Die Dogmen des christlichen Glaubens - · PDF filePravoslavlje) bedeutet mithin: rechtes...

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1 Hl. Justin von Celije Die Dogmen des christlichen Glaubens 1 1. Zum Begriff "Dogmatik" ie Bedeutung und logische Definition des Begriffs "Dogmatik" ist in seinem Namen selbst enthalten. Dogmatik ist die Wissenschaft von den Dogmen des christlichen Glaubens. Doch da man auf Grund der Vielfalt der christlichen Glaubensbekenntnisse die Dogmen auf verschiedene Arten verstehen und interpretieren kann, bezeichnet die Orthodoxe Kirche, indem sie die Dogmen der göttlichen Offenbarung im evangelischen, apostolischen und katholischen Geist darlegt und interpretiert, ihre Dogmatik als "orthodox". 2 Damit sondert und grenzt sie sich ab von den nicht-evangelischen, nicht-apostolischen, nicht-katholischen und nicht-orthodoxen Heilslehren. Die orthodoxe Dogmatik ist mithin allem anderen voran die Wissenschaft, welche die Dogmen des orthodoxen Glaubens systematisch und im Geist der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolische Kirche darlegt und interpretiert. 2. Zum Begriff "Dogma" ie Dogmen sind die ewigen Wahrheiten des Glaubens, die in der heiligen Offenbarung enthalten sind, so wie die Kirche sie bewahrt, erklärt und überliefert als göttliche, lebenspendende und unwandelbare Heilsordnung. Der Begriff "Dogma" ist griechischer Herkunft und leitet sich ab vom Verb δοκεν (denken, erachten, glauben, meinen). Die Verbform δδοκται (Perfekt Passiv 3. Person) bedeutet wörtlich: "Es wurde entschieden, definiert, bestimmt" und bezieht sich auf einen als logische und unbestreitbare Wahrheit definierten und bejahten Gedanken in jedwelchem Bereich menschlicher Tätigkeit, sei es in der Philosophie, der Religion, dem Recht usw. 3 Die griechischen und römischen Autoren der Antike benutzten den Begriff "Dogma" im philosophischen, ethischen, und juristischen Bereich im Sinn 1 Der hier leicht gekürzt wiedergegebene Text bildet den ersten Teil des einleitenden Kapitels des theologischen Hauptwerks des hl. Justin (Popović, 1894-1979, s. Das Synaxarion am 25. März und Heilige Altväter der Gegenwart, Chania 2007), seiner mehrbändigen "Dogmatik", die er unter den Titel Orthodoxe Philosophie der Wahrheit stellte (serbische Originalausgabe Pravoslavna Filosofija Istine publ. in Belgrad 1932, 1935 1978, franz. Ausgabe Philosophie orthodoxe de la Vérité, Ed. L'Age d'Homme, Lausanne 1992-1997, griech. und engl. Ausgaben in Vorbereitung). Übersetzung aus dem Französischen vom Kloster des hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011. 2 Das griechische Wort "orthodox" setzt sich aus zwei Elementen zusammen: ρθώς = wahr, richtig, und δοκ= ich denke, glaube, erachte, halte für, beschließe. Das Wort "Orthodoxie" (serb. Pravoslavlje) bedeutet mithin: rechtes Denken, rechter Glaube (das slawische Wort bedeutet auch: rechte Gottesverehrung). Das Gegenteil der Orthodoxie ist die Heterodoxie (von τερως = anders, und δοκῶ): "anderer Glaube, anderes Denken". 3 Siehe z.B. Klemens von Alexandria (150-215), Stromata VIII, 5 (PG 9,581). D D

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    Hl. Justin von Celije

    Die Dogmen des christlichen Glaubens 1

    1. Zum Begriff "Dogmatik"

    ie Bedeutung und logische Definition des Begriffs "Dogmatik" ist in seinem

    Namen selbst enthalten. Dogmatik ist die Wissenschaft von den Dogmen des

    christlichen Glaubens. Doch da man auf Grund der Vielfalt der christlichen

    Glaubensbekenntnisse die Dogmen auf verschiedene Arten verstehen und

    interpretieren kann, bezeichnet die Orthodoxe Kirche, indem sie die Dogmen der gttlichen

    Offenbarung im evangelischen, apostolischen und katholischen Geist darlegt und interpretiert,

    ihre Dogmatik als "orthodox".2 Damit sondert und grenzt sie sich ab von den nicht-evangelischen,

    nicht-apostolischen, nicht-katholischen und nicht-orthodoxen Heilslehren. Die orthodoxe

    Dogmatik ist mithin allem anderen voran die Wissenschaft, welche die Dogmen des orthodoxen

    Glaubens systematisch und im Geist der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolische Kirche

    darlegt und interpretiert.

    2. Zum Begriff "Dogma"

    ie Dogmen sind die ewigen Wahrheiten des Glaubens, die in der heiligen Offenbarung

    enthalten sind, so wie die Kirche sie bewahrt, erklrt und berliefert als gttliche,

    lebenspendende und unwandelbare Heilsordnung. Der Begriff "Dogma" ist

    griechischer Herkunft und leitet sich ab vom Verb (denken, erachten, glauben, meinen).

    Die Verbform (Perfekt Passiv 3. Person) bedeutet wrtlich: "Es wurde entschieden,

    definiert, bestimmt" und bezieht sich auf einen als logische und unbestreitbare Wahrheit

    definierten und bejahten Gedanken in jedwelchem Bereich menschlicher Ttigkeit, sei es in der

    Philosophie, der Religion, dem Recht usw. 3 Die griechischen und rmischen Autoren der Antike

    benutzten den Begriff "Dogma" im philosophischen, ethischen, und juristischen Bereich im Sinn

    1 Der hier leicht gekrzt wiedergegebene Text bildet den ersten Teil des einleitenden Kapitels des theologischen

    Hauptwerks des hl. Justin (Popovi, 1894-1979, s. Das Synaxarion am 25. Mrz und Heilige Altvter der Gegenwart,

    Chania 2007), seiner mehrbndigen "Dogmatik", die er unter den Titel Orthodoxe Philosophie der Wahrheit stellte

    (serbische Originalausgabe Pravoslavna Filosofija Istine publ. in Belgrad 1932, 1935 1978, franz. Ausgabe

    Philosophie orthodoxe de la Vrit, Ed. L'Age d'Homme, Lausanne 1992-1997, griech. und engl. Ausgaben in

    Vorbereitung). bersetzung aus dem Franzsischen vom Kloster des hl. Johannes des Vorlufers, Chania 2011. 2 Das griechische Wort "orthodox" setzt sich aus zwei Elementen zusammen: = wahr, richtig, und = ich

    denke, glaube, erachte, halte fr, beschliee. Das Wort "Orthodoxie" (serb. Pravoslavlje) bedeutet mithin: rechtes

    Denken, rechter Glaube (das slawische Wort bedeutet auch: rechte Gottesverehrung). Das Gegenteil der Orthodoxie

    ist die Heterodoxie (von = anders, und ): "anderer Glaube, anderes Denken". 3 Siehe z.B. Klemens von Alexandria (150-215), Stromata VIII, 5 (PG 9,581).

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    einer Lehre oder Regel, die auf Grund ihrer Unbestreitbarkeit den Charakter einer logisch und

    faktisch erhrteten verbindlichen Wahrheit angenommen hat, oder im Sinn eines Gebots,

    Gesetzes oder Dekrets.4

    Im Alten Testament bezeichnet das Wort "Dogma" einerseits die politischen Erlasse, Gesetze

    und Verordnungen des Staates (Dan 2,13; 3,10; 6,8-9; Esther 3,9) und andrerseits die Gebote des

    mosaischen Gesetzes (Ez 20,24) sowie die Bestimmungen, die sich auf das religise Leben im

    allgemeinen beziehen (II Makk 10,8; 15,36).

    Im Neuen Testament wird das Wort "Dogma" fnfmal verwendet, und zwar zum einen im

    politischen Sinn fr die Gesetze und Befehle Csars (Lk 2,1, Apg 17,7) und zum anderen im

    religisen Sinn fr die Gebote des mosaischen Gesetzes, die zur Zeit Mose fr jeden Juden

    verbindlich waren (Kol 2,14), ferner fr die Gebote des Evangeliums, die verbindlich sind fr

    alle Mitglieder der Kirche Christi: In der Apostelgeschichte steht geschrieben, dass die Apostel

    Paulus und Timotheos den Glubigen berlieferten, die von den Aposteln und ltesten in

    Jerusalem gefaten Beschlsse einzuhalten [

    ] (Apg 16,4).5 Und der Apostel Paulus

    schreibt im Epheserbrief, dass der Herr Jesus durch die Dogmen - das heit durch die ewigen

    Wahrheiten des Neuen Bundes - das Gesetz der Gebote (des Mose) abgeschafft hat [

    ] (Eph 2,15).

    Auf dieser Grundlage kristallisierte sich schon in apostolischer Zeit der spezifische kirchliche

    Sinn des Begriffes "Dogma" als gttliche, unumgngliche, absolute und fr alle verbindliche

    Glaubenswahrheit heraus. 6 Der heilige Kyrillos von Jerusalem, der groe Verteidiger der von

    Gott Selbst stammenden apostolischen berlieferung, charakterisiert die grundlegenden

    Wahrheiten des wahren Glaubens, wie sie im Glaubensbekenntnis der Kirche von Jerusalem

    niedergelegt waren, als "notwendige Dogmen" [ ], als "gottesfrchtige

    Dogmen" [ ], und den Glaubensakt, durch welche man sie sich zu eigen macht

    zum Heil, als "den dogmatischen Aspekt des Glaubens" [ ]. Die

    Gesamtheit der Lehren des Neuen Testaments ber Gott schlielich nennt er "die Dogmen ber

    Gott" [ ] und bezeichnet die persnliche und lebendige Assimilierung dieser

    Dogmen kraft eines wirksamen Glaubens als unabdingbare Voraussetzung fr das Heil. Deshalb

    kann er sagen: "Ein Erwerb von hchstem Wert ist das Erlernen der Dogmen" [

    ].7

    Der heilige Gregor der Theologe seinerseits zhlt der Reihe nach alle Wahrheiten des Neuen

    Testaments auf ber Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, ber Gut und Bse, ber

    die Gesamtheit der Heilskonomie, und fordert dann den Getauften auf, sein Wohl, seine Rettung

    und sein neues Leben zu grnden "auf dieses Fundament der Dogmen" [

    ].8

    Der hl. Gregor von Nyssa gliedert die Gesamtheit der christlichen Lehre in zwei Teile: den

    ethischen Teil und den eigentlichen dogmatischen Teil.9 Der heilige Johannes Chrysostomos fat

    unter dem Namen "Dogmen" die gesamte Lehre des christlichen Glaubens zusammen,10

    und der

    heilige Vinzenz von Lrins bezeichnet den universellen Glauben [universalis fides] als

    "katholisches Dogma" [catholicum dogma].11

    An den Oekumenischen Konzilen wurde der

    Begriff "Dogma" benutzt im Sinn von "Wahrheit der christlichen Glaubenslehre",12

    und die

    4 Siehe u.a. Xenophon, Anabasis, III,3; Ciceron, Quaest. acad. IV, 9, Seneca Epist. 95. In diesem Sinne auch nennt der

    hl. Isidoros von Pelousion den Philosophen Sokrates "Legislator der attischen Dogmen" (Brief 11, PG 78,185). 5 Die im vorliegenden Text jeweils in eckigen Klammern eingefgten griechischen und lateinischen Zitate stehen so im

    serbischen Originaltext des hl. Justin. 6 Siehe z.B. hl. Ignatios von Antiochia der Gotttrger ( 113) im Brief an die Magnesier 13,1, ferner Barnabas-Brief

    (um das Jahr 100) 1,6. 7 Siehe Hl. Kyrillos von Jerusalem (315-386), 18 Katechesen an die Tuflinge, Katechese 4,3; 4,2; 5,2; 4,2.

    8 Hl. Gregor der Theologe (330-390), Homilie 40,45 (ber die Heilige Taufe).

    9 Hl. Gregor von Nyssa (331-395), Brief 24.

    10 Hl. Johannes Chrysostomos (344-407), Kommentar zum Buch Genesis, Homilie 11,5.

    11 Hl. Vinzenz von Lrins (5. Jh.), Commonitorium prim. 18 (PL 50,664).

    12 Siehe 6. Oekumenisches Konzil (680), Dekret 1.

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    Konzilsvter bezeichnen ihre Dekrete ber den Glauben als "Dogmen", whrend sie die

    Entscheide und Dekrete ber andere Themen "Kanones" oder "Regeln" nennen.

    All dies widerspiegelt sich bis zu einem gewissen Grad auch in der Bezeichnung "Dogmati-

    kon", mit welcher die Kirche in ihrer Hymnographie jene Hymnen bezeichnet, die eine

    Glaubenslehre enthalten ber die Allheilige Gottesmutter, ber die Inkarnation unseres Herrn

    oder ber Seine beiden Naturen in einer einzigen gottmenschlichen Person.

    So bezeichnet denn in der Sprache der Kirche der Begriff "Dogmen" im engeren Sinn nur jene

    gttlich offenbarten Wahrheiten, die den Glauben betreffen, im Unterschied zu den ebenfalls von

    Gott offenbarten ethischen, liturgischen und kanonischen Wahrheiten. Doch darf nie aus den

    Augen verloren werden, dass letzten Endes all dies ein unauflsbares Ganzes bildet.

    3. Die besonderen Eigenschaften der christlichen Dogmen - A. Ihr gttlicher Ursprung

    ie Dogmen sind ewige gttliche Wahrheiten und kennzeichnen sich als solche durch

    folgende Haupteigenschaften: ihre Offenbarung durch Gott, ihre Ekklesialitt, ihre

    universale Verbindlichkeit und ihre Unwandelbarkeit.

    A. Die gttliche Offenbarung ist die grundlegende Eigenschaft, welche die Dogmen zu dem

    macht, was sie sind. Sie bezeugt ihren gttlichen Ursprung. Auf Grund dieses Ursprungs sind die

    Dogmen nicht nur Glaubenswahrheiten, sondern von Gott Selbst offenbarte Glaubenswahrheiten.

    Ihres gttlichen Ursprungs wegen sind diese Wahrheiten unanfechtbar, ewig, heilbringend,

    unbegreiflich und jenseits des menschlichen Verstands. Htte nicht Gott Selbst sie offenbart,

    wren sie ewiglich unzugnglich geblieben fr jedwelches Bemhen, sei es seitens der

    kollektiven Intelligenz der Menschheit insgesamt, sei es seitens der individuellen Intelligenz

    irgendeines Menschen.

    Aus diesem Grund sind die Dogmen Sache des Glaubens und werden kraft des Glaubens