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D ER T EMPLER Ausgabe 2/2019 Tempel der Menschheit Der Tempel der Menschheit............................................................ 2 Der Redaktionelle Spiegel, von Eleanor Schumway.............................. 3 Vom uranfänglichen Punkt zum Universum. Auszüge a. Geheimlehre.4 Grundlagen der Esoterischen Philosophie, von Gottfried v. Purucker....6 Das Grenzenlose, von Gottfried von Purucker...................................... 11 Die große Ketzerei des Sonderseins, von Gottfried von Purucker........19 TEMPEL – Aktivitäten................................................................. 28 DER TEMPEL DER MENSCHHEIT Deutsche Gemeinschaft e. V.

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DE R TE M P L E R

Ausgabe 2/2019

Tempel der Menschheit

Der Tempel der Menschheit............................................................2Der Redaktionelle Spiegel, von Eleanor Schumway..............................3Vom uranfänglichen Punkt zum Universum. Auszüge a. Geheimlehre.4Grundlagen der Esoterischen Philosophie, von Gottfried v. Purucker....6Das Grenzenlose, von Gottfried von Purucker......................................11Die große Ketzerei des Sonderseins, von Gottfried von Purucker........19

TEMPEL – Aktivitäten.................................................................28

DER TEMPEL DER MENSCHHEITDeutsche Gemeinschaft e. V.

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THE TEMPLE OF THE PEOPLE— Der Tempel der Menschheit —

Kosmisch betrachtet entspricht der Tempel der Menschheit dem Tempel allerMenschen. Dieser Tempel der Menschen besteht aus allen Menschen, die, wennbei ihnen das Wissen um ihre Göttlichkeit erwacht, es unternommen haben, denPfad zu betreten, sowie aus denen, die ihr Leben dem selbstlosen Dienst an derMenschheit gewidmet haben. Im Besonderen ist der TEMPEL DER MENSCH-HEIT einer der Körper oder Werkzeuge für das Erscheinen des Avatars oder desChristus für die neue Ordnung, die Morgendämmerung einer neuen Kultur für dieRassen dieser Erde.

Er wurde im Staate New York im zweiten Zyklus der Großen Weißen Logeim Jahre 1898 durch drei Meister gegründet, welche durch andere unterstützt wur-den, um physische, mentale und spirituelle Grundlagen der kommenden sechstenRasse aufzubauen.

Die Ziele des Tempels sind:

1. Die Wahrheiten der Religion als Hauptfaktor in der Entwicklung der mensch-lichen Rasse darzulegen. Dies bedeutet aber nicht die Formulierung einesGlaubensbekenntnisses.

2. Eine Philosophie des Lebens zu verbreiten, die mit den Naturgesetzen unddem göttlichen Gesetz im Einklang ist.

3. Das Studium der Wissenschaften und der grundlegenden Tatsachen und Geset-ze, auf denen die Wissenschaften beruhen, zu fördern, was uns gestatten wird,unseren Glauben und unsere Erkenntnis von dem Bekannten auf das Unbe-kannte auszudehnen.

4. Das Studium und die Ausübung der Kunst auf den grundlegenden Linien zufördern, um zu zeigen, dass die Kunst in Wirklichkeit die Anwendung von Er-kenntnis zum Wohle und zum Heile der Menschheit ist, und dass der Christoszu der Menschheit sowohl durch die Kunst als auch durch eine andere grund-legende Offenbarungsweise sprechen kann.

5. Die Förderung einer Kenntnis der wahren Sozialwissenschaft, die auf einemunumstößlichen Gesetz beruht, das die Beziehungen der Menschen untereinan-der und zwischen Mensch und Gott und der Natur darlegt. Sobald diese Bezie-hungen recht verstanden werden, werden wir instinktiv das Gesetz der wahrenBruderschaft anerkennen und befolgen: Das der Einheit ALLEN Lebens.

Religion, Wissenschaft und Volkswirtschaft: Dieses sind die Grundsteinedes Tempels. Es kann keine wahre Religion ohne wissenschaftliche Basis geben,und es kann kein gerechtes Wirtschaftssystem geben, das nicht auf einer Wissen-schaft beruht, die religiös ist und eine Religion, die wissenschaftlich ist.

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DER REDAKTIONELLE SPIEGEL

Redaktionsspiegel Temple Artisan Jan.-März 2019

Mit erfreulicher Regelmäßigkeit folgt eine Jahreszeit der anderen. Jetzt be-finden wir uns im Frühling, der unsere Gemeinschaft mit all seiner Herr-lichkeit und Versprechen für das neue Jahr vor uns erfüllt. Diese Zeit der Erneuerung bringt mich dazu, folgende Worte des Meisters zu erinnern:

Denken wir daran,Dass der Tempel unsere wahre Heimat ist,Dass der Große Meister sagt:„Liebt einander!“Dass alle Zweifel nur der niederen Natur entspringenDass wir Gott, den wir nicht sehen, nicht liebenKönnen, wenn wir den Bruder, den wir sehen, hassen,Dass jeder, der gut von anderen denkt und spricht,Im Lichtschein der Loge des Lebens steht, Dass wir tolerant seien in ungewissen Dingen,Liberal in zweifelhaften DingenUnd gütig in allen Dingen,Dass, wo viel Licht ist,Die Schatten umso tiefer sind.

Aus Lichter Höhe Band 3, Seite 201

Als Antwort auf diese aufbauenden Kräfte des Frühlings um uns herum ist es jetzt die Zeit unsere Gelübde gegenüber unserem Höheren Selbst zu er-neuern.

Eleanor L. ShumwayGuardian in Chief

Ich will mich bemühen, die Gegenwart des Avatarsals eine lebendige Kraft in meinem Leben zu erkennen und

zu verwirklichen.

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Vom uranfänglichen Punkt zum Universum und zumMenschen.

Wie tritt die Manifestation in Erscheinung?Manvantara und Pralaya.

Auszüge aus der Geheimlehre

Die Funken sind die „Seelen", und diese Seelen erscheinen in derdreifältigen Form von Monaden (Einheiten), Atomen und Göttern -gemäß unserer Lehre.

Der esoterische Katechismus sagt: Jedes Atom wird zu einersichtbaren zusammengesetzten Einheit (einem Molekül), und einmalin die Sphäre der irdischen Tätigkeit gezogen, wird die monadischeWesenheit, durch das Mineral-, Pflanzen- und Tierreich hindurchge-hend, zum Menschen.

Wiederum: Gott, Monade und Atom sind die Entsprechungen vonGeist, Gemüt und Körper (Atman, Manas und Sthulasarira) im Men-schen.

In ihrer siebenfachen Vereinigung sind sie der „himmlischeMensch" im kabbalistischen Sinn; dergestalt ist der irdische Menschdie vorläufige Widerspiegelung des Himmlischen. Nochmals:

Die Monaden (Jivas) sind die Seelen der Atome; beide sind dasGewebe, in welches die Chohans (Dhyänis, Götter) sich kleiden,wenn eine Form benötigt wird.

Die Geheimlehre, Bd. I, S. 679

Parabrahman, die eine Realität, das Absolute, ist das Feld des ab-soluten Bewusstseins, d. i. die Wesenheit, die außer aller Beziehungzu bedingtem Dasein steht und von der bewusste Existenz einbedingtes Symbol ist. Sobald wir aber in Gedanken von dieser (füruns) absoluten Negation fortschreiten, taucht Dualität auf in dem Ge-gensatz von Geist (oder Bewusstsein) und Materie, von Subjekt undObjekt.

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Geist (oder Bewusstsein) und Materie dürfen jedoch nicht als un-abhängige Wirklichkeiten betrachtet werden, sondern als die zweiSymbole oder Aspekte des Absoluten, Parabrahman, die die Grund-lage des bedingten Seins, sei es subjektiv, sei es objektiv, abgeben.

Die Geheimlehre, Bd. I, S. 43

Es wird somit klar, dass der Gegensatz dieser beiden Anschau-ungsweisen des Unbedingten wesentlich für das Dasein des geoffen-barten Weltalls ist. Getrennt von kosmischer Substanz könnte sichkosmische Ideenbildung nicht als individuelles Bewusstsein offenba-ren, da dieses Bewusstsein nur mit Hilfe eines materiellen Vehikels(upadhi) als „Ich bin Ich“ hervorquillt, indem eine physische Basisnotwendig ist, um einen Strahl des Universalgemütes bei einer ge-wissen Stufe von Zusammengesetztheit zu fokussieren. Hinwiederumwürde kosmische Substanz, getrennt von kosmischer Ideation, eineleere Abstraktion bleiben, und kein Auftauchen von Bewusstseinkönnte sich ergeben.

Das geoffenbarte Weltall ist daher von Dualität durchdrungen,die gewissermaßen das wahre Wesen seiner EX-istenz als „Offenba-rung“ ist. Aber gerade so, wie die einander entgegengesetzten PoleSubjekt und Objekt, Geist und Materie, nur Aspekte der Einen Ein-heit sind, in der sie ihre Synthese finden, so ist es im geoffenbartenUniversum TAT, das Geist mit Stoff, Subjekt mit Objekt verknüpft.

Dieses Etwas, das gegenwärtig der westlichen Spekulation unbe-kannt ist, nennen die Okkultisten Fohat. Es ist die „Brücke“, mittelsderer die im göttlichen Gedanken existierenden Ideen der kosmi-schen Substanz als die Naturgesetze eingeprägt werden.

Die Geheimlehre, Bd. I, S. 43-44

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Gemälde von Nikolas Roerich

Grundlagen der Esoterischen PhilosophieVon Gottfried von Purucker

Bevor wir diesen Abend mit dem Studium der Geheimlehre be-ginnen, sollte gesagt werden, dass mich der Lehrer ersuchte, das, wasin Bezug auf die Natur dieser Studien gesagt wurde, zu wiederholen.Sie sind eine Vereinfachung im Sinne einer Erklärung und Enthül-lung der Bedeutung der in diesem Buch enthaltenen Lehren. Um die-ses Ziel zu erreichen und die Übereinstimmung oder Identität zu zei-gen, wird es notwendig sein, zum Vergleich Gedanken aus den gro-ßen Weltreligionen und von großen Gemütern aller Zeiten heranzu-ziehen, weil diese in ihrer Essenz der zentralen Quelle des Denkensund der Religion der Menschen entsprungen sind, die wir heuteTheosophie nennen.

Doch bevor wir das Studium der Geheimlehre in Angriff nehmenkönnen, wird es im Verlauf unserer Studien notwendig sein, gewisse

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Hindernisse auszuräumen, die jedem von uns im Wege liegen: ge-wisse Ideen und sogenannte Prinzipien des Denkens, die unseren Ge-mütern von Kindheit an eingeprägt wurden und die uns aufgrund derpsychologischen Wirkung, die sie auf unser Gemüt hatten, tatsäch-lich hindern, die Wahrheiten des Seins zu erfassen, die uns HelenaPetrowna Blavatsky in ihrem Werk „Die Geheimlehre“ so meister-haft vermittelt hat.

Außerdem wird es sich als notwendig erweisen, gewisse sehr altePrinzipien des Denkens zu untersuchen und tiefer in die wirklicheBedeutung der alten Religionen und Philosophien einzudringen, alses je in irgendwelchen neueren Büchern geschehen ist, weil dieseBücher von Menschen geschrieben wurden, die nichts von der Esote-rischen Philosophie wussten, von Menschen, die sich in den meistenFällen gegen den unfruchtbaren Ekklesiastizismus der christlichenKirche auflehnten. Um sich von jenen Ketten des Ekklesiastizismuszu befreien, gingen sie tatsächlich nach der anderen Richtung zu weitund sahen in diesen alten Religionen und in den Handlungen undLehren der Menschen, die sie lehrten, der Priester, Philosophen oderGelehrten, nichts als Pfaffentrug und Übeltun.

Wir können auch die Geheimlehre nicht richtig verstehen, wennwir nicht diese einführenden Studien hinter uns haben. Wir könnensie als ein Buch lesen, wie wir ein Buch von dem Regal der öffentli-chen Bibliothek nehmen und es lesen. Aber wenn wir das tun, erfas-sen wir das Innerste, das Herz, den Kern des von H. P. Blavatsky indiesem Werk niedergelegten Wissens nicht.

Ein weiterer Punkt, den wir immer im Gedächtnis behalten müs-sen, ist, dass wir, wie uns der Lehrer in diesen Versammlungen mehrals einmal gesagt hat, tatsächlich als Mitschüler und Mitglieder der„inneren Schule“ versammelt sind — wir studieren eben die Lehren,die das Wesentlichste der inneren Lehren der Mysterien des Alter-tums bildeten. Diese Mysterien waren in zwei allgemeine Abteilun-gen geteilt, in die kleineren und die größeren Mysterien.

Die kleineren Mysterien bestanden zum sehr großen Teil aus dra-matischem Ritus mit einigen Lehren. Die größeren Mysterien dientenfast gänzlich dem Studium, wobei das Gelernte später durch persön-liche Erfahrung in der Initiation bewiesen wurde. In den Letzteren

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wurde unter anderem die geheime Bedeutung der Mythologien deralten Religionen, wie zum Beispiel der griechischen, erklärt.

Das lebhafte und schnell auffassende Gemüt der Griechen schufeine Mythologie, die aufgrund ihrer Anmut und Schönheit vielleichteinzigartig ist, aber sie ist trotzdem sehr schwer zu erklären. DieMysterien von Samothrake und von Eleusis, die die größeren waren,erklärten unter anderem die Bedeutung dieser Mythen. Diese Mythenbilden die Grundlage der „exoterischen“ Religionen. Aber beachtetwohl, das bedeutet nicht, dass das, was exoterisch gelehrt wird, ansich falsch ist, sondern nur, dass es eine Lehre ist, die ohne den dazu-gehörigen Schlüssel gegeben wird. Eine solche Lehre ist symbolisch,illusorisch, die Wahrheit andeutend; die Wahrheit ist vorhanden, aberes fehlt der Schlüssel dazu. Dieser Schlüssel ist die esoterische Be-deutung, und ohne ihn ergibt sich kein richtiger Sinn.

Wir beginnen unsere Studien der Geheimlehre diesen Abend, in-dem wir aus Band I, Seite 74, lesen:

Die Geheimlehre lehrt die fortschreitende Entwicklung von al-lem, sowohl von Welten als auch von Atomen; und es lässt sich we-der ein Beginn noch ein Ende dieser erstaunlichen Entwicklung vor-stellen.

Unser Universum ist nur eines aus einer unendlichen Zahl vonUniversen, alle diese sind „Söhne der Notwendigkeit“ als Glieder inder großen kosmischen Kette von Universen, indem jedes von ihnenzu seinem Vorgänger in der Beziehung eines Bewirkten und zu sei-nem Nachfolger in der eines Verursachenden steht.

Das Erscheinen und Verschwinden des Weltalls wird geschildertals ein Aus- und Einatmen des „großen Atems“, der ewig und — alsBewegung — einer von den drei Aspekten des Absoluten ist; die bei-den anderen sind abstrakter Raum und Dauer.

Wenn der große Atem ausgestoßen wird, heißt er der göttlicheAtem und wird als das Atmen der unerkennbaren Gottheit — der Ei-nen Existenz — betrachtet, die gewissermaßen einen Gedanken aus-atmet, der zum Kosmos wird. Desgleichen verschwindet, wenn dergöttliche Atem eingezogen wird, das Weltall wieder in den Schoß der

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„großen Mutter“, die dann schläft, „gehüllt in ihre immer unsichtba-ren Gewänder“.

Vor vierzehn Tagen studierten wir die Lehre von „Mäyä“ und dieVerwandtschaft des inneren Wesens des Menschen mit der unaus-sprechlichen Wesenheit, und es verbleibt uns noch kurz zu studieren,wie der Mensch, der ein persönliches Element in sich hat, dem Aller-innersten der Unpersönlichkeit, wenn man es so nennen mag, ent-sprang. Wir können sagen, dass das Unendliche und Unpersönlicheniemals endlich und persönlich wird. Wie tritt dann der Geist desMenschen (sozusagen der erste Niederschlag über dem Antlitz desAbsoluten) ins Dasein? Wir wollen nicht vergessen, dass die Mani-festation der Welten und folglich auch der Wesen, die diese Weltenbewohnen, in der Ausdehnung der Materie, gemeinfasslich „Raum“genannt, stattfand. Zuerst wird ein Zentrum örtlich begrenzt — einearmselige Ausdrucksweise für unseren Gebrauch —, das de factonicht unendlich, nicht ewig ist. Wenn es das wäre, könnte es sich we-der manifestieren noch in äußere Erscheinung treten, denn das ist dieBegrenzung. Das Ewige, das Unaussprechliche, das Unendliche ma-nifestiert sich überhaupt nicht, weder teilweise noch in toto. Wortesind bei der Behandlung dieser Gegenstände irreführend, aber waskönnen wir tun? Wir müssen menschliche Ausdrücke anwenden, umuns mitteilen zu können.

Wie erfolgte dann die Manifestation? Die alte Weisheit sagt unsdas Folgende: In einem Planeten, der sein Manvantara schon früherdurchlaufen hatte und der in Latentheit oder Prakritika-Pralaya ein-getreten war, erwachten die im Raum verbliebenen Samen des Le-bens (nachdem die Stunde für den Wiederbeginn der Manifestationgeschlagen hatte, die im Sanskrit Trishna = Durst, Wunsch nach Ma-nifestation genannte Aktivität), und sie bildeten auf diese Weise dasZentrum für ein neues Universum. Infolge karmischer Notwendigkeithatte es seinen besonderen Platz im Raum und brachte seine beson-dere Art von Nachkommenschaft hervor: Götter, Monaden und diedrei elementaren — oder elementalen — Reiche der Welt, wie wirsie um uns herum wahrnehmen; alle aus den karmischen Samen, dieaus dem früheren Manvantara herübergebracht wurden und latentwaren.

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Das Universum verkörpert sich wieder (es „reinkarniert“ nicht,denn das bedeutet „in Fleisch eintreten“), indem es mutatis mutandisgenau den analogen Richtlinien folgt, denen auch die Seele des Men-schen bei der Reinkarnation unterworfen ist, wobei eben die ver-schiedenartigen Bedingungen zu berücksichtigen sind. Wie derMensch das Erzeugnis seines früheren Lebens oder vielmehr seinerfrüheren Leben ist, so ist auch das Universum, ein Sonnensystem, einPlanet, ein Tier, ein Atom — sowohl das ganz Große als auch das so-genannte unendlich Kleine - die Frucht, die Blüte von dem, was vor-herging. Jedes von diesen trägt seine karmische Last, genau wie dieSeele des Menschen auch.

Die Lehren, die sich auf die Entwicklung der inneren Ebenen desSeins beziehen, die den äußeren Ebenen vorausgehen und diese her-vorbringen, sind, wie unsere Lehrer sagten, sehr esoterisch. Sie gehö-ren einem höheren Studium an als dem, dem wir uns gegenwärtig zunähern wagen. Wir können uns aber mit Hilfe von Analogie und Ver-gleich eine allgemeine Idee bilden, wie diese Entwicklung vor sichgeht.

Wenn die Manifestation ihren Anfang nimmt, tritt „Dualität“ inErscheinung. Diesen Vorgang wollen wir sinnbildlich in einem Dia-gramm darzustellen versuchen.

Die oberste gerade Linie wollen wir als eine hypothetische Ebenebetrachten. Sie kann, menschlich gesprochen, unermessliche Meilenin der Tiefe oder Ausdehnung haben, aber bloße Ausdehnung hat mitdem allgemeinen Begriff nichts zu tun. Über dieser Linie erstrecktsich die Unendlichkeit des Grenzenlosen. Das Grenzenlose ist auchunterhalb des Diagramms, auch nach innen durchdringt es dasselbe,es durchdringt alles. Aber zu dem Zweck unserer gegenwärtigen Er-läuterungen wollen wir sagen, dass es „oben“ ist.

Nun wollen wir an irgendeiner Stelle einen Punkt A, einen weite-ren Punkt A hier und einen dritten Punkt A" dort festlegen. Wir ha-ben nun, nachdem ein langer Zeitabschnitt der Latentheit oder desPralayas vergangen ist, einen Zeitabschnitt der Manifestation oderdes Manvantaras erreicht. Einen solchen Punkt wie A oder A oder A"wollen wir den uranfänglichen nennen, das erste Hindurchbrechen indie untere kosmische Ebene. Die Geisteskraft über der Linie erwacht

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in dem Samen des Daseins zur Tätigkeit und erzwingt sich ihrenWeg hinab in das niedere Leben der Manifestation - nicht durch ir-gendetwas außerhalb ihrer selbst getrieben oder bewegt. Sie wirddurch das karmische Leben ihres eigenen essenziellen Wesens,

DAS GRENZENLOSE

durch den Durst, den Wunsch oder durch das Aufblühen wie ein fri-sches Aufspringen einer Blume im Frühling, in der die Neigung zurManifestation nach außen tritt, zur Manifestation getrieben. Dieseserste Inerscheinungtreten stellt man sich in der Philosophie als denersten oder uranfänglichen Punkt vor. Dies ist der Name, der ihm inder jüdischen Theosophie, der Kabbala, gegeben wird.

Von dem Augenblick an, wenn der Punkt, sozusagen der Samedes Lebens, der Keim des Seins - alles das sind nur unterschiedlicheBezeichnungen —, das spirituelle Atom, die spirituelle Monade —von dem Augenblick an, wenn er sozusagen in das niedere Lebendurchbricht, beginnt Differenzierung oder Dualität, die von da an biszum Ende des großen Zyklus fortdauert und die zwei Seitenlinien desDreiecks in dem Diagramm darstellt. Wir können die eine Linie A—B Brahma (männlich) und die andere A-C Prakriti oder Natur (weib-lich) nennen. Brahma wird häufig auch Purusha genannt, ein Sans-kritwort, das Mensch, der ideale Mensch, gleich dem kabbalistischen

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Adam Kadmon, die uranfängliche Wesenheit des Raumes bedeutet,die in Prakriti oder Natur alle die siebenfachen Stufenleitern desgeoffenbarten Daseins enthält.

Von dem allerersten Augenblick an, in dem die Dualität in Er-scheinung tritt, findet eine unaufhörliche Anziehung zwischen denbeiden Linien oder Polen statt, und sie vereinigen sich. Vergesstnicht, dass dieses nur ein Sinnbild, ein Muster ist, dass es nur ein pa-radigmatischer Abriss, eine sinnbildliche Darstellung ist. An und fürsich würde es ganz verkehrt sein zu sagen, dass das Leben und dieWesenheiten nur als geometrische Dreiecke in die Manifestation ein-treten, aber wir können es für unser Gemüt in dieser Form symbo-lisch darstellen. Wenn sich diese Zwei, Vater und Mutter, Geist (oderRealität) und Illusion (oder Maya), Brahma (oder Purusha) und Pra-kriti (oder Natur), vereinen, entsteht daraus der Sohn. Im christlichenSystem geben sie dem spirituellen oder uranfänglichen Sohn den Na-men Christus. Im ägyptischen System erzeugen Osiris und Isis (oderihre Zwillingsschwester Nephthys, die mehr die geheimnisvolle Seiteder Isis darstellt) ihren Sohn Horus, den spirituellen Sohn, physischdie Sonne oder der Lichtbringer. Und so ähnlich wird es in verschie-denen Systemen dargestellt, die uns die alte Welt überliefert hat.

Infolge der Wechselwirkung dieser Drei, durch zwischenpolaresWirken, durch die hin und her wirkenden spirituellen Kräfte fallen —gemäß der mystischen Art, in der dieses Schema der Emanation ge-lehrt wird — zwei andere Linien abwärts. Diese vereinigen sich undbilden das Quadrat oder den manifestierten Kosmos.

Von dem Zentralpunkt oder uranfänglichen Punkt wird die Sonnedes Lebens geboren oder geht daraus hervor. Durch SIE und mit Hil-fe von IHR sind wir mit dem Unaussprechlichen verbunden. DerMensch mag hier unten auf Erden ein physisches Wesen sein odersonst irgendwo eine leuchtende, ätherische Wesenheit, es zählt nicht,wo er sich befindet und welcher Art sein Körper ist, denn wenn diesieben Prinzipien seines Wesens einmal in Tätigkeit sind, ist derMensch, die denkende Wesenheit, geschaffen und durch sein sieben-tes und sein sechstes Prinzip mit jener Sonne des Lebens verbunden.

Jeder „Mensch“ unter den unnennbaren Mengen selbstbewussterWesen, die zu diesem Kosmos oder Universum gehören, hat zwei

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Naturen, von denen sich die eine nach oben, die andere nach untenerstreckt und von denen die eine ein Strahl des Geistes ist, der ihnmit dem Göttlichen des Göttlichsten verbindet. Von dort erstreckt ersich aufwärts in alle Richtungen und verbindet uns in jedem Sinnedes Wortes mit dem Unaussprechlichen, dem Grenzenlosen, das des-halb der Kern unseres Wesens, der Mittelpunkt unseres innerstenWesens ist. Das Erscheinen und die Evolution des Menschen als einmenschliches Wesen auf diesem Planeten Terra erfolgt nach densel-ben Richtlinien des wundervollen analogen Wirkens der Natur, de-nen ein Planet im Raume folgt oder eine Sonne mit ihren Brüdern ei-nes Sonnensystems, den Planeten. Der Mensch, der so in aller Wahr-heit ein Kind der Unendlichkeit, der Abkömmling des Unaussprech-lichen ist, hat latent alle Eigenschaften und Fähigkeiten des Univer-sums in sich.

Von dieser Tatsache hängt es ab, was uns schon so oft von demErlangen von „Kräften“ gesagt wurde. Die sichere Methode, durchdie wir derselben nicht teilhaftig werden, eben der Weg, auf dem sieuns entschlüpfen und wir ihrer verlustig gehen, ist, ihnen nachzulau-fen, so seltsam es klingen mag, weil dies dem Impuls der Eitelkeitund Selbstsucht entspringt. Wenn wir diese Kräfte auf selbstsüchtigeWeise suchen, was erreichen wir dann? Wir erreichen das Wirkender niederen Kräfte auf uns. Was wir bekommen, ist ein wachsenderDurst nach sinnlicher Empfindung, und dieser führt uns zu und inden tiefen Abgrund der Materie, den entgegengesetzten Pol desGrenzenlosen, wenn wir ihm folgen.

Aber die große Seele, die diesen Durst nach persönlicher Aneig-nung überwunden und abgelegt hat, der Mensch, in dem das habgie-rige, nur auf sich selbst gerichtete Gemüt nicht mehr vorherrscht, derseine Einheit mit allem, was ist, fühlt, der fühlt, dass jedes menschli-che Wesen, ja selbst die Ameise, die mühselig einen Sandhügel hin-aufklettert, um wieder herabzurollen, er selbst ist - nicht als Sprach-bild, sondern in Wirklichkeit ein anderer Körper, aber dasselbe Le-ben, dieselbe Essenz, mit denselben Dingen latent in sich wie in ihmer hat tatsächlich die Macht in sich, die Leiter des Seins emporzustei-gen, emporgezogen durch das in seiner inneren Natur vorhandeneBand, das ihn mit dem Höchsten verbindet. Er ist erfüllt von schlum-mernden Fähigkeiten und Kräften, und er kann mit der Zeit wirklich

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wie die Götter werden, sozusagen mit Macht leuchtend wie die Son-ne. Der einzige Weg dazu ist äußerste Selbstlosigkeit, weil Selbstlo-sigkeit, so paradox es klingen mag, der einzige Weg zum Selbst, zumuniversalen SELBST ist. Das persönliche Selbst schließt das Tor voruns.

Natürlich können wir den Sinn der Selbstheit in unserem Wesennicht vernichten. Das ist auch gar nicht wünschenswert. Aber in sei-nem niedrigsten Aspekt nimmt er alle Formen jeder Art Selbstsuchtan, bis das Wesen des Menschen, der dem „Pfad linker Hand“ oderdem abwärts führenden Pfad folgt, in dem endet, was die erstenChristen Tartarus, den Ort der Auflösung, nannten, indem sie dengriechischen Ausdruck annahmen.

Wenn sich der Mensch über den Bereich der Materie erhebt, hater die Knechtschaft von Maya oder Täuschung abgeworfen. Lasstuns nicht vergessen, dass Prakriti Maya wird oder vielmehr ist, wenndie Manifestation beginnt. Brahma, der Vater, ist der Geist des Be-wusstseins oder die Individualität. Diese Zwei sind in Wirklichkeiteins, aber sie sind auch die zwei Aspekte des einen Lebensstrahls,der auf sich selbst wirkt und zurückwirkt, etwa wie ein Mensch sa-gen kann: „Ich bin ich.“ Der Mensch hat die Fähigkeit der Selbstana-lyse oder des Selbstbewusstseins. Wir alle wissen das, denn wir kön-nen es in uns selbst fühlen. Eine Seite von uns, in unseren Gedanken,kann Prakriti oder das materielle Element, das mayavische Elementoder das Element der Illusion genannt werden; und der andere Geist,die Individualität, der Gott im Innern.

Aber wie der Mensch das Leben sieht, wie er sein Auge die Stu-

fenleiter der Wesen hinabgleiten lässt, sieht er es durch Maya. In derTat ist er einerseits das Kind von Maya, wie er auf der anderen Seitedas Kind des Geistes ist. Er hat beides in sich. Seine Aufgabe ist es,zu lernen, dass die beiden eins und nicht voneinander getrennt sind.Dann wird er nicht mehr länger getäuscht. Seine Aufgabe ist es, zuverstehen, dass Maya der große Betrüger, die berühmte Natter oderSchlange des Altertums ist, die uns aus dem „Garten Eden“ entführt(um die biblische Ausdrucksweise zu gebrauchen), damit wir durchErfahrung und Leiden lernen, was Illusion ist — und nicht ist.

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Ferner ist die Materie (und ich meine hier die physische Materie),die auf dieser Ebene die mayavische Manifestation von Prakriti ist,an sich nicht dicht. Die dichtesten und starrsten Dinge, die wir unsvorstellen können, sind vielleicht die Metalle. Doch in Wirklichkeitsind sie die durchlässigsten, schaumähnlichsten, unbeständigsten,wenn von der anderen oder höheren Seite des Seins, von der anderenSeite der Ebene aus gesehen. Das beginnt jetzt so gut verstanden zuwerden, dass uns selbst unsere intuitiver veranlagten Wissenschaftlersagen, der „Raum“, der uns so dünn und fein erscheint, sei in Wirk-lichkeit starrer als der härteste Stahl. Wie kommt es, dass die Elektri-zität Metalle gewöhnlichem Holz, Baumwolle oder anderem dieserArt als Weg vorzieht?

Bevor wir weitergehen, möchte es notwendig erscheinen, ein we-nig darüber nachzudenken, was mit den Worten Manvantara undPralaya gemeint ist. Wir wollen zuerst das Wort Manvantara betrach-ten. Es ist ein zusammengesetztes Sanskritwort und bedeutet als sol-ches „zwischen zwei Manus“; wörtlicher „Manu dazwischen“.„Manu“ oder Dhyan-Chohan im esoterischen Sinn bedeutet die Ge-samtheit der Wesenheiten, die zu Beginn der Manifestation erschei-nen und von denen, wie von einem kosmischen Baum alles abstammtoder geboren wird. Manu ist tatsächlich der (spirituelle) Baum desLebens jener Planetenkette des manifestierten Seins. Manu ist so (ineinem Sinne) der dritte Logos; ebenso wie der zweite Vater-Mutter,Brahma und Prakriti ist. Der erste ist, was wir den unmanifestiertenLogos oder Brahman (sächlich) nennen und seinen kosmischenSchleier, Pradhana.

Pradhana ist auch ein zusammengesetztes Sanskritwort und be-deutet das, was „vorangeeilt“ ist. In der Philosophie ist es zu einemtechnischen Ausdruck geworden und bezeichnet die erste nebelhafteErscheinung der Wurzelmaterie, die wie ein Schleier vor oder viel-mehr um Brahman gelegt ist. Die Wurzelmaterie ist Mula-Prakriti,die Wurzelnatur, und der andere mit ihr korrespondierende aktive Polist Brahman (sächlich). Das, woraus der erste oder unmanifestierteLogos hervorgeht, wird Parabrahman genannt, und Mula-prakriti istsein kosmischer Schleier. Parabrahman ist wiederum ein zusammen-gesetztes Sanskritwort und bedeutet „jenseits von Brahman“. Mula-

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prakriti ist, wie schon gesagt, ein zusammengesetztes Sanskritwortund bedeutet mula oder „Wurzel“ und prakriti oder „Natur“.

Symbolisch haben wir als erstes das Grenzenlose, auch darge-stellt durch einen Kreis oder durch ein Ei. Es folgen Parabrahmanund sein anderer Pol Mulaprakriti; weiter abwärts Brahman und seinSchleier Pradhana; dann Brahma-Prakriti oder Purusha-Prakriti (Pra-kriti ist auch Maya). Das manifestierte Universum erscheint durchund mittels Brahma-Prakriti, Vater-Mutter. Mit anderen Worten, derzweite Logos oder Vater-Mutter ist die bewirkende Ursache der Ma-nifestation durch deren Sohn, der in einer Planetenkette Manu ist.Ein Manvantara ist deshalb die Periode der Tätigkeit zwischen ir-gendwelchen zwei Manus auf irgendeiner Ebene, denn in jeder sol-chen Periode gibt es einen Wurzel-Manu am Anfang der Evolutionund einen Samen-Manu an ihrem einem Pralaya vorhergehendenEnde.

Pralaya ist ebenfalls ein zusammengesetztes Sanskritwort, gebil-det aus laya, das von der Sanskritwurzel li stammt, und der Vorsilbepra. Was bedeutet li? Es bedeutet „auflösen“, „hinwegschmelzen“,„verflüssigen“, wie wenn man Wasser über einen Würfel Salz oderZucker gießt. Der Würfel Salz oder Zucker verschwindet in demWasser: Er löst sich auf, verändert seine Form, und das kann als einSprachbild, als ein Symbol dafür betrachtet werden, was Pralaya ist:ein Zerbröckeln, das Vergehen der Materie zu etwas anderem, dasbereits in ihr ist, sie umgibt und durchdringt. Das ist Pralaya. Ge-wöhnlich wird es übersetzt als der Zustand der Verborgenheit, derZustand des Friedens, der Zustand der Ruhe zwischen zwei Manvan-taras- oder Lebenszyklen. Wenn wir die Bedeutung dieses Sanskrit-wortes klar im Gedächtnis behalten, neigt unser Gemüt nach einerneuen Richtung. Es folgt einem neuen Gedanken. Wir bekommenneue Ideen. Wir dringen ein in das Geheimnis dessen, was vor sichgeht.

Nun gibt es viele Arten von Manvantaras und auch viele Artenvon Pralayas. Es gibt zum Beispiel das universale Manvantara unddas universale Pralaya, das Prakritika-Pralaya genannt wird, weil esdas Pralaya, das Dahinschwinden oder Dahinschmelzen von Prakritioder Natur ist. Dann gibt es das Sonnenpralaya. Die Sonne heißt im

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Sanskrit Surya, und das Eigenschaftswort davon ist saurya, daher dasSaurya-Pralaya oder das Pralaya des Sonnensystems. Drittens gibt esdas irdische oder planetarische Pralaya. Das Sanskritwort für dieErde ist Bhumi, und das entsprechende Eigenschaftswort ist bhaumi-ka, daher das Bhaumika-Pralaya. Dann können wir von dem Pralayaoder dem Tod des einzelnen Menschen sprechen. Der Mensch heißtPurusha; das entsprechende Adjektiv ist paurusha; daher das Paurus-ha-Pralaya oder der Tod des Menschen. Dies sind Beispiele von ver-schiedenen Pralayas: zuerst das Prakritika oder die Auflösung derNatur; als Nächstes das Sonnen- oder Saurya- Pralaya; dann dasBhaumika oder das Dahinschwinden der Erde; und schließlich dasPaurusha oder der Tod des Menschen. Diese Adjektive gelten glei-cherweise für die verschiedenen Arten von Manvantaras oder Le-benszyklen.

Es gibt noch eine andere Art von Pralaya, die Nitya genannt wird.Im allgemeinen Sinne bedeutet das „beständig“ oder „ununterbro-chen“ und kann erklärt werden durch den fortwährenden oder unun-terbrochenen Wechsel der Zellen unseres Körpers, hervorgerufendurch Leben und Tod dieser Zellen. Dies ist ein Zustand, in dem dieWesenheit, die innewohnende und beherrschende Wesenheit, ver-bleibt, während die verschiedenen Prinzipien und Rupas eine bestän-dige Änderung erfahren. Deshalb wird es Nitya genannt. Das gilt fürden menschlichen Körper, die äußere Sphäre der Erde, die Erdeselbst, das Sonnensystem und die ganze Natur.

Der Wechsel wird sichtbar repräsentiert durch ein Symbol, dasuns unser erster großer Lehrer, H. P. Blavatsky, aus der orientali-schen Weisheit als das Ausatmen und Einatmen von Brahman gege-ben hat. Dieses Symbol ist nicht einzig und allein in Indien zu fin-den, sondern auch in den alten ägyptischen Texten, in denen der eineoder andere der Götter, Chnum zum Beispiel, aus seinem Mund daskosmische Ei ausatmet. Auch in den orphischen Hymnen ist es zufinden, wo die kosmische Schlange die zukünftigen Dinge oder daszukünftige Universum in Form eines Eies ausatmet. Überall, beson-ders aber, wo sich alte Religionen und Philosophien am längsten er-halten haben, finden wir das Symbol des kosmischen Eies. Die Reli-gionen der neueren Zeit und von geringerem Einfluss gebrauchen esnicht so häufig. Das kosmische Ei wurde als Symbol in Ägypten und

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Hindustan gefunden. Ebenso in Peru, wo der „mächtige Mensch“, imSanskrit Purusha, der ideale Mensch, der paradigmatische Mensch,Manco Capac genannt wurde; sein Weib und seine Schwester wur-den Mama Oello genannt, was „Mutter-Ei“ bedeutet. Diese brachtendas Universum zum Dasein und wurden später die Sonne bzw. derMond.

Warum stellten die Alten den Anfang der Evolution symbolischdurch die Form eines Eies dar? Wir wollen fragen: Ist es nicht einvortreffliches Symbol? Wie das Ei, das das junge Hühnchen hervor-bringt, den Keim des Lebens enthält (gelegt von seiner Mutter, derHenne, und befruchtet durch den anderen Pol des Seins), so enthältauch das kosmische Ei, das der uranfängliche Punkt ist, von dem wirdiesen Abend zu Beginn unseres Studiums sprachen, den Keim desLebens in sich. Das Ei selbst kann ebenfalls der Keim des Lebens ge-nannt werden. Der Keim des Lebens in dem Ei kann der innere Keimgenannt werden — jener feinere Punkt, der die Impulse empfängt,die aus dem höchsten Zentrum der Verbindung zwischen der äußerenund der inneren Welt herabkommen, die Linien innerer magnetischerAktion und Reaktion. Wenn das Küken im Ei gebildet ist, zerbrichtes die Schale und kommt heraus an das Tageslicht, ebenso wie es beidem uranfänglichen Punkt der Fall war. Als die kosmische Stundegeschlagen hatte, brach er sozusagen durch in andere Sphären derManifestation und Aktivität. Die Alten, die diese Darstellung nochweiter ausführten, sprachen selbst vom Himmel als domähnlich, alsvon dem oberen Teil einer Eischale.

Lasst uns tiefer über diese alten Symbole nachdenken. Die Altenwaren keine Narren. Es liegt eine tiefe Bedeutung in diesen altenSprachbildern. Warum sprach Homer von seinem Olymp, demWohnsitz des Zeus und der Götter, als aus Bronze ähnlichem Erz be-stehend, einem der härtesten und am schwersten zu bearbeitendenMaterialien, die die Griechen kannten? Warum sprach Hesiod vondemselben als von Eisen gemacht? Weil sie begriffen, dass das Le-ben hier in der Materie und von der Materie auf einer schnell dahin-schwindenden Substanz gegründet ist und dass die niedere, materiel-le Welt schnell vergänglich, schaumähnlich, sozusagen voller Löcherund unrealistisch ist.

Aus Grundlagen der Esoterischen Philosophie18

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Gottfried von Purucker

*******DIE GROSSE KETZEREI DES SONDERSEINS

Von Gottfried von Purucker

Ein auf die persönliche Selbstheit gerichtetes Denken, das Su-chen von persönlicher, anstelle von spiritueller Freiheit ist der Pfad,der abwärtsführt. Der Pfad des Ichs ist der Pfad zu immer tieferenReichen und Sphären des Stoffes, bis schließlich am Ende des kosmi-schen Zyklus die Vernichtung kommt, wenn sich der Stoff selbst auf-löst: Maya, Stoff, ist Täuschung.

Strebe dem Lichte zu; pflege deine höheren Fähigkeiten. Hütedich vor dem Trugglanz der niederen Natur, und ganz besonders vorder niederen Zwischennatur, welche die psychische genannt wird.Nichts ist so trügerisch wie die falschen Lichter Mayas. Oft enthaltenschön aussehende Blumen tödliches Gift, entweder in der Knospeoder im Dorn oder in beiden. Ihr Honig ist todbringend, tödlich fürdie menschliche Seele. Suche zuerst deine spirituellen und intel-lektuellen Kräfte; bade dich im Lichte deiner spirituellen Natur, da-mit du geistiges Schauen und Willenskraft entwickelst; und dannwerden diese anderen Fähigkeiten in dir von selbst, ganz natürlichund ungezwungen erwachen.

Das Gesetz der Gesetze des Alls ist selbstvergessen, nicht Kon-zentration der Aufmerksamkeit auf unsere persönliche Freiheit, nichteinmal auf unsere Individualität. Das Grundgesetz des Alls will, dasswir für alle Dinge leben und nicht, dass jeder für sich lebe, um fürsich die inneren spirituellen Kräfte zu entfalten. Die Weisung, die in-neren, spirituellen Kräfte zu entwickeln, ist wohl richtig als allgemei-ne Forderung, doch ist sie als solche auch irreführend, gefährlich, un-weise und deshalb ungeeignet als Regel esoterischer Schulung, es seidenn, sie werde richtiggestellt, ergänzt durch folgenden Zusatz: Gibauf dein Leben, so du es finden willst. Lebe für das Wohl derMenschheit, denn dies ist der erste Schritt. Wenn du die Sonneschauen willst, dann lass die Erde mit ihren Wolken hinter dir.

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Die große Ketzerei und wahrhaft einzige Ketzerei ist der Gedan-ke, dass irgendetwas getrennt, gesondert und im Wesen verschiedensei, von anderen Dingen. Dies ist eine Abirrung von natürlicher Tat-sache und Gesetz, denn die Natur ist nichts als Zusammengliederung,Zusammenwirken und gegenseitige Hilfeleistung; und die Regel derfundamentalen Einheit ist vollkommen universal: Jedes Ding im Uni-versum lebt für alle anderen Dinge,

Dieses Gefühl des Getrenntseins ist die Ursache und Wurzel allenÜbels. Es erzeugt die Leidenschaft des persönlichen Habenwollens:Ich will für mich, ich bin, mein eigen. Und der Wahn des persönli-chen Sonderseins, der Glaube, dass wir von allen andern völlig ge-trennt, völlig verschieden seien, verhindert uns, zu jenem innerenGott zu werden. Denn wenn wir zu jenem inneren Gott gewordensind, werden wir bewusst eins mit dem Universum, dessen Kinderwir sind, von dem wir ein unlösbarer Teil sind; und dies verbindetuns mit einem Quell unerschöpflicher Kraft, unbegrenzter Weisheit,da wir an dem Born der Inspiration trinken, welche dem Herzen desAlls entströmt. Jeder hat seine Wurzel und seinen Ursprung in demAll-Ozean der kosmischen Lebens-Intelligenz-Substanz.

Selbstsucht macht engherzig. Sie ist die Grundlage aller Entar-tung, jedes moralischen Verfalls, aller geistigen und körperlichenSchwäche; sie lässt uns verkümmern, sie legt Fesseln um uns undlässt uns keinen Raum zu Entfaltung und Wachstum. Die Selbstsuchtist die Wurzel allen Übels und deshalb die Wurzel geistigen Unver-mögens, von Unzulänglichkeit, Kraftlosigkeit, von Mangel an Urteilund Unterscheidungskraft und von Herzlosigkeit. Die Selbstsucht istdeshalb der fruchtbare Boden, dem alles Unglück und alle Leidenentstammen. Alles, was die eingeborenen Fähigkeiten des Menschenverkümmern lässt, entspringt der Selbstsucht. Sie ruft in uns bekla-genswerte und schädliche Anschauungen wach, die uns an unserenbeschränkten kleinen Gedankenkreis binden. Dann sind wir ein Ge-fangener im Kerker unserer eigenen Selbstsucht und deshalb in desLebens edelsten Kämpfen schrecklich gehemmt. Die Selbstsuchtmacht uns zu einem Gefangenen, und unser Gefängnis ist unser nie-deres Selbst.

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Oh, welch ein Gefühl der Freiheit, von wahrem Menschentum,wenn wir das Gefängnis der niederen Selbstheit verlassen und unserEinssein mit dem All erahnen! Denn in aller Wahrheit sind wir diesesAll in den geheimen, mystischen Tiefen unseres innersten Seins,

Es sind Selbstsucht und Unwissenheit, welche die Ursache vonStreit und Zwietracht unter den Menschen bilden. Denn beim Suchenihrer selbst gebrauchen die Menschen die Kräfte der Natur zu per-sönlichen und selbstischen Zwecken — manchmal mit Überlegung,manchmal halb bewusst. Dies geschieht durch unseren freien Willen,welcher an sich nichtsdestoweniger eine göttliche Macht oder Fähig-keit ist.

Wir haben einen Willen, er ist frei. Wir sind ein Teil der Energiendes Universums, denn wir sind von ihm unlösbar. Wir gebrauchenunseren Willen manchmal recht und manchmal falsch. Wenn wir ihnrecht gebrauchen, sehen wir die wundersamen Geheimnisse im Her-zen und Antlitz unserer Mitmenschen und erkennen die Größe ihresinnersten Seins; denn Größe ist auch in uns, und sie erkennt immer,was groß ist. Und wenn wir diese Kräfte falsch, unrecht benützenoder Missbrauch damit treiben, so bedienen wir uns der farblosenKräfte des Universums, doch tun wir es zum Üblen, da wir Gewinnfür das Selbst suchen. Da wir freien Willen haben, gebrauchen wirdiese Energien, und wir tun es in Unkenntnis des Gesetzes — desGesetzes der Natur.

Nichterkenntnis ist ein Fluch für den Menschen. Wenn wir wüss-ten, was wir tun, wenn wir wüssten, dass wir die Kräfte des Univer-sums in Unordnung bringen, indem wir in uns und in anderenschlimme Leidenschaften erwecken, könnten wir jene Grundwahrheitder Natur erkennen, dass alle Dinge eine gemeinsame Wurzel in un-endlichem Frieden und Harmonie haben; dann würde kein vernünfti-ger Mensch in sich Unstimmigkeit und Übelwollen dulden, sonderner würde danach streben, seinen Brüdern Hilfe und Erleuchtung zubringen.

Nichterkenntnis ist der größte Feind des Menschen. Und dieFrucht der Nichterkenntnis ist Unglück, Leid, Schmerz, Krankheitund Kummer.

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Die Selbstsucht ist etwas Unedles. Sie ist auch sehr unklug, weiles nichts gibt, das uns wie die Selbstsucht niederhält und unsere Füßeim Schlamm der niederen Selbstheit stecken lässt. Der Weg zum Er-folg besteht im Auslöschen des Persönlichen, im Unpersönlichwer-den, sodass unsere Füße von dem Schlamm und dem anhaftendenSchmutz des Stoffdaseins nicht behaftet sind. Das Gesetz ist dasselbefür alle: Sei unpersönlich, werde selbstvergessend!

Ein Mensch, der an nichts anderes denkt, als an sich selbst, —ich, meine Pläne, mein Besitz, meine Wünsche, mein Denken —,spinnt um sich ein dichtes Gewebe unvollkommener hässlicherSelbstheit, durch welches nichts scheinen kann, und welches ihngleich einem Diamantwall umgibt, härter und dauernder als Stahl.

Wir sind in der Tat von Schranken umgeben, die wir selbst ge-baut und aufgerichtet haben aus unserem eigenen Gedankengewebe,und unsere schlimmsten Schranken sind in uns. Wenn das menschli-che Bewußtsein sich weitet und wächst, so zerbricht es die Mauern,die es einengen und zerreißt die Fesseln, die es am freien Ausdruckhindern, und der innere Glanz ergießt sich nach außen.

Starrheit des Denkens, Starrheit der Anschauungen sind Schran-ken für wahren spirituellen Fortschritt, denn sie bedeuten Dogmatis-mus und Selbstzufriedenheit; sie bedeuten, um ein anderes Bild zugebrauchen, das Verschließen der Tore des Gemüts gegen eine neueWahrheit; denn der Mensch ist in seiner Seele nie starr und un-beweglich, es sei denn, dass er selbstzufrieden ist; und es gibt nichts,was das innere Schauen so sehr der Wahrheit gegenüber blind machtals Selbstzufriedenheit. Man bedenke auch, dass die meisten Men-schen nur kurze Zeit selbstzufrieden sein können, aber niemals sehrlange.

Dagegen ein offener Sinn, ein lebendiger Intellekt, der Wunschnach unverschleierter spiritueller Wahrnehmung, die Bereitschaft,die Wahrheit zu empfangen und sie andern aus der vollen Sympathiedes Herzens mitzuteilen, dieses alles ist eine Gewähr für wahren spi-rituellen Fortschritt und ein Zeichen dafür, dass es auf dem Pfadespiritueller Entwicklung vorwärtsgeht.

Hütet euch daher vor Starrheit; haltet vielmehr das Gemüt offenund den Verstand bereit, die Wahrheit in irgendeiner Form zu erfas-22

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sen, in der sie sich euch darbieten mag. Eine unverschleierte spiritu-elle Wahrnehmung erfordert lediglich die Aufgabe des Persönlichenin Meinungen und Ansichten sowie die Aufgabe der Selbstzufrie-denheit. Das Unpersönliche sehen, das ist eine unverschleierte spiri-tuelle Wahrnehmung.

Was vor allen andern Dingen dem Licht den Zugang versperrt, istdas Empfinden, das in die Worte gekleidet werden kann: „Ich weißalles, was ich zu wissen nötig habe“, Selbstsucht! Dieses Gefühl ent-springt reinem Ich-Bewußtsein. Das Gegenteil von Selbstsucht istdas unpersönliche Schauen spiritueller Wahrheiten, die in unsererSeele wirken und sie so zur Aufnahme unpersönlicher, universalerEindrücke vorbereiten.

Alles, was dich von deinem tierischen Selbst entfernt, alles, wasdich dein persönliches Sein vergessen lässt und dich hinausführt indie große Weite der Natur und in dir Gedanken mitleidsvoller, unper-sönlicher Dienstleistung erweckt, ist ein Mittel für spirituellesWachstum. Welch ein Trost, welch eine Hoffnung, welch eine Er-leichterung, welch ein Frieden, sich selbst zu vergessen!

Alles, was uns von uns selbst wegführt aus dem kleinen Kreisepersönlicher Begrenzungen, selbstischer Ideen und falschen Wahnes,egoistischer Gedanken und Gefühle, hin zu unpersönlicher Dienst-leistung, alles, was uns dazu bringt, etwas zu pflegen und zu hegen inselbstvergessenem Bemühen für andere, das ist für uns eine große,spirituelle Hilfe. Einen Baum pflanzen, eine Blume pflegen, um dasErgehen eines anderen besorgt sein, Beschäftigung mit einem Buch,mit schriftstellerischen Arbeiten, mit der Maschine, mit dem Werk-zeug oder was es sonst sein mag: Irgendetwas, das uns das persönli-che Selbst vergessen lässt — Selbstvergessen! —, verhilft uns zu spi-rituellem Wachstum. Welch ein Segen wird dem zuteil, der dies be-herzigt! Das ist das Geheimnis des Rufes der Religionen. Es führtzum Vergessen des niederen, persönlichen Selbstes. Dasselbe Ergeb-nis wird erreicht durch ungehemmte Freigabe der spirituellen Kräfteim Innern zu irgendeinem unpersönlichen Werke.

Süß sind die Früchte des Selbstvergessens — des vollständigenVergessens unserer Persönlichkeit in etwas so Schönem und Unper-sönlichem, dass Menschenzunge es nicht beschreiben kann! Denn

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Selbstvergessen, Mitleid, Erbarmen und Frieden sind die Früchte derkosmischen Harmonie, welche das Herz des Universums selbst ist.Wer diese Tatsache zu erkennen beginnt, in dessen Seele fängt etwaszu sprießen und zu keimen an, das nicht beschrieben, nicht in Wortegefasst werden kann, was sich jedoch als Licht, Leben, Frieden,Weisheit und allmächtige Liebe kundgibt — unpersönlich, universal,sodass alles, was da ist, einen Zauber auf uns ausübt, weil wir es lie-ben.

Und doch ist das ganze äußere Universum nur das Gewand oderder Schatten von etwas Unsichtbarem, von dem inneren Leben, vondem jeder Mensch und jede Wesenheit ein untrennbarer Teil ist;denn alle Wesenheiten und Dinge haben ihre Wurzel in diesem inne-ren Leben. Was deshalb irgendjemand von uns tut, wirkt mit entspre-chend großer Kraft auf alle anderen Wesenheiten und Dinge ein.

Jeder ist seines Bruders Hüter, da wir durch unzerreißbare Bandedes Ursprungs und der Bestimmung untrennbar miteinander verbun-den sind. Im Wesen sind wir alle eins. Jeder Menschensohn ist seinerBrüder Hüter insofern, als er auf sie einwirkt und sie durch seineWorte in Herz und Gemüt getroffen werden. Und seine Verantwor-tung wird bewusst, selbstbewusst und umso schwerer, je weiter er inseiner Entwicklung fortgeschritten ist.

Wir machen uns zu eben dem, was wir sind; und wir sind zu-gleich unseres Bruders Hüter, weil jeder von uns, jeder einzelne vonuns, verantwortlich ist für eine äonenlange Kette der Verursachung.Es herrscht Gesetzmäßigkeit in diesem Universum; die Dinge wer-den nicht vom Zufall regiert; und der Mensch kann nicht denken odersprechen oder handeln, ohne andere Wesen zu ihrem Wohl oderWehe zu beeinflussen.

Säe eine Tat und du wirst eine Gewohnheit ernten. Säe eine Ge-wohnheit und du wirst ein Schicksal ernten, da die Gewohnheit denCharakter aufbaut. Dies ist die Reihenfolge: Eine Tat, eine Gewohn-heit, ein Charakter, ein Geschick. Du bist der Schöpfer deiner selbst.Wozu du dich jetzt bereitest, das wirst du in der Zukunft sein. Wasdu jetzt bist, eben dazu hast du dich in der Vergangenheit gemacht.Was du säest, das wirst du ernten.

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Wenn du für dich säst, zu rein selbstsüchtigen Zwecken, so wirstdu entsprechend ernten. Der Mensch, dessen rechtes Handeln nichtlediglich der Liebe zum Guten entspringt und der rechtes Handelnnicht als etwas an sich selbst Schönes empfindet, sodass er nur gutist, um etwas dafür zu bekommen — ein größeres Glück, eine besse-re Zukunft, einen besseren Körper — der hat seine gute Saat schonmit einer ganzen Handvoll Unkrautsamen — seinem selbstsüchtigenBegehren — verdorben. Nichts macht so klein als das Persönliche,Nichts wird deine Seele in ihrer Stärke so hemmend beeinflussen, alswenn du dein Denken ganz und gar auf deine eigenen selbstsüchti-gen, persönlichen Angelegenheiten richtest und darüber das Wohlanderer außer Acht lässt.

Der Mensch, welcher zuerst an andere denkt, ist schon groß. DerMensch, welcher um anderer willen sein Leben hingibt, ist schongroß. Der Mensch, welcher in unpersönlichem Dienste an derMenschheit sich selbst vergisst, ist am größten. Und solch ein

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Mensch erntet ein gottgleiches Geschick, da er sich einen gottglei-chen Charakter erworben hat.

Die Natur verlangt von allen Menschen Zusammenarbeit, Bruder-schaft, Güte, Liebe, Selbstvergessen, Wirken für andere. Der Selbst-süchtige geht immer, früher oder später, zugrunde. Der Böse mageine Weile gedeihen, doch nicht lange. Selbstsucht ist Schrumpfung.Sie bedeutet Kälte, sie ist das Gegenteil von der weitenden, warmenMacht der Liebe.

Die Natur wird nicht lange hartnäckige Selbstbevorzugung aufKosten anderer dulden, denn das Herz der Natur ist Harmonie, dasGefüge und der ganze Aufbau des Universums ist auf Zusammenord-nung, Zusammenwirken, spirituelle Vereinigung eingestellt. Und derMensch, der unentwegt und unbedingt nur sich selbst lebt, endet injenem fernen Lande des „Mystischen Westens“, dem Lande der ver-lorenen Hoffnungen, dem Lande des spirituellen Verfalls, denn dieNatur will nichts mehr von ihm wissen. Er hat seinen winzigen, un-entwickelten Willen den mächtigen Strömen des Kosmos entgegen-gestellt, und früher oder später wird er auf eine Sandbank am Le-bensstrome gespült, wo er zugrunde geht. Die Natur kann dauerndeund hartnäckige Selbstsucht nicht dulden.

Betrachtet einen Baum. Betrachtet euren Körper. Beide sind auf-gebaut aus einer großen Menge kleinerer Teile, geringerer We-senheiten, die alle Zusammenwirken und vereint das Ganze bilden, indem sie alle leben und atmen und ihr Sein haben, und in dem sie andem gemeinsamen Leben teilhaben.

Wenn ein Mensch harmonisch handelt, so handelt er in Überein-stimmung mit universalem Wirken und Gesetz. Harmonie in Gewis-sen und Denken und daher im Handeln ist das, was die Menschen un-ter Ethik verstehen. Ethik ist kein Übereinkommen, auch nicht Mo-ral. Sie haben ihre Wurzel in der Harmonie, in den Grundgesetzendes Seins. Sie sind auf die Harmonie gegründet, welche den Bau desUniversums bestimmt.

Der ethische Instinkt entspringt aus unserer inneren Konstitution.Er stammt aus unserem spirituellen Wesen, welches Harmonie, Ord-nung, Schönheit, Größe und Majestät erkennt — Schönheit des Den-kens, des Sehnens und Fühlens, Schönheit der Tat.26

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Erkenntnis ist das Kind von Liebestaten — dies ist eine der erha-bensten Wahrheiten. Von den Mysterien, den höheren Mysterienkann niemand wissen, dessen Herz nicht von Liebe, von überfließen-der Liebe erfüllt ist. Und diese Erkenntnis kommt durch den Ge-brauch der spirituellen Kräfte in uns. Diese zu gebrauchen aber fin-den wir immer hinreichende Gelegenheit im Vollbringen von Tatender Liebe, in brüderlichem Denken und Handeln, indem wir anderenhelfen und sie teilhaben lassen an den Segnungen, deren wir uns er-freuen.

Oh, wie edel und groß ist es, wenn die Menschen ihre Allverbun-denheit untereinander fühlen, wenn ihre Herzen vom Hauch allmäch-tiger Liebe berührt werden, wenn ein Ahnen der Tatsache unserer ge-meinsamen Bruderschaft in sie eingeht und sie bereit sind, zum Woh-le der Menschheit zu leben. All dies ist erhaben und herrlich!

Gottfried von Purucker

Der Tempel der MenschheitDeutsche Gemeinschaft e. V.

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D O G M E N V E R G E H E N, H E R Z EN B E S T E H E N

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