Der Ton macht die Musik – und die Sprache · 2017. 1. 25. · Beitragstitel Der Ton macht die...

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18 Deutscher Studienpreis | Ergebnisse 2008 1 »Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an«, schrieb E. T. A. Hoffmann (1776 – 1822). Musik war für den Dichter somit eine die Sprache ergänzende Ausdrucksform. Joseph Haydn (1732 – 1808) setzte Sprache und Musik sogar metaphorisch gleich: »Meine Sprache versteht die ganze Welt«, freute sich der Komponist. Um die Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Musik geht es auch dem Leipziger Sprachheilpädagogen Stephan Sallat. Ihn interessiert vor allem das Zusammenspiel von Spra- che und Musik im Verlauf der Sprachentwicklung. In seiner 2006 an der Universität Gießen vorgelegten und 2008 veröf- fentlichten Doktorarbeit kam Sallat zu überraschenden Befun- den: Beim Spracherwerb, wie Linguisten das »Sprechen lernen« bezeichnen, gehen Sprach- und Musikverständnis Hand in Hand. Von Sallat untersuchte Vorschulkinder mit Sprachent- wicklungsstörungen lagen meist auch bei der Verarbeitung von Musik hinter ihren Altersgenossen zurück. Ihre Musikver- arbeitungsleistungen lagen auf dem Niveau jüngerer Kinder. Wie wichtig die »Musik« – oder genauer: die Sprachmelo- die – für die erfolgreiche Übermittlung einer Sprachbotschaft ist, zeigt sich schon in der Art und Weise, wie Eltern oder an- dere Erwachsene mit Säuglingen kommunizieren. Sie spre- chen mit höherer Stimmlage, langsamer, akzentuierter, tren- nen Silben, Wörter und Phrasen deutlicher voneinander. Kurzum: Sie überhöhen die »Prosodie«, wie Wissenschaftler die melodisch-musikalischen Elemente in der Sprache nennen. Aus gutem Grund: »Wenn ein Säugling seine Aufmerksamkeit auf Sprache zu richten beginnt und erste Wörter ›entdeckt‹, verarbeitet das Gehirn Musik und Sprache offenbar nicht in unterschiedlichen Domänen«, sagt Sallat. »Die Sprache scheint in dieser Entwicklungsphase für das Gehirn eher eine Art von Musik zu sein.« Bereits in diesem frühen Lebensabschnitt lie- gen laut Sallat die Ursachen zu Sprachentwicklungsstörungen. Auch in der Stammesgeschichte des Menschen haben Musik und Sprache einen gemeinsamen Ursprung – in der sogenann- ten »Musilanguage«, dem sprachlichen »Singsang« unserer Ahnen. Rudimente davon finden sich noch heute – beispiels- weise bei den australischen Ureinwohnern. Nach der Ära der »Musilanguage« entwickelte sich die Sprache separat weiter, weil sie im Gegensatz zur Musik den Vorteil hat, eindeutig zu sein – sie bringt die »Nachricht« präzise auf den Punkt. In unserem Gehirn sind Sprache und Musik nach wie vor stark miteinander »vernetzt«. Das zeigt sich unter anderem, wenn man im Hirn die Verarbeitung von Sprachbedeutung und -struktur mit der von Musik vergleicht. Sallat war aufgefallen, dass Kinder, die an Störungen der Sprachentwicklung leiden, auch die Prosodie – jene »musikalischen« Elemente der Sprache wie Sprachmelodie, Sprachrhythmus, Pausen, Konturverläufe und Betonungen – nur unzureichend zu nutzen vermögen, was zugleich das Erlernen neuer Wörter und grammatischer Regeln erschwert. Daher interessierte ihn die Frage, ob diese Kinder auch Probleme bei der Verarbeitung von Musik, von Melodie, Rhythmus und Klang, haben. Um die Ergebnisse zu quantifizieren, entwickelte Sallat einen neuartigen, breit angelegten Musikalitätstest, der die musikalischen Fähigkeiten von vier- und fünfjährigen Kindern detailliert und ganzheitlich ermittelt. Der Test sollte den ver- muteten Zusammenhang zwischen Störungen der musika- lischen Verarbeitung und der Sprachentwicklung empirisch belegen. Insbesondere interessierte Sallat, ob reduzierte musi- kalische Fähigkeiten als brauchbares diagnostisches Indiz für Sprachentwicklungsstörungen herangezogen werden können. An Sprachstörungen leiden erstaunlich viele Kinder, nach den verlässlichsten Schätzungen etwa 10 bis 15 Prozent jedes Jahr- gangs. Manche Forscher gehen sogar von bis zu 25 Prozent aller Kinder aus. Die Unterschiede sind auf unscharfe Abgren- zungen zurückzuführen, da teils Störungen wie Stottern, Lis- peln oder Stimmstörungen (ständige Heiserkeit) dazugezählt werden. Einige Kinder haben auch organische Defekte wie Hörschäden oder leiden an Krankheiten wie Autismus. Sallat konzentriert sich in seinen Studien auf Kinder mit »spezi- fischer Sprachentwicklungsstörung« (SSES), bei denen die Defi- zite nicht auf Beeinträchtigungen in anderen Bereichen zu- rückgehen. Ob ihr Nachwuchs ein SSES-Kind ist, erkennen Eltern am besten am jeweiligen Wortschatz. SSES-Kinder sind oft soge- nannte »late talker«, die im Alter von 24 Monaten noch keine 50 Wörter beherrschen. Dazu zählen 12 bis 20 Prozent aller Kinder. Normale Kinder verfügen über 50 Wörter bereits im Alter von 18 bis 19 Monaten; wenn sie 24 Monate alt sind, be- nutzen sie etwa 300 Wörter, die sie dann auch schon in Zwei- bis Dreiwortsätzen kombinieren. Rund die Hälfte aller »späten Der Ton macht die Musik – und die Sprache Für den Sprachheilpädagogen Stephan Sallat gehen Sprach- und Musikverständnis Hand in Hand. Sprachgestörten Kindern will er deshalb mit Musik helfen

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    »Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an«, schrieb E. T. A. Hoffmann (1776 – 1822). Musik war für den Dichter somit eine die Sprache ergänzende Ausdrucksform. Joseph Haydn (1732 – 1808) setzte Sprache und Musik sogar metaphorisch gleich: »Meine Sprache versteht die ganze Welt«, freute sich der Komponist.

    Um die Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Musik geht es auch dem Leipziger Sprachheilpädagogen Stephan Sallat. Ihn interessiert vor allem das Zusammenspiel von Spra-che und Musik im Verlauf der Sprachentwicklung. In seiner 2006 an der Universität Gießen vorgelegten und 2008 veröf-fentlichten Doktorarbeit kam Sallat zu überraschenden Befun-den: Beim Spracherwerb, wie Linguisten das »Sprechen lernen« bezeichnen, gehen Sprach- und Musikverständnis Hand in Hand. Von Sallat untersuchte Vorschulkinder mit Sprachent-wicklungsstörungen lagen meist auch bei der Verarbeitung von Musik hinter ihren Altersgenossen zurück. Ihre Musikver-arbeitungsleistungen lagen auf dem Niveau jüngerer Kinder.

    Wie wichtig die »Musik« – oder genauer: die Sprachmelo- die – für die erfolgreiche Übermittlung einer Sprachbotschaft ist, zeigt sich schon in der Art und Weise, wie Eltern oder an-dere Erwachsene mit Säuglingen kommunizieren. Sie spre-chen mit höherer Stimmlage, langsamer, akzentuierter, tren-nen Silben, Wörter und Phrasen deutlicher voneinander. Kurzum: Sie überhöhen die »Prosodie«, wie Wissenschaftler die melodisch-musikalischen Elemente in der Sprache nennen. Aus gutem Grund: »Wenn ein Säugling seine Aufmerksamkeit auf Sprache zu richten beginnt und erste Wörter ›entdeckt‹, verarbeitet das Gehirn Musik und Sprache offenbar nicht in unterschiedlichen Domänen«, sagt Sallat. »Die Sprache scheint in dieser Entwicklungsphase für das Gehirn eher eine Art von Musik zu sein.« Bereits in diesem frühen Lebensabschnitt lie-gen laut Sallat die Ursachen zu Sprachentwicklungsstörungen.

    Auch in der Stammesgeschichte des Menschen haben Musik und Sprache einen gemeinsamen Ursprung – in der sogenann-ten »Musilanguage«, dem sprachlichen »Singsang« unserer Ahnen. Rudimente davon finden sich noch heute – beispiels-weise bei den australischen Ureinwohnern. Nach der Ära der »Musilanguage« entwickelte sich die Sprache separat weiter, weil sie im Gegensatz zur Musik den Vorteil hat, eindeutig zu sein – sie bringt die »Nachricht« präzise auf den Punkt.

    In unserem Gehirn sind Sprache und Musik nach wie vor stark miteinander »vernetzt«. Das zeigt sich unter anderem, wenn man im Hirn die Verarbeitung von Sprachbedeutung und -struktur mit der von Musik vergleicht. Sallat war aufgefallen, dass Kinder, die an Störungen der Sprachentwicklung leiden, auch die Prosodie – jene »musikalischen« Elemente der Sprache wie Sprachmelodie, Sprachrhythmus, Pausen, Konturverläufe und Betonungen – nur unzureichend zu nutzen vermögen, was zugleich das Erlernen neuer Wörter und grammatischer Regeln erschwert. Daher interessierte ihn die Frage, ob diese Kinder auch Probleme bei der Verarbeitung von Musik, von Melodie, Rhythmus und Klang, haben.

    Um die Ergebnisse zu quantifizieren, entwickelte Sallat einen neuartigen, breit angelegten Musikalitätstest, der die musikalischen Fähigkeiten von vier- und fünfjährigen Kindern detailliert und ganzheitlich ermittelt. Der Test sollte den ver-muteten Zusammenhang zwischen Störungen der musika-lischen Verarbeitung und der Sprachentwicklung empirisch belegen. Insbesondere interessierte Sallat, ob reduzierte musi-kalische Fähigkeiten als brauchbares diagnostisches Indiz für Sprachentwicklungsstörungen herangezogen werden können.

    An Sprachstörungen leiden erstaunlich viele Kinder, nach den verlässlichsten Schätzungen etwa 10 bis 15 Prozent jedes Jahr-gangs. Manche Forscher gehen sogar von bis zu 25 Prozent aller Kinder aus. Die Unterschiede sind auf unscharfe Abgren-zungen zurückzuführen, da teils Störungen wie Stottern, Lis-peln oder Stimmstörungen (ständige Heiserkeit) dazugezählt werden. Einige Kinder haben auch organische Defekte wie Hörschäden oder leiden an Krankheiten wie Autismus. Sallat konzentriert sich in seinen Studien auf Kinder mit »spezi-fischer Sprachentwicklungsstörung« (SSES), bei denen die Defi-zite nicht auf Beeinträchtigungen in anderen Bereichen zu-rückgehen.

    Ob ihr Nachwuchs ein SSES-Kind ist, erkennen Eltern am besten am jeweiligen Wortschatz. SSES-Kinder sind oft soge-nannte »late talker«, die im Alter von 24 Monaten noch keine 50 Wörter beherrschen. Dazu zählen 12 bis 20 Prozent aller Kinder. Normale Kinder verfügen über 50 Wörter bereits im Alter von 18 bis 19 Monaten; wenn sie 24 Monate alt sind, be-nutzen sie etwa 300 Wörter, die sie dann auch schon in Zwei- bis Dreiwortsätzen kombinieren. Rund die Hälfte aller »späten

    Der Ton macht die Musik – und die SpracheFür den Sprachheilpädagogen Stephan Sallat gehen Sprach- und Musikverständnis

    Hand in Hand. Sprachgestörten Kindern will er deshalb mit Musik helfen

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    Bei ungestörtem Spracherwerb lernen und automatisieren die Kinder die Verarbeitung der musikalischen Elemente schnell und benötigen dafür entsprechend wenig Speicher-kapazität. Dadurch können sie mehr Aufmerksamkeit auf die Sprache und typische Laute und Wörter richten. Bei Kindern mit musikalischer Ausbildung sind diese Verarbeitungs-Auto-matismen sogar besonders gut ausgeprägt: So reagiert das Ge-hirn von 11-jährigen Kindern mit musikalischer Ausbildung stärker auf sprachliche Strukturverletzungen (wie Grammatik-fehler) als bei Kontrollpersonen ohne musikalische Ausbildung. Bei SSES-Kindern hingegen, die die Verarbeitung der musika-lischen Elemente nicht zu automatisieren vermögen, ist das Arbeitsgedächtnis bereits mit den musikalischen Informati-onen der Sprache nahezu voll ausgelastet. Daher bleibt ihnen kaum Speicherplatz für das Erkennen von Lauten und Wör-tern. »Die fehlende Automatisierung bindet so viel Verarbei-tungskapazität, dass nur wenig Speicherplatz für phonolo-gische und linguistische Muster frei bleibt«, sagt Sallat. Dies erkläre auch das späte Sprechen dieser Kinder.

    Erhalten SSES-Kinder nicht frühzeitig eine gezielte Förderung, hat dies oft folgenschwere Konsequenzen: »Bei sprachgestörten Kindern treten gehäuft Lese-Rechtschreibprobleme auf«, sagt Stephan Sallat. »Sie erreichen nur einfache Schulabschlüsse und zeigen oft auffälliges Verhalten.« Um solchen »Risiko-kindern ersten Ranges«, wie er sie nennt, helfen zu können, will Sallat seine neuartigen, im Rahmen der Doktorarbeit entwickelten Musikalitätstests zu einem Diagnostikverfahren zur Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen aus-bauen – und langfristig mit auf musikalischem Training basie-renden Therapien ergänzen.

    Mit seinem auf diese Weise entstehenden diagnostischen und therapeutischen Instrumentarium trifft Sallat den Nerv der aktuellen Bildungsdebatte, in der als Antwort auf schlechte Bildungsstudien auch die gezielte vorschulische Sprachförde-rung auf der Agenda steht. Erste Bundesländer führen bereits verpflichtende Sprachtests für Vorschulkinder durch und ha-ben damit auch jene Kinder im Blick, deren Eltern keine deut-schen Muttersprachler sind. Bei ihnen ist es bislang jedoch häufig schwierig, zwischen normalen Problemen beim Deutsch-Lernen und tatsächlichen Sprachstörungen zu unter-

    scheiden und sie dementsprechend gezielt zu fördern. Auch hier kann der von Stephan Sallat entwickelte Musikalitätstest hilfreich sein und für die nötige Trennschärfe sorgen: Da sein Test ohne Sprache auskommt und trotzdem Rückschlüsse auf die sprachlichen Fähigkeiten zulässt, dürfte er diagnostisch sehr viel aussagekräftigere Ergebnisse liefern als herkömm-liche Tests, die (deutsche) Sprachfähigkeiten abfragen.

    Sprecher« holt den Rückstand jedoch überraschend auf: Im Al-ter von rund drei Jahren sind solche Spätzünder, die Forscher als »late bloomer« bezeichnen, in etwa wieder gleichauf mit ihren Altersgenossen. Etwa 6 bis 10 Prozent aller Kinder jedoch bleiben im Alter von drei Jahren und darüber hinaus sprach-lich unterentwickelt. Sie gelten nun zweifelsfrei als SSES-Fälle.

    Sallat untersuchte mit seinen Musikalitätstests eine Gruppe von 38 fünfjährigen SSES-Kindern und verglich deren Leistun-gen mit denen von zwei Kontrollgruppen – einer Gruppe von 41 sprachnormalen Fünfjährigen und einer weiteren mit 15 sprachnormalen Vierjährigen. Darüber hinaus erfasste er mit Fragebögen das häusliche musikalische Umfeld der Kinder (Hausmusik), etwaige Krankheiten wie Mittelohrentzündungen sowie den sozioökonomischen Status des Elternhauses.

    Bei der Entwicklung der Musikalitätstests orientierte sich Sallat an einem standardisierten sprachlichen Diagnostikver-fahren, das unter anderem Kinderärzte, Logopäden und Psy-chologen verwenden. Es ist in die Bereiche Sprachverstehen, Sprachproduktion und sprachliches Arbeitsgedächtnis unter-teilt. Darauf aufbauend entwickelte Sallat eine Reihe von Auf-gaben zum Musikverstehen, zur Musikproduktion sowie zum musikalischen Arbeitsgedächtnis. Auf diese Weise war es mög-lich, die musikalischen und sprachlichen Verarbeitungsleis-tungen der Gruppen miteinander zu vergleichen.

    Um die Aufgaben für die Kinder interessanter zu machen, er-fand Sallat eine Spielsituation mit dem vergesslichen Plüschha-sen Paul, der die Hilfe der Kinder benötigt. Paul versuchte – teils fehlerhaft – auf einem Klavier die Anfänge einer Reihe von Kinderliedern zu spielen. Die Kinder sollten nun als »Ex-perten« beurteilen, ob ihm dies jeweils gelungen war. Dies er-höhte ihre Motivation, und sie waren mit großem Spaß dabei.

    In seinem Musikalitätstest, der 20 Untertests umfasst, ver-wendete Sallat schwerpunktmäßig in Melodie oder Rhythmus veränderte Anfangssequenzen von Kinderliedern. Weiterhin prüfte er, ob die Probanden bekannte Kinderlieder wieder-erkennen konnten. Das musikalische Arbeitsgedächtnis schließ-lich testete Sallat mit sogenannten Paarvergleichsaufgaben: Hase Paul versucht dabei, auf dem Klavier zweimal die gleiche Melodie zu spielen, und die Kinder sollten das Gelingen beur-

    teilen. Ebenso wie bei den Anfangssequenzen der Kinderlieder gab es Fehler in der Melodie oder im Rhythmus. Zusätzlich mussten die Kinder selbst Kinderlieder singen und Rhythmen nachklopfen oder nachsprechen.

    Bei diesen Tests, die laut Sallat eine »ganzheitliche Betrach-tung der musikalischen Fähigkeiten« ermöglichen, stellte der Forscher in den untersuchten Gruppen interessante Unter-schiede fest: SSES-Kinder erreichten mit wenigen Ausnahmen schlechtere Ergebnisse als sprachnormale Gleichaltrige. Ihre Leistungen lagen aber – mit Ausnahme einiger Melodie-erkennungsaufgaben – in etwa auf dem Niveau der jüngeren Kontrollgruppe. Dies zeigte, dass Kinder mit ähnlichem Sprachentwicklungsstand etwa gleiche Ergebnisse bei musika-lischen Verarbeitungstests erreichen. Zugleich bestätigte dies Sallats These, dass enge Beziehungen zwischen der sprach-lichen und musikalischen Entwicklung und Verarbeitung be-stehen.

    Ausgehend von seinen Ergebnissen stellt Sallat die These auf, dass bei SSES-Kindern die Verarbeitung der musikalischen Sprach-Parameter nicht »automatisiert« verläuft. Eine solche Automatisierung lernen normale Kinder vermutlich bereits als Säuglinge: »Geht man davon aus, dass Sprache im frühen Kindesalter als eine Art Musik verarbeitet wird, könnte die mangelnde Verarbeitung dieser musikalischen Parameter die sprachentwicklungsgestörten Kinder beeinträchtigen«, sagt Sallat.

    Die Verarbeitung dieser Sprach-Parameter findet im soge-nannten Arbeitsgedächtnis statt, das man, so Sallat, »gut mit dem Arbeitsspeicher eines Computer vergleichen kann«. Das Arbeitsgedächtnis ist ein aktives System, das kurzfristig senso-rischen Input – wie gehörte Sprache oder Musik – aufnimmt und durch Rückgriff auf Wissen, das im Langzeitgedächtnis gespeichert ist, auswertet. Die Kapazität des Arbeitsgedächt-nisses ist jedoch begrenzt. Sein gesamter Inhalt teilt sich auf in eine Komponente zur Informationsspeicherung (Input) und eine weitere zur Informationsverarbeitung. Übung und Erfah-rung helfen normalerweise, die Verarbeitung immer besser zu »automatisieren«. Je mehr Automatismen laufen, desto weniger Platz beansprucht die Verarbeitungskomponente – und umso mehr Kapazität wird für die Informationsspeicherung frei.

    Beitragstitel  Der Ton macht die Musik – und die Sprache

    Dr. Stephan SallatPromotion an der Justus-Liebig-Universität Gießen

    Sächsische Landesschule für Hörgeschädigte Leipzig Mobil 01�� · 2�� �8 �� E-Mail [email protected]