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Kommunistischer Aufbau

Die Bolschewisierung der KPD

Zur Geschichte der kommunistischen

Bewegung, Teil 1

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Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort - Kommunistischer Aufbau 3

2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers 62.1 Verschiedene Wege der Arbeiterbewegung in ihrer Entstehung . . . . . . 6

2.1.1 Bolschewisierung und die unterschiedlichen Entwicklungswege derkommunistischen Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.1.2 Entstehung der Kommunistischen Partei Russlands . . . . . . . . 72.1.3 Der Prozess der Parteientstehung in Deutschland . . . . . . . . . 9

2.2 Geschichte der KPD und ihre Bolschewisierung . . . . . . . . . . . . . . 102.2.1 Kurze Darstellung der Geschichte der KPD . . . . . . . . . . . . . 10

2.3 Einzelaspekte der Bolschewisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.4 Bewertung der Bolschewisierung der KPD ab 1925 . . . . . . . . . . . . . 23

3 Schlussbemerkungen - Kommunistischer Aufbau 253.1 Die historische Bolschewisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253.2 Bolschewisierung als permanente Aufgabe jeder kommunistischen Orga-

nisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263.3 Bolschewisierung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.4 Einige organisatorische Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.5 Nutzen wir die Erfahrungen der Bolschewisierung für den Aufbau der

Kommunistischen Partei! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

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Vorwort

Kommunistischer Aufbau

Ohne zu wissen, wo man herkommt, kannman nicht wissen, wo man hingeht.

In Euren Händen haltet Ihr das erste Do-kument aus unserer Analysereihe zum The-ma �Geschichte der Kommunistischen Be-wegung�.Die alltägliche Brutalität des Imperialis-

mus zwingt alle nach Fortschritt streben-den Menschen, sich erneut auf die Suche zumachen nach Möglichkeiten, den Kapitalis-mus und seine Unterdrückungsapparate aufden Müllhaufen der Geschichte zu werfen.In �Ein Gespenst kehrt zurück � Kommu-nistische Partei im 21. Jahrundert� habenwir versucht, darzustellen, wieso wir den-ken, dass der Haupthebel dafür nach wievor die Scha�ung einer KommunistischenPartei ist.Wir denken aber, dass ein neuer Anlauf

zum Aufbau einer revolutionären kommu-nistischen Kampforganisation in Deutsch-land nur möglich ist, wenn wir es scha�en,die Erfahrungen, Erfolge und Niederlagenfrüherer Kommunisten richtig zu analysie-ren. Dabei geht es uns nicht um universi-täres Geschichtsinteresse oder das Schwel-gen in alten �besseren Zeiten�. Es geht unsdarum, aufbauend auf unseren Untersu-chungen den Kampf für eine neue kom-munistische Welle heute wieder aufzuneh-

men, indem wir richtiges wiederholen undfalsches verwerfen. Nur auf dieser Grund-lage werden wir uns in die Lage versetzen,den Enttäuschungen und Vorurteilen vie-ler fortschrittlich gesinnter Menschen über-zeugend gegenüberzutreten und letztend-lich auch in den breiten Massen erneut dieHo�nung für den Kampf um den Kommu-nismus zu wecken.

Des weiteren wird uns ein Wissen überunsere eigene kommunistische Geschichtehelfen, den vor allem in Deutschland im-mer wieder zerissenen Faden der kommu-nistischen Bewegung neu aufzugreifen unddas Feuer der Jahrhunderte alten Traditionder für die Befreiung der Menschheit kämp-fenden GenossInnen neu zu entfachen.

Da wir die Geschichte in ihrer histori-schen Entwicklung analysieren, haben wiruns entschlossen, für dieses erste Doku-ment den Artikel 'Die historische Bolsche-wisierung' von Simone Reymers herauszu-geben, welcher die Entwicklung der histo-rischen Kommunistischen Partei Deutsch-lands zwischen 1918 und 1933 und insbe-sondere der Phase der Bolschewisierung be-handelt. Dieser Text beinhaltet Positionen,die über den von uns erreichten kollektivenDiskussionsstand hinausgehen. Wir wollenihn aber hiermit trotzdem der revolutio-

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1 Vorwort - Kommunistischer Aufbau

nären Bewegung zur Diskussion zur Verfü-gung stellen.

Die historische Bolschewisierung war derVersuch der jungen Kommunistischen In-ternationalen (KI) in den 20er und 30erJahren des letzten Jahrhunderts, die Erfah-rungen der russischen Bolschewiki auszu-werten, zu verallgemeinern und somit denzu diesem Zeitpunkt überall auf der Weltneu gegründeten Kommunistischen Partei-en bei der Überwindung ihrer sozialde-mokratischen Muttermale zu helfen. Auchwenn die Kommunistische Internationalenach dem o�enen Verrat der II. Interna-tionale zu Beginn des ersten Weltkriegseinen Triumph mit der Gründung von zahl-reichen Kommunistischen Parteien feiernkonnte, blieben die allermeisten dieser neu-en Parteien den Traditionen der Sozialde-mokratie verhaftet.

Die ganze Frage der Bolschewisierung isteigentlich schon in unserem ersten Theo-retischen Dokument �Kommunistische Par-tei im 21. Jahrhundert� (und zwar im An-hang zur Entwicklung des Parteiverständ-nisses) aufgeworfen. Der 1. Weltkrieg unddie Niederschlagung von zahlreichen revo-lutionären Erhebungen der Arbeiterklas-se in Europa hatte den KommunistInnendeutlich vor Augen geführt, dass die bür-gerlichen Staaten nicht weniger zu fürchtenwaren, als es der russische Zarismus war.Nun galt es, daraus praktische Schlussfol-gerungen im Parteiaufbau zu ziehen.

Wenn wir von den konkreten historischenBedingungen absehen, unter denen die Fra-ge der Bolschewisierung sich der kommunis-tischen Weltbewegung stellte, ist es nichtsanderes als die Frage des Unterschieds zwi-schen kommunistischen und sozialdemokra-tischen, d.h. bürgerlichen Parteien. (sieheKommunistische Partei im 21. Jahrhun-dert, S. 8)

Was macht für uns heute die Beschäfti-gung mit der Bolschewisierung sinnvoll?Gerade die Kommunistische Partei

Deutschlands (KPD) war nach der Okto-berrevolution bis zum Sieg des Faschis-mus weltweit neben den Bolschewiki alsgroÿes Vorbild der Kommunistischen Par-teien aller Länder bekannt. Der nicht involler Konsequenz vollendete Kampf ge-gen die sozialdemokratischen Traditionenist die letzte groÿe schmerzhafte Erfahrungder deutschen und internationalen Arbei-terbewegung, die zeigt, was passiert, wennes nicht gelingt, eine wirklich leninistischePartei aufzubauen. Dem Faschismus gelanges auch wegen dieser Mängel, die Kommu-nistischen Parteien derart stark zu dezimie-ren.Dennoch: Heute ist natürlich vieles an-

ders. Die reformistische/konterrevolutionäreund die revolutionäre Tradition der Arbei-terklasse sind (obwohl letztere meist über-aus schwach ist) klar organisatorisch ge-trennt. Wir erleben heute keinen jahrzehn-telangen Kampf zwischen revolutionärenund konterrevolutionären Teilen der Sozial-demokratie, wie ihn Rosa Luxemburg, KarlLiebknecht, Clara Zetkin und viele ande-re Jahre lang in der SozialdemokratischenPartei Deutschlands (SPD) ausfochten. Einsolcher langer Kampf innerhalb der Sozial-demokratie war damals die Vorraussetzungfür eine Spaltung der Sozialdemokratie, beider erhebliche Teile der Strukturen unterneuer � kommunistischer � Flagge erhaltenblieben.Auf kleinerem Maÿstab aber werden wir

in Zukunft vor ähnliche Entwicklungengestellt sein. Die Frage der Einheit derKommunistInnen wird nicht nur gelöst, indem sich diejenigen, die bereits heute aufder Grundlage des Marxismus-Leninismusstehen, vereinigen. Auch werden sich imKampf mit anderen Strömungen die Vor-

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1 Vorwort - Kommunistischer Aufbau

stellungen der Marxisten-Leninisten wei-terentwickeln und sich GenossInnen ande-rer Strömungen neu orientieren.Im Anschluss an den Artikel von Simo-

ne Reymers werden wir versuchen, einigeSchlussfolgerungen zur Bewertung des da-maligen Versuchs der Bolschewisierung so-wie Schluÿfolgerungen für die heute vor unsliegenden Aufgaben darzulegen.

In einer nächsten Ausgabe wollen wir unsStück für Stück an die jüngere Entwick-lung der kommunistischen und revolutio-nären Bewegung herantasten.Wir ho�en auf interessante Rückmeldun-

gen und neue Anregungen für unseren re-volutionären Kampf!

Kommunistischer Aufbau, Dezember 2014

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Die historische Bolschewisierung

Simone Reymers

2.1 Verschiedene Wege

der Arbeiterbewegung

in ihrer Entstehung

2.1.1 Bolschewisierung und die

unterschiedlichen

Entwicklungswege der

kommunistischen

Parteien

�Bolschewisierung ist die Tätigkeit, dieallgemeinen Grundsätze des Leninismus

auf die gegebene konkrete Situation in demeinen oder anderem Lande anzuwenden.�(Thesen über die Bolschewisierung der

Parteien der Komintern; beschlossen vomEKKI März/April 1925)1

Das Konzept der Bolschewisierung kannnur vor dem geschichtlichen Hintergrundder unterschiedlichen Entwicklungswegeder KP's im Westen und in Russland ver-standen werden. In den KI-Dokumentenist immer wieder von im Westen fehlen-den Kampferfahrungen die Rede. Es sinddie Klassenkampferfahrungen, die die Bol-schewiki als kommunistische Kaderpartei,

die die Revolution zur Vernichtung des Im-perialismus plant, organisiert und ideolo-gisch die Massen dafür gewinnt, vor al-lem in der Illegalität gesammelt hatten.Die Lehren, die daraus gezogen wurden,sind der Bolschewismus bzw. Leninismus,der es verstanden hat, den Marxismus mitden konkreten politischen und ökonomi-schen Bedingungen in Russland zu verbin-den und damit die Revolution zum Er-folg zu führen. Die Kommunisten der west-lichen Länder sammelten ihre Erfahrun-gen innerhalb der Tradition sozialdemokra-tischer Parteistrukturen, Parteiorganisatio-nen, Parteiideologie und Parteiarbeit. ImRahmen der Bolschewisierung wird von derKI herausgearbeitet, zu welchen Schwie-rigkeiten, Unterschieden, Misserfolgen undErfolgen es in der Geschichte der KP's ver-schiedener Länder gekommen ist.

Eine entscheidende Rolle für die Erfol-ge der Russischen Kommunistischen Partei(KPR) misst sie der Parteiorganisation, derleninistischen Partei neuen Typs und dendaraus erfolgten Konsequenzen bei. Dasheiÿt: Die Illegalität führte zu der Her-ausbildung von Kadern und einer Kader-partei (Berufsrevolutionäre bzw.�Leninsche

1Thesen über die Bolschewisierung der Parteien der Komintern; beschlossen vom EKKI März/April1925, zitiert nach: Verlag Rote Fahne, Die Bolschewisierung der KPD 1. Teil, S 29

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

Garde�), die auf völlig anderen Grund-lagen/Strukturen zu einer arbeitsfähigenPartei organisiert werden musste als dielegalen sozialdemokratischen Parteien z.B.imWesten. Die Kämpfe in der Illegalität er-forderten andere Kamp�ormen, eine andereDisziplin, gröÿeren Mut und Ausdauer alsin der Legalität. Die Verbindungen zu denArbeitern, der ideologische Ein�uss auf dieArbeiter und die Kenntnis über Stimmun-gen und die Lage der Arbeiter bestandenfür die Bolschewiki von Beginn an durchden Parteiaufbau auf Grundlage der Be-triebszellen.

�Der Begri� der �Bolschewisierung� um-fasst also die gesamte organisatorischeStruktur und ideologische Einheit der Par-tei, die Anerkennung des demokratischenZentralismus, den Aufbau des Berichts-und Protokoll-Wesen in der Partei, dieEinrichtung von Verantwortlichkeiten, diekorrekte Bestimmung des Verhältnisseszwischen Partei- und Gewerkschaftsfraktio-nen, die umfassende Entwicklung der He-bel der Massenarbeit sowie die ideologischeQuali�zierung und Kontrolle der Kader,die Verhinderung von Fraktionsbildungen,ihre Einheit und Geschlossenheit nach au-ÿen bei lebendiger Diskussion im Inneren.Die Anerkennung der Beschlüsse der Mehr-heit, die disziplinierte Unterordnung derunteren Ebenen unter die Beschlüsse dergewählten höheren Ebenen, die Führungder Kritik auf dem Wege der demokratisch-zentralistischen Instanzen ohne Fraktions-bildung � das kennzeichnet eine leninisti-sche Partei. Bürgerliche Augen muss einesolche Partei als �bürokratisch� erscheinen.Aber nur eine solche Partei wird in der La-ge sein, gegenüber den gewaltigen Kräften

des Gegners siegreich zu bleiben, wird sichmit den Massen verbinden und die leben-dige Einheit von Theorie und Praxis bil-den können. In all diesen Fragen hatte diePartei Lenins theoretisch und praktisch denWeg gewiesen: Die Erfüllung der genanntenPrinzipien und die Entwicklung ihrer orga-nisatorischen Grundlagen wurden daher als�Bolschewisierung� bezeichnet.�2

2.1.2 Entstehung der

Kommunistischen Partei

Russlands

Lenin und Stalin

Im zaristischen Russland herrschte derfeudale Absolutismus mittels brutalster mi-litärischer Repression. Nicht nur die Lageder Arbeiter, sondern auch die der Bau-ern, die die überwältigende Mehrheit derunterdrückten Massen bildeten, war uner-träglich. Das ganze Kleinbürgertum und so-gar die erst entstandene liberale Bourgeoi-sie war mit dem Absolutismus unzufrie-

2A. Plato, Zur Einschätzung... S. 3473Vgl. Ossip Pjatnizki: Die Bolschewisierung der kom. Parteien der kapitalistischen Länder durch Über-windung der sozialdemokratischen Traditionen; Die KI; XIII Jahrgang 1932; Heft 10, S. 755-774 undHeft 11, S. 823 -841; Nachdruck in RGO, Band I, S. 129 - 166

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

den.3 Die politischen Parteien der Arbeite-rInnenklasse entstanden nahezu gleichzei-tig mit den wichtigsten bürgerlichen Par-teien. Alle anti-monarchistischen Parteienmussten zu diesem Zeitpunkt in der Illega-lität arbeiten. Russland steuerte um 1905auf eine bürgerlich-demokratische Revolu-tion zu, die der Zar 1907 beim MoskauerAufstand militärisch unterdrückte.

In Russland gab es in der Zeit vor derRevolution nicht die Möglichkeiten, groÿeVersammlungen einzuberufen, legale Par-teiorganisationen zu scha�en und eine lega-le Parteipresse zu haben. Es gab auch kei-ne legale Arbeiterorganisationen und selbstGewerkschaften waren die meiste Zeit ver-boten. Die Kommunisten in Russland wa-ren von Beginn an gezwungen, eine Organi-sationsform zu �nden, die ohne legale Mas-senzeitungen und legale Massenversamm-lungen das Klassenbewusstsein in die Ar-beiterInnenklasse trägt, um diese für denrevolutionären Klassenkampf zu gewinnenund zu organisieren.

Unter diesen Umständen konnte in denWohngebieten keine direkte Verbindung zuden Massen aufgebaut werden. Die Illega-lität hat die Bolschewiki gezwungen, ihreGrundorganisationen in den Betrieben auf-zubauen, da ihre Arbeit dort am ehestendurch die Solidarität der ArbeiterInnen ge-schützt war. Diese erste Organisation derArbeiterInnenklasse war die Parteiorgani-sation.

�Das waren die wesentlichen Gründe da-für, dass die wirtschaftlichen Kämpfe im-mer unter der politischen Führung der Par-tei standen, ja das die Bolschewiki sämtli-chen Versuchen der Menschewiki, die Ge-werkschaften den reformistischen Verbän-den Westeuropas anzupassen, erfolgreich

entgegentreten konnten: Die Bolschewikihatten durch ihre Fraktionen, vom Betriebbis zu den höchsten Ebenen, die Führung inden Gewerkschaften. Die Fraktionen wur-den von der Partei kontrolliert; die revolu-tionären Sozialdemokraten leisteten Über-zeugungsarbeit in den gewerkschaftlichenMassenorganisationen.� 4

Erst nachdem die illegale bolschewisti-sche Kaderpartei aufgebaut, sich ein Pro-gramm gegeben, eine Strategie und ei-ne Taktik herausgebildet hatte, entstan-den in Russland die Gewerkschaftsorgani-sationen (1905-1907). Und erst nach derbürgerlich-demokratischen Februarrevolu-tion 1917 wurden die Gewerkschaften Mas-senorganisationen.�In der Kommunistischen Partei Russ-

lands hat sich, dank dem zwanzigjährigenillegalen Bestehen, der Typus des Berufs-revolutionärs, �die Leninsche Garde�, die�schon alles mitgemacht� hat, herausge-bildet. Diese Berufsrevolutionäre sammel-ten eine gewaltige Erfahrung in dem denpolitischen Verhältnissen angepassten Auf-bau der Parteiorganisation. Diese Erfah-rung geht den ehemaligen Mitgliedern dersozialdemokratischen Parteien Europas ab.Daher gelingt es unseren kommunistischenBruderparteien dort nur mit Mühe und mitgroÿen Opfern, ihre Parteiorganisation denillegalen Verhältnissen, in die sie durch dieBourgeoisie versetzt worden sind, anzupas-sen.� 5

Wir können also festhalten:

• Die Illegalität war entscheidend fürdie Entwicklung von kommunisti-schen Berufsrevolutionären, einer re-volutionären Strategie und Taktik so-wie einer Kaderpartei, die die Re-

4A. Plato, Zur Einschätzung...S. 3495O. Pianitzki, Reorganisation-Parteiaufbau, S. 19

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volution organisiert und erfolgreichdurchgeführt hat.

• Die Entstehung der Partei in den Be-trieben ermöglichte von Beginn an,Teil der Klasse zu sein und von derArbeiterInnenklasse als Avantgardeanerkannt zu werden.

• Die Kommunisten waren von Beginnan führenden Positionen Teil der Ge-werkschaften und hatten damit diepolitische Führung und den ideologi-schen Ein�uss auf die Massen.

2.1.3 Der Prozess der

Parteientstehung in

Deutschland

Die Arbeiterbewegung Westeuropas entwi-ckelte sich aus spontanen Betriebsorganisa-tionen zu Arbeiterkoalitionen ganzer Orte,Regionen oder Branchen, wie bereits Marxund Engels im Kommunistischen Mani-fest festgestellt hatten. In Deutschland ent-standen unter kapitalistischen Verhältnis-sen erst die ArbeiterInnenvereine, aus de-nen sich Gewerkschaftsverbände noch vorden ArbeiterInnenparteien herausbildeten.1868, als die Gewerkschaften noch Rich-tungsgewerkschaften waren (�Eisenacher�und �Lassalleaner�), stand schon die orga-nisatorische Trennung zwischen Ökonomieund Politik fest. Kommunistische Agitati-on und Propaganda über Fraktionsarbeitunter den Massen war unbekannt. Wirt-schaftskämpfe entstanden zu dieser Zeitals spontane Protestaktionen ohne politi-sche Perspektive und ohne politische Füh-

rung. Die Gewerkschaften blieben zersplit-tert und zünftlerisch.1863 schlossen sich verschiedene Arbei-

tervereine unter Lasalle zum AllgemeinenDeutschen Arbeiterverein (ADAV) zusam-men, der sich der I. Internationale (1864)anschloss6. Es folgte 1869 die Gründungder Sozialdemokratischen Partei (W. Lieb-knecht/A. Bebel) im Zusammenschluss mitLassalle. Sie war nach Wahlbezirken, Orts-gruppen und Wohngebieten organisiert.Die SPD stand damals auf marxistischerGrundlage und hatte den revolutionärenKlassenkampf zum Ziel, hob aber nicht dieTrennung zwischen dem politischen undökonomischen Kampf auf. Streiks bliebenSache der Gewerkschaften.Die Gewerkschaften waren nicht nach

Betrieben organisiert. Sie hatten aber inden Betrieben ihre Funktionäre wie Kas-sierer und Vertrauensleute. Die SPD wardurch ihre Gewerkschaftsmitglieder undFunktionäre mit der Gewerkschaft verbun-den. Das gesamte Leben der Parteiorga-nisation konnte legal geführt werden undspielte sich auÿerhalb der Betriebe ab.Ö�entliche ArbeiterInnen- und Parteiver-sammlungen wurden z.B. in ArbeiterInnen-vierteln abgehalten und dort auch rege be-sucht.Auch wenn die bürgerlich-demokratische

Revolution 1848 in Deutschland unvoll-endet geblieben ist, ist das Kaiserreichvon 1871 bis 1918 politisch trotz man-cher Rückständigkeit gegenüber den fort-geschrittenen kapitalistischen Ländern miteiner bürgerlichen Demokratie (England,Frankreich, USA), nicht mit dem russischenAbsolutismus vergleichbar. Wie Lenin fest-stellte, war Deutschland ein bürgerlich-

6Der ADAV weigerte sich, Arbeiterkämpfe zu führen. Diese Haltung wurde durch die Theorie des eher-nen Lohngesetzes durch Lassalle begründet, das die Lohnkämpfe zur Aussichtslosigkeit verurteilte.

7Geschichte der Neuzeit; Reprint Verlag Neue Zeit; 1978; Geschichtsbuch für die sowjetische Besat-zungszone; Übersetzung nach dem russischen Original, 5. Au�age, 1950; S. 31

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junkerlicher Staat, d.h. es herrschte einBündnis zwischen altem Feudaladel undaufkommender (Groÿ)bourgeoisie.7 Sowohlunter den Sozialistengesetzen (1878 bis1890) wie während des 1. Weltkriegs(1914 bis 1918) blieben bedeutende le-gale Handlungsmöglichkeiten für revolu-tionäre Sozialdemokraten und Kommunis-ten insbesondere im Rahmen der SPD-Parlamentsfraktion bestehen. Die Tätigkeitrevolutionärer GewerkschafterInnen wurdezwar behindert, gleichzeitig aber versucht,die Massenorganisation der ArbeiterInnen-klasse in das System einzubinden.Dies führt zu zwei der russischen Ent-

wicklung genau entgegen gesetzten Tenden-zen:

• Die Parlamentsfraktion wird zumZentrum der politischen Partei, vondem die absolute Vorherrschaft desLegalismus ausgeht.

• Die Trennung von politischem undökonomischem Kampf bildet sich her-aus und ihre organisatorische Selb-ständigkeit wird durch die Auftei-lung der Funktionen der Arbeiterbe-wegung und ihres Kampfes auf zweiOrganisationen verfestigt. Die Parteimacht Politik - um die wirtschaftli-chen Fragen kümmert sich die Ge-werkschaft.

Die Entwicklung während des 1. Welt-krieges beweist anschaulich, dass man mitsolchen falschen Organisationsprinzipienweder die politischen noch die wirtschaft-lichen Bedürfnisse der ArbeiterInnenbewe-gung befriedigen kann.Es ist kein Zufall, sondern Ausdruck ob-

jektiver Notwendigkeiten, dass beim erstenernsthaften Revolutionsanlauf der deut-schen ArbeiterInnenbewegung während des

Januarstreiks 1918 und dann in der No-vemberrevolution die 'Revolutionären Ob-leute' (als Gewerkschaftsstruktur) und derlinke Flügel der 'Unabhägigen Sozialdemo-kratsichen Partei Deutschlands' (USPD)samt 'Spartakusbund' (als Parteistruktu-ren), wenn auch spontan und chaotisch, zu-sammen�nden mussten, um zumindest imAnsatz ein leitendes Zentrum für die revo-lutionäre Massenaktion zu formen.

2.2 Geschichte der KPD

und ihre

Bolschewisierung

2.2.1 Kurze Darstellung der

Geschichte der KPD

'Spartakusbund' 1914 bis 1918

Die Auseinandersetzung in der SPD um dieFrage der o�enen, programmatischen Ab-kehr von der Revolution und Hinwendungzum Reformismus beginnt um 1895 mitder Debatte zwischen Eduard Bernsteinals Vertreter der Möglichkeit des Über-gangs zum Sozialismus durch die Reform,und August Bebel. 1910 fordert Rosa Lu-xemburg ihre SPD auf, die Organisationss-trukturen planvoll für auÿerparlamentari-sche Massenaktionen einzusetzen. Die Par-tei entschlieÿt sich dagegen. Seither wirddie Linke in der SPD zunehmend isoliert.Bei Kriegsbeginn im August 1914 er-

reicht der historische Verrat der SPD undII. Internationalen seinen Höhepunkt mitdem Übergang auf Seiten des Imperialis-mus (Vaterlandsverteidigung, Zustimmungzu den Kriegskrediten im Parlament undBurgfriedenspolitik in den Betrieben, d.h.Verzicht auf jegliche Streiks). Die Opposi-tion formiert sich um Karl Liebknecht und

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

Rosa Luxemburg in der Reichstagsfrakti-on der SPD als �Gruppe Internationale�(später 'Spartakusbund') und in den Be-trieben um die Revolutionären Obleute, diedrei groÿe Massenstreiks (1916 Solidaritäts-streik für Liebknecht, April 1917 Brotstreikund Januar 1918 Massenstreik gegen Kriegund für die demokratische Republik) orga-nisieren.

Im März 1917 wird die linke Opposi-ton aus der SPD ausgeschlossen und bil-det fortan die Unabhängige Sozialdemo-kratische Partei Deutschlands (USPD) alszentristische Partei aller Kriegsgegner. DieSpartakusgruppe arbeitet als Fraktion in-nerhalb der USPD. Sie setzt damit ih-re Taktik der �Zurückeroberung der Par-tei von unten auf durch die Rebellion derMasse� fort, die sie bereits zuvor in derSPD verfolgt hatte. Diese politische Linieist nicht umsonst einer der ideologischenKnackpunkte im Streit zwischen den Bol-schewiki und dem �Luxemburgismus�, dasie u.a. den Verzicht auf den Aufbau einerrevolutionären Partei neuen Typs beinhal-tet. Rosa Luxemburg hatte ihre Position ineinem Brief an Clara Zetkin, die damalsschon eine von der Sozialdemokratie ge-trennte kommunistische Organisation vor-schlug, wie folgt begründet: �Willst Du viel-leicht aus der Menschheit auch austreten?Über geschichtliche Erscheinungen von die-sem Maÿstab vergeht einem jeder Ärgerund es bleibt nur Platz für kühles Überle-gen und hartnäckiges Handeln. (. . . )�8

Der Spartakusbund baut ein illegalesPropagandanetzwerk auf, zunächst überVerbindungsleute in den Industriezentren.Das organisatorische Gerüst dehnt sich vonMitte 1915, wo es Verbindungsleute in 300

Orten gibt, auf etwa 3.000 Orte Anfang1918 aus.

�Aus den Polizeiberichten geht hervor,dass die Mitglieder der Gruppe Methodenkonspirativer Arbeit entwickelten, wie dieder Abschirmung. Aber aus Briefen undTagungsprotokollen zeigt sich auch, dassdie Spartakusgruppe keine präzise Vorstel-lung über die Wirkungen ihrer Propagan-da besaÿ, daÿ sie sich, wie vor allem diebeiden Reichskonferenzen der Gruppe leh-ren, bei der Einschätzung der revolutio-nären Haltung der Arbeiter auf Stimmungs-berichte ihrer politischen Gesinnungsgenos-sen verlassen muÿte. Was fehlt, ist die un-unterbrochene systematische Ermittlungs-tätigkeit. Kennzeichnend ist, daÿ die Ele-mente der Kaderbildung, die Erziehung re-volutionärer Arbeiter im Kampf spontanverlief, mit einem Wort, daÿ die Organisa-tion bis zum Schluÿ überwiegend eine Pro-pagandainstitution blieb, bei der von derZentrale die Analysen und Parolen ausge-geben und von den Massen aufgenommenund verbreitet wurden.�9

Der organisatorische Bruch mit der Sozi-aldemokratie �ndet bei der Herausbildungdes Spartakusbundes 1914 bis 1918 im dop-pelten Sinne nicht statt: Nicht formal undschon gar nicht inhaltlich im Sinne einerBolschewisierung. Die Propagandatätigkeitin der erzwungenen Illegalität scha�t Vor-aussetzungen zur Entwicklung einer bol-schewistischen Praxis. Anscheinend bestehtüber diese Frage aber keine Klarheit, dadas Organisationsverständnis der revolutio-nären Spartakisten von der sozialdemokra-tischen Tradition geprägt ist.

8Bolschewisierung der KPD, S. 3129Bolschewisierung der KPD, S. 313f

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

Revolutionsjahre 1918 bis 1923 undScha�ung der KPD

Leo Jogiches

Die politische Zentrale des Spartakus-bundes wird 1916 weitgehend zerschlagenund fast alle Führer (Luxemburg, Lieb-knecht, Zetkin) werden verhaftet. Die Füh-rung des Spartakusbundes liegt jetzt in denHänden von Leo Jogiches, der z.B von der70er-Jahre K-Gruppe 'KPD/AO' dahinge-hend eingeschätzt wird, dass seine �konspi-rative Erfahrung und organisatorische Be-fähigung (. . . ) in Deutschland kein Bei-spiel� hatte: �Dass auch er in der Ent-wicklung eines Typs von Partei, die Demo-kratie mit Zentralisierung verband, keinenSchritt weiterkam, zeigt die objektive Ver-kettung der gesamten deutschen Linken andie organisatorischen Strukturen der Vor-kriegssozialdemokratie, blieb sie doch in allihren Versuchen der Neubestimmung mitdem starren Schema der Gegenüberstellung

von revolutionärer Masse und degenerier-ten Organen negativ diesen Strukturen ver-bunden.�10

Die organisatorischen Mängel der Spar-takusgruppe zeigen sich beim Januarstreik1918. Zwar tritt hier der illegale Propa-gandaapparat der Gruppe in Aktion (Ver-breitung von Flugschriften in einer Au�agevon 25.000 bis 100.000 schwerpunktmäÿigin Berlin). Zu den betrieblichen Strukturender Revolutionären Obleute als Träger desStreiks gibt es aber wenig organisatorischeVerbindung.

Hier macht sich die später von Pjatniz-ki kritisierte, in der Tradition der sozial-demokratischen Parteien begründete Tren-nung zwischen politischem und wirtschaft-lichem Kampf besonders emp�ndlich be-merkbar. Auf der einen Seite gibt es diespartakistischen Revolutionäre, deren Ar-beit unter den Massen vor allem propa-gandistisch und tendenziell einseitig vonoben nach unten aufgebaut ist (in der Tra-dition der einstmals revolutionären SPD-Reichstagsfraktion). Auf der anderen Sei-te haben wir die illegale Organisation derRevolutionären Obleute in den Betrieben,die mitten imWeltkrieg unter Bedingungendes Ausnahmezustandes in der Lage sind,400.000 ArbeiterInnen der Rüstungsindus-trie in den Streik zu führen, politisch abervon den Zentristen der USPD beein�usstsind. Es war nicht gelungen, beide Teilezu einer bolschewistischen Organisation zuvereinigen.

In der Novemberrevolution 1918 undden revolutionären Kämpfen bis März 1920überrollt die spontane Bewegung folgerich-tig immer wieder die schlecht vorbereitetenRevolutionäre. Es fehlt ihnen die gefestig-te Struktur, den revolutionären Kampf zuleiten und zum Sieg zu führen.

10Bolschewisierung der KPD�, S. 315f

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

Karl Liebknecht

Zum Jahreswechsel 1918/19 wird dieKPD als Vereinigung von Spartakusbundund aller anderen revolutionären Kräfteund damit faktisch als Zusammenschlussverschiedenster revolutionärer Zirkel mitteils gegensätzlichen politischen Anschau-ungen gegründet. Die angestrebte Aufnah-me der Revolutionären Obleute scheitert.Die fähigsten Führer der KPD werden di-rekt nach der Gründung von der Konter-revolution liquidiert (Karl und Rosa im Ja-nuar 1919 und Leo Jogiches im März 1919).Die Partei wird von heftigen politischenKon�ikten erschüttert und schwankt zwi-schen linksradikalen Stimmungen und rech-tem Opportunismus hin und her, ohne denrichtigen, bolschewistischen Weg zu �nden.Dazu nur zwei anschauliche Beispiele:Auf dem Gründungskongress der KPD

fordert Eberlein als Organisationsreferentder Spartakus-Gruppe: �Die einzelnen Or-te müssen für die Gestaltung ihrer Orga-nisation völlige Freiheit behalten. Es darfvon oben her nicht uniformiert werden.

Die einzelnen Organisationen müssen völ-lige Autonomie haben.� Mit diesem anti-bolschewistischen Parteikonzept wird demRegionalismus Vorschub geleistet, der ei-ne wichtige Rolle für die Niederlagen derbewa�neten Aufstände in den Revolutions-jahren bis 1923 spielen wird. Die Gegenten-denz wird von Paul Levi repräsentiert, derunter seiner Führung auf dem 2. Parteitageine Zentralisierung nach sozialdemokrati-schem Muster durchsetzt und später wiederin die SPD zurückgehen wird.

�Die Leitsätze, die Levi auf dem Heidel-berger Parteitag vorlegte, hatten nichts ge-mein mit der Bolschewisierung der Par-tei, waren aber ein Schritt heraus aus demZustand, 'in dem allerhand Götter klei-neren Formats als angebliche Willensvoll-strecker der örtlichen Mitgliedschaften ih-rer persönlichen Unklarheit und Wirrköp-�gkeit frönen konnten.' Sie legten fest, daÿ'die politische Partei zur Führung des revo-lutionären Massenkampfs berufen' sei, undbestimmten die Avantgarderolle der Par-tei.�11

Die Kenntnis dieser Verhältnisse solltedabei helfen, Lenins Intention bei der Ab-fassung der Schrift �Der linke Radikalis-mus� besser zu verstehen, die sich spezi-ell mit den deutschen KommunistInnen be-schäftigt.

Auf dem 2. Parteitag der KPD 1920kommt es zur Trennung von den linksra-dikalen Teilen, die dann die KAPD (Kom-munistische Arbeiterpartei Deutschlands)bilden. Zuvor hatten die Bolschewiki mitder Bildung der KI Ein�uss auf Entwick-lung der kommunistischen Bewegung inDeutschland genommen. Mit Blick auf diemassenweisen Eintritte von einzelnen Mit-gliedern oder ganzen Teilstrukturen der so-zialdemokratischen Parteien in die kommu-

11Bolschewisierung der KPD, S. 323f

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nistischen Parteien gab die KI mit den 21Aufnahmebedingungen eine klare Ausrich-tung zur Unterscheidung von kommunisti-scher und sozialdemokratischer Politik. Inder Folge beschlieÿt die USPD den Beitrittzur III. Internationale und vereinigt sichmit der KPD, die so auf einen Schlag zueiner massenhaften Partei mit 450.000 Mit-gliedern wird.Während der bewa�neten Kämpfe 1920

zur Abwehr des Kapp-Putsches durch die'Rote Ruhrarmee' und im März 1921in Mitteldeutschland durch die 'Proletari-schen Hunderterschaften' bremst die rech-te KPD-Führung die notwendige Vorberei-tung zur Durchführung des revolutionärenAufstands. Die innerparteilichen Frakti-onskämpfe der verschiedenen Strömungenkonnten nicht geklärt und die Einheit derPartei nicht hergestellt werden.

Einschätzung der KPD 1920/21

Eine wirkliche politische und militärischeVorbereitung dieser Kämpfe hat im Gefolgedes Heidelberger Parteitags und der politi-schen Orientierung durch die Leitsätze derKomintern nicht stattgefunden. Vorüberge-hend setzt sich in dieser Periode das Kon-zept von der Revolution als langem Prozessmit Höhen und Tiefen durch. Somit wirddie Orientierung auf den bewa�neten Auf-stand in die unbestimmte Zukunft verscho-ben, statt ihn als konkret zu planende Auf-gabe zu verstehen. Es ist vor diesem Hin-tergrund einleuchtend, dass Paul Levi 1921die Taktik der KPD und der Komintern als�putschistisch� kritisiert und nach seinemAusschluss aus der KPD (auf Betreiben Si-nowjews und der KI) über Umwege wiederbei der SPD landet.Auf der anderen Seite erkennen wir bei

den Ultralinken den Fehler, auf der Grund-lage der Vorstellung einer linearen politi-

schen Entwicklung in Richtung Revolutiondie Organisation des Aufstands im wesent-lichen als technische Aufgabe zu verstehenund die notwendigen politischen Vorberei-tungen nicht zu tre�en (unzureichende Be-tonung der Notwendigkeit, die hartnäckigeArbeit unter den Massen fortzuführen).Beide Tendenzen führen zum selben Er-

gebnis. Hier sieht man, wozu diese organi-satorische Schwäche und mangelnde ideolo-gische Klarheit im Zusammenhang mit ei-nem wirklich ausbrechenden revolutionärenKampf geführt hat - nämlich zum Hinter-herhecheln hinter der Initiative der Massenbei allen regionalen organisatorischen Leis-tungen der Genossen und schlieÿlich zurunkontrollierten Niederlage mit hohen Ver-lusten statt geordnetem Rückzug und plan-mäÿiger Vorbereitung der nächsten O�en-sive.Auch wenn die Linie der KI richtig war,

den massenhaften Übergang sozialdemo-kratischer Arbeiter zur USPD auszunutzen,um die reformistischen Führer zu isolierenund die Massen zur KPD/KI zu ziehen (inder revolutionären Situation eine notwendi-ge Maÿnahme), war die KPD mangels DZ-Struktur allein organisatorisch gar nicht inder Lage, diese Massen im bolschewisti-schen Sinn zu führen. In der Konsequenzmusste das zu einer Rechtsentwicklung füh-ren, die dann auch im entscheidenden Jahr1923 eingetreten ist.

Die verpasste Chance 1923 �Hyperin�ation, Revolutionäre Kriseund Hamburger Aufstand

Bis 1923 verschärft sich die ökonomische(Hyperin�ation, Verelendung) und politi-sche Situation soweit, dass eine o�en revo-lutionäre Krise in Deutschland heranreift.Bereits im Sommer fegt ein politischer Ge-neralstreik die Cuno-Regierung hinweg.

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Hamburger Aufstand - Gemälde von WillyColberg, 1953

Die KI interveniert direkt und bildet un-ter teilweiser Umgehung der KPD-Führungein Vorbereitungskomitee für den Auf-stand. Im Ergebnis der mangelnden ideo-logischen Vorbereitung und der zögerlichenHaltung der rechten KPD-Führung (Thal-heimer/Brandler)12 kommt es lediglich inTeilen Hamburgs zu einem Aufstandsver-such, der von der Reichswehr nach kurzerZeit niedergeschlagen wird.13

Stabilisierung 1924 bis 1928 undBildung des Thälmann-ZK

In der Folge des von den Rechten sabotier-ten Aufstands kommt es beim 9. Parteitagder KPD zur Wahl eines linken ZK, wel-ches dann eine extrem linksradikale Politik

betreibt. Die linkssektiererische Politik un-ter Ruth Fischer (Ablehnung der Arbeit inden Gewerkschaften und Liquidierung derbestehenden Fraktionen in ihnen, Ableh-nung der Einheitsfront mit den sozialdemo-kratischen Arbeitern, Propagierung des re-volutionären Aufstands in einer Situation,wo sich die ökonomische und politische La-ge stabilisiert und die revolutionäre Welleabebbt) wird von der KI massiv kritisiert.Zur Haltung der KI in der Frage der Ein-setzung der linken Führung sind folgendeZitate aus Reden und Briefen von Sinowjewinteressant:

�Es ist gesagt worden, eine Spaltung derdeutschen Kommunistischen Partei bedeu-te den Untergang der deutschen Revoluti-on, zum mindesten deren Hinausschiebenauf weitere 5 Jahre. Das ist absolut rich-tig. (. . . ) Wir alle wissen, dass es Lagengibt, in denen man eine Spaltung vorneh-men muss. In solchen Fällen nehmen wirsie auch vor. Aber es gibt auch Lagen, indenen man alles schlucken muss, um keineSpaltung zuzulassen.�

�Die Herrschaft der Linken in der Parteiwar der einzige Fall, wo eine Parteiführungdie Partei gegen den Willen der Kominterneroberte.� 14

Inzwischen hatte sich die politische undwirtschaftliche Lage in Deutschland näm-

12In einer zugespitzten revolutionären Krise im Sommer 1923 orientiert die rechte Parteiführung (Brand-ler/Thalheimer) auf eine Arbeiterregierung mit der konterrevolutionären Sozialdemokratie, ver-schleppt die organisatorische Vorbereitung des Aufstands und sabotiert ihn im entscheidenden Mo-ment, indem sie die Festlegung des Termins bzw. die Ausrufung des Aufstands von der Zustimmungaller möglichen sozialdemokratischen, zentristischen und syndikalistischen Arbeiter auf der Chem-nitzer Betriebsrätekonferenz abhängig macht.

13Die Entwicklung in der KPD hin zum Hamburger Aufstand ist gut dokumentiert und wird hieraus Platzgründen nicht detailliert dargestellt. Sie kann u.a. nachgelesen werden in dem Bericht desmilitärischen Leiters des Aufstand, Hans Kippenberger, der im illegalen Lehrbuch der KI �Der be-wa�nete Aufstand�, Reprint 1971 Europäische Verlagsanstalt, als 4. Kapitel verö�entlicht ist. Diepolitische Entwicklung wird am besten analysiert von Alexander von Plato, Zur Entwicklung derKlassenkämpfe in der Weimarer Republik: KPD und Komintern, Sozialdemokratie und Trotzkismus,Oberbaum-Verlag, Reihe Materialistische Wissenschaft, Bd. 8, 1973

14Plato, S. 142f

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lich entscheidend verändert. Der Dawes-Plan, der u.a. einen Kapitalexport der USAnach Deutschland beinhaltet, führt zu-sammen mit einer Währungsreform zu ei-ner wirtschaftlichen Stabilisierung. Im Jahr1924 steigt die Industrieproduktion um50% und die Arbeitslosigkeit geht zurück.Auch die Reallöhne steigen massiv und dieLohnerhöhungen werden nicht mehr vonder In�ation aufgefressen.

Ernst Thälmann

1925 wird das Thälmann-ZK gewählt,das eine Neuorientierung auf Grundlageder Bolschewisierung vornimmt und damiteinen Kampf gegen das Linkssektierertum,den Rechtsopportunismus und den Fraktio-nismus führt.

Einschätzung 1924/25

Nach dem Verrat der Rechtsopportunistenim Oktober 1923 ist es zu einem derar-tigen 180-Grad-Schwenk der KPD gekom-men, dass man fast von einer anderen Par-tei sprechen muss: Vom Sozialdemokratis-mus zur autoritär geführten linken Phra-

sendrescherpartei. Das Ergebnis bleibt das-selbe: Die Partei kann ihre Funktion nichtwahrnehmen. Sie bleibt eine Partei, derenLinie in erster Linie durch die Kämpfe, derin ihr bestehenden Fraktionen bestimmtwird, statt durch eine konkrete Analyse derkonkreten Situation. Die Gefahr der Zerstö-rung der KPD ist in dieser Zeit sehr groÿ.Die KI ist, wie man aus den sehr erhel-

lenden Äuÿerungen von Sinowjew schlie-ÿen kann, im politischen Gesamtkontextbemüht, die Spaltung zu verhindern, umnicht völlig die Kontrolle in Deutschlandzu verlieren: Die Weltlage ist revolutionärund es gibt Massen in Deutschland, die sichunter die Führung der KP stellen. In die-ser komplexen Situation ist keine Zeit, denKampf mit den Linken auszufechten undvon der Pieke auf erstmal DZ-Strukturenaufzubauen. Deshalb versucht man mit die-ser Organisation unter dieser Führung zuarbeiten, sie zu kritisieren und gleichzeitigKräfte aufzubauen (Thälmann), unter de-nen eine wirkliche Bolschewisierung statt-�nden kann.

Weltwirtschaftskrise undSozialfaschismus, Bolschewisierung derKPD und O�ensivstrategie 1928 bis1931

Schon 1928 deuten Analysen der Weltwirt-schaft tiefgreifende Krisen an, die dann alssogenannte �Weltwirtschaftskrise� ab 1929o�en ausbrechen. Die SPD und die ADGB-Führung verschärften ihre arbeiterfeindli-che Politik. Mit Hilfe der Theorie der �Wirt-schaftsdemokratie� � die letztendlich dieSozialpartnerschaft zwischen Arbeit undKapital zur Grundlage des Wirtschaftensmacht � wird seit Mitte der 20er Jahredie forciert betriebene Verschmelzung derSPD- und Gewerkschaftsapparate mit demKapital im Staatsapparat, Arbeitsgemein-

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schaften und Aufsichtsräten der Konzernegerechtfertigt. In dieser Tradition stehendie �Arbeitnehmervertretungen� bis heute.

Demonstration der KPD, 1927

1929 war die NSDAP zu einer Massen-bewegung angewachsen, die KI forciertedie ideologische Bekämpfung. KPD und KIanalysierten damals, dass mit Ausbruch derWeltwirtschaftskrise die Sozialdemokratiezum Steigbügelhalter der Faschisten (Sozi-alfaschimus) geworden war, da sie sich aufGedeih und Verderb an den eigenen Ka-pitalismus/Imperialismus gebunden hatteund daher in der Krise zwangsläu�g zurDurchsetzung immer neuer Lohnsenkungengezwungen war und politisch dem forcier-ten Demokratieabbau zustimmen musstebzw. diese arbeiterfeindlichen Maÿnahmenaus antikommunistischer Gesinnung aktiv

vorangetrieben hat (z.B. Blutmai 1929 inBerlin15).

***

Exkurs: Sozialfaschismus

Die in der Zuspitzung der Wirtschaftskriseund der Klassenkämpfe noch stärker als bis-her zu Tage tretende reaktionäre Rolle derSPD legte die Grundlage für die Analysedes Sozialfaschismus. Sie beinhaltet aller-dings anders als weit verbreitet nicht, dassdie SPD � und schon gar nicht von Kopf bisFuÿ � aus Faschisten bestand, sondern viel-mehr, dass die SPD die wichtigste Vorberei-tungsarbeit für die faschistische Machter-greifung leistete (Steigbügelhalter). Insbe-sondere wurde dies damit begründet, dassdie Betriebsräte � oftmals unter sozialde-mokratischer Hand � eine zentrale Rolle beider Denunziation und Entlassung von kom-munistischen Betriebsarbeitern spielte.Kaum eine Ausrichtung der KPD und

der Komintern wird so massiv angefein-det, wie die Analyse des Sozialfaschismus.Mit dem Sozialfaschismus hätten die Kom-munisten Faschismus und Sozialdemokratiegleichgesetzt, faktisch die SPD zum Haupt-feind erklärt, so die Arbeiterklasse gespal-ten und den Faschismus 1933 erst ermög-licht. Solche Unterstellungen sind als Be-standteil der �Stalinismus�-Kritik ins lin-ke Alltagsbewusstsein und leider auch der

15Die SPD-Regierung verbietet kommunistische Demonstrationen am 1. Mai 1929 in Berlin. Am Kampf-tag der Arbeiterklasse demonstrieren 200.000 Arbeiter auf den Aufzügen der KPD. PolizeipräsidentZörgiebel (SPD) erteilt Schieÿbefehl auf die unbewa�neten Demonstranten: 31 Arbeiter werden er-schossen, hunderte verletzt und 1200 verhaftet.Der provokatorische Zweck der Aktion wird am 3. Mai deutlich. Auf Verlangen des Reichsinnen-

minister Severing (SPD) erfolgt das Verbot des Rotfrontkämpferbunds. Während die Selbstverteidi-gungsorgane der Arbeiter damit illegalisiert sind, bleiben die faschistischen Paramilitärs SA und SSbis zum Ende der Weimarer Republik legal. Diesen von der SPD ermöglichten Vorteil werden diefaschistischen Stoÿtrupps ausnutzen bei dem Versuch, vor 1933 in die roten Arbeiterviertel einzu-dringen, um dort im Sinne der Aufstandsbekämpfung Stützpunkte zur Kontrolle des Territoriumszu errichten (siehe dazu T. Derbent, Der kommunistische Widerstand von 1933 bis 1945, Zambon-Verlag, 2011; S. 17, 18)

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heutigen kommunistischen Bewegung inDeutschland übergegangen. Aber es gehörtauch zur historischen Wahrheit, die denOpportunisten damals wie heute ihre Pro-paganda erleichtert, dass es in der KPDfortgesetzt zu ideologischen Schwankungengekommen ist. Insbesondere die linksradi-kalen Abweichungen haben sowohl theore-tisch mit dem Slogan der �kleinen Zörgie-bels�, die jeden sozialdemokratischen Ar-beiter zum Feind erklärt, wie praktisch z.B.mit der verfrühten Gründung roter Ge-werkschaften wie dem Einheitsverband derMetallarbeiter Berlins16 im November 1930zu jeder Menge politischer Fehler geführt.Dass die kommunistische Basis in dieserzugespitzten Klassenkampfsituation immerwieder weit über die von der Parteiführungausgegebene Linie hinausging und nach Be-wertung der KI in sektiererische Fehler ver-�el, ist ein weiterer Beleg für den bis zu-letzt herrschenden Liberalismus in der Par-tei und die nicht erfolgte Bolschewisierung.

Allerdings verdrehen die Opportunistenbei der Denunziation der Sozialfaschismus-theorie bewusst Ursache und Wirkung. Be-kanntlich sind die SPD und die II Inter-nationale 1914 ins Lager des Imperialis-mus übergelaufen. Ihre konterrevolutionärePolitk in den folgenden Jahren bis 1933hat u.a. dazu geführt, dass in Teilen derArbeiterInnenklasse linksradikale Massen-stimmungen und Tendenzen innerhalb wieauÿerhalb der KPD immer wieder neueNahrung erhalten haben. Zu behaupten,die SPD wäre durch eine linkssektiereri-

sche Politik der KPD 1929 bis 33 in dieArme der Bourgeoisie getrieben worden,ist angesichts dessen einfach nur ein anti-kommunistisches Mantra, das keinerlei ge-schichtlichen Fakten standhält. Es war alsodie sozialdemokratische Führung und nichtdie kommunistische, die die Arbeiterklassespaltete, indem sie sich - vor die Frage ge-stellt, ob der Faschismus oder der Kommu-nismus zu bekämpfen sei - für den Kampfgegen den Kommunismus entschied.

Plakat der KPD

Notwendig hat sich daher ein politi-scher Verfall ergeben, der über den Lohnab-bau in den Arbeitsgemeinschaften, den or-ganisierten Streikbruch17, die Ablehnung

16Stefan Heinz, a.a.O.; S. 32, 3317�Während die Reformisten beim Streik der Hafenarbeiter in Hamburg 1928 erst den Schutz der Streik-

brecher auf sich nahmen, verp�ichteten sie schon während des Metallarbeiterstreiks in HenningsdorfMitte 1929 ihre Verbandsmitglieder zum Streikbruch, und Ende 1929, während des Streiks der Berli-ner Rohrleger, verwandelte sich der Metallarbeiterverband in ein richtiges Büro zur Anwerbung vonStreikbrechern, warf bedeutende Summen zur Unterdrückung des Streiks aus, erreichte die Verhaf-tung des Streikkomitees und war der Hauptorganisator des Terrors gegen die Streikenden.� S. Per;zit. nach Plato, a.a.O.; S. 231

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jeglichen Widerstands gegen den Faschis-mus � die SPD weigerte sich beispielswei-se 1932, mit der KPD gemeinsam zumGeneralstreik gegen den Papen-Putsch derpreuÿischen Landesregierung aufzurufen18

- bis hin zum Aufbau der DAF19 aus derVerschmelzung20 von ADGB- und NSBO-Strukturen reicht. Wobei die Bedeutungdes ADGB darin zum Ausdruck kommt,dass die betriebliche Verankerung der Nazisentgegen den im Geschichtsunterricht ver-breiteten Mythen von der Verankerung un-ter den �Armen� bis zur Machtergreifungäuÿerst gering war.21

***

Niederlage der O�ensivstrategie undantifaschistische Politik 1931 bis 1933

Die KPD antwortet unter Anleitung der KImit einer O�ensivstrategie, die mit Hilfeder RGO versucht, die Arbeitermassen vonden sozialdemokratischen Führern zu lö-sen, ökonomische Abwehrkämpfe gegen denWillen der ADGB-Bonzen durchzusetzenund so zu einer Revolutionierung der Mas-

sen und politischen Massenkämpfen und -streiks zu kommen.

1930 stand Merker mit seinen linkssek-tiererischen Praktiken (Ausgabe der Lo-sung der kleinen Zörgiebels) in der Kritik.Zurückgewiesen wurde die Gleichsetzungder sozialdemokratischen Arbeiter mit ih-rer sozialfaschistischen Führung. Die KIverurteilte auch die Gleichsetzung des au-toritären Brüning-Regimes (Notverordnun-gen) mit dem Faschismus. Die vereinig-te Gegeno�ensive von Kapital, Staat undSozialdemokratie führt 1929/30 zusammenmit den krisenbedingten Massenentlassun-gen zur Säuberung der Kommunisten ausden Betrieben . Die KPD wird weitgehendzu einer Erwerbslosenpartei.

1930/31 folgte die Kritik der KI an Neu-mann und Remmele und ihrer Zusammen-bruchstheorie. Damit sagten sie, der Fa-schismus sei die letzte Herrschaftsform desKapitalismus und die vom Nationalsozialis-mus enttäuschten Kleinbürger würden nachAbwirtschaftung des Faschismus der prole-tarischen Revolution zuströmen. Ihre Ho�-nung auf einen Erwerbslosenaufstand wur-de ebenfalls kritisiert.

18Plato, S. 270.19DAF = Deutsche Arbeitsfront, faschistische Massenorganisation, in die ab Mai 33 die Arbeiter auf

Basis der Volksgemeinschaftsideologie und eines betrieblichen Korporatismus integriert wurden.20Siehe dazu Plato, a.a.O.; 'Ausblick: ADGB-Politik 1933'; S. 192 bis 196, wo er das Resümee zieht:

�Daÿ die Au�ösung des ADGB eben keine Zerschlagung durch den Faschismus, sondern akzeptierteÜberführung in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) war, zeigt neben den obigen Fakten weiter die Tat-sache, daÿ der gröÿte Teil des Funktionärsstamms in die DAF übernommen wurde, zeigt auÿerdemdie ganze Reibungslosigkeit des Aufbaus der DAF. Ganze Ortsverbände des ADGB blieben erhalten� nur ein Teil der Funktionäre wurde durch NSBO-Funktionäre ersetzt. Selbstverständlich handel-te die ADGB-Führung unter der Drohung der Zerschlagung und Verhaftung � aber sie selbst hattealle organisatorischen und ideologischen Bedingungen gescha�en, dass sie überhaupt nicht gegenden Faschismus kämpfen konnte. Damit konnte sie auch immer wieder begründen, warum sie nichtkämpfen wollte. Die ADGB-Führung hat niemals gegen den Faschismus gekämpft, sondern wähltein der Situation der klaren Alternative � Bündnis mit der RGO und KPD oder Unterordnung unterden Faschismus � in aller Deutlichkeit den Faschismus. Der Feind blieb der Kommunismus.�

21NSBO = Nationalsozialistische Betriebsorganisation. Der Versuch der Nazis, mittels der NSBO inden Betrieben Fuÿ zu fassen blieb erfolglos, wie u.a. die Ergebnisse der Betriebsratswahlen zeigen,wo sie 1931 nur 0,85% der Stimmen erhielten und selbst im März 1933 nach der Machtergreifunggerade mal auf 11,7% kamen; siehe Belege bei Plato, a.a.O.; S. 233 bis 238

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Plakat der RGO

1932 arbeiten Ernst Thälmann und Will-helm Pieck eine Einheitsfrontpolitik aus,mit der alle Arbeiterorganisationen, die denLohnkampf führen wollen, zu einer Zusam-menarbeit aufgefordert werden. Diese Vor-schläge werden von der Sozialdemokratiekonsequent ausgeschlagen, wobei die sek-tiererischen Fehler der KPD (Politik derkleinen Zörgiebels, verfrühter Aufbau vonkom. Richtungsgewerkschaften) propagan-distisch ausgenutzt werden.

Politische Einschätzung 1928-1933

1925 war es endlich gelungen, eine Füh-rung zu etablieren, die auf die Scha�ungeiner DZ-Struktur orientierte. Im Rahmendieser Orientierung waren wichtige Schrit-te in Richtung Bolschewisierung eingeleitetworden. Ab 1928 zog man aus der ökono-mischen und politischen Veränderung derLage (inkl. der veränderten Rolle der So-zialdemokratie) die richtigen Analysen undpolitischen Schlussfolgerungen mit der Of-fensivstrategie und der Scha�ung der RGO.

Diese Korrekturen erfolgten jedoch vielzu spät, es wurden noch viele Fehler ge-macht und trotz anfänglicher Erfolge konn-te die O�ensive der Kommunisten inner-halb von zwei Jahren von der in den Betrie-ben verankerten konterrevolutionären Sozi-aldemokratie zurückgeschlagen werden. DieVorbereitungszeit von drei Jahren (in de-nen nach der vorherigen Entwicklung of-fensichtlich auch erstmal die allernötigs-ten Grundlagen gescha�en werden muss-ten) reichte bei weitem nicht aus, um diebetriebliche Verankerung der Reformistenzu brechen und die RGO-O�ensive zum Er-folg zu führen. Wieder einmal waren diedeutschen Kommunisten zu spät dran undnicht ausreichend vorbereitet: siehe 1918.Bis 1930/31 haben die Reformisten die

Kommunisten aus den Betrieben gejagtund dort durch eigene Kräfte ersetzt.1932 war die KPD eine Erwerbslosenpartei.Auch wenn ihr ideologischer Ein�uss nochgroÿ war, wie sich an Wahlergebnissen zeig-te, hatte sie die strategische Machtbasis fürdie Revolution verloren. Das war die ent-scheidende Weichenstellung für die Gege-no�ensive der Bourgeoisie ab 1930 und dieErrichtung der o�enen Diktatur der Hit-lerfaschisten im Januar 1933. Die Refor-misten in SPD und ADGB haben dieseO�ensive und den Faschismus organisato-risch durch die Denunziations- und Raus-schmisspolitik, durch Lohnraub und staat-lichen Terror und die Faschisierungspolitikab 1930 (Notverordnungsregimes) entschei-dend vorbereitet (was sie natürlich nichtdavor bewahrte, von den Nazis ab 1933 ausden Erfordernissen der faschistischen Dik-tatur heraus ebenfalls organisatorisch zer-schlagen, politisch verfolgt und teilweise er-mordet zu werden).Die folgenden Schwankungen der KPD in

der Antifa-Politik sind auf dieses Grund-problem zurückzuführen: Die strategische

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Machtbasis in den Betrieben und die re-volutionäre O�ensive war schon verloren.Jetzt musste die faschistische Diktatur ab-gewendet werden. Dies versuchte man nachanfänglicher linkssektiererischer �Schlag-die-Faschisten-�Politik und der daraufhinerfolgenden KI-Kritik durch eine Orien-tierung aufs Kleinbürgertum (Volksrevolu-tion, Programm der nationalen und so-zialen Befreiung) und einer teilweise ge-fährlichen Annäherung an das Vokabu-lar der Faschisten. Zeitweise unterschätz-te man den Faschismus und tendier-te zur Zusammenbruchstheorie (Neumann-Remmele-Kurs: Das Problem löst sich vonselbst). Danach die erfolglosen Versuchezur Herstellung einer Einheitsfront mit denKräften, die man nicht umsonst zuvor alsSozialfaschisten eingeschätzt hatte und diesich nicht zufällig einer Einheitsfront undVerhinderung des Faschismus widersetzten.1933 wurde die faschistische Diktatur er-

richtet. Die entscheidende Niederlage derRevolution hatte bereits 1930 mit demScheitern der O�ensive stattgefunden.

2.3 Einzelaspekte der

Bolschewisierung

Lenin hebt zum Zeitpunkt der Scha�ungder KI hervor, dass es ein groÿer Fehler derKP's ist, wenn sie die Erfahrungen Russ-lands mechanisch auf ihre Länder übertra-gen.22 Einerseits gibt es einige Grundzü-ge der russischen Revolution, die von in-ternationaler Bedeutung sind, zum anderenweist jedes Land Besonderheiten auf.

Einheit des Rotfrontkämpferbunds

Im Sinne dieser allgemeinen Ausrichtungbildet die Bolschewisierung der KPD ab1925 ein politisches Konzept, dass eine dia-lektische Einheit von allgemeinen Prinzipi-en (Leninismus), einer besonderen Klassen-kamp�age (eine junge, ungefestigte Partei;sozialdemokratische Traditionen usw.) undkonkreten einzelnen Schritten (z.B. ver-suchte Umstellung auf Betriebszellen) ist.Die Bolschewisierung der KPD umfasst

u.a. folgende Ebenen:

• Die ideologische Verteidigungdes Marxismus-Leninismus23

(u.a. ging der Kampf der Kommunis-ten 1925 darum, dass der Marxismusund der Leninismus nicht gegenein-ander gestellt werden dürfen24, dassder Leninismus den Marxismus durchdie Erfahrungen der drei russischenund die Erfahrungen einer Reihe an-derer revolutionärer Bewegungen be-reichert hat; die Bedeutung der revo-lutionären Tradition; die Auseinan-dersetzung mit einigen theoretischenFehlern im Lager der Kommunisten,

22Ausführlich nachzulesen bei Lenin: �Der linke Radikalismus. Kinderkrankheit des Kommunismus�23Verlag Rote Fahne, Die Bolschewisierung der KPD 1. Teil, S. 2924Damals wie heute wird der Leninismus ideologisch angegri�en und vom Marxismus getrennt, um den

Kommunismus als Gesamtbild zu verfälschen. Dies wird heute nicht nur von Seiten der Sozialdemo-kraten und Revisionisten betrieben, sondern auch aus Teilen der Bourgeoisie oder des Kapitals.

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insbesondere die Fehler der Luxem-burgianer)

• Die Überwindung des Fraktio-nismus und die Herstellung derEinheit der Partei. Dazu wares notwendig, die prinzipielle Ein-heit herzustellen, d.h. vor allem denRechts- und Linksopportunismus inder Partei zu besiegen und den Frak-tionismus zu überwinden. Es galt alsoerst einmal die Voraussetzungen füreine DZ-Struktur zu scha�en. DieserProzess nahm mehrere Jahre in An-spruch.

• Die Entwicklung eines bolschewisti-schen Kadertyps, der sein Leben voll-ständig der revolutionären Aufgabewidmet und voll und ganz der Par-tei zur Verfügung steht. KPD und KIstellten selbstkritisch fest, dass dies inder Breite der Partei nicht gelungenist. Andererseits gab es einen gefes-tigten Kern von Kadern25, die den or-ganisierten illegalen Kampf unter derHerrschaft des Faschismus getragenhaben.

• Der Aufbau eines Militärap-parats, die Vorbereitung auf denbewa�neten Bürgerkrieg und denKampf in der Illegalität. Technischwaren diese Vorbereitungen wohl weitvorangetrieben. Das Problem in die-sem Bereich revolutionärer Politik lag

eher auf der ideologischen und strate-gischen Seite.26

• Der Reorganisation der KPD auf Ba-sis von Betriebs- und ergänzend Stra-ÿenzellen zur Überwindung der sozi-aldemokratischen Tradition von losenGruppen nach Wohngebieten, in de-nen es genügte, das Programm anzu-erkennen und den Mitgliedsbeitrag zuzahlen. Es ging also um die Durchset-zung von Lenin's drittem Kriteriumder Mitgliedschaft, der aktiven Mit-arbeit in einer Grundeinheit der Par-tei. Die russische Erfahrung hatte au-ÿerdem gezeigt, dass diese Organisa-tionsformen deutlich schwieriger auf-zudecken waren.27

• Die Aktivierung der Parteizellenzur eigenständigen Arbeit. Aus dersozialdemokratischen Zeit der Par-tei ist die Tendenz vorhanden ge-blieben, dass die Basis der Parteisich im wesentlichen als ausführendeOrgane der Parteipolitik verstanden,während die Politik in den überge-ordneten Strukturen entwickelt wur-de. Diese Initiativlosigkeit an der Ba-sis sollte überwunden werden; siespiegelte sich auch in den seltenenTre�en der Basis-Zellen (z. B. 1xpro Monat gegenüber dem von derKomintern geforderten wöchentlichenRhythmus)

25Interessanterweise kommt der fortschrittliche Psychoanalytiker Erich Fromm bei seiner Studie �Ger-man Workers 1929 � A Survey, its Methods and Results� auf Basis empirischer Studien zum gleichenErgebnis; zitiert in Bodo Zeuner u.a.; Gewerkschaften und Rechtsextremismus; Dampfboot Verlag;2007; S. 76

26Konkret bedeutet dies, dass die sozialdemokratischen Traditionen in Deutschland und die mechanischeFixierung der Bürgerkriegsspezialisten der KI auf den Aufstand (siehe dazu das illegale LehrbuchA. Neuberg; Der bewa�nete Aufstand; Reprint Europäische Verlagsanstalt; 1971) sich gegenseitigverstärkt haben. Das führte im Ergebnis dazu, dass man der militärischen Konterrevolution einesfaschistischen Massenterrors weder in China 1927 noch in Deutschland 1933 gewachsen gewesen ist.

27Verlag Rote Fahne, Die Bolschewisierung der KPD Teil 1, S. 49

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

• Planmäÿigkeit der Arbeit und dieKontrolle der Ausführung28, d.h.die Entwicklung einer kommunisti-schen Arbeitsweise

• Die Eroberung der Mehrheit derArbeiterklasse durch Liquidie-rung des sozialdemokratischenEin�usses sollte vor allem durch dieScha�ung gewerkschaftlicher Massen-organisationen, nämlich der RGOund die Aufnahme des ökonomischenund politischen Abwehrkampfes derArbeiterklasse durch Streiks gesche-hen. Die RGO hatte folgende Aufga-ben:

� Zusammenfassung der opposi-tionellen Kräfte in den anti-revolutionären Gewerkschaften;Ausgeschlossene Gewerkschafterorganisatorisch au�angen undzur Zusammenarbeit mit denRGO-Genossen innerhalb desADGB führen;

� Den Kampf der vom ADGBnicht (!) organisierten Erwerbs-losen mit dem der arbeitendenKollegInnen verbinden;

� Selbständige Kämpfe gegen denWillen der sozialdemokrati-schen Führer und reformisti-schen Funktionäre erfolgreichdurchführen;

� Mit eigenständigen RGO-Listenbei den BetriebsratswahlenMachtbastionen erobern, um dieBedingungen zur Aufnahme ei-genständiger Kämpfe zu verbes-sern;

Selbst eine gera�te Darstellung der ver-schiedenen Einzelaspekte würde den Rah-

men dieses Textes sprengen. Diese unvoll-ständige Aufzählung vermittelt aber einenEindruck über die Komplexität der Bol-schewisierung.Zugleich wird damit o�ensichtlich, dass

die antikommunistischen Propagandalügeneiner �stalinistischen� Bolschewisierung, dieangeblich nur erfolgt wäre, um die persönli-chen Machtbedürfnisse des �Diktators� Sta-lin zu befriedigen und die die deutsche Par-tei in einen Haufen von Moskauer Söldnerverwandelt hätte, in die dunkle Fantasie-welt von sex and crime und Horrormoviesgehören und nichts, aber auch gar nichtsmit der historischen Realität zu tun haben.

2.4 Bewertung der

Bolschewisierung der

KPD ab 1925

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass dieab 1925 mit der Wahl des Thälmann-ZK'seinsetzende Bolschewisierung der KPD einnotwendiger und wichtiger Schritt in dierichtige Richtung gewesen ist. Um es ein-fach mal auf den Punkt zu bringen: ein Auf-stand, der wie 1923 fehlschlug, war ein un-wiederholbarer Fehler für die KPD.Der Versuch nach dem Scheitern des re-

volutionären Ansturms 1918 bis 1923 in ei-nem weiterhin zutiefst von sozialdemokra-tischen Traditionen geprägten Milieu in derkommunistischen Bewegung eine leninisti-sche Kaderpartei als notwendige Vorausset-zung für den Erfolg der Revolution beimbevorstehenden nächsten Anlauf zu schaf-fen, bildet den gröÿeren strategischen Rah-men für die konkrete Boslchewisierung derKPD in der zweiten Hälfte der WeimarerRepublik.

28Verlag Rote Fahne, Die Bolschewisierung der KPD 1. Teil, S. 53

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2 Die historische Bolschewisierung - Simone Reymers

Die O�ensivstrategie der KPD, die imJuni 1929 beschlossen wurde, und auf diefälschlicherweise die Bolschewisierung oftverkürzt wird, stellt die einzig sinnvollestrategische Option in einer Situation dar,in der für eine Defensivstrategie (Abwehrdes Faschismus durch demokratische Bünd-nisarbeit von oben im Rahmen einer Volks-front) die dafür notwendigen Bündnispart-ner fehlen. Auch taktisch ist die O�en-sivstrategie zunächst durchaus erfolgreichangelaufen, wie z.B. die bis ca. Mitte 1930wachsende Verankerung der RGO in denBetrieben belegt.Zur Rolle der Bolschewisierung für den

Kampf der KPD im Faschismus ist zu sa-gen, dass hier viele Lücken deutlich wer-den. Überreste eines sozialdemokratischenOrganisationsverständnisses kosteten tau-sende GenossInnen gleich nach Machter-greifung der Faschisten das Leben oder dieFreiheit. Vieles spricht dafür, dass groÿeTeile der Parteibasis die Gefahr des Fa-schismus unterschätzten. Das Ausmaÿ ei-

nes solchen bürgerlichen Herrschaftssys-tems, das Volksgemeinschaft und Massen-terror derart �gelungen� im Sinne der Bour-geoisie verband, wurde oft nicht erkannt.Irrtümliche Erwartungen, man könne nacheinigen Monaten der �Illegalität� wie beimKPD-Verbot 1923 wieder zur Normalitätzurückkehren, waren keine Seltenheit.Trotzdem wäre es vollkommen falsch,

höhnisch oder besserwisserisch auf den Wi-derstand der KPD gegen den Faschismuszu blicken. Die KPD wurde zwar entschei-dend geschwächt, aber als einzige politischeKraft im antifaschistischen Widerstand niezerschlagen.29. Ohne letztlich doch noch dieeigene Arbeitsweise zu verändern, wäre dassicherlich undenkbar gewesen.Als These muss deswegen stehen blei-

ben, dass die Bolschewisierung der KPDals kontinuierlicher, dauernder Prozess derAnwendung des Leninismus auf die Ver-hältnisse in Deutschland Anfang der 1930erJahre irgendwo auf halbemWeg stecken ge-blieben ist.

29Zur Kontinuität des kommunistischen Widerstandes siehe T. Derbent, Der Deutsche KommunistischeWiderstand 1933 bis 45, Zambon-Verlag, 2011

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Schlussbemerkungen

Kommunistischer Aufbau

Die Bolschewisierung muss manheute bzgl. verschiedener Aspekte be-trachten:

• als historische Phase in der Ent-wicklung der KPD (und andererParteien der KI)

• als permanente Notwendigkeitder eigenen Stählung, Festi-gung und Vorwärtsentwicklungjeder Kommunistischen Par-tei/Organisation

• als Notwendigkeit der Überwin-dung von sozialdemokratischenTraditionen beispielsweise in ei-nem so zutiefst sozialdemokra-tisch geprägten Milieu wie demin Deutschland

3.1 Die historische

Bolschewisierung

Historisch gesehen fassen wir die �Bol-schewisierung� als den Prozess der Schaf-fung des qualitativ höheren, Neuen (eineKommunistische Partei lenininschen Typs)durch die Überwindung des Alten (einerKommunistischen Partei mit sozialdemo-kratischen Traditionen).

In der Darstellung der Geschichte derKPD in der Weimarer Republik von Simo-ne Reymers ist deutlich geworden, dass dieBolschewisierung nicht völlig abgeschlos-sen wurde und somit das in vielen Teilender kommunistischen Bewegung herrschen-de Bild von der KPD als bedingungslos po-sitivem Bezugspunkt nicht aufrecht erhal-ten werden kann. Der Fraktionismus, diemangelnde Einheit in der Organisation, derletztlich sozialdemokratische Aufbau sindeinige der wichtigsten Schwächen, die vonuns bei der Berufung auf unsere GenossIn-nen dieser Partei beachtet werden müssen.

Selbstverständlich heisst das aber nicht,dass wir uns von der Tradition der Par-tei abgrenzen müssten. Im Gegenteil: DerGrad von organisatorischer Stärke, Veran-kerung in der Arbeiterklasse und politi-scher und ideologischer Stärke der KPD inden 20er und frühen 30er Jahren blieb seit-dem in Deutschland unerreicht. Die Kom-munistInnen der Weimarer Republik blei-ben die heroisch kämpfende Vorhut desProletariats, in deren Tradition wir uns mitStolz stellen.

Als These wollen wir zur Diskussion stel-len, dass die positiven Ergebnisse der Bol-schewisierung im Faschismus und nach dem2. Weltkrieg nach und nach verloren gegan-

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3 Schlussbemerkungen - Kommunistischer Aufbau

gen sind und einer Wiederkehr der altensozialdemokratischen Traditionen Platz ge-macht haben.Dies spielte sich zunächst auf politi-

scher Ebene ab. Die KPD betrieb abden 40er Jahren anstatt einer kommunis-tischen Bündnispolitik teilweise eine poli-tische Unterordnung unter die Sozialdemo-kratie nach dem Prinzip �Einheit um jedenPreis�. Sie war eine der ersten Kommunis-tischen Parteien weltweit, die die Notwen-digkeit der gewaltsamen Revolution 1953kurz nach Stalins Tod aus ihrem Pro-gramm strich und schon zuvor 1947 in derSBZ/DDR die organisatorische Eigenstän-digkeit durch die Vereinigung mit der So-zialdemokratie aufgab. Auch ist es nichtmehr gelungen, die schon von der Komin-tern bei ihrer Gründung erhobene Forde-rung im ausreichenden Maÿe umzusetzen,dass jede Partei einen illegalen Apparatunterhalten müsse, um den Schlägen derKonterrevolution widerstehen zu können.Die Verfolgung der KommunistInnen nachdem KPD-Verbot 1956 zeigen das. Trotz-dem muss man sich davor hüten, mit einerarroganten �Wir wissen und machen heutealles besser!�-Haltung an die kommunisti-sche Geschichte heranzugehen.Trotz aller berechtigten Kritik an der

Arbeitsweise der KPD muss man beach-ten, dass diese Partei seit ihrer Gründungauf einem revolutionären Programm stand.Die Ausrichtung, aus der damals bestehen-den Partei eine leninistische Kampfparteizu formen, war deswegen richtig und es botsich auch keine echte Alternative dazu inDeutschland, da das Problem der sozialde-mokratischen Traditionen überall verbrei-tet war und die Massenbasis der KPD nunmal im entwickelten Klassenkampf stand.Auch wenn unsere Feinde sehr mäch-

tig waren und sind: die niemals zu Endegeführte Bolschewisierung der KPD heisst

letztlich auch, dass die Frage, was not-wendig ist, um diesen Feind zu stürzen inDeutschland bisher nicht folgerichtig be-antwortet wurde. Um dies in der Praxis zutun, wird auch eine neue Generation vonKommunistInnen viele Jahre benötigen. Ei-ne leninistische Partei entsteht nicht amSchreibtisch oder in den Seiten dieses Hef-tes, sondern im Klassenkampf.

3.2 Bolschewisierung als

permanente Aufgabe

jeder

kommunistischen

Organisation

Allgemein betrachtet sehen wir die Bol-schwisierung als eine permanente Aufgabefür jede kommunistische Organisation zujeder Zeit. Nicht als schematische Kopie derhistorischen Bolschewiki in Russland, son-dern als �Tätigkeit, die allgemeinen Grund-sätze des Leninismus auf die gegebene kon-krete Situation in dem einen oder ande-rem Lande anzuwenden.� Jeder Aufbau ei-ner Kommunistischen Partei ist ein stän-dig widerspruchsvoll verlaufender Prozess,in dem GenossInnen oder ganze Struktu-ren schwanken und zurückfallen können.Der Feind hat vielfältige Methoden vongezielt eingesetzten ideologischen Rauch-bomben über Integrationsversuche bis hinzu chirurgischen oder �ächendeckenden Re-pressionsschlägen entwickelt, um dieses Zu-rückfallen unserer Organisationen hervor-zurufen. Der Kampf zwischen Kapitalisten-klasse und Proletariat ist natürlich nichtnur auf ideologischem Niveau permanent.Von den inneren Widersprüchen der

kommunistischen Organisation und ihremständigen Kampf mit dem Feind abgesehen

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3 Schlussbemerkungen - Kommunistischer Aufbau

müssen wir die Entwicklung des Klassen-kampfes und der imperialistischen Wider-sprüche als weitere Faktoren hinzuziehen,die eine ständige Revolutionierung unsererTheorie, politischen Linie, unserer Struktu-ren und nicht zuletzt unserer GenossInnenselbst erforderlich macht. Die Entwicklungist permanent, das lehrt die Dialektik. Werstehen bleibt, wird geschlagen, wird seinenAufgaben nicht gerecht. Die Nichtverände-rung ist keine Option für uns Kommunis-tInnen.In diesem Sinne soll deswegen die �Bol-

schewisierung� der Partei als andauern-de, nicht einmalig zu lösende Aufgabe, alswichtige allgemeine Säule des Parteiauf-baus behandelt werden.

3.3 Bolschewisierung

heute

Heute für die konkrete Situation inDeutschland geht es vor allem darum, et-was Neues auf der von vornherein �rich-tigen�, �bolschewistischen� Grundlage zuscha�en � das von Beginn an versucht, mitsozialdemokratischen Traditionen zu bre-chen. Diesen Weg müssen wir jedoch alsMenschen gehen, die in einer ideologischfeindlichen Umgebung politisiert wordensind und permanent durch bürgerliche Ein-�üsse zurückgezogen werden. Wir müssenuns also aus dem Sumpf an den eigenenHaaren herausziehen und in diesem Sinneständig bolschewisieren.Die aktuelle Situation unterscheidet sich

in vielerlei Hinsicht von der historischenBolschewisierung.O�ensichtlich be�nden wir uns nicht in

einer Situation wie der, in der die Bolsche-wiki unter Führung von Lenin in den Jah-ren 1902 bis 1905 gewesen sind. Sie konn-

ten und mussten unter den Bedingungentiefster Illegalität eine Partei neuen Typsin einer Arbeiterklasse und einem Land wiedem zaristischen Russland sozusagen vonNull aufbauen. Sie mussten sich nicht mitgewachsenen und fest in der ArbeiterInnen-klasse und der kommunistischen Bewegungverwurzelten sozialdemokratischen Tradi-tionen und Organisationen herumschlagen.

Straÿenschlacht beiAnti-G8-Demonstration 2007 in Rostock

Wir be�nden uns aber auch nicht in derSituation der historischen KPD in der Wei-marer Republik, die zwar mit tiefen sozi-aldemokratischen Merkmalen behaftet warund ideologisch zunächst nicht vereinheit-licht war, jedoch aus der Tradition derNovemberrevolution geboren war und de-ren Mitgliedschaft praktisch alle deutschenKommunistInnen umfasste. In dieser Situa-tion war tatsächlich die Hebung des po-litischen organisatorischen Niveaus dieserOrganisation die einzig sinnvolle Option.Nach der Vereinigung mit der Mehrheit derUSPD liess sich die Aufgabe der Bolschewi-sierung also als die Umwandlung einer sozi-aldemokratisch geprägten Massenpartei zueiner leninistischen Partei neuen Typs for-mulieren.

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3 Schlussbemerkungen - Kommunistischer Aufbau

Heute jedoch sind die Potentiale für denParteiaufbau in Deutschland unserer An-nahme nach zersplittert und werden sichzum Teil noch in kommenden Massenkämp-fen entwickeln. Sich dabei nur auf die Teil-Potentiale in den kommunistischen oder re-visionistischen Organisationen zu konzen-trieren, schlieÿt den Fehler ein, sich dieMöglichkeiten zu nehmen, im umfassen-den Sinne auf alle anderen Potentiale inanderen Organisationen oder in den Mas-se mit einer korrekten Linie einzuwirken.Dementsprechend muss unser Ziel vielmehrder Aufbau einer �bolschewistischen� Parteisein, als die Konzentration auf die �Bolsche-wisierung� der bestehenden Strukturen.Bedeutet das, dass von einer �Bolschewi-

sierung im 21. Jahrhundert� zu sprechen ei-ne falsche und schematische Übertragungder Ausrichtungen der Komintern aus den20er Jahren wäre? Wir haben herausgear-beitet und stellen hier zur Diskussion, dassdie Scha�ung und Entwicklung einer leni-nistischen Organisation in einem sozialde-mokratischen Milieu, wie dem, das wir heu-te in Deutschland vor�nden, ein Verände-rungsprozess ist, der weit über das bloÿeDenunzieren des sozialdemokratischen Ver-rats auf politischer Ebene und dem �Abwer-ben� von ehrlichen Kräften aus opportu-nistischen Organisationen hinausgeht. Wirmüssen vielmehr anerkennen, dass wir al-le von den oben genannten sozialdemokra-tischen Traditionen und einigen mehr ge-prägt sind, wie es auch nicht anders seinkann und entsprechend an der ständigenStärkung unserer eigenen Strukturen arbei-ten.Einige Elemente, die uns besonders wich-

tig erscheinen sind:a) Pazi�smus: Die bewusste oder un-

bewusste, theoretische oder nur prakti-sche Ablehnung der revolutionären Gewalt,was teilweise in Form von Etappentheo-

rien (�wir be�nden uns in einer nicht-revolutionären Phase�, �die Arbeiter wer-den sich schon selbst bewa�nen�) bemän-telt wird.b) Legalismus: Der Legalismus ergibt

sich logisch aus diesem Pazi�smus; wernicht ernsthaft an die Revolution inDeutschland denkt, der muss sich auch vordem Feind nicht in Acht nehmen. Der Le-galismus wurzelt entweder darin, dass mansich selbst nicht ernst nimmt oder den deut-schen Imperialismus unterschätzt; manch-mal auch in einer Kombination beider Er-scheinungen.c) Liberalismus: Der Liberalismus ist

ebenfalls weit verbreitet und äuÿert sichinsbesondere im vielfach zu beobachten-den Zurückschrecken vor o�enen politi-schen Auseinandersetzungen oder o�enerKritik und Selbstkritik. Der Liberalismusist ein lähmendes Gift, das die Entwicklungder kommunistischen Bewegung sehr starkhemmt.d) Spontaneismus: Leider müssen wir

feststellen, dass viele KommunistInnenwertvolle Kritiken an ihren eigenen Orga-nisationen und am Status quo der kom-munistischen Bewegung in Deutschland zuleisten haben, aber selbst vor den erstenund einfachsten Schritten in die Richtung,selbst eine führende Rolle bei der Verän-derung dieser Situation zu spielen, zurück-schrecken. Stattdessen bleibt oft das Ver-weilen im eigenen wohlbekannten Arbeits-feld vorherrschend.

3.4 Einige

organisatorische

Schlussfolgerungen

Wie oben geschildert war ein Hauptzielder Bolschewisierung die Überwindung des

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3 Schlussbemerkungen - Kommunistischer Aufbau

lähmenden Fraktionswesens auf Basis ei-ner einheitlichen Parteilinie. Ohne Zwei-fel ist auch die kommunistische Bewegungin Deutschland von dieser Erscheinung ge-prägt; teilweise so sehr, dass man bei eini-gen Organisationen in Frage stellen kann,ob sie nicht mittlerweile mehr einer lose zu-sammengehaltenen Strömung als einer Or-ganisation entsprechen. Andererseits müs-sen wir berücksichtigen, dass die ideologi-sche Schwäche der fortschrittlichen Bewe-gung gröÿer ist als in der Weimarer Repu-blik und dass kurzfristig nicht in Sicht ist,dass die Mehrheit dieser Bewegung zentra-le und prinzipielle Fragen wie die Frage dergewaltsamen Revolution, der Diktatur desProletariats, der leninistischen Organisati-onsprinzipien und des Revisionismus klärtund sich dann in einer Organisation verei-nigt.Für die Organisationen der Revolutio-

näre bleibt aber natürlich das Herausbildeneines einheitlichen Willens und das gemein-same Handeln eine unumgängliche Notwen-digkeit. Dies muss sich auch in ihren Or-ganisationsformen widerspiegeln. Vorherr-schend ist heute oft die Herangehensweise,die politische Arbeit als Hobby für die Fei-erabende zu betrachten, bei der jeder vorallem dort arbeitet, wo er selbst am meisteninteressiert ist. Häu�g resultiert das darin,dass ein Hauptteil der Arbeit in sogenann-te �AGs� verlagert wird. Als Mittel der Ar-beitsteilung ist das natürlich zulässig. Diekommunistischen Zellen müssen aber vielweiter gehen. Sie müssen die Arbeit ver-schiedener Arbeitsbereiche zusammenfüh-ren. Sie müssen ein kollektives Bild überdie Gesamtlage in ihrem Verantwortungs-bereich (bspw. einer Stadt, einem Viertel,einem Betrieb) erarbeiten.Dass GenossInnen einfach ihre persönli-

chen Bedürfnisse zur Leitlinie der Politik,die sie machen, erklären, kann nicht das

Prinzip einer Kommunistischen Partei sein.Hier gilt es vor allem nach politischen Not-wendigkeiten vorzugehen, wobei dies natür-lich mit Fähigkeiten und auch besondererMotivation von GenossInnen für bestimm-te Bereiche in Einklang zu bringen ist. Inder Arbeit mit den Massen und Sympathi-santInnen mit dem Kommunismus müssenwir aber auch andere Herangehensweisenentwickeln. Hier besteht gerade die Kunstdarin, auch jenen, die zwar mit dem Kom-munismus sympathisieren, jedoch aus ver-schiedensten Gründen eine begrenze Ein-satzbereitschaft/Fähigkeit aufzeigen, eineder Bewegung nützliche Arbeit zu verschaf-fen.Ein Symptom, an dem sich der Libera-

lismus in der Kontrolle und Anleitung, andem die historische KPD krankte, zeigte,waren die Beziehungen der Parteiorganisa-tionen zu den kommunistischen Fraktionenin der Gewerkschaft. Die Tatsache, dass eszeitweilig in der Weimarer Republik mög-lich war, dass ein Kommunist in der Par-tei als Parteimitglied handelte, in der Ge-werkschaft aber nach eigenem Gutdünkenhandeln konnte, steht exemplarisch für das,was Liberalismus im Kern ausmacht: Keinumfassendes Leitungsverständnis und Be-grenzung der Verp�ichtung gegenüber derPartei auf eingegrenzte Bereiche.Es ist allgemein bekannt, dass heute eine

beträchtliche Anzahl früherer GenossInnender sogenannten �K-Gruppen� ein warmesPlätzchen im Gewerkschaftsapparat (oderanderswo im bürgerlichen Staat) gefundenhaben. Einerseits ist das ein stets warnen-der Beweis für die massiven Möglichkei-ten, KommunistInnen zu integrieren, dieder Klassenfeind in Deutschland aufweist.Jedoch liegt auch die Vermutung nahe, dasses eine gewisse Schwäche der kommunisti-schen Zellen bei der Kontrolle ihrer Genos-sInnen, die in Betrieb und Gewerkschaften

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3 Schlussbemerkungen - Kommunistischer Aufbau

Posten �erobert� hatten, war, die diese Ent-wicklung ermöglicht hat.

Interessanterweise kritisierte die Komin-tern nicht nur die Struktur der einzel-nen Parteizellen, sondern auch die Gesamt-struktur der Kommunistischen Parteien.Insbesondere der Parteiapparat wurde ei-nerseits oft als zu schwach, andererseits alsaufgeblasen und bürokratisch bezeichnet.Die Kritiken für den schwachen Parteiap-parat bezogen sich meist auf infrastruk-turell und personell schlecht ausgestatteteGrundzellen und Zellenleitungen; die Kritikdes Bürokratismus auf groÿe Zentralstellen(ein weiteres sozialdemokratisches Über-bleibsel). Für uns mag das in der heutigenSituation, wo es an allen Ecken und Endenan fähigen kommunistischen Kadern man-gelt - gar nicht zu reden von solchen, diesich zu professionellen Revolutionären ent-wickeln - nach einem Luxusproblem klin-gen. In der Tat wird aber auch für uns eineHerausforderung darin bestehen, nicht allefähigen Kader in die Zentrale oder schlim-mer noch in X verschiedene Gremien zu be-ordern, sondern auch den lokalen Struktu-ren eine genügende Stärke zu überlassen,um selbstständig handeln zu können, wiees in einer leninistischen Partei die unbe-dingte P�icht jeder Zelle der Parteibasisist. Andererseits darf dies nicht bis ins Ab-surde theoretisiert werden, denn selbstver-ständlich können manche Funktionen (Lei-tungsaufgaben, Schulungsarbeit, deutsch-landweite Agitation und Propaganda) nur

sinnvoll auf einer zentralisierten Ebene er-stellt werden.

3.5 Nutzen wir die

Erfahrungen der

Bolschewisierung für

den Aufbau der

Kommunistischen

Partei!

Vor uns steht die Aufgabe, die Erfahrungender gefallenen und verstorbenen GenossIn-nen aufzunehmen, auszuwerten und darauszu lernen.Die deutsche kommunistische Geschich-

te ist reicher an für uns wichtigen Lehren,als die eine oder andere annehmen mö-gen. Um wirklich einer neuen Generationvon KommunistInnen bei ihren heutigenAufgaben von Nutzen zu sein, muss diekommunistische Geschichtsschreibung so-wohl von bürgerlich-antikommunistischer�Extremismus�-Theorie wie von pseudo-kommunistischer einseitiger Verklärungund Heroisierung befreit werden.Wir ho�en, dass unsere Gedanken zur

Bolschewisierung der KPD als Motivati-on und Anregung zum selbstständigen Er-forschen der kommunistischen GeschichteDeutschlands gedient hat und freuen unsauf die Diskussion mit allen interessiertenGenossInnen.

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