Dfr - Bverfge 7, 198 - Lüth

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BVerfGE 7, 198 Lüth 1. Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. 2. Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln. 3. Der Zivilrichter kann durch sein Urteil Grundrechte verletzen (§ 90 BVerfGG), wenn er die Einwirkung der Grundrechte auf das bürgerliche Recht verkennt. Das Bundesverfassungsgericht prüft zivilgerichtliche Urteile nur auf solche Verletzungen von Grundrechten, nicht allgemein auf Rechtsfehler nach. 4. Auch zivilrechtliche Vorschriften können "allgemeine Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sein und so das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung beschränken. 5. Die "allgemeinen Gesetze" müssen im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden. 6. Das Grundrecht des Art.5 GG schützt nicht nur das Äußern einer Meinung als solches, sondern auch das geistige Wirken durch die Meinungsäußerung. 7. Eine Meinungsäußerung, die eine Aufforderung zum Boykott enthält, verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB; sie kann bei Abwägung aller Umstände des Falles durch die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Urteil des Ersten Senats vom 15. Januar 1958 1 BvR 400/51 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Senatsdirektors Erich L. in Hamburg gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. November 1951 Az. 15. O. 87/51 . Entscheidungsformel: Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. November 1951 Az. 15. O. 87/51 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes und wird deshalb aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen. Gründe: A. Der Beschwerdeführer damals Senatsdirektor und Leiter der Staatlichen Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg hat am 20. September 1950 anläßlich der Eröffnung der "Woche des deutschen Films" als Vorsitzender des Hamburger Presseklubs in einer Ansprache vor Filmverleihern und Filmproduzenten u. a. folgendes

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    BVerfGE7,198Lth

    1.DieGrundrechtesindinersterLinieAbwehrrechtedesBrgersgegendenStaatindenGrundrechtsbestimmungendesGrundgesetzesverkrpertsichaberaucheineobjektiveWertordnung,diealsverfassungsrechtlicheGrundentscheidungfralleBereichedesRechtsgilt.2.ImbrgerlichenRechtentfaltetsichderRechtsgehaltderGrundrechtemittelbardurchdieprivatrechtlichenVorschriften.ErergreiftvorallemBestimmungenzwingendenCharaktersundistfrdenRichterbesondersrealisierbardurchdieGeneralklauseln.3.DerZivilrichterkanndurchseinUrteilGrundrechteverletzen(90BVerfGG),wennerdieEinwirkungderGrundrechteaufdasbrgerlicheRechtverkennt.DasBundesverfassungsgerichtprftzivilgerichtlicheUrteilenuraufsolcheVerletzungenvonGrundrechten,nichtallgemeinaufRechtsfehlernach.4.AuchzivilrechtlicheVorschriftenknnen"allgemeineGesetze"imSinnedesArt.5Abs.2GGseinundsodasGrundrechtaufFreiheitderMeinungsuerungbeschrnken.5.Die"allgemeinenGesetze"mssenimLichtederbesonderenBedeutungdesGrundrechtsderfreienMeinungsuerungfrdenfreiheitlichendemokratischenStaatausgelegtwerden.6.DasGrundrechtdesArt.5GGschtztnichtnurdasuerneinerMeinungalssolches,sondernauchdasgeistigeWirkendurchdieMeinungsuerung.7.EineMeinungsuerung,dieeineAufforderungzumBoykottenthlt,versttnichtnotwendiggegendiegutenSittenimSinnedes826BGBsiekannbeiAbwgungallerUmstndedesFallesdurchdieFreiheitderMeinungsuerungverfassungsrechtlichgerechtfertigtsein.

    Urteil

    desErstenSenatsvom15.Januar19581BvR400/51

    indemVerfahrenberdieVerfassungsbeschwerdedesSenatsdirektorsErichL.inHamburggegendasUrteildesLandgerichtsHamburgvom22.November1951Az.15.

    O.87/51.Entscheidungsformel:

    DasUrteildesLandgerichtsHamburgvom22.November1951Az.15.O.87/51verletztdasGrundrechtdesBeschwerdefhrersausArt.5Abs.1desGrundgesetzesundwirddeshalbaufgehoben.DieSachewirdandasLandgerichtHamburgzurckverwiesen.

    Grnde:

    A.

    DerBeschwerdefhrer damalsSenatsdirektorundLeiterderStaatlichenPressestelleder Freien und Hansestadt Hamburg hat am 20. September 1950 anllich derErffnung der "Woche des deutschen Films" als Vorsitzender des HamburgerPresseklubsineinerAnsprachevorFilmverleihernundFilmproduzentenu.a.folgendes

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    erklrt:"NachdemderdeutscheFilmimDrittenReichseinenmoralischenRufverwirkthatte,istallerdingseinMannamwenigstenvonallengeeignet,diesenRufwiederherzustellen:dasistderDrehbuchverfasserundRegisseurdesFilms"JudS".MgeunsweitererunabsehbarerSchadenvorderganzenWelterspartbleiben,dereintretenwrde,indemmanausgerechnetihnalsReprsentantendesdeutschenFilmsherauszustellensucht.SeinFreispruchinHamburgwarnureinformeller.DieUrteilsbegrndungwar eine moralische Verdammung. Hier fordern wir von den Verleihern und Theaterbesitzern eineHaltung,dienichtganzbilligist,diemansichaberetwaskostenlassensollte:Charakter.UnddiesenCharakter wnsche ich dem deutschen Film. Beweist er ihn und fhrt er den Nachweis durchPhantasie,optischeKhnheitunddurchSicherheitimHandwerk,dannverdienterjedeHilfeunddannwirdereineserreichen,waserzumLebenbraucht:Erfolgbeimdeutschenwiebeim internationalenPublikum."

    Die Firma DomnickFilmProduktion GmbH, die zu dieser Zeit den Film "UnsterblicheGeliebte" nach dem Drehbuch und unter der Regie des Filmregisseurs Veit Harlanherstellte,fordertedaraufhindenBeschwerdefhrerzueineruerungdarberauf,mitwelcherBerechtigungerdievorerwhntenErklrungengegenHarlanabgegebenhabe.Der Beschwerdefhrer erwiderte mit Schreiben vom 27. Oktober 1950, das er als"OffenenBrief"derPressebergab,u.a.folgendes:

    "DasSchwurgericht hat ebensowenigwiderlegt, daVeitHarlan fr einen groenZeitabschnitt desHitlerReichesder"NazifilmRegisseurNr.1"unddurchseinen"JudS"FilmeinerderwichtigstenExponenten der mrderischen Judenhetze der Nazis war . . . Es mag im In und AuslandGeschftsleutegeben,diesichaneinerWiederkehrHarlansnichtstoen.DasmoralischeAnsehenDeutschlands in derWelt darf aber nicht von robustenGeldverdienern erneut ruiniertwerden.DennHarlansWiederauftretenmukaumvernarbteWundenwiederaufreienundabklingendesMitrauenzum Schaden des deutschen Wiederaufbaus furchtbar erneuern. Es ist aus allen diesen GrndennichtnurdasRechtanstndigerDeutscher,sondernsogar ihrePflicht,sich imKampfgegendiesenunwrdigen Reprsentanten des deutschen Films ber den Protest hinaus auch zum Boykottbereitzuhalten."

    DieDomnickFilmProduktionGmbHunddieHerzogFilmGmbH(diesealsVerleiherindesFilms"UnsterblicheGeliebte'frdasBundesgebiet)erwirktennunbeimLandgerichtHamburg eine einstweilige Verfgung gegen den Beschwerdefhrer, durch die ihmverbotenwurde,

    1. die deutschen Theaterbesitzer und Filmverleiher aufzufordern, den Film "Unsterbliche Geliebte"nichtinihrProgrammaufzunehmen,

    2.dasdeutschePublikumaufzufordern,diesenFilmnichtzubesuchen.

    DasOberlandesgerichtHamburgwiesdieBerufungdesBeschwerdefhrersgegendaslandgerichtlicheUrteilzurck.AufAntragdesBeschwerdefhrerswurdedenbeidenFilmgesellschafteneineFristzurKlageerhebung gesetzt. Auf ihre Klage erlie das Landgericht Hamburg am 22.November1951folgendesUrteil:

    "Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung einer gerichtsseitig festzusetzenden Geld oderHaftstrafezuunterlassen,

    1. die deutschen Theaterbesitzer und Filmverleiher aufzufordern, den bei der Klgerin zu 1 )produzierten und von der Klgerin zu 2) zum Verleih im Bundesgebiet bernommenen Film"UnsterblicheGeliebte"nichtinihrProgrammaufzunehmen,

    2.dasdeutschePublikumaufzufordern,diesenFilmnichtzubesuchen.

    DerBeklagtetrgtdieKostendesRechtsstreits.

    DasUrteilistgegenSicherheitsleistungvon110000DMvorlufigvollstreckbar."

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    DasLandgerichterblickt indenuerungendesBeschwerdefhrerseinesittenwidrigeAufforderung zum Boykott. Ihr Ziel sei, ein Wiederauftreten Harlans "als Schpferreprsentativer Filme" zu verhindern. Die Aufforderung des Beschwerdefhrers laufesogar "praktisch darauf hinaus, Harlan von der Herstellung normaler Spielfilmeberhauptauszuschalten,denn jederderartigeFilmknntedurchdieRegieleistungzueinemreprsentativenFilmwerden".DaHarlanaber indemwegenseinerBeteiligungan dem Film " Jud S" gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren rechtskrftigfreigesprochen worden sei und auf Grund der Entscheidung imEntnazifizierungsverfahren in der Ausbung seines Berufes keinen Beschrnkungenmehr unterliege, verstoe dieses Vorgehen des Beschwerdefhrers gegen "diedemokratische Rechts und Sittenauffassung des deutschen Volkes". DemBeschwerdefhrerwerdenichtzumVorwurfgemacht,daerberdasWiederauftretenHarlans eine ablehnende Meinung geuert habe, sondern da er die ffentlichkeitaufgefordert habe, durch ein bestimmtes Verhalten die Auffhrung von HarlanFilmenunddamitdasWiederauftretenHarlansalsFilmregisseurunmglichzumachen.DieseBoykottaufforderung richte sich auch gegen die klagenden Filmgesellschaften dennwennder inderHerstellungbefindlicheFilmkeinenAbsatz findenknne,drohe ihnenein empfindlicher Vermgensschaden. Der objektive Tatbestand einer unerlaubtenHandlungnach826BGBseidamiterfllt,einUnterlassungsanspruchalsogegeben.Der Beschwerdefhrer legte gegen dieses Urteil Berufung zum OberlandesgerichtHamburg ein. Gleichzeitig hat er Verfassungsbeschwerde erhoben, in der er dieVerletzungseinesGrundrechtsauf freieMeinungsuerung (Art.5Abs.1Satz1GG)rgt. Er habe am Verhalten Harlans und der Filmgesellschaften politische undmoralischeKritikgebt.Dazuseierberechtigt,dennArt.5GGverbrgenichtnurdieFreiheitderRedeohneWirkungsabsicht,sonderngeradeauchdieFreiheitdesWirkensdurch das Wort. Seine uerungen stellten Werturteile dar. Das Gericht habeirrigerweisegeprft,obsieinhaltlichrichtigseienundgebilligtwerdenknnten,whrendesnurdaraufankomme,obsierechtlichzulssigseien.Dasaberseiensie,denndasGrundrechtderMeinungsfreiheithabesozialenCharakterundgewhreeinsubjektivesffentliches Recht darauf, durch geistiges Handeln die ffentliche Meinungmitzubestimmen und an der "Gestaltung des Volkes zum Staat" mitzuwirken. DiesesRecht findeseineGrenzeausschlielich inden "allgemeinenGesetzen" (Art.5Abs.2GG). Soweit durch die Meinungsuerung in das ffentliche, politische Lebenhineingewirkt werden solle, knnten als "allgemeine Gesetze" nur solche angesehenwerden, die ffentliches Recht enthielten, nicht aber die Normen des BrgerlichenGesetzbuchs ber unerlaubte Handlungen. Was dagegen in der Sphre desbrgerlichenRechts sonstunerlaubt sei, knnedurchVerfassungsrecht inderSphredes ffentlichenRechts gerechtfertigt sein dieGrundrechte als subjektiveRechtemitVerfassungsrangseienfrdasbrgerlicheRecht"RechtfertigungsgrndemitVorrang".

    DemBundesminister der Justiz, demSenat der Freien undHansestadtHamburg undden beiden Filmgesellschaften wurdeGelegenheit zur uerung gegeben. Der Senathatmitgeteilt, da er sich denAusfhrungen derVerfassungsbeschwerde anschliee.DieFilmgesellschaftenhaltendasUrteildesLandgerichtsfrzutreffend.In der mndlichen Verhandlung waren der Beschwerdefhrer und die beidenFilmgesellschaftenvertreten.DieAktendesLandgerichtsHamburg15Q35/50und15O87/51sowiedasUrteildesSchwurgerichts I in Hamburg vom 29. April 1950 (50) 16/50 // 14 Ks 8/49 warenGegenstanddermndlichenVerhandlung.

    B.I.

    DieVerfassungsbeschwerdeistzulssigdieVoraussetzungenfrdieAnwendungdes

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    90Abs.2Satz2BVerfGG(EntscheidungvorErschpfungdesRechtsweges)liegenvor.II.

    Der Beschwerdefhrer behauptet, das Landgericht habe durch das Urteil seinGrundrecht auf freieMeinungsuerung ausArt. 5Abs. 1Satz 1 desGrundgesetzesverletzt.1. Das Urteil des Landgerichts, ein Akt der ffentlichen Gewalt in der besonderenErscheinungsform der rechtsprechenden Gewalt, kann durch seinen Inhalt einGrundrecht des Beschwerdefhrers nur verletzen, wenn dieses Grundrecht bei derUrteilsfindungzubeachtenwar.Das Urteil untersagt dem Beschwerdefhrer uerungen, durch die er andere dahinbeeinflussen knnte, sich seiner Auffassung ber das Wiederauftreten Harlansanzuschlieen und ihr Verhalten gegenber den von ihm gestalteten Filmenentsprechend einzurichten. Das bedeutet objektiv eine Beschrnkung desBeschwerdefhrersinderfreienuerungseinerMeinung.DasLandgerichtbegrndetseinen Ausspruch damit, da es die uerungen des Beschwerdefhrers als eineunerlaubte Handlung nach 826 BGB gegenber den Klgerinnen betrachtet unddiesendaheraufGrundderVorschriftendesbrgerlichenRechtseinenAnspruchaufUnterlassungderuerungenzuerkennt.SofhrtdervomLandgerichtangenommenebrgerlichrechtlicheAnspruchderKlgerinnendurchdasUrteildesGerichtszueinemdie Meinungsfreiheit des Beschwerdefhrers beschrnkenden Ausspruch derffentlichenGewalt.DieserkanndasGrundrechtdesBeschwerdefhrersausArt.5Abs.1SatzlGGnurverletzen,wenndieangewendetenVorschriftendesbrgerlichenRechtsdurchdieGrundrechtsnorminhaltlichsobeeinflutwerden,dasiedasUrteilnichtmehrtragen.DiegrundstzlicheFrage,obGrundrechtsnormenaufdasbrgerlicheRechteinwirkenundwie dieseWirkung im einzelnen gedacht werdenmsse, ist umstritten (ber denStandderMeinungensieheneuestensLaufke inderFestschrift frHeinrichLehmann,1956,BandIS.145ff.,undDriginderFestschriftfrNawiasky,1956,S.157ff.).Dieuersten Positionen in diesem Streit liegen einerseits in der These, da dieGrundrechte ausschlielich gegen den Staat gerichtet seien, andererseits in derAuffassung, da dieGrundrechte oder doch einige und jedenfalls diewichtigsten vonihnen auch im Privatrechtsverkehr gegen jedermann glten. Die bisherigeRechtsprechungdesBundesverfassungsgerichts kannweder fr dieeinenoch fr dieandere dieser extremen Auffassungen in Anspruch genommen werden dieFolgerungen, die dasBundesarbeitsgericht in seinemUrteil vom10.Mai 1957 NJW1957,S.1688ausdenEntscheidungendesBundesverfassungsgerichtsvom17.und23.Januar1957(BVerfGE6,55und6,84)indieserHinsichtzieht,gehenzuweit.AuchjetztbestehtkeinAnla,dieStreitfragedersogenannten"Drittwirkung"derGrundrechteinvollemUmfangzuerrtern.ZurGewinnungeinessachgerechtenErgebnissesgengtfolgendes:OhneZweifel sind dieGrundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die FreiheitssphredeseinzelnenvorEingriffenderffentlichenGewaltzusichernsiesindAbwehrrechtedes Brgers gegen den Staat. Das ergibt sich aus der geistesgeschichtlichenEntwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgngen, die zurAufnahmevonGrundrechtenindieVerfassungen der einzelnen Staaten gefhrt haben. Diesen Sinn haben auch dieGrundrechtedesGrundgesetzes,dasmitderVoranstellungdesGrundrechtsabschnittsden Vorrang des Menschen und seiner Wrde gegenber der Macht des Staatesbetonenwollte.Dementsprichtes,daderGesetzgeberdenbesonderenRechtsbehelfzur Wahrung dieser Rechte, die Verfassungsbeschwerde, nur gegen Akte derffentlichenGewaltgewhrthat.

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    Ebensorichtigistaber,dadasGrundgesetz,daskeinewertneutraleOrdnungseinwill(BVerfGE2,1[12]5,85[134ff.,197ff.]6,32[40f.]),inseinemGrundrechtsabschnittaucheineobjektiveWertordnungaufgerichtethatunddageradehierineineprinzipielleVerstrkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt (Kleinv.Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Vorbem. B III 4 vor Art. 1 S. 93). DiesesWertsystem,dasseinenMittelpunktinderinnerhalbdersozialenGemeinschaftsichfreientfaltenden menschlichen Persnlichkeit und ihrer Wrde findet, mu alsverfassungsrechtliche Grundentscheidung fr alle Bereiche des Rechts geltenGesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien undImpulse. So beeinflut es selbstverstndlich auch das brgerliche Recht keinebrgerlichrechtlicheVorschriftdarf inWiderspruchzu ihmstehen, jedemuinseinemGeisteausgelegtwerden.Der Rechtsgehalt der Grundrechte als objektiver Normen entfaltet sich im Privatrechtdurch dasMedium der dieses Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften.Wie neues Recht im Einklangmit dem grundrechtlichenWertsystem stehenmu, sowirdbestehendeslteresRecht inhaltlichaufdiesesWertsystemausgerichtetvon ihmher fliet ihm ein spezifisch verfassungsrechtlicher Gehalt zu, der fortan seineAuslegung bestimmt. Ein Streit zwischen Privaten ber Rechte und Pflichten aussolchen grundrechtlich beeinfluten Verhaltensnormen des brgerlichen Rechts bleibtmateriellundprozessualeinbrgerlicherRechtsstreit.Ausgelegtundangewendetwirdbrgerliches Recht, wenn auch seine Auslegung dem ffentlichen Recht, derVerfassung,zufolgenhat.Der Einflu grundrechtlicher Wertmastbe wird sich vor allem bei denjenigenVorschriftendesPrivatrechtsgeltendmachen,diezwingendesRechtenthaltenundsoeinen Teil des ordre public im weiten Sinne bilden, d. h. der Prinzipien, die ausGrnden des gemeinen Wohls auch fr die Gestaltung der Rechtsbeziehungenzwischen den einzelnen verbindlich sein sollen und deshalb der Herrschaft desPrivatwillensentzogensind.DieseBestimmungenhabennach ihremZweckeinenaheVerwandtschaftmitdemffentlichenRecht,demsiesichergnzendanfgen.Dasmusie in besonderem Mae dem Einflu des Verfassungsrechts aussetzen. DerRechtsprechung bieten sich zur Realisierung dieses Einflusses vor allem die"Generalklauseln", die, wie 826 BGB, zur Beurteilungmenschlichen Verhaltens aufauerzivilrechtliche, ja zunchst berhaupt auerrechtlicheMastbe, wie die "gutenSitten", verweisen. Denn bei der Entscheidung darber, was diese sozialen Gebotejeweils im Einzelfall fordern, mu in erster Linie von der Gesamtheit derWertvorstellungen ausgegangenwerden, die das Volk in einem bestimmten Zeitpunktseiner geistigkulturellen Entwicklung erreicht und in seiner Verfassung fixiert hat.DeshalbsindmitRechtdieGeneralklauselnalsdie"Einbruchstellen"derGrundrechteindasbrgerlicheRechtbezeichnetworden(DriginNeumannNipperdeyScheuner,DieGrundrechte,BandIIS.525).Der Richter hat kraft Verfassungsgebots zu prfen, ob die von ihm anzuwendendenmateriellen zivilrechtlichen Vorschriften in der beschriebenen Weise grundrechtlichbeeinflut sind trifft das zu, dann hat er bei Auslegung und Anwendung dieserVorschriftendiesichhierausergebendeModifikationdesPrivatrechtszubeachten.DiesistderSinnderBindungauchdesZivilrichtersandieGrundrechte(Art.1Abs.3GG).Verfehlt er diese Mastbe und beruht sein Urteil auf der Auerachtlassung diesesverfassungsrechtlichenEinflussesauf die zivilrechtlichenNormen, so verstt er nichtnurgegenobjektivesVerfassungsrecht,indemerdenGehaltderGrundrechtsnorm(alsobjektiverNorm)verkennt,erverletztvielmehralsTrgerffentlicherGewaltdurchseinUrteil dasGrundrecht, aufdessenBeachtungauchdurchdie rechtsprechendeGewaltderBrgereinenverfassungsrechtlichenAnspruchhat.GegeneinsolchesUrteilkannunbeschadetderBekmpfungdesRechtsfehlersimbrgerlichrechtlichenInstanzenzug das Bundesverfassungsgericht im Wege der Verfassungsbeschwerde angerufen

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    werden.

    DasVerfassungsgericht hat zu prfen, ob dasordentlicheGericht dieReichweite undWirkkraft derGrundrechte imGebiet des brgerlichenRechts zutreffend beurteilt hat.Darausergibt sichaber zugleichdieBegrenzungderNachprfung:es ist nichtSachedesVerfassungsgerichts,UrteiledesZivilrichtersinvollemUmfangeaufRechtsfehlerzuprfendasVerfassungsgerichthatlediglichdiebezeichnete"Ausstrahlungswirkung"derGrundrechte auf das brgerliche Recht zu beurteilen und den Wertgehalt desVerfassungsrechtssatzes auch hier zur Geltung zu bringen. Sinn des Instituts derVerfassungsbeschwerde ist es, daalleAkte der gesetzgebenden, vollziehenden undrichterlichen Gewalt auf ihre "Grundrechtmigkeit" nachprfbar sein sollen ( 90BVerfGG).SowenigdasBundesverfassungsgerichtberufenist,alsRevisionsodergar"Superrevisions"InstanzgegenberdenZivilgerichtenttigzuwerden,sowenigdarfesvon der Nachprfung solcher Urteile allgemein absehen und an einer in ihnen etwazutagetretendenVerkennunggrundrechtlicherNormenundMastbevorbergehen.2.DieProblematikdesVerhltnissesderGrundrechtezumPrivatrechtscheint imFalledes Grundrechts der freien Meinungsuerung (Art. 5 GG) anders gelagert zu sein.Dieses Grundrecht ist wie schon in der Weimarer Verfassung (Art. 118) vomGrundgesetznurindenSchrankender"allgemeinenGesetze"gewhrleistet(Art.5Abs.2).Ohnedazunchstuntersuchtwird,welcheGesetze"allgemeine"GesetzeindiesemSinnesind, lieesichdieAuffassungvertreten,hierhabedieVerfassungselbstdurchdieVerweisungaufdieSchrankederallgemeinenGesetzedenGeltungsanspruchdesGrundrechts von vornherein auf den Bereich beschrnkt, den ihm dieGerichte durchihreAuslegungdieserGesetzenochbelassen.DasErgebnisdieserAuslegungmsse,soweit es eine Beschrnkung des Grundrechts darstelle, hingenommen werden undknnedeshalbniemalsalseine"Verletzung"desGrundrechtsangesehenwerden.Dies ist indessen nicht der Sinn der Verweisung auf die "allgemeinenGesetze". DasGrundrecht auf freie Meinungsuerung ist als unmittelbarster Ausdruck dermenschlichenPersnlichkeitinderGesellschafteinesdervornehmstenMenschenrechteberhaupt(undesdroitslesplusprecieuxdel'hommenachArtikel11derErklrungderMenschen und Brgerrechte von 1789). Fr eine freiheitlichdemokratischeStaatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermglicht erst die stndigegeistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist(BVerfGE5,85[205]).EsistingewissemSinndieGrundlagejederFreiheitberhaupt,"the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom"(Cardozo).Aus dieser grundlegenden Bedeutung der Meinungsuerungsfreiheit fr denfreiheitlich demokratischen Staat ergibt sich, da es vom Standpunkt diesesVerfassungssystemsausnichtfolgerichtigwre,diesachlicheReichweitegeradediesesGrundrechtsjederRelativierungdurcheinfachesGesetz(unddamitzwangslufigdurchdie Rechtsprechung der die Gesetze auslegenden Gerichte) zu berlassen. Es giltvielmehrimPrinzipauchhier,wasobenallgemeinberdasVerhltnisderGrundrechtezurPrivatrechtsordnungausgefhrtwurde:dieallgemeinenGesetzemsseninihrerdasGrundrecht beschrnkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung diesesGrundrechtsgesehenundsointerpretiertwerden,daderbesondereWertgehaltdiesesRechts,derinderfreiheitlichenDemokratiezueinergrundstzlichenVermutungfrdieFreiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im ffentlichen Leben, fhrenmu, auf jeden Fall gewahrt bleibt. Die gegenseitigeBeziehung zwischenGrundrechtund"allgemeinemGesetz" istalsonichtalseinseitigeBeschrnkungderGeltungskraftdesGrundrechtsdurchdie"allgemeinenGesetze"aufzufassenesfindetvielmehreineWechselwirkungindemSinnestatt,dadie"allgemeinenGesetze"zwardemWortlautnach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis derwertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat

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    ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wiedereingeschrnktwerdenmssen.Das Bundesverfassungsgericht, das durch das Rechtsinstitut derVerfassungsbeschwerde zur Wahrung der Grundrechte letztlich berufen ist, mudemgem auch hier die rechtliche Mglichkeit besitzen, die Rechtsprechung derGerichte dort zu kontrollieren,wo sie inAnwendung eines allgemeinenGesetzes dengrundrechtlich bestimmten Raum betreten und damit mglicherweise denGeltungsanspruch desGrundrechts im Einzelfall unzulssig beschrnken. Esmu zuseinerKompetenzgehren, den spezifischenWert, der sich in diesemGrundrecht frdiefreiheitlicheDemokratieverkrpert,allenOrganenderffentlichenGewalt,alsoauchden Zivilgerichten, gegenber zur Geltung zu bringen und den verfassungsrechtlichgewolltenAusgleichzwischendensichgegenseitigwiderstreitenden,hemmendenundbeschrnkenden Tendenzen des Grundrechts und der "allgemeinen Gesetze"herzustellen.3. Der Begriff des "allgemeinen" Gesetzes war von Anfang an umstritten. Es magdahinstehen,obderBegriffnurinfolgeeinesRedaktionsversehensindenArtikel118derReichsverfassung von 1919 gelangt ist (siehe dazu Hntzschel im Handbuch desdeutschen Staatsrechts, 1932, Band II S. 658). Jedenfalls ist er bereits whrend derGeltungsdauerdieserVerfassungdahinausgelegtworden,dadarunteralleGesetzezuverstehensind, die "nicht eineMeinungals solcheverbieten, die sichnicht gegendieuerungderMeinungalssolcherichten",dievielmehr"demSchutzeeinesschlechthin,ohneRcksichtaufeinebestimmteMeinung,zuschtzendenRechtsgutsdienen",demSchutzeeinesGemeinschaftswerts,dergegenberderBettigungderMeinungsfreiheitden Vorrang hat (vgl. die Zusammenstellung der inhaltlich bereinstimmendenFormulierungenbeiKleinv.Mangoldt,a.a.O.,S.250f.,sowieverffentl.derVereinigungder Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 4, 1928, S. 6 ff., bes. S. 18 ff., 51 ff.). Demstimmen auch die Ausleger des Grundgesetzes zu (vgl. etwa Ridder in NeumannNipperdeyScheuner, Die Grundrechte, Band II S. 282: "Gesetze, die nicht die reingeistigeWirkungderreinenMeinungsuerunginhibieren").Wird der Begriff "allgemeine Gesetze" so verstanden, dann ergibt sichzusammenfassendalsSinndesGrundrechtsschutzes:DieAuffassung,danurdasuerneinerMeinunggrundrechtlichgeschtztsei,nichtdiedarinliegendeoderdamitbezweckteWirkungaufandere,istabzulehnen.DerSinneinerMeinungsuerungistesgerade,"geistigeWirkungaufdieUmwelt"ausgehenzulassen,"meinungsbildendundberzeugendaufdieGesamtheitzuwirken"(Hntzschel,Hdb. DStR II, S. 655). Deshalb sind Werturteile, die immer eine geistige Wirkungerzielen,nmlichandereberzeugenwollen,vomGrundrechtdesArt.5Abs.1Satz1GG geschtzt ja der Schutz des Grundrechts bezieht sich in erster Linie auf die imWerturteilzumAusdruckkommendeeigeneStellungnahmedesRedenden,durchdieerauf andere wirken will. Eine Trennung zwischen (geschtzter) uerung und (nichtgeschtzter)Wirkungderuerungwresinnwidrig.Die so verstandene Meinungsuerung ist als solche, d.h. in ihrer rein geistigenWirkung,freiwennaberdurchsieeingesetzlichgeschtztesRechtsguteinesanderenbeeintrchtigt wird, dessen Schutz gegenber der Meinungsfreiheit den Vorrangverdient, so wird dieser Eingriff nicht dadurch erlaubt, da er mittels einerMeinungsuerungbegangenwird.Eswirddeshalbeine"Gterabwgung"erforderlich:Das Recht zur Meinungsuerungmu zurcktreten, wenn schutzwrdige Interesseneines anderen von hherem Rang durch die Bettigung der Meinungsfreiheit verletztwrden. Ob solche berwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist auf Grund allerUmstndedesFalleszuermitteln.4. Von dieser Auffassung aus bestehen keine Bedenken dagegen, auchNormen desbrgerlichen Rechts als "allgemeine Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG

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    anzuerkennen. Wenn das bisher in der Literatur im allgemeinen nicht geschehen ist(worauf auch Kleinv. Mangoldt, a.a.O., S. 251, hinweist), so kommt darin nur zumAusdruck, da man die Grundrechte lediglich in ihrer Wirkung zwischen Brger undStaat gesehen hat, so da folgerichtig als einschrnkende allgemeine Gesetze nursolche in Betracht kamen, die staatliches Handeln gegenber dem einzelnen regeln,also Gesetze ffentlichrechtlichen Charakters.Wenn aber das Grundrecht der freienMeinungsuerung auch in denPrivatrechtsverkehr hineinwirkt und seinGewicht sichhierzugunstenderZulssigkeiteinerMeinungsuerungauchdemeinzelnenMitbrgergegenbergeltendmacht,somuaufderandernSeiteauchdiedasGrundrechtunterUmstnden beschrnkende Gegenwirkung einer privatrechtlichen Norm, soweit siehhere Rechtsgter zu schtzen bestimmt ist, beachtet werden. Es wre nichteinzusehen, warum zivilrechtliche Vorschriften, die die Ehre oder andere wesentlicheGter der menschlichen Persnlichkeit schtzen, nicht ausreichen sollten, um derAusbung desGrundrechts der freienMeinungsuerungSchranken zu setzen, auchohnedazudemgleichenZweckStrafvorschriftenerlassenwerden.Der Beschwerdefhrer befrchtet, da durch Beschrnkung der Redefreiheit einemeinzelnengegenberdieGefahrheraufgefhrtwerdenknnte,derBrgerwerdeinderMglichkeit,durchseineMeinung inderffentlichkeitzuwirken,allzusehrbeengtunddieunerllicheFreiheitderffentlichenErrterunggemeinschaftswichtigerFragenseinichtmehr gewhrleistet. DieseGefahr besteht in der Tat (vgl. dazuErnstHelle,DerSchutzderpersnlichenEhreunddeswirtschaftlichenRufesimPrivatrecht,1957,S.65,8385,153).Um ihrzubegegnen, istesabernichterforderlich,dasbrgerlicheRechtausderReihederallgemeinenGesetzeschlechthinauszuscheiden.EsmunurauchhierderfreiheitlicheGehaltdesGrundrechtsentschiedenfestgehaltenwerden.Eswirdvor allem dort in die Waagschale fallen mssen, wo von dem Grundrecht nicht zumZweckeprivaterAuseinandersetzungenGebrauchgemachtwird,derRedendevielmehrinersterLinie zurBildungderffentlichenMeinungbeitragenwill, sodadieetwaigeWirkung seiner uerung auf den privaten Rechtskreis eines anderen zwar eineunvermeidlicheFolge,abernichtdaseigentlicheZielderuerungdarstellt.Geradehierwird das Verhltnis von Zweck und Mittel bedeutsam. Der Schutz des privatenRechtsguts kann und mu um so mehr zurcktreten, je mehr es sich nicht um eineunmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete uerung im privaten, namentlich imwirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigenntziger Ziele, sondern um einenBeitragzumgeistigenMeinungskampfineinerdieffentlichkeitwesentlichberhrendenFrage durch einen dazu Legitimierten handelt hier spricht die Vermutung fr dieZulssigkeitderfreienRede.

    Esergibtsichalso:AuchUrteiledesZivilrichters,dieaufGrund"allgemeinerGesetze"brgerlichrechtlicher Art im Ergebnis zu einer Beschrnkung der Meinungsfreiheitgelangen, knnen das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen. Auch derZivilrichter hat jeweils die Bedeutung des Grundrechts gegenber dem Wert des im"allgemeinen Gesetz" geschtzten Rechtsguts fr den durch die uerung angeblichVerletzten abzuwgen.DieEntscheidung kann nur aus einerGesamtanschauungdesEinzelfalles unter Beachtung aller wesentlichen Umstnde getroffen werden. Eineunrichtige Abwgung kann das Grundrecht verletzen und so dieVerfassungsbeschwerdezumBundesverfassungsgerichtbegrnden.

    III.DieBeurteilungdesFallesaufGrunddervorstehendenallgemeinenDarlegungenergibt,da die Rge des Beschwerdefhrers berechtigt ist. Gegenstand derverfassungsgerichtlichenPrfungistdabeiderInhaltdeslandgerichtlichenUrteils,wieersich aus Tenor und Entscheidungsgrnden ergibt. Ob die Entscheidung desGerichtsauchdannverfassungsrechtlichenBedenkenunterlge,wennsie imAnschluandieAusfhrungenimUrteildesOberlandesgerichtsHamburgimVerfahrendereinstweiligen

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    VerfgungaufdieBestimmungdes823Abs.1BGBgesttztwordenwre,kanndasBundesverfassungsgericht nicht abschlieend entscheiden, weil nicht ohne weiteresunterstellt werden darf, da das Landgericht sich die Begrndung desOberlandesgerichts in allen Einzelheiten zu eigen gemacht haben wrde.Wegen dersichhierergebendenProblememagaufdieAusfhrungenvonHelle,a.a.O.,S.75 ff.(bes.S.8385)verwiesenwerden.1.IndermndlichenVerhandlungisterrtertworden,obdasBundesverfassungsgerichtandietatschlichenFeststellungen,diedasLandgerichtseinemUrteilzugrundegelegthat,gebundenist.DasistnichtlediglichmitdemHinweiszubeantworten,danach26BVerfGG im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht der Grundsatz dermateriellenWahrheitsfindunggilt,dennderhierangegriffeneAktderffentlichenGewaltist in einem Verfahren zustande gekommen, das seinerseits von der"Dispositionsmaxime"beherrschtwird.DieFragebrauchtjedochhiernichtgrundstzlichentschieden zu werden. Die ueren Tatsachen, namentlich der Wortlaut deruerungen des Beschwerdefhrers, sind unbestritten unbestritten ist auch, da derBeschwerdefhrer als Privatmann, nicht als Vertreter des hamburgischen Staates,gesprochen hat. In der Deutung der uerungen kann dem Landgericht jedenfallssoweitgefolgtwerden,alsesdarineine"AufforderungzumBoykott",auch inRichtunggegen die Filmgesellschaften, sieht. Der Beschwerdefhrer selbst hat insoweit keineBedenkenerhoben.WasdasZielderuerungenanlangt,soistesunbedenklich,wenndasLandgericht feststellt, daderBeschwerdefhrer "einWiederauftretenHarlansalsSchpfer reprsentativer Filme" habe verhindern wollen ob die daran geknpfteFolgerung,dadies"praktischdaraufhinauslaufe",HarlanvonderHerstellungnormalerSpielfilme berhaupt auszuschalten, angesichts des Wortlauts der uerungen nichtdochzuweitgeht,mufreilichzweifelhafterscheinen,kannaberdahingestelltbleiben,daesfrdieEntscheidungohneBedeutungist.Fr die rechtliche Beurteilung ist davon auszugehen, da "Boykott" kein eindeutigerRechtsbegriff ist, der als solcher schon eine unerlaubte (sittenwidrige) Handlungbezeichnet. In der Rechtsprechung ist mit Recht darauf hingewiesen worden (sobesonders RGZ 155, 257 [276 f.]), da es keinen fest umgrenzten Tatbestand dessittenwidrigenBoykottsgibt,daesvielmehrimmerdaraufankommt,obeinVerhalteninseinem konkreten Zusammenhang als "sittenwidrig" anzusehen ist. Auch aus diesemGrunde ist es unbedenklich, dieDeutung des Landgerichts zu bernehmen denn siesagt ber die rechtlichen Folgen dieser Beurteilung noch nichts Entscheidendes aus.ManmusichvonderSuggestivkraftdesBegriffs"Boykott"freihaltenunddasVerhaltendesBeschwerdefhrersimZusammenhangmitallenseinenBegleitumstndensehen.2.DasLandgerichthatdieVerurteilungdesBeschwerdefhrersauf826BGBgesttzt.Esnimmtan,dadasVerhaltendesBeschwerdefhrers imSinnedieserBestimmunggegen die guten Sitten, gegen die "demokratische Rechts und Sittenauffassung desdeutschenVolkes",verstoenhabeunddeshalbeineunerlaubteHandlungdarstelle,daeinRechtfertigungsgrundnicht erkennbar sei.Dabei brauchederjenige, dessenRechtsittenwidrigbeeintrchtigtwerde,nichtmitdemGeschdigtenidentischzusein.NachdemobenzuII4Ausgefhrtenmu826BGB,dergrundstzlichalleRechteundGtergegensittenwidrigeAngriffe schtzt, alsein "allgemeinesGesetz" imSinnedesArt. 5 Abs. 2 GG angesehen werden. Die Prfung des Bundesverfassungsgerichtsbeschrnkt sichdanachauf dieFrage, obdasLandgericht bei derAnwendungdieserGeneralklausel Bedeutung und Reichweite des Grundrechts der freienMeinungsuerung richtig erkannt und gegen die Interessen Harlans und derFilmgesellschaftenabgewogenhat.

    826BGBverweistaufdenMastabder"gutenSitten".Eshandeltsichhiernichtum

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    irgendwie vorgegebene und daher (grundstzlich) unvernderliche Prinzipien reinerSittlichkeit, sondern um die Anschauungen der "anstndigen Leute" davon, was imsozialen Verkehr zwischen den Rechtsgenossen "sich gehrt". Diese Anschauungensind geschichtlich wandelbar, knnen daher in gewissen Grenzen auch durchrechtlicheGeboteundVerbotebeeinflutwerden.DerRichter,derdashiernachsozialGeforderteoderUntersagteimEinzelfallermittelnmu,hatsich,wieausderNaturderSachefolgt,ihmaberauchinArt.1Abs.3GGausdrcklichvorgeschriebenist,dabeianjene grundstzlichenWertentscheidungen und sozialenOrdnungsprinzipien zu halten,dieerimGrundrechtsabschnittderVerfassungfindet.InnerhalbdieserWertordnung,diezugleicheineWertrangordnungist,muauchdiehiererforderlicheAbwgungzwischendemGrundrechtausArt.5Abs.1Satz1GGunddenseineAusbungbeschrnkendenRechtenundRechtsgternvorgenommenwerden.Fr die Entscheidung der Frage, ob eine Aufforderung zum Boykott nach diesenMastben sittenwidrig ist, sind zunchstMotive, Ziel und Zweck der uerungen zuprfenfernerkommtesdaraufan,obderBeschwerdefhrerbeiderVerfolgungseinerZiele das Ma der nach den Umstnden notwendigen und angemessenenBeeintrchtigungderInteressenHarlansundderFilmgesellschaftennichtberschrittenhat.a) Sicherlich haftet den Motiven, die den Beschwerdefhrer zu seinen uerungenveranlat haben, nichts Sittenwidriges an. Der Beschwerdefhrer hat keine eigenenInteressen wirtschaftlicher Art verfolgt er stand namentlich weder mit den klagendenFilmgesellschaften noch mit Harlan in Konkurrenzbeziehungen. Das Landgericht hatselbstbereitsinseinemUrteilimVerfahrendereinstweiligenVerfgungfestgestellt,diemndlicheVerhandlunghabenichtdiegeringstenAnhaltspunktedafrergeben,daderBeschwerdefhrer etwa "aus eigenntzigen bzw. nicht achtenswerten Motiven"gehandelthabe.DemistvonkeinerSeitewidersprochenworden.b)DasZielderuerungendesBeschwerdefhrerswar,wieerselbstangibt,HarlanalsreprsentativenVertreterdesdeutschenFilmsauszuschaltenerwollteverhindern,daHarlanwieder als Schpfer reprsentativer deutscher Filme herausgestellt werde unddamitderAnscheinentstehe,alsseieinneuerAufstiegdesdeutschenFilmsnotwendigmit der Person Harlans verbunden. Die Gerichte haben nicht zu beurteilen, ob dieseZielsetzung sachlich zu billigen ist, sondern nur, ob ihre Bekundung in der vomBeschwerdefhrergewhltenFormrechtlichzulssigwar.Die uerungen des Beschwerdefhrers mssen im Rahmen seiner allgemeinenpolitischenundkulturpolitischenBestrebungengesehenwerden.ErwarvonderSorgebewegt, das Wiederauftreten Harlans knne vor allem im Ausland so gedeutetwerden,alshabesich imdeutschenKulturlebengegenberdernationalsozialistischenZeit nichts gendert wie damals, so sei Harlan auch jetzt wieder der reprsentativedeutscheFilmregisseur.DieseBefrchtungenbetrafeneinefrdasdeutscheVolksehrwesentliche Frage, im Grunde die seiner sittlichen Haltung und seiner daraufberuhendenGeltunginderWelt.DemdeutschenAnsehenhatnichtssogeschadetwiediegrausameVerfolgungderJudendurchdenNationalsozialismus.EsbestehtalsoeinentscheidendesInteressedaran,dadieWeltgewiseinkann,dasdeutscheVolkhabesich von dieser Geisteshaltung abgewandt und verurteile sie nicht aus politischenOpportunittsgrnden, sondern aus der durch eigene innere Umkehr gewonnenenEinsichtinihreVerwerflichkeit.

    DieBefrchtungendesBeschwerdefhrerssindvon ihmnichtnachtrglichkonstruiert,sieentsprechenderSachlage,wiesiesichdamalsfrihndarstellte.Dasistspterunteranderem dadurch besttigt worden, da z.B. in der Schweiz der Versuch, den Film"Unsterbliche Geliebte" zu zeigen, zu lebhaften Protesten, ja sogar zu einerInterpretation im Nationalrat und zu einer amtlichen Stellungnahme des Bundesratsgefhrthat(vgl.NeueZeitungNr.70vom22./23.Mrz1952undNeueZrcherZeitung,

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    FernausgabeNr.327vom28.November1951)derFilmwurdeeinhellignichtwegenseines Inhalts, sondern wegen der Mitwirkung Harlans abgelehnt und infolge dieserzahlreichen nachdrcklichen Interventionen auch nicht aufgefhrt. Auch in mehrerendeutschenStdtenwurdeausdengleichenGrndengegendieAuffhrungdesFilmsdemonstriert.DerBeschwerdefhrerkonntealsoindemWiederauftretenHarlanseinenim Interesse der deutschenEntwicklung und des deutschenAnsehens in derWelt zubeklagenden Vorgang sehen. Die sich hiermit nach seiner Auffassung anbahnendeEntwicklungwollteerverhindern.Das Landgericht hlt es fr zulssig, da der Beschwerdefhrer ber dasWiederauftretenHarlanseineMeinunggeuerthat,machtihmaberzumVorwurf,daer die ffentlichkeit aufgefordert habe, durch ein bestimmtes Verhalten dasWiederauftreten Harlans unmglich zu machen. Bei dieser Unterscheidung wirdbersehen, da derBeschwerdefhrer,wennman ihm schon gestattenwill, ber dasWiederauftreten Harlans eine (ablehnende) Meinung zu uern, kaum ber dashinausging was in diesem Werturteil bereits enthalten war. Denn die Aufforderung,HarlanFilme nicht abzunehmen und nicht zu besuchen, ergab sich als Wirkung desnegativen Werturteils ber das Wiederauftreten Harlans geradezu von selbst. Dassachliche anliegen des Beschwerdefhrers war es, die Gefahr nationalsozialistischerEinflsseaufdasdeutscheFilmwesenvonvornhereinabzuwehren vondaherhaterfolgerichtigdasWiederauftretenHarlansbekmpft.HarlanerscheinthieralspersnlicherExponent einer bestimmten, vom Beschwerdefhrer abgelehnten kulturpolitischenEntwicklung.DerzulssigeAngriffgegendiesefhrtemiteinergewissenNotwendigkeitzueinemEingriffindiepersnlicheRechtssphreHarlans.Der Beschwerdefhrer war durch seine besonders nahe persnliche Beziehung zuallem,wasdasdeutsch jdischeVerhltnisbetraf, legitimiert,seineAuffassung inderffentlichkeit darzulegen. Er war damals bereits durch seine Bestrebungen umWiederherstellung eines wahren inneren Friedens mit dem jdischen Volke bekanntgeworden. Er war fhrend in der Gesellschaft fr christlichjdische Zusammenarbeitttig er hatte kurz vorher in Rundfunk und Presse die Aktion "Friede mit Israel"eingeleitet, die in Deutschland und imAusland lebhaft diskutiert wordenwar und ihmzahlreiche Zustimmungserklrungen eingebracht hatte. Es ist begreiflich, da erbefrchtete,alledieseBestrebungenknntendurchdasWiederauftretenHarlansgestrtund durchkreuzt werden. Er durfte aber auch davon ausgehen, da man in derffentlichkeit gerade von ihmeineuerung dazu erwarte, zumal er ausAnla einer"WochedesdeutschenFilms"ohnedieszuaktuellenFilmfragenzusprechenhatteunddie unmittelbar bevorstehende Auffhrung des ersten neuen HarlanFilms inFachkreisensicherlichalseinwichtigesEreignisgewertetwurde.DerBeschwerdefhrerkonntedieEmpfindunghaben,daerhiereinerStellungnahmenichtausweichendrfe.DarausergabsichfrihneinedefensiveSituation,dieseineuerungennichtalseinenunmotivierten und jedenfalls unprovozierten Angriff, sondern als eine verstndlicheReaktionderAbwehrerscheinenlt.Das Verlangen, der Beschwerdefhrer htte bei dieser Sachlage von der Kundgabeseiner Auffassung, da Harlan von der Mitwirkung an reprsentativen Filmenausgeschaltetwerdensolle,mitRcksichtaufdieberuflichenInteressenHarlansunddiewirtschaftlichen Interessen der ihn beschftigenden Filmgesellschaften trotzdemabsehenmssen, istunberechtigt.DieFilmgesellschaftenmgenbei ihremEntschlu,Harlanwiederzubeschftigen, formalkorrektverfahrensein.Wennsiedabeiaberdiedarber hinaus verbleibende moralische Problematik des Falles nicht bercksichtigthaben, dann kann das nicht dazu fhren, das Vorgehen des Beschwerdefhrers, dergeradedieseProblematikaufgriff,als"unsittlich"zubezeichnenundihmsodieFreiheitderMeinungsuerungzubeschneiden.DamitwrdederWert,dendasGrundrechtderfreienMeinungsuerungfrdiefreiheitlicheDemokratiegeradedadurchbesitzt,daesdieffentlicheDiskussionberGegenstndevonallgemeinerBedeutungundernstem

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    Gehaltgewhrleistet,empfindlichgeschmlert.Wennesdarumgeht,dasich ineinerfrdasGemeinwohlwichtigenFrageeineffentlicheMeinungbildet,mssenprivateundnamentlich wirtschaftliche Interessen einzelner grundstzlich zurcktreten. DieseInteressensinddarumnichtschutzlosdennderWertdesGrundrechtszeigtsichgeradeauchdarin,da jedervon ihmGebrauchmachenkann.Wersichdurchdieffentlicheuerungeinesandernverletztfhlt,kannebenfallsvorderffentlichkeiterwidern.ErstimWiderstreitderingleicherFreiheitvorgetragenenAuffassungenkommtdieffentlicheMeinung zustande, bilden sich die einzelnen angesprochenen Mitglieder derGesellschaft ihre persnliche Ansicht. Der Beschwerdefhrer hat zu Recht daraufhingewiesen, da es z. B. grundstzlich zulssig ist, aus ernsthaften Motiven in derffentlichkeit denAbsatz bestimmterWarenoder bestimmteOrganisationsformendesVerkaufs zu bekmpfen, auch wenn bei Erfolg solcher MeinungsuerungenwirtschaftlicheUnternehmenzumErliegenkmen,Arbeitspltzeverlorengingenu.dgl.Solche uerungen knnen nicht schon wegen dieser mglichen Folgen gerichtlichuntersagt werden den Angegriffenen steht es aber frei, sich durch Darlegung ihrerAuffassungzurWehrzusetzen.In diesem Zusammenhang hat das Landgericht auf Art. 2 GG hingewiesen Es gehtdavonaus,HarlandrfeseinenBerufalsFilmregisseurwiederaufnehmenundausben,da er vom Schwurgericht, vor dem er wegen eines Verbrechens gegen dieMenschlichkeit nach demKontrollratsgesetz Nr. 10 angeklagt war, freigesprochen, imEntnazifizierungsverfahren als " Entlasteter" eingestuft worden sei und dieSpitzenorganisation derFilmwirtschaft (Spio) alleTtigkeitsbeschrnkungengegen ihnaufgehobenhabe.Artikel2wirkeallerdingsnurgegendieffentlicheGewalt zugleichkomme aber in der Bestimmung die sittliche Auffassung des deutschen Volkes zumAusdruck, mit der Folge, da die eigenmchtige Beschrnkung dieses Grundrechts,"vonwemsieauchkommenmag", gegendiegutenSitten verstoe.Daran ist richtig,daauchArt.2GGzudemgrundrechtlichenWertsystemgehrtunddieVorstellungendavon,waswiderdie"gutenSitten"verstt,mageblichbeeinflussenkann.Trotzdemwird hier die Bedeutung des Artikels 2 nicht richtig gesehen. Da der Staat, dieffentlicheGewalt,nurindenSchrankenderGesetzegegenHarlanvorgehendurfteunddarf, ist selbstverstndlich. Daraus folgt aber nichts dafr, was der einzelne BrgergegenberHarlanunternehmenunduerndarf.Dennhieristentscheidend,dajedereinzelne Trger derselben Grundrechte ist. Da im Zusammenleben in einer groenGemeinschaft sichnotwendig stndig InteressenundRechtskollisionenzwischendeneinzelnenergeben,hat imsozialenBereichstndigeinAusgleichundeineAbwgungder einander entgegenstehenden Rechte nach dem Grade ihrer Schutzwrdigkeitstattzufinden.Was alsErgebnis einer solchenAbwgung anBeschrnkung der freienEntfaltungsmglichkeitfrdeneinzelnenverbleibt,muhingenommenwerden.NiemandkannsichhieraufdieangeblichabsolutgeschtztePositiondesArt.2GGzurckziehenund jedenAngriffaufsie, "vonwemerauchkommenmag",alsUnrechtoderVerstogegen die guten Sitten ansehen (vgl. auch H. Lehmann, MDR 1952, S.298). DieArgumentation des Oberlandesgerichts Hamburg im Verfahren der einstweiligenVerfgung: "weil der Staat das Recht (zu gewissen Manahmen) nicht hat, so kanndieses Recht erst recht nicht der einzelne Brger haben", ist irrig, weil sie NichtZusammengehrigesineineinfachesVerhltnisvonmehrundwenigerbringenwill.DieAusfhrungendesLandgerichtsknntenauchsogedeutetwerden,daes indenuerungen des Beschwerdefhrers einen Eingriff in den Kern der knstlerischenPersnlichkeit Harlans erblickt, den "letzten unantastbaren Bereich menschlicherFreiheit"(BVerfGE6,32[41]),einenEingriffalso,derdurchkeinenochsogewichtigenInteressendesBeschwerdefhrersgerechtfertigtwerdenknneunddeshalb,weilerdieMenschenwrde Harlans verletze, unter allen Umstnden sittenwidrig sei. Eine soweitreichendeFolgerung lt aber der festgestellteSachverhalt nicht zu. Selbstwennman ber denWortlaut deruerungenhinaus mit demLandgericht annimmt, bei

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    ErfolgderAufforderungwerdeHarlanalsRegisseurvonSpielfilmenvlligausgeschaltet,wrden diesem doch noch andere knstlerische Bettigungsmglichkeiten auch imFilmwesenverbleiben,sodavoneinergnzlichenVernichtungseinerknstlerischenund menschlichen Existenz nicht gesprochen werden knnte. Eine solche AnnahmewrdeaberberhauptdieIntensittdesindenuerungenliegendenEingriffserheblichberschtzen.Dieuerungen konnten als solche die knstlerische undmenschlicheEntfaltungsfreiheitHarlansunmittelbarundwirksamberhauptnichtbeschrnken.DemBeschwerdefhrer standen keinerlei Zwangsmittel zuGebote, um seiner AufforderungNachdruck zu verleihen er konnte nur an das Verantwortungsbewutsein und diesittliche Haltung der von ihm Angesprochenen appellieren und mute es ihrer freienWillensentschlieung berlassen, ob sie ihm folgen wollten. Da er auf dieSubventionierungvonFilmendurchdenhamburgischenStaatEinflugehabthtte,alsodurch die Drohung mit dem Entzug oder der Versagung von Subventionen einengewissen Druck wenigstens auf die Filmproduzenten htte ausben knnen, ist nichtdargetan.c)DieGegnerdesBeschwerdefhrershaben indermndlichenVerhandlungvordemBundesverfassungsgericht besonderes Gewicht darauf gelegt, da die vomBeschwerdefhrer bei der Boykottaufforderung angewandten Mittel jedenfalls in einerHinsichtinsichschonsittenwidriggewesenseien.DerBeschwerdefhrerhabenmlichdieobjektivunwahreBehauptungaufgestellt,HarlanseivomSchwurgerichtnurformellfreigesprochenworden,dieUrteilsgrndeseieneinemoralischeVerdammunggewesen.Es mag dahinstehen, ob dieser Vorwurf, wenn er gerechtfertigt wre, ein soumfassendes Verbot begrnden knnte, wie es im Urteil des Landgerichtsausgesprochen ist. Das Landgericht selbst ist der Auffassung, "da die Verwendungsittenwidriger Mittel wohl ein Verbot der Boykottaufforderungmit diesenMitteln, nichtaber ein Verbot der Boykottaufforderung schlechthin rechtfertigen wrde". Indessenkannnichtanerkanntwerden,daderBeschwerdefhrersichmitdieserKennzeichnungdesSchwurgerichtsurteilseinesSittenverstoesschuldiggemachthabe.Aus dem Inhalt des Schwurgerichtsurteils ist festzustellen: Das Urteil schildert denLebensgang Harlans, insbesondere seine Laufbahn als Filmregisseur, die nach 1933begannund ihnalsbald zum "Prestigeregisseur" (so kennzeichnetHarlan selbst seineStellung in derSchrift: "MeineBeziehung zumNationalsozialismus",S. 21) aufsteigenlie. Das Urteil stellt dann die Entstehungsgeschichte des Films "Jud S" und dieBeteiligungHarlansandiesemFilmalsRegisseurundDrehbuchmitautor imeinzelnendar. Es schreibt dem Film "klare antisemitische Tendenz" zu, wrdigt ihn imZusammenhangmitdenallgemeinenUmstndenzurZeitseinerEntstehungunderstenAuffhrung (1940)dahin,daerdurchdie tendenziseBeeinflussungderffentlichenMeinung im judenfeindlichenSinnmiturschlich fr die Judenverfolgung gewesen sei,und kennzeichnet ihn deshalb in objektiverHinsicht als ein "Angriffsverhalten",wie esnachderRechtsprechungfrdenBegriffdesVerbrechensgegendieMenschlichkeitimSinnedesKontrollratsgesetzesNr. 10erfordertwerde.DaHarlanalsMitgestalter desDrehbuchsundRegisseurobjektivzumKreisderAngriffsttergehreunddaerauchdiemitdemFilmverfolgtenAbsichtenerkanntsowiemitdenvoraussichtlichenWirkungendes Films gerechnet habe, kommt das Urteil zur Feststellung, da er durch seinemagebendeMitwirkungbei derSchaffungdiesesFilms "in objektiver und subjektiverHinsicht den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfllt" habe. Essprichtihntrotzdemfrei,weilesihmdenSchuldausschlieungsgrunddessogenanntenNtigungsnotstands(52StGB)zubilligt.Dazuwirdimeinzelnenausgefhrt:

    "NachdemErgebnisderBeweisaufnahmestehtfest,daHarlansichnichtumdieMitwirkunganderHerstellung des Films "Jud S" bemht hat, sondern im Gegenteil erst auf Grund des ihm vomPropagandaminister Goebbels erteilten Befehls ttig geworden ist. Zur Beurteilung der Frage, wieGoebbels sich imFall der offenenoder verstecktenAblehnungHarlans verhaltenhabenwrde,warzunchstaufGrundallgemeinergerichtsnotorischerTatsachenfestzustellen,daimNovember1939

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    bereits der Kriegszustand zwischen Deutschland und Polen und die Mglichkeit der weiterenAusdehnung des Krieges auf andere Staaten bestand. Goebbels vertrat die These, da im KriegejederDeutscheseineAufgabeandemPlatz zuerfllenhabe,andenergestellt sei, undda jederDeutsche "Soldat des Fhrers" sei. Goebbels selbst betrachtete sich in seiner Eigenschaft alsPropagandaminister als General des Fhrers und die unter ihm arbeitenden Beamten desPropagandaministeriumsundalleseinemMinisteriumunterstelltenPersonen,auchFilmproduzenten,Regisseure, Schauspieler usw. als unter seinem Befehl stehende Soldaten. Die Nichtausfhrungeines vonGoebbels gegebenenBefehleswurde seitBeginndesKrieges von ihmalsVerweigerungeines kriegsdienstlichen Befehles angesehen und es bedarf keiner Errterung darber, da einesolchevondendamaligenMachthabernmitdenschrfstenStrafen,auchmitderTodesstrafe,belegtwordenwre. In derartigen Fllen bewiesGoebbels eine unmenschliche Hrte und SkrupellosigkeitzurDurchfhrung seinerAbsichten, sodadieMglichkeit einer offenenAblehnung von vornhereinausgeschlossen war. Darber hinaus bewiesen die angefhrten Einzelbeispiele, wie unberechenbarundgefhrlichGoebbelsinseinenHandlungenseinkonnte.WeiterzeigtdieTatsache,daGoebbelsals Propagandaminister jahrelang zugesehen hat, wie deutsche Menschen, deutsche Stdte durcheinensinnlosenKriegzugrundegerichtetwurdenundwieMillionenunschuldigerMenschendurchdieWillkrmanahmen des nationalsozialistischen Regimes in einer jeder Menschlichkeit HohnsprechendenArtundWeisegeqult,gedemtigt, jasogargemordetwurden,unddaGoebbelsallediese Taten durch seine Propaganda zu rechtfertigen suchte, wie skrupellos und ohne moralischeHemmungen dieser Propagandadiktator war. Unter dem nationalsozialistischen Gewaltsystem sindferner eine groe Anzahl bedeutender und im Volke auerordentlich angesehener Mnner aus deneinflureichsten Stellungen entfernt worden, in Konzentrationslager verbracht, zum Selbstmordgetrieben oder hingerichtet worden, und zwar in vielen Fllen ohne da auch nur der Schein desRechtesgewahrtwordenwre.AlledieseTatsachenerhellen,dasGoebbelszurDurchsetzungseinerAbsichten ebenso wie die andern nationalsozialistischen Machthaber vor keiner Gewalttatzurckschreckte.

    AlsGoebbels imJahre1938dieAuflageandieFilmgesellschaftenerteilte, jeeinenantisemitischenFilmstoff herauszubringen, verfolgte er planmig die im nationalsozialistischen ProgrammfestgelegtenantisemitischenThesen.ImJahre1939mutedieantisemitischePropagandanachderAuffassung der damaligen Machthaber eine noch weit grere Bedeutung erlangen, da sie dasWeltjudentumals denFeindEuropasundals ihren strkstenGegner betrachteten,wie dasauch indenRedenAdolfHitlers stndig zumAusdruckgekommen ist.DieDurchfhrungder vonGoebbelserteilten Auflage gewann daher zunehmend grere Bedeutung. Sie mute sogar von seinemStandpunkt aus von grtem staatspolitischenWert sein. Goebbels war daher schon aus den hieraufgezeigtenGrndenanderDurchfhrungseinerBefehleaufdasheftigsteinteressiert.BeidemFilm"Jud S" kam jedoch hinzu, da Goebbels auch persnlich durch den von den SchauspielerngeleistetenWiderstand gegen dasFilmprojekt uerst gereiztwar. Es galt fr ihn, seinenWillen indiktatorischerWeisegegenberjedemWiderstanddurchzusetzen.UnterBercksichtigungallerdieserUmstnde konnte zumindest dieMglichkeit nicht ausgeschlossenwerden, da frHarlan imFalleeiner offenenoder verstecktenAblehnung, falls diese vonGoebbelserkanntwurde,Gefahr fr Leibund Leben bestand. Das Schwurgericht ist darber hinaus sogar der Auffassung, da dieseLebensbedrohungbeider,PersnlichkeitGoebbels'durchausernsthaftgegebenwarundzwarumsomehr,alsdasVerhltniszwischenGoebbelsundHarlanbesondersimJahre1939/40auerordentlichgespanntwar.VondergroenZahlderzudiesemPunktvernommenenZeugenhatnichteineinzigermit Sicherheit sagen knnen, welche Folgewirkungen fr Harlan htten entstehen knnen. Siestimmten jedoch weitgehend darin berein, da Goebbels in irgendeiner Weise seine furchtbareMacht Harlan htte spren lassen. Fr die rechtliche Entscheidung kann es jedoch nicht vonBedeutungseinobGoebbelsgegenHarlanalsVerweigerereineskriegsdienstlichenBefehlsetwaeinVerfahren vor dem Sondergericht in die Wege geleitet oder ihn der Willkrbehandlung imKonzentrationslager berantwortet htte, oder ob er schlielich irgendeinen anderen, nicht imZusammenhang mit dem Filmprojekt stehenden Vorwand gesucht und gefunden htte, Harlan alspolitischen Gegner, Saboteur oder wegen irgendeines anderen Deliktes den gleichen Manahmenauszusetzen. Da die Harlan drohende Gefahr eine gegenwrtige war, bedarf keiner weiterenAusfhrungen, da die Folgen der Nichtausfhrung des Goebbelsbefehles in jedem Augenblickeintretenkonnten,indemGoebbelsHarlanswahreAbsichtenerkannte."

    Es wird dann geprft, ob Harlan zu seinerMitarbeit an dem Film etwa durch andereBeweggrnde bestimmt worden sei. Solche Motive lassen sich nach Auffassung desSchwurgerichtsnichtfeststellen.Esheitdannweiter:

    "Es ist bereits ausgefhrtworden, dadie offeneAblehnungderMitarbeit andemFilmprojekt "JudS" fr Harlan eine schwere Bedrohung und Lebensgefahr bedeutet htte. Es war aber weiter zuprfen,welcheMglichkeitenfr ihnbestandenhaben,durchverstecktesAusweichendieserGefahr

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    zu entgehen und sich dennoch der Beteiligung an der Filmarbeit zu entziehen. Der Angeklagte hatnun behauptet, er habe alle Mglichkeiten, um den Goebbels'schen Befehl herumzukommen, vollausgeschpft, andere Mglichkeiten als die von ihm versuchten htten ihm nicht zur Verfgunggestanden.

    Dem Angeklagten konnte nicht widerlegt werden, da er verschiedene Ausweichmanver versuchthat und zwar, da er das Drehbuch bei Goebbels grndlich verrissen, sich zur Darstellung reinnegativerPersonenunfhigerklrt,aufseinedringendenArbeitenanseinemFilm"Pedrosollhngen"undandemneuenProjekt"AgnesBernauer"verwiesenhatunddaersichschlielichfreiwilligzumKriegsdienst gemeldet hat. Soweit es sich bei den von dem Angeklagten behauptetenAusweichmanvern um Einwendungen knstlerischer Art handelte, konnte seine Haltung ihreErklrungauchinderBesorgniseinesRegisseursfinden,deraufGrundeinesschlechtenDrehbuchseinen schlechten Film zu drehen frchtete. Trotzdem konnte das Gericht nicht mit Sicherheitausschlieen, da alle diese Manahmen Harlans aus einer inneren Ablehnung gegen dasFilmprojektalssolcheergriffenwurden.EswardaherdieweitereFragezuprfen,obsichHarlanberdievon ihmbehauptetenAusweichversuchehinausweitereMglichkeitenzumAusweichengebotenhabenknnten.DasGerichthatsolcheMglichkeitennichtfeststellenknnen."

    DasUrteillegtdannimeinzelnendar,dazuderZeit,alsHarlanmitderGestaltungdesFilms beauftragt wurde, fr ihn kaum noch Mglichkeiten bestanden htten, sich derMitarbeit zu entziehen, den Film zu sabotieren oder seinen antisemitischen Inhaltwesentlich zu mildern da er das letztere wenigstens versucht habe, wird ihmausdrcklichbescheinigt.IndiesemZusammenhangwirdgesagt:

    "DemAngeklagtenkonnteauchnichtzumstrafrechtlichenVorwurfgemachtwerden,daerdenFilmineinerseinenknstlerischenFhigkeitenentsprechendenFormgestaltethat.Eswirdwohlzutreffen,da der Film unter Zugrundelegung desMetzgerMller'schenDrehbuches oder unter derRegieDr.Brauers einen weit geringeren Zulauf bei dem Filmpublikum erreicht htte. Es ist logisch undzwingend, da in diesem Falle die antisemitische Tendenz des Films keine so weite Verbreitunghtte findenknnen,wiediesbeidemvonHarlanhergestelltenFilmderFallwar.Eswarhierbeizubercksichtigen,daHarlandurcheineknstlerischnichtsohochzuwertendeGestaltungseinenRufals groerRegisseur auf das schwerste htte gefhrden knnen.DasSchwurgericht ist jedoch derAnsicht,daeinKnstlerobernunfreiwilligodergezwungenandieErfllungeinesAuftragesgehtgar nicht imstande ist, zu bestimmen, ob er einen guten, zugkrftigen oder einen schlechten Filmherstellt. In jedem Falle wird der Film so ausfallen, wie es seiner knstlerischen Begabungentspricht."

    SogelangtdasUrteilschlielichzudemErgebnis:"Zusammenfassend ist zu sagen, da die Ttigkeit Harlans in objektiver und subjektiver Hinsichtzwar den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfllt hat, ihm jedoch derEntschuldigungsgrunddes52StGBzuzubilligenwar."

    Das Schwurgericht hat sonach nicht konkrete Tatsachen festgestellt, die fr Harlaneinen Notstand begrndet htten es hat die von Harlan in dieser Richtungvorgetragenen Verteidigungsbehauptungen gewrdigt und ist zu dem Schlugekommen,manmsseannehmen,dabeiAblehnungeinerMitwirkungandemFilmfr Harlan Gefahr fr Leib und Leben bestanden habe die aus allgemeinemgeschichtlichenWissen bekanntenCharakterzge vonGoebbelsmachten eine solcheGefhrdungsogarwahrscheinlich.Diese Gedankenfhrung des schwurgerichtlichen Urteils hat der Beschwerdefhrerzusammenfassenddahingewertet,eshandlesichhierumeinen"formellenFreispruch"undeine"moralischeVerdammung".WasderBeschwerdefhrerzumAusdruckbringenwollte,waroffenbardies:EsliegehiernichteinFreispruchwegenerwiesenerUnschuldvor Harlan sei durch die Urteilsgrnde in Wahrheit schwer belastet, da er alsmagebender Mitgestalter eines Werkes erscheine, das als "Verbrechen gegen dieMenschlichkeit" zu charakterisieren sei und dessen mutmaliche Wirkung auf dieBehandlungderJudenergekannthabedasGerichthabeihnnurfreigesprochen,weilesihmnichthabewiderlegenknnen,daerunterZwangandemFilmmitgewirkthabe.

  • 11/07/2015 DFRBVerfGE7,198Lth

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    WennderBeschwerdefhrerseinenEindruckvomInhaltdesschwurgerichtlichenUrteilsindieWorte"formellerFreispruch"und"moralischeVerdammung"zusammengefathat,sogehtdasnachAuffassungdesBundesverfassungsgerichtsnichtberdieGrenzedesinderffentlichenDiskussioneinesThemasvonernstemGehaltZulssigenhinaus.Esbedeutet eine unannehmbare Einengung der Redefreiheit in einer freiheitlichenDemokratie,wenndasLandgerichthiervondemBeschwerdefhrer,dernichtJuristist,die Sorgfalt sogar eines "strafrechtlich geschulten Lesers" fordert, die ihn htteveranlassenmssen,dieKennzeichnung"formellerFreispruch"zuunterlassen,weilsienur beim Fehlen objektiver Voraussetzungen der Strafbarkeit angngig sei. Die vomBeschwerdefhrer gewhlten Bezeichnungen sind keine Tatsachenbehauptungen,deren Wahrheit oder Unwahrheit bewiesen werden knnte namentlich wird mit derBezeichnung"formellerFreispruch"keineindeutigerrechtlicherTatbestandbezeichnet.Eshandeltsichumeinezusammenfassende,wertendeCharakterisierungdesgesamtenUrteilsinhalts, die fr zulssig gehalten werden mu, weil sie weder in der Formverletzend ist noch inhaltlich so sehr den gemeintenSachverhalt verfehlt, da sie beiHrernundLesernganzirrigeVorstellungenberdenUrteilsinhalterweckenmte,wiees etwa der Fall wre, wenn von einem Freigesprochenen ohne nhere Erluterungbehauptet wrde, er sei "verurteilt" worden. Es ist hier auch vonBedeutung, da derFreispruch Harlans in der breiteren ffentlichkeit und erst recht in den Kreisen derFilmwirtschaftbereitsbekanntwar.Ebensowarbekannt,daHarlanderRegisseurdesFilms "Jud S" gewesen war. Damit stand fest, da das Urteil nicht die vllige"Unschuld" im Sinne einer Nichtbeteiligung Harlans an der Frderung derJudenverfolgungdurchdiesenFilmfestgestellthabenkonnte,damithinderFreispruchauf einem anderen, vergleichsweise "formalen" Gesichtspunkt beruhen mute. DieuerungdesBeschwerdefhrerskannalsonicht inVergleichgesetztwerdenmitdenFllen, in denen eine Boykottaufforderung durch Verbreitung einer summarischenKennzeichnungeinesSachverhaltsbegrndetwird,dievondenAdressatennichtohneweiteresrichtigverstandenwerdenkann.d) Die vom Beschwerdefhrer fr seine Meinungsuerung gewhlten Formen derAnsprachevordemPresseklubunddesOffenenBriefesgingennichtberdasnachdenUmstnden Zulssige hinaus. Die DomnickFilmProduktion GmbH hat in demSchreiben, das sie nach der Ansprache des Beschwerdefhrers an diesen richtete,hervorgehoben, da ihr daran gelegen sei, die frhere knstlerische Hhe desdeutschen Films wieder zu erreichen. In diesem "Bestreben nach knstlerischanspruchsvollen Filmen" habe sie Harlan zur Mitarbeit herangezogen. Daraus ergibtsich,dadieGesellschaftsichgeradevonderMitwirkungHarlansanihrenFilmenvielversprach, und es war selbstverstndlich, da sie dieseMitwirkung in ihrerWerbungentsprechendhervorhebenwerde.HiermitwareinstarkesHervortretenHarlans inderffentlichkeit auch ohne besonderes Zutun von seiner Seite verbunden. DasMassenunterhaltungsmitteldesFilmserreichtfastgleichzeitigMillionenvonZuschauernim In und Ausland und lt so die Mitwirkenden, namentlich die Darsteller undRegisseure, rasch in der breitestenffentlichkeit bekanntwerden.Wer aber in dieserWeise vor die ffentlichkeit tritt und dabei an den frheren Ruf eines Mitwirkendenanknpft, mu sich gefallen lassen, da auch die Kritik hieran vor der ffentlichkeiterfolgt und je intensiver mit einem Namen und unter Hinweis auf die frherenLeistungen eines Knstlers auf breite Bevlkerungskreise gewirkt wird, destoeindringlicher und schrfer darf auch die Form der vorsorglichen Abwehr solcherWirkungsein.Deshalbistesnichtzubeanstanden,daderBeschwerdefhrerfrseineKritikdieFormeinerAnsprachevorFilmproduzentenundFilmverleihernsowiediedesOffenenBriefesgewhlthat,dieletzterebrigensnur,weildieDomnickFilmProduktionGmbHihrerseitsihrSchreibenderSpiobekanntgegebenhatte.Eine abschlieende Gesamtbetrachtung des Falles kann schlielich an folgenderberlegungnichtvorbergehen:DerBeschwerdefhrerhatauslauterenMotivenandas

  • 11/07/2015 DFRBVerfGE7,198Lth

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    sittlicheGefhldervonihmangesprochenenKreiseappelliertundsiezueinernichtzubeanstandenden moralischen Haltung aufgerufen. Das ist in der allgemeinenVolksanschauung nicht verkanntworden.Der Beschwerdefhrer hat darauf hinweisenknnen,daersichbeiseinerBewertungdesWiederauftretensHarlansimEinklangmitder Haltung angesehener Persnlichkeiten des ffentlichen Lebens im Inland undAuslandbefinde.Beweisedafr liegenvoresmagnuraufdie inNr.3derDeutschenUniversittszeitungvom8.Februar1952verffentlichteStellungnahmevon48GttingerProfessorenverwiesenwerden,ferneretwaaufdieBeitrgeindererwhntenAusgabeder Neuen Zrcher Zeitung. Vor allem aber hat in der 197. Sitzung des DeutschenBundestags am 29. Februar 1952 der Abgeordnete Dr. SchmidTbingen folgendeserklrt(Prot.S.8474):

    "In Bonn luft zur Zeit der Film "Immensee" aus der Produktion des Ihnen allen alsHersteller desFilms"JudS"bekanntenRegisseursVeitHarlan.EsisteineSchande,dadieMachwerkediesesMannesinDeutschlandberhauptgezeigtundbesuchtwerdenknnen.Mancheberufensichdarauf,da es keine Gesetze gebe, die es ermglichten, die Vorfhrung von Filmen dieses Mannes zuuntersagen.Dasistrichtig,undauchderBundestagkannihreVorfhrungnichtverhindern.Ichglaubeaber,damandemwahrenRechtedient,wennindiesemHausedagegenProtesterhobenwird,daausgerechnetamSitzedesdeutschenParlaments,dasindiesemLandeinganzbesonderemMaeder Hter und Herold echter Toleranz zu sein hat, Filme eines Mannes aufgefhrt werden, derzumindest indirekt mit dazu beigetragen hat, diemassenpsychologischen Voraussetzungen fr dieVergasungenvonAuschwitzzuschaffen."

    DasProtokollverzeichnethierzu"BeifalllinksundbeidenRegierungsparteien".FrdieBeurteilung des Verhaltens des Beschwerdefhrers kann die hier zum AusdruckgekommeneAuffassungdes reprsentativenVertretungsorgansdesdeutschenVolkesnicht gleichgltig sein. Sie macht es unmglich, in den uerungen desBeschwerdefhrerseinenVerstogegendie"Auffassungenderverstndigen,billigundgerechtdenkendenBrger"zusehen.

    IV.DasBundesverfassungsgericht ist aufGrunddieserErwgungenzuderberzeugunggelangt, da das Landgericht bei seiner Beurteilung des Verhaltens desBeschwerdefhrers die besondere Bedeutung verkannt hat, die dem Grundrecht auffreieMeinungsuerungauchdortzukommt,woesmitprivaten Interessenanderer inKonflikt tritt.DasUrteildesLandgerichtsberuhtaufdiesemVerfehlengrundrechtlicherMastbeundverletztsodasGrundrechtdesBeschwerdefhrersausArt.5Abs.1SatzIGG.Esistdeshalbaufzuheben.