Design Thinking — Prozess oder...

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14 OrganisationsEntwicklung Nr. 2 |2012 Erfahrung | Schwerpunkt | Design Thinking — Prozess oder Kultur? | Alexander Grots, Isabel Creuznacher Design Thinking — Prozess oder Kultur? Drei Fallbeispiele einer (Veränderungs-)Methode Die Methode des Design Thinking wird oft als Innovationsprozess verstanden. Doch Innovation bedeutet auch immer Veränderung. Inwieweit kann Design Thinking für die Veränderung von Organisationen eingesetzt werden? Die Innovations-Methode des Design Thinking erfreut sich wachsender Popularität. Das mag daran liegen, dass auch In- novationsprozesse, derer es eine Vielzahl gibt, öfter mal etwas Neues brauchen. Als Ansatz, der die weit verbreiteten, rein auf Analyse und Logik aufbauenden Denkstrukturen herausfor- dert, empfiehlt er sich als frische Alternative im Werkzeugkas- ten der Innovationsabteilungen. Beispielprojekte, in denen Design Thinking als Methode Anwendung fand, berichten vorrangig von innovativen Pro- dukten und Dienstleistungen als Resultat eines solchen Pro- zesses: neuartige Geldautomaten, ein neues Reiseerlebnis bei einer Airline oder eine Impfmethode, für die ein Pflaster reicht. Das Spektrum erweitert sich ständig. Nachweislich kann der Design Thinking-Prozess dabei helfen, Innovationen zu generieren. Die erfolgreichen Beispiele entstanden meist in Projekten, die ein Unternehmen mit einer der zahlreichen Design Thinking- Agenturen durchführte. Seltener sind jedoch Fälle, in denen Unternehmen selbst eine Innovation mittels Design Thinking auf den Weg brachten. Dies lässt vermuten, dass es für einen wirkungsvollen Einsatz der Methode mehr bedarf als das blo- ße Durchlaufen der Prozessschritte. Tatsächlich ist Design Thinking mehr als ein Prozess: Es entstand aus den im Angelsächsischen als «Design» bezeich- neten, klassischen Disziplinen der Gestaltung und des Ingenieurwesens. Menschen mit einem solchen beruflichen Hintergrund leiteten die Methodik aus ihrer täglichen Arbeits- weise ab. Menschen, welche die Praktiken und Schritte des Design Thinking nicht nur angewandt, sondern verinnerlicht hatten. Heute würden wir sie «Design Thinker» nennen. Die Unternehmen, aus denen heraus Design Thinking formuliert wurde, allen voran die Design-Agentur IDEO, hatten eine ge- wachsene Unternehmenskultur. Die Bausteine dieser Kultur bilden die Charaktereigenschaften des Design Thinking und sind das Fundament für jeden «Design Thinking»-Prozess. Organisationen, die sich für den Einsatz der Methode interes- sieren, sollten diese beiden Aspekte unterscheiden und entschei- den, wie weit sie in einem Veränderungsprozess gehen wollen: Interessiert sie nur die klassische Funktion als Innovations- prozess – als Werkzeug zum Entwickeln von Innovationen und zum Gestalten von Veränderung? Oder soll Design Thinking zum Baustein ihrer Unterneh- menskultur werden – als Summe von Eigenschaften, die eine Firmenkultur insgesamt innovativer, agiler, anpassungsfä- higer und flexibler machen, und so eine Kultur von «Design Thinkern» schaffen? Zwei Funktionen, die zusammen gehören, aber auch getrennt voneinander wirken können. Wobei der Prozess nicht nur fixer Bestandteil der Kultur ist – er kann durchaus auch bei deren Umgestaltung helfen. Denn die Design Thinking-Methode kann über Produkt und Service hinaus für die Veränderung von Or- ganisationen und die Gestaltung neuer Unternehmenskultu- ren angewandt werden. Denkt ein Unternehmen darüber nach, einen Veränderungsprozess mittels Design Thinking einzulei- ten, muss es die bekannten Schritte der Methode im Kontext seiner Organisation interpretieren. «Für den Einsatz der Methode bedarf es mehr als das bloße Durchlaufen der Schritte.»

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Erfahrung | Schwerpunkt | Design Thinking — Prozess oder Kultur? | Alexander Grots, Isabel Creuznacher

Design Thinking — Prozess oder Kultur?Drei Fallbeispiele einer (Veränderungs-)Methode

Die Methode des Design Thinking wird oft als Innovationsprozess verstanden. Doch Innovation bedeutet auch immer Veränderung. Inwieweit kann Design Thinking für die Veränderung von Organisationen eingesetzt werden?

Die Innovations-Methode des Design Thinking erfreut sich wachsender Popularität. Das mag daran liegen, dass auch In-novationsprozesse, derer es eine Vielzahl gibt, öfter mal etwas Neues brauchen. Als Ansatz, der die weit verbreiteten, rein auf Analyse und Logik aufbauenden Denkstrukturen herausfor-dert, empfiehlt er sich als frische Alternative im Werkzeugkas-ten der Innovationsabteilungen.

Beispielprojekte, in denen Design Thinking als Methode An wendung fand, berichten vorrangig von innovativen Pro-dukten und Dienstleistungen als Resultat eines solchen Pro-zesses: neuartige Geld automaten, ein neues Reiseerlebnis bei einer Airline oder eine Impfmethode, für die ein Pflaster reicht. Das Spektrum erweitert sich ständig. Nachweislich kann der Design Thinking-Prozess dabei helfen, Innovationen zu generieren.

Die erfolgreichen Beispiele entstanden meist in Projekten, die ein Unternehmen mit einer der zahlreichen Design Thinking-Agenturen durchführte. Seltener sind jedoch Fälle, in denen Unternehmen selbst eine Innovation mittels Design Thin king auf den Weg brachten. Dies lässt vermuten, dass es für einen wirkungsvollen Einsatz der Methode mehr bedarf als das blo-ße Durchlaufen der Prozessschritte.

Tatsächlich ist Design Thinking mehr als ein Prozess: Es entstand aus den im Angelsächsischen als «Design» bezeich-neten, klassischen Disziplinen der Gestaltung und des Ingenieur wesens. Menschen mit einem solchen beruflichen

Hintergrund leiteten die Methodik aus ihrer täglichen Arbeits-weise ab. Men schen, welche die Praktiken und Schritte des Design Thinking nicht nur angewandt, sondern verinnerlicht hatten. Heute wür den wir sie «Design Thinker» nennen. Die Unternehmen, aus denen heraus Design Thinking formuliert wurde, allen voran die Design-Agentur IDEO, hatten eine ge-wachsene Unternehmenskultur. Die Bausteine dieser Kultur bilden die Charaktereigenschaften des Design Thinking und sind das Fundament für jeden «Design Thinking»-Prozess.

Organisationen, die sich für den Einsatz der Methode interes-sieren, sollten diese beiden Aspekte unterscheiden und entschei-den, wie weit sie in einem Veränderungsprozess gehen wollen: • InteressiertsienurdieklassischeFunktionalsInnovations-

prozess – als Werkzeug zum Entwickeln von Innovationen und zum Gestalten von Veränderung?

• Oder soll DesignThinking zum Baustein ihrer Unterneh-mens kultur werden – als Summe von Eigenschaften, die eine Firmenkultur insgesamt innovativer, agiler, anpassungsfä-higer und flexibler machen, und so eine Kultur von «Design Thinkern» schaffen?

Zwei Funktionen, die zusammen gehören, aber auch getrennt voneinander wirken können. Wobei der Prozess nicht nur fixer Bestandteil der Kultur ist – er kann durchaus auch bei deren Umgestaltung helfen. Denn die Design Thinking-Methode kann über Produkt und Service hinaus für die Veränderung von Or-ganisationen und die Gestaltung neuer Unternehmenskultu-ren angewandt werden. Denkt ein Unternehmen darüber nach, einen Veränderungs prozess mittels Design Thinking einzulei-ten, muss es die bekannten Schritte der Methode im Kontext seiner Organisation interpretieren.

«Für den Einsatz der Methode bedarf es mehr als das bloße Durchlaufen der Schritte.»

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Um einen Veränderungsprozess durch Design Thinking anzu-stoßen sind die folgenden methodischen Schritte zu interpre-tieren (siehe auch Abbildung 1).

Schritte des Design Thinking-Prozesses Im ersten Schritt, der als Verstehen oder Definieren bezeich-net wird, geht es bei einem Veränderungsprozess zunächst um die Abbildung des Status Quo. Die Darstellung des aktuellen, unternehmensspezifischen Ökosystems. Diese Situa tion wird im Sinne einer klassischen Ist-Analyse beschrieben. Zweck die-ses ersten Schrittes ist es, Ansätze für Veränderung in der be-stehenden Struktur des Unternehmens aufzuspüren. Oft be in-halten gerade die «low hanging fruits», also die am ein fachsten zu ändernden Aspekte einer Organisation, den größten Reich-tum an Informationen. Basierend auf der Recherche und Ana-lyse von harten Fakten (u.a. Kommunikation nach außen und innen, Veränderungsmaßnahmen der Vergangenheit, Pro -zesse für Mitarbeiterförderung und Motivation) geht es beim Design Thinking vor allem auch darum, «weiche Fakten» zu sammeln, also Informationen, die nicht dokumentiert und damit nicht nachzulesen sind.

Ziel dieser Phase ist es, im Team ein Gefühl für das aktuelle Wesen der Organisation zu schaffen. Dieses Gefühl gibt den De sign Thinkern die notwendige Basis und Sicherheit, sich im nächsten Schritt der wichtigsten und auch schwierigsten Ein-heit einer Organisation zu widmen: den Menschen, die es zu verändern gilt.

Das Beobachten als nächster Schritt ist die Hauptquelle, um die genannten «weichen Faktoren» eines Organisations ge fü-ges aufzudecken. Denn die wesentliche Inspiration für Verän-derung entsteht durch qualitative Untersuchungen bei Men-

schen. Dies können Mitarbeiter sein, Führungskräfte, Part ner des Unternehmens oder ehemalige, vielleicht auch zukünf tige Angestellte. Es geht schlicht darum, Menschen bei dem was sie tun zu befragen und ihr Verhalten dabei und bei anderen durch-zuführenden Aktivitäten zu beobachten. Der eigentliche Wert dieses wichtigen Schrittes erschließt sich erst aus der Kombi-nation von aufmerksamer Beobachtung und darauf aufbau-enden Dialogen und Interaktionen.

Mit Hilfe dieser Vorgehensweise entwickelt der Design Thin-ker Empathie zu den Mitarbeitern und relevanten Stakehol-dern: Wie denken sie über die Prozesse, Hierarchien, Organi-sationsstrukturen? Welches sind ihre rationalen Schlüsse und welches ihre emotionalen Reaktionen? Es geht darum, die im ersten Schritt des Verstehens erarbeitete Informationsbasis mit weiteren Sichtweisen anzureichern und damit ein umfassen-deres, qualitativ feineres Bild des Unternehmens zu bekommen. Dazu gehört auch, dass der Beobachter selbst in den Kon text der Veränderung eintaucht, um ein Gefühl über die Motivatio-nen, Beweggründe und Einstellungen der Mitarbeiter und Ent-scheidungsträger zu bekommen.

Eine genaue Beobachtung kann bereits in kurzer Zeit erstaun-liche Erkenntnisse bringen: Bei einem Design Thinking-Work-shop eines gehobenen Automobilherstellers für eine große Grup pe des mittleren Managements wurde die Übung «Whose

Abbildung 1

Design Thinking-Schritte

Verstehen Beobachten Synthese Ideen Prototyping Testen

«Es geht darum, ein ganzheitliches und qualitativ feineres Bild des Unternehmenszu bekommen.»

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Abbildung 2

Whose life is it?

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life is it?» durchgeführt. Dabei gilt es, als Team qualitative Fra-gen über eine fremde Person zu beantworten. Einziges Hilfs-mittel ist ein Stapel Fotos, die die betreffende Person in ihrem Alltag aufgenommen hat, jedoch ohne selbst darauf abgebil-det zu sein. Es geht also darum, anhand einiger sichtbarer Da-ten Antworten auf unbekannte Sachverhalte zu geben.

Welche Me dien werden etwa im Haushalt gelesen? Welche täg-lichen Rituale mag diese Person haben? In diesem Workshop lautete eine der vielen Fragen: «Welches Auto fährt diese Per-son?» Sechs Teams nahmen sich die Übung mit jeweils einem anderen Fo to-Set vor. Die Sets bildeten ein breites gesell-schaftliches Spek trum ab: Von der Berliner Studentin, über die Rentnerin mit Familie auf dem bayerischen Land bis hin zum

Top-Verdiener im Ruhrgebiet. Als die Teams ihre Ergebnisse präsentierten, beobachtete der Vorstand des Bereichs, dass kei-ner seiner Manager auch nur einer der Personen die eigene Marke zutraute. Allein diese Beobachtung ließ ihn erkennen, dass es grundsätzliche Probleme in seiner Organisation und in seiner Abteilungskultur gab.

Im strategisch sehr wichtigen Schritt der Synthese werden die gesammelten Informationen, Aussagen, Beobachtungen und An nahmen in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusam men -hang sichtbar gemacht. Das ursprünglich gezeichnete Öko-sys tem der Organisation sollte inzwischen um sehr viele Infor-mationen, gleichzeitig auch um viele Fragen und einige Ant-worten angereichert sein. Diese Flut an Daten gilt es nun «ein-zukochen». Es wird geprüft, was zusammenpasst, was sich be-dingt, wo Ab hängigkeiten bestehen und wo etwa Span nungen das Verhältnis interessant machen. Durch Sortieren und Hin-terfragen von abgebildeten Verhaltensweisen, kris ta l lisieren sich Bedürfnisse und Motivationen auf abstrakte Weise her-aus. Ziel ist es, aus der Komplexität der Informationen eine Quintessenz zu ziehen, eine Zusammenschau der wichtigsten

«Ziel ist es, aus der Komplexität und Masse an gesammelten Informationen eine Quintessenz zu ziehen.»

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Dimensionen der Organisation zu generieren. Besonders bei organisatorischen Aufgabenstellungen ist diese Zusammen-schau an sich das wichtigste Ergebnis eines Design Thinking-Prozesses, da sie als Werkzeug dient: In übersicht licher Weise zeigt sie nicht nur die Potenziale für Veränderung und Verbes-serung im Bezug auf die organisatorischen Ziele auf. Als eine Art Entscheidungsgrundlage sollte sie diese Potenziale auch mit möglichen Richtungen und Priorisierungen versehen.

Der Abschluss der Synthese bildet den wichtigen Scheitel-punkt zwischen dem großen Input-Teil, in dem vor allem ge-sammelt, verstanden und aufbereitet wurde sowie dem auf die Gestaltung des Neuen ausgerichteten Output-Teil. Erst jetzt werden in den folgenden Prozessschritten aktiv Lösungen für die iden tifi zier ten Hürden und die Nutzung der erkannten Treiber erarbeitet.

Oft wird aufgrund der Synthese auch die ursprüngliche Auf-gabenstellung oder Ausrichtung des Projektes angepasst. Und es kommt tatsächlich vor, dass aus einer Aufgabe auf Produkt-ebene eine Aufgabe auf einer ganz anderen, nämlich einer or-ganisatorisch-kulturellen Ebene, wird.

So geschehen bei einem großen Krankenhaus. Dort bestand die Aufgabe darin, das Serviceangebot im Haus zu verbessern. Die Synthese ergab eine Zusammenschau, welche die Motiva-tionen der Patienten denen des Krankenhauses gegenüber-stellte, um das Potenzial für Innovationen aufzuzeigen. Die Mo-tivationen von Organisation und Mensch erwiesen sich dabei als völlig gegensätzlich. Für den Patienten gab es in seinem Leben kaum ein emotionaleres Erlebnis als den Krankenhaus-aufenthalt. Für das privat betriebene Krankenhaus galt Effizi-enz als das oberste Gebot. Allein die gewählte Darstellung die-ser Situation als Venn-Diagramm überzeugte das Kranken-hausmanagement, seine Strategie zu überdenken. Schließlich

wurden die Prozesse neu gezeichnet: Alle Situationen, in de-nen es Berührungspunkte mit dem Kunden, also dem Patien-ten, gab, wurden neu ins Visier genommen und die Abläufe in Anbetracht der Rolle und Wirkung des Personals aus Patienten-sicht neu gestaltet. Dies hatte eine Re-Organisation des ge sam-ten Hauses zur Folge, die mit einer deutlich größeren Kunden-zufriedenheit einherging.

Die Ideengenerierung ist eigentlich die leichteste Übung im Design Thinking- Prozess. Das liegt daran, dass das Team durch die intensive Bearbeitung der vorherigen Schritte be-reits weiß, in welcher Richtung die Lösungen zu finden sind und jetzt end lich damit beginnen kann, diesen Form zu ge-ben. Eine ideale psychologische Ausgangslage für die Gene-rierung von Ideen: Jeder weiß, dass fast alle Ideen richtig sein werden. Die Frage ist nur, welche die besten sind. Diese Phase bildet einen teamdynamischen Höhepunkt im Prozess, da sie vieles, was bisher theoretisch und vage war, konkret und greif-bar macht. Eine Vielzahl an Kreativitätstechniken kann jetzt die Phantasie der Ideengeber stimulieren. Neben den Team-mitgliedern sind hierfür auch Personen willkommen, die bis-her nicht oder kaum mit dem Prozess in Berührung kamen.

Die Ideengenerierung bildet den teamdynamischen Höhepunkt Grundlage für jede Ideengenerierung sind die aus der Syn the-se abgeleiteten Potenziale und Richtungen und darauf auf-bauende Fragestellungen. Die Formulierung dieser Fragen ist eine Kunst, denn sie sollen den Ideengebern genug Raum für freies Denken geben und sie gleichzeitig zu einem bestimm-ten Ziel führen. Wichtig bei der Ideengenerierung für Organi-sationsprobleme ist, dass möglichst konkrete Ideen entste-hen. Dies können bestimmte Maßnahmen oder auch Produk-tideen sein, die einen Ablauf oder eine neue Rolle in der Orga-nisation verkörpern. Je greifbarer die Idee, desto größer ist die Chance, dass sich auch Unbeteiligte schnell auf sie einlassen können. Sie verstehen nicht nur die Idee und deren Zielset-zung, sondern auch wie sie umgesetzt werden soll.

Eine Organisation erkennt den Wert von Veränderung am ehe s- ten, wenn deren Auswirkungen anhand von realen Ergebnissen, besseren Abläufen, transparenteren Prozessen, sinnvollen Rol-len verteilungen sowie innovativen und marktfähigen Produk-ten und Dienstleistungen sichtbar werden. Solche konkreten Ergebnisse strahlen in die Organisation hinein, ihr Wert wird von allen Organisationseinheiten sofort verstanden. Der Schritt

«Konkrete Ergebnisse strahlen in die Organisation hinein, ihr Wert wird von allen Organisationseinheiten sofort verstanden.»

Abbildung 2

Venn-Diagramm

Patient Krankenhaus

Berührungspunkte

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des Prototyping hat deshalb auch für Veränderungen im orga-nisatorischen Kontext eine entsprechend große Bedeu tung: Eine sehr frühe und grobe Umsetzung von Ideen ermutigt, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Ein geflissentlicher Einsatz des Prototyping als Werkzeug fördert meist eine sehr fruchtbare «Fehlerkultur». Früh gemachte und identifizier te Fehler werden hier als Fortschritt und damit als Erfolg akzeptiert. Die allge-meine Entwicklungsgeschwindigkeit und damit Wendigkeit eines Unternehmens lässt sich dadurch deutlich steigern.

Prototypen können Rollenspiele, Präsentationen, Zeichnun-gen oder in rudimentärster Form gebastelte Ideen sein. Alles ist zugelassen, um Mitarbeitern, Führungskräften oder ande-ren Stakeholdern einen konkreten Eindruck zu vermitteln, wie sich die neue Struktur, der erdachte Ablauf oder auch das Pro-dukt im Unternehmen anfühlen und seine Wirkung entfalten wird. Ziel der Prototyping-Phase ist es, Ideen mit mehr als nur dem rational-logischen Verstand zu erfassen. Denn durch einen Prototypen wird erreicht, dass eine Idee nicht nur verstanden, sondern dass sie erlebt wird! Und dies gilt nicht nur für die zu-künftigen Nutzer, sondern auch für das Design Thinking-Team selbst. Prototypen sind der einzige Weg, das Zusammenspiel von Motivation und entsprechendem Kontext zu simulieren und damit eine ganzheitliche Reaktion auf eine Idee im letz-ten Schritt des Testens zu erhalten.

Ein großes Unternehmen in der Telekommunikationsbran-che hatte sich vorgenommen, der Abwanderungsrate seiner Kunden entgegenzuwirken. Durch einen Design Thinking-Pro-zess soll ten hierfür Lösungen entwickelt werden. Bei der Vor-bereitung der Synthesevorstellung fiel dem Projektteam auf, dass die sich andeutenden Richtungen für die Lösung des Pro-blems eine beinahe revolutionär andere Haltung des gesam-ten Unterneh mens im Markt voraussetzten. Entsprechend war die Reaktion des Managements bei ersten Gesprächen über die an gedachte Ver änderung. Das Team entschied sich, die Schlüs-selmomente, die es selbst bei den Kundenbeobachtungen im Feld hatte, als Erlebniswelt rudimentär und exemplarisch nach -zubauen. So ent stand ein großer Raum, in welchem sich die Reise einer zweijährigen Tarifbindung «nacherleben» ließ. Be-vor nun die Vorschläge für eine Veränderung einer größeren Entscheider-Gruppe vorgestellt wurden, musste jeder Teilneh-mer den «Pro totypen» eines Zwei-Jahres-Tarifs erfahren. So konnte er seine eigene Marke und sein Angebot aus Sicht des Kunden wahrneh men. Dieses Vorgehen hatte nicht den erwar-teten Erfolg. Aber, der «Raum» wurde im Anschluss an das Pro-

Illustration

«Durch einen Prototypen wird erreicht, dass eine Idee nicht nur verstanden, sondern auch erlebt wird.»

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jekt zum Anlass genommen, das im Unternehmen existierende Management-Training um das Erlebnis im Raum zu erweitern. In den folgen den Jahren wurde der Raum verbessert und aus-gebaut und in zwischen muss jeder neue Mitarbeiter ab dem mittleren Mana ge ment die Erfahrung im Raum machen, um von ihr ausgehend Lösungen zu erarbeiten. Nachdem genügend Mitglieder mit dieser Methode in Berührung kamen, konnte drei Jahre später tatsächlich ein neuer Tarif eingeführt werden, welcher den Markt kräftig aufrüttelte und schnell zum best-verkauften Produkt wur de. Dieses Produkt wäre in sei ner Art drei Jahre zuvor nicht möglich gewesen. Alles ausgelöst durch einen Prototypen.

Das vorausgehende Prototyping ist mit dem Schritt Testen eng verknüpft. Denn der Prototyp dient dem Design Thinking-Team als Ausgangspunkt, die erdachten Lösungen nun auch in seiner Wirkung an den zukünftigen Beteiligten/Betroffenen zu erproben und sie damit in den Gestaltungsprozess mit ein-zubeziehen. Im Gegensatz zu der generativen Recherche im Schritt Beobachten, in welcher nach Inspiration gesucht wird, um Richtungen für Ideen zu generieren, geht es hier um die formative Recherche; die Ideen werden unter Einbezug von zukünftigen Nutzern weiter verfeinert und perfektioniert. Ins-besondere bei Aufgabenstellungen für organisatorische Ver-änderung ist dieser Schritt entscheidend für den Erfolg der ge planten Maßnahmen. Denn durch eine ausgiebige Testing-Phase wird dem Risiko eines «not-invented-here» oder einer Top-Down Umsetzung entgegengewirkt.

Eigenschaften der Design Thinking-Kultur

Für die bestmögliche Durchführung des Design Thinking-Prozesses gibt es ein ideales Set an Voraussetzungen, welches den Menschen, die den Prozess anwenden, zu eigen sein soll-te. Es handelt sich hierbei um die eingangs erwähnten Eigen-schaften, welche in den Unternehmenskulturen der «Väter» des Design Thinking bereits existierten. Selten lassen sich die-se im Folgenden beschriebenen Eigenschaften oder «Charak-termerkmale» in der Fachliteratur explizit nachlesen. Sie sind es jedoch, die den eigentlichen Wert der Methode ausmachen. Und sie sind es auch, die ein Unternehmen in die Lage verset-zen, eine Unternehmenskultur zu etablieren, die Veränderun-gen auf kreative Weise nutzt:

Holistisch

Eines der großen Vorteile des Design Thinking-Ansatzes ist die ganzheitliche Betrachtung sowohl der Problemstellung als auch der möglichen Lösungsvarianten. Damit ist die Methode dem systemischen Denken sehr ähnlich. Denn der Reichtum an Wis sen ergibt sich erst aus dem Verständnis der Zusammen-

hänge und Einflussnahme zwischen Menschen und ihrer Um-gebung, der Menschen untereinander sowie dem Menschen selbst in der Konstellation seines Verhaltens, seiner Bedürfnisse und seiner Motivation.

Für denjenigen, der den Design Thinking-Prozess anwendet, heißt dies, dass er sowohl herausgelöste Teile als auch deren Zusammenspiel im Großen und Ganzen wahrnehmen muss und die Inspiration für Lösungen am ehesten in den Zwischen-räumen findet.

Offen

Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal des Design Thinking zu vielen anderen Methoden ist seine Offenheit: Offen ande-ren Ansätzen gegenüber, offen für Erweiterung und Ergänzung und generell auch offen für Anpassung des Prozesses selbst in Bezug auf die Aufgabenstellung. Denn die Schritte des Prozes-ses gelten eher als Orientierung denn als strenge Abfolge. Die-ser Grundzug der Methode schafft die Voraussetzung dafür, dass die unterschiedlichsten Disziplinen mit ihm umgehen können. Ein Erfolgsgeheimnis. Schafft es die Methode doch im-mer wieder, den Kreativen eine Richtung zu geben und die Lo-giker querdenken zu lassen!

Die Offenheit verlangt einiges vom Design Thinker: Vor al-lem, dass er sich in Unsicherheit wohlfühlt – eine Grundvor-aussetzung für Neues. Wie schon Captain Barbossa im Block-buster «Fluch der Karibik» sagt: «For certain you have to get lost to find the places that can’t be found. Elseways everyone would know where it was!» (Natürlich muss man sich verlaufen, um an Plät ze zu gelangen, die nicht gefunden werden können. Ansonsten wüsste ja jeder, wo sie wären). Seine Begeisterung für das Ungewisse und seine logische Schlussfolgerung ma-chen ihn zum perfekten Design Thinker. Er weiß, dass er experi-mentieren muss, um voran zu kommen. Experimentieren wiederum verlangt nach Kreativität und anschließender Bewer-tung. Schnel les Ausprobieren, Fehler machen und daraus ler-nen. Offen sein heißt, das Wechselspiel aus konvergentem und divergentem Vorgehen, aus Breite und Tiefe, zu beherrschen.

Empathisch

Empathie als die Fähigkeit, sich in andere Menschen hinein-versetzen zu können, ist grundlegend, um deren Wünsche, Hoff-nungen und Ängste in die eigene Perspektive mit aufnehmen zu können. Das Einfühlungsvermögen sollte auch so weit ge-hen, Situationen und deren Ursache und Wirkung nachvollzie-hen zu können. Das Vermögen, über das Offensichtliche hinaus

«Ein Erfolgsgeheimnis. Die Methode schafft es, den Kreativen Richtung zu geben und die Logiker querdenken zu lassen.»

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zu schauen und in dem Gesehenen mehr wahrzunehmen als die nackten Daten und Fakten. Diese Qualitäten sind das Mit-tel, um unausgesprochene Zusammenhänge herzustellen und bei den immer im Zentrum des Geschehens stehenden Men-schen über das sichtbare Verhalten auf Bedürfnisse und Moti-vationen zu schließen.

Darüber hinaus ist Empathie auch die Grundvoraussetzung für den Design Thinker, um die mit unterschiedlichen Hin ter-grün den ausgestatteten Mitstreiter in seinem Team sowie die Glieder einer Organisation als solche anzuerkennen. Für jedes einzelne Teammitglied ist es wichtig einschätzen zu können, welche Stär ken und Schwächen in der Person des Kollegen lie-gen. Welche Gedanken, welche Gefühle, welche Absichten ein-zelne Stakeholder haben und entsprechend adressiert werden müssen.

Intuitiv

Auch hier unterscheidet sich Design Thinking von vielen an-deren Methoden, die Intuition explizit ausschließen. Doch die steigende Komplexität der Aufgaben und Beziehungen erfor-dert eine neue Sicht- und Denkweise. Eine Zukunft ausschließ-lich aus vorhandenen Fakten zu extrapolieren, reicht nicht mehr aus. Zu vielfältig und zu häufig sind die Veränderungen der heutigen Zeit, als dass die weichen Faktoren ausgeschlossen werden könnten. Die Einbindung von Intuition bietet hier eine nicht zu unterschätzende Dimension. Schließlich ist die In-tuition eine jedem Menschen innewohnende Eigenschaft.

Durch das Einlassen auf eine Aufgabenstellung schärft der Design Thinker seine Sinne für einen anderen Blick auf die Welt – einen Blick durch die Brille der Aufgabe. Somit ändern sich nicht nur seine zum logischen Denken verwendete Da-tenbasis, sondern auch seine Gefühlswelten. Diesen Welten nicht nur Futter zu geben, sondern ihnen auch Ausdruck zu verleihen, geschieht in der intuitiven Reflexion mit der Aufga-benstellung: Die Synthese des Verstandenen mit dem Erleb-ten, welches den eigentlichen Lerneffekt, den Erkenntnisge-winn des Design Thinking, ausmacht.

Optimistisch

Design Thinking ist eine auf positive Veränderung ausgerich-tete Methode. Dies kann die Verbesserung eines Produktes oder eines Services im Bezug auf Funktion, Nutzung, Wertver-ständnis oder Preis sein. Doch auch direktes Wachstum oder Steigerung der Produktivität können als Ziel ausgegeben wer-den. Jedoch liegt es in der Natur des Design Thinking, Wachs-tum oder Produktivitätssteigerung nicht um seiner selbst wil-

len zu erreichen, sondern (im Sinne des holistischen Denkens) durch die Veränderung und Verbesserung von Produkten, Ser-vices oder Umgebungen. Zu letzteren gehören auch Organisa-tionen – mit ihren Arbeitsumgebungen, -bedingungen und -pro-zessen. Insgesamt also der Unternehmenskultur. Viele Beispie-le beweisen, dass eine positiv veränderte Unternehmens- oder Managementkultur zu Wachstum führen kann.

Nicht zuletzt gilt für den Design Thinker immer: Probleme werden nicht als Probleme gesehen, sondern als Aufforderung, daraus eine Veränderung zu schaffen! Das ultimative Ziel des Design Thinkers sollte also die Steigerung der Lebensqualität der beteiligten Menschen sein – seien es Kunden, Stakeholder oder Mitarbeiter.

Chancen und Grenzen Die Zukunft der Methode ist die Verknüpfung von der Anwen-dung der beschriebenen Prozessschritte mit dem Ausbau der vorgestellten Eigenschaften. Die unter dem Design Thinking zusammengefassten Eigenschaften stellen eine Denkweise oder Philosophie dar, welche langfristig die Basis für eine (Firmen-) Kultur sein kann. Denn gute Design Thinker schaffen es nicht nur, durch die Anwendung des Prozesses existierende Mög-lichkeiten zu identifizieren, zu artikulieren und zu nutzen. Son-dern sie selbst können ihre Denkweisen in der Art verändern, dass sie in der Lage sind, Potenziale zu erkennen, zu deren Exis-tenz sie erst selbst verhelfen müssen. Das heißt, sie können Antworten auf Fragen finden, die es noch gar nicht gibt!

Darüber hinaus kann die Methode helfen einzuschätzen, wie weit eine Veränderung notwendig ist oder gehen muss, und führt durch das Hinterfragen des Selbstverständlichen im günstigsten Falle zum Umdenken des Bestehenden, zur «schöp-ferischen Zerstörung» à la Schumpeter. Ein Ziel, welches ein marktwirtschaftliches Gesetz ist und jedes Unternehmen be-trifft: Wachstum durch Veränderung.

Doch ist Veränderung meist ein langwieriger Prozess. In des-sen Gesamtablauf kommt der Methode eine recht klare Rolle zu: Sie bildet den ersten Schritt, den Anfang, um systematisch Veränderungen herbeizuführen. Sie erleichtert den Umgang mit Ambiguität, hilft beim Artikulieren der richtigen Fragen, bei der Identifizierung und der Formulierung von Möglichkei-ten und Potenzialen. Die Ideen, die daraufhin generiert und grob dargestellt werden, sind vor allem also der Initiierung von Veränderung dienlich.

Folglich braucht es auch nicht unbedingt Designer, um das Verfahren erfolgreich anzuwenden. Nur wenige Menschen ha-ben das Talent, gutes Design zu erschaffen. Sehr viel mehr Men-schen jedoch können die Methodik erlernen und gute Design Thinker werden.

Durch eine solch klar definierte Rolle ist der Einsatz der Me-thode gleichzeitig eingeschränkt: Design Thinking ist nicht in

«Probleme werden nicht als Probleme gesehen, sondern als Aufforderung, daraus eine Veränderung zu schaffen!»

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der Lage, die Spanne vom Bedarf für Veränderung bis zur end-gültigen Umsetzung von Ergebnissen abzudecken. Insbeson-dere in der detaillierten Umsetzung von Lösungen mangelt es dem Design Thinker meist an Geduld. Zu leicht verfällt der auf die Methode eingeschworene Geist dem Neuen, dem Anderen, dem Zusätzlichen. Hier teilt sich der Weg zwischen dem Mög-lichen und dem Nötigen. Design Thinking ist ideal geeignet, das Mögliche zu erschließen, die Argumente für eine Entschei-dung zu finden und diese auch zu priorisieren. Sogar eine erste Form als Idee gehört zum Repertoire. Doch was nötig ist, um diese in eine anwendbare und akzeptierte Lösung zu überfüh-ren, ergibt sich daraus nicht. Hier schlägt die Stunde der ein-zelnen Disziplinen (darunter Designer, Organisationsexperten und Personaler), welche das Wissen und die Fähigkeit besit-zen, eine neue Idee mit Leben zu füllen und im Unternehmen durchzusetzen.

Eine weitere Einschränkung erfährt das Design Thinking durch einen ihrer größten Werte: die Offenheit. Die Ausle-gungsvarianten des Prozesses machen ihn für viele Menschen schwer zu fassen und bieten Entscheidern oftmals zu wenig Sicherheit und Gewissheit. Es braucht also Mut, sich auf die-ses Vorgehen einzulassen. Jedoch ist Mut die wichtigste Grund-voraussetzung von Innovation und Veränderung. Und Design Thinking ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

Literatur

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und Begriff (Titel der Originalausgabe: Visual Thinking), 2. Aufl., Verlag

DuMont Schauberg.

• Brown, T. (2009). Change by design: how design thinking trans-

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Publishers.

• Creuznacher, I. & Röpke, J. (Hrsg.) (2008). Persönlichkeits-

entfaltung zu unternehmerischen Kompetenzen in Schule und

Universität: Eine bildungsökonomische Antwort auf theoretische

Zielvorstellungen von Schumpeter, Mafex Publikationen.

• Grots, A. & Pratschke, M. (2009). Design Thinking — Kreativität als

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• Löbler, H. (2006). Learning Entrepreneurship from a Constructivist

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• Luhmann, N. (2005). Die Autopoiesis des Bewusstseins, in: Luhmann,

N., Soziologische Aufklärung 1-6, Band 6, VS Verlag für Sozialwissen-

schaften: Opladen, 2005, S.55—112

Alexander Grotsfreiberuflicher Innovationsexperte. Gründer und Gesellschafter der gravity GmbH, München. Ehemaliger Geschäfts-führer IDEO München und Partner IDEO Inc., Palo Alto

Kontakt: [email protected]

Dr. Isabel Creuznacherfreiberufliche Bildungs- und Innovations-beraterin. Lehrbeauftragte der Hoch- schule München und der Christ University Bangalore

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