DER VERGESSENE FORTSCHRITT - uni-goettingen.de · 2006. 10. 27. · DER VERGESSENE FORTSCHRITT –...

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DER VERGESSENE FORTSCHRITT DIE DEUTSCHE WELTMARKTDEBATTE IN DEN 1970ERN – Oliver Nachtwey Tobias ten Brink Manuskript. Bitte nicht ohne Erlaubnis zitieren. Oliver Nachtwey Graduiertenkolleg “Die Zukunft des europäischen Sozialmodells” Universtiy of Göttingen Humboldtallee 3 37073 Göttingen [email protected] Tobias ten Brink Institut für Sozialforschung Senckenberganlage 26 60325 Frankfurt am Main [email protected]

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  • DER VERGESSENE FORTSCHRI TT

    – DIE DEUTSCHE WELTMARKTDEBATTE IN DEN 1970ERN –

    Ol iver Nachtwey Tobias ten Br ink

    Manuskript. Bitte nicht ohne Erlaubnis zitieren. Oliver Nachtwey Graduiertenkolleg “Die Zukunft des europäischen Sozialmodells” Universtiy of Göttingen Humboldtallee 3 37073 Göttingen [email protected] Tobias ten Brink Institut für Sozialforschung Senckenberganlage 26 60325 Frankfurt am Main [email protected]

  • Die marxistische Imperialismustheorie gilt als Relikt vergangener linker Bewegungen ohne Erklä-rungsgehalt für die Welt nach 1989. Doch die Permanenz staatlicher Gewalt und des Krieges seit den 1990ern hat das Interesse an marxistischen Erklärungsansätzen, die Weltordnungskonflikte und Kriege in ihrem Zusammenhang mit der kapitalistischen Produktionsweise analysieren, wieder steigen lassen. Wie jede Welle der Imperialismusdebatte, sei es die klassische zur Zeit des Ersten Weltkriegs oder die Debatte vor und nach 1968, ist die gegenwärtige von den besonderen Erschei-nungsformen des Kapitalismus ihrer Zeit geprägt. Heute haben selbst viele Marxisten verschiedene Versionen einer starken Globalisierungsthese übernommen, die auf die eine oder andere Weise die große politische Illusion der 90er Jahre wider-spiegeln – die Hoffnung auf ein Zeitalter des Friedens und Wohlstandes sowie eine „neue Weltord-nung“ als vorwiegend kooperativen Prozess. Auch der von den Mainstream-Wissenschaften kons-tatierte Souveränitätsverlust des Staates gegenüber internationalisierten Wirtschaftsprozessen und integrierten Finanzmärkten hat starken Zuspruch von linken Theoretikern und kritischen Sozialwis-senschaftlern erhalten: In der „postnationalen Konstellation“ (Habermas) erscheint Staatenkonkur-renz als Überbleibsel einer vergangenen Epoche, die in einer entgrenzten, internationalen Sphäre einer globalen Herrschaft des Gesamtkapitals, einem „Empire“ (Hardt/Negri) oder, in einer anderen These, einer Art Superimperialismus unter der Führung der Vereinigten Staaten, einem „ American Empire“ (Panitch/Gindin), gewichen sei. Bis auf wenige Ausnahmen (u.a. Arrighi, Callinicos, Harvey) dominieren heute Varianten der Ult-ra- und Superimperialismustheorie, die sich explizit oder implizit in die Theorietradition von Kautsky stellen. Für diesen dominiert auf internationaler Ebene das gemeinsame Interesse der Ka-pitalisten an der Ausbeutung der Massen, was in einer möglichen „ultraimperialistischen“ Phase zur internationalen Kooperation der Kapitalisten führen könne (Kautsky 1914). Wir halten dies für einen theoretischen Rückschritt, der die Weiterentwicklungen der Marxschen Theorietradition ig-noriert. Es drückt ebenso aus, dass wichtige Debatten der 1970er in breiten Teilen der Linken wohl nicht bekannt sind – die Weltmarktdebatte in Deutschland gehört dazu. In den meisten der heutigen „ Imperialismustheorien“ werden die Entwicklungsmuster des gegenwärtigen Kapitalismus nicht im Lichte seiner konstitutiven Merkmale diskutiert. Vor allem wird die Existenz einer Vielzahl von Staaten als ein methodischer Ausgangspunkt vernachlässigt, die die Wirklichkeit eines multipola-ren Konkurrenzkapitalismus immer wieder reproduziert, wenn auch in sich verändernden Weisen. Diese Perspektive wurde in den 1970er Jahren in der so genannten „Weltmarktdebatte“ in Deutsch-land zumindest in Ansätzen entwickelt.1 Es galt aufzuzeigen, wie die allgemeinen Bewegungsge-setze des Kapitalismus sich unter veränderten ökonomischen Bedingungen durchsetzen. An jene Debatte anzuknüpfen, ohne ihre Schwächen zu wiederholen, könnte auch die heutige Dis-kussion weiterbringen.2 Im Folgenden stellen wir ihre zentralen, teils divergierenden Positionen vor, um sie in einem abschließenden Teil kritisch zu würdigen und einige Punkte zur Weiterent-wicklung zu benennen. 1 Sie fand zeitgleich und neben der auch international bekannt gewordenen "Staatsableitungsdebatte" statt. Den politischen Hintergrund für diese Debatte bildete die Frage, ob die zunehmende staatliche Regulierung den Kapitalismus "retten" kann. Es galt daher, die "Sozialstaatsillusion" zu destruieren. Die zwei vorherr-schenden Staatsauffassungen wurden einer scharfen Kritik unterzogen. Sprach die sozialdemokratische Staatstheorie dem Staat ein hohes Maß an Autonomie zu, so postulierte die sowjetorientierte Theorie des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ eine Art Fusion von Staat und „Monopolkapital“ . Die Staatsablei-tungsdebatte versuchte u.a. mit Hilfe der Wertformanalyse die konstitutive Trennung von Staat und Kapital zu explizieren, um dadurch der Frage näher zu kommen, warum und wie diese Trennung trotzdem zur Bil-dung eines kapitalistischen Staates führt, d.h. wieso die Separierung und damit relative Autonomie des Staa-tes konstitutiv für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist (Zur Übersicht siehe: Gerstenberger 1977, Clarke 1990). Bestimmte Ergebnisse dieser Debatte spielen in der Weltmarktdebatte eine Rolle. 2 Sie ist natürlich nicht die einzige Debatte, an der in einer weitergehenden Analyse des heutigen Imperialis-mus anzuknüpfen wäre.

  • DER GESELLSCHAFTLICHE KONTEXT DER WELTMARKTDEBATTE Unter dem Eindruck des Vietnamkrieges und des Auftretens innerwestlicher ökonomischer Kon-flikte im Zusammenhang der Krise des Weltwährungssystems versuchten in Westdeutschland eini-ge Autoren mit Hilfe einer stringenten Anwendung der klassischen Marxschen Kapitalismusanaly-se zu einer theoretischen Weiterentwicklung zu kommen. Sie standen gleich vor mehreren Heraus-forderungen. Die Weltmarktdebatte fand in Abgrenzung zur sowjetmarxistischen Theorie des „staatsmonopolis-tischen Kapitalismus“ und zum "Revisionismus" der sozialdemokratischen Linken statt.3 Aus die-ser Kritik entwickelte sich vor allem im intellektuellen Umfeld der außerparlamentarischen Oppo-sition (APO) und der sozialistischen Studentenorganisation SDS eine „neue Marx-Lektüre“ , die zwar ein internationales Phänomen, aber in Deutschland besonders stark ausgeprägt war. Man hatte eine starke Skepsis gegenüber einem Weltanschauungsmarxismus entwickelt und setzte sich zum Ziel, den Nachkriegskapitalismus vor allem mit den Kategorien und Begriffen von Marx zu analy-sieren. Dies wurde durch den glücklichen Umstand gestützt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg immer zahlreichere Schriften, vor allem die einflussreichen Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie einem breiten Publikum zugänglich wurden. Vor diesem Hintergrund entstand neben und mit dem „deutschen“ Hang zur philologischen und abstrakt-kategorialen Marx-Forschung ein produktiver Strang eines angewendeten Marxismus hinsichtlich der Entwicklung der Weltwirt-schaft. Ironischerweise waren es die Verlierermächte des Zweiten Weltkrieges, Deutschland und Japan, die sich als Gewinner des „goldenen Zeitalters des Kapitalismus“ herausstellten. Deutschlands verarbeitendes Gewerbe integrierte sich dabei extrem stark in die Weltwirtschaft.4 Nach der Perio-de des Wachstums und der rasanten Reintegration Deutschlands in den Weltmarkt erschlaffte die wirtschaftliche Dynamik erstmals Ende der 1960er Jahre und die ersten Anzeichen der Weltwäh-rungskrise und der Stagflationsperiode der 1970er brachen herein. Dieser ökonomische Rahmen führte in der beginnenden Weltmarktdebatte zu einer anderen Fragestellung als es beispielsweise in der Dependenztheorie, die sich mit den Nord-Süd-Abhängigkeiten auseinandersetzte, der Fall war. Zentral waren die Verhältnisse der entwickelten Staaten untereinander sowie die Konfiguration des Weltmarktes, seine zunehmende Krisenhaftigkeit und die Bedeutung der Wechselkurse. Zudem erhoffte man sich mit dieser Debatte, Marx’ offene Stellen ein wenig schließen und seine Grundge-danken konkretisieren zu können. In den Grundrissen hatte Marx geplant, dem Weltmarkt in sei-nem späteren Hauptwerk ein eigenes Buch zu widmen. In den Folgejahren modifizierte und redu-zierte er seinen Plan zwar, klammerte aber selbst im 3. Band noch die „Konkurrenz auf dem Welt-markt“ mit dem uneingelösten Versprechen aus, dies später nachzuholen. Berufen konnte man sich auf lediglich wenige Textstellen im Kapital und in den Grundrissen, aber viel mehr als einige for-schungsleitende Thesen über den Weltmarkt hatte Marx nicht hinterlassen.

    3 Sie knüpften damit u.a. an die Kritische Theorie an. Herbert Marcuse schrieb: "Der Sowjetmarxismus hat den Charakter einer 'Verhaltenswissenschaft' angenommen. Die meisten seiner theoretischen Äußerungen haben eine pragmatische, instrumentalistische Absicht, sie dienen dazu, bestimmte Aktionen und Einstellun-gen zu erläutern, zu rechtfertigen, zu lenken, welche die eigentlichen 'Gegebenheiten' für diese Äußerungen sind" (Marcuse 1967, 32). 4 Der Automobilbau hatte seine Exportquote von 11,5 im Jahr 1950 auf 40,6 % 1970 ausgedehnt. Der Ma-schinenbau steigerte seinen Anteil in der gleichen Zeitperiode von 20,3 auf 35,5 %. Dies reflektiert auch das veränderte Gewicht Deutschlands auf dem Weltmarkt. Betrug der deutsche Anteil an der gesamten Weltaus-fuhr 1950 noch 3,5 % hatte er sich bis 1977 auf 10,5 % verdreifacht. Dies lag u.a. daran, dass Deutschland aufgrund seiner auf Produktionsmittelproduktion ausgerichteten Produktionsstruktur in der Expansionsphase des Weltmarkts, die mit einer erhöhten Nachfrage nach Produktionsmitteln einherging, besonders gut positi-oniert war (Altvater et. al. 1979). Im Gegensatz zu den Krisen seit Mitte der 1970er Jahre, die das „neo-merkantilistische“ Modell deutscher Wirtschaftspolitik in die Krise geführt haben, führten die „kleinen“ Krisen wie etwa 1966/67 zu einer Modernisierung und Vervollkommnung des deutschen Systems aus Lohn-politik, spezifischer Ausgestaltung industrieller Beziehungen und eine auf Unterbewertung der DM zielende Wechselkurspolitik (Altvater/Hübner 1988).

  • KLASSISCHE MARXISTISCHE IMPERIALISMUSTHEORIE UND „ STAATSMONO-POLISTISCHER KAPITALISMUS“ Die Debatte um die Rolle des Weltmarkts fand unter anderem in und um die linkssozialistische Zeitschrift PROKLA statt. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf drei Protagonisten der Debatte – Christel Neusüss, Klaus Busch und Claudia von Braunmühl.5 Die Weltmarktdebatte grenzte sich insbesondere von der wissenschaftlichen und politischen Dog-matisierung der Imperialismus- und Weltmarkttheorien zur Theorie des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ ab. Im Zusammenhang mit der Stalinisierung der kommunistischen Parteien auch außerhalb des Ostblocks degenerierte der Begriff Imperialismus zum Schlagwort sowjetischer Au-ßenpolitik. Lenins zeitlich gebundene Imperialismusanalyse wurde in den Rang eines Werkes von universalem theoretischem Gehalt gehoben. Nach 1945 wurde sie zur Theorie des „staatsmonopo-listischen Kapitalismus“ (SMK) erweitert – und erhielt damit den Rang einer (staats- und partei-)offiziellen Theorie des Imperialismus im Zeitalter der "Systemkonkurrenz" sowie einen damit verbundenen enormen politischen Einfluss, auch im Westen. Zum zentralen Weltkonflikt wurde der Kampf zwischen den "Kräften des Fortschritts und der Reaktion, zwischen Sozialismus und Imperialismus" erklärt. Plötzlich schien die Erde in zwei „Weltmärkte“ aufgeteilt zu sein. Der Kapitalismus insgesamt, so die These, steckte seit 1917 in einer "allgemeinen Krise" bzw. „Niedergangsperiode“ .6 Die allgemeine Krise und die zunehmende Monopolisierung bewirkten, dass der Kapitalismus nur noch über verstärkte politische Herrschaft, den Staat, funktionsfähig gehalten werden konnte. Durch die "staatsmonopolistische Regulierung" trat das Wertgesetz ten-denziell außer Kraft. Staat und Kapital verschmolzen dabei zu einem "einheitlichen Apparat". Das neuartige Verhältnis zwischen Kapital und Staat bedeutete, dass der Staat zum „ Instrument des Monopolkapitals“ wurde (vgl. Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED 1968, 1971; etwas weniger dogmatisch Boccara et al. 1973; Katzenstein 1973).7 Die SMK kommt, so Neusüss, über eine subjektivistische Theorie des Kapitalismus nicht hinaus, in der die Monopole die Geschicke der Welt lenken. Sie bleiben damit an der Erscheinungsoberfläche haften. Es wird nur ausgegangen vom "Profit- und Machtstreben der Monopole als der Erschei-nungsform, in welcher sich der Durchsetzungsprozess des gesellschaftlichen Zusammenhangs der Privatproduzenten auf der Oberfläche der kapitalistischen Produktion darstellt" (Neusüss 1972, 97). Es wird nicht weiter gefragt, "wie sich über diese Verfolgung des Privatinteresses der Welt-markt tendenziell als zusammenhängender Gesamtreproduktionsprozess des Kapitals herausbildet" (Neusüss 1972, 97) und sich dabei das Wertgesetz auf dem Weltmarkt, über die Konkurrenz der nationalen Kapitale vermittelt, durchsetzt. Neusüss unterscheidet zwischen der Leninschen Theorie und ihrer Fortsetzung in der Theorie des SMK. Erst in letzterer Form wurde die Leninsche Theorie "eigentlich" falsch. Dagegen verteidigt sie Lenins ungenügende begriffliche Erfassung der imperialistischen Erscheinungen wegen ihres "revolutionstheoretischen Inhalts", d.h. ihrer konkreten politischen Funktion in der Zeit ihrer Nie-derschrift. Über eine kluge Beschreibung der Welt gelangte Lenin in seiner Imperialismusschrift jedoch nicht hinaus. Theoretisch sei er hinter Marx zurückgefallen. Damit zusammenhängend ten-diere Lenins Analyse in Richtung der Vorstellung einer "Endkrise" des Kapitalismus, die der mo-nopolistischen Form des Kapitalismus entspringt und zur Gewalttätigkeit drängt, da jeder Griff nach einer ökonomischen Erweiterung eine "Neuaufteilung" schon beherrschter Regionen bedeutet. Die zentrale Kategorie des Monopols werde bei Lenin unzureichend erklärt. Das Zeitalter des Mo-nopolkapitalismus hat, so Lenin, die freie Konkurrenz abgelöst und der gesamte Markt hat eine überschaubare Gestalt angenommen. Wie es von Braunmühl ausgedrückt hat: „Mit anderen Wor-ten: über ihn kann subjektiv verfügt werden" (dies. 1973, 24). Ähnlich unbefriedigend sei Lenins Analyse der Krise und der ungleichen Entwicklung. Seine Her-leitung hebe nur eine Seite der warenproduzierenden Gesellschaft hervor – das Nichtvorhandensein einer gesellschaftlichen Planung bei der Produktion von Waren. Mit anderen Worten hantiere Le-

    5 Auf weitere, etwas später formulierte und in der Regel jeweils unterschiedlich begründete Ansätze zur Weltmarktanalyse kann hier nicht eingegangen werden (Vgl. Olle/Schoeller 1977, Siegel 1980, Sozialistische Studiengruppen 1981). 6 Dass der Kapitalismus nach 1945 seinen größten Boom erlebte, blieb der stalinistischen Orthodoxie mehr oder weniger verborgen. 7 Die politische Folge dieser These war eine klassisch reformistische: Wirtschaft und Staat waren verschmol-zen; durch die parlamentarische Regierungsübernahme einer „Volksfront“ war es nun möglich, die Macht der Monopole zu brechen und die Gesellschaft auf den Weg des Sozialismus zu bringen.

  • nin mit einer Disproportionalitätstheorie, bei der die Wirtschaftskrisen "nur" als Folge der Anarchie bzw. des ungeplanten Charakters des Marktes, der Unausgeglichenheit unterschiedlicher Sektoren innerhalb einer Wirtschaft, erklärt werden. Das zentrale Diktum bei Marx, demzufolge das Kapital sich seine eigene Schranke auch im Feld der Produktion "selbst" setzt, die sich im tendenziellen Fall der Profitrate manifestiert (Neusüss 1972, 89), wird konzeptionell nicht integriert. Insofern ist die Konkurrenz nicht nur ein anarchischer Prozess, sondern die Erscheinungsform der Durchset-zung des Wertgesetzes. Alles in allem tendiere die Leninsche Analyse daher dazu, zur moralischen Kategorie zu degenerieren (Neusüss 1972, 92).8 In einem der ersten Aufsätze zur Weltmarktdebatte wird im expliziten Gegensatz zur SMK formu-liert:

    „ Nicht die Ablösung des Konkurrenz- durch den Monopolkapitalismus wäre demnach die Erklärung für die neuen Erscheinungsformen der Kapitalbewegungen auf Weltmarktebene seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhundert, sondern die Brechung des englischen Welt-marktmonopols und die Entfaltung der Konkurrenz der großen nationalen Kapitale auf dem Weltmarkt. Nicht dass sich das Kapital von seinem Begriff entfernt und als Monopolkapital eine neue Qualität annimmt, würde diese Entwicklung kennzeichnen, sondern dass es histo-risch den Weltmarkt, welcher in seinem Begriff enthalten ist, wirklich hervorbringt und dass die Kapitalkonkurrenz sich von der bornierten nationalen auf die Ebenen des Weltmarktes verlagert, dass also das Kapital in seiner realen Bewegung seinem Begriff, Kapital auf dem Weltmarkt zu sein, tendenziell adäquat wird“ (Neusüss et. al. 1971, 21).

    WELTMARKTBEWEGUNGEN DES KAPITALS Das Leitmotiv für die Weltmarkttheoretiker ist Marx’ Aussage in den Grundrissen, dass die „Ten-denz den Weltmarkt zu schaffen […] unmittelbar im Begriff des Capitals selbst gegeben“ ist (Marx 1857-8/1976, 320f.). Während der klassische Imperialismus als Konkurrenz der Nationalstaaten begriffen worden sei, müsse man nun mit der Analyse des Weltmarktes und der Währungskrise auf einer werttheoretischen Ebene beginnen. In ihrem Buch Imperialismus und Weltmarktbewegung des Kapitals (1972) setzt Neusüss an der "klassischen" Marxschen Analyse an – die die Nichtidentität von "erscheinender" Oberfläche und der diesen Erscheinungen zugrunde liegenden "wesentlichen" Bewegungsgesetze konstatiert. Zu der Frage, wie sich der Weltmarkt entwickelt, also „vermittelt über die Konkurrenz der Kapitale […] und der damit verbundenen Herausbildung bestimmter historischer Funktionen des bürgerli-chen Nationalstaates" (Neusüss 1972, 7), ist bei Marx bis auf wenige Bemerkungen nicht viel zu finden. Diese Lücke zu schließen, ist die Aufgabe die sich auch Klaus Busch gesteckt hat. In sei-nem Werk Die multinationalen Konzerne. Zur Analyse der Weltmarktbewegung des Kapitals (1974) schließt er an Neusüss an und erweitert bzw. konkretisiert ihre Analyse. Den gehaltvollsten, aber niemals in einer größeren Arbeit zusammengefassten Ansatz entwickelt Claudia von Braun-mühl in mehreren Aufsätzen.

    8 Wie so oft in der marxistischen Debatte überformte die politische die theoretische Auseinandersetzung. Obgleich Neusüss sichtlich bemüht war, Lenins Schrift differenziert zu betrachten, wurde die Kritik an seiner Schrift als Kritik der gesamten klassischen marxistischen Imperialismustheorie verallgemeinert. In den 1970ern verband das intellektuelle Umfeld der PROKLA im Zuge des politischen Fraktionskampfes innerhalb der Linken diese als Ganzes aus dem Theoriearsenal. Aber damit spiegelte die Kritik nur die Apotheose an Lenin und schnitt sich selbst von einer theoretischen Tradition ab, in der Lenins Theorie nur einen kleinen Teil der vielfältigen Theorieansätze (Luxemburg, Bucharin, Hilferding) ausmachte. Die theoretisch fortge-schrittenste Arbeit jener Zeit – Bucharins Imperialismus und Weltwirtschaft – wurde gleich zum doppelten Opfer der Nicht-Rezeption. Erst von den Stalinisten verschwiegen, später wegen Bucharins zeitweiliger Nähe zu Stalin von der Neuen Linken ignoriert. Dabei war es gerade Bucharin, der einen methodologischen Per-spektivenwechsel in die Erforschung des internationalen Systems einführte, indem er es erstmals vor allem als globales Produktionssystem verstand. Er wählte die Beschaffenheit des Weltmarkts und nicht die Ver-hältnisse des Nationalstaates zum Ausgangspunkt seiner Analyse und konzipierte ihn als eigenständige Enti-tät in Wechselverhältnis mit den nationalen Kapitalismen (Nachtwey/ten Brink 2004; Nachtwey 2005).

  • Neusüss, Busch und von Braunmühl rekonstruieren die Marxsche Kapitalismusanalyse anhand einer Darstellung der Wirkungsweise des „Wertgesetzes“ auf dem Weltmarkt.9 Besonders von Braunmühl trägt an dieser Stelle einen methodisch zum bisherigen Marxismus differierenden An-satz der Kategorie Weltmarkt vor, der unten noch weiter erörtert wird. In der Auseinandersetzung mit den marxistischen Imperialismustheorien, vor allem der Lenins, entdeckt sie einen "heimlichen Konservatismus" – Imperialismus wird als eine Art "spill-over"-Problem verstanden, bei dem ein vormals national aktives Kapital über seine Grenzen hinaus greift und derart Konfrontationen mit anderen Kapitalien, die ebenfalls ihre internen Reproduktionszusammenhänge überschreiten, pro-voziert (von Braunmühl 1974, 35). Der Weltmarkt habe jedoch eine eigene Dichte und wirke auf die einzelnen Nationalstaaten mit erheblicher Wucht zurück. Neusüss und Busch versuchen in einer etwas anderen Weise mit Marx über Marx hinauszugehen. Eine Analyse der Weltmarktbewegung des Kapitals kann nicht bruchlos aus der inneren Natur des Kapitals abgeleitet werden, vielmehr sind die "modifizierten Formen", die "nationalstaatliche Exis-tenz des Kapitals" zu erarbeiten, in denen die allgemeinen Bewegungsgesetze auf dem Weltmarkt zum Durchbruch gelangen (Busch 1974, 11). Ausgehend von ihrer Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie versuchen sie diese auf die inter-nationale Sphäre auszuweiten. In der veränderten Form des Wertes, des Produktionspreises, drückt sich nicht nur aus, dass die Einzelkapitale "bereits zum gesellschaftlichen Gesamtkapital zusam-mengeschlossen sind", sondern auch, dass "jedes Einzelkapital – nur als Bruchstück des Gesamtka-pitals agierend – einen Anspruch auf gleiche Profitrate durchzusetzen versucht" (Neusüss 1972, 113 f.). Der Prozess des tendenziellen Ausgleichs der Profitraten mittels der Konkurrenz im Be-reich der Zirkulation führt auf nationaler Ebene zur Bildung eines "reellen Gesamtkapitals". Der Prozess der Durchsetzung des Wertgesetzes bringt das Wachstum der Produktivkräfte mit sich. Zugleich setzt er sich zyklisch und krisenhaft durch – die Krise wird als gesellschaftliche Form der Durchsetzung des Wertgesetzes "notwendig" (Neusüss 1972, 123). Neusüss verharrt hier noch auf einem hohen Abstraktionsniveau. Ein paar Kapitel später relativiert sie die Bildung der nationalen Gesamtkapitale, da diese in der Realität intern gespalten seien (Neusüss 1972, 173). Wie aber verhält es sich mit der Durchsetzung des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt, in der Form des Aufeinandertreffens vieler nationaler Gesamtkapitale? Mit anderen Worten: Was ist der Unter-schied zwischen nationaler und internationaler Zirkulation? Was verhindert die Bildung einer Welt-Durchschnittsprofitrate und damit letztlich eines internationalen Gesamtkapitals und evtl. eines Weltstaates? Nicht die "Reste" vorkapitalistischer Produktionsweisen verhindern, dass sich alle Warenbesitzer weltweit als Teile eines Gesamtkapitals gegenüberstehen, sondern die "politische Form des Natio-nalstaats", setzt der Entfaltung der Konkurrenz auf dem Weltmarkt Grenzen. Obwohl das Kapital den Weltmarkt herstellt, bringt es keinen Weltstaat hervor. Die "politische Zusammenfassung" der bürgerlichen Gesellschaft in Form von Nationalstaaten ist entscheidend für diese Entwicklung. Indem der Staat allgemeine materielle Produktionsvoraussetzungen herstellt, trägt er bedeutend zur Herstellung eines nationalen Gesamtkapitals bei. Als Institution, die auf kapitalistischer Grundlage, aber auch „neben und außer ihr" steht (Neusüss 1972, 126), hilft er dem Wirken des Wertgesetzes zum Durchbruch und schafft die Voraussetzungen für die Ausbildung einer inneren Sphäre der Zirkulation, indem alle vorkapitalistischen "Friktionen" beseitigt werden. Anhaltspunkte hierfür sind die ursprüngliche Akkumulation, die staatliche Normierung der wechselseitigen Aneignungs-

    9 Ihre Darstellung weist Schwächen auf. Zum einen wird das „Wirken“ des Wertgesetzes einfach vorausge-setzt. Zum anderen ist auch ihr konzeptioneller Ansatz fragwürdig. Selbst die Konkurrenz (und damit die Anarchie des Marktes) ist bei ihnen nur „Erscheinung“ der „Oberfläche“, nicht konstitutiver Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Das Wertgesetz erscheint derart als die Wirkungsweise eines fiktiven einzelnen, „allgemeinen“ Kapitals, nicht als Resultat der Wirkung der „vielen“ Kapitalien aufeinander – und damit als Ergebnis des Wirkens von Produktion und Zirkulation des Kapitals (vgl. Neusüss 1972, 110; Busch 1974, 34f.). Bei der Durchsetzung des Wertgesetzes geht es u.E. um die Verselbständigung ökonomischer Prozesse gegenüber den handelnden Akteuren. Wertform (Geld, Kapital) und Wertgesetz (Markt) zwingen den Menschen eine gewisse Logik auf und machen ihnen eine bestimmte Art von Rationalität plausibel – ein Druck, der sich hinter dem Rücken der Subjekte vollzieht. Der Kapitalismus als eine dezentrale Gesellschaft, der durch die drei K´s – Krise, Konkurrenz, Klassenkampf – charakterisiert werden kann, reguliert sich in dieser Form. Allerdings nur dauerhaft, wenn sich der kapitalistische Staat als besondere, relativ autonome Instanz herausbildet und behauptet.

  • beziehungen in Form des bürgerlichen Rechts sowie die Sicherung der freien Beweglichkeit des Kapitals und der Arbeit. Neusüss fasst dieses komplexe Verhältnis folgendermaßen zusammen:

    „ Das Kapital konstituiert sich zum gesellschaftlichen Gesamtkapital im Bezug der vielen Einzelkapitale vermittels der Konkurrenz aufeinander. Aus sich selbst heraus bringt aber das Kapital diesen Konstitutionsprozess wirklich nur zu Ende, wenn alle allgemeinen Be-dingungen, seien sie nun materieller, juristischer, im engeren Sinne politischer Art, die von Einzelkapitalen nicht hergestellt werden können, da sie nun einmal Einzelkapitale sind, vom Staat den historischen Bedingungen entsprechend produziert werden. Die die Zirkulation des Kapitals regulierenden Rechtsverhältnisse als Widerspiegelungen und Sanktionierung der ökonomischen Beziehungen der Warenbesitzer untereinander bilden in ihrer national-staatlichen Entstehungsweise und Beschränktheit den eigentlichen Unterschied zwischen na-tionaler und Weltmarktzirkulation. Zwar wird die Weltmarktzirkulation durchaus von Ansät-zen staatlicher Institutionen geregelt, zwar existieren prekäre Vertragsverhältnisse als Aus-drucksformen der Tendenz des Kapitals, den Weltmarkt als Zusammenfassung der Einzelka-pitale zum reellen Gesamtkapital hervorzutreiben, aber im Gegensatz zum nationalen Staat ist hier die Möglichkeit des Verfalls der ökonomischen Beziehungen in Plünderungsverhält-nisse, offene Übervorteilung und Enteignung immer gegeben. [...] Die Kategorie und reale Institution des Nationalstaats ist der Springpunkt für das Verständnis der Kategorie und re-alen Tatsache der Modifikation der Wirkung des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt" (Neusüss 1972, 136).

    Die „Modifizierung des Wertgesetzes“ 10 durch die nationale Separierung (u.a. durch Zölle) wird von einer weiteren, mit der nationalen Separierung zusammenhängenden Modifizierung, der Be-wegung der Wechselkurse, ergänzt. Der Zirkulationsprozess auf dem Weltmarkt unterscheidet sich von dem im Inneren auch dadurch, dass die internationale Zirkulation nicht wie in der nationalen Zirkulation nur über den Warenmarkt, sondern außerdem über den "Devisenmarkt" vermittelt wird. Die Zirkulationskette W-G-W wird zur Kette W-G-Devisen-W, da der Tausch der nationalen Wäh-rungen zwischen den Tausch der Waren tritt (Neusüss 1972, 145). Betrachtet man den Kapitalexport in seinen verschiedenen Ausprägungen, und nicht nur den Wa-renexport, die Zirkulation von Kapital in Warenform, kann eine neue Entwicklung beobachtet wer-den, so Neusüss. Diese Kapitalformen (z.B. die multinationalen Konzerne) treten ohne die modifi-zierende Wirkung des Wertgesetzes unmittelbar in der inneren Zirkulationssphäre anderer Natio-nalstaaten auf. Die Entwicklung der "Internationalisierung der Produktionsprozesse" und nicht mehr nur der "Internationalisierung der Zirkulation von Waren- und Geldkapital" hat im Vergleich zu 1914 erheblich zugenommen – sie treiben die Bildung zum "reellen Weltgesamtkapital" voran (Neusüss 1972, 153 ff.). Dennoch darf diese Tendenz nicht verabsolutiert werden, da die Nationalstaaten in diesem Prozess wichtige Akteure bleiben. Außerdem verlaufen die damit verbundenen ökonomischen Ausglei-chungsprozesse in der Weise, dass sie die Verhältnisse im Norden tendenziell angleichen, die Un-gleichmäßigkeit der Entwicklung Nord-Süd jedoch verstärken. Zudem setzen die wiederkehrenden Wirtschaftskrisen, die Neusüss mit dem tendenziellen Fall der Profitrate in Verbindung bringt, diesem Prozess immer wieder Grenzen. Alles in allem bleibt der Unterschied zwischen nationaler und internationaler Zirkulation bestehen – mit potentiell verheerenden Folgen eines Rückfalls in die Rohheit der inter-imperialistischen Konkurrenz, wie Neusüss schlussfolgert.11 Busch entwickelt noch einige Erweiterungen der Weltmarktanalyse. Auch er versteht den Welt-markt als eine Zusammensetzung verschiedener, national voneinander abgegrenzter Zirkulations-

    10 Die Modifizierung des Wertgesetzes wird bei Marx in Bezug auf die nationale Verschiedenheit der Ar-beitslöhne bereits diskutiert – im 20. Kapitel des ersten Bandes des Kapitals (Marx 1972, 583 ff.). 11 Sie schreibt: „Die Konkurrenz als 'Kampf der feindlichen Brüder' kann auf der Ebene des Weltmarkts um-schlagen in den Kampf mit allen Mitteln […]. Ruhe und Ordnung als Voraussetzung für den bürgerlichen Tauschverkehr bzw. die Kapitalverwertung ist auf dem Weltmarkt nie in der berechenbaren und einklagbaren Weise gesichert, wie das auf dem nationalen Markt vom Staat […] garantiert wird; auf dem Weltmarkt be-steht vielmehr immer die Möglichkeit eines Rückfalls in 'unzivilisierte', nämlich vorbürgerliche Formen der Aneignung (z.B. direkter Raub oder Vernichtung von Gütern und Menschen, Sklaverei, zumindest aber Pro-tektionismus und Autarkie, also politische Beschränkung oder Zerstörung des Weltmarktzusammenhangs). Anders ausgedrückt: die Krise des Kapitals als Weltkapital ist nicht bloß Weltwirtschaftskrise, sondern im Maße ihrer Zuspitzung zugleich politische Krise und Zusammenbruch einer schon erreichten Entwicklungs-stufe kapitalistischer Produktion, bis hin zum Krieg – oder zur Revolution" (Neusüss 1972, 189).

  • sphären.12 Kapitalistische Konkurrenz ist über nationale Schranken vermittelt, die „sich im ein-fachsten Falle (also abgesehen von Importzöllen und sonstigen Importbelastungen, Exportprämien etc.) als Grenzpfähle der verschiedenen nationalen Zirkulationssphären, als Wechselkurse näm-lich, darstellen“ (Busch 1974, 38). Er ergänzt diese Feststellung mit einer empirischen Untersu-chung der "Internationalisierung der Mehrwertproduktion" nach 1945. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Internationalisierung der Mehrwertproduktion nicht nur Resultat spezifisch histo-rischer, mit Krisen verbundener Etappen ist, sondern als "allgemeine" Tendenz des Kapitals be-zeichnet werden muss. Dabei sind es gerade die Folgen der Modifizierung des Wertgesetzes, die das Umschlagen der Internationalisierung der Mehrwertrealisierung (v.a. in der Form des Waren-austauschs) in die Internationalisierung der Mehrwertproduktion (v.a. in der Form des Kapitalex-ports) bewirken. Warum? Der Kapitalexport ist nicht nur oder vorwiegend aus dem Krisenzyklus abzuleiten, wie es Hilfer-ding und Lenin versuchten. Die Intensität von Kapitalexporten kann in Boomzeiten höher als in Krisenzeiten liegen. Die Ursache für den Fehler in der klassisch-marxistischen Imperialismustheo-rie liegt darin begründet, dass damals die Entwicklung der Kategorien im Kapital nicht als logische Darstellung der zu allen (kapitalistischen) Zeiten wesentlich bestimmenden Größen und Gesetzmä-ßigkeiten verstanden wurde, sondern als "Widerspiegelung" der historischen Entwicklung des Ka-pitalismus von der einfachen Tauschwirtschaft zum Monopolkapitalismus (Busch 1974, 256). Es gibt aber, so Busch, keine "Ablösung" der Phase der freien Konkurrenz durch eine Monopolwirt-schaft. Die Konkurrenz und das Wertgesetz wirken weiter. Das Monopol hat immer sporadischen Charakter, das Profitratengefälle beispielsweise zwingt zur Umorientierung der Kapitale, Marktab-sprachen können in der Krise platzen etc. Insgesamt stehen beide Ansätze, die klassische Imperialismustheorie und die neuere Weltmarktthe-orie, "in keinem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander". Es gilt vielmehr "aufzuzeigen, in wel-cher Weise die allgemeinen Bewegungsgesetze des Kapitals in den sich historisch wandelnden Formen exekutiert werden“ (Busch 1974, 257 f.). Es besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Ergänzungsverhältnis der Erklärung der Internationalisierung durch die modifizierte Wirkungswei-se des Wertgesetzes und der Ableitung durch die Überakkumulations- und Monopolisierungsten-denz. Mit anderen Worten: In Zeiten der Monopolisierung und der Überakkumulation können die allgemeinen Tendenzen sehr wohl verstärkt werden. Buschs Insistieren darauf, dass die objektive Tendenz zur Internationalisierung des Kapitals zwar zu einer supranationalen politischen Instanz drängt, diese sich aber an der ungleichmäßigen und ungleichzeitigen Entwicklung der verschiedenen Nationen bricht, wird in der Untersuchung Die Krise der Europäischen Gemeinschaft (1978) genauer erörtert. Busch schlussfolgert damals: "An-gesichts der ungleichen ökonomischen Potentiale der Mitgliedsländer sind die Versuche, den öko-nomischen Integrationsprozess über die Zollunion hinaus zu vertiefen, zum Scheitern verurteilt" (Busch 1978, 197). In einer Periode tiefer Krisen drohe der Rückfall in den Protektionismus. Eine echte Wirtschafts- und Währungsunion könne höchstens noch durch "den politisch-militärischen Druck einer imperialistischen Führungsmacht“ durchgesetzt werden, die aber in der EG nicht ab-sehbar sei (Busch 1978, 197f.).13 Claudia von Braunmühl greift das Theorem der modifizierten Wirkungsweise des Wertgesetzes an. Ihr zufolge exekutiert das Wertgesetz seine Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich in modifizierter Form. Eine modellartige "Eigentlichkeit" der Wirkungsweise des Wertgesetzes existiert nicht, wes-halb sie das in diesem Ansatz analysierte Verhältnis von Wertgesetz und Geschichte als problema-tisch bezeichnet. Es ist falsch, den Staat (und seine Interventionen) aus der Gesamtheit gesell-schaftlicher Entwicklungen herauszuschneiden, ihn werttheoretisch als äußerlich zu betrachten, ihm "gleichsam exterritorialen Status zuzuschreiben" (von Braunmühl 1976, 325). Ähnlich fraglich ist der bei Neusüss, Busch und anderen unternommene Versuch, das "nationale" Kapital auf dem Weltmarkt als "individuelles", welches anderen individuellen nationalen Kapitalen begegnet, zu verstehen. Diese Herangehensweise verweist auf einen falschen Abstraktionsgang und eine Unter-schätzung des Monopols als dominantem Kapitaltyp.14 12 Ähnlich auch Altvater (1969, 143). 13 Wie an dieser ungenauen Einschätzung zu sehen ist, macht Busch (ähnlich wie Neusüss an anderen Stel-len) den Fehler, Staatsverhalten einfach ökonomisch abzuleiten, ohne politische Faktoren, Klassenstrategien und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse einzubeziehen. 14 Das Monopol als nach Internationalisierung strebende Formation wird in diesem Ansatz "theoretisch zer-stückelt" und in seine nationalen Einzelteile zerlegt. Es "taucht dann zweimal auf, einmal als potentes Einzel-

  • Von Braunmühl kritisiert zu Recht bei den Ansätzen von Neusüss und Busch, wie auch bei einem Großteil der Staatsableitungsdebatte, die Gefahr, die Rolle der Subjekte bzw. des Klassenkampfs zu unterschätzen und nur noch den objektiven "Selbstlauf" des Wertgesetzes zu untersuchen – der Großteil der damaligen Debatte sei im "Bannkreis von Ableitungschoreographien befangen" (von Braunmühl 1976, 326). Sie kritisiert außerdem die Staatstheorie der beiden. Von Braunmühl setzt den Staat begrifflich nicht „neben“ und „außerhalb“ des Kapitals, sondern versteht ihn als der kapi-talistischen Produktionsweise immanent – allerdings, und hier unterscheidet sie sich zugleich vom Großteil der Staatsableitungsdebatte, grundsätzlich nur im Plural. WELTMARKTDEBATTE UND WELTWÄHRUNGSKRISE Ein großer Teil der Weltmarktdebatte hat sich im Vorfeld und zur Zeit des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems abgespielt. Folglich wurden die Rolle von nationalen Währungen, Wech-selkursen und Weltgeld von Beginn an mit in die Analyse einbezogen. Dabei wird die „Weltwäh-rungskrise“ (Altvater 1969) als Ausdruck einer sich allgemein abzeichnenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus gesehen. Der (neo-)klassischen Dichotomie von Realwirtschaft und Geldzirkulation wird das Zusammenspiel von Krise in der Produktionssphäre und in der Zirkulationssphäre entge-gengesetzt. Dafür wird in kategorialer und empirischer Hinsicht die Rolle des Dollars in seiner Form und Funktion als Weltgeld analysiert. Weil in der internationalen Zirkulation die Handlungen von Kauf und Verkauf auseinander fallen können, sind hierin auch Erscheinungsformen von Weltmarktkrisen gegeben. Durch die Notwen-digkeit des Devisenumtauschs beim internationalen Handel findet eine Verdopplung der Zirkulati-on statt, die die Warenmetamorphose komplizierter macht. Neusüss et. al kommen sogar zu dem – überspitzten, und nicht hinreichend hergeleiteten – Ergebnis, „dass der mit Notwendigkeit krisen-hafte Charakter der Durchsetzung des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt seine erste Erscheinungs-form in den Weltgeldkrisen, d.h. in Weltwährungskrisen hat“ (Neusüss et. al 1971, 94). Der Dollar muss in seiner Rolle des Weltgeldes als Reserve-, Leit- und Interventionswährung die-nen und die dafür nötige Legitimität besitzen. Darüber hinaus ist er auch ein Vehikel des US-Imperialismus, der die anderen Staaten strukturell an die USA und ihre Handelsinteressen bindet sowie sie zwingt, den Vietnamkrieg zu finanzieren: „So implizierte die Anerkennung des Dollar als Weltgeld durch die kapitalistischen Staaten notwendig die ökonomische Stützung (und in der Regel auch die politische Stützung) des US-Imperialismus überall in der Welt“ (Neusüss et. al. 1971, 87f). Der Produktivitätsrückgang der USA gegenüber dem Rest der Welt hat folgende Auswirkun-gen: Die Handelsbilanz der Vereinigten Staaten wird zum ersten Mal seit dem Ende des 19. Jahr-hunderts negativ und der Dollar büßt seine stabile Rolle als Leitwährung im Bretton-Woods-System ein. Dies wurde durch den Export der Rüstungsinflation im System fixer Wechselkurse und den gleichzeitig entstandenen Abwertungsdruck verstärkt. Die ausgleichende Rolle des Wechselkursmechanismus spielt eine zentrale Rolle für die Modifizie-rung des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt. Produktivere Nationen können günstiger auf dem Weltmarkt anbieten; deshalb werden ihren Waren stärker nachgefragt mit der Folge, dass auch die Nachfrage nach der jeweiligen nationalen Währung steigt. Daraufhin wertet diese Währung auf und die Exporte verteuern sich. In den weniger produktiven Ländern verhält es sich genau umgekehrt. Die geringe Nachfrage nach den Produkten reduziert auch die Nachfrage nach der Währung. Diese wertet daraufhin ab und verbessert die Exportfähigkeit des Landes. Dies sind, so die Weltmarktthe-oretiker, Mechanismen, die immer wieder Möglichkeiten zur strukturellen Aufholfähigkeit von weniger entwickelten Ländern bergen. Dabei akzentuiert Busch die Rolle der Wechselkurse deut-

    kapital innerhalb des nationalen Reproduktionszusammenhangs und einmal als Teil des nationalen Kapitals in der Weltmarktkonkurrenz, unterliegt indes in diesen beiden Eigenheiten unterschiedlichen Gesetzmäßig-keiten" (von Braunmühl 1976, 325). In Wirklichkeit ist es aber immer das gleiche Monopol, dessen in diesem Zusammenhang entscheidende Funktion, nationale Produktionsprozesse aufzulösen und internationale herzu-stellen, „ bei dieser Vorgehensweise negiert werden muss. Damit ist aber die materielle Basis der Problem-stellung hinwegtheoretisiert bzw. es entsteht der unsinnige Zwang, Imperialismustheorie ohne einen Begriff vom Monopol zu betreiben. Die Widersprüche, die aus der Gleichzeitigkeit von Nationalität und Internatio-nalität monopolistischer Einzelkapitale resultieren, unterliegen erheblichen analytischen Verzerrungen" (von Braunmühl 1976, 325). Das Monopol, hier aus der theoretischen Entfaltung abgetrennt, muss dann quasi hinterrücks wieder eingeführt werden.

  • lich stärker als Neusüss15 und entwickelt an dieser Stelle eine von ihrem Ansatz differierende Ant-wort auf die Frage, weshalb sich schwächere Nationen trotz aller Nachteile relativ konkurrenzfähig halten können:

    „Die Waren der höher entwickelten Nation erhalten über die Aufwertung der Währung ihres Landes oder die importierte Inflation einen höheren internationalen Preisausdruck, wäh-rend sich umgekehrt die Waren der weniger entwickelten Nation nach der Abwertung oder der Deflation in niedrigeren internationalen Preisen darstellen“ (Busch 1974, 39).

    Schwächere Staaten werden dadurch geschützt, dass der internationale Konkurrenzkampf über die Wechselkurse, die "Grenzpfähle der nationalen Zirkulationssphären" (Busch 1974, 42), vermittelt ist. Dieser "Schutzmechanismus" modifiziert das Wertgesetz und etabliert auf diese Weise über-haupt erst eine internationale Arbeitsteilung zwischen den ungleich entwickelten Staaten.16 Auf-grund des „Schutzgesetzes“ des internationalen Wertgesetzes setzt sich eine Arbeitsteilung durch, die die einzelnen Nationen auf die Produktion ihrer jeweils komparativ günstigsten Waren speziali-siert. Insofern stimmen diese Fakten im Kern auch mit dem "Theorem der komparativen Kosten" (Ricardo) überein (Busch 1974, 74).17 Hier ist eine der problematischen Ambivalenzen von Buschs Argumentation zu finden. In seiner Kritik an der Dependenzthese von der Unmöglichkeit der Ent-wicklung schlägt er ins andere Extrem um und entwickelt eine gewisse Nähe zu den Modernisie-rungs- und Globalisierungstheorien der Gegenwart, die die Handelsvorteile und Produktivitätsge-winne der internationalen Arbeitsteilung überhöhen. Busch und Neusüss kritisieren die Theorien des „ungleichen Tausches“ (Emmanuel, Amin). Es findet, so Neusüss (1972, 140f.) und Busch (1974, 57ff.) übereinstimmend, kein ungleicher Tausch von international ungleichen Werten, sondern lediglich von unterschiedlichen Arbeitsquanta statt. Voraussetzung für diesen Ansatz sei die Vermittlung der Konkurrenz auf dem Weltmarkt durch Staaten. Ausdruck dafür sei, dass sich nicht einfach konkurrierende Einzelkapitale gegenüber trä-ten, sondern nationale Kapitale mit dem nationalen Geld als Darstellungsform. Marx ging davon aus, dass die nationalen Durchschnitte der Arbeit eine Stufenleiter bilden, deren Maßeinheit die

    „Durchschnittseinheit der universellen Arbeit ist. Verglichen mit der weniger intensiven produziert die intensivere Arbeit in gleicher Zeit mehr Wert, der sich in mehr Geld aus-drückt. Noch mehr aber wird das Wertgesetz in seiner internationalen Anwendung dadurch modifiziert, dass auf dem Weltmarkt die produktivere nationale Arbeit ebenfalls als intensi-vere zählt, sooft die produktivere Nation nicht durch die Konkurrenz gezwungen wird, den Verkaufspreis ihrer Ware auf ihren Wert zu senken […] Die verschiedenen Warenquanta derselben Art, die in verschiedenen Ländern in gleicher Arbeitszeit produziert werden, ha-ben also ungleiche internationale Werte, die sich in verschiedenen Preissummen ausdrü-cken“ (Marx 1867/ 1972, 583f).

    Neusüss schließt daraus: „An die Stelle der durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit als Kategorie der Warenproduktion und Zirkulation beim nationalen Gesamtkapital tritt auf internationa-ler Ebene die Kategorie der universellen Arbeit als gewogener Durchschnitt der Stufenfolge der Produktivitätsgrade und Intensitätsgrade der Arbeit der nationalen Kapitale, und zwar für Waren, die auf dem Weltmarkt getauscht werden“ (dies. 1972, 139).

    15 Neusüss betont, dass durch die Währungsaufwertung das fortgeschrittene Land (temporär) Extraprofite erlangen kann und sich über den Wechselkursmechanismus ein gleicher Weltmarktpreis herausbilden könne, ohne dass sich die Produktivitätsniveaus angleichen müssten. Obwohl sie die grundsätzliche Rolle der Wech-selkurse genauso analysiert, ist sie im Gegensatz zu Busch deutlich vorsichtiger in der Einschätzung der durch die Wechselkurse induzierten Konvergenzmöglichkeiten. 16 Wenn das Wechselkursgefüge die ärmeren Länder schützt, warum erheben diese dann Einfuhrzölle? Busch erklärt dies dadurch, dass in besagten Ländern trotzdem Forderungen an den Staat erhoben werden, um die unterdurchschnittliche Produktivität zu schützen. Außerdem zwingt der nebenherlaufende Prozess des un-gleichen Tausches ärmere Staaten zur Entfaltung ihrer Produktivkräfte (Busch 1974, 90 ff.). Importzölle in reichen Staaten haben im Allgemeinen mit der partiellen "Abschirmung der Konkurrenz von außen" zu tun, um die "Realisierungsbedingungen im Inneren" zu verbessern. Dies steht an sich im Gegen-satz zur allgemeinen Weltmarkttendenz des Kapitals. Daher sind gerade Zeiten des Aufschwungs (wie nach 1945) Zeiten der Liberalisierung (Busch 1974, 93 f.). 17 Die Aneignung von Extraprofiten durch überdurchschnittlich produktive Kapitale auf dem Weltmarkt wegen des besagten Wechselkursmechanismus ist eine nur vorübergehende Möglichkeit. In dem Aufsatz Internationale Arbeitsteilung und Internationalisierung des Kapitals. Bemerkungen zur neueren französi-schen Weltmarktdiskussion (1981) untermauert Busch diese Thesen.

  • Die einzelnen Nationen nehmen also entsprechend ihrer nationalen Arbeitsproduktivität und -intensität einen Rangpunkt auf der Stufenleiter der universellen Arbeit ein. Im Vergleich mit der weniger intensiven universellen Arbeit produziert die intensivere mit den gleichen Arbeitsquanta mehr Wert. Mit anderen Worten: auf dem Weltmarkt tauschen sich gleiche internationale Werte, es gilt der Äquivalententausch, aber ungleiche Arbeitsquanta. Es findet daher auch – im Gegensatz zu den Annahmen der Dependenztheorie18 – keine Mehrwertübertragung aus den weniger entwickel-ten in die stärker entwickelten Länder statt. Weil die entwickelteren Länder überdurchschnittlich produktiv sind, können bei gegebenen Weltmarktpreisen Extraprofite gegenüber weniger produkti-ven Nationen auf dem Weltmarkt erreicht werden. Dadurch kann die durchschnittliche Profitrate im entwickelten Land steigen. Trotz des ungleichen Tausches von verschiedenen Arbeitsquanta könne das weniger entwickelte Land jedoch aufgrund des oben dargestellten „Schutzmechanismus“ der Wechselkurse von der gestiegenen internationalen Arbeitsteilung profitieren. Neusüss verweist auch auf die Möglichkeit, dass die weniger entwickelten Länder über niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten eine höhere Profitrate auf dem Weltmarkt erzielen könnten (Neusüss 1972, 145ff). So zwingend die Argumentation der Weltmarkttheoretiker hier erscheint, sie ist kategorial und empirisch noch lückenhaft. Ihre Argumentation beruht auf der Zusammenfassung der Einzelkapita-le unter das nationale reelle Gesamtkapital. Aber diese Sichtweise wirft ein Problem auf: die un-gleiche Entwicklung der Sektoren, die nur national oder international gehandelte und/oder produ-zierte Güter herstellen. Wie z.B. Brenner empirisch gezeigt hat, sind es vor allem die in den Welt-markt integrierten Sektoren, deren Profitraten stärker gefallen sind (Brenner 1998). Mit anderen Worten, man müsste das nationale reelle Gesamtkapital mit der Weltmarktintegration des Landes gewichten und sektoral genauer untersuchen. DIE VIELZAHL VON EINZELSTAATEN Von Braunmühl verknüpft die Weltmarktdebatte mit einigen Einsichten der materialistischen Staatstheorie. In ihren Aufsätzen stellt sie, wie beschrieben, den Weltmarkt als die angemessene Ebene dar, von der aus die Kapitalbewegungen sowie generell das Wirken des Wertgesetzes be-trachtet werden sollten. Anstatt beim nationalen Kapital und dem einzelnen Staat zu beginnen (und in der Regel zu verbleiben), schlägt von Braunmühl vor, eine Imperialismusanalyse aus der "ent-faltesten Erscheinungsform" des Kapitals zu explizieren. Jene Erscheinungsform ist der fragmen-tierte Weltmarkt, worin, Marx zitierend, die "Produktion als Totalität gesetzt ist und ebenso jedes ihrer Momente, worin aber zugleich alle Widersprüche zum Prozess kommen. Der Weltmarkt bildet […] ebenso die Voraussetzung des Ganzen und seinen Träger" (Marx 1857-8/1976, 151f.). Das Kapital schreitet vom inneren Markt fort zum Weltmarkt, ein internationaler gesellschaftlicher Vorgang, der sich hinter dem Rücken der Produzenten herstellt. Sie betont dabei, dass die "Einheit des gesellschaftlichen Produktionsprozesses […] sich vermittels des Wertgesetzes krisenhaft gel-tend" macht (von Braunmühl 1973, 32). Die Herausbildung des Kapitalismus ist gleichzeitig Er-gebnis eines "gigantischen, gewaltsamen Umverteilungsprozess von Werten auf dem Weltmarkt, der Teil der ursprünglichen Akkumulation in den Metropolen ist" (von Braunmühl 1973, 32). Der Weltmarkt ist zur Sphäre eines globalen Produktions- und Tauschzusammenhangs geworden, innerhalb dessen das Kapital über nationale Schranken hinaustreibt und zum Weltkapital tendiert. Diese Tendenz gilt es, "akkumulationstheoretisch" gefasst, auf Weltmarktebene zu analysieren. Es muss die "Akkumulation des Kapitals auch kategorial im Weltmarktzusammenhang rekonstruiert werden. Dieser Totalität gegenüber wären historische Zersplitterungen, Eingrenzungen, die politi-sche Zusammenfassung im Nationalstaat, nationale Staatsapparate und deren Handeln als das Besondere analytisch zu bestimmen" (von Braunmühl 1974, 39). Bucharin folgend, macht sie einen wachsenden Widerspruch zwischen Internationalisierung und Nationalisierung des Akkumulati-onsprozesses aus, der sich aber nicht in Richtung „Globalisierung“ auflöst.

    18 Mit der Dependenz- und später der Weltsystemtheorie setzt sich Busch (1974, 64ff; Busch 1985) ausführ-lich auseinander, seine differenzierte Antwort würde aber diesen Aufsatz sprengen. Vor allem kritisieren Busch und auch Neusüss die Annahme, dass sich eine durchschnittliche internationale Profitrate und interna-tionale Produktionspreise durchsetzen, denn nur diese würde einen Werttransfer gewährleisten. Diese werde jedoch durch die nationalstaatliche Verfasstheit des Kapitals blockiert und habe zudem keine empirische Grundlage.

  • Den Imperialismus selbst definiert sie als "die von den Verwertungsimperativen der fortgeschrit-tensten Kapitale in den Metropolen bestimmte Strukturierung des Weltmarktes […] einschließlich daraus resultierender politischer Herrschaftsformen, Formen der ökonomischen und politischen Abhängigkeit und der Formierung von Lebensverhältnissen" (von Braunmühl 1973, 59). Der Impe-rialismusbegriff ist in den Dimensionen von „ internationaler Arbeitsteilung und Klassenkampf unter Bestimmung der historisch veränderten Funktion nationaler Staatlichkeit zu fassen“ (von Braunmühl 1974, 31). Imperialistische Strategien zielen darauf, dem tendenziellen Fall der Profit-rate entgegenzuwirken, indem beispielsweise Rohstoffe unter ihrem Wert aufgesogen oder vorteil-hafte Formen von Kapitalexport betrieben werden. Auch der ungleiche Tausch fungiert als eine solche Gegenstrategie.19 Hinzu kommt die nackte, staatliche Gewalt in Form militärischer Interven-tionen. Leider klammert sie dabei, genauso wie Neusüss, die Bedeutung der sogenannten "realsozi-alistischen" Staaten völlig aus (von Braunmühl 1973, 59). Der Weltmarkt ist fragmentiert in verschiedene Sphären – die der vielen Staaten. Deshalb gilt es nicht nur den Staat im Allgemeinen, sondern "die spezifische politische Organisiertheit des Welt-marktes in viele Staaten" analytisch zu ergründen (von Braunmühl 1974, 39). Das Mittel hierfür ist die sorgfältige historische Analyse der spezifischen Bedingungen, unter welchen sich verschiedene nationale Gesamtkapitale herauskristallisiert haben. Dabei kann die Form des Staates als politische Organisation "separierter Reproduktionszusammenhänge" nicht nur aus "gleichsam internen Di-mensionen der warenproduzierenden Klassengesellschaft allein abgeleitet werden" (von Braun-mühl 1974, 39) – die Rolle des jeweiligen Staates in seinem spezifischen Verhältnis zum Welt-markt und zu anderen Staaten muss immer von vornherein mit in die Analyse einbezogen werden. Wie begründet von Braunmühl die Existenz der „vielen“ Staaten? Selbst bei Marx lässt sich keine Antwort auf diese Frage finden – eher wird bei ihm die "Vielstaatlichkeit" des Weltmarktes vor-ausgesetzt als zu einem Problem erklärt. Weil eine stringent "logische" Ableitung nicht möglich ist, so von Braunmühl, bleibt einzig die historische Analyse (von Braunmühl 1976, 280). Dabei weist die Autorin darauf hin, dass sie bestimmte, für eine historisch-konkrete Analyse notwendige "Ver-mittlungsmomente", wie geographische, historische und politische Besonderheiten, in ihrer, auf einem hohen Abstraktionsniveau vorgetragenen, Entfaltung der Grundkategorien ausblendet (von Braunmühl 1973, 13). Am geschichtlichen Beispiel von England, Frankreich, Deutschland und den USA zeigt sie nun auf, dass der jeweilige Prozess der Erzeugung und Festigung kapitalistischer Verhältnisse keineswegs als "lediglich innendeterminiert" zu verstehen ist, sondern zu jeder Zeit von der Weltmarktbewe-gung des Kapitals geformt wurde, obgleich sich diese Bewegung (die Kraft des Weltmarktzusam-menhangs) geschichtlich erst allmählich, besonders ab Mitte des 19. Jahrhunderts, verdichtete. Die Ausbildung von moderner Staatlichkeit, nationaler Staatsapparate, deren Verhältnis zur Gesell-schaft und die Klassenverhältnisse müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden.20 An diesem Punkt diskutiert von Braunmühl den Stand der materialistischen Staatstheorie. Die Staatsableitungsdebatte bleibt "in den Grenzen einer gleichsam innengeleiteten Bestimmung des bürgerlichen Staates befangen" (von Braunmühl 1976, 275). Staatliches Agieren wird nur als Re-sultat innergesellschaftlicher Prozesse verstanden – ein im "imperialistischen Stadium des Kapita-lismus" elementarer Fehler. Selbst wenn die "externe" Determinierung staatlichen Handelns aner-kannt wurde, sei folgende Einsicht bisher nicht auf die theoretische Ebene gelangt: Der Kapitalis-

    19 Von Braunmühl konzentriert sich wie viele andere Autoren in ihrer Darstellung imperialistischer Praktiken auf die Nord-Süd-Verhältnisse und analysiert vorwiegend das Verhalten der Metropolen. Sie sieht aber im Unterschied zu Teilen der Dependenztheorien sehr wohl ein "Interesse" des Kapitals, zumindest zur partiel-len Industrialisierung des Südens beizutragen. Hierfür wird allerdings der Staat gebraucht, wie sie am Bei-spiel der Entwicklungshilfe exemplifiziert: "Die sogenannte Entwicklungshilfe ist ein Ausdruck des Wider-spruchs zwischen notwendiger, jedoch vom Kapital aus nicht zu leistender Kapitalexpansion. Indem die Ent-wicklungshilfe den Aufbau infrastruktureller Voraussetzungen rentabler Kapitalanlagen fördert, ist sie objek-tiv Hilfe nicht nur für die unterentwickelten Länder, sondern für das private Kapital der Metropolen" (von Braunmühl 1973, 85). Der "Neokolonialismus" sichert sich hierüber Einflusssphären. 20 Die Entwicklung Preußen-Deutschlands, einem um 1800 im Vergleich zu England und auch noch Frank-reich unterentwickelten Gebiet, ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Anstoß für die kapitalistische Entwick-lung überwiegend von "außen" kam – in Gestalt der Niederlage Preußens von 1806 und der nachfolgenden französischen Besatzung, die die "innere Morschheit und Schwäche Preußen-Deutschlands" bloßlegte (von Braunmühl 1976, 296). Die fehlende innergesellschaftlicher Eigendynamik wurde durch den Druck des Weltmarktzusammenhangs durchbrochen.

  • mus ist ein internationales Staatensystem, bestehend aus vielen Nationalstaaten. Eine adäquate Analyse hat daher jede einzelne Volkswirtschaft und jeden Staat als integrales Element des Welt-markts zu betrachten. "Ist der Weltmarkt die Basis und der integrale Raum der kapitalistischen Produktionsweise“ , so ist der bürgerliche Nationalstaat zugleich konstitutiv für sie (von Braunmühl 1976, 315). Ohne die im bürgerlichen Staatsapparat lokalisierte politische Gewalt ist die Entwick-lung der kapitalistischen Produktionsweise nicht vorstellbar. 21 Am Beispiel der USA exemplifiziert von Braunmühl die Notwendigkeit der Bildung vieler separa-ter Staaten: Historisch betrachtet entfaltet sich der Konflikt zwischen den einstmals englischen Kolonien und dem britischen Empire zu dem Zeitpunkt im 18. Jahrhundert, als mit der ursprüngli-chen Akkumulation einschneidende Weichenstellungen in der Frage der Verfügungsgewalt über das angehäufte Kapital herannahen und die

    "ökonomische Disposition zugunsten Englands die ökonomische und politische herrschaftli-che Autonomie der Kolonien zentral gefährdet. Die politische Selbstbestimmung der herr-schenden Klassen in den USA verlangt die Konstitution zum eigenen bürgerlichen Staat als Voraussetzung der ökonomischen Fundierung jener Herrschaft durch die kapitalistische Produktionsweise. Das freiheitliche Pathos des Unabhängigkeitskriegs ist im Kern nichts anderes als die Legitimationshülle konkurrierender Herrschaftsansprüche, die hier noch je-ner formalen Konstitution bedürfen, die in Europa als territoriale Souveränität schon gege-ben war" (von Braunmühl 1976, 318).

    Der Form des bürgerlichen Staates kommt die "Funktion" zu, als hoheitsrechtlich ausgestatteter, separierter Brennpunkt die politisch-ökonomische Herrschaft von international konkurrierenden herrschenden Klassen sowohl nach innen als auch außen zu sichern. Die Staatsform, von welcher außerordentlichen wirtschaftlichen Bedeutung auch immer, ist dabei nur im Rekurs auf das "politi-sche Moment von Herrschaft, das im ökonomischen Gewaltverhältnis von Lohnarbeit und Kapital selbst enthalten ist, und [in den] konkurrierenden Herrschaftsansprüche[n] rivalisierender Herr-schaftsinhaber" zu verstehen (von Braunmühl 1976, 319). Der Staat ist "Garant und Regulator der im nationalstaatlichen Rahmen benötigten Bedingungen der Reproduktion des Kapitals und zugleich auch Apparat zur Repression der nationalen Arbeitskraft" (von Braunmühl 1976, 321). Auch die Konkurrenz nationaler Bourgeoisien geht "keineswegs voll in der ökonomischen Konkur-renz auf", was noch einmal unterstreicht, dass im Herzen der kapitalistischen Produktionsweise "Herrschaft" liegt, sowie das Bestreben sie mit allen Mitteln zu erhalten. Bourgeoisien werden daher für ihre Unabhängigkeit immer kämpfen. Zwar wird die Ausbeutung aufgrund von Internati-onalisierungsprozessen immer mehr international bestimmt, doch bleibt die "Ausbeutung absi-chernde Herrschaft" weiterhin vorwiegend national vermittelt.22 Die These der „vielen“ Staaten lässt sie auch skeptisch werden gegenüber Poulantzas’ „ innerer Bourgeoisie“ , d.h. der These, dass die Interessen des US-Kapitals durch die europäischen Bour-geoisien mit vertreten werden. Der US-Hegemonie sind Grenzen gesetzt, die Vorherrschaft darf nicht verabsolutiert werden.23 Aktualität hat diese Vorstellung auch heute: Wenn die amerikanische

    21 In ihrem frühen Text von 1973 ist sie sich an diesem Punkt noch etwas weniger sicher. Sie betont in Bezug auf das Bestehen einer Vielzahl von Staaten noch etwas stärker, dass die mit der Form vieler Staaten gesetzte Modifikation des Wertgesetzes prinzipiell überwunden werden kann: Es ist eine "empirische Frage", ob die Internationalisierungstendenzen "neue Formen der politischen Zusammenfassung des Kapitals hervortrei-ben" (von Braunmühl 1973, 51). Gleichzeitig konstatiert sie aber auch eine Tendenz zu immer mehr fixem Kapital, die die Trägheit des Kapitals erhöht bzw. dessen Mobilität einschränkt (ebd. 48). 22 Auch an ihrer Kritik der „Globalisierungsdiskurse“ der 70er lässt sich ansetzen. Sie schreibt in diesem Zusammenhang davon, dass das „ Interesse der nationalen Bourgeoisie an der Sicherung ihrer Herrschafts-basis“ , obgleich diese selber nationale Grenzen transzendiert, dazu führt, den Staatsapparat neu zu justieren – und zugleich, „ungeachtet der zunehmenden Deckungsungleichheit von Akkumulationsverläufen und staatli-chen Grenzen, die nationalstaatliche Organisiertheit des Weltmarktes" verfestigt (von Braunmühl 1976, 321). 23 Insofern bildet dies ein Korrektiv zur etwas einseitigen Poulantzas-Interpretation von Panitch/Gindin (Pa-nitch/Gindin 2004). Poulantzas kann, so denken wir, anders interpretiert werden, d.h. stärker auf seine Beto-nungen fortwährender Konkurrenz, auch wenn starke Bourgeoisien in schwächere reinregieren. Poulantzas betont immer wieder die Instabilität der amerikanischen Vorherrschaft und stellt an manchen Stellen die These eines sich entwickelnden "Superstaates" in Frage. Global betrachtet existieren für ihn die nationalen Staaten als Reproduktionsstandorte der verschiedenen Bourgeoisien weiter in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Zudem anerkennt er erhebliche Unterschiede zwischen Europa und der Peripherie: "Diese neue Abhängigkeit [die US-Vorherrschaft in Europa] ist nicht gleichzusetzen mit derjenigen, die die Beziehungen

  • Regierung nicht einmal in ihrem „Hinterhof“ Lateinamerika (insbesondere in Venezuela) für „Ru-he“ sorgen kann, warum sollte sie ihre Ziele in Europa oder, evtl. noch wichtiger, in Ostasien, in Zukunft quasi automatisch weiter durchsetzen können? Kann es nicht sogar zur Bildung neuer im-perialer Projekte kommen? Die Grundlagen des multipolaren Konkurrenzkapitalismus lassen dies auf jeden Fall zu. Von Braunmühl setzt mit ihrer Analyse einen wichtigen theoretischen Punkt. Leider ist dieser Fort-schritt seit den 1980ern in der Regel „ vergessen“ worden. Claudia von Braunmühl selbst hat ihre Forschungen nicht mehr weitergeführt. Wie eine Aktualisierung und Weiterführung des For-schungsprogramms der Weltmarktdebatte heute aussehen könnte, möchten wir nun kurz andeuten.

    KRITISCHE WÜRDIGUNG Die Weltmarktdebatte hat drei Vorzüge: Sie reicht erstens tiefer als viele der zeitgenössischen De-batten, sie entwickelt zweitens mit der Theorie des Weltmarkts und der „ vielen“ Staaten eine wich-tige konstitutive Grundlage im Marxismus zur Analyse von Globalisierung und Imperialismus heu-te und unterschätzt drittens nicht die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, was nach 25 Jahren Auf-schwung nach 1945 leicht hätte passieren konnte. Die vorgestellten Ansätze gehen in ihrer Stringenz weiter als vieles, was zuvor und seitdem in der an Marx orientierten Debatte beigesteuert wurde. Nicht nur die Theorie des SMK, sondern auch Dependenztheorien und frühe Formen der Empire-These bzw. alte Aufgüsse der Ultraimperialis-mustheorie hätten gut an einer Auseinandersetzung mit der Weltmarktdebatte getan. Imperialisti-sche Politik wurde in der Mehrheit der Linken vor allem als gewalttätige Unterdrückung nationaler Befreiungsbewegungen verstanden – mit den USA als Organisator und Haupt des Systems, das sich zudem auf den gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Verkleinerung des imperialistischen Welt-systems durch den „Sozialismus“ konzentriert. Insgesamt kam die "Neue Linke" dabei vielfach über eine empirische Darstellung der ökonomischen Ausbeutung des Südens durch eine Art US-Superimperialismus oder einen kollektiven Imperialismus nicht hinaus. Aber dieser „kollektive“ Imperialismus wird von den Weltmarkttheoretikern durch die Schranke der Vielzahl von Einzelstaaten für nicht möglich gehalten, auch wenn der Imperialismus zeitweise derart erscheint. Es kann keinen „kollektiven Gesamtkapitalisten auf Weltebene“ geben, genauso wenig einen übernationalen Staat der Weltbürgergesellschaft. Zwar können Staaten Aufgaben an supranationale Körper abtreten, aber die nationale Form des Staates ist damit nicht aufgehoben (Neusüss et. al. 1971, 96). Hiermit kann erklärt werden, warum die Welt trotz einer amerikanischen Vorherrschaft eher einem systematischen Chaos als einer relativen Ordnung gleicht. Die werttheo-retische Herangehensweise erlaubt den Autoren zudem eine fundierte Kritik am Theorem des un-gleichen Tauschs, indem sie zeigen, wie weit sich das Wertgesetz auf dem Weltmarkt durchsetzt. Zentral für die Weltmarkttheoretiker ist, dass sie das Wechselverhältnis von Weltmarkt und den vielen Kapitalien sowie den vielen Staaten betonen. Die Vielzahl von Staaten ist v.a. für von Braunmühl ein konstitutives Merkmal des Kapitalismus, er kann demnach nicht durch einen Welt-staat ersetzt werden. Auch ein vorherrschender „Superstaat“ ist immer prekär. Bucharins These von der Internationalisierung des kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die begleitet und begrenzt wird von der progressiven nationalen Organisation des Kapitals, schimmert als konzeptuelle Grundlage der Weltmarkttheoretiker durch. Damit kann die deutsche Weltmarktdebatte im Ganzen als Überwindung der „spill-over“ Theorien des Imperialismus gesehen werden, die ihn im Wesent-lichen aus dem Übergreifen und der Internationalisierung des Nationalstaates erklären. In der Weltmarktdebatte finden sich jedoch begriffliche Ambivalenzen. Während Busch und Neu-süss in ihren Untersuchungen den Weltmarkt zwar in den Vordergrund stellen, bleiben sie metho-dologisch dem Nationalstaat verhaftet. Neusüss setzt methodisch am nationalen Kapital und seinem Staat an (Neusüss 1972, 102). Auch für Busch ist der Ausgangspunkt die „Summe verschiedener, national voneinander abgegrenzter Zirkulationssphären“ (Busch 1974, 38). von Metropolen und beherrschten Formationen kennzeichnet. Sie kann absolut nicht analog zu dieser behan-delt werden, weil eben diese Metropolen zum einen weiterhin eigene Zentren der Kapitalakkumulation dar-stellen, und zum anderen selbst die abhängigen Formationen beherrschen. Besonders die Unterschätzung dieses letzten Elementes charakterisiert die Konzeptionen des Ultra-Imperialismus: tatsächlich liefern sich der amerikanische Imperialismus und der Imperialismus dieser Metropolen eine Schlacht um die Herrschaft und Ausbeutung dieser Formationen" (Poulantzas 2001, 28 f.).

  • Einen hinsichtlich der Methodik kategorial strengeren und differenzierteren Zugang entwickelt von Braunmühl. Während man bei Buschs und Neusüss’ Methode ein additives Weltmarktverständnis erkennen kann, das dem Weltmarkt zwar eine besondere Rolle zuspricht, aber ihn letztlich als Summe der Einzelteile interpretiert, entwickelt von Braunmühl in ihren methodischen Prämissen dagegen ein superadditives Weltmarktverständnis. Sie fordert, dass die Akkumulation des Kapitals und die spezifische politische Organisiertheit des Weltmarktes in viele Staaten auch kategorial im Weltmarktzusammenhang rekonstruiert werden. Dieses Verfahren führt weiter als der Ansatz von Busch und Neusüss, die die Konfiguration des Weltmarktes aus den nationalen Kapitalien ableiten wollten. Die begrifflichen Ambivalenzen in der Debatte zeugen von dem unfertigen Charakter der Welt-markttheorien. Zwar wurde ein betont kategorialer Zugang gewählt, aber oftmals war das Verhält-nis von „Logischem“ und „Historischem“ den Weltmarkttheoretikern – trotz ihres eigenen An-spruchs – selbst noch nicht klar. Manchmal wurden sie seltsam vermischt, an anderer Stelle künst-lich getrennt. Den eigenen offen geblieben Fragen standen nicht selten apodiktische Schlussfolge-rungen gegenüber. Auch wurde die Weltmarktdebatte schon mehrfach für ihren Strukturfunktionalismus kritisiert. Das gilt allerdings nur eingeschränkt für von Braunmühl, die ihren Mitstreitern vorhält, dass sie sich in „Ableitungschoreographien“ verfangen hätten, in der die Formen (Staatsform, Wertform) die Men-schen zu einem bestimmten Handeln zwingen.24 Dennoch führte der strukturalistische Unterbau der Debatte zu theoretischen Schwächen. Wenn Busch in ricardianischer Manier vom Ausgleichsme-chanismus des Wechselkurs und der Möglichkeit für weniger entwickelte Länder zum Aufholpro-zess ausgeht, übergeht er die Dimension des Politischen und verfällt einem Ökonomismus. Altvater hat eine Kritik an Buschs Ansatz formuliert, der sowohl die Ebene von Struktur als auch von Hand-lung betrifft. Als erstes kritisiert er Busch Fixierung auf die Wechselkurse hinsichtlich des Waren-handels und der Direktinvestitionen und die Ausblendung der Finanzmärkte. Wechselkurse, so Altvater, haben einen starken Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte, die wiederum auf die Realwirtschaft zurückwirken. Altvaters zentrale Kritik bezieht sich auf die Auswirkungen von sin-kenden Wechselkursen. Zwar schütze der „Schutzmechanismus“ , wie Busch die Wechselkurse nennt, die Kapitale, die über Exporte in den Weltmarkt integriert seien, aber er belaste gleichzeitig die Kapitale, die über Importe in den Weltmarkt integriert seien. Für bestimmte Einzelkapitale genauso wie für das Gesamtkapital entstünden aus einer Abwertung eben nicht nur Wettbewerbs-vorteile, sondern auch Kostennachteile. Es hänge von den Mengen- und Preisreaktionen ab, die sich aus der realen Reproduktionsstruktur des Gesamtkapitals ergeben, wie sich Abwertungsge-winne (der Exporteure) und Abwertungsverluste (der Importeure) verteilten (Altvater 1985, 126ff).25 Vor allem sei der Wechselkurs, so Altvater, deutlich stärker politisch reglementiert, nämlich staat-sinterventionistisch fixiert, als Busch annimmt. Die begrenzte Währungskonvertibilität bis 1958, Devisenverkehrskontrollen in einzelnen Ländern, Kapitalmarktregulierung und zahlreiche Ab-kommen hätten selbst in der Boomphase des Nachkriegskapitalismus ein hohes Maß an staatlicher Intervention aufgezeigt (ebd., 124). Auch in der Post-Bretton-Woods-Welt, trotz des an der Ober-fläche flexiblen Regimes, wurden die Wechselkurse politisch reguliert. Beim Plaza-Abkommen 1985 und zehn Jahre später beim „umgekehrten“ Plaza-Abkommen wurden die Dollar-Konvertibilitäten auf dem Weltmarkt politisch ab- bzw. aufgewertet (vgl. Brenner 2002). Dabei lässt sich Staatsverhalten nicht einfach ökonomisch ableiten, sondern muss immer auch unter Be-zugnahme auf nationale und internationale Klassenstrategien und gesellschaftliche Kräfteverhält-nisse analysiert werden.

    24 Heute wissen wir, dass eher von einem komplexen Wechselverhältnis zwischen Struktur und Handlung bzw. zwischen Formdeterminiertheit und Klassenkämpfen auszugehen ist, wenn auch die strukturellen Gege-benheiten niemals unterschätzt werden dürfen, um nicht in einen Voluntarismus des „Primats der Klassen-kämpfe“ (wie z.B. Holloway) zu verfallen. Staatsprojekte können scheitern, ökonomische „Zwänge“ können in bestimmten Hochzeiten sozialer Kämpfe aufgebrochen werden. Die Produktionsverhältnisse determinieren nicht – sie präformieren, sie setzen einen gewissen Rahmen. 25 Altvater warnt davor, dass die positiven Effekte der Abwertung überkompensiert werden könnten, wenn sich nicht substituierbare Inputs verteuerten und die Erträge aufgrund der Verbilligung der gesellschaftlichen Arbeit sinken. Dadurch könne sich der gesellschaftliche Akkumulationsfond verringern statt vergrößern und man hätte einen gegenteiligen Effekt: der Abstand zwischen dem produktiveren und dem weniger produkti-veren Land würde sich eher vergrößern statt verkleinern.

  • Gegenwärtige „ Imperialismustheorien“ wie von Hardt/Negri, aber auch Panitch/Gindin, betonen die Möglichkeiten für Stabilität und Hegemonie in der kapitalistischen Weltordnung. Dabei ver-nachlässigen sie die der kapitalistischen Produktionsweise immanente Krisentendenz, die konstitu-tive Vielzahl von Staaten sowie ihre möglichen Konfliktrelationen. Weit entfernt von einer zu-sammenbruchstheoretischen Argumentation greift dagegen die deutsche Weltmarktdebatte auf die Globalisierungsdebatte vor, ohne der starken Globalisierungsthese vom Niedergang der Staatlich-keit aufzusitzen – und betont gleichzeitig die Tendenz zur Krisenhaftigkeit und Instabilität im glo-balen Kapitalismus. In ihrer Einschätzung der krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft wurden sie jüngst u.a. in den Studien von Robert Brenner bestätigt (Brenner 1998, 2002). Der in enger Diskussion mit Neusüss & Co stehende Elmar Altvater machte den Punkt der Krisen-haftigkeit besonders stark. Er betonte bereits Ende der 1960er, dass die Weltwährungskrise die Weltwirtschaft nicht wieder ins Gleichgewicht bringen kann, wenn sie sich nicht als „Produktions-krise austobt“ (Altvater 1969, 130). Er ist auch skeptisch gegenüber keynesianischen Instrumenten, Weltwirtschaftskrisen angemessen begegnen zu können. Es ergebe sich auf weltwirtschaftlicher Ebene keine Chance, „die negative Krisenvermeidungsstrategie, wie sie sich in den Maßnahmen zur Behebung der Weltwährungskrise andeutet, durch eine positive Regulierungsstrategie zu kom-plettieren, um das Korrektiv der Weltwirtschaftskrise zu substituieren. Die Widersprüche in der Weltwirtschaft werden zwar durch die Vermeidungsstrategie der Bekämpfung der Weltwährungs-krise zeitweise unter der Oberfläche gehalten, nicht aber regulierend ausgetragen. Sie werden hervorbrechen, wenn die globalen Wachstumsraten der Weltproduktion und des Welthandels sich auf ein zu erwartendes niedriges Niveau als in vergangen Jahren einspielen“ (ebd., 132). KRITISCHE ANSCHLÜSSE Die Weltmarktdebatte der 1970er ist ein Korrektiv zur theoretischen Fundierung der heutigen Im-perialismustheorien. Sie kann Wege aufzeigen, einige der modernsten Formen und neuen Qualitä-ten der Internationalisierung des Kapitals und der Veränderungen von Staatlichkeit besser zu ver-stehen. So können die neuen Formen der Global Governance als institutionalisierte Politikkoordi-nierung betrachtet werden, in der aber die Konkurrenz nicht aufgehoben, sondern fortgesetzt wird, und in denen spezifische Kräfteverhältnisse wirken (Callinicos 2002). Aufgrund des gesellschaftli-chen Charakters der Produktion ist die Konkurrenz zwar immer auch durch partielle Kooperation gekennzeichnet, die aber als eine Erscheinungsform der Konkurrenz zu verstehen ist. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Verhältnis zwischen den USA und Europa, den relativ am stärksten integrierten Teilbereichen des kapitalistischen Weltsystems, eines der Kooperation und des Kon-fliktes bleibt. So existiert heute mit dem Euro zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg eine Währung, die als Konkurrent des Dollar um die Rolle des Weltgeldes überhaupt in Frage kommt. Da es vor allem Erwartungen sind, welche die Entscheidungen kapitalistischer Akteure bestimmen, stellt der Euro eine stärkere Bedrohung für den Dollar dar, als sich aus derzeitigen Statistiken ablesen lässt. Aber der Marxismus ist auch ein sich ständig erweiterndes Forschungsprogramm. An mehreren Punkten muss die Debatte der 70er kritisiert und weiterentwickelt werden.26 Um nur zwei von ih-nen zu benennen:

    26 Andere Schwächen können hier nur kurz angedeutet werden: Erstens war das Verhältnis von Struk-tur/Handeln schief: In der deutschen Debatte zum Wertgesetz auf dem Weltmarkt wurde das Problem des Verhältnisses zwischen den die kapitalistische Gesellschaft bestimmenden und in ihr sich geschichtlich durchhaltenden wesentlichen Strukturen (Lohnarbeit, Mehrwertproduktion, Verhältnis Politik/Ökonomie, hier auch Vielstaatlichkeit und die Kraft des Weltmarktzusammenhangs) und den sich verändernden Formen, in denen diese Struktur konkret-geschichtlich zum Ausdruck kommt, nicht ernsthaft angegangen. Darum auch fehlt eine Theorie der kapitalistischen Entwicklung, d.h. der Periodisierung des Kapitalismus. Konkrete Geschichte umfasst aber mehr als kategorial ableitbare Strukturbestimmungen. Sie umfasst eine jeweils spe-zifische Ausformung im Rahmen differierender Klassenverhältnisse und -kämpfe. Insgesamt kann gesagt werden: "Die historische Entwicklung der kapitalistischen Formation unterliegt zwar bestimmten 'kapitallo-gischen' Gesetzmäßigkeiten, aber die Art und Weise ihrer Wirksamkeit hängt ab von sich herausbildenden Klassenverhältnissen und Klassenkämpfen" (Hirsch 1983, 160). Genau dieser allgemeine Fehler führt schließlich zu vielen verkürzten Schlussfolgerungen. Zweitens, und damit verbunden, wurden die „sozialistischen“ Staaten komplett aus der Analyse rausgelassen: Neusüss schreibt von einer „zweiten Ebene des Klassenkampfes – der Ebene staatlicher Auseinandersetzun-

  • 1. Die Erklärung der Pluralität von Einzelstaaten Wie von Braunmühl argumentiert, gilt es in die ökonomische Analyse des Weltmarkts die Struktur der Vielzahl von Einzelstaaten einzubetten, die auf die Grenzen internationaler Kooperation ver-weisen. Die Weltmarkttheoretiker konnten dies aber nicht hinreichend erklären.27 Selbst von Braunmühl bleibt mit ihrer Orientierung an einer ausschließlich historisch-empirischen Erklärung lückenhaft. Die immer noch nachwirkende Geschichtsmächtigkeit des Nationalstaates, oder aber (wie später Benedict Anderson argumentierte) die historische Rolle der Nation bzw. nationalistischer Bewe-gungen als mächtiger „ imaginierter Gemeinschaften“ sind als Erklärung nicht ausreichend. Nur wenige Theoretiker arbeiteten an der konstruktiven Weiterentwicklung der materialistischen Staats-theorie. Joachim Hirsch, einer der wenigen Teilnehmer der Staatsableitungsdebatte der dies tat, betont in seinen Analysen die notwendige „Pluralität der Einzelstaaten“ , geht aber über die rein „historische“ Erklärungsebene hinaus (Hirsch 2005). Von der Möglichkeit eines "Weltstaats" kann eigentlich nur dann gesprochen werden, so Hirsch, wenn fälschlicherweise unter Kapitalismus ein einfaches Warentauschverhältnis, nicht aber eine auf Ausbeutung und Klassenwiderspruch beru-hende Gesellschaft verstanden wird. Hiermit berührt er eine wichtige Ebene, die von Braunmühl bereits streift, wenn sie das "politische Moment von Herrschaft, das im ökonomischen Gewaltver-hältnis von Lohnarbeit und Kapital selbst enthalten ist“ betont, aber nicht auf die theoretische E-bene hebt. Die im Grundsatz liberale Idee der Beseitigung des Systems konkurrierender Einzelstaaten im Rahmen des Kapitalismus ist eine Illusion. Denn sie würde die Institutionen zur Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft ebenfalls beseitigen. Grundlegende Mechanismen der Ausbalancierung von Konflikten sowohl innerhalb als auch zwischen den Klassen könnten nicht mehr gewährleistet wer-den. Die dafür maßgebenden "nationalen" Klassenspaltungen würden entfallen. Diese aber sind der Garant des Funktionierens des Kapitalismus. Mit anderen Worten: Der Laden läuft nur, wenn die immer auch in wechselseitiger Konkurrenz stehenden Klassenangehörigen – die Lohnabhängigen ebenso wie die Unternehmer – auf staatlicher Ebene zusammengebunden und damit zugleich in Gegensatz zu den entsprechenden Klassen außerhalb des staatlichen Territoriums gebracht werden. Die Bildung klassenübergreifender Koalitionen zwecks Sicherung des „Standortes“ ist heute nicht umsonst absolut zentral in der Zementierung der Verhältnisse. Die hierfür notwendige Kohärenz, die Bildung nationaler Gemeinschaften, ist nur im Rahmen des Einzelstaates denkbar – selbst der Versuch regionaler Integration wird unter gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen stets prekär bleiben, wie die Entwicklung der EU zeigt.28 Ein weiterer Punkt bliebe u.E. noch genauer zu untersuchen: Die Tendenz der „Trägheit“ des pro-duktiven Kapitals. Jenseits des Globalisierungshypes und der Fixierung am Geld- und Finanzkapi-tal stößt man auf die territoriale Fixiertheit des produktiven Kapitals. Durch die Umwandlung des

    gen unterschiedlicher Gesellschaftssysteme“ (Neusüss 1972, 206), die sie in ihrer Analyse nicht berücksich-tigt habe. Aber war der Kalte Krieg wirklich nur ein System-Gegensatz? Selbst von Braunmühl traut sich nicht an das große Theorieproblem ran: Was für einen Charakter hat der real existierende Sozialismus? Sie umschifft das Problem, indem sie es ausblendet, was unverständlich ist, schließlich geht es um ein Drittel der Weltbevölkerung (incl. China) und mit der UdSSR um einen imperialistischen Staat, der zur Konstituierung der globalen Herrschaftsverhältnisse zentral war. Kritisch-marxistische Analysen des imperialistischen Cha-rakters des Ostblocks (vgl. die Staatskapitalismus-Analyse in: Cliff 1975, oder die frühen Schriften von Castoriadis, in: Castoriadis 1988) flossen leider nicht in ihre Schriften ein. So behielten auch große Teile der Weltmarkttheoretiker letztlich eine „verschmutzte Brille“ in Bezug auf den Ostblock und den Charakter des Stalinismus auf – aber anstatt ihre Brille zu putzen, setzten sie sie im Zuge der „Krise des Marxismus“ spä-testens in den 80ern leider ab. 27 Busch hat in seinen späteren Schriften die These vertreten, dass die bürgerlichen Revolutionen, ob von unten oder passiv, eine Transformation des vorkapitalistischen Verhältnisses von Politik und Ökonomie nur im Inneren erreichten, und deshalb der Staat „nach außen“ die tradierte Verschmelzung der Ebenen Politik und Ökonomie bewahrte (Busch / Grunert / Tobergte 1984). Er ging aufgrund des internationalen Entwick-lungsgefälles davon aus, dass der Widerspruch zwischen nationaler und internationaler Integration nicht lösbar ist. Diese Aufsplittung in einen kapitalistischen Staat nach innen und einen vorkapitalistischen Staat nach außen ist staatstheoretisch nicht haltbar. 28 In einer weitergehenden Analyse müsste der Unterschied zwischen Nation und Staat diskutiert werden (daher auch spricht Hirsch erst einmal von Einzel- und nicht Nationalstaaten). Eine Frage, die die Weltmarkt-theoretiker nicht berücksichtigt haben.

  • Geldkapitals wird dieses als produktives Kapital in der Produktion fixiert, von wo aus es nicht mehr oder nur unter Schwierigkeiten in die Zirkulation zurückkehren kann. Es bleibt produktives Kapital, bis genügend verkaufsfähige Waren hergestellt worden sind. Große Teile des fixen Kapi-tals, gehen im Unterschied zum zirkulierenden Kapital mehrfach in den Produktionsprozess als Voraussetzung ein. Es ist daher relativ immobil. Die quantitative Bedeutung der territorial fixierten Arbeitsmittel übertrifft das BIP von Volkswirtschaften bei weitem.29 Mit fortschreitender Techni-sierung („ Internetökonomie“ ) nimmt deren Bedeutung nicht ab. Im Gegenteil nimmt die Kapitalin-tensität (Bruttoanlagevermögen im Verhältnis Anzahl der Erwerbstätigen) zu. Das Produktivkapital hat noch auf einer anderen Ebene wichtige Bedeutung. Auch wenn der Kapi-talismus weltweit Instabilitäten produziert, ist er doch in der Lage, eine gewisse Entwicklung zu garantieren (die wiederum von verheerenden sozialen Konflikten durchzogen ist). Die kapitalisti-sche Entwicklung ist geprägt durch ihren ungleichen Charakter und führt zur Bildung neuer, relativ unabhängiger Zentren der Kapitalakkumulation, wie derzeit in Ostasien. Der Neuaufbau von Pro-duktivkapital bzw. seine Restrukturierung beispielsweise in China führt damit zur Entstehung von neuen ökonomischen Wettbewerbern auf dem Weltmarkt. Die dichotomische Aufteilung der Welt in Nord und Süd war schon in den 70ern falsch. Trotz der Vorherrschaft der USA ist die gegenwär-tige Welt wirtschaftlich multipolar und zudem durch einen Aufstieg sogenannter Subimperialismen – Staaten wie z.B. Indien oder Türkei, die im regionalen Maßstab nach Vorherrschaft streben – geprägt. 2. Die Erklärung des Verhältnisses von staatlich-geopolitischem Handeln und ökonomischen Interessen Um dieses Problem zu diskutieren, sollte vom Begriff der „ relativen Autonomie“ des Staates aus-gegangen werden, der die Voraussetzungen der Kapitalakkumulation gewährleisten muss (Heinrich 2004, Kap. 11). Dies besagt erst einmal, dass kein Marktsystem funktioniert, wenn es keine relativ unabhängige Zentralmacht gibt, die versucht, die gesellschaftlichen Antagonismen zu bearbeiten – auch wenn das zu Konflikten mit Kapitalfraktionen führen kann. Die Bedeutung des bürgerlichen Staates als Träger des Gewaltmonopols für das Kapital besteht nicht einfach in der Umsetzung einzelkapitalistischer Interessen, d.h. der Staat ist relativ autonom, nicht bloßes Instrument des Kapitals. Der kapitalistische Staat agiert zur Sicherung der Bedingungen einer Akkumulation des gesamten Kapitals. Eine Regierung verfolgt diese Zwecke nicht, weil ihre Mitglieder vom Kapital bestochen oder mit ihm verflochten sind (auch wenn dies vorkommt), sondern weil ein florierender Kapitalismus die ökonomische Basis des bürgerlichen Staates bildet. Genau dadurch, dass Staat und Kapital formell getrennt sind, wird der Staat zum kapitalistischen Staat. Die Debatte in den 70ern bezog sich wie von Braunmühl richtig kritisierte i.d.R. auf die gesell-schaftlichen Binnenverhältnisse – was aber bedeutet die relative Autonomie des Staates für das „Außenhandeln“ , internationale ökonomische Interessen und Geopolitik? Wie wir gesehen haben, wird die internationale Konkurrenz durch die vorwiegend national gebun-dene, aber sich internationalisierende Existenz des Kapitals und die „vielen Staaten“ modifiziert. Daher darf nicht bei der Untersuchung der allgemeinen Bewegungsgesetze des Kapitals stehen geblieben werden. Es bedarf einer Konkretisierung, wenn man eine Analyse des Verhältnisses und Umschlagens von ökonomischer in politische und letztlich auch in militärische Konkurrenz betrei-ben will. Ökonomische Interessen setzen sich nicht einfach in Staatshandeln um. Die Analyse die-ser Phänomene wurde in den 70ern nicht geleistet – sie wäre heute weiterzuführen. Dabei gilt es folgenden, weiteren Punkt mitzudenken: Der moderne Imperialismus beginnt ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Verbindung zweier Konkurrenzlogiken, die davor zwei unterschiedli-chen Produktionsweisen zuzurechnen waren: Die moderne ökonomische Konkurrenz des entste-henden kapitalistischen Weltsystems und die geopolitische, der feudalen Logik entsprungenen Konkurrenz zwischen Staaten. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu einer Integration der beiden Logiken: Geopolitische, von Staaten geführte Konkurrenz konnte ohne eine industrielle Basis nicht 29 Das Bruttoanlagevermögen in der BRD lag 1997 bei 15 Bio. DM im Vergleich zum BIP von etwa 4 Bio. DM (vgl. Sandleben 2003). Die heutige Wirtschaftsgeographie spricht in meist oberflächlicher Form diesen Prozess an. Sie erklärt, warum es zu positiven Skaleneffekten, d.h. sinkenden Durchschnittskosten bei wach-sender industrieller Basis, kommt. Alle größeren Länder besitzen heute eine ausgewogene industrielle Basis. Nicht eine vorwiegend globale Integration ist zu beobachten, sondern wenn dann eine nationale und regiona-le (teilweise auch die Nachbarländer einbeziehende) Integration, wie sie beispielsweise in den sog. „Clustern“ zu sehen ist.

  • mehr länger erfolgreich geführt werden („ Industrialisierung des Krieges“ ). Gleichzeitig waren die konkurrierenden Kapitalien fortan grundsätzlich auf den Staat angewiesen. Die Integration führte allerdings nicht zur Einheit. Es besteht im Kapitalismus ein Spannungsverhältnis zwischen der Kapitalbewegung und der einzelstaatlichen politischen Form. Aus diesen beiden Formen resultie-ren zwei Muster der Konkurrenz, die relativ autonom zueinander stehen und nicht aufeinander zu reduzieren sind: den sich wandelnden Formen der ökonomischen und der geopolitischen Konkur-renz (vgl. Harvey 2003, der dies als Verhältnis von kapitalistischer und territorialer Macht fasst). Um den Begriff des Imperialismus nicht zu sehr auszudehnen und ihn dadurch zu entwerten, den-ken wir, dass er v.a. dann Sinn macht, wenn man darunter machtpolitisches Handeln versteht, in de