Der Streit um den Wissenschaftscharakter der Pä · PDF file2 2 Alle diese Gründe...

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  • Friedrich Kmmel (Tbingen)

    Der Streit um den Wissenschaftscharakter der Pdagogik* Inhalt 1. Zentrale Punkte der Kontroverse 2 1.1. Das Problem einer Begrndung pdagogischer Zielsetzungen 2 1.2. Die Festlegung methodologischer Anforderungen und Gtekriterien 3 1.3. Das Verhltnis von Theorie und Praxis 4 2. Zur Geschichte des Problems einer wissenschaftlichen Pdagogik 5 2.1. Vorwissenschaftliche Formen pdagogischen Denkens 2.2. Erste Forderungen nach einer wissenschaftlichen Pdagogik im ausgehenden 18. Jahr-hundert 5 2.3. Erziehungsreform als Aufgabe der Pdagogik (Kant) 7 2.4. Zielsetzungen und Realisierungsbedingungen: der Doppelcharakter pdagogischer Theorien (Herbart) 8 2.5. Der geschichtliche Charakter pdagogischen Denkens (Schleiermacher) 9 2.6. Der dritte Typus geisteswissenschaftlicher Verfahren (W. Flitner) 10 2.7. Pdagogik als praktische, situationsanalytische Wissenschaft (M. J. Langeveld) 11 Der seit der Zeit der Aufklrung fortwhrend geuerte und auch heute noch nicht in jeder Hinsicht ausgerumte Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Pdagogik bezieht sich einer-seits auf den Eindruck, da das Wissen ber Erzie [29/30] hung, die Vorstellungen ber das, was sie erreichen kann, und die gebten Erziehungspraktiken weithin noch ohne wissen-schaftliche Begrndung geblieben sind und fraglich erscheint, ob eine solche berhaupt mglich ist. Fr diejenigen, die die Wissenschaftlichkeit der Pdagogik nicht berhaupt in Frage stellen, gelten weitere Bemhungen der bis heute kontrovers gebliebenen Frage, was fr eine Art von Wissenschaft die Pdagogik sei. Die wissenschaftstheoretischen und methodologischen Schwierigkeiten der Pdagogik und ihr schwankendes Selbstbewutsein lassen sich nur teilweise durch uere Grnde erklren: - durch die primre Orientierung an praktischen Fragen und Aufgaben und deren weltan-schaulicher Bindung; - durch die nichtgelungene Ablsung der Pdagogik von der Philosophie und ein versptetes Empirischwerden; - durch eine vorwiegende Institutionalisierung auerhalb der Universitten und die verspte-te und nur halbherzige Aufnahme in den Kreis der akademischen Disziplinen.

    * Erschienen in: Klaus Giel (Hrsg.), Studienfhrer Allgemeine Pdagogik. Herder Verlag Freiburg i. Br. 1976, S. 29-42. Die Seitenwechsel sind in den fortlaufenden Text eingefgt.

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    Alle diese Grnde erklren manches, aber sie mssen selbst wieder von den inneren Schwierigkeiten her verstanden werden, in die die Pdagogik in der Formulierung ihres wis-senschaftlichen Selbstverstndnisses von Anfang an geraten ist. 1. Zentrale Punkte der Kontroverse Der Streit um das Selbstverstndnis der Pdagogik als Wissenschaft lt sich an einigen Punkten festmachen, deren Benennung fr die folgenden Errterungen hilfreich ist. Sie be-ziehen sich insbesondere auf folgende Fragen: 1. Wer vollzieht pdagogische Zielsetzungen, und wie sind diese zu legitimieren und gege-benenfalls zu verndern? 2. Welche Ansprche stellt man an eine wissenschaftliche pdagogische Theorie, und wel-chen methodologischen Anforderungen und Gtekriterien mu die empirische pdagogische Forschung gengen? Wie weit ist insbesondere eine empirisch-analytische Theoriebildung hier mglich, sinnvoll und praktisch relevant? 3. Wie gestaltet sich im pdagogischen Bereich das Verhltnis von Theorie und Praxis, und in welcher Weise tragen beide der Beziehung auf ihren gesellschaftlichen Kontext Rech-nung? Lassen sich alle theoretischen und praktischen Aufgaben der Pdagogik im Rahmen einer umfassenden, integrativen Theoriebildung darstellen und analysieren, oder ist hier eine Arbeitsteiligkeit aus methodologischen und arbeitskonomischen Grnden unvermeidlich? [30/31] 1.1. Das Problem einer Begrndung pdagogischer Zielsetzungen In der Frage der Zielbestimmungen steht die Rckgebundenheit pdagogischer Handlungs-formen an politisch und weltanschaulich geprgte Lebens- und Erziehungsrume dem auf-klrerischen Impetus eines sich mit Reformbewegungen verbindenden pdagogischen Den-kens entgegen. Die Bemhung um eine wissenschaftliche und praktische Eigenstndigkeit der Pdagogik reibt sich an der gesellschaftlichen Fremdbestimmung und institutionellen Unselbstndigkeit des Erziehungsraums. Eine rasche Befriedung dieses Kompetenzstreites ist nicht absehbar, denn dazu sind die Interessenlagen und Motive zu verschieden. Das Bestreben, eine gegebene und als unzureichend erkannte Erziehungspraxis zu verbessern und ber kontroverse Erziehungs- und Bildungsfragen einen gesellschaftspolitischen Kon-sens zu erzeugen, bricht sich an gesellschaftlichen Interessenlagen und widerstreitet dem Verlangen von Erziehungswissenschaftlern und pdagogischen Praktikern nach Statusbe-hauptung und Selbstlegitimation. Beide Gruppen suchen auf ihre Weise das Problem auf ein ertrgliches Quantum abzuarbeiten und sich von der permanenten Oberforderung zu entla-sten. Aber auch in der wissenschaftstheoretischen Diskussion ist die Frage, ob und in welchem Sinne die Pdagogik als Wissenschaft ber pdagogische Zielsetzungen mitbefinden und diese verndern kann, kontrovers geblieben. Von ihrer Klrung hngt das Ausma der Ver-antwortung ab, das die wissenschaftliche Pdagogik fr die pdagogischen Zustnde mitzu-

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    tragen hat. Zwar ist hier unbestritten, da im Prinzip jeder Brger und jede Institution an der gesellschaftlichen Erziehungsaufgabe teilnehmen und Verantwortung fr sie mittragen mu. Strittig ist jedoch, ob eine solche Verpflichtung der Wissenschaft selbst als solcher aufge-tragen werden kann und mit ihren Mitteln einlsbar ist. So kommt es zu gegenstzlichen Stellungnahmen: Auf der einen Seite soll die Pdagogik unmittelbar in die Auseinanderset-zung um die groen schwebenden Erziehungsfragen eingreifen und ihre gesellschaftliche Funktion wahrnehmen, auf der anderen Seite mchte sie sich darauf beschrnken, lediglich Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen bereitzustellen und die konkreten Entscheidun-gen und praktischen Schritte selbst anderen Instanzen zu berlassen. 1.2. Die Festlegung methodologischer Anforderungen und Gtekriterien Die verschiedenen Standpunkte in der Frage der Zielsetzungen hngen von einer Beurtei-lung dessen ab, was man von einer wissenschaftlichen Theoriebildung legitim erwarten kann und wo sie fr ihre Aussagen selbst die Grenzen ziehen mu. Fr das Wissenschafts-verstndnis bestimmend ist einmal das Erkenntnisinteresse, das sich zwischen den Polen ei-nes reinen Wissenwollens (einer Erkenntnis um der Erkenntnis willen) und eines unmittel-bar praxisbezogenen Problemlseverhaltens bewegt. Eine mittlere Stellung nimmt der her-me [31/32] neutische Begriff der Wissenschaft als Aufklrung einer geschichtlich-gesell-schaftlichen Lebenswelt unter dem Aspekt menschlichen Handelns ein. Vor allem aber sind es logische und methodologische Gesichtspunkte, die wissenschaftliche Aussagen an ihren begrifflichen Rahmen zurckbinden und in ihrer Geltung auf eine be-stimmt angebbare empirische Basis relativieren. Unzulssige Grenzberschreitungen liegen demnach vor, wenn wissenschaftliche Aussagen in anderen Zusammenhngen sachfremd verwendet oder empirisch nicht abgesicherte Verallgemeinerungen getroffen werden. In der Festlegung methodologischer Anforderungen und Gtekriterien wird somit auch ber die Reichweite und Geltung wissenschaftlicher Aussagen mitentschieden. Fragestellung, Me-thode, Begriffs- bzw. Theorieform und Gegenstandsbild lassen sich nicht voneinander tren-nen. Die Frage nach Art, Umfang und Reichweite einer erziehungswissenschaftlichen Theo-riebildung erscheint unter dem Primat der Methode als eine wissenschaftsinterne Frage, die nicht von den Bedrfnissen und Gesichtspunkten der Praxis her, ja nicht einmal aus der Struktur des mit Erziehung umschriebenen Gegenstandsbereichs heraus gedacht wird. Eine solche Konsequenz scheint jedenfalls fr eine empirisch-analytische, auf logische Kriterien und entsprechende methodologische Standards verpflichtete Wissenschaftsauffassung zwin-gend zu sein. Wie immer die innere Frage nach Reichweite und Grenzen einer erziehungswissen-schaftlichen Theoriebildung entschieden wird, mu diese sich die uere Frage gefallen lassen, was damit fr die Bewltigung der praktischen Erziehungsprobleme gewonnen ist. Hinter einer solchen Anfrage steht nicht nur das Wissen um die Unentrinnbarkeit der prakti-schen Erziehungsaufgabe, sondern auch ein anderes Verstndnis von Wissenschaft, die sich der Struktur ihres Gegenstandes anbequemen mu und von ihrer gesellschaftlichen und handlungsbezogenen Verpflichtung nicht freigesprochen werden kann.

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    1.3. Das Verhltnis von Theorie und Praxis Der zentrale Punkt der Kontroverse betrifft somit das Verhltnis von erziehungs-wissenschaftlicher Theoriebildung und Erziehungswirklichkeit bzw. Erziehungspraxis. Zwar besteht grundstzliche Obereinstimmung darber, da die Pdagogik Theorie einer Praxis sei. Unterschiedliche Theoriebegriffe und ein verschiedenes Praxisverstndnis fh-ren dann aber im einzelnen doch zu abweichenden Bestimmungen ihres gegenseitigen Ver-hltnisses. Theoretische Gesichtspunkte und die Bedrfnisse der Praxis lassen sich nicht oh-ne weiteres zur Deckung bringen. Dafr gibt es schon uere Grnde. Praktische Fragen, auch wenn deren Entscheidung nicht mehr ohne wissenschaftliche Klrung mglich erscheint, sind dringlich und dulden meist keinen Aufschub. Auf der anderen Seite sieht sich [32/33] der Erziehungswissenschaftler vom Stand seines Wissens und den methodologischen Anforderungen an seine Aussagen her nicht in der Lage, kurzfristig Antworten zu geben, und mchte, vom Streit des Tages entlastet, zur Wahrnehmung seines Forschungsauftrags den theoretischen Gesichtspunkt strker zur Geltung bringen. Schwierigkeiten der Theorie-Praxis-Vermittlung ergeben sich aber auch aus den verschie-denen Arten des jeweiligen Zugriffs. Praktische Probleme der Bewltigung von Erziehungs-situationen lassen sich grundstzlich nich