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DIE DARSTELLUNG DES LEBENSBAUMES AUF DEN PORTALEN DER SIEBENBÜRGISCH-SÄCHSISCHEN KIRCHEN IN SALZBURG/OCNA SIBIULUI, BURGBERG/VURPĂR UND DRAAS/DRĂUŞENI (KREIS HERMANNSTADT/SIBIU) CONSTANTIN SEBASTIAN CORNEANU ∗∗ Arborele vieţii în portalurile bisericilor evanghelice C. A. din Ocna Sibiului, Vurpăr, Drăuşeni (judeţul Sibiu) Evoluţia temei arborelui vieţii în monumentele săseşti din Transilvania pune în evidenţă caracterul de import al sculpturii romanice prezente la bisericile construite de colonişti. Dincolo de toate aceste preluări culturale este scoasă în relief şi capacitatea de asimilare şi interpretare a modelelor, care dovedeşte că temele locale dobândesc un caracter complex prin contopirea lor. Interesant este faptul că cercetările pleacă de la premisa că temele din ambianţa germanică, descrise mai sus, sunt reprezentări ale luptei virtuţilor cu viciile. În opinia noastră acestea sunt însă alegorii ale vieţii din grădina raiului, care îşi găsesc o expresie mult mai concretă în reliefurile de la Ocna Sibiului şi Vurpăr. The Tree of Life in the portals of Transylvanian Saxon churches from Ocna Sibiului, Vurpăr, Drăuşeni (Sibiu County) Among complex scenes, which appear on the portals of Romanesque churches built by German Saxons in Transylvania, several sculptures are focused on the theme of tree of life. Versions that occur in this geographical area have several features, developed from formal models coming from the original places of the Saxon colonists, integrated in monuments built in their new settlement. In terms of iconography, the image of the tree of life was one of the best ways to highlight the valorization of Vorliegender Beitrag ist das Ergebnis einer Untersuchung, die im Rahmen des „Operationellen Strukturprogramms für Humankapitalentwicklung“ durchgeführt wurde (POSDRU 7706), „Die wachsende Rolle der Promotionsstudien und der Wettbewerbsfähigkeit der Doktoranden in einem vereinten Europa“, mitfinanziert durch den Europäischen Sozialfond über das Operationelle Strukturprogramm für Humankapitalentwicklung 2007–2013. ∗∗ Dr. Sebastian Corneanu ist als Assistent an der Geschichtsfakultät der „Lucian Blaga“- Universität, Hermannstadt/Sibiu tätig. E-Mail: [email protected].

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DIE DARSTELLUNG DES LEBENSBAUMES AUF DEN PORTALEN DER SIEBENBÜRGISCH-SÄCHSISCHEN KIRCHEN IN SALZBURG/OCNA

SIBIULUI, BURGBERG/VURPĂR UND DRAAS/DRĂUŞENI (KREIS HERMANNSTADT/SIBIU)∗

CONSTANTIN SEBASTIAN CORNEANU∗∗

Arborele vieţii în portalurile bisericilor evanghelice C. A. din Ocna Sibiului, Vurpăr, Drăuşeni (judeţul Sibiu)

Evoluţia temei arborelui vieţii în monumentele săseşti din Transilvania pune în evidenţă caracterul de import al sculpturii romanice prezente la bisericile construite de colonişti. Dincolo de toate aceste preluări culturale este scoasă în relief şi capacitatea de asimilare şi interpretare a modelelor, care dovedeşte că temele locale dobândesc un caracter complex prin contopirea lor. Interesant este faptul că cercetările pleacă de la premisa că temele din ambianţa germanică, descrise mai sus, sunt reprezentări ale luptei virtuţilor cu viciile. În opinia noastră acestea sunt însă alegorii ale vieţii din grădina raiului, care îşi găsesc o expresie mult mai concretă în reliefurile de la Ocna Sibiului şi Vurpăr.

The Tree of Life in the portals of Transylvanian Saxon churches from Ocna Sibiului, Vurpăr, Drăuşeni (Sibiu County)

Among complex scenes, which appear on the portals of Romanesque churches built by German Saxons in Transylvania, several sculptures are focused on the theme of tree of life. Versions that occur in this geographical area have several features, developed from formal models coming from the original places of the Saxon colonists, integrated in monuments built in their new settlement. In terms of iconography, the image of the tree of life was one of the best ways to highlight the valorization of

∗ Vorliegender Beitrag ist das Ergebnis einer Untersuchung, die im Rahmen des „Operationellen

Strukturprogramms für Humankapitalentwicklung“ durchgeführt wurde (POSDRU 7706), „Die wachsende Rolle der Promotionsstudien und der Wettbewerbsfähigkeit der Doktoranden in einem vereinten Europa“, mitfinanziert durch den Europäischen Sozialfond über das Operationelle Strukturprogramm für Humankapitalentwicklung 2007–2013.

∗∗ Dr. Sebastian Corneanu ist als Assistent an der Geschichtsfakultät der „Lucian Blaga“-Universität, Hermannstadt/Sibiu tätig. E-Mail: [email protected].

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zoomorphic elements in new versions presented at churches from Ocna Sibiului, Vurpăr and Drăuşeni.

Keywords: Church, Saxons, iconography, romanesque, portal, sculpture, tree of life, Vurpăr, Ocna Sibiului, Drăuşeni, Transylvania, Sibiu County.

Von den im Raum Siebenbürgens vielfältig ausgestalteten Bildthemen, die eine formale oder thematische Entwicklung erfahren haben, heben sich einige Darstellungen ab, die mit dem Motiv des Lebensbaumes zusammen hängen. Die in Siebenbürgen in Erscheinung tretenden Varianten weisen Eigenheiten auf, die sich aus der Entwicklung des Bildthemas ableiten lassen, wobei die formalen, thematisch den Baudenkmälern angepassten Vorlagen aus den Herkunftsgebieten der Erbauer dieser Baudenkmäler, der Siebenbürger Sachsen, stammen. Vom ikonographischen Standpunkt her ist die Darstellung des Lebensbaumes unserer Meinung nach, das bestgeeignete Beispiel, um auf den besonderen Stellenwert der zoomorphen Ikonographie hinzuweisen, der sich bereits in der herausgehobenen Positionierung der Lebensbaumdarstellungen in den Tympanoi der Kirchenportale in Salzburg, Burgberg und Draas zeigt.

Der Lebensbaum als Darstellung hat eine sehr lange Geschichte, die sich in jeder der bedeutenden Religion wiederfindet, wobei der Ursprung dieses Themas auf die Darstellung des Heiligen Baumes in Mesopotamien1 zurück geht; parallele Entwicklungen, die mit dem Merkmal des Baums als axis mundi zusammenhängen, führten dazu, dass er in den meisten Mythologien anzutreffen ist. Im christlichen Gedankengut ist der Lebensbaum bereits im ersten Buch Mose (Genesis) erwähnt: „Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“2. Dabei wird auch darauf verwiesen, dass dieser Baum bewacht ist: „Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammendem, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens“3.

Die Rolle und Aufgabe des Lebensbaumes ist aus der Offenbarung des heiligen Johannes ersichtlich: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist“4; zudem heißt es, dass dieser Baum als Belohnung galt, mehr noch, dass seine Früchte und Blätter Genesung brachten:

1 Virgil Vătăşianu, Istoria artei feudale în Ţările Române (Bucureşti, 1959), S. 152 (fortan: Virgil Vătăşianu, Istoria).

2 Genesis 2:9; Maurice Cocagnac, Simbolurile biblice (lexic teologic) (Bucureşti, 1997), S. 122 (fortan: Maurice Cocagnac, Simbolurile).

3 Genesis 3:24; Maurice Cocagnac, Simbolurile, S. 123. 4 Die Offenbarung des Johannes 2:7.

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„Mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker“5, oder sogar das ewige Leben: „Und Gott der Herr sprach: Siehe der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!“6.

Zieht man die biblischen Bezüge in Betracht, ist der Ort, an dem sich der Lebensbaum befindet, der Garten des Paradieses (Burg – wie es in der Apokalypse heißt); der Baum wird von den Cherubinen bewacht, und der Zugang zu ihm ist nur den Guten erlaubt, den Bösen ist es nicht gestattet, ihn zu berühren; die Früchte und Blätter des Baumes bringen Genesung und Unsterblichkeit. Das oben Genannte bildet eigentlich die Grundlage jeder christlich-religiösen Darstellung zum Thema des Lebensbaumes. Bedeutend für die Neugestaltung dieses Themas ist jedoch der im 2. Jh. n. Chr. verfasste „Physiologus“, der im Verlauf des 11. bis 13. Jahrhunderts mehrfach interpretiert wurde und die zoomorphe Ikonographie zweifelsohne beeinflusst hat.

Zu den ersten mittelalterlichen Darstellungen dieses Bildthemas gehört eine Reihe kleiner Figuren, die im oberen Register des in den Jahren von 1170 bis 1180 gefertigten Teppichs von Bayeux7 wiedergegeben ist und dessen zentrales Thema die Eroberung Englands durch die Normannen ist. Die Darstellungen im unteren Bereich der Tapisserie besitzen trotz ihrer betont dekorativen Merkmale auch einen thematischen Schwerpunkt, wobei die Symbolik der Figuren im Mittelpunkt steht. Auf einem der ornamentierten Tuchstreifen ist eine symmetrisch angeordnete Szene zu sehen, in der zwei Vögel an je einem Zweig picken (Abb. 1). Diese Art der Darstellung ist eine vereinfachte Wiedergabe des Lebensbaum-Themas, das hier sowohl dekorativ als auch symbolisch8 zur Geltung kommt: die Zweiglein sind einfache, den Blättern und Früchten des Baumes nachempfundene Formen, während die Vögel als symbolische Darstellung der Gläubigen gedeutet werden können.

Eine chronologische Untersuchung zu diesem Thema für den Raum Siebenbürgens ergibt, dass die erste einschlägige Reliefdarstellung im Tympanon des Kirchenportals in Salzburg/Ocna Sibiului zu finden ist, die in die dem Mongolensturm von 1214 vorausgehende Zeit datiert wurde9. Die auf dem Salzburger Kirchenportal zeigt einen Lebensbaum, der symmetrisch gegliedert ist:

5 Die Offenbarung des Johannes 22:2. 6 Genesis 3:22; Maurice Cocagnac, Simbolurile, S. 122-123 7 Rud Mogens, The Bayeux Tapestry and the Battle of Hastings 1066 (Copenhagen, 1992), S.

14 (fortan: The Bayeux). 8 Rud Mogens, The Bayeux, S. 23-24. 9 Tibor Gerevich, Magyarország Románkori Emlékei (Budapest, 1938), S. 157 (fortan: Tibor

Gerevich, Magyarország); Virgil Vătăşianu, Istoria, S. 152.

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je ein Zweig rankt sich bis unmittelbar unter den Portalbogen, das Zweig-Ende bildet eine Lilienblüte, unter jedem der beiden Ranken befindet sich ein Löwe, dessen Vordertatze den Baumstamm berührt (Abb. 2). Dass es sich hier um zwei Löwen handelt – obwohl die Kopfform der Tiere eher an die eines Schafes erinnert –, ist an der Mähne zu erkennen bzw. den in übermäßig großen Krallen endenden Tatzen. Für dieses Thema spezifisch ist die nahezu symmetrische Wiedergabe der Raubkatzen, wobei es zwei Interpretationsmöglichkeiten gibt. Die erste Deutung wäre jene, dass die Tiere Hüter des Lebensbaumes sind, der im Garten des Paradieses ein Pendant zum Baum der Erkenntnis ist und von (mit Feuerschwertern) bewaffneten Cherubinen bewacht wird10. Unserer Meinung nach trifft hier jedoch eher die zweite Interpretationsmöglichkeit zu, laut der der Lebensbaum zum Sinnbild der Erlösung wird, die Früchte des Lebensbaumes das ewige Leben spenden, um Letzteren auf diese Weise in eine Quelle des Lebens und einen Beschützer aller Lebewesen zu verwandeln. Die Darstellung auf dem Salzburger Kirchenportal lässt sicherlich beide Interpretationsvarianten zu, wobei das Hauptaugenmerk allerdings auf die Hüterrolle der Tiere fällt – Letzteres ist aus der erhobenen Haltung ihrer Schwänze ersichtlich, ein Detail, das in der Ikonographie verwendet wird, um auf die noble Herkunft des Löwen als dem König der Tiere hinzuweisen11. Stilistisch gesehen ist das Salzburger Lebensbaum-Beispiel ein Flachrelief, bei dem sich die Figuren entlang ihres Konturs vom Hintergrund abheben; die Details, die der Hervorhebung einiger Eigenheiten der abgebildeten Figuren dienen, sind mittels Einkerbungen angedeutet. Diese Ausführungstechnik ist nicht, wie man meinen könnte, für die Provinz spezifisch, sondern die ortsgebundene Interpretation eines betont archaischen, im deutschsprachigen Raum anzutreffenden Stils, der sich durch flache Formen und mittels Einkerbungen angedeuteter Details hervorhebt.

Als mögliche Inspirationsquelle kommt eine Reihe ähnlicher Reliefs aus dem Raum Sachsens in Deutschland in Frage. Eine ähnliche Körperhaltung der Tiere ist beispielsweise auf dem um die Mitte des 12. Jahrhunderts12 errichteten Südportal der Kirche in Wechselburg/Deutschland (Abb. 3) anzutreffen, in einer Zeitspanne, als dieses Thema besonders verbreitet war. Dieser Stand der Dinge lässt uns darauf schließen, dass die Ornamentik auf dem Kirchenportal in Salzburg/Ocna Sibiului und auch jene in Burgberg/Vurpăr wohl gegen Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden ist13. Auf die Szene im Tympanon von Wechselburg zurückkommend, sei auf die Meinung der Fachleute verwiesen,

10 Genesis 2:9, bzw. Genesis 3:24. 11 Suzanne Braun, Sculpture romane en Alsace, Strasbourg, 2002, S. 95 (fortan: Suzanne

Braun, Sculpture). 12 Suzanne Braun, Sculpture, S. 94-95. 13 Veronika Kaposy, „Életfa ábrázolas egy románkory timpanonon“, in Művészettörténeti

értesítő V (Budapest, 1956), S. 122 (fortan: Veronika Kaposy, Életfa).

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es handele sich um eine Darstellung des Kampfes der Tugenden gegen die Laster. Eine aufmerksame Untersuchung der abgebildeten Figuren lässt allerdings auch eine andere Interpretation zu, nämlich jene, dass im besagten Relief das Paradies dargestellt ist als ein Raum, in dem sämtliche Lebewesen zusammen leben. Dieses ist auch aus der Haltung der Tiere ersichtlich: der vor dem Drachen stehende Löwe berührt diesen mit seiner Vorderpfote; der Drache ist mit herausgestreckter Zunge so wiedergegeben, als wolle er den Löwen ablecken. Die Details sprechen für eine solche Interpretation. Die vereinten Vordergliedmaßen der Wesen heben die Vogelkralle des Drachens hervor, die die Löwentatze packt; der dem Betrachter zugewendete Löwenkopf besitzt nahezu menschliche Züge, während die Kopfform des Drachens jener eines Hundes gleicht, mit herausgestreckter Zunge, so als ob er dem Löwen das Gesicht ablecken wollte; der Drache ist in entspannter Haltung dargestellt, was zumindest aus der Position seines in einer Lilienblüte endenden Schwanzes ersichtlich ist, den er genau in der Ecke des Türbogenfeldes aufstützt.

Es handelt sich hier nicht um eine Darstellung der Art: Kampf der Tugenden gegen das Laster, sondern eher um die Verheißung des Paradieses – ein weiteres Detail lässt uns Letzteres vermuten: der Löwe tritt nicht in seiner als König der Tiere spezifischen Haltung (mit erhobenem Schwanz) in Erscheinung, sondern mit zwischen den Beinen eingezogenem Schwanz, der sich neben der Kruppe emporhebt. Folglich handelt es sich hier wohl um eine unter dem Einfluss des Physiologus entstandene Deutung, laut der der Löwe bei drohender Gefahr seinen Schwanz zum Verwischen der Spuren einsetzt (was die Bildhauer dazu bewogen haben mag, die Raubkatze in einer solchen Haltung wiederzugeben)14. Ein Vergleich der beiden Reliefs zeigt unserer Meinung nach, dass wir es im Falle des Salzburger Reliefs mit einer freieren Behandlung des Themas zu tun haben – beide Wesen befinden sich im Paradies, wo sie den Lebensbaum behüten.

Dass das Bildthema des Lebensbaumes im germanischen Raum, von wo es durch die deutschen Siedler oder die wandernden Steinmetzen nach Siebenbürgen gelangte, weit verbreitet war, kann anhand eines weiteren, diesmal aus der Region Bayern stammenden Reliefs belegt werden. Auf dem im ausgehenden 12. Jh. errichteten Südportal der Pfarrkirche „St. Peter“ in Straubing ist eine ähnliche Szene abgebildet15. Der Löwe besitzt in diesem Fall menschliche Züge, sein Gegenüber ist ein Drache; die Tatzen der beiden Wesen sind miteinander vereint, und der Drache ist, ähnlich wie in der oben untersuchten Szene, mit herausgestreckter Zunge abgebildet, die den Kopf des Löwen ableckt (Abb. 4).

14 Suzanne Braun, Sculpture, S. 95. 15 Markus Weiss, L’église paroissiale Saint Pierre, in Bavière romane (Zodiaque, 1995), S. 199

(fortan: Markus Weiss, L’église).

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In diesem Fall trifft die Auslegung der Darstellung als „Kampf der Tugenden mit dem Laster“16 nicht zu – auch dieses Mal handelt es sich um das Leben im Paradies, in dem sich alle Tiere in Gemeinschaft mit den erlösten Menschen freuen werden – eine mögliche Interpretation der Vergeltung des Herrn aus dem Buch Jesaja17.

Ein ähnliches Relief wie das oben genannte aus dem Raum Bayerns ist in Siebenbürgen in der Ortschaft Burgberg/Vurpăr (Kreis Hermannstadt/Sibiu) anzutreffen, wo das Bildmotiv des Lebensbaumes auf dem Nordportal der evangelischen Kirche in Erscheinung tritt; dieser Lebensbaum wird von zwei Tieren flankiert, das Bild ist mittels Einkerbungen als Flachrelief ausgeführt18. Auch diese beiden Tiere stehen sich gegenüber, zur Rechten des Lebensbaumes ist ein Löwe mit menschlichen Zügen zu sehen, dessen zwischen den Beinen eingezogener Schwanz (den oben erwähnten Darstellungsnormen entsprechend) um den Bauch gewickelt ist. Das Tier zur Linken des Lebensbaumes ist ein Hybride mit antropomorphem Kopf, dem Oberkörper eines Löwen und dem Unterleib eines Fisches, mit Vorder-, Hinterflossen und Schwanz (Abb. 5). Die Berührung der Vorderpfoten der beiden Wesen ist hier beibehalten, doch ähnlich wie bei der Darstellung in Salzburg berühren die Pfoten der Tiere den Lebensbaum, was den Anschein gibt, dass Letzterer der Stärkung der Verbindung zwischen beiden Figuren dient. Der auf dem Burgberger Kirchenportal abgebildete Baum hat nicht so weitläufige Äste wie jener in Salzburg, bei dem die Tiere nahezu zur Gänze Unterschlupf finden; die Äste des Lebensbaumes in Burgberg besitzen eher die Form einer Lilienblüte. Ähnlich wie im Falle des Salzburger Portals ist auch hier die Wechselbeziehung zwischen den beiden Lebewesen und dem Baum offenkundig: Letzterer wird von den Tieren behütet, die ihrerseits mittels des Baumes zum ewigen Leben finden. Die Ähnlichkeiten mit dem Straubinger Relief, die vor allem in Bezug auf die Körpermerkmale der Tiere offenkundig sind, haben uns bewogen, diese Szene in zeitlicher Abfolge zu jener aus Salzburg zu betrachten, wo dieses Thema erstmalig im siebenbürgisch-sächsischen Umfeld aufgetreten ist; das Burgberger Relief wurde in die ersten beiden Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts datiert19.

Unserer Meinung nach sind beide zur Untersuchung stehenden Reliefs nach Mustern gefertigt worden, die unmittelbar aus dem Herkunftsgebiet der deutschen

16 Markus Weiss, L’église, S. 199. 17 „Wolf und Schaf sollen beeinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber

die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr“ (Jesaja 65:25).

18 Virgil Vătăşianu, Istoria, S. 152; Veronika Kaposy, Életfa, S. 124. 19 Tibor Gerevich, Magyarország, S. 157-158; Virgil Vătăşianu, Istoria, S. 152; Victor Roth,

Geschichte der Deutschen Baukunst in Siebenbürgen (Strassburg, 1905), S. 5 (fortan: Victor Roth, Geschichte).

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Siedler stammen oder durch wandernde Handwerker nach Siebenbürgen gelangt sind; die Abwandlungen des behandelten Themas sind wohl auf das neue Umfeld zurückzuführen, in dem der Pfarrer bei der Gestaltung und Deutung der bekannten Muster ein Mitspracherecht besaß. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde der Lebensbaum im Abendland ohne Hüter dargestellt, und dort, wo Tiere und Vögel dargestellt sind, ernähren sich diese von den Früchten oder Blättern des Baumes. An beiden siebenbürgischen Portalen verschmilzt die Szene des Lebens im Paradies mit der Darstellung des Lebensbaumes, wobei ein neues Thema entsteht, bei dem das Hauptaugenmerk auf die Ambivalenz der Tiere fällt – sie sind Hüter, zugleich aber auch Verwerter der Früchte und Blätter des Lebensbaumes.

Der Lebensbaum in seiner einfachen Erscheinungsform, ohne Hüter, ist des Öfteren als Gegensatz zum Baum der Erkenntnis dargestellt; die häufigsten Beispiele dieser Art gibt es im Elsass, wo dieses Thema u.a. in dem Tympanon des Südportals der Kirche in Bourgheim (Abb. 6, vom Anfang des 11. Jahrhunderts) in Erscheinung tritt20. Von Interesse erscheint uns in diesem Fall die Tatsache, dass die beiden symmetrisch abgebildeten Bäume eigentlich identisch sind, wobei das Türbogenfeld in zwei Kreisviertel geteilt ist. Aufgrund der äußerst vereinfachten Ausführung der Bäume, die eher einem vegetabilischen Ornament gleichen, ist dieses ein Beispiel der Wiedergabe des Paradieses.

Eine unterschiedliche Ausgestaltung der beiden Bäume ist ebenfalls im Elsass, in der Ortschaft Rouffach, anzutreffen, wo über dem Hauptportal der Mariä-Himmelfahrt-Kirche zwei gesonderte, dreieckige Reliefs geringer Dimension zu sehen sind: das Dreieck zur Rechten ziert der Lebensbaum und jenes zur Linken der Baum des Todes, der auch als Baum der Erkenntnis figuriert – beides Steinmetz-Arbeiten vom Anfang des 12. Jahrhunderts21. So lässt sich eine Entwicklung in der Darstellungsart feststellen, bei der die beiden mit dem Paradies in Verbindung stehenden Bäume gesondert in Erscheinung treten, indem sie unterschiedliche Bedeutungen erhalten.

Der Lebensbaum auf dem Hauptportal der Kirche in Rouffach besitzt ein reiches Laubwerk, seine Äste enden in stilisierten Blumen, in dem Baum sitzen, symmetrisch angeordnet, zwei Vögel, die am Baumstamm picken (Abb. 7). Das ikonographische Motiv der auf einem Baum sitzenden Vögel war in den Miniaturhandschriften sowie in anderen Darstellungen jenes Zeitalters, (beispielsweise wie bereits erwähnt, auf dem Wandteppich von Bayeux, Abb. 1), verbreitet. Der Lebensbaum wird folglich mit dem ewigen Leben in Verbindung gebracht, mit den Vögeln – als Sinnbild der geheilten

20 Suzanne Braun, Sculpture, S. 41. 21 Suzanne Braun, Sculpture, S. 81-82.

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Seelen –, die sich von den Früchten des Baumes ernähren und dadurch ihre Unsterblichkeit erlangen22.

Komplementär und symmetrisch zum Lebensbaum tritt auf dem Kirchenportal in Rouffach, auf einem gesonderten Relief über dem Kircheneingang, der Baum des Todes in Erscheinung. Dieser weist das gleiche dichte Laubwerk wie der Lebensbaum auf, wobei auch die Art der Ausgestaltung die gleiche ist, doch werden die Ast-Enden diesmal nicht aus Blumen, sondern Früchten, höchstwahrscheinlich Äpfeln, gebildet, und im Baumwipfel ist eine menschliche Gestalt zu sehen (Abb. 8). Das Thema des Todesbaumes hat eine grundlegende Wandlung erfahren und ist mit jenem des Baums der Erkenntnis, von dem Adam und Eva essen und ihre Sterblichkeit erlangen, aus dem Buch Genesis23 in Zusammenhang zu bringen24. Die beiden Bäume – des Lebens und des Todes – sind antagonistisch dargestellt: der Lebensbaum steht für die Verheißung des Paradieses während der Todesbaum mit der Erbsünde und den Gefahren der Erkenntnis verbunden ist – beides Themen, die eine parallele Entwicklung erfahren haben.

Um auf den Raum Siebenbürgens zurück zu kommen: das Thema des Lebensbaumes ist auf dem Portal der evangelischen Kirche in Draas/Drăuşeni, (vermutlich in der Zeitspanne 1272-127725 gefertigt), in ähnlicher Weise dargestellt, in der Variante des Lebensbaumes, an dessen Stamm Vögel picken. Der Portalbogen der Draaser Kirche ist, ähnlich wie dies beim Südportal der Kirche in Honigberg/Hărman der Fall ist, dreilappig, was die Forscher dazu bewogen hat, die Ausgestaltung der Lünette in die Anfangszeit der Gotik zu datieren, d.h. in eine der Errichtung der Kirche in Kerz/Cârţa26 nachfolgende Zeitspanne. Das Tympanon des Portals ziert ein Flachrelief aus Ranken und Blumen, die einem mittig angeordneten vegetabilischen Element entspringen, von dem zwei Drachen essen27 (Abb. 9). Letztere sind symmetrisch angeordnet, ihre Körpermerkmale sind leicht erkennbar und eindeutig: die Tiere haben einen Echsenkopf, ihre Körper sind schuppenbedeckt, sie besitzen Flügel und Schwänze, die sich um die Ranken der Pflanze schlängeln (Abb. 10). Wir sind der Meinung, dass es sich hier um das in der Ikonographie häufig abgebildete, wohl aus dem germanischen Umfeld stammende Motiv der geretteten Seelen handelt, die an dem Baum des Lebens picken – ein Thema, das von jenem der

22 Suzanne Braun, Sculpture, S. 82. 23 Genesis 3:6; Genesis 3:7. 24 Suzanne Braun, Sculpture, S. 82-83. 25 Victor Roth, Geschichte, S. 24; Virgil Vătăşianu, Istoria, S. 63. 26 Virgil Vătăşianu, Istoria, S. 62-63. 27 Virgil Vătăşianu, Istoria, S. 63 (Vătăşianu ist der Meinung, dass es sich bei diesen Tieren

eigentlich um Vögel handelt, die mit denen gleichen, die auf den Kapitellen in Karlsburg/Alba Iulia mit verschlungenen Hälsen dargestellt sind – eine Meinung, die wir allerdings nicht teilen).

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Tiere als Hüter ergänzt wird. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Art und Weise, wie die Drachen sich vom Lebensbaum ernähren, der hier als zentrales vegetabilisches Element erscheint und aus dem das gesamte üppige Blätter- und Rankenwerk entspringt, das die beiden Drachen trägt. Folglich haben wir es in diesem Fall mit einer ambivalenten Darstellung zu tun, bei der die Drachen sowohl Hüter als auch gerettete Seelen sind, die durch den Saft des Lebensbaumes ihre Unsterblichkeit erlangen.

Aufgrund unserer komparativ angelegten Untersuchung der Baudenkmäler von Salzburg, Burgberg und Draas konnten wir feststellen, dass das Thema des Lebensbaumes im siebenbürgisch-sächsischen Umfeld eine vielschichtige Entwicklung erfahren hat, im Verlauf derer die aus dem deutschen Raum stammenden Elemente neue Auslegungen erhalten haben, wobei für diese Orte eigene stilistische Lösungen gefunden wurden; die Ähnlichkeiten in der Ikonographie der hier erwähnten Baudenkmäler lassen uns darauf schließen, dass das zeitliche Gefälle der Errichtung dieser Kirchen untereinander kaum größer sein kann als einige Jahrzehnte. Aufgrund dieser Hypothese wurde die Kirche in Draas in das fünfte oder sechste Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts datiert und festgestellt, dass es sich dabei um eine etwas spätere, von einem anderen ikonographischen Muster beeinflusste Variante handeln muss.

Die Entwicklung des Themas vom Lebensbaum, so wie dieses auf den Kirchen der Sachsen in Siebenbürgen in Erscheinung tritt, deutet in erster Linie darauf hin, dass es sich um ein aus der romanischen Bildhauerkunst nach Siebenbürgen eingeführtes Motiv handelt. Jenseits dieser kulturellen Übernahmen sei auf das Vermögen der Assimilierung und Interpretation von auswärtigen Mustern hinzuweisen, ein Stand der Dinge, der belegt, dass die vor Ort vorhandenen Themen durch Verschmelzung mit diesen „eingeführten“ Themen an Vielschichtigkeit gewonnen haben. Interessant war für uns die Tatsache, dass wir in unserer Untersuchung davon ausgegangen sind, dass die oben beschriebenen, aus dem germanischen Raum stammenden Themen Darstellungen des Kampfes der Tugenden gegen das Laster sind, wobei sich jedoch herausstellte, dass es sich eigentlich um Allegorien des Lebens im Paradies handelt, die in den Reliefs aus Salzburg und Burgberg in genauerer Ausgestaltung zum Ausdruck kommen. Hier wird die Geste der Tiere, die ihre Tatzen berühren, dem Thema des Lebensbaumes, der von den Raubtieren behütet wird, untergeordnet; der zum Zentralmotiv gewordene Baum ist eine Bereicherung für das ursprüngliche Thema, wird doch die Handlung in den konkreten Raum des Paradieses verlegt. Die Ambivalenz der Tiere als Wesen zu gelten, die zugleich sowohl Hüter und Schützlinge des Baumes sind, behält einiges ihrer ursprünglichen Bedeutung bei, laut der Gegensätze zugunsten eines friedvollen Zusammenlebens aufgehoben werden können.

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Abb. 1. Wandteppich von Bayeux – Vögel picken an dem Lebensbaum.

Abb. 2. Lebensbaum – Salzburg/Ocna Sibiului.

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Abb. 3. Tympanon Wechselburg.

Abb. 4. Tympanon Straubing.

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Abb. 5. Lebensbaum – Burgberg/Vurpăr.

Abb. 6. Lebensbaum und Baum der Erkenntnis – Bourgheim.

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Abb. 7. Lebensbaum – Rouffach.

Abb. 8. Baum des Todes – Rouffach.

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Abb. 9. Drachen mit dem Lebensbaum – Draas/Drăuşeni.

Abb. 10. Detail mit Drachen und dem Lebensbaum – Draas/Drăuşeni.