Ethnische Minderheiten in Deutschland am Beispiel Sinti und Roma
die deutschen Sinti und Roma - AntiDiskriminierungsForum.EU · 2015-07-06 · Heute leben etwa 120...
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Nationale Minderheiten am Beispiel der Sinti
und Roma Referat von Timo Heckenlaible und
Susanne Leonhard
Gliederung 1. Nationale Minderheit
o Die vier nationale Minderheiten in D
o Definition
o Rechtlicher Status
2. Die Sinti und Roma o Herkunft
o Geschichte
3. Die vier Gruppen der Sinti und Roma
4. Diskriminierung o Bevölkerungseinstellung
o Gründe / Auswirkungen
o Maßnahmen
5. Diskussion
Anerkannte nationale Minderheiten
• Die dänische Minderheit
• Die friesische Volksgruppe
• Das sorbische Volk
• Die deutschen Sinti und Roma
Definition „nationale Minderheit“
Jene Gruppen der Bevölkerung , die folgenden
Kriterien entsprechen:
• ihre Angehörigen sind deutsche Staatsangehörige,
• sie unterscheiden sich vom Mehrheitsvolk durch
eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte
(eigene Identität),
• sie wollen diese Identität bewahren,
• sie sind traditionell (also in der Regel seit
Jahrhunderten) in Deutschland heimisch,
• sie leben innerhalb Deutschlands in angestammten
Siedlungsgebieten.
Rechtlicher Status
• „Rahmenübereinkommen des Europarates zum
Schutz von nationalen Minderheiten“ (seit 1998)
• „Europäische Charta der Regional- und
Minderheitssprachen“ (seit 1999)
Rahmenübereinkommen • Verbietet jegliche Diskriminierung und eine zwanghafte
Assimilierung
• Verpflichtet zum Schutz und zu Fördermaßnahmen
Artikel 4 Satz 2:
Die Vertragsparteien verpflichten sich, erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und den Angehörigen der Mehrheit zu fördern. In dieser Hinsicht berücksichtigen sie in gebührender Weise die besonderen Bedingungen der Angehörigen nationaler Minderheiten.
Europäische Charta • Regional- und Minderheitssprachen sollen als
bedrohter Aspekt des europäischen Kulturerbes
geschützt und gefördert werden.
Die Umsetzung dieser zwei Abkommen wird vom
Europarat kontrolliert.
In Gesetzen, Verordnungen, Satzungen und
Verwaltungshandeln auf Bundes- und Länderebene
wird dieser Schutz von nationalen Minderheiten
konkretisiert und ausgebaut.
Beispiele auf Bundes- und Länderebene
• Bundeswahlrecht „Fünfprozentklausel“
• Staatsvertrag zwischen dem Land Baden-
Württemberg und dem Landesverband deutscher
Sinti und Roma, Baden-Württemberg e.V. (2013)
o Bekämpfung von Diskriminierung und Antiziganismus
o Fördermaßnahmen
Die Sinti und Roma
Begriffe
Rom = Mensch
Herkunft
Geschichte • 1407: Erste urkundliche Erwähnung in Deutschland
• 1423: Schutzbrief von König Sigismund über
eigene Gerichtsbarkeit der Sinti (Schutz vor
Übergriffen)
• 1496 + 1498: Aufhebung der Schutzbriefe durch den Lindauer und den Freiburger Reichstag,
„Zigeuner“ wurden vom Augsburger Reichstag als
vogelfrei erklärt
Geschichte • Kontroversität: Aus der erzwungenen
Nichtsesshaftigkeit, die mehrere Jahrhunderte
dauerte, wurde nun den Sinti ein Vorwurf
gemacht.
• 18. Jhd.: Idee des Humanismus: Sinti sollten
zwangsweise sesshaft gemacht werden
bedeutete aber: Zwangseingliederung
• 1783: These von H. Grellmann: Die negativen
Charakterzüge der Sinti seien genetisch bedingt
und können nicht verbessert werden
Geschichte –
Im Deutschen Reich • 1864: Aufhebung der Leibeigenschaft in Rumänien
und Bulgarien Roma waren frei und konnten in
andere Länder auswandern
• 1886: Zwangsweiser Rücktransport der „Zigeuner
ohne deutsche Staatsangehörigkeit“
• 1891: Erlass des Deutschen Bundesrates:
„Anweisungen zur Bekämpfung der Zigeunerplage“
Geschichte Übergang zum Dritten Reich:
Weimarer Republik: Garantierte die individuelle
Gleichheit vor dem Gesetz.
Auffassung der NS: Gleichheit der Rasse
Geschichte –
Im Dritten Reich
Für die deutsche Volksgemeinschaft konnten nach
Auffassung der Nationalsozialisten in keinem Fall die
gleichen Gesetze gelten, wie für diejenigen
Personen, die als Angehörige einer anderen Rasse
aus dieser Volksgemeinschaft ausgeschlossen
wurden.
Geschichte –
Im Dritten Reich Hitler propagierte:
• Rassenhygiene zur Beseitigung der
sozialen Unordnung
Sinti und Roma dienten als Modell zur Definition des
Asozialen.
Geschichte –
Im Dritten Reich Seit 1933 führte die diagnostizierte
(Rassen)mischung des deutschen Volkes
zu einer Rassenaufartung. Die nordische
Rasse sei von der Mischlingsbevölkerung
zu schützen:
durch interne Selektion säubern
organisierte Reproduktion vornehmen
Geschichte –
Im Dritten Reich Die ethnische Verunreinigung des
deutschen Volkes habe ihrer Ansicht
nach ein unerträgliches Niveau erreicht:
Totale Vernichtung der Juden und
Zigeuner in ganz Europa sei die
notwendige Voraussetzung für die
Aufartung des deutschen Volkes.
Geschichte –
Im Dritten Reich
Sinti und Roma galten als jene Untermenschen, deren
Existenz bereits die Ursache von Missständen aller Art war und deren Vernichtung die entscheidende
Bedingung für eine Besserung der Verhältnisse sein
sollte.
Geschichte –
Im Dritten Reich
Seit 1934 wurden Frauen und Männer zwangssterilisiert,
damit sie keine unerwünschte Nachkommenschaft
mehr bekommen konnten.
Geschichte –
Im Dritten Reich Werner Best, Leiter des Büros der Gestapo im
Reichsinnenministerium, schreibt am 24. März 1938 einen Vorentwurf zur weiteren Behandlung der Zigeunerfrage an das bayerische Innenministerium:
„Der häufig gemachte Vorschlag, die Zigeuner sesshaft zu machen, ist aus besonderem Grund nicht in den Entwurf aufgenommen worden. Da die bisher in dieser Richtung unternommenen Versuche im wesentlichen als misslungen anzusehen sind – die rasseechten Zigeuner können nach Auffassung von Sachverständigen ihren Wandertrieb gar nicht aufgeben – dürfte es sich bei dem jetzigen Stande der Angelegenheit nicht empfehlen, den Weg der Sesshaftmachung weiter zu verfolgen.(...)“
Geschichte –
Im Dritten Reich
Ab 1940 erfolgten Deportationen von Sinti und Roma
in Konzentrationslagern.
Insgesamt wurden ca. 500.000 Sinti und Roma in
Europa zur Zeit des Dritten Reichs ermordet.
Geschichte –
Im Dritten Reich
Ein Bericht von dem Sinto Otto Georg (geb.1927) aus
dem Buch „...weggekommen“ herausgegeben von
Daniel Strauß.
Geschichte – in der
Nachkriegszeit
• Ermordungen von 500.000 Sinti und Roma wurden
nicht als Völkermord anerkannt.
keine Hilfen und Entschädigungen an
Überlebende
• Die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihnen die
Nazis entzogen hatten, wurde ihnen zunächst
verweigert
viele waren für lange Zeit staatenlos
Geschichte – in der
Nachkriegszeit
• 1956: Urteil des Bundesgerichtshofs: Bei den
Deportationen handelte es sich nicht um rassische
Verfolgung einer Minderheit.
Bestand bis 1963
Geschichte
• Ende der 1970er: Verbände der Sinti und Roma
machen auf Missstände aufmerksam
• 1982: Anerkennung als Völkermord aus rassischen
Gründen durch Helmut Schmidt
• 1995: Sinti und Roma werden als Minderheit
geschützt
Heute leben etwa 120 000 Sinti und Roma in
Deutschland, davon haben nur 70 000 die deutsche
Staatsbürgerschaft
Vier Gruppen der Sinti und
Roma
1. Deutsche Sinti und Roma
2. Ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge
3. Sonstige Drittstaatsangehörige
4. Angehörige aus EU-Mitgliedstaaten
Diskriminierung von Sinti und Roma heute
Bevölkerungseinstellung gegenüber Sinti und Roma Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes –
„Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung“ 2014
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
fahrendes Volk Kriminelle
Handlungen
Musik Bettelei
Sinti und Roma werden immer wieder auch als
„Zigeuner“ bezeichnet. Was fällt Ihnen spontan zu
diesem Begriff ein?
0%
2%
4%
6%
8%
10%
12%
14%
16%
18%
Antipathie gegenüber den einzelnen Gruppen
41%
10%
49%
5%
14%
51%
32%
Asylbewerber
Juden
Sinti & Roma
Italiener
schwarze Menschen
Muslime
Osteuropäer
Gibt es Ihrer Meinung nach unter diesen
Bevölkerungsgruppen welche, die durch ihr
Verhalten Feindseligkeit bei der Allgemeinheit
hervorrufen?
Zustimmung in %
Bevölkerungseinstellung
• Unbeliebteste Volksgruppe in Deutschland und
Europa
• Trotz Differenziertheit – ein kollektives Bild
• Der Lebensstil der Sinti und Roma wird als besonders
abweichend eingeschätzt
• Fremde
• Unwissenheit/ Gleichgültigkeit – teilweise offene
Ablehnung
Gründe • Geschichte
• Medien und Berichterstattung
• Fehlverhalten Einzelner wird pauschal auf die ganze
Minderheit übertragen
• Wissen wird von Generation zu Generation weiter
gegeben
• Wissenschaftliche Untersuchungen prägen ein
einseitiges Bild
Auswirkungen
• Benachteiligung und Ausgrenzung: o Im Zivilrecht
o Im Arbeitsrecht
o Im Gesundheitsbereich
o Beim Zugang zu (Aus)-Bildung, Beschäftigung und Wohnraum
Maßnahmen und Handlungsempfehlungen
Drei Ebenen der
Diskriminierung
• Zwischenmenschliche Ebene
• Institutionelle Ebene
• Diskursive Ebene
Handlungsfelder
• Wissen zu Rassismus
• Bildung
• Partizipation
• Gesetzgebung
• Neuzuwanderung
Diskussion • Beispiel: Jugendliche aus dem Jugendhaus, in dem du
als Sozialarbeiter/in arbeitest äußern sich immer wieder diskriminierend gegenüber Sinti und Roma. Wie reagierst du?
• Wie können wir als baldige Sozialarbeiter/innen Diskriminierung gegenüber Sinti und Roma entgegenwirken? Auf allen drei Ebenen?
• Wie kann sich die gesellschaftliche Einstellung auf lange Sicht verändern?
• Tuen die staatlichen und politischen Akteure und Akteurinnen „genug“ gegen die Benachteiligung und für die Gleichstellung von Sinti und Roma?
• Wieviel oder welche Schuld tragen Sinti und Roma selbst an ihrer Situation?
Quellen • Sinti und Roma unter dem Nazi-Regime. Berlin 1996-. • Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.): Zwischen Geleichgültigkeit
und Ablehnung. Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und Roma. http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Expertisen/Expertise_Bevoelkerungseinstellungen_gegenueber_Sinti_und_Roma_20140829.pdf;jsessionid=70B52C8EB980CE94A3C7A4CB397ECB20.2_cid350?__blob=publicationFile. 07.06.2015.
• Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 3. http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html. 07.06.2015.
• Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/sinti_roma.pdf?__blob=publicationFile. 07.06.2015.
• Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Nationale Minderheiten. http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Gesellschaft-Verfassung/Nationale-Minderheiten/nationale-minderheiten_node.html. 07.06.2015.
• Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Nationales und internationales Minderheitenrecht. http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Gesellschaft-Verfassung/Nationale-Minderheiten/Nationales-internationales-Minderheitenrecht/nationales-internationales-minderheitenrecht_node.html. 07.06.2015.
Quellen • Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Vierter Bericht der Bundesrepublik
Deutschland. gemäß Artikel 25 Absatz 2 des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2014/vierter_staatenbericht_25_2.pdf?__blob=publicationFile. 07.06.2015.
• Europarat (Hrsg.): Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/157.htm. 07.06.2015.
• Frietsch, Martina: Sinti und Roma in Deutschland 2011. http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/voelker/sinti_und_roma/. 06.06.2015.
• Landtag Baden-Württemberg (Hrsg.): Gesetz zu dem Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesveband Baden-Württemberg e.V. http://www9.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/4000/15_4528_d.pdf. 07.06.2015.
• Matter, Max: Nirgendwo erwünscht. Zur Armutsmigration aus Zentral- und Südosteuropa in die Länder der EU-15 unter besonderer Berücksichtigung von angehörigen der Roma-Minderheiten. Schwalbach 2015.
• Reemtsma, Katrin: Sinti und Roma. Geschichte Kultur Gegenwart. (Beck'sche Reihe). Orig.-Ausg. München 1996.
• Strauss, Daniel/Lagrene, Ilona/Lagrene, Reinhold: --Weggekommen. Berichte und Zeugnisse von Sinti, die die NS-Verfolgung überlebt haben. [Berlin] 2000.
• Tiefenbacher, Matthias: Bis zum Ende der Welt 2014. • Trauschein, Therese: Die soziale Situation jugendlicher "Sinti und Roma".
(Bildung und Gesellschaft). Wiesbaden 2014.