasserreichen Erdesind nur 2,6 % Süßwasser und damit direkt als Trink-wasser nutzbar. Da diese Vorkommen zudem geo-grafisch sehr ungleich verteilt sind, sind heutebereits mehr als 20 Länder von Wasserknappheitbetroffen (das sind rund eine halbe Milliarde Men-schen).

Wasserknappheit bedeutet einen Trinkwasservorratvon weniger als 1.700 m³ pro Kopf und Jahr, wäh-rend bei Wassermangel nur noch eine Menge von biszu 1.000 m³ pro Kopf und Jahr verfügbar ist1 - zumVergleich: In Österreich beträgt der Süßwasservorratpro Einwohner und Jahr über 9.600 m³. Unter"Trinkwasser" wird hier nicht nur Wasser verstan-den, das tatsächlich für die Deckung von Trinkwas-serbedarf nötig ist, sondern auch jenes Wasser, das inLandwirtschaft und Industrie verbraucht wird.

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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Trinkwassergewinnung im Mittleren Ostenund in NordafrikaEin Technologie- und Kostenvergleich für Iran, Jordanien,Libyen und Tunesieni

Lisa Liebert

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Einerseits entsteht diese "umfassende" Trinkwasser-definition daraus, dass dort benötigtes Wasser oftannähernd Trinkwasserqualität haben muss, anderer-seits sind getrennte Leitungsnetze für den Transportvon Wasser verschiedener Qualität meist teurer alsdie Aufbereitung größerer Wassermengen.

Von Wassermangel oder -knappheit betroffen sindderzeit vor allem Länder in Nordafrika und im Mitt-

leren Osten, wo extreme Trockenheit herrscht unddie zu versorgende Bevölkerung stark anwächst.Experten erwarten, dass zunehmend Länder südlichder Sahara unter Wasserknappheit leiden werden.

Ökonomisch drückt sich Wassermangel vor allem inhohen Nahrungsmittelimportanteilen aus, da imeigenen Land für die Lebensmittelproduktion nichtgenügend Wasser vorhanden ist - was natürlich eine

Heft 3-4/2004

Trinkwassergewinnung

44

Prognose des Wasserbedarfs

• derzeitiger Verbrauch – derzeitiger Mangel

• zukünftiger Bedarf (Prognose der Bevölkerungsentwicklung, steigender Bedarf bei besserer Versorgung)

Schätzung der vorhandenen Wasserressourcen

• mögliche Entnahmemenge (Oberflächen-, Grundwasser, Niederschlag)

• Potenzial an „neuem“ Wasser (Aufbereitung, Transport, Entsalzung)

Weiterführende wirtschaftliche Analysen

(werden für die vorliegenden Fragestellung nur ansatzweise durchgeführt)

• Sensitivitätsanalyse (Verän-derung von Eingangsvariablen, zB Diskontierungsrate)

• Finanzierbarkeit (Tarifsystem)

Kosten-Nutzen-Analyse der Konzepte

• Identifikation der Nutzen (Bedarfsdeckung, ökologische Kriterien)

• Identifikation der Kosten (Kosten der verschiedenen Versorgungssysteme)

• Diskontierung von Kosten und Nutzen (Barwertverfahren)

• Vergleich der Ergebnisvariablen (Kosten pro Einheit Trinkwasser)

Trinkwassergewinnung im Mittleren Osten und in Nordafrika –

ein Technologie- und Kostenvergleich

Analyse der hydrologischen AUSGANGSSITUATION des Untersuchungsgebiets

Aus den theoretischen Kenntnissen und den Ergebnissen des Kostenvergleichs werden

SCHLUSSFOLGERUNGEN

für die einzelnen Regionen und für allgemeine Strategien zur Bekämpfung von Wassermangel gezogen.

Nach der theoretischen Beschäftigung mit dem Thema Wasserknappheit, der Untersuchungsregion, den Wassergewinnungstechnologien und der Wirtschaftlichkeitsanalyse wird für ausgewählte Regionen ein

Kostenvergleich durchgeführt, für den folgende Berechnungsschritte notwendig sind:

WIRTSCHAFTLICHE ANALYSE

jener Konzepte, die für ausgewählte Regionen, basierend auf Wasserressourcen, -bedarf und möglichen Technologien zur Trinkwassergewinnung, erstellt worden sind

Bedarf, der

gedeckt werden muss

Kosten pro m³ Trink-wasser in verschie-

denen Konzepten

Quelle: eigene Darstellung.

Abbildung 1: Methodik des Konzeptvergleichs

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starke Abhängigkeit von anderen Staaten bedeutet.Die Importe von Lebensmitteln werden deshalb oftauch als Import von virtuellem Wasser (Wasser, dasin den Produkten eingeschlossen ist) bezeichnet.2

2.2 Merkmale und Auswirkungen vonWasserknappheitNach dem Modell von Anthony Turton bestimmt derhydrosoziale Vertrag3 die Trinkwasserversorgungeines Staates (siehe Abbildung 2): Zunächst ist Was-ser in Fülle vorhanden, jeder kann sich selbst damitversorgen, ohne andere zu schädigen. Wird Wasserknapp, treten die Individuen die Verteilungsaufgabean die übergeordnete Instanz (den Staat) ab; tritt inweiterer Folge ein Wasserdefizit auf, d.h. der Was-serbedarf übersteigt das verfügbare Volumen, so tritteine dritte Partei in den Vertrag ein, die auf die Nach-haltigkeit der Versorgung achtet. In diesem Stadiumgehen angebotsseitige Maßnahmen in nachfragesei-tige über.

Auf Grund dessen wird Wasser oft als öffentlichesGut angesehen, obwohl die Eigenschaften des GutesWasser selbst durchaus dagegen sprechen (Nutzersind ausschließbar, und die Nutzung des Wassersdurch ein Individuum schließt die Nutzung dessel-ben durch ein anderes aus). Dass die Versorgungmeist dennoch als öffentliche Aufgabe angesehen

wird, liegt zum einen daran, dass Trinkwasserversor-gung ein meritores Gut ist, also seine Verteilunggewünscht wird (zum Beispiel wegen gesundheits-politischer Interessen). Zudem ist die Wasserversor-gung tendenziell ein natürliches Monopol, da dieversunkenen Kosten (in Verteilungsnetze etc.) hochund die Größenvorteile meist bedeutend sind.

Wasserknappheit spiegelt sich jedoch nicht nur imökonomischen und organisatorischen, sondern auchim rechtlichen Bereich wider. Je mehr sämtliche vor-handene Quellen ausgeschöpft werden müssen,desto öfter sind davon auch Grenzflüsse und -gewäs-ser betroffen, für die internationale oder bilateraleAbkommen getroffen werden müssen, damit einNutzer nicht durch den anderen geschädigt wird. EinKonflikt zwischen den USA und Mexiko war Aus-gangspunkt für eine Reihe von Dokumenten, dieRegeln zur Nutzung von geteilten Gewässern auf-stellen (Beispiele dafür sind die Helsinki Rules, derBellagio Treaty, die Dublin Prinzipien, die IAH-Unesco-FAO Initiative und andere4), aber zumeistnur zahnlose Erklärungen bleiben. Im Gegensatzdazu sind bilaterale Abkommen Verträgen gleichund binden die Vertragspartner an die gemeinsamfestgelegten Regeln. Diese strikten und genauenAngaben in bilateralen Verträgen in der Region Mitt-lerer Osten machen auch die heikle politische Situa-tion zwischen den Staaten deutlich.

Abb. 2: Hydrosozialer Vertrag nach A. Turton

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 45

ursprünglich verfügbare

Wassermenge

Zeitskala

Wasservolumen verfügbar durch angebotsseitige

Lösungen

WasserdefizitÜbergang zu Wasserdefizit

Übergang zu Wasserknappheit

ursprünglicher Wasserüberfluss

angebotsseitige Phase

nachfrageseitige Phase

demogr

afisch

verurs

achte K

urve d

es

Wasserk

onsum

s (Beda

rf)Bevölkerung,

die die gegebenen Wasserres-

sourcen teilt

Quelle: TURTON 2002, S. 26. Abgeänderte Darstellung.

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3 Die Region Mittlerer Ostenund Nordafrika

3.1 Auswahl der Region und derLänderDie untersuchten Regionen liegen alle im RaumMittlerer Osten und Nordafrika (siehe Abbildung 3),kurz MENA genannt, der insgesamt 20 Länder und290 Mio. Einwohner umfasst und stark von sozialenwie auch hydrologischen Disparitäten gekennzeich-net ist. Die ausgewählten Länder - Iran, Jordanien,Libyen und Tunesien - haben alle Zugang zum Meerund im Landesinneren weite Wüstengebiete.5

Abbildung 3: Mittlerer Osten und Nordafrika

Die Islamische Republik Iran wird im Norden undSüden von Meer begrenzt. Die Bevölkerung konzen-triert sich großteils an der nördlichen Küste amKaspischen Meer; im Zentralland und im Osten desLandes liegen große Wüstengebiete. Die hydrolo-gisch begünstigten Gebiete sind die Gebirgsgegen-den im Norden und Westen des Landes. Die unter-suchten Regionen Mashhad und Yazd liegen imNordosten bzw. im Zentralland und befinden sichbeide im Landesinneren. Die Wasserressourcen desLandes werden auf etwa 128,5 km³/a geschätzt, wasimmerhin fast 2.000 m³/cap/a entspricht.6

Jordanien hat nur im Südwesten einen Meerzugangzum Golf von Aqaba, der ins Rote Meer mündet. DieBevölkerung konzentriert sich um das Tal des Jor-dan, das an der westlichen Grenze liegt. Durch öst-lich anschließende Gebirgszüge ist es vom Ostenabgetrennt, der fast gänzlich Wüste ist. Dem ent-

sprechend ist die hydrologische Situation extremungleich und im Nordwesten wesentlich günstiger.Die Beispielregionen Al Aqaba und Ma'an befindensich im äußersten Südwesten am Meer bzw. etwasweiter nördlich. Die gesamten Wasserressourcen desKönigreichs werden auf knapp 0,88 km³/a oder 179m³/cap/a geschätzt.7

Libyen liegt am Mittelmeer und besteht zu 90 % ausWüste. Die Bevölkerung konzentriert sich fast aus-schließlich an der Küste, die auch klimatisch begün-stigt ist. Die ausgewählten Regionen sind Gharyanund Kufra, die im Nordwesten des Landes nahe amMeer bzw. im südöstlichen Wüstengebiet liegen. DieWasserressourcen Libyens werden auf 0,6 km³/aoder 113 m³/cap/a geschätzt.8

An Libyen grenzt im Westen Tunesien, das vierteund mit 164.000 km² zweitkleinste der betrachtetenLänder. Auch hier ist die Küstenregion die klima-tisch begünstigte und dem entsprechend dichterbesiedelt. Gegen Süden geht das Zentralhochland indie Sahara über. Die Regionen Gafsa und Sousse lie-gen im Nordosten bzw. im Westen des Landes. DieWasserressourcen Tunesiens werden auf 4,56 km³/ageschätzt, das entspricht rund 480 m²/cap/a.9

3.2 Wasserbilanzen und Bedarfs-prognosen der Länder und Regionen Die Wasserressourcen und der Verbrauch der Ländersind in der folgenden Tabelle 1 abgebildet, die auchden Verbrauch in % der Ressourcen darstellt und klarzeigt, dass der aktuelle Wasserverbrauch in Jorda-nien leicht, in Libyen bei Weitem die vorhandenen

Heft 3-4/2004

Trinkwassergewinnung

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 47

alle Angaben in km³/a Iran Jordanien Libyen TunesienWasserressourcenNiederschlag 372,400 9,930 98,530 51,260gesamte erneuerbare Wasserressourcen

137,500 0,880 0,600 4,560

- internes Grundwasser 40,000 0,430 0,450 1,250- internes Oberflächenwasser 88,000 0,350 0,150 2,700Wiederverwendetes Abwasser 0,000 0,050 0,100 0,030Entsalztes Wasser 0,003 0,002 0,070 0,080verfügbare Wassermenge 137,503 0,932 0,770 4,670Wasserverbrauch - Landwirtschaft 66,780 0,760 5,130 2,230- Haushalte 4,400 0,210 0,500 0,260- Industrie 1,480 0,030 0,100 0,090Wasserverbrauch insgesamt 72,660 1,000 5,730 2,580Bilanz (Verbrauch - Ressourcen)

64,843 -0,068 -4,960 2,090

Verbrauch in % der erneuerbaren Ressourcen

53% 114% 955% 57%

Quelle: Daten von AQUASTAT bzw. in vorigen Kapiteln genannte Quellen.

Mashhad Yazd Al Aqaba Ma'an Gharyan Kufra Gafsa SousseEinwohner 2003 1.942.700 377.459 105.183 38.422 204.130 21.914 54.132 132.897Einwohner 2015 2.322.763 516.270 193.533 58.037 315.432 33.134 65.056 166.381Einwohner 2030 2.922.991 805.577 405.571 95.229 534.281 53.824 81.908 217.232Wasserverbrauch 2003 2,00706 0,38996 0,02141 0,00782 0,22111 0,02374 0,01476 0,03625Wasserbedarf 2015 3,04342 0,67645 0,05616 0,01684 0,48714 0,05117 0,02098 0,05755Wasserbedarf 2030 5,15450 1,42058 0,18337 0,04306 1,28551 0,12950 0,03813 0,10114Wasserressourcen

OF + GW nur Erneuerung 0,60000 0,44986 0,01285 0,02454 0,03153 0,03203 0,07461 0,14211Wasserbilanz ohne safe yieldWasserbilanz 2003 -1,40706 0,05989 -0,00856 0,01672 -0,18957 0,00829 0,05984 0,10586Wasserbilanz 2015 -2,44342 -0,22659 -0,04331 0,00770 -0,45560 -0,01914 0,05363 0,08456Wasserbilanz 2030 -4,55451 -0,97073 -0,17052 -0,01852 -1,25397 -0,09748 0,03648 0,04098

TunesienIran JordanienVolumsangaben in km³/a

Libyen

Anm.: Berechnungen nur für tatsächlich erneuerbare Ressourcen ("ohne safe yield").

Quelle: eigene Berechnung.

Wasserressourcen überschreitet; im Iran und inTunesien sind die Bilanzen positiv. Der größte Ver-

brauchersektor ist in allen Ländern die Landwirt-schaft mit bis zu 92 % des Wasserverbrauchs.

Die für die weitere Konzepterstellung relevanteBedarfsschätzung erfolgt ausgehend vom derzeiti-gen Gesamt-pro-Kopf-Verbrauch (inkludiert Indu-strie und Landwirtschaft) des jeweiligen Landes, derals steigender Faktor angenommen wird, und derBevölkerungsprognose für die einzelnen Regionen(basierend auf GIS-Analysen und Fortschreibungder aktuellen Einwohnerzahlen unter Einbezug derjeweils plausiblen Wachstumsraten).

Für die Regionen ergeben die Verbrauchsdaten bzw.die Bedarfsprognosen, dass die Bilanzen von Mash-had, Aqaba und Gharyan bereits heute negativ sind,und im Jahr 2015 nur noch Ma'an, Gafsa und Sous-se positive Bilanzen aufweisen (siehe Tabelle unten).

Tabelle 2: Wasserbedarfsprognosen und Was-serbilanzen der Regionen

Tabelle 1: Wasserbilanzen der Länder

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4 Technologien derTrinkwassergewinnung

Noch heute basieren viele Methoden der Entnahmevon Grund- oder Oberflächenwasser auf antikenSystemen, wie einige Formen des Rainwater Harve-sting, das bis heute in Form von Sammlung vonNiederschlagswasser (zum Beispiel von Dächern)betrieben wird.10 Sonstige Nutzung von Oberflä-chenwasser wird heute meist durch Staudämmeermöglicht, die saisonelle Schwankungen ausglei-chen und zugleich zum Hochwasserschutz und zurEnergiegewinnung eingesetzt werden.11 Zunehmendkritisch eingestuft werden sie vor allem auf Grundder schwer zu erfassenden Umweltauswirkungenund notwendigen Umsiedlungsmaßnamen.

Grundwasserentnahme ist eine der billigsten Mög-lichkeiten der Trinkwassergewinnung, jedoch wer-den bereits viele der Aquifere überpumpt und damitdas hydrologische Gleichgewicht gestört. Ursprüng-liche Methoden wie Qanats und kleine Brunnen wer-den vielerorts durch Großprojekte abgelöst, derenFolgen selten, aber in zunehmenden Maße durchGrundwasseranreicherung in Form von Versicke-rung oder Ähnliches zu mildern versucht werden.12

Wo "natürliche Ressourcen" nicht mehr ausreichen,um den Wasserbedarf zu decken, müssen neueRessourcen gefunden werden. Zunehmend werdenProjekte zu Import oder weitem Transport von Was-ser realisiert, wie das Great Man-Made River Projektin Libyen, das Wasser aus den südöstlichen Grund-wasservorkommen an die Nordküste liefert, oderPipelines, die Wasser etwa aus der Türkei in denMittleren Osten liefern sollen. Die Kosten diesesWassers sind meist relativ hoch, und die ökologi-schen Folgen für die Exportregion oft unklar.13

Eine weitere Möglichkeit, "neues" Wasser herzustel-len, ist die Aufbereitung von Abwasser. Derart durchverschiedenste Technologien recyceltes Wasser wirdmeist für die Bewässerung und nicht den Trinkwas-serbedarf selbst verwendet, sein Anteil am Gesamt-bedarf ist jedoch noch gering. Wo Anlagen nicht ent-sprechend gewartet werden, können wesentlicheUmweltbelastungen auftreten; generell sind jedochpositive Effekte durch die Aufbereitung von Abwas-ser zu erwarten (Stichwort Einleitung, Einsatz in derLandwirtschaft).14

Eine spezielle Form der Aufbereitung ist die Entsal-zung von Wasser, die entweder Meerwasser oderanderes salzhaltiges Wasser - wie zum BeispielBrackwasser - zu Trinkwasser macht. Die verschie-denen Technologien (im Wesentlichen thermale undMembranverfahren) setzen sich in Ländern mit Was-

serknappheit und Meerzugang zunehmend durch,liefern aber (besonders im Fall von Meerwasserent-salzung) noch immer relativ teures Wasser. Umwelt-schäden können durch die stark salzhaltigen Rük-kleitungen des Abwassers ins Meer auftreten.15

Derzeit noch nicht ausgereifte, in dieser Arbeit nichtweiter behandelte Möglichkeiten werden in derBeeinflussung des Wetters gesehen, die die Wasser-ressourcen vermehren soll.

5 Wirtschaftliche Analyse

5.1 Wirtschaftliche Analysen undAspekte von Wasserversorgungs-projektenWirtschaftlichkeitsanalysen von Projekten dieneneinerseits dazu, die Wirtschaftlichkeit einzelner Pro-jekte festzustellen, andererseits ermöglichen sieeinen Vergleich verschiedener Projekte. Für Wasser-versorgungsprojekte (WSPs) werden vor allem dieAnalyse der minimalen Kosten, die die bei den Pro-jekten anfallenden Kosten vergleicht, und dieKosten-Nutzen-Analyse (KNA), die zusätzlich diegesamtwirtschaftlichen Nutzen (etwa gesundheits-politisch) und externen Kosten miteinbezieht, ange-wandt. Vergleichsvariablen für Wirtschaftlichkeits-analysen sind zum Beispiel Kapitalwert, internerZinsfuß oder Kosten pro Einheit (AIC, AverageIncremental Costs).16

Die Berücksichtigung externer Effekte dient dazu,jene Kosten oder Nutzen, die vom Projekt verur-sacht, aber ihm nicht direkt "zugerechnet" werden,zu internalisieren, d.h. sie zu quantifizieren und zumonetarisieren. Externe Kosten können durch Res-sourcenverbrauch entstehen, zum Beispiel weilgeringere Wassermengen zu schlechterer Qualitätdes Wassers führen, und damit die Kosten für dieAufbereitung steigen. Für die Messung der externenKosten gibt es Ansätze (zum Beispiel das depletionpremium für die Erschöpfung von Ressourcen17;Stressfaktoren für die Auswirkungen auf dieUmwelt18 etc.), aber nach wie vor keine Möglichkeitder vollständigen Berücksichtigung. Der Einbezugeinzelner Aspekte hat in Wirtschaftlichkeitsanalysenoft keinen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse(dies wurde während der Arbeit deutlich, als bei-spielhaft das depletion premium mit einbezogenwurde).

Eine weitere wirtschaftsrelevante Größe im Bereichder Wasserversorgungsprojekte ist die Wasserpro-duktivität. Sie misst den Nutzen der Wasserverwer-

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tung19: Die verschiedenen Nutzergruppen (Land-wirtschaft, Industrie, Haushalte) erzielen verschie-den hohe Gewinne pro Liter Wasser, den sie verwer-ten, und damit verschieden hohe Beiträge etwa zumBIP. Einfach gesagt, werden WSPs demnachgesamtwirtschaftlich besser, wenn sie mehr Wasseran Industrie liefern als an Landwirtschaft. Eine kor-rekte Berechnung der tatsächlichen Effekte einer oftgewünschten "Umverteilung" von Wasser ist jedochschwierig bis unmöglich, da Wasserentzug aus derLandwirtschaft zugleich gravierende Arbeitsplatz-verluste und unter Umständen verstärkte Importab-hängigkeit bedeuten kann.

Ein weiterer wichtiger finanzieller Aspekt in derWasserversorgung - in der zeitlichen Reihenfolgeden Projekten quasi "nachgereiht" - ist der Wasser-preis bzw. das Tarifsystem, das im Idealfall dieKosten deckt und die "richtigen" Signale für dasNutzerverhalten gibt. Immer mehr setzt sich, vorallem in Entwicklungsländern, der Ansatz des Incre-asing Block Tariff durch, der darauf basiert, dass dieWasserpreise nach Verbrauchsmenge geblockt wer-den und mit höherem Verbrauch steigen.20 Sicherlichhat dies positivere Auswirkungen auf die Ver-brauchsdaten als etwa das Gegenteil "Mengenra-batt", jedoch kann das System nicht immer allenpolitischen Zielen gerecht werden, wenn zum Bei-spiel wichtige Produktionsbetriebe "bestraft" wer-den, deren Verbrauch trotz wassersparender Maß-nahmen hoch ist. Das zentrale Problem bei Wasser-tarifen liegt jedoch darin, dass in Ländern mit gerin-ger Wirtschaftskraft viele Haushalte nicht in derLage sind, jenen Preis zu zahlen, der eine Kosten-deckung für die Wasserversorgung gewährleistenwürde.

5.2 Vorgangsweise der Berechnungder m³-Kosten für verschiedene Kon-zepteFür die Kostenrechnung für die acht Regionen die-nen die m³-Kosten des gewonnenen Trinkwassers alsVergleichsvariable. Drei prinzipielle Versorgungs-konzepte werden nach der Kombination der Entnah-mequellen entworfen:

- (1) GW, OF, Abw: Das benötigte Trinkwasserwird aus Grundwasser, Oberflächenwasser undAufbereitung von Abwasser gewonnen. Die Men-gen orientieren sich an den erneuerbaren Ressour-cen, d.h. dass zum Beispiel Grundwasser nichtnach dem safe yield, sondern nach der jährlichenErneuerungsrate kalkuliert wird. Der Anteil derEntnahme der natürlichen Ressourcen ist dabei

über die Jahre fallend, die der Abwasseraufberei-tung steigend. Diese Annahme ist realistisch, daim Grunde immer zunächst sämtliche vorhande-nen natürlichen Ressourcen genutzt werden. Woentweder kein Oberflächen- od. kein Grundwas-ser vorhanden ist, wird nur die existente Res-source mit Abwasseraufbereitung kombiniert.

- (2) OF / GW, Abw, Brack: In diesem Fall wird dasVersorgungskonzept aus einer natürlichenRessource, Abwasseraufbereitung und Brackwas-serentsalzung kombiniert. Wo Grund- und Ober-flächenwasser vorhanden sind, wird letzteres alsnatürliche Ressource genommen; ansonsten diejeweils vorhandene. Der Anteil an der Entnahmeaus Grund- oder Oberflächenwasser wird ehergering angesetzt, Tendenz fallend. Auch derAnteil an Abwasseraufbereitung wird hierwesentlich geringer angenommen als in Fall 1(Tendenz steigend), was sehr realistisch ist (ver-gleiche derzeitigen Anteil an der Versorgung). DieBrackwasserensalzung übernimmt somit imLaufe der Jahre den größten Anteil an der Versor-gung, was in Anbetracht der Größenvorteile auchsinnvoll ist.

- (3) OF / GW, Abw, Meer: Für diesen Fall gilt das-selbe wie für Szenario 2, nur wird hier Brackwas-ser durch Meerwasser ersetzt. Angesichts derKostenunterschiede wird dieses Konzept nur dortrealistisch sein, wo natürliche Ressourcen sehr rarsind und kaum oder kein Brackwasser vorhandenist.

Die Prozentsätze, die für die einzelnen Technologienangenommen werden, variieren natürlich stark inAbhängigkeit von den geografischen und hydrologi-schen Bedingungen in den Regionen.

Der Nutzen der Konzepte wird durch die Bedarfsde-ckung bis zum Jahr 2015 definiert, wobei die dreiMöglichkeiten jeweils einmal allein für die De-ckung des zusätzlichen Bedarfs (ergänzender Ouput)und einmal für dessen Deckung plus den Ersatz jenerEntnahmemenge, die derzeit nicht nachhaltig (alsoaus nicht erneuerbaren Quellen) bezogen wird (er-gänzender + ersetzender Output), berechnet werden.

Die Kosten der Konzeptvarianten bestehen imWesentlichen aus Investitions- und laufendenKosten, die nach Kostenrichtwerten festgelegt wer-den und über die Jahre diskontiert21 und summiertwerden. Dieser Wert wird dem Output gegenübergestellt, der ebenfalls - im Sinne einer Gewichtungzur Durchschnittsbildung - "diskontiert" wird.22 Dar-aus ergeben sich die durchschnittlichen Kosten prom³ gewonnenem Trinkwasser (AIC).

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5.3 Ergebnisanalyse: Vergleich derKosten der KonzepteDie Minimum-/Maximumwerte der m³-Kosten inder unteren Tabelle zeigen sehr deutlich, dass einegroße Spannweite zwischen den so berechnetenminimalen und maximalen Kosten der verschiede-nen Technologien liegen kann. Diese Spannweitenergeben sich vor allem aus Transportstrecken, dieregional unterschiedlich sind, aber auch aus der not-wendigen Outputmenge, also dem unterschiedlichenBedarf der Regionen, und betragen in EUR/m³:Grundwasser 0,12 - 0,61; Oberflächenwasser 0,09 -0,30; Brackwasser 0,75 - 2,32; Meerwasser 1,10 -13,4 und Abwasser 0,19 - 1,71.

Tabelle 3: Minimale und maximale m³-Kostender Technologien

Die Wasserressource, die am billigsten zu fördernist, ist Grundwasser (siehe auch Abbildung 4). Wodies aber eher weit transportiert werden muss (sozum Beispiel in Mashhad und Gharyan), können dieKosten für Oberflächenwasser deutlich darunter lie-gen. Die Kosten der Abwasseraufbereitung liegtetwa im gleichen Bereich wie die der Oberflächen-wassergewinnung, allerdings ist hier zu beachten,dass ein Entsorgungsnetz vorausgesetzt wird - ineinigen Regionen würde der notwendige Neubauoder die Restaurierung in der Realität die Kostenwesentlich erhöhen.

Die Kosten für Wasserentsalzung liegen im Durch-schnitt deutlich über jenen der Alternativen, könnenaber unter 1 EUR/m³ betragen, wo die Voraussetzun-gen günstig sind, d.h. zum Beispiel Brackwasservorhanden ist und die Entfernung von der Wasserge-winnung zum Versorgungsgebiet sehr gering ist (wiein Aqaba und Gharyan). Wo diese Bedingungennicht erfüllt sind, liegen die Kosten jedenfalls über 1EUR/m³, oft aber auch über 2 oder 3 EUR; Spitzen-werte erreicht die Region Kufra mit "theoretisch"über 10 EUR/m³.

Wie bereits oben angesprochen, sind die Kosten prom³ gewonnenem Trinkwasser vor allem einerseitsvon der Entfernung zu der jeweiligen Ressource(Transportkosten), andererseits von der benötigten,also zu "produzierenden" Outputmenge abhängig(Größenvorteile). Die folgenden Abbildungen ver-deutlichen dies nochmals explizit.

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Trinkwassergewinnung

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Mashhad 0,35 0,62 0,12 0,22 1,10 1,43 2,47 3,46 0,20 0,29Yazd 0,12 0,24 0,20 0,35 1,35 1,69 3,52 4,95 0,21 0,32Al Aqaba 0,12 0,27 0,11 0,20 0,96 1,10 1,61 1,76 0,21 0,32Ma'an 0,15 0,36 0,24 0,45 1,48 1,87 3,65 4,80 0,39 0,75Gharyan 0,32 0,57 0,21 0,36 0,83 0,96 1,22 1,35 0,18 0,28Kufra 0,14 0,36 0,28 0,59 1,44 2,04 5,83 10,7 0,24 0,38Gafsa 0,15 0,33 0,14 0,25 1,63 2,03 4,34 5,95 0,38 0,71Sousse 0,08 0,20 0,12 0,26 1,11 1,28 2,42 2,77 0,30 0,52

Min/Max100% 0,08 0,62 0,11 0,59 0,83 2,04 1,22 10,7 0,18 0,75Konzepte 0,12 0,61 0,09 0,30 0,75 2,32 1,10 13,4 0,19 0,71

m³ GW m³ OF m³ Brack m³ Meer

m³ OF m³ Brack m³ Meer

m³ Abw

Versorgungsanteil der Technologie = 100%m³ Abwm³ GW

0,00

0,25

0,50

0,75

1,00

1,25

1,50

1,75

2,00

Mashhad Yazd Al Aqaba Ma'an Gharyan Kufra Gafsa Sousse

Kostenin EUR/m³

GW, OF, Abw

GW / OF, Abw , Brack

GW / OF, Abw , Meer

Quelle: eigene Be-rechnung.

Abbildung 4: m³-Kosten der Konzepte für die Regionen bei Deckung des zusätzlichen Bedarfs

Anm.: Angaben in Euro/m³. Die Min/Max-Zeile "100 %"bezieht sich auf die theoretische 100%-ige Deckung des

Bedarfs aus nur einer Ressource. In der Realität müssenverschiedene Entnahmemöglichkeiten kombiniert werden

(Zeile "Konzepte"). Geringere Minima und Maxima ergebensich vor allem auf Grund der Größenvorteile bei 100%-igerBedarfsdeckung durch eine Technologie; höhere Werte tre-

ten dann auf, wenn outputunabhängige Kostenpunkte (etwaTransportleitungen) überwiegen.

Quelle: eigene Berechnung.

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6 Schlussfolgerungen Zusammenfassend ergeben sich aus den Analysenfür die acht betrachteten Regionen folgende Schluss-folgerungen: Mashhad, Ma'an, Gharyan und Kufra,die nicht über Oberflächen- und Grundwasser verfü-gen, werden in Zukunft Konzepte zur Wasseraufbe-reitung und -entsalzung umsetzen müssen; die ande-ren Regionen verfügen zwar über natürliche

Ressourcen, jedoch müssen zum Teil bald Alternati-ven gefunden werden, um diese zu erhalten. Nebender überall zu forcierenden Abwasserreinigung isthier für Yazd und Gafsa nur Brackwasser-, für Aqabaund Sousse auch Meerwasserentsalzung denkbar.

Einige der wesentlichen Punkte für die einzelnenGewinnungstechnologien bzw. Ressourcen, die sichaus der Arbeit an diesem Thema ergeben haben, sind

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0,00

0,50

1,00

1,50

2,00

2,50

3,00

3,50

4,00

Mashhad Yazd Al Aqaba Ma'an Gharyan Kufra Gafsa Sousse

Kostenin EUR/m³

0

100

200

300

400

500

600

700

800

Entfernung zur Ressource in km

GW / OF, Abw , Brack

GW / OF, Abw , Meer

Entf. in km zu Brackw asser

Entf. in km zu Meerw asser

Abbildung 5: m³-Kosten und Entfernung der Ressourcen (Einfluss der Transportkosten)

Quelle: eigene Berechnung.

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Kostenin EUR/m³

0

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3.000

benötigte Mengein Mio. m³/a

GW / OF, Abw , Brack

GW / OF, Abw , Meer

benötigte Menge in Mio. m³/a

Mashhad Yazd Al Aqaba Ma'an Gharyan Kufra SousseGafsa

Abbildung 6: m³-Kosten und benötigte Outputmenge (Einfluss der Größenvorteile)

Quelle: eigene Berechnung.

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folgende:

- Rainwater Harvesting wird wieder vermehrt ein-gesetzt, was wohl die "natürlichste" Form derWassergewinnung ist. Auf Grund der Nieder-schlagsbedingungen wird jedoch in den unter-suchten Regionen immer nur ein relativ geringerProzentsatz des Bedarfs durch diese Technikengedeckt werden. Zudem muss auf die Wasserqua-lität geachtet werden, um gesundheitliche Proble-me zu vermeiden.

- Natürliche Ressourcen, also Grund- und Oberflä-chenwasser, werden in der Realität so lange ent-nommen werden, bis sie quantitativ und qualitativbereits sehr weit erschöpft sind. Sinnvoll ist einEingreifen vor dieser Situation auf kostengünsti-ge Alternativen, da die ökologischen Folgen derEntleerung gravierend sein können und zudemauch auf zukünftige Trinkwasserversorgung Achtgenommen werden muss.

- Abwasseraufbereitung ist eine der Alternativen,die allerdings sicherlich immer nur einen gewis-sen Teil des Bedarfs wird decken können. Abhän-gig ist dies von der Siedlungsstruktur, der Abwas-serqualität und der technologischen Entwicklungder Anlagen. Überall aber kann ein bestimmterProzentsatz des gebrauchten Wassers gereinigtund für gewisse Nutzungen wieder verwendetwerden. Ihre Anwendung muss auf jeden Fall for-ciert und wahrscheinlich in vielen Fällen qualita-tiv verbessert werden, um verbrauchtes Wasserwieder in den "Süßwasserkreislauf" rückzufüh-ren; die Aufbereitung dieser "Ressource" ist deraufwändigen Entsalzung von Meerwasser vorzu-ziehen, so weit dies möglich ist.

- Wasserentsalzung ist nur dort sinnvoll, wo ent-sprechende Ressourcen (Brack- oder Meerwas-ser) in der Nähe vorhanden sind. Dort kann siesehr kostengünstig sein, vor allem wenn großeOutputmengen benötigt werden. Auf Grund des-sen ist es natürlich sinnvoll, Entsalzungsanlagenfür größere, zusammengefasste Regionen zu er-richten, was in den vorliegenden Berechnungennicht berücksichtigt werden konnte. Ökologischbergen diese Anlagen sicher Risiken, vor allemdurch hohen Energiebedarf und die stark salzhal-tigen Abwässer. Dennoch wird in einzelnen Re-gionen diese Form der Aufbereitung zu einer Not-wendigkeit werden, soll der Wasserbedarf auch inZukunft aus regionalen Ressourcen gedeckt wer-den.

- Transport und Import von Wasser sollten - auchauf Grund ihrer oft nicht abschätzbaren Umwelt-

effekte - lediglich als kurzfristige Lösungen betra-chtet werden, die wie der Nahrungsmittelimportauf der Abhängigkeit von anderen Staaten beru-hen.

Bezüglich der Umwelteffekte sämtlicher Anlagenkönnen selten sichere Prognosen getroffen werden.Besonders Großprojekte wie Staudämme oder Ent-salzungsanlagen können wesentliche negative Aus-wirkungen auf Ökosysteme und damit auch aufRessourcen und Lebensqualität haben, die erkannt,abgeschätzt und zumindest qualitativ in die Projekt-planung einfließen müssen. Aussicht auf die Verrin-gerung umweltproblematischer Effekte besteht aufGrund technischer Fortschritte.

Trotz der Potenziale dieser Technologien solltenStrategien gegen Wasserknappheit beim Bedarfselbst ansetzen, so etwa in der Landwirtschaft durchentsprechende Änderungen im Bewässerungssystemoder in den Haushalten durch technische Entwik-klung von Haushaltsgeräten. Abwasser könnte ver-mehrt wieder genutzt werden (Bewässerung, Indu-strie), der Aufwand zur Aufbereitung hängt wesent-lich von den Anforderungen an das Wasser ab (Stich-wort Trink-/Nutzwasser).

Wo der Bedarf durch nachfrageseitige Maßnahmennicht derart verringert werden kann, dass seine Dek-kung geschehen kann, ohne die Vorkommen irgend-wann völlig zu erschöpfen, müssen Technologienzur Aufbereitung von Wasser forciert werden - dennbei der Gewinnung von Wasser wird die nachhaltigeBewahrung der Ressourcen als vorrangig erachtet,da nur so ein stabiles Gleichgewicht des Ökosystemserhalten werden kann.

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YALE, Pat et al.: Iran. Lonely Planet Publications,Victoria 2001. S. 24-27.

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 4/2003 53

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i Zusammenfassung der gleichnamigen Diplomarbeit, ausgeführtam Institut für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik derTechnischen Universität Wien, Mai 2003.

1 nach der Hydrologin Malin Falkenmark (Schweden), vgl.HOCH 2002.

2 nach Allan, in: MERRETT 1997, S. 76 f.

3 TURTON 2002, S. 22 ff.

4 siehe dazu Dokumente aufhttp://www.internationalwaterlaw.org

5 weitere Beschreibungen und Analysen der Wasserressourcenbasieren unter anderem auf NATIONAL GEOGRAPHIC2002, FREE GIS DATA 2003 und den für die Länder genann-ten Quellen.

6 u.a. YALE 2001, S. 24f.; GOODARZI 2002; NIKRAVESH1997.

7 u.a. KHAMMASH et al. 2002; SCHIFFLER, in: Bagis 1994,S. 341 ff.; LIBISZEWSKI 1995, S. 21 f.; GISCHLER 1979,S. 101 f.

8 u.a. GÖTTLER 1998, S. 155-160; Geographic Overviews…2002.

9 u.a. ECKERT 2001; BAHRI 1998; CITET 2002.

10 u.a. GISCHLER 1979, S. 53 ff.; LIBISZEWSKI 1995, S. 59.

11 u.a. GLEICK 1998, S. 70 ff.; WCD 2000, S. 11-17; LIBIS-ZEWSKI 1995, S. 58 ff.

12 u.a. GISCHLER 1979, S. 53-58; SCHIFFLER, in: Bagis1994, S. 350.

13 u.a. ALLAN, in: Bagis 1994, S. 169 ff.; LIBISZEWSKI1995, S. 62 f.; GLEICK 1998, S. 200-205.

14 LIBISZEWSKI 1995, S. 60 f.; GROMBACH 2000, S. 692.

15 u.a. BUROS 2000; SCHIFFLER, in: Bagis 1994, S. 353;IAEA 2000.

16 ADB 2002, S. 12-15; MERRETT 1997, S. 32 ff.

17 ADB 2002, S. 91 f.; GORDON 2001, S. 20 f.

18 MERRETT 1997, S. 20 f.

19 MERRETT 1997, S. 78-82.

20 u.a. OECD 1987.

21 Diskontierungsrate = 12 %, nach ADB 2002, S. 82 ff. bzw.Auskunft WABAG.

22 nach ADB 2002, S. 82 ff.

ANGABEN ZUR AUTORIN:

DI Lisa Liebert (ehem. Karlhuber-Vöckl)

Absolventin der Studienrichtung Raumplanung undRaumordnung an der TU Wien

Schulgasse 63/38, 4021 [email protected]

Heft 4/2003

Trinkwassergewinnung

54

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Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 55

Die grenzübergreifende Zusammenarbeitvon RegionenAm Beispiel der EuRegio West/Nyugat Pannonia1

Thomas Leitner

Dieser Artikel soll einen Beitrag zum Verständnisder Theorie und Empirie der grenzübergreifendenZusammenarbeit in Europa liefern. Es sollen dieProbleme aber auch die Chancen der grenzübergrei-fenden Zusammenarbeit in Europa dargestellt undanhand eines praktischen Beispiels - der EuRegioWest/Nyugat Pannonia - näher erläutert werden.

"Grenzgebiet Europa"Unser heutiges Europa ist einerseits durch seinegemeinsame Kultur und Geschichte als auch ande-rerseits durch seine Vielzahl an Grenzen geprägt,welche zumeist das historische Ergebnis politischer,militärischer aber auch sozialer Interaktionen sind.Viele dieser Grenzen stellten bis in die jüngste Ver-gangenheit Barrieren mit enormer Tragweite dar, sozum Beispiel der Eiserne Vorhang als geschlosseneGrenze (sowohl im wirtschaftlichen als auch impolitischen und sozialen Leben) zwischen Ost undWesteuropa.

Grenzregionen - periphere, be-nachteiligte GebieteViele Regionen entlang der europäischen Grenzenhaben sich aufgrund der enormen Barrierewirkungzu peripheren, strukturschwachen Gebieten mit viel-fältigen Benachteiligungen entwickelt. In der Regio-nalwissenschaft werden Grenzregionen vielfachNachteile zugesagt: Grenzregionen zählen meist zuden peripheren Regionen, mit schlecht ausgestatteterInfrastruktur, einem verhältnismäßig geringem wirt-schaftlichen Leistungsniveau und vorhandenen poli-tischen und sozialen Diskrepanzen aufgrund des feh-lenden Kontakts zu den Nachbarn. Die Folgen sindpolitische, wirtschaftliche und soziale Isolation, wel-che eine vernünftige Entwicklung dieser Regionenzumeist verhindern.

Grenzübergreifende Zusam-menarbeit zur Überwindung derNachteileSolche peripheren Grenzregionen müssen jedoch

nicht zwingend auf Dauer benachteiligt sein. Vieleder benachteiligten Grenzregionen Europas zeigtenin den vergangenen Jahren eine hohe Entwicklungs-dynamik auf, welche überwiegend auf eine intensivegrenzübergreifende Zusammenarbeit zurückzufüh-ren ist. Erste Versuche, grenzübergreifende Kontak-te zwischen verschiedenen Regionen Europas herzu-stellen, wurden nach Beendigung des Zweiten Welt-krieges unternommen. Pionierarbeit auf dem Gebietder grenzübergreifenden Zusammenarbeit leistetenvor allem die Initiativen entlang der deutsch-nieder-ländischen Grenze Ende der 50er bzw. zu Beginn der60er Jahre. Eine wichtige Rolle spielten dabei vorallem die Akteure unterhalb der Regionsebene, d.h.die Grenzkommunen und Kommunalverbände, indenen man versuchte, die Probleme vor Ort beider-seits der Grenze zu lösen und die historischen Bar-rieren zu überwinden. Einen wichtigen Schritt inRichtung Institutionalisierung der grenzübergreifen-den Zusammenarbeit stellte zu Beginn der 1970erJahre die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Euro-päischer Grenzregionen - kurz AGEG - dar. Mit denpolitischen Umbrüchen und dem Fall des EisernenVorhangs veränderten sich die Rahmenbedingungenfür die grenzübergreifende Zusammenarbeit erneut,welche durch die 1990 gestartete Gemeinschaftsini-tiative INTERREG zusätzliche Unterstützung undInstitutionalisierung erfuhr. Vor allem zu dieser Zeitkam es zur Gründung vieler grenzübergreifenderInitiativen, konzentriert entlang des gefallenenEisernen Vorhangs.

Philosophie und Grundsätze dergrenzübergreifenden Zusam-menarbeitUnter der grenzübergreifenden Zusammenarbeit ver-steht man im Allgemeinen unmittelbare nachbar-schaftliche Kooperationen der regionalen und loka-len Instanzen entlang einer Grenze in allen Lebens-bereichen sowie unter Einschaltung aller Akteure.Partnerschaft und Subsidiarität stellen dabei wesent-liche Grundsätze grenzübergreifender Zusammenar-beit dar. Partnerschaft soll sowohl in vertikaler Form(d.h. zwischen der Ebene der EU, der nationalen

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Ebene sowie der regionalen und lokalen Ebene) alsauch in horizontaler Form (d.h. zwischen den Part-nern beiderseits der Grenze) bestehen, nach demPrinzip "von oben nach unten" (bottom-up). Subsidi-arität steht bei der grenzübergreifenden Zusammen-arbeit für die Stärkung der regionalen und lokalenInstanzen als eine geeignete Verwaltungsebene fürdie Entwicklung und den Aufbau grenzübergreifen-der Kontakte.

Wenn grenzübergreifende Zusammenarbeit effektivund von Bestand sein soll, muss diese breit angelegtsein und von Beginn weg gemeinsam erfolgen.Nationale Interessen sollen dabei auf die Handlun-gen der Nachbarn abgestimmt werden. Dies soll inallen Aspekten des alltäglichen Lebens in denGrenzregionen erfolgen: in der Wirtschaft ebensowie im sozialen und kulturellen Bereich.

Die "Grenzen" der Zusammenar-beitDie grenzübergreifende Zusammenarbeit ist in Euro-pa gegenwärtig noch immer mit einer Reihe vonProblemen konfrontiert: auch wenn in vielen Gebie-ten entlang der europäischen Grenzen erste Hürdenüberwunden werden konnten und einzelne Initiati-ven bereits zu Erfolgen geführt haben, so stößt dieZusammenarbeit beispielsweise bei der Schaffungeines grenzüberschreitenden rechtlichen Rahmens,d.h. bei der Konstruktion einer Rechtspersönlichkeit,welche auf beiden Seiten der Grenze Gültigkeitbesitzt, auf enorme rechtlich-administrative Hinder-nisse. Es existiert beispielsweise kein einheitlichesInstrument des öffentlichen Rechts, welche für dieZusammenarbeit über nationale Grenzen hinweggenerelle Gültigkeit besitzt. Darüber hinaus bestehtdas Problem der Souveränität bzw. der Territorialitätder einzelnen nationalen Körperschaften.

Initialzündung in Richtung Zu-sammenarbeitIn Anbetracht der Vielzahl und Unterschiedlichkeitan Problemen starten grenzübergreifende Kontaktein der Regel mit einzelfallorientierten Aktivitäten,initiiert von einzelnen Personen, zumeist in Gebietenmit sensibler politischer sowie geschichtlicher Ver-gangenheit (wie eben in den Gebieten entlang desEisernen Vorhangs). Derartige erste Kontakte sindvon größter Bedeutung im Hinblick auf den Aufbaueiner gemeinsamen Zusammenarbeit über nationaleGrenzen hinweg. Eine der wesentlichsten Herausfor-derungen grenzübergreifender Aktivitäten besteht in

der Überwindung von bestehenden alten Grenzen imKopf, welche oftmals auf kulturellen und gesell-schaftlichen Diskrepanzen in der Geschichte ebensowie in der Gegenwart beruhen und jeglichen Kontaktzum Nachbarn erschweren bzw. gänzlich verhin-dern.

Von der Kooperation zur RegionEinzelne gemeinsame nachbarschaftliche Initiativen,bei welchen man im Hinblick auf ihr Ausmaß undWirken noch lange nicht von regelmäßigen Kontak-ten sprechen kann, helfen oftmals eine fehlende Ver-trauensgrundlange herzustellen und Vorurteilegegenüber dem Nachbarn (aufgrund unterschied-licher Sprache, Kultur, Mentalität, usw.) abzubauenund zur Entwicklung grenzübergreifender regionalerNetzwerke und Ordnungen beitragen.

Regionale Netzwerke bzw. regionale Ordnungen (alsVorformen von - grenzübergreifenden - Regionen)entstehen vor allem dann, wenn das Klima der Inter-aktionen durch Verständnis, Vertrauen und Rezipro-zität geprägt ist. Die Entwicklung regionaler Ord-nungen kann im Wesentlichen auf drei verschiedeneVertrauensvarianten zurückgeführt werden: auf einegemeinsame Basis sozio-kultureller Werte und Tra-ditionen - characteristic-based trust, auf eine odermehrere auf Stabilisierung gerichtete Institution(en)- institutionally-based trust sowie auf positiveKooperationserfahrungen resultierend aus Interak-tionen in der Vergangenheit als auch in der Gegen-wart - process-based trust.

Stefan Krätke hat vielschichtige Einflussfaktoren derRaumentwicklung im Hinblick auf die Herausbil-dung und Entwicklung wirtschaftlicher und kulturel-ler regionaler Gebietseinheiten in einem Modellregionaler Entwicklungszusammenhänge zusam-mengeführt.

Krätkes Modell besagt, dass die Entwicklung einerRegion nicht alleine von siedlungsstrukturellen Rah-menbedingungen, der Infrastrukturausstattung sowieder sektoralen Grobstruktur oder dem erreichtenwirtschaftlichen Niveau bestimmt wird. Die Entwik-klung und der Erfolg einer Region wird neben diesenFaktoren des weiteren wesentlich vom regionalenProduktions- und Regulationssystem bestimmt. Die-ser regionale Entwicklungszusammenhang zwischenden drei Komponenten regionales Produktionssy-stem, regionales Regulationssystem und den Rah-menbedingungen der Raumausstattung/Lagequalitätbestimmt des weiteren sowohl Wirtschaftskraft alsauch Beschäftigungsentwicklung einer Region.

Heft 3-4/2004

Grenzübergreifende Zusammenarbeit

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Jede der drei Komponenten dieses Modells umfassteine Reihe von unterschiedlichen Einflussfaktoren(siehe Abbildung).

DIE EUREGIO WEST/NYUGATPANNONIAEin kurzer Überblick über die Partnerder EuRegio West/Nyugat PannoniaDie österreichisch-ungarische Grenzregion, dieEuRegio West/Nyugat Pannonia, wurde am 7. Okt-ober 1998 gegründet. Zu den Partnern zählen aufösterreichischer Seite das Land Burgenland und aufungarischer Seite die drei westungarischen KomitateGyör-Moson-Sopron, Vas und seit 1999 auch dassüdlich gelegene Komitat Zala.

Die drei ungarischen Komitate (die Komitatsebeneentspricht in Österreich der Länderebene) bilden seit1996 gemeinsam (neben sechs weiteren administra-tiven Planungsregionen) die Region West Transda-nubien bzw. Westungarn. Es handelt sich hierbei umeine intermädiere Ebene, zwischen der lokalen undder nationalen Regierungsebene, welche in Ungarnheutzutage Realität ist (de facto), wenn auch nicht injuristischer Hinsicht (de jure).

Diese neu gegründeten Regionen befinden sich der-

zeit noch in einem Prozess der institutionellen Stabi-lisierung: der legale sowie der verfassungsmäßigeStatus dieser Planungsregionen ist noch nicht geklärtund unterliegt zukünftigen politischen Verhandlun-gen.

Die vier Partner der EuRegio West/Nyugat Pannonia

Die Komitate Györ-Moson-Sopron, Vas und Zala bildendie administrative Planungsregion Westungarn

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 57

Regionales Produktionssystem

a.1) Branchencharakteristik

a.2) Institutionelle Differenzierung des Unternehmenssektors

a.3) Raumübergreifende Direktionspotentiale

a.4) Umfang und Qualität des Arbeitskräfteangebots

Regionales Regulationssystem

b.1) Koordinationsformen zwischen Unternehmen

b.2) Qualität der industriellenArbeitsbeziehungen

b.3) soziokulturelles Milieu undindustrielle Kompetenz

b.4) unterstützende Einrichtungenauf regionaler Ebene

Rahmenbedingungen der Raum-Ausstattung / Raumqualität

c.1) Urbanisierungsgrad u. Bevölkerungsdichte

c.2) Infrastrukturausstattung

c.3) verkehrsgeografische Lagequalität

c.4) Umweltqualität

Regionaler Entwicklungs-

zusammenhang

REGIONALE ENTWICKLUNGSDYNAMIK

Regionales Produktionssystem

a.1) Branchencharakteristik

a.2) Institutionelle Differenzierung des Unternehmenssektors

a.3) Raumübergreifende Direktionspotentiale

a.4) Umfang und Qualität des Arbeitskräfteangebots

Regionales Regulationssystem

b.1) Koordinationsformen zwischen Unternehmen

b.2) Qualität der industriellenArbeitsbeziehungen

b.3) soziokulturelles Milieu undindustrielle Kompetenz

b.4) unterstützende Einrichtungenauf regionaler Ebene

Rahmenbedingungen der Raum-Ausstattung / Raumqualität

c.1) Urbanisierungsgrad u. Bevölkerungsdichte

c.2) Infrastrukturausstattung

c.3) verkehrsgeografische Lagequalität

c.4) Umweltqualität

Regionaler Entwicklungs-

zusammenhang

REGIONALE ENTWICKLUNGSDYNAMIK

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Ein Ziel gemeinsam erreichen!Die EuRegio West/Nyugat Pannonia versteht sich alseine freiwillige Interessensgemeinschaft der vierbeteiligten Partner. Die Initiative verfolgt vorrangigdas Ziel, die Idee des vereinten Europas in einemkleineren und somit auch verständlicheren Rahmenzu verwirklichen und dadurch die Schaffung eineszukünftig gemeinsamen grenzübergreifenden Wirt-schafts- und Lebensraum zu ermöglichen.

Das Gebiet der EuRegio West/NyugatPannonia

Die pannonische Grenzregion erstreckt sich übereine Fläche von 15.175 km2, wobei nur rund einDrittel dieser Fläche auf das Land Burgenland ent-fallen. Auf dem Gebiet der EuRegio leben knapp 1,3Mio. Menschen. In der Re-gion leben neben öster-reichischen und ungarischen Staatsbürgern eineVielzahl an Menschen unterschiedlicher Volksgrup-pen (wie beispielsweise Kroaten, Roma und Sinti).Die gemeinsame Grenze verläuft über eine Längevon 356 km.

Bei der Betrachtung der geographischen sowie dersozio-demographischen Strukturen der Grenzregionwird sehr schnell klar, dass die gegenwärtige politi-sche Grenze keine naturräumlichen oder sozialenEinheiten voneinander trennt. Die Gebiete beider-seits der Grenze weisen eine Vielzahl an natürlichen,sozialen und historischen Gemeinsamkeiten auf. Anbeiden Seiten der Grenze dokumentiert sich eineganz besondere, gemeinsame Identität, welchegrundsätzlich auf dem pannonischen Gepräge derGegend beruht. Die Grenzregion stellt somit eineÜbergangsregion zwischen zwei Staaten und derenKulturen dar, in welcher in den vergangenen Jahr-zehnten eine besondere Atmosphäre des Zusammen-lebens entstand.

Die Entwicklung zur GrenzregionTrotz der Tatsache, dass sich das österreichisch-ungarische Grenzgebiet nach der Errichtung desEisernen Vorhangs 1945, als politische und weltan-schauliche Trennlinie zwischen Ost- und Westeuro-pa, zu einer politisch sensitiven und gut bewachtenRegion entwickelte, riss der Kontakt zwischen denbeiden benachbarten Regionen nie gänzlich ab undließ die über Jahrhunderte dauernde gemeinsameGeschichte zur Zeiten des Habsburgerreiches nichtin Vergessenheit geraten.

Erinnern wir uns an die drei verschiedenen Vertrau-ensvarianten, auf wel-chen die Entwicklungregionaler Ordnungenbasieren kann, so ist dieEntwicklung der EuRe-gio West/Nyugat Panno-nia in erster Linie aufdie gemeinsame Basissoziokultureller Werteund Traditionen - cha-racteristic-based trust -zurückzuführen - diesbedingt durch die Jahr-

hunderte lange gemeinsame Geschichte zur Zeitender Habsburger. In weiterer Folge entwickelten sichauf dieser Basis positive Kooperationserfahrungen,vorwiegend im sozialen und kulturellen Bereich -process-based trust. Ende der 1980er bzw. zu Beginnder 1990er Jahre wurde durch die Erstellung einesRahmenprogramms betreffend der Zusammenarbeitbzw. mit der Gründung eines grenzüberschreitendenRegionalrates (welcher in weiterer Folge zur Grün-dung der EuRegio 1998 führte) die Zusammenarbeitsowie die (Grenz-)Regionsbildung fortlaufend insti-tutionalisiert - institutionally-based trust.

Wichtig für die gutnachbarschaftliche Zusammenar-beit innerhalb der österreichisch-ungarischen Grenz-region ist vor allem die Tatsache, dass die Ansprech-partner (vor allem in den einzelnen Arbeitsgruppender EuRegio) diesseits und jenseits der Grenze überdie Jahre hinweg kaum wechselten. Dadurch konnteeine sehr gute Vertrauensbasis auch auf "Hand-schlagqualität" geschaffen werden.

Zum organisatorischen Aufbau derEuRegio West/Nyugat PannoniaDie Zusammenarbeit zwischen den vier Partnernberuht auf einer Rahmenvereinbarung. Györ-Moson-Sopron, Vas und Zala sowie das Burgenland erklär-ten sich mit der Unterzeichnung dieser Rahmenver-

Heft 3-4/2004

Grenzübergreifende Zusammenarbeit

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Die österreichisch-ungarische Grenzregion im Überblick

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einbarung über die Zusammenarbeit bereit, die fest-gelegten Ziele der EuRegio unter aktiver Mitarbeitder auf ihrem Gebiet eingerichteten Staatsverwal-tung, der Sozialpartner sowie der betroffenen staat-lichen Organe zu erreichen. Dadurch, dass dieZusammenarbeit auf dem Prinzip der Freiwilligkeitberuht, besitzt die EuRegio West/Nyugat Pannoniakeine eigene Rechtssubjektivität im Einklang mitden nationalen Rechtsvorschriften der beteiligtenPartner. Der Umstand der fehlenden rechtlichen Ver-ankerung (sowohl der Planungsregion Westungarnim nationalen als auch der EuRegio West/NyugatPannonia im europäischen Gefüge) stellt nicht zwin-gend einen Nachteil für die zukünftige Entwicklungdes pannonischen Grenzgebietes dar: durch dieunverbindlichen und freiwilligen Festlegungeninnerhalb der Grenzregion ist diese formbar und fle-xibel gegenüber zukünftig geänderten Rahmenbe-dingungen in einem sich erweiternden Europa.

Das höchste Organ in der EuRegio West/NyugatPannonia ist der Rat der EuRegio. Der Rat entschei-det im Wesentlichen über die Aufteilung und die Artder Finanzierung, über die Aufnahme neuer Partnersowie über die Änderung der Rahmenbedingungen.

Die eigentliche projektbezogene Arbeit erfolgtjedoch in den einzelnen Arbeitsgruppen der EuRe-gio. Es wurden acht Arbeitsgruppen zu den folgen-den unterschiedlichen Themenbereichen gebildet:

1) Raumordnung, Raumentwicklung, Verkehr undInformation

2) Wirtschaft

3) Tourismus, Kultur und gemeinsames Kulturerbe

4) Natur-, Umwelt und Gewässerschutz

5) Öffentliche Sicherheit und Katastrophenschutz

6) Gesundheit und Soziales

7) Bildung und Jugend

8) Beschäftigung

In die einzelnen Arbeitsgruppen werden Vertreteraus unterschiedlichsten Wirtschafts-, Lebens- undPolitikbereichen Westungarns und des Burgenlandesentsendet.

Die bisherigen Erfolgsprojekte derpannonischen EuRegio-InitiativeSeit der Gründung der EuRegio West/Nyugat Panno-nia im Oktober 1998 wurde in über 50 Arbeitsgrup-pensitzungen eine Reihe von grenzüberschreitendenProjekten im Burgenland als auch in Westungarninitiiert und teilweise bereits umgesetzt. Eine engeZusammenarbeit erfolgte in der pannonischenGrenzregion vor allem im sozialen, im kulturellensowie im Umweltbereich. Zu den wesentlichenErfolgsprojekten zählen hierbei die Errichtung meh-rerer grenzüberschreitender Naturparks, allen vorander grenzüberschreitende Nationalpark Neusiedler-see-Seewinkel, welcher zum UNESCO-Weltkultu-rerbe erklärt wurde.

Die erfolgreichen Kooperationen im Sozial-, Kultur-und Umweltbereich stellen für den pannonischenGrenzraum eine sehr gute Basis für zukünftigegrenzüberschreitende Kooperationen im wirtschaft-lichen Bereich dar, welche derzeit in der EuRegioWest/Nyugat Pannonia noch einzelfallorientierterbzw. eher unternehmerischer Natur sind. ErsteSchritte im Bereich wirtschaftlicher Kooperationund Vernetzung erfolgten bereits durch die Errich-tung des grenzüberschreitenden Businesspark Heili-genkreuz/Szentgotthárd im Süden der Grenzregion.

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

Heft 3-4/2004 59

Rat der EUREGIO

Präsidium der EUREGIO

Sekretariat der EUREGIO

Arbeitsgruppen

Rat der EUREGIORat der EUREGIO

Präsidium der EUREGIOPräsidium der EUREGIO

Sekretariat der EUREGIOSekretariat der EUREGIO

ArbeitsgruppenArbeitsgruppen

Der Nationalpark Neusiedlersee/Seewinkel

Businesspark Heiligenkreuz/Szentgotthárd

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Vor allem in den Bereichen Kultur und Tourismusals auch im Beriech gemeinsamer Infrastrukturaus-bau sehen Experten aus der Grenzregion sehr guteChancen für zukünftige Kooperationen und dieDurchführung gemeinsamer Projekte und Aktivitä-ten.

Beschreibung anhand des Modells re-gionaler Entwicklungszusammenhän-geEine weitere Möglichkeit, fundierte Aussagen überdas künftige Entwicklungspotential der pannoni-schen Grenzregion zu treffen, besteht in der Analyseanhand des zuvor vorgestellten Modells regionalerEntwicklungszusammenhänge von Stefan Krätke.

Nochmals zur Erinnerung: die Entwicklung einerRegion wird in diesem Modell von drei wesentlichenKomponenten beeinflusst: dem regionalen Produk-tionssystem, dem regionalen Regulationssystemsowie der Rahmenbedingungen der Raumausstat-tung/Lagequalität.

Bezüglich der RAHMENBEDINGUNGEN DERRAUMAUSSTATTUNG/LAGEQUALITÄT ist zubemerken, dass der nördliche Teil der pannonischenGrenzregion zukünftig bessere Entwicklungschan-cen als das restliche Grenzgebiet aufweist. Dies isteinerseits durch die Nähe zu den beiden MetropolenWien und Budapest zu erklären. Andererseits ist die-ser Vorsprung des Nordens auch auf die bessere ver-kehrsgeografische Lagequalität und Infrastruktur-ausstattung zurückzuführen.

Ein weiterer Vorteil in Richtung positive zukünftigeEntwicklung der Grenzregion besteht durch die hohe

Umweltqualität innerhalb des EuRegio-Gebietes:fast 15% der gesamten Fläche des Grenzgebietessind als Schutzgebiete ausgewiesen. Vor allem dasBurgenland ist als Land der kleinen Dörfer mit hoherUmweltqualität bekannt.

Die gesamte Grenzregion ist mit 84 Einwohnern prokm2 (im Vergleich zur Europäischen Union mit 115Einwohnern pro km2) recht dünn besiedelt. Dieknapp 1,3 Millionen Einwohner verteilen sich auf819 Gemeinden, wovon nur 39 Städte mittlerer Grö-ßenordnung sind. Die einwohnerstärkste Agglome-ration ist die Stadt Györ im Norden der Grenzregionmit ca. 130.000 Einwohnern.

Betreffend dem REGIONALEN PRODUKTIONS-SYSTEM ist vorweg die Branchencharakteristik derpannonischen Grenzregion von Interesse. Diesbe-züglich ist auffallend, dass der produzierendeBereich noch immer den dominierenden Wirt-schaftssektor innerhalb der EuRegio West/NyugatPannonia darstellt. Im Dienstleistungsbereich hat diegesamte Region in den vergangenen Jahren jedocheinen enormen Aufholprozess gestartet, welchernicht zuletzt auf eine erfolgreiche Entwicklung undFörderung des Technologie- und Tourismusbereichszurückzuführen ist.

Heft 3-4/2004

Grenzübergreifende Zusammenarbeit

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Eine zukünftig enge wirtschaftliche grenzübergrei-fende Zusammenarbeit wird im Wesentlichen auchdurch die relativ geringen Unterschiede betreffendder Wirtschaftsleistung des Burgenlandes und West-ungarns begünstigt. Das Burgenland zählt als Ziel-1-Gebiet zum wirtschaftsschwächsten BundeslandÖsterreichs während die Region Westungarn (nebender Hauptstadt Budapest) die dynamischste und

wirtschaftlich stärkste Region Ungarns darstellt(dies nicht zuletzt auch durch die vielen ausländi-schen Direktinvestitionen). Nach Kaufkraftstandardserreichte das Burgenland 2003 ein BIP/Kopf von73% (EU15=100). Die Region Westungarn erreichteim selben Jahr einen Prozentwert von 58, wobei dasKomitat Györ-Moson-Sopron mit 69% nur knapphinter dem Burgenland liegt.

Westungarn Bruttoinlandsprodukt (GDP) pro Einwohner in Kaufkraftstandards

Burgenland West-ungarn

(gesamt) Gyor-Moson-Sopron Vas Zala

EU15 = 100 keine Angabe 73 58 69 59 44

Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen nach Wirtschaftssektoren

Land- und Forstwirtschaft 4,6 %

Produktion 49,1 %

Dienstleistungen 46,3 %

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Die dominierenden Branchen der EuRegio sind trotzdes Vormarsches des Dienstleistungssektor in denvergangenen Jahren im produzierenden Bereich zufinden: es handelt sich hierbei vor allem um dieBranchen Maschinenbau- und Textilindustrie, derNahrungsmittel- sowie der Holz-, Automobil- undMetallindustrie.

Auffällig sind die kleinen Betriebsgrößen innerhalbder pannonischen Grenzregion: sowohl im Burgen-land als auch in Westungarn zählt der Großteil derBetriebe zu kleinen bzw. zu Mikrounternehmen mitweniger als neun Mitarbeitern. Große multinationaleBetriebe stellen in der EuRegio eine Ausnahme dar,wie beispielsweise das Audi-Werk in Györ mit 4.400Mitarbeitern.

In der gesamten Grenzregion liegt die Zahl derunselbständig Beschäftigten bei über einer halbenMillion. Die Arbeitslosigkeit ist im Vergleich zuanderen Grenzgebieten entlang des ehemaligenEisernen Vorhangs relativ gering: im Burgenland lagdie Arbeitslosenquote 2001 bei 8,2%, in Westungarnbei 4,2%. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sowiemit den politischen Umbrüchen Ende der1980er/Beginn 1990er Jahre haben die grenzüber-schreitenden Arbeitsmarktbeziehungen eine neueDimension erreichten: so hat sich beispielsweise dieZahl der im Burgenland beschäftigten Ungarn von1989 bis 2001 beinahe verzehnfacht! Ein Nachteilbesteht gegenwärtig jedoch darin, dass innerhalb derEuRegio keine gemeinsame grenzübergreifendeArbeitsmarktbeobachtung bzw. ein gemeinsamesArbeitsplatzmanagement stattfindet. Erwähnenswertist in diesem Zusammenhang auch das hohe Angebotan qualifizierten Arbeitskräften sowie allgemein dashohe Qualifikations- und Ausbildungsniveau derBevölkerung, welches nicht zuletzt auf die vielenBildungseinrichtungen in und um den pannonischenGrenzraum zurückzuführen ist.

Ein Bereich des REGIONALEN REGULATIONS-SYSTEM beschäftigt sich mit Koordinationsformenzwischen Unternehmen. Auf beiden Seiten entlangder österreichisch-ungarischen Grenze haben sich inden vergangenen Jahren, bedingt durch den hohenBesatz an kleinen und mittleren Unternehmen in derRegion, Kooperationen innerhalb bestimmter Unter-nehmenssektoren in Form von Clustern entwickelt.Die Bildung von Clustern stellt vor allem in der jün-geren Zeit eine Strategie der Zukunftssicherung ebendieser Unternehmen dar. Unter einem Cluster kannin der Wirtschaftswissenschaft eine Agglomerationvon Unternehmen gemeinsam mit anderen Institutio-nen (auch gemeinsam mit öffentlichen Einrichtun-gen wie beispielsweise Universitäten, Kammern,

Wirtschaftsverbänden, usw.) verstanden werden.

Von internationalem Format sind vor allem die Clu-sterprojekte in Westungarn, welche von der soge-nannten Pannon Business Initiative (kurz PBI) koor-diniert und organisiert werden. Von Bedeutung sindvor allem die Cluster im Bereich der Automobil-(Pannon Automotive Cluster - PANAC) und Holzin-dustrie (Pannon Wood- and Furniture Cluster -PANFA).

So zählt beispielsweise PANAC gegenwärtig 67Mitglieder, darunter auch den Weltkonzern Audi mitseinem 4.400 Mitarbeiter zählenden Werk in Györ.Der Cluster diente zu Beginn hauptsächlich als eineLobby der weltweiten Automobil-Zulieferindustrie.Obwohl PANAC hauptsächlich als eine regionaleInitiative ins Leben gerufen wurde, so ist dieser Clu-ster seit seiner Gründung im Jahr 2000 über dieGrenzen der Region Westungarns hinausgewachsen:der Clsuter arbeitet derzeit mit einem nationalenFokus mit dem Ziel, eine Koordinationskraft in derungarischen Automobilindustrie zu werden.

Auch auf burgenländischer Seite wurden mit derZiel-1-Förderung Clusterprojekte ins Leben gerufen.Sie sind jedoch hinsichtlich Qualität und Quantitätmit jenen in Westungarn nicht vergleichbar, da imBurgenland die kritische Masse an Unternehmen zuklein ist, welche eine synergetische Vernetzung vonUnternehmensgruppen des produzierenden Bereichsuntereinander sowie mit produktionsnahen Dienst-leistungen zu gut funktionierenden Clustern erlau-ben würde. Anknüpfungspunkte für gegenseitigeBeziehungen bzw. grenzübergreifende Synergienzwischen den Clustern beiderseits der Grenze wärensehr wohl vorhanden (wie beispielsweise im Bereichder Holzindustrie), jedoch ist an eine solche Formder Kooperation erst dann zu denken, wenn dieZusammenarbeit unter den jeweils regionalen Clu-sterpartnern funktioniert.

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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Kennzeichnend für den gesamten pannonischenGrenzraum ist ein dichtes Netz an unterstützendenEinrichtungen, welches die Ausbreitung von Innova-tionen sowie die Ausbildung regionsinterner funk-tionsfähiger Kommunikations- und Verwaltungs-strukturen fördern kann.

Zu diesen unterstützenden Einrichtungen zählenneben den Institutionen auf jeweils nationaler bzw.Länder-/Komitatsebene das RegionalmanagementBurgenland sowie die RegionalentwicklungsagenturWestungarn, die vielen tertiären Bildungseinrichtun-gen und Technologie- und Innovationszentren in derRegion sowie die jeweiligen Interessensvertretungenin Österreich bzw. Ungarn wie beispielsweise Arbei-ter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer oderauch der ÖGB. Der ÖGB trägt beispielsweise mitdem Projekt "Interregionaler Gewerkschaftsrat"(kurz IGR) wesentlich zur Verbesserung der Qualitätder grenzübergreifenden Arbeitsmarktbeziehungenin der Region bei. Das Ziel des Projekts IGR bestehtprimär darin, mögliche Nachteile und negative Aus-wirkungen, welche sich aus dem Beitritt Ungarns zurEuropäischen Union für ArbeitnehmerInnen ausÖsterreich bzw. Ungarn ergeben, abzufedern bzw.einzuschränken. Das Projekt IGR stellt damit aucheinen Schritt in Richtung Aufbau einer gemeinsameArbeitsmarktpolitik dar.

Entwicklung zu einem gemeinsamengrenzüberschreitenden Wirtschafts-und Lebensraum?Während durch den Beitritt Ungarns zur Europäi-schen Union auf institutioneller Ebene kaum Verän-derungen in der pannonischen Kooperation zuerwarten sind, so verändern sich jedoch die Rah-menbedingungen auf Programm- und Projektebene

wesentlich. Ungarn verfügt nun als vollwertigesMitglied der Union vollen Zugang zu den Struktur-fondsmitteln, wodurch sich die Finanzierungsmög-lichkeiten im Hinblick auf gemeinsame EuRegio-Projekte entscheidend verändern.

Die Existenz eine Initiative wie EuRegio ist nochkein Garant dafür, dass sich zwischen benachbartenRegionen beiderseits der Grenze intensive wirt-schaftliche Verflechtungsbeziehungen ausbilden.Die Institution "EuRegio" hat jedoch durch seinezahlreichen Initiativen in den vergangenen Jahrenden Boden für zukünftige intensive grenzüberschrei-tende Wirtschaftskooperationen aufbereitet. Dies vorallem aufgrund der bislang hervorragendenZusammenarbeit bei gemeinsamen Projekten imKultur-, Sozial- und Umweltbereich. Zukünftigkönnten die wirtschaftlichen Kooperationen vorallem durch das bereits vorhandene dichte Netz anunterstützenden Einrichtungen vorangetrieben wer-den. Erste Ansätze grenzüberschreitender wirtschaft-licher Beziehungen werden bereits jetzt durch dieTechnologie- und Innovationszentren beiderseits derGrenzen unterstützt und erleichtert.

Eine wichtige Rolle für die Zukunft und die Entwik-klung der EuRegio West/Nyugat Pannonia hin zueinem gemeinsamen grenzübergreifenden Lebens-und Wirtschaftsraum spielen auch die grenzübergrei-fenden Projekte im unmittelbaren Umfeld der pan-nonischen Grenzregion. Von großer Bedeutung isthier vor allem der Aufbau einer Zusammenarbeit imVierländereck Österreich - Tschechien - Slowakei -Ungarn. Dieses Vierländereck stellt im Wesentlichendie neue EUROPA REGION MITTE bzw. CEN-TROPE dar.

Auf dem Gebiet der Europa Region Mitte bzw. Cen-trope leben in etwa 6,3 Millionen Menschen.

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Grenzübergreifende Zusammenarbeit

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Zu den Partnern der neuen EuropaRegion Mitte bzw. Centro-

pe zählen:

Die Länder Burgenland, Wien undNiederösterreich

Die beiden Komitate Györ-Moson-Sopron und Vas sowie die

Städte Györ und Sopron aufungarischer Seite

Der Kreis Südmähren sowie die StadtBrno in der Tschechei

Die Region Trnava sowie Bratislava inder Slowakei

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Die Basis für die institutionelle Zusammenarbeit indieser Region bildet das Projekt "BEAR - BuildingA European Region". Das Projekt BAER starteteoffiziell mit der Unterzeichnung einer politischenWillenserklärung im September 2003 in Kittsee.

Der gesamte Raum der Europa Region Mitte blicktauf eine über Jahrhunderte dauernde gemeinsameGeschichte zurück. Das Gebiet stellt nach sozio-kul-turellen und geografischen Aspekten einen eigent-lich zusammengehörigen Raum dar, welcher endgül-tig 1945 durch die Errichtung des Eisernen Vorhangsgetrennt wurde. In Folge dessen haben sich die wirt-schaftlichen Agglomerationen der Region weitge-hend unabhängig voneinander entwickelt. Die bei-den Hauptstädte Wien und Bratislava sind nur rund50 km voneinander entfernt - erste institutionalisier-te Kooperationen befinden sich jedoch erst im Auf-bau.

Durch den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und vorallem durch die Erweiterung der EuropäischenUnion 2004 kann zukünftig Austausch und Koopera-tion in dieser Region forciert werden. Die Bedingun-gen zur Entwicklung der Centrope-Region zu einereuropäischen Topregion mit qualifizierten Arbeits-kräften, guter Erreichbarkeit und hohen technologi-schem Knowhow sind ausgesprochen gut.

Die EuRegio West/Nyugat Pannonia ist mit demBurgenland und den beiden westungarischen Komi-taten Györ-Moson-Sopron und Vas in diese Centro-pe-Initiative involviert. Durch diese räumliche Koe-xistenz bestehen Synergien zwischen den beidenInitiativen, welche es zukünftig zu nutzen gilt.

Vor allem könnte das Burgenland eine ganz beson-dere Rolle in der Centrope-Initiative einnehmen. DerGrund liegt vor allem darin, dass das Burgenland inden vergangenen Jahren viel Kompetenz im Bereichder Abwicklung von EU-geförderten Projektenerworben hat und dadurch eine gewisse Vermittler-rolle zwischen den einzelnen Gebieten der neuenEuroparegion einnehmen könnte.

1 Zusammenfassung der gleichnamigen Diplomarbeit, ausgeführtam Institut für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik derTechnischen Universität Wien, März 2004.

ANGABEN ZUM AUTOR:

DI Thomas LeitnerAbsolvent der Studienrichtung Raumplanung undRaumordnung an der TU Wien

Stauseestrasse 33, 7212 [email protected]

Der Öffentliche Sektor - Forschungsmemoranden

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