Design mit sozialem Charakter - FERTIG GEBASTELT · sammen mit zwei Modedesignerinnen das Label...

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2 wohnrevue 4/2004 Design mit sozialem Charakter Marco Stadelmann aus Sempach kontrolliert genau, wie er den Ulmer-Hocker verzinkt hat. thema | geschützte werkstätten

Transcript of Design mit sozialem Charakter - FERTIG GEBASTELT · sammen mit zwei Modedesignerinnen das Label...

  • 2 wohnrevue 4/2004

    Design mit sozialem Charakter

    Marco Stadelmann aus Sempach kontrolliert genau,wie er den Ulmer-Hocker verzinkt hat.

    thema|geschützte werkstätten

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    Dem Gesetz der Wirtschaftlichkeit gehorchend, werden immer mehr Möbel in Billiglohn-

    ländern produziert. Doch nicht alle Hersteller folgen diesem Trend: Denn gleichzeitig

    nimmt auch die Zahl jener Firmen und Designer zu, welche ihre Produkte in sozialen

    Einrichtungen von behinderten oder sozial benachteiligten Menschen fertigen lassen.

    Die wohnrevue hat eine «geschützte»Werkstatt besucht und sich selbst ein Bild ge-

    macht. Lassen Sie sich entführen in eine Welt, in der die Menschen im Mittelpunkt stehen.

    Redaktion: Franziska Bründler, Fotos: Susanne Hersperger

    Made in Jail: in denGefängnissen vonVechta und Lübeckwerden im Rahmenvon Beschäftigungs-und Reintegrations-programmen Trend-Taschen aus ausge-dienten Bootssegeln

    gefertigt. Lanciert wurdedas Projekt von Jan-Marc Stührmann, der zu-

    sammen mit zwei Modedesignerinnen das Label «Canvasco» ins Lebengerufen hat. In der Schweiz sind Canvasco-Produkte in ausgewähltenShops erhältlich.

    CanvascoLothringerstrasse 29, DE-28211 BremenTel. +49 421 321 98 [email protected], www.canvasco.de

    Der offizielle Name: Wendel-stein Werkstätten. Das Pro-duktlabel: Side by side. Manhat viel gewagt und nochmehr gewonnen. Das Ziel derdeutschen Jungdesigner war

    es, zusammen mit Behinder-tenwerkstätten Produkte zu ent-

    wickeln, die funktional und gleichzeitig modern imDesign sind. Der Anspruch, Qualität, Design und Funk-

    tion zu kombinieren, konnte erfüllt werden. Inzwischenist Side by side bis nach Japan bekannt und auch er-

    folgreich in den Schweizer Markt eingestiegen.

    Side by side, Wendelstein WerkstättenMühlenstrasse 7, DE-83064 RaublingTel. +49 8035 909 99 [email protected], www.sidebyside-design.de

    In der Schweiz erhältlich über: Eroyan Handelsagentur, [email protected]

    Mit Spass bei der Sache: Paul Gloggners Aufgabe ist es, die

    Zinken mit Holzleim zu bestreichen.

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    Die Stiftung für Behinderte in Lenzburg hat es mehr als begrüsst, alszwei junge Designerinnen, Therese Naef und Farzaneh Moinian, ihreDiplomarbeit zusammen mit der sozialen Institution machen wollten.Entstanden ist ein Briefkasten, der dem Wunsch nach Individualität undaktuellem Design Rechnung trägt. «berta&paul» besteht aus zwei iden-tischen Modulen, das Gerüst ist aus Aluminium-Druckguss, die Innen-und Aussenbespannung aus Plane. Der Käufer hat zudem die Mög-lichkeit, den Briefkasten in verschiedenen Farben und Motiven zu haben.

    Stiftung für BehinderungAugustin-Kellerstrasse 31, 5600 [email protected], www.sfb-ortezumleben.ch

    Im Raum Luzern, genauer gesagt in Kriens, befindet sich dieStiftung Brändi. Hier werden Menschen betreut, die unter phy-sischen oder psychischen Behinderungen leiden. Ihr Tages-ablauf wird durch die Arbeit in der stiftungseigenen Werk-statt bestimmt. Läuft man durch die Schreinerei, trifft manüberall auf Menschen, die mit Fleiss und grosser Motivationan der Arbeit sind. Einige der Mitarbeiter sind seit Jahren imBetrieb. Andere machen gerade eine zweijährige Anlehre oder– wie im Schreinerberuf üblich – die vierjährige Berufslehre.Dass die hier gefertigten Produkte den Weg bis in die Schau-fenster von renommierten Inneneinrichtungsgeschäften fin-den, erfüllt die Mitarbeiter mit Stolz.Alois Huwiler ist Abteilungsleiter der Schreinerei innerhalbder Stiftung. Er kennt jeden einzelnen der von seinem Teambetreuten Mitarbeiter und weiss um dessen handwerklicheFertigkeiten – aber auch um dessen Grenzen. Das ist enormwichtig, denn Huwiler ist sich auch der Anforderungen derWirtschaft bewusst: «Die Auftraggeber schätzen zwar den so-zialen Gedanken, doch am Ende erwarten sie die pünktlicheLieferung und einwandfrei verarbeitete Produkte zu einemguten Preis. Der Grat zwischen dem Qualitäts- und Zeitdruck

    der Wirtschaft und den Krankheiten unserer Mitarbeiter istenorm schmal.» Um einzelne Mitarbeitende nicht zu über-fordern, gibt es in der Stiftung Brändi auch geschützte Arbeits-plätze. Das Hauptziel der Stiftung ist aber, dass sich die Behin-derten nach Abschluss ihrer Ausbildung in der freien Wirtschaftbehaupten können. Und die Erfahrung zeigt, dass die meistender in der Stiftungswerkstatt ausgebildeten Menschen nachihrer Lehre/Anlehre in der freien Wirtschaft bestehen können. Doch zurück in die Werkstatt: Schaut man den Arbeitendengenauer zu, erkennt man, woran sie gerade arbeiten. Es han-delt sich um den bekannten Ulmer Hocker, der 1954 vomSchweizer Max Bill entworfen wurde. Auftraggeber ist das VitraDesign Museum in Weil am Rhein. Das Museum übernahmvor zwei Jahren die Lizenz vom Zürcher Designladen Wohn-bedarf, welcher den Ulmer Hocker bis dahin unter dem Namen«WB Form» produzieren liess. Da Wohnbedarf damals mit derQualität aus dem Osten nicht zufrieden war, gab man den Auf-trag nach Kriens ins Brändi. Bei der Lizenzübergabe war esdann der Sohn von Max Bill, Jakob, der darauf bestand, weiter-hin mit der Stiftung zusammenzuarbeiten. «Die Qualität istsehr gut, die Produkte einwandfrei», sagt er dazu, und diese

    1994 starteten die GebrüderFreitag ihre kreative Arbeit,heute sind ihre Taschenwahre Klassiker. Eine derersten Produktionsstättenwar die Institution Brüggli

    in Romanshorn. Für 350 Men-schen mit psychischer sowie phy-sischer Behinderungen bietet das

    Brüggli Abklärung, Umschulung,Ausbildung und geschützte Arbeits-

    plätze. Freitag produziert inzwischen international, doch trotz den er-höhten Kosten, werden immer noch 1000 Taschen im Jahr im Brügglihergestellt.

    FreitagHardstrasse 219/L, 8005 ZürichTel. 043 210 33 [email protected], www.freitag.ch

    www.brueggli.ch

    Konzentriert steckt Alois Schaffhauser die Teile desMax Bill-Hockers zusammen.

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    Seit 16 Jahren ist Christian Eiholzer beim Brändi. Die ein-zelnen Arbeiten kennt er alle. Hier überschleift er bei

    einem Tripolino-Tisch die verzinkte Eckverbindung.

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    Für die Textilwerkstatt desBürgerspitals Basel ist dieZusammenarbeit mit IsabelBürgin eine grosse Berei-cherung. Für die Textil-designerin ergeben sichpositive Synergien bei ihrem«Flocati»-Projekt. Ziel ist es,

    aus der Restwolle der «Weichlinge» (Teppiche aus der Kollektion vonIsabel Bürgin) Flocatis herzustellen.

    Bürgerspital BaselFlughafenstrasse 235, 4025 BaselTel. 061 362 77 [email protected], www.buespi.ch

    Isabel BürginTel. 061 683 56 36, [email protected]

    Jobbus/Garage heisst die Ab-teilung der Stiftung Netzwerkaus Uster, die hinter der Gar-

    tenbank «Charly» steht. Be-schäftigt werden vor allem Lang-

    zeitarbeitslose und suchtkranke Men-schen, die wenig Vorkenntnisse mitbringen.

    Statt eine Therapiestation zu sein, will man den Not-bedürftigten eine sinnvolle Tagesstruktur bieten. Die Kol-

    lektion der Gartenmöbel wurde von den befreundeten Designern Do-minic Kesseli und Sascha Zbinden, die zusammen unter dem Namen«Feinwerk» walten, durch eine Liege, einen Tisch und eine Bank erweitert.

    Stiftung Netzwerk, Jobbus/GarageBahnstrasse 1, 8610 UsterTel. 01 905 40 [email protected], www.netz-werk.chwww.feinwerk.ch

    Einschätzung wird uns auch von Primo Marghitola bestätigt.Marghitola hat 1957 das Kindermöbel «Tripolino» entworfen,welches ebenfalls viele Jahre von Wohnbedarf produziertwurde. Nachdem Wohnbedarf die Produktion einstellte,nahm Marghitola die Fäden wieder selbst in die Hand. Derinzwischen pensionierte Designer sprüht vor Freude, wenner von seinem neuen «Hobby» Tripolino erzählt. «Als Wohn-bedarf mir mitteilte, dass es für ‹Tripolino› aus sei, habe ichdies anfangs akzeptiert. Doch als die Nachfrage immer grös-ser wurde, musste ich reagieren. Dann erfuhr ich von der Stif-tung Brändi als Produktionsstätte und war davon begeistert.»Das ist er heute noch. Inzwischen hat er hier schon mehre-re hundert Tische und Stühle produzieren lassen. «Die Qua-lität ist unglaublich, das Fichtenholz wunderschön», schwärmtPrimo Marghitola und nimmt sich die Zeit, während unseresFoto-Shootings in der Stiftung Brändi persönlich zu erschei-nen. Mit Kennermiene – er ist selbst Schreiner – begutachteter die fertigen Möbelchen und lobt immer wieder, wie gut dieLeute das hier machen. Am liebsten würde er die Produktegleich mitnehmen, da ein Designfachgeschäft in Berlinschon länger auf die Lieferung warte. Doch Alois Huwiler lässt

    sich nicht aus der Ruhe bringen und meint stoisch, man tuewas man kann. «Zuviel Druck», erklärt er uns, «kann man aufunsere Mitarbeiter einfach nicht ausüben. Die Arbeitszeitensind fix, Überzeit wird, wenn immer möglich, verhindert. Auchwenn man den Menschen ihre Behinderung nicht ansieht,überfordern darf man sie deshalb noch lange nicht.» Undgenau hier wird uns bewusst, dass wir nicht in einer Mas-senproduktionswerkstatt sind. Nein, hier ist der Mensch dasWichtigste.

    Stiftung Brändi, AWB KriensHorwerstrasse 123, 6011 KriensTel. 041 349 03 03, Fax 041 349 03 [email protected], www.braendi.ch

    Tripolino:Primo MarghitolaTel. 041 460 40 24, [email protected]

    Ulmer Hocker:Vitra Design MuseumTel. +49 7621 702 32 [email protected], www.design-museum.de

    Damit jedes Möbel der «Tripolino»-Kollektion für Kinder geeignet ist, bricht Sandra Bachmann dieKanten und gibt den letzten Schliff.