Der Segelmacher

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Acht Uhr morgens. Der Tag beginnt für Stefan Engelhardt. Er ist Segelmacher und arbeitet in der Segelmacherei Boldt, einem Familienunternehmen in Ribnitz-Damgar- ten. 1997 begann Stefan hier seine Lehre und ist seit dem geblieben. Sein Weg zur Arbeit führt ihn durch ein Eisentor auf ei- nen Hof. Auf diesem befindet sich nicht nur der Verkaufsladen mit Werkstatt, sondern auch das Familienhaus der Firmenbesitzer. In dem Haus leben mehrere Generationen der Familie Boldt, die 1987 ihre Segelma- cherei gründete. Daneben befindet sich der Eingang zum Verkaufsladen. Hinter einem Tisch sitzt Birgit Boldt, die Chefin des Be- triebes. Sie verkauft Utensilien zum Se- geln, wie Bekleidung, Gummistiefeln oder Haken. „Vor der Wende war ich die erste Segelmacherin, die ausgebildet wurde. Heute braucht man keine Meisterqualifi- kation mehr, weswegen sich mehr Segel- macher selbstständig machen. Einige von ihren schaffen es auch sich zu halten.“ sagt Birgit Boldt. Um ihr befinden sich Regale mit Zubehör und Bekleidung. Etwas ver- steckt, hinter einer breiten Aufhängung mit Segeljacken, befindet sich eine Zu- schneidemaschine. Diese wird benötigt um Segel herzustellen. Es ist der einzige Arbeitspunkt, in dem ein Computer zur Hilfe genommen werden muss. An diesem entwirft ein Konstrukteur mit Hilfe eines Computerprogramms ein Segel. Das zu verwendetet Material wird dann auf einen langen Glastisch, der die ganze Breite des Raumes nutzt und fast zehn Meter lang ist, ausgebreitet. Ein Computerarm fährt über das Material und schneidet es mit einer heißen Nadel zurecht. Heute kann Stefan an dem Tisch vorbeigehen und eine Eta- ge höher, in die Werkstatt. Neue Segelan- fertigungen gibt es in der Regel nur im Frühling und Sommer. In der Herbst- und Winterzeit werden vorwiegend nur Segel in der Werkstatt repariert, die die Kunden dann im Frühjahr wieder abholen. „Des- halb sind wir zurzeit fast ausschließlich im Haus und nicht draußen“ sagt Stefan. Er stapft die Treppen in die Werkstatt hoch. Diese befindet sich im Dachgeschoss und ist ein lang gezogener Raum. In den Ecken liegen und hängen zahlreiche Stoffe in den unterschiedlichsten Farben. Seile und Fä- den hängen an der Wand. Auf dem Boden sind drei Nähmaschinen befestigt. Um ein Segel zu nähen muss Stefan sich in eine Absenkung in den Boden setzen. Diese Absenkung befindet sich jeweils hinter einer Nähmaschine. Über ein Pedal im Boden kann die Maschine betätigt wer- den. „Die Löcher im Boden machen das Arbeiten einfacher. Die Segel sind sehr groß und passen manchmal kaum in die Werkstatt. So können wir sie einfach auf dem Boden nähen und müssen sie nicht jedes Mal auf Tische heben“ erklärt Ste- fan. Seine Kollegin Ilka ist bereits da. Sie arbeiten zu zweit in der Werkstatt. Ilka ist taubstumm, deshalb muss Stefan sie beim Sprechen genau ansehen, damit sie alles versteht. Während Ilka bereits an einem Segel näht, geht Stefan zu einem Haufen bestehend aus eingesendeten Segeln. Die Segel befinden sich in Taschen. An diesen sind Schilder befestigt, auf denen die An- liegen der Kunden stehen. Stefan nimmt eine blaue Tasche. Daraus holt er einen Spinnaker, also ein großes Vorsegel. Auf dem Schild steht, dass sich in dem Spinnaker ein Riss befindet. Nun beginnt die große Suche für Stefan. Er befestigt einen Teil des Segels an einem Haken. Dann breitet er das Segel in der ganzen Werkstatt aus und sucht nach dem Riss. Als er den Riss entdeckt, ruft Che- fin Birgit von unten. Sie muss für ein paar Stunden den Laden verlassen. Also muss Stefan sich zusätzlich noch um kommen- de Käufer und das Telefon kümmern. Der Segelmacher lässt sich davon erstmal nicht aus der Ruhe bringen und beginnt mit der Reparatur des Risses. Mit roten Nadeln be- festigt er Teile des Segels am Boden, damit die beschädigte Stelle straff bleibt. Mit ei- nem weißen Klebestreifen wird die Fläche abgedeckt. Stefan braucht mehrere Versu- che bis der Streifen auch richtig sitzt. Dann geht es ans Nähen. Stefan steigt in eine der Bodenvertiefungen und stellt die Nähmaschine ein. Er muss dabei auf den zu verwendeten Faden und die Nadel achten. Außerdem gibt es verschiedene Modi, die an der Maschine eingestellt werden können. Je nachdem, auf welchem Material genäht wird. Nachdem die Einstellungen an einem Stoff getestet wurden, ist das Segel an der Reihe. Stefan zieht es an sich heran und zieht die beklebte Stelle unter die Maschi- ne – dring dring- da klingelt das Telefon. Mit einem „Ach“ kommentierend springt Stefan aus seiner Vertiefung und geht zum Telefon, welches auf einer Arbeitsbank liegt. Den Anrufer muss er vertrösten, dass die Chefin gerade nicht da sei. Dann geht er zurück zum Spinnaker. Er positioniert die Klebestelle noch einmal neu und – dring dring – wieder geht es ans Telefon. Wer Segeln will muss Nähen Wassersportarten erfreuen sich steigender Beliebtheit. Gerade das Segeln bietet sich an, um schöne Stunden auf dem Wasser zu verbringen. Doch was tun, wenn das Segel kaputt ist. Da- für gibt es Segelmachereien, die nicht nur Segel herstellen, sondern auch reparieren. Das traditionelle Handwerk besteht, bis auf wenige Ausnahmen, aus viel Handarbeit. Eine der ersten Segelmachereien in der DDR war der Betrieb der Familie Boldt. Die Werkschaft und das Geschäft gibt es heute noch immer in Ribnitz-Damgarten. Auch in den kälteren Jahreszeiten gibt es noch genug zu tun. Die Werkstatt der Segelmacher im Dachgeschoss. Foto: Benjamin Hujawa Stefan Engelhardt beim Nähen. Foto: Benjamin Hujawa

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Eine Reportag evon Benjamin Hujawa über einen interessanten Handwerksberuf.

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Page 1: Der Segelmacher

Acht Uhr morgens. Der Tag beginnt für Stefan Engelhardt. Er ist Segelmacher und arbeitet in der Segelmacherei Boldt, einem Familienunternehmen in Ribnitz-Damgar-ten. 1997 begann Stefan hier seine Lehre und ist seit dem geblieben. Sein Weg zur Arbeit führt ihn durch ein Eisentor auf ei-nen Hof. Auf diesem befindet sich nicht nur der Verkaufsladen mit Werkstatt, sondern auch das Familienhaus der Firmenbesitzer. In dem Haus leben mehrere Generationen der Familie Boldt, die 1987 ihre Segelma-cherei gründete. Daneben befindet sich der Eingang zum Verkaufsladen. Hinter einem Tisch sitzt Birgit Boldt, die Chefin des Be-triebes. Sie verkauft Utensilien zum Se-geln, wie Bekleidung, Gummistiefeln oder Haken. „Vor der Wende war ich die erste Segelmacherin, die ausgebildet wurde.

Heute braucht man keine Meisterqualifi-kation mehr, weswegen sich mehr Segel-macher selbstständig machen. Einige von ihren schaffen es auch sich zu halten.“ sagt Birgit Boldt. Um ihr befinden sich Regale mit Zubehör und Bekleidung. Etwas ver-steckt, hinter einer breiten Aufhängung mit Segeljacken, befindet sich eine Zu-schneidemaschine. Diese wird benötigt um Segel herzustellen. Es ist der einzige Arbeitspunkt, in dem ein Computer zur Hilfe genommen werden muss. An diesem entwirft ein Konstrukteur mit Hilfe eines Computerprogramms ein Segel. Das zu verwendetet Material wird dann auf einen langen Glastisch, der die ganze Breite des Raumes nutzt und fast zehn Meter lang ist, ausgebreitet. Ein Computerarm fährt über das Material und schneidet es mit einer

heißen Nadel zurecht. Heute kann Stefan an dem Tisch vorbeigehen und eine Eta-ge höher, in die Werkstatt. Neue Segelan-fertigungen gibt es in der Regel nur im Frühling und Sommer. In der Herbst- und Winterzeit werden vorwiegend nur Segel in der Werkstatt repariert, die die Kunden dann im Frühjahr wieder abholen. „Des-halb sind wir zurzeit fast ausschließlich im Haus und nicht draußen“ sagt Stefan. Er stapft die Treppen in die Werkstatt hoch. Diese befindet sich im Dachgeschoss und ist ein lang gezogener Raum. In den Ecken liegen und hängen zahlreiche Stoffe in den unterschiedlichsten Farben. Seile und Fä-den hängen an der Wand. Auf dem Boden sind drei Nähmaschinen befestigt. Um ein Segel zu nähen muss Stefan sich in eine Absenkung in den Boden setzen.

Diese Absenkung befindet sich jeweils hinter einer Nähmaschine. Über ein Pedal im Boden kann die Maschine betätigt wer-den. „Die Löcher im Boden machen das Arbeiten einfacher. Die Segel sind sehr groß und passen manchmal kaum in die Werkstatt. So können wir sie einfach auf dem Boden nähen und müssen sie nicht jedes Mal auf Tische heben“ erklärt Ste-fan. Seine Kollegin Ilka ist bereits da. Sie arbeiten zu zweit in der Werkstatt. Ilka ist taubstumm, deshalb muss Stefan sie beim Sprechen genau ansehen, damit sie alles versteht. Während Ilka bereits an einem Segel näht, geht Stefan zu einem Haufen bestehend aus eingesendeten Segeln. Die Segel befinden sich in Taschen. An diesen sind Schilder befestigt, auf denen die An-liegen der Kunden stehen.

Stefan nimmt eine blaue Tasche. Daraus holt er einen Spinnaker, also ein großes Vorsegel. Auf dem Schild steht, dass sich in dem Spinnaker ein Riss befindet. Nun beginnt die große Suche für Stefan. Er befestigt einen Teil des Segels an einem Haken. Dann breitet er das Segel in der ganzen Werkstatt aus und sucht nach dem Riss. Als er den Riss entdeckt, ruft Che-fin Birgit von unten. Sie muss für ein paar Stunden den Laden verlassen. Also muss Stefan sich zusätzlich noch um kommen-de Käufer und das Telefon kümmern. Der Segelmacher lässt sich davon erstmal nicht aus der Ruhe bringen und beginnt mit der Reparatur des Risses. Mit roten Nadeln be-festigt er Teile des Segels am Boden, damit die beschädigte Stelle straff bleibt. Mit ei-nem weißen Klebestreifen wird die Fläche abgedeckt. Stefan braucht mehrere Versu-che bis der Streifen auch richtig sitzt. Dann geht es ans Nähen. Stefan steigt in eine der Bodenvertiefungen und stellt die Nähmaschine ein. Er muss dabei auf den zu verwendeten Faden und die Nadel achten. Außerdem gibt es verschiedene Modi, die an der Maschine eingestellt werden können. Je nachdem, auf welchem Material genäht wird. Nachdem die Einstellungen an einem Stoff getestet wurden, ist das Segel an der Reihe. Stefan zieht es an sich heran und zieht die beklebte Stelle unter die Maschi-ne – dring dring- da klingelt das Telefon. Mit einem „Ach“ kommentierend springt Stefan aus seiner Vertiefung und geht zum Telefon, welches auf einer Arbeitsbank liegt. Den Anrufer muss er vertrösten, dass die Chefin gerade nicht da sei. Dann geht er zurück zum Spinnaker. Er positioniert die Klebestelle noch einmal neu und – dring dring – wieder geht es ans Telefon.

Wer Segeln will muss NähenWassersportarten erfreuen sich steigender Beliebtheit. Gerade das Segeln bietet sich an, um schöne Stunden auf dem Wasser zu verbringen. Doch was tun, wenn das Segel kaputt ist. Da-für gibt es Segelmachereien, die nicht nur Segel herstellen, sondern auch reparieren. Das traditionelle Handwerk besteht, bis auf wenige Ausnahmen, aus viel Handarbeit. Eine der ersten Segelmachereien in der DDR war der Betrieb der Familie Boldt. Die Werkschaft und das Geschäft gibt es heute noch immer in Ribnitz-Damgarten. Auch in den kälteren Jahreszeiten gibt es noch genug zu tun.

Die Werkstatt der Segelmacher im Dachgeschoss.Foto: Benjamin Hujawa

Stefan Engelhardt beim Nähen.Foto: Benjamin Hujawa

Page 2: Der Segelmacher

Diesmal ist es eine Schwimmhalle. Die Segelmacherei hatte für diese einen Sicht-schutz der Umkleidekabinen repariert. In den nächsten Tagen sollen sie nun wieder angebracht werden. Auch diese Aufgabe übernehmen die Segelmacher. „Wir stel-len auch mal andere Sachen her, die Se-geln gleichen, wie z.B. dieser Sichtschutz“ sagt Stefan. Jetzt nimmt er das Telefon mit an seinen Platz. Die Reparatur des kleinen Risses geht schnell. Nur ca. zwei Minu-ten braucht er, dann ist alles vernäht. Der 32-Jährige schaut noch einmal, ob nun al-les am Segel in Ordnung ist. Dann packt er alles wieder zurück in die Tasche. Steu-er- und Backbordseite sind mit roten bzw. grünen Streifen gekennzeichnet. So kann Stefan sich schneller orientieren und das Segel ordentlich wieder in die Tasche pa-cken. Dann notiert er das verwendetem Material und die Zeit, die er für die Repa-ratur gebraucht hat. Aus diesen Informa-tionen wird seine Chefin dann den Preis berechnen.

Inzwischen ist es schon fast zehn Uhr. Eine ältere Frau kommt aus einer seitlichen Tür. Sie gehört zur Familie der Chefin und des Meisters. In der Hand hält sie ein Tablett mit Kaffee. Eine kleine Frühstückspause. Stefan und seine Kollegin nehmen sich eine Tasse. Eine weitere Tür in der Werk-statt führt auf eine Treppe nach draußen. Dort rauch Stefan noch eine Zigarette. Dann geht es weiter. Als nächstes ist ein Paket aus Cottbus an der Reihe. In die-sem befindet sich ein kleines Segel. „Mein Namensvetter, der heißt auch Engelhard“ freut sich Stefan. Er soll das Segel ausmes-sen, um später ein identisches zu fertigen. Durch eine Lasche an den Ecken steckt er einen Schraubenzieher und hämmert die-sen in den Boden. So wird das Segel ge-strafft. Dann misst ermit einem Maßband die Längen der Seiten nach und notiert sich alles. Der Kunde hat aber noch ein paar Extra-Wünsche. An bestimmten stel-len soll das Segel etwas größer sein. Ste-fan muss also mit einem Taschenrechner

die neuen Längen berechnen. „In dieser Jahreszeit ist das Ganze viel Routine. An manchen Segeln näht man auch schon mal einen ganzen Tag. Da muss man dann halt mal durch“ sagt Stefan. Das nächste Segel ist dann schon etwas größer. Einige Naht-stellen müssen nach genäht werden. Dafür nimmt der Segelmacher das weiße Klebe-band, näht es diesmal aber direkt über die Naht. Die Nähmaschine hat eine kleine Ei-senfläche vor der Nadel, als Schutz.

Einmal hat Stefan sich aber trotzdem schon mal in den Finger genäht. Deswegen ist er auch immer hoch konzentriert bei der Arbeit und sieht wie hypnotisiert auf die Naht. Gegen zwölf Uhr ist alles fer-tig genäht. Die nächste Arbeit lässt Stefan dann den Atem stocken. Ein großes Segel soll komplett repariert werden. Das Segel stammt aus dem Jahre 1986 und fast jede Nahtstelle ist beschädigt. Stefan muss also alles übernähen.

Danach warten noch zwei weitere Segel, die er heute schaffen will. Die Reparatu-ren dieser Segel dauern noch bis 17 Uhr. Dann haben Stefan und seine Kollegin Ilka Feierabend. „Nach so einem Tag hat man schon mal Muskelkater in den Armen. Trotzdem ist es für mich ein schöner Be-ruf“ stellt Stefan fest. Alleine im Laden bleibt Birgit Boldt zurück. Sie muss noch bis 18 Uhr warten. Dann schließt auch die Verkaufsabteilung.

Die Segelmacher bei der Arbeit. Foto: Benjamin Hujawa

Stefan und Ilka legen ein Segel zusammen.Foto: Benjamin Hujawa

Das Segel wird ausgemessen.Foto: Benjamin Hujawa

Dieser Riss muss zugenäht werden.Foto: Benjamin Hujawa