Der Werwolf in Estland
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Der Werwolf in Estland Der Werwolf in Estland
Eine Sagengestalt in Geschichte, Folklore und Literatur
Dr. Stefan Donecker [email protected]
Vortrag im Rahmen der Österreichisch-Estnischen Gesellschaft – 27. 11. 2012
Wesenburg (estn. Rakvere)Wesenburg (estn. Rakvere)
Livländische Werwölfe in der gelehrten Literatur der Frühen Neuzeit
„Es hat dis land auch vil zauberer und hexen weiber/ vnd seind inn dem onglauben [...]/ das sie zu wölffen werden lauffen/ vnd beschedigen was sie an kommen/ und verwandeln sich danach wider zu menschen/ vnd solliche heiße man warwölff.“
Sebastian Münster: Cosmographia (21550)
Sebastian Münster (1488 - 1552)
„Ein jedes Jahr versammelt sich in der Heiligen Christnacht eine große Schar von Menschen, die sich in Wölfe verwandeln und in derselben Nacht grausam wüten. […] In grässlicher Gestalt stürmen sie die Häuser und Behausungen in den Wäldern, brechen Tür und Tore auf, um die Menschen und das Vieh zu erwürgen.“
„Sie laufen in die Bierkeller und saufen ganze Fässer mit Bier und Met aus; anschließend stapeln sie die leeren Fässer mitten im Keller aufeinander. Darin besteht ein Unterschied zwischen ihnen und anderen Wölfen.“
Olaus Magnus: Historia de gentibus
septentrionalibus (1555)
„Livland ist ein sumpfiges, flaches, dicht bewaldetes, von fischreichen, schiffbaren Flüssen durchzogenes Land mit sehr ergiebigen und fruchtbaren Äckern. In den Wäldern gibt es Wildschweine, Elche, Füchse, Luchse, Marder, Zobel, Hermeline und Biber. Die Hasen ändern je nach Jahreszeit ihre Farbe. Im Winter sind sie weiß, im Sommer grau. An Pferden, Rindern und Mastschweinen gibt es eine große Menge die gut genutzt wird. In diesem Land gibt es viele Werwölfe.“
David Frölich: Bibliotheca, seu Cynosura Peregrinantium (1644)
Das entwürdigende Ende der estnischen Werwölfe in der Aufklärung
„Der Werwolf soll, nach dem Wahn einfältiger Leute, eine besondere Art von kleinen Wölfen sein, die in größere Tiere, z. B. Rindvieh, hineinkriechen.“
August Wilhelm Hupel (1795)
August Wilhelm Hupel (1737-1819)
Die Schrecken des Livländischen KriegesFlugblatt aus dem Jahr 1561
Tolsburg (estn. Toolse)Tolsburg (estn. Toolse)
„Im Laufe dieser Belagerung, vierzehn Tage vor dem Abzug, ereignete sich ein seltsames und wunderliches Vorkommnis mit den Wölfen. An etlichen Abenden nacheinander kamen sie in großen Scharen vor das Lager und kümmerten sich nicht darum, das dort eine große Menge Kriegsvolk lagerte und viel Lärm machte. Die Wölfe haben angefangen so gräulich zu heulen und zu geifern, dass vielen die Haare zu Berge gestanden sind.“
Balthasar Russow: Chronica der Provintz Lyfflandt (1578)
Deutschbaltische ElitenLändlicher Adel und städtische Oberschichten;Bewahrung traditionellerPrivilegien
Schwedische AmtsträgerStaatsbeamte, Militärs,Pastoren; absolutistischeZentralisierungspolitik
Estnische und lettische Mehrheitsbevölkerung, so genannte „Undeutsche“zumeist persönlich unfrei: Leibeigene, Tagelöhner, teilweise städtische Unterschichten
„Abbildung der wunderseltzamen Völckher so sich vnder der Schwödischen Armada befinden“Illustration einer Flugschrift von 1632
Doblen (lett. Dobele)Doblen (lett. Dobele)
„In der Gaststube war aber ein Tisch, um den gemeine Land-Bauern saßen. Nach geraumer Zeit stand einer der Bauern vom Tisch auf, nahm seinen Krug, und trat an den Zechtisch der Deutschen heran. Mit vielen Verbeugungen und Verneigungen, freundlichem Gesicht und geneigten Gebärden prostete er dem Reisenden zu, mit den Worten Puß do dac man güntzig!, zu deutsch Es gilt dir, wie mir, mein Herr! Ansonsten ist es in der Landessprache gebräuchlich Puß Guntzing!, Es gilt dir, mein Herr! zu sagen, wenn man jemandem zutrinken möchte. Der Reisende wusste zwar nicht was der Bauer ihm sagen wollte, aber er entnahm dessen Gebärden, dass jener ihm zugeprostet hatte. Deshalb wollte er ihm, auf Deutsch, seinen Trunk segnen.Sein Landsmann, der neben ihm saß, hielt ihm aber gleich die Hand vor den Mund, und all die anwesenden Deutschen sagten ihm, er dürfe den Trunk des Bauern ja nicht segnen, und ihm auch nicht zunicken, als ob er ihn segnen wolle. Er wisse ja gar nicht, was es auf sich habe!“
„Darauf sind sie vom Tisch aufgesprungen, über den Bauern hergefallen, haben ihn geschlagen und erbärmlich zugerichtet und ihn so lange in der Wirtsstube umhergeschleift, bis Blut geflossen ist. Dann warfen sie ihn unter Drohungen und wüsten Beschimpfungen aus dem Haus.Da fragte der Reisende, warum sie den guten Kerl so übel zugerichtet haben, der ihm doch so freundlich zugeprostet hatte? Darauf antworteten sie: Hätte er ihm den Trunk gesegnet, wäre er in der Nacht in einen Werwolf verwandelt worden. Der Bauer hingegen wäre dann davon befreit worden. Eine derartige Verführung und üble Täuschung sei schon vielen Deutschen, die der Landessprache unkundig waren, widerfahren.“
Christian Kortholt: Nord-Schwedische Hexerei, oder Simia Dei, Gotttes Affe (1677)
Wieso Estland?
„Hundertjähriger Krieg“ 1558 – 1660/61 Ethnische Stratifizierung
Der Werwolfeine Kreatur der PeripherieSymbol der Fremdheit und ethnischen Abgrenzung
ein „Hund des Krieges“Symbol für die Schrecken des Krieges und die damit einhergehende gesellschaftliche Destabilisierung
Prosper Mérimée (1803-1870)„Lokis“ (1869)
August Kitzberg (1855-1923)„Libahunt“ („Der Werwolf“, 1911)
August Kitzberg: Libahunt („Der Werwolf“)
1911 in Pärnu uraufgeführt
1944 unvollendete Oper, komponiert von Eduard Tubin, Libretto von Albert Üksip
1968 unter der Regie von Leida Laius verfilmt
2005 freie Adaption als Horrorfilm „Libahundi needus“ („Der Fluch des Werwolfs“)
2011 Musicalfassung zum 100. Jubiläum
Tiina und Margus in einer Libahunt-Inszenierung aus dem Jahr 1954