Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)

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lohn Helsloot Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850) Das niederländische Nikolausfest zeichnet sich im europäischen Vergleich durch einige besondere Merkmale aus - insbesondere im Selbstbild der Niederländer. Der Nikolaus kommt jedes Jahr aus Spanien auf einem Dampfer in die Nieder- lande, und die Geschenke werden in den Familien meist als Überraschungen be- schert, begleitet von witzigen Gedichten. Und obwohl der Nikolaus auch an- derswo in Europa seine finsteren Begleiter hat, wird sein Diener nur in Holland sowie auch in Flandern als ein - stereotyper - Schwarzer dargestellt: der Zwarte Piet. Seit einigen Jahrzehnten, vor allem als ab den 1980er Jahren viele Bewohner der ehemaligen Kolonie Surinam in die Niederlande einwanderten, gibt es um diese imaginäre Figur eine oft vehemente gesellschaftliche Debatte, vorzugs- weise in Leserbriefen in den Zeitungen. l Farbige Niederländer betrachten den Piet als ein Symbol der historischen Sklaverei und ihrer auch heute noch andau- ernden Diskriminierung. Die große Mehrzahl der anderen, der weißen Nieder- länder lehnt diese Interpretationen schlichtweg ab. Der Piet sei doch nur schwarz, weil er durch den Schornstein kriechen muss, um die Geschenke des Nikolaus in die Schuhe zu legen usw. Anlässlich dieser Unklarheit fragte vor einigen Jahren ein farbiger Brief- schreiber öffentlich: "Was ist die Wahrheit über den Zwarte Piet?"z So verständ- lich die Frage auch ist, wäre dies nicht die Frage eines Volkskundlers. Ihm geht es um den Kontext, in dem ein Symbol oder Bild funktioniert und dadurch erst seine Bedeutungen gewinnen kann. Man soll hier immer suchen, so Gottfried Korff, nach "ideologischen Zusammenhängen ebenso wie nach den distinktiven Gebrauchsweisen,,3. Eine "Wahrheit" oder eine "eigentliche Bedeutung" gibt es in diesem Bereich nie, "sondern nur jeweilige, nämlich historisch, regional und sozial bestimmte Signalfunktionen. Der kulturelle Kontext legt die [ ... ] Bedeu- tungsnuancen fest, sprich: er bietet das Feld der Assoziationsmöglichkeiten und eröffnet erst damit Kommunikationsmuster, schafft Mitteilungscharakter".4 Ein Bild wie der Zwarte Piet ist dadurch ständig "unscharf' und ,,rätselhaft,,.5 1. HELSLOOT, John: De strijd om Zwarte Piet. In: HOVING, Isabel; DIBBITS, Hester; SCHROVER, Marlou (Hrsg): Veranderingen van het alledaagse 1950-2000. Den Haag: Sdu,2005, S. 249-271,398-402 2. Metrov.26.11.2004 3. KORFF, Gottfried: Antisymbolik und Symbolanalytik in der Volkskunde. In: BREDNICH, Ralf W.; SCHMITT, Heinz (Hrsg.): Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Müns- ter: Waxmann, 1997, S. 11-30, hier S. 25 4. BRÜCKNER, Wolfgang: Farbe als Zeichen. Kulturtraditionen im Alltag [1982]. In: BRÜCKNER, Wolf gang: Materialien und Realien. Stoffwertigkeiten, Symbolwelten, Zei-

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lohn Helsloot

Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)

Das niederländische Nikolausfest zeichnet sich im europäischen Vergleich durch einige besondere Merkmale aus - insbesondere im Selbstbild der Niederländer. Der Nikolaus kommt jedes Jahr aus Spanien auf einem Dampfer in die Nieder­lande, und die Geschenke werden in den Familien meist als Überraschungen be­schert, begleitet von witzigen Gedichten. Und obwohl der Nikolaus auch an­derswo in Europa seine finsteren Begleiter hat, wird sein Diener nur in Holland sowie auch in Flandern als ein - stereotyper - Schwarzer dargestellt: der Zwarte Piet.

Seit einigen Jahrzehnten, vor allem als ab den 1980er Jahren viele Bewohner der ehemaligen Kolonie Surinam in die Niederlande einwanderten, gibt es um diese imaginäre Figur eine oft vehemente gesellschaftliche Debatte, vorzugs­weise in Leserbriefen in den Zeitungen. l Farbige Niederländer betrachten den Piet als ein Symbol der historischen Sklaverei und ihrer auch heute noch andau­ernden Diskriminierung. Die große Mehrzahl der anderen, der weißen Nieder­länder lehnt diese Interpretationen schlichtweg ab. Der Piet sei doch nur schwarz, weil er durch den Schornstein kriechen muss, um die Geschenke des Nikolaus in die Schuhe zu legen usw.

Anlässlich dieser Unklarheit fragte vor einigen Jahren ein farbiger Brief­schreiber öffentlich: "Was ist die Wahrheit über den Zwarte Piet?"z So verständ­lich die Frage auch ist, wäre dies nicht die Frage eines Volkskundlers. Ihm geht es um den Kontext, in dem ein Symbol oder Bild funktioniert und dadurch erst seine Bedeutungen gewinnen kann. Man soll hier immer suchen, so Gottfried Korff, nach "ideologischen Zusammenhängen ebenso wie nach den distinktiven Gebrauchsweisen,,3. Eine "Wahrheit" oder eine "eigentliche Bedeutung" gibt es in diesem Bereich nie, "sondern nur jeweilige, nämlich historisch, regional und sozial bestimmte Signalfunktionen. Der kulturelle Kontext legt die [ ... ] Bedeu­tungsnuancen fest, sprich: er bietet das Feld der Assoziationsmöglichkeiten und eröffnet erst damit Kommunikationsmuster, schafft Mitteilungscharakter".4 Ein Bild wie der Zwarte Piet ist dadurch ständig "unscharf' und ,,rätselhaft,,.5

1. HELSLOOT, John: De strijd om Zwarte Piet. In: HOVING, Isabel; DIBBITS, Hester; SCHROVER, Marlou (Hrsg): Veranderingen van het alledaagse 1950-2000. Den Haag: Sdu,2005, S. 249-271,398-402

2. Metrov.26.11.2004 3. KORFF, Gottfried: Antisymbolik und Symbolanalytik in der Volkskunde. In: BREDNICH,

Ralf W.; SCHMITT, Heinz (Hrsg.): Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Müns­ter: Waxmann, 1997, S. 11-30, hier S. 25

4. BRÜCKNER, Wolfgang: Farbe als Zeichen. Kulturtraditionen im Alltag [1982]. In: BRÜCKNER, Wolf gang: Materialien und Realien. Stoffwertigkeiten, Symbolwelten, Zei-

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Bild 1. Das Ersterscheinen eines Dieners von Sankt Nikolaus. Bild um 1800, herausgegeben von der Witwe Jacobus van Egmont, Amsterdam. Sammlung Nico Boerma

Diese Lage wird auch hervorgerufen, Korff weiter folgend, durch die "Am­nesie" der "Genese" dieser Bilder. Dieser Gedächtnisschwund legitimiert die Suche nach deren "genetischem Ort" - natürlich nicht im Sinne einer "forcierten Ursprungs suche", noch weniger mittels einer so oft betriebenen "Kontinuitäts­bastelei". Auf dem richtigen Weg ist man hingegen, wenn man nach den "sozia­len Entstehungs- und Verwendungszusammenhängen" sucht,6 nach dem seman­tischen Umfeld eines Bildes, als dies zum ersten Mal hervortrat.

chensysteme. Würzburg, 2000, S. 16-30, hier S. 27 (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte)

5. KORFF: Antisymbolik, op. cit., S. 21-23 6. KORFF: Antisymbolik, op. cit., S. 24-25

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Bild 2. Die Vorlage des Bildes von van Egmont vom Nikolaus mit einem Diener: der Stich L'Epaule en Dedans (Aus: ROBINCHON DE LA GUERINIERE, Ecole de cavalerie, S. 104; siehe

Fußnote 10). Utrecht, Antiquariaat Acanthus

1850: Das Bilderbüchlein Sint Nikolaas en zijn knecht von Jan Schenkman

Die Figur, die jetzt als der Zwarte Piet bekannt ist, trat zum ersten Mal im Jahr 1850 im Bilderbüchlein Sint Nikolaas en zijn knecht des Amsterdamer Lehrers Jan Schenkman aue Er wird dort als der "Diener" des Nikolaus vorgestellt, der

7. BUIJNSTERS, Piet J.; BUI.INSTERS-SMETS, Leontine: Lust en leering. Geschiedenis van het Nederlandse kinderboek in de negentiende eeuw. Zwolle: Waanders, 2001, S. 320-321; BUIJNSTERS, Piet J.; Niederländische Kinderbücher 1778-1990. In: PIESKE, Christa; et al. (Hrsg): Tagungsband Berhn 2000. Münster: Waxmann, 2002, S. 37-50, hier S. 43 (Ar­beitskreis Bild Druck Papier 5)

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außerdem "von schwarzer Farbe ist"s. Weil er Schuhe trägt, ist er wahrschein­lich kein Sklave, sondern ein freier Schwarzer. Das Urproblem, sozusagen, der Piet-Forschung ist, dass Schenkman sich leider n(cht dazu geäußert hat, aus wel­chem Grund er dem Nikolaus gerade einen schwarzen Diener beigesellt hat.

Nur einmal vorher bekam der Nikolaus einen - weißen - Diener neben sich, auf den Nieuwe Sint Nicolaas-Prent der Witwe Jacobus van Egmont von um 1800 (Bild 1). Es geht hier spürbar um ein Gelegenheitsprodukt.9 Das Bild ba­siert im Spiegelbild auf dem Stich L 'Epaule en Dedans aus dem Reiterhandbuch Ecole de cavalerie von Robinchon de la Gueriniere von 1733 10 (Bild 2). Es ist nicht auszuschließen, aber immerhin wenig wahrscheinlich, dass dieses Bild ein halbes Jahrhundert später Schenkman inspiriert hat.

Die Kunsthistorikerin Eugenie Boer hat die These aufgestellt, dass es bei der Erfindung des schwarzen Dieners um einen "Zufallstreffer" gehe.11 Schenkman oder sein Zeichner stünden in der Tradition der niederländischen Porträtmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Als "dekoratives Beiwerk" sieht man darin oft vornehme Personen, ausgestattet mit einem schwarzen Diener. Sehr glaubhaft wirkt diese Vermutung insofern, als sie auf die schlagende Parallelität zwischen einem Porträt von Michiel van Musscher aus dem Jahr 1687 und dem Nikolaus hinter seinem Schreibtisch im Bilderbuch Schenkmans verweist. Sein schwarzer Diener kann fast nur entstanden sein weil er oder sein Zeichner dieses Bild mit genau so einem Diener "mit schiefen Blicken" betrachtet hat. 12

Dagegen spricht aber gewissermaßen, dass diese Bildttradition am Ende des 18. Jahrhunderts aus der Malerei verschwindet. Warum soll diese gerade in 1850 wieder ins Leben gerufen worden sein?13 Die Berufung auf den Zufall befriedigt nicht ganz. Sollte man nicht eher nach dem hypothetischen Punkt suchen, in dem sich die Linien von Vorstellungen über das Nikolausfest und Bilder über schwarze Männer in Amsterdam um 1850 kreuzten?

8. SCHENKMAN, Jan: St. Nikolaas en zijn knecht. Amsterdam: Born, o.J. (1850), S. 11 9. BOER-DIRKs, Eugenie: Nieuw licht op Zwarte Piet. Een kunsthistorisch antwoord op de

vraag naar de herkomst van Zwarte Piet. In: Volkskundig Bulletin 19 (1993), S. 1-35, hier S. 7, 10-11; Booy, Frits: Op zoek naar zwarte Piet. Een speurtocht naar de herkomst, de ontwikkeling en de betekenis van de dienaar van Sinterklaas. Eindhoven: Stichting Nationaal Sint Nicolaas Comite, 2003, S. 30

10. ROBINCHON OE LA GUERINIERE, Franyois: Ecole de cavalerie, contenant la connoissance, l'instruction et la conservation du cheval (..). Paris: Jacques Collomat, 1733

1l. BOER-DIRKs: Nieuw licht op Zwarte Piet, op. cit., S. 13 12. BOER-DIRKs: Nieuw licht op Zwarte Piet, op. cit., S. 12; BOER, Eugenie: Een moortje als

versiering. De zwarte page in de Nederlandse schilderkunst. In: Spiegel Historiael 38 (2003), S. 296-301, hier S. 297

13. Siehe auch: JANSSEN, Louis: Nicolaas, de duivel en de doden. Opstellen over volkscultuur. Baam: Ambo, 1993, S. 43

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Bild 3. Kinder erschrecken vom Besuch eines "rohen" Nikolauses. (Aus: RIJK.ENS, R.G.: De beminneliike Gerrit S. 70-71: siehe Fußnote 14. Stadtbibliothek Haarlem)

Folklorismus

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In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts geriet das Nikolausfest unter Druck. Aufgeklärte Geister lehnten es wegen seiner Unwahrheit ab und wegen des psy­chologisch unverantwortlichen Bangernachens der Kinder. Um diesen zu helfen sich dagegen zu wehren, wurde ihnen in Kinderbüchern klar gemacht, dass es den Nikolaus gar nicht gebe und dass sie darum keinen Grund zu Angstgeruhlen haben sollten. Zum Beispiel im Büchlein des Lehrers Roelf G. Rijkens mit ei­nem Bild eines Besuches des Nikolaus, dargestellt von einem Diener, als die völlig verängstigten Kinder allein zu Hause sind (Bild 3). Bei seiner Heimkehr ist der Vater sehr verärgert über dieses Benehmen des Dieners und zwingt ihn, seine Verkleidung abzulegen und damit den Kindern die Wahrheit über den Ni­kolaus deutlich zu machen.14

Derartige Bedenken gegen das Nikolausfest hatten einerseits auch in den Niederlanden schon eine lange Geschichte. Das Fest gewann andererseits eben in diesen I 840er Jahren eine neue Aktualität durch die immer größere Bekannt­heit des deutschen Weihnachtsfestes. Dieses erweckte "edle Geruhle", das Niko-

14. RIJK.ENS, Roelf G.: De beminnelijke Gerrit, (het broertje van Frederika en Albertus). Groningen: Scholtens, 1849 [1822], S. 70-79; siehe auch Booy, Frits: December­Wintermaand. Sinterklaas als 'bijthema' in kinder- en jeugdboeken. In: Boekenpost 7:44 (1999), S. 4-5, hier S. 4

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lausfest hingegen war "ohne An­lass und Bedeutung". 15 In einer im Jahr 1850 in Amsterdam veröf­fentlichten Flugschrift, De kers­boom boven St. Nikolaas! (Der Weihnachtsbaum über Sankt Ni­kolaus!), wurde das klar dargelegt (Bild 4).16

Bild 4. Ein Flugschrift aus 1850 gegen das Niko­lausfest: Der Weihnachtsbaum über Sankt Niko­laus! Gemeindearchiv Amsterdam.

Freunde des Nikolausfestes und damit Gegner dieses neuen Weihnachtsfestes fühlten sich da­durch in eine defensive Position gedrängt. Zur Charakterisierung ihrer Gemütsverfassung eignet sich gut der Begriff des "Folklo­rismus" aus der Volkskunde. Nach Herman Roodenburg: Wenn Men­schen meinen, dass ein kulturelles Phänomen, zum Beispiel ein Fest, im Prozess des Verschwindens ge­rät, werden sie versuchen, es zu revitalisieren und ihm neue Be­deutungen zu geben. Dabei ist eine beliebte Strategie die der Steige­rung bestimmter theatralen Aspek­te oder sogar die Erfindung ganz neuer Elemente. 17

Ein andere Vorstellung des Nikolaus

Aber die erste Aufgabe war die Umprogrammierung bestehender Praktiken und Bedeutungen. Eine "Zivilisierung" des Festes war am besten geeignet, die ge-

15. DEKKER, A. J.: De opkomst van kerstboom en kerstviering in Nederland (ca. 1835-1880). In: Volkskundig Bulletin 8 (1982), S. 129-179, hier S. 132-133; DEKKER, Ton: Ausbreitung und Verbürgerlichung der niederländischen Festkultur im 19. und 20. Jahr­hundert. In: DEKKER, Ton; et al. (Hrsg.): Ausbreitung bürgerlicher Kultur in den Nieder­landen und Nordwestdeutschland. Münster: Coppenrath, 1991, S. 42-56, hier S. 45-46

16. Booy, Frits: Op zoek naar zwarte Piet, op. cit., S. 34 17. ROODENBURG, Herman: Ideologie en volkscultuur: het internationale debat. In: DEKKER,

Ton; ROODENBURG, Herman; ROOIJAKKERS, Gerard (Hrsg.): Volkscultuur. Een inleiding in de Nederlandse etnologie. Nijmegen: SUN, 2000, S. 66-109, hier S. 99; siehe auch ROOIJAKKERS, Gerard: Volkskunde. De rituelen van het dagelijks leven. Dtrecht: Nederlands Centrum voor Volkscultuur, 2001, S. 47-54

Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)

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Bild 5. Eine "zivilisierte" Version des Nikolaus. Bild aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgegeben von Wijnhoven Hendriksen, Rotterdam (Wiederverkäufer D. Pouwels,

Bergen op Zoom). Sammlung Nico Boerma

nannten Einwände zu beseitigen. Das Rohe und Gruselige sollten zugunsten des dem bürgerlichen Lebensgefühl eher entsprechenden Ruhigen und Förmlichen verschwinden .18

Illustrativ für diesen Prozess ist ein von Wijnhoven Hendriksen im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts herausgegebenes Bild (Bild 5). Der bäuerliche Ni­kolaus aus dem genannten Bild in dem Kinderbuch ist hier transformiert in einen

18. Siehe auch: KORFF, Gottfried: Hase & Co. Zehn Annotationen zur niederen Mythologie des Bürgertums. In: GYR, Deli (Hrsg.): Soll und Haben. Alltag und Lebensformen bür­gerlicher Kultur. Zürich: Offizin, 1995, S. 77-95, hier S. 84

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vornehmen Herrn auf einem Pferd, mit dem gleichen gefederten Hut. Der Niko­laus des Schenkmans ist vom selben, neuen Typus.

Burschen mit geschwärztem Gesicht im Nikolausritual

Die Aufführung eines Nikolausbesuches war oft, wie im Kinderbuch von Rij­kens, eine Sache der Hausangestellten. Aber daneben gab es in den Städten und vor allem auf dem Lande noch andere Nikolause: halbwüchsige Burschen, die toll verkleidet und mit rasselnden Ketten die Häuser entlang gingen, um die Kinder und die jungen Mädchen zu erschrecken. Manchmal schwärzten sie auch ihr eigenes Gesicht.!9 Der Historiker und Volkskundler lan ter Gouw nennt sie "die schwarzen Kläuse".2o Es liegt auf der Hand, dass man versuchte, auch diese Figuren in den Zivilisierungsprozess einzubeziehen und ihnen eine andere Be­deutung zu geben. Bemerkenswert ist, dass Ter Gouw schrieb, dass der "schwarze Klaus" selbstverständlich ,,kein Mohr" war?! Eben aus dieser Ver­neinung ergibt sich, dass hier der Gedanke an einen "echten" Schwarzen nicht weit war. Das kann dann auch bei Schenkman der Fall gewesen sein und da­durch einen Nährboden für seinen schwarzen Knecht des Nikolaus geschaffen haben.

"Der schwarze Mann"

Dabei kann noch ein Weiteres mitgespielt haben. Einige niederländische For­scher sind der Meinung, dass die Burschen mit geschwärztem Gesicht den "schwarzen Mann" nachahmten?2 Tatsächlich werden dieser Kinderschreck und der Nikolaus in den Quellen hie und da in einem Atem genannt?3 Die Aufklä­rung lehnte beide Schreckfiguren selbstverständlich ab. Aber aus der Sicht der Romantik hatte das den Figuren der "niederen Mythologie,,24 innewohnende Phantastische und Märchenhafte auch seinen Wert für die Entwicklung der Kin-

19. VAN HAMELSVELD, Usbrand: De zedelijke toestand der Nederlandsche natie, op het einde der achttiende eeuw. Amsterdam: Johannes Allart, 1791, S. 196; ZWAAGDIJK, M.: Sinterklaas v66r honderd jaar, In: De Speelwagen 6 (1951), S. 261-264, hier S. 262; siehe auch: JANSSEN, op. cit., S. 37, 39; HELSLOOT, John: De opkomst van Sinterklaas als nationaal feest in Nederland. Een schets op grond van twee voIkskundevragenIijsten (1943 en 1994) van het Meertens Instituut. In: DöRlNG, Alois (Hrsg.): Faszination Niko­laus. Kult, Brauch und Kommerz. Essen: Klartext, 2001, S. 104-139, hier S. 112-116; HELSLOOT, John: Sich verkleiden in der niederländischen Festkultur. Der Fall des "Zwar­te Piet". In: Rheinisches Jahrbuch for Volkskunde 36 (2005/2006), S. 137-153, hier S. 140-141

20. TER Gouw, Jan: De volksvermaken. Haarlern: Bohn, 1871, S. 256 21. TER Gouw, op. cit., S. 262 22. NEDERVEEN PIETERSE, Jan: Mirakels multiculturalisme: Zwarte Piet revisited. In:

HELDER, Lulu; GRAVENBERCH, Scotty (Hrsg.): Sinterklaasje, kom maar binnen zonder knecht. Berchem: EPO, 1998, S. 27-44, hier S. 31; siehe auch: JANSSEN, op. cit., S. 43

23. VAN HAMELSVELD, op. cit., S. 195-196 24. KORFF: Hase & Co., op. cit.

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Bild 6. Kinder erschrecken vom Besuch eines "schwarzen Mannes". (Aus: De Moeder de Gans der negentiende eeuw. neben S. 10; siehe Fußnote 27.

Bibliothek Universität Amsterdam)

derseele?S Gerade Mitte des 19. Jahrhunderts war diese Debatte in den Nieder­landen aktuell. Schriftsteller wie Nicolaas Beets (1837) und P. A. de Genestet (1857) plädierten für die Beibehaltung des Nikolaus und des "schwarzen Man­nes" in der Erziehung?6

Das zeigt sich in einer Geschichte mit genau diesem Titel Der Schwarze Mann im Kinderbuch De Moeder de Gans der negentiende eeuw von um 1850,

25. EBERSPÄCHER, Martina: Der Weihnachtsmann. Zur Entstehung einer Bildtradition in Aufklärung und Romantik. Stuttgart, 2002, S. 136-137,207-208,249

26. DAALDER, Dirk L.: Wormcruyt met suycker. Historisch-critisch overzicht van de Nederlandse kinderliteratuur. Schiedam: Interbook International, 1976 [1950], S. 78; DE GENESTET, Petrus A.: Over kinderpoezy. Amsterdam: Kraay, 1865, S. 27-28

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beschrieben von Allison Blakely.27 Ein Müller bringt "einen langen Mann mit schwarzen Händen und schwarzem Gesicht" mit zu sich nach Hause (Bild 6). Die Kinder des Müllers haben zuerst viel Angst vor diesem Mann, überwinden diese aber, als er ihnen eine Apfelsine schenkt. Später kann der Mohr die Fami­lie des Müllers noch vor einem Unfall schützen. Am Ende prägt der Vater den Kindern ein, einen Menschen nicht wegen seiner Hautfarbe zu beurteilen. Ob­wohl der Mohr schwarz sei, sei er ein edlerer Mensch als mancher Weißer.

In dieser Geschichte verbindet sich die niedere Mythologie durch die Um­gestaltung des Bildes des "schwarzen Mannes" mit einer angemessenen bürger­lichen Erziehung. Dass der Mohr gerade eine Apfelsine übergibt - ein beliebtes Geschenk in holländischen Nikolausliedern - bringt diesen positiv bewerteten schwarzen Mann in assoziativen Zusammenhang mit dem Nikolausfest.

Der Struwwelpeter

Darur gibt es noch ein weiteres bekanntes Beispiel. 1848, also zwei Jahre vor Schenkmans Bilderbüchlein, war die niederländische Übersetzung von Hoff­manns Struwwelpeter veröffentlicht worden?8 In einer Geschichte bestraft eine Nikolausfigur drei Jungen, die einen schwarzen Buben wegen seiner schwarzen Hautfarbe verspottet haben. Obwohl nach heutigen Einsichten sicherlich kriti­sierbar,29 ist immerhin Tatsache, dass der Nikolaus für den Schwarzen eintritt. Selbstverständlich ist dieses Bild in der Piet-Forschung nicht unbemerkt geblie­ben. Arie van den Berg hat den schwarzen Buben Hoffmanns sogar "eine Inku­nabel des Zwarte Piet" genannt.30 In der Tat ist es sehr glaubhaft, dass dieses rur Schwarze positive und Nikolaus-bezogene Bild dem Schenkman im Gedächtnis war.

Sklaverei

1850 war Holland ein Land, das in seinen westindischen Kolonien noch immer die Sklaverei kannte. Obwohl es in den 1840er Jahren verschiedene Versuche gab, diese abzuschaffen - dies gelang erst 1863 -, nimmt man an, dass die

27. BLAKELY, AIIison: Blacks in the Dutch world. The evolution ofracial imagery in a mod­ern society. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1993, S. 199; (ANONYM): De Moeder de Gans der negentiende eeuw. Vertellingen voor de welopgevoedejeugd. Amsterdam: Weddepohl, O.J. (um 1850), S. 9-19

28. GIELEN, Theo: De vroege weerklank van Piet de Smeerpoets. Smeerpoetsverhalen in Nederland: 1848-1859. In: De Boekenwereld 19 (2002/2003), S. 26-34

29. KÖNNEKER, Marie-Luise: Dr. Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter". Untersuchungen zur Entstehungs- und Funktionsgeschichte eines bürgerlichen Bilderbuchs. Stuttgart: Metzler, 1977, S. 114; BLAKELY, op. cit., S. 195; MARTIN, MicheIle H.: "Hey, who's the kid under the green umbreIIa?" Re-evaluating the Black-a-moor and Litde Black Sambo. In: The Don and the Unicorn 22 (1998), S. 147-162, hier S. 153, 156

30. VAN DEN BERG, Arie: Van binnen moetje wezen. Amsterdam: Arbeiderspers, 1989, S. 12

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Bild 7. Nikolaus bestraft einen Buben mit einer Gerte. Aus: VAN SCHAICK, C.: Sint Nikolaas­vertellingen voor dejeugd, neben S. 56; siehe Fußnote 32. Koninklijke Bibliotheek, Den Haag)

Mehrheit der Bevölkerung sich darum wenig kümmerte.3l Inwieweit das auch bei Jan Schenkman der Fall war, wissen wir nicht. Er hat sich zur Sklaverei nicht geäußert. Aber man kann versuchen, seine Position hypothetisch zu rekon­struieren.

1849, ein Jahr vor Schenkmans Bilderbuch, veröffentlichte C. van Schaick ein Büchlein mit Nikolausgeschichten.32 In einer dieser Geschichten bestraft der

31. GOMES, Patricia 0.: Over 'natuurgenooten' en 'on willige honden '. Beeldvorming als instrument VOOI' uitbuiting en onderdrukking in Suriname 1842-1862. Amsterdam: Aksant, 2003; lANSE, Maartje: De aftchaffers. Publieke opinie, organisatie en politiek in Nederland 1840-1880. Amsterdam: Wereldbibliotheek, 2007, S. 51-91

32. VAN SCHAICK, Cornelis: Sint Nikolaas-vertellingen voor de jeugd. Schiedam: Roeiants, 1849

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Bild 8. Bestrafung eines Sklaven mit einer Peitsche. (Aus: Nederlandsch Magazijn 1845, S. 144. Bibliothek Universität Amsterdam)

Nikolaus einen mit seinen Geschenken unzufriedenen Buben, indem er ihn mit einer Gerte schlägt (Bild 7). Ich vermute, dass dieses grausame und bedrohende Bild Schenkmans Vorstellung über den Nikolaus widersprach.

Die Gerte dieses Nikolaus hat eine Ähnlichkeit mit der Peitsche, womit in den westindischen Kolonien die Sklaven bestraft wurden. Davon gab es Bilder zum Beispiel 1845 in der Zeitschrift Nederlandsch Magazijn und 1850 erneut abgedruckt in einem Bilderbuch für Kinder, Op reis, von Claudius33 (Bild 8). Schenkman kann gedacht haben: So wenig wie der Nikolaus auf diese Weise die Kinder bestrafen soll, so soll man auch nicht mit den Schwarzen verfahren. Dar­aus kann sich in seiner Vorstellung eine weitere Verbindung von Nikolaus und Schwarzen ergeben haben.

Jan Schenkman hat als Lehrer im Amsterdamer Viertel der einfachen Leute "de Jordaan" gearbeitet und wohnte dort in der Nähe. Gerade in diesem Viertel war im Lauf der 1850er der Abolitionismus eine "Volkssache", d.h. des streng-

33. Nederlandsch Magazijn 1845, S. 144; CLAUDIUS: Op reis. Nederlandsch prentenboek voor jongens en meisjes. 's-Gravenhage: Fuhri, 1850, S. 84

Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)

Bild 9. Ein ehemaliger Sklavenbesitzer und sein treuen schwarzer Diener (Aus: Timotheus 2 (1850), S. 149. Bibliothek Universität Amsterdam)

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gläubigen protestantischen Bevölkerungsteils?4 Aber schon vorher, im Winter 1850/1851, wurden vom rechtgläubigen Pfarrer Jan de Liefde darüber sogenann­te Volksvorlesungen gehalten.35 Wie Schenkman schrieb de Liefde als Zubrot Bücher für Kinder.36 Es ist belegt, dass er ihn kannte.3

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34. JANSE, op. cit., S. 126 35. DE LIEFDE, Jan: Tien voorlezingen voor het volk over eenige onderwerpen uit de

algemeene geschiedenis. Utrecht: Kemink, 1852, S. 211-302 36. BUIJNSTERS/BuIJNSTERS-SMETS: Lust en leering, op. cit., S. 260-261; RIETVELD-VAN

WINGERDEN, Marjoke: De predikant als kinderboekenschrijver. In: Jaarboek voor de geschiedenis van het Nederlandse Protestantisme na 1800 5 (1997), S. 183-205, hier S. 199

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Vielleicht war Schenkman auch bekannt mit der von de Liefde heraus­gegebenen christlichen Zeitschrift für Jugendliche Timotheus. Der Jahrgang 1850 - also genau das Jahr von Schenkmans Büchlein und vielleicht schon Ende 1849 erschienen - enthält eine bemerkenswerte Geschichte. Eine der Hauptper­sonen ist ein alter Mann, beschrieben als "edel und vornehm", mit langen wei­ßen Haaren und einem Benehmen "von außerordentlicher Würde".38 Das sind Charakterzüge und eine äußere Erscheinung, die genau dem .neuen Nikolausbild entsprechen.

Sehr interessant ist, dass dieser Mann auch einen Diener (,,knecht") hat, so­gar ein schwarzen. Ein Bild zeigt die beiden (Bild 9). Der alte Mann ist ein ehemaliger Besitzer von Sklaven, jetzt aber überzeugt vom großen Umecht der Sklaverei. Auf seinem Krankenbett versöhnt er sich mit dem Sohn einer seiner Sklaven, jetzt seinem treuen Diener. Die Geschichte endet mit dem Aufruf des alten Mannes, die Sklaverei abzuschaffen.

Kann es sein das gerade dieses Bild Schenkman angeregt hat, den Nikolaus mit einem schwarzen Diener auszustatten? Ich möchte dies als Hypothese vor­schlagen.

Ein Bild mit ambivalenter Bedeutung

Aber was kann er damit gemeint haben? In Einklang mit der vorher genannten Umdeutung des Bildes des "schwarzen Mannes" und mit der Vorstellung des schwarzen Dieners in der Geschichte in der Jugendzeitschrift, ist das Bild des schwarzen Dieners des Nikolaus durchaus positiv. Das heißt aber - und wie im Struwwelpeter: nach zeitgemäßen Maßstäben. Denn auch Gegner der Sklaverei waren davon überzeugt, dass Schwarze eines "guten Meisters" beduften und dass sie für die Rolle eines Dieners am besten geeignet waren?9 Außerdem galt für ihr richtiges, "treues" Benehmen der zivilisierende Einfluss des Christentums als unentbehrlich.40 Die Meisterschaft eines katholischen Bischofs konnte als ei­ne Garantie dafür angesehen werden.

Im Rahmen einer angestrebten bedeutungsvollen Neubelebung des Niko­lausfestes kann die Beifügung eines schwarzen Dieners als ein Signal für Kinder

37. SCHENKMAN, Jan: Verzameling van luimige voordrachten, snaaksche dicht- en prozastukjes, ten dienste van vroolijke vriendenkringen, bruiloften enz. Rotterdam: Bolle, o.J., S. 125

38. De zwarte ziel en de blanke huid. (Ingezonden.). In: Timotheus 2 (1850), S. 101-149, hier S. 101

39. PAASMAN, Albertus N.: Reinhart: Nederlandse literatuur en slavernij ten tijde van de Verlichting. Leiden: Nijhoff, 1984, S. 141-154; VAN KEMPEN, Michiel: De fondantlaag van de Romantiek. Vier teksten over slavemij in Suriname. In: Spiegel der Letteren 44 (2002), S. 63-83, hier S. 69; AMMERLAAN, Renate: "Want al was zijn huid ook zwart, Teergevoelig was zijn hart". Beeldvorming over zwarten en slavemij in kinderboeken, 1807-1863. In: aso. Tijdschrift voor Surinamistiek 24 (2005), S. 39-51, hier S. 49

40. OE LIEFOE, op. eit., S. 288, 293

Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)

Bild I O. Der Zwarte Piet bestraft die bösen Kinder (Aus: Algemeen Handelsblad 26.1l.l938)

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betrachtet werden, um den Schwarzen positiv - d.h. in dieser ambivalenten Auf­fassung - zu begegnen, vielleicht sogar als ein Plädoyer für die Abschaffung der Sklaverei.

Zugleich aber ist auch eine andere Interpretation möglich. Wie Piet und Le­ontine Buijnsters gezeigt haben, war Jan Schenkman ein fröhlicher Mann, mit wenig Geschmack an Moralismus.41 Ein strenggläubiger Christ war er sehr wahrscheinlich nicht. Statt seiner Zustimmung zum Bestreben der Orthodoxie zur Abschaffung der Sklaverei, kann sein schwarzer Diener vielleicht auch als ein ironischer Kommentar dazu betrachtet werden, insbesondere zum Bild in der

41. BUIJNSTERSIBUIJNSTERS-SMETS: Lust en leering, op. eit., S. 260-275

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Jugendzeitschrift aus dem gleichen Jahr. Sein Widerwille gegen das neue Weih­nachtsfest könnte dies noch verstärkt haben. Aber dagegen spricht wieder, dass auch sein Nikolaus den Kindern "Frömmigkeit und Tugend" beibringen woll-te.42 .

Schluss

Es ist klar, dass auch nach dem hier Gesagten das Rätsel des Zwarte Piet offen bleibt und dass hier nur einige "Entstehungszusammenhänge" skizziert werden konnten. Zufällig war sein Ersterscheinen meiner Ansicht nach aber nicht. Des­sen Kontext war das Bedürfnis einer Neubelebung und Umdeutung des Niko­lausfestes. Es gab - zugegeben: im Nachhinein gesehen - verschiedene Verbin­dungslinien zwischen dem Nikolaus und seinem Fest und schwarzen Männern: die Burschen mit geschwärztem Gesicht; der oft gemeinsam mit dem Nikolaus vorkommende "schwarze Mann" als Kinderschreck; und die bemerkenswerte Verteidigung des schwarzen Buben durch Nikolaus im Struwwelpeter. In diesem vielschichtigen Nährboden kann das Bild in der Jugendzeitschrift Timotheus von 1850 für Jan Schenkman den Anstoß gegeben haben - was er selbst auch immer damit gemeint haben mag.

Eine "Wahrheit" über den Zwarte Piet ist aus diesem Befund nicht zu festzu­legen, um so weniger, als nachher das ursprünglich ambivalente Bild der Schwarzen immer mehr in negativem, stereotypem und rassistischem Sinn um­gedeutet worden ist.43 Das zeigt sich deutlich, als ab den 1860er Jahren, wie Frits Booy nachgewiesen hat, für Jahrzehnte dem Piet die Rolle des Bestrafers der Kinder zufiel (Bild 10).44 Das sind, um Sigrid Nagy zu zitieren, "neue Deu­tungen ( ... ), die so vom Urheber gar nicht beabsichtigt waren".45 Daran hat Jan Schenkman aber keine Schuld, wie auch Eugenie Boer schon hervorgehoben hat.46 Oder besser: Bis weitere Untersuchungen im vielen, noch unerforschten (Bild-)Quellenmaterial aus der Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts Klarheit bringen, bleibt Schenkmans genaue Absicht weiterhin unbestimmt.

42. SCHENKMAN: St. Nikolaas en zijn knecht, op. cit., S. 21 43. BOER, Eugenie: Sint-Nicolaas in het "oude" kinderboek. In: Literatuur zonder leeftijd 8

(1994), S. 123-136, hier S. 135; BERENDS, Bianca: Zwarte Piet en Witte Klaas. Onderzoek naar beeldvorming in de sinterklaastraditie. Unveröffenlichte Magisterarbeit Erasmus Universiteit Rotterdam, 2000, S. 65-79; BERENDS, Bianca: Zwarte Piet en Witte Klaas. Beeldvorming in de sinterklaastraditie. In: Roest. Tijdschrift voor geschiedenis en cultuur (2001) 10, S. 13-19

44. Booy, Frits: 'Ziet, hoe Sint Niklaas zijn leven soms waagt'. Op zoek naar de oudste sinterklaasboeken voor kinderen in Nederland. In: Jaarboek van het Nederlands genootschap van Bibliofielen 1994 (1995), S. 93-111, hier S. 102, 104

45. NAGY, Sigrid: Wie Luther im 19. Jahrhundert zum Weihnachtsbaum kam. In: Jahrbuch für Volkskunde 23 (2000), S. 11-50, hier S. 14

46. BOER-DIRKS, Eugenie: De Sint Nicolaas van Jan Schenkman. In: Ons Amsterdam 47 (1995), S. 282-286, hier S. 286

Lina van der Wolde

Papieranwendungen aus dem Alltagsleben in der Sammlung Atlas Van Stolk

Man hat mich gebeten, etwas über die Sammlung des Atlas Van Stolk in Rotter­dam zu berichten. Es war für mich eine sehr ehrenvolle Einladung, die ich auch gern angenommen habe. Mein Bericht besteht aus einer kleinen Reihe von Bei­spielen, die, wie ich hoffe, das Thema der alltäglichen Papieranwendung in den Niederlanden ausreichend illustrieren und zugleich die Vielseitigkeit des Atlas Van Stolk zeigen wird. 1

Der Atlas Van Stolk2

Manch einer kennt die Kollektion Atlas Van Stolk vielleicht als wichtige Samm­lung von Bildern aus der niederländischen Geschichte, und tatsächlich sind his­torische Bilder ihr Herzstück. Feldschlachten und Belagerungen, Himichtungen mächtiger Männer, Huldigungen von Fürsten und Fürstinnen, Friedensverhand­lungen - das alles ist hier zu sehen. Aber eine ebenso große Rolle spielt das Schicksal der einfachen Menschen und der Ereignisse des Alltagslebens.

Die Sammlung besteht hauptsächlich aus Radierungen, Kupferstichen, Zeichnungen und Photos. Außerdem befinden sich Ansichtskarten und Plakate im Atlas Van Stolk. Insgesamt wird der Umfang auf 150000 Gegenstände ge­schätzt. Alle zusammen vermitteln ein Bild der niederländischen Geschichte von der Zeit an, als die Bataver ins Licht der Geschichte traten bis zu den jüngsten Ereignissen wie dem Antritt des heutigen Regierungskabinetts.

Die Kollektion war ursprünglich eine Privatsammlung. Mitglieder der Fami­lie Van Stolk brachten ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen Großteil der Samm­lung zusammen. Es ist dabei bemerkenswert, dass sie bereits den Blick für all­tägliches Bildmaterial hatten. Denn diese Familie von Holzhändlern war zwar reich, ihre Mitglieder gehörten aber nicht zur Regentenklasse. Sie achteten einerseits auf das Ansehen ihrer Sammlung und trugen dabei aber nicht nur be­sondere historische Bilder oder Bücher mit hohem Wert zusammen, sondern andererseits auch Eintrittskarten, Fahrkarten oder Gänsespiele, um nur einige dieser alltäglichen Dinge zu nennen, deren Vielseitigkeit oft sogar den Konser­vator überrascht.

I. Der Text ist eine Auswahl aus VAN DER WOLDE, Lina: Oud papier! Over gebruik, bewaren en restaureren van prent en tekening. Bussum: Uitgeverij Thoth, 2006. 128 S., Abb. - ISBN 90-6868-434-5

2. Atlas hat in den Niederlanden nicht nur die Bedeutung einer Sammlung von Landkarten, sondern bezeichnet z.B. auch eine Kollektion von Radierungen, Stichen und Zeichnun­gen über die Geschichte einer Stadt oder eines Landes.

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Arbeitskreis Bild Druck Papier Cercle d'Etudes Imagerie Impression Papier / Working Group Picture Print Paper

Gegründet von Prof. Dr. Christa Pieske

Herausgegeben von Wolfgang Brückner, Konrad Vanja,

Detlef Lorenz, Alberto Milano, Sigrid Nagy

Band 12

Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Nils-Arvid Bringeus (Lund), Elisabetta Gulli Grigioni (Ravenna), Christiane E. Kugel (Las Palomas), Prof. Dr. Dominique Lerch (Suresnes),

Prof. Dr. Roger Paas (Carleton, MN), Prof. Dr. RolfReichardt (Mainz), Prof. Dr. Hans-Jörg Uther (Göttingen)

Der Arbeitskreis Bild Druck Papier wurde 1981 als Basis rur die projektierte Ausstellung Das ABC des Luxuspapiers in Berlin gegründet. Der kleine Kreis der Forscher und Sammler erweiterte sich rasch um Fachleute von Universitäten und Museen, die hier ihre gemeinsamen kulturgeschichtlichen Interessen vertreten fanden. Die Treffen bilden seither mit jährlichen Tagungen an wechselnden Orten ein Forum rur den Austausch von Forschungsergebnissen, Arbeitsprojekten und Informationen zu den Fachgebieten. Die Ergebnisse sowie weitere Informationen werden in den Tagungsbänden durch Text und Bild festgehalten.

Wolfgang Brückner, Konrad Vanja, DetlefLorenz, Alberto Milano, Sigrid Nagy (Hrsg.)

Arbeitskreis Bild Druck Papier Tagungsband Amsterdam 2007

Waxmann 2008 Münster / New Y ork / München / Berlin

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrutbar.

Arbeitskreis Bild Druck Papier, Band 12

ISSN 1437-9406 ISBN 978-3-8309-2010-6

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Umschlaggestaltung: Pleßmann Kommunikationsdesign, Ascheberg Titelbild: Inneres der alten Remonstrantenkirche in Amsterdam. Kupferstich (1771) von C. Philips Jacobsz nach einer Zeichnung von H. Keun (1770). (Universitätsbibliothek Amsterdam, Collectie Remonstrantse Gemeente Amsterdam-Port D-a6) Heute Tagungsstätte im Haus De Rode Hoed, Keizersgracht Redaktion, Satz und Layout: Detlef Lorenz Druck: Buschmann, Münster Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706 '

Der Druck der Farbabbildungen im Beitrag Nimm mich mit - eine illustrierte Zeitschrift der wilhelminischen Ä'ra von Detlef Lorenz wurde durch eine Spende ermöglicht.

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