Die Einforstung und der Kampf um die „freie Pürsch“ im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen

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Z. Jagdwiss.42 (1996), 293-307 © 1996,Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin ISSN 0044-2887 Die Einforstung und der Kampf um die ,,freie Piirsch" im Fiirstentum Hohenzollern-Hechingen Von H.-K. SCHULER, Rottenburg 1 Einleitung Zu den ab dem 1t. Jahrhundert als Regalien bezeichneten Hoheitsrechten des K6nigs geh6rte auch das Forstregal. Dieses bereits von den Karolingern in Anspruch genommene umfassen- de Verfiigungsrecht fiber herrenloses Aut~enland sicherte dem K6nig das MonopoI zu Rodung und Jagd. Er nutzte es als ein Instrument der Binnenkolonisation und Landesent- wicklung. Wiihrend des Mittelalters ging in Deutschland das Forstregal weitgehend auf die Territorialherrn fiber. Diese nahmen das Kernstiick des Forstregals, das Jagdregal, exzessiv auch fiir Gebiete in Anspruch, deren Grundherrn sic nicht waren. LIt, n3NER (9) hat nachge- wiesen, daft sich die Grundherrn bereits seit der Regierungszeit Ottos des Groflen die vom Forstbegriff umfaften Rechte auch auf fremdem Eigentum (ibertragen liefen. In Schwaben, wo sich nach altem Herkommen das freie Jagdrecht f/ir jedermann in regional begrenzten Freipiirschgebieten erhalten hatte, konnten dadurch schwerwiegende Interessenskonflikte zwischen den Landesherrn und ihren Untertanen nicht ausbleiben. M~ichtigen Landesherrn gelang es, das Jagdregal meist landesweit durchzusetzen, somit bestehende Freipiirschbezirke aufzul6sen, einzuschr~ken oder ordnend in die Freipiirschen einzugreifen. In dem 6konomisch schwachen Kleinterritorium der gefiirsteten Grafschaft Hohenzollern-Hechingen (Abb. 1) aber entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert eine dramatische Auseinandersetzung zwischen den-Untertanen und ihrem Landesherrn. Sic war revolution~ir und wurde durch einen fast 100 Jahre andauernden Rechtsstreit vor den h6chsten Reichsgerichten und dem Kaiser ausgetragen. Der Prozefl ging als ..... Land und Leute verderblicher Untertanenprozef" in die deutsche Rechtsgeschichte ein (Abb. 2). Zu den Streitpunkten ziihlten die erdriickenden Fron- und Abgabelasten der Leibeigenen sowie die Einschr~inkung der agrarwirtschaftlichen Nutzungsrechte. Weit im Vordergrund aber stand der Kampf um die Erhaltung der ,,freien Piirsch". 2 Die Begriffe ,,Forst" und ,,freie Piirsch" Die Herkunft des Begriffes Forst ist umstritten. Uberwiegend wird angenommen, daft er lateinischen Ursprungs ist; Iat. forsi = drautgen, aufterhalb, aus forra = T~r (7, 10). Das bedeutet: alles, was sich au8erhalb der Besiedlung und damit auch aufterhalb der Rechte Dritter befindet. Die Karolinger K6nige betrachten als Oberh~iupter des Reiches die herrenIosen L~nder und Gfiter als ,,forestis nostra" (unser Forst). Sie stiitzten sich dabei auf r6misch-gallisches Provinzialrecht. Wald, Heide, Odland aber auch Gew~isserund einzelne Nutzungsrechte werden so dem Rechtsbegriff Forst unterworfen. Damit k6nnen in eingeforsteten Gebieten Jagd, Fischfang, Hoizung und jede andere Art yon Nutzung nur mit Genehmigung des K6nigs oder des von ihm Beauftragten geschehen. Der K6nig nutzt das Instrument der Einforstung auch als Mittel der Territorialpolitik und 6konomischen Entwicklung, etwa zur Besiedlung durch Vergabe yon Rodungsfl~ichenoder durch Anlage von Krongiitern (dom~i- nenartige Musterbetriebe). 1 Eingesetzt wurde ein Druckkostenzuschufl der Landesj/igerschaft Niedersachsen, fiir dessen Gew/ih- rung verbindlichgedanktwird.- Die Schriftleitung U.S. CopyrightClearanceCenter Code Statement:0044-2887/96/4204-0293 $11.00/0

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Z. Jagdwiss. 42 (1996), 293-307 © 1996, Blackwell Wissenschafts-Verlag, Berlin ISSN 0044-2887

Die Einforstung und der Kampf um die ,,freie Piirsch" im Fiirstentum Hohenzollern-Hechingen

Von H.-K. SCHULER, Rottenburg

1 Einleitung

Zu den ab dem 1 t. Jahrhundert als Regalien bezeichneten Hoheitsrechten des K6nigs geh6rte auch das Forstregal. Dieses bereits von den Karolingern in Anspruch genommene umfassen- de Verfiigungsrecht fiber herrenloses Aut~enland sicherte dem K6nig das MonopoI zu Rodung und Jagd. Er nutzte es als ein Instrument der Binnenkolonisation und Landesent- wicklung. Wiihrend des Mittelalters ging in Deutschland das Forstregal weitgehend auf die Territorialherrn fiber. Diese nahmen das Kernstiick des Forstregals, das Jagdregal, exzessiv auch fiir Gebiete in Anspruch, deren Grundherrn sic nicht waren. LIt, n3NER (9) hat nachge- wiesen, daft sich die Grundherrn bereits seit der Regierungszeit Ottos des Groflen die vom Forstbegriff umfaften Rechte auch auf fremdem Eigentum (ibertragen liefen. In Schwaben, wo sich nach altem Herkommen das freie Jagdrecht f/ir jedermann in regional begrenzten Freipiirschgebieten erhalten hatte, konnten dadurch schwerwiegende Interessenskonflikte zwischen den Landesherrn und ihren Untertanen nicht ausbleiben.

M~ichtigen Landesherrn gelang es, das Jagdregal meist landesweit durchzusetzen, somit bestehende Freipiirschbezirke aufzul6sen, einzuschr~ken oder ordnend in die Freipiirschen einzugreifen. In dem 6konomisch schwachen Kleinterritorium der gefiirsteten Grafschaft Hohenzollern-Hechingen (Abb. 1) aber entwickelte sich im 17. und 18. Jahrhundert eine dramatische Auseinandersetzung zwischen den-Untertanen und ihrem Landesherrn. Sic war revolution~ir und wurde durch einen fast 100 Jahre andauernden Rechtsstreit vor den h6chsten Reichsgerichten und dem Kaiser ausgetragen. Der Prozefl ging als ..... Land und Leute verderblicher Untertanenprozef" in die deutsche Rechtsgeschichte ein (Abb. 2). Zu den Streitpunkten ziihlten die erdriickenden Fron- und Abgabelasten der Leibeigenen sowie die Einschr~inkung der agrarwirtschaftlichen Nutzungsrechte. Weit im Vordergrund aber stand der Kampf um die Erhaltung der ,,freien Piirsch".

2 Die Begriffe ,,Forst" und ,,freie Piirsch"

Die Herkunft des Begriffes Forst ist umstritten. Uberwiegend wird angenommen, daft er lateinischen Ursprungs ist; Iat. forsi = drautgen, aufterhalb, aus forra = T~r (7, 10). Das bedeutet: alles, was sich au8erhalb der Besiedlung und damit auch aufterhalb der Rechte Dritter befindet.

Die Karolinger K6nige betrachten als Oberh~iupter des Reiches die herrenIosen L~nder und Gfiter als ,,forestis nostra" (unser Forst). Sie stiitzten sich dabei auf r6misch-gallisches Provinzialrecht. Wald, Heide, Odland aber auch Gew~isser und einzelne Nutzungsrechte werden so dem Rechtsbegriff Forst unterworfen. Damit k6nnen in eingeforsteten Gebieten Jagd, Fischfang, Hoizung und jede andere Art yon Nutzung nur mit Genehmigung des K6nigs oder des von ihm Beauftragten geschehen. Der K6nig nutzt das Instrument der Einforstung auch als Mittel der Territorialpolitik und 6konomischen Entwicklung, etwa zur Besiedlung durch Vergabe yon Rodungsfl~ichen oder durch Anlage von Krongiitern (dom~i- nenartige Musterbetriebe).

1 Eingesetzt wurde ein Druckkostenzuschufl der Landesj/igerschaft Niedersachsen, fiir dessen Gew/ih- rung verbindlich gedankt wird. - Die Schriftleitung

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0044-2887/96/4204-0293 $11.00/0

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Abb. 1. Die Grafschaft Hechingen, ab 1623 Fiirstentum, wie sie als souver~iner Kleinstaat von 1576 bis 1850 unveriindert bestand. Die Zollerburg mit der Residenzstadt Hechingen, dem Albtrauf und dem Killertal. Dort bildetet der Landesherr anschlieflend an den Hohenberger Forst den Zollernforst und war die ,,freie Piirsch" besonders umkiimpft

Der Rechtsakt der Einforstung schafft also den Forst als Rechtsbegriff. Einen Hohheits- bezirk mit 6ffentlich-rechtlicher Stellung, dem der K6nig als oberste Staatsgewalt, nicht als Privatmann, vorsteht und alle Nutzung reglementiert. Nicht eingeforsteter Wald heit~t ,,silva". Er ist der gemeinschaftlich genutzte Allmendewald der Ortschaften und der meist dem Adel geh6rende Privatwald.

Der Begriff Wildbann, der im Mittelalter neben dem Begriff Forst verwendet wird, hat dieselbe Bedeutung wie Forst. Der Wortteil ,,Wild" steht fiir herrenlos, unbebaut, analog Wildnis, w~hrend ,,Bann ~ das hoheitliche Moment wiedergibt. Hier ist die Wurzel das germanische Rechtsdenken, dem die Idee des Bannes zugrunde Iiegt. Der K6nig als Hiker der gesamten Rechtsordnung ist verpflichtet, alles zu ,,barmen", was schiitzenswert ist (7, I0).

Urkunden geben sichere Auskunft, dal~ zun~ichst nicht ausschliei~lich jagdliche Griinde fiir Einforstungen maSgebend waren, sondern iiberwiegend waren sie durch Binnenkoloni- sation und Landausbau besonders in der N~ihe k6nigl. Fiskalbezirke begriindet (2). Seit dem 8. Jahrhundert kommen Vergabungen yon ganzen Forsten z. B. an K16ster vor, aber auch die Vergabe von Einzelrechten (1 I).

Mit dem Obergang der Krone an die Sachsenk6nige tritt die Entwicklungsgeschichte des Forstregals in eine neue Epoche ein. Neben Einforstungen der bekannten Karolinger Art kamen mehr und mehr Einforstungen aus rein jagdlicher Motivation vor. Zwar stand dem

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KSnig ein allgemeines Eingriffs- recht auf fremdem Grund und Boden nicht zu, doch unter Nut- zung aller St~irke seiner k6nigli- chen Macht schaffte er durch In- forestationen eigentumsunab- h~ingige Gebiete, fl~ichenstaatli- che Rechtsbezirke, in denen so Privilegierte das ausschlieflliche Jagdrecht besaflen (Beispiele Salzburg, besonders auch kirchl. Gebiete). In der Zeit der Staufer (ab 1125) verlor die Wildbann- verleihung entweder ihre staats- politische Bedeutung, oder das Forstregal entglitt dem K6nig und verlagerte sich auf niederere Adelsschichten (11).

Seit dem 12. u. 13. Jahrhun- dert betrachteten sich wohl die Ffirsten und Herren bannbe- rechtigt. Der Sachsenspiegel sagt hierzu nichts aus, der Schwaben- spiegel aber in g 236 des Land- rechts: ..... Doch hant die herren banfoerste . . . . " (6). Die Grafen, deren .~.mter schon l~ingst erblich waren, konnten dieses Bann- recht wohl noch nicht beanspru- chen. Der Zollergraf wurde erst 1623 geffirstet. Sachsen- und Schwabenspiegel halten im 13. Jahrhundert fest: Auiserhalb der Bannbezirke kann jedermann als g6ttliches Recht frei auf Tiere und V6gel jagen (2).

Den Ausdruck ,,freie Pfirsch" leitet man vom altfr~inkischen

PROCESSUS,

Abb. 2. Deckblatt der fiirstlichen Originaldenkschrift von 1734, in der die Aufruhren chronologisch und tokal geordnet beschrieben und die ffirstlichen Rechtsstandpunkte er6rtert werden

,,birsen" her. Er begegnet uns in vietf~iltiger Form als Birse, Birsa, Gebi~, P/iris, Gepiirsch, Piirst und anderen Begriffen (5). Ffir den Bereich des r6mischen Rechts wird das Prinzip des freien Tierfanges allgemein angenommen. Die freie Aneignung durch Jagd und Fischerei hat offenbar auch Justinian, ostrSmischer Kaiser 527-565, nicht eingeschr~inkt. Nach LINDNER (9) war der freie Tierfang auch ein jagdrechtlicher Grundsatz der Germanenrechte. Ebenso kommt BERGEMANN (2) nach Auseinandersetzung mit manchen gegenteiligen Ansichten bezfiglich der Stammesgesetze der Germanen zu der Auffassung, dais im Germanenrecht der freie Tierfang gait: 1. Sei angesichts der b~iuerlichen Lebenshaltung der Germanen und der wirtschafttichen

Verh~misse dies nahetiegend. 2. Sei es ob der Tatsache der jahrhundertelangen V61kerwanderung unwahrscheinlich, dais

sich das Jagdrecht an ein Grundeigentum gebunden habe. 3. In den mel~sten Germanenrechten f~den sich ausf/ihrliche Abhandlungen zur Jagd. An

keiner Stelte aber sei die Abh~ingigkeit der Jagdausiibung yore Grundeigentum erw~ihnt (allerdings auch nicht der freie Tierfang).

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1680 schreibt der ,,Rathsconsulent" der Reichsstadt Ulm, JAKOB OTI'O, zur reichsst~idtisch freien Piirsch (5): ,,Alles Waidwerk ist freie Piirsch oder gebannt. Wo das Jagen und der Fang der wilden Tiere jedermann freigelassen, ist freie Piirsch; sie bedeutet den Bezirk und das Recht, Wo das Wild gebannt ist, ist Forst; das Forstrecht ist ein sonderbar Jus und Gerech- tigkeit auf eigenem oder eines anderen Grund und Boden das Waidwerk, und was dem weiter anhanget zu gebrauchen. Gott hat, dem menschlichen Geschlecht zum Besten und zur freien Disposition, alle wilden Tiere geschaffen, und dieselbe ihnen unterwiirfig gemacht, daft es eine freie Pfirsch sei (L Buch Moses Cap. 1, Vers 26, 28, 30; Cap. 9, Vers 2; III. Buch Moses Cap.17, Vers 13; Psalm VIII, Vers 7, 8, 9; I. Corinth. Cap. 15, Vers 27). Nach aller V61ker Rechten sind die Jagdbarkeiten aller m~inniglich frei und vergiinstiget worden" (5).

Auf diesen g6ttlichen und naturrechtlichen Ursprung der freien Piirsch haben sich schon 1525 die Aufst{indischen des Bauernkriegs berufen. Auch in der sp~iteren Auseinanderset- zung mit ihrem Landesherrn machen sich die Untertanen Hohenzollerns unter anderem vor allem dieses Argument zu eigen.

Der Theorie des g6ttlichen und natiirlichen Ursprungs der Freipiirschen, auch ihrer Ausiibung nach altem Herkommen, setzten die Landesherrn das ihnen fiber die Jahrhunderte zugewachsene Vorrecht des Forst- und Jagdregals entgegen. Sie k6nnten zwar das natiirliche Recht nicht aufheben, durch die Entwicklung des Eigentums und aus Griinden der 6ffentli- chen Ordnung die Jagd aber reglementieren. Das Jagdverbot sei auch zum Vorteil des gemeinen Land- und Handwerksmannes. Er werde dadurch nicht vonder Arbeit, dem Land- und Ackerbau abgehalten; Straftaten werde vorgebeugt und zudem sei es v611ig unn6tig, daft dem Landmann die Lust und Kurzweil der Jagd verg6nnt werde. Auch die Landesherrn versuchen sich auf die Bibel zu beziehen, wenn sie begrfinden, die Obung der Jagd stehe allein Fiirsten und Adelspersonen zu: Esau, der gleich einem Edelmann gelebt habe, sei J~iger gewesen; dagegen sei yon dessen Bruder Jacob, dernur dem Vieh und den Ackern abgewartet habe, die J~igereigenschaft nicht iiberliefert (5).

3 Freipiirschen in Schwaben

Bei diesen ganz gegens~itzlichen Theorien hatten sich nach CRAMER (5) in Schwaben im 17. Jahrhundert 12 freie Pfirschbezirke erhalten (12):

1. die freie Piirsch von Weil der Stadt 2. die freie Pfirsch yon Gmfind bis Aalen 3. die freie Piirsch von Donauw6rth 4. die freie Piirsch von Memmingen 5. die freie Pfirsch yon Leutkirch 6. die untere Piirsch zwischen Blau, Donau u. Ulm (Ulm, Blaubeuren, Zwiefalten, Munder-

kingen, Ehingen) 7. die obere Piirsch zwischen Rift, Donau und Canzach (Riedlingen, Buchau, Biberach, die

Rift abw~irts) 8. die freie Pfirsch von Rottweil (Deislingen, Sulgen, Villingen, Oberndorf, Zepfenhan) 9. die freie Piirsch yon Balingen, Ebingen, Onstmettingen

10. die freie Pfirsch vom Neckar- Schwarzwald (am linken Neckar Horb, Nagold, Tiibingen) 11. die freie Piirsch vom Steinlachtal (am rechten Neckar Tiibingen, Dreifiirstenstein, Hirrlingen,

Rottenberg bzw. Rammert) 12. die freie Piirsch der Grafschaft Hohenzollern-Hechingen (zwischen den drei letztge-

nannten gelegen). Nach BERGrMANN (2) diirften jedoch noch weitere kleinere Freipiirschbezirke bestanden haben. Angrenzend an die Freipiirsch der Grafschaft Hechingen waren dies unter anderem die Freipirsch der hohenzollernschen Grafschaft Haigerloch und vor allem die Heufeldpirsch um die werdenbergischen, spiiter fiirstenbergischen und schlieglich sigmaringischen Ort- schaften Ringingen und Salmendingen, die erst 1808 aufgel6st wurde (Staatsarchiv Sigmarin-

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gen H 73, Nr. 9). Erst hinter der Heufeldfreipiirsch lagen die Wiirttemberger B~inne, der Tiibinger Forst und der Uracher Forst.

Die Freipiirsch der Grafschaft Hechingen war also iiber weite Strecken yon anderen Freipiirschbezirken umgeben. Das Bewufltsein, in der eigenen Region die Jagd nach attem Herkommen zurecht frei auszuiiben, wurde dadurch nachhaltig gest~kt.

Freipiirschbezirke galten als ,,gliickliche" Bezirke. Sie waren nicht nur frei von dem ausschliet~lichen Jagdrecht eines Herrn, sondern auch fiir diese Bereiche frei von Hag- und Jagdfronen. Die Holznutzung war frei, niemand freilich trat auch der Waldverwiistung entgegen. Der Genufl von Grund und Boden war frei und vonder Gemeinde geregelt. Freie Piirsch war ein Gebiet der Freiheit, w~ihrend der Forst seinen Bann auf alles legte. Allerdings griff die Landeshoheit, wo sie sich entwickelte, im Laufe der Zeit auch in die Freiheit der Piirsch schm~ernd ein. 10her die Entstehung der Freipiirschbezirke lassen sich iiberwiegend nur Vermutungen anstellen. BERGEMANN (2) er6rtert 3 wissenschaftliche Theorien: 1. Das freie Jagdausiibungsrecht hat sich vom g6ttlichen Recht und V61kerrecht abgeleitet

erhalten, insbesondere in Gebieten, in denen der Landesherr nicht stark genug war, es aufzuheben. So dfirfte sich die Freipiirsch in Hohenzollern-Hechingen erkl~iren lassen.

2. Die staufischen Herrscher haben, aus Griinden der Bodenpolitik und wohl zur Verhinde- rung weiterer Wildbannverteihungen weltlicher und geistlicher Grotgen, Teile aus ehema- ligen K6nigsforsten oder Wildbannbezirken herausgel6st und diese als freie Piirsch ver- liehen. So diirften die Freipiirschbezirke um die ehemaligen freien Reichsst~idte kaisertich privilegiert entstanden sein, auch die Rottweiler Freipiirsch.

3. Nicht nur Einforstungen und Wildbannverleihungen sind yon den Landesherrn als Mittel der Territorialpolitik eingesetzt worden, sondern auch Freipiirschbildungen selbst. So wird die im Ulmer Vertrag 1490 fiir den Balinger Bann geschaffene Frei- piirsch auf Motive Graf Eberhards von Wiirttemberg zuriickgefiihrt, der sie bei Kaiser Maximilian I. durchgesetzt hat. Vermutlich wollte er dadurch seinen Besitz um Balingen gegen 6sterreichisches Expansionsdenken abschirmen und so der Gefahr der Ausweitung der 6sterreichischen Hoheitsrechte fiber den Forst der Grafschaft Ho- henberg hinaus vorbeugen.

4 Hohenberger Forst und Forst in Zollern

Im Jahre 1381 ist angrenzend an Hechingen urkundlich erstmals das Bestehen eines Forstes auf dem Territorium der Grafschaft Hohenberg erw/ihnt (Abb. 3). Im Kaufvertrag Oster- reich-Hohenberg werden auch ,,witdp~inne" aufgef/.ihrt (2). Motiviert durch Territorial- und Hausmachtspotitik haben die Habsburger yon Wildbannverteihungen offensichttich rege Gebrauch gemacht und in allen zu ersteUenden Urkunden hier und anderswo bestehende Wildbiinne ausdrficklich dokumentiert.

Ffir das Gebiet der Grafschaft Hechingen fehlen solche Urkunden. Die Forschung konnte bestehende Wildb/inne nicht nachweisen. Unbestritten, auch yon den Untertanen sp~iter nicht angegriffen, bestand jedoch zwischen Burtadingen und Bitz, rechts der Fehla, schon vor 1550 ein Forst auf zollerischem Gebiet, der ursp~nglich zum Hohenberger Forst auf der Scher geh6rte (2, 8). Noch heute wird ffir diesen Markungsteil Burladingens im Volks- round und auf offiziellen Karten die Bezeichnung Forst gebraucht, w~ihrend man links der Fehla die Bezeichnung P/.irsch verwendet.

Der Hohenberger Forst,,uf der Scher" fiberschritt offensichtlich Herrschaftsgrenzen und war von grofler Ausdehnung. Sein Umfang ist weitgehend identisch mit der in fr~inkischer Zeit (8. Jahrhundert) bestehenden Gaugrafschaft Scherra. Aus einer Beschreibung vom Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts sind die Grenzen des eingeforsteten Bezirks nachgewiesen. Von Immendingen, Trossingen, ~iber Dautmergen, Balingen kommend, lag rechts der Grenze Forst, links die Pirsch. Von Engstlatt lief sie in die alte Zollersteig (alter Ernteweg zum Zellerhorn), trat bei Killer (Himberg) ins Killertal, verlief der Starzel nach

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Abb. 3. Die 1594-96 durch Gadner erstellte Karte der wiirttembergischen Amter Sulz, Rosenfeld, Balingen und Tuttlingen. Die Grafschaft Zollern trennt die 6sterreichische Grafschaft Hohenberg in eine obere und untere Herrschaft. Der im SO eingetragene Zollerische Forst liegt iJberwiegend auf hohenberger Gebiet. Im W liegt die Freipiirsch yon Rottweit

talaufw~irts nach Burladingen, von dort fehlaabw~irts iiber Neufra, Gorheim bei Sigmaringen zuriick zum Ausgangspunkt (8). Der Zollerberg selbst, das Schamental und vermutlich der Neuberg, die Markungsfl~ichen der Gemeinden Boll, Stetten bei Hechingen und Jungingen also, geh6rten daher zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Forst. Die Forsthoheit und somit das Jagdausfibungsrecht stand Osterreich zu. Das Bestehen einer einger~iumten Gnadenjagd fiir den Zollergrafen, etwa auf dem schmalen Gebietsanteil seines Territoriums, ist nicht /.iberliefert und unwahrscheinlich.

1459 ~ibertrug Erzherzog Albrecht yon ~)sterreich dem Grafen Jos Niklaus von Zollern auf einem Teil des Hohenberger Forstes ein erbliches Jagdrecht. Es betraf den Bitzerhardt, das Geblet zwischen den Talr'L, ldern von Schmiecha, Fehla, Starzel, yon Winterlingen im S/.iden bis zum Zellerhorn im Norden. Interessant ist, wie das Haus Osterreich bei der Jagdrechtsvergabe ein dauerhaftes Zeichen seiner Jagdoberhoheit setzte. Der Graf yon Zollern muflte fiir sich und seine Nachfolger versprechen, wenn der 6sterreichische F/.irst in

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dem Wildbann jagen wottte, diesem mit J~igern, Hunden und Seilzeug zu dienen, aui~erdem j~ihrlich einen Hirsch zu liefern, wenn in der N~he des Wildbanns Hofhaltung war. Andernfalls hatte er wenigstens aus rechtssymbolischen Gr/inden jiihrlich ein Hirschge- weih zu schicken (2). Das Jagdausiibungsrecht im Hohenberger Forst war die Basis, auf der die Zollergrafen sp~iter die Ausweisung bzw. Ausweitung eines eigenen Zollernforstes betrieben.

In der Zeit von 1488-1606 (2) waren die ZoUerngrafen von Osterreich jeweits ais Haupt- leute der Grafschaft Hohenberg eingesetzt. Ais solche diirften sie das Jagdausiibungsrecht im gesamten Hohenberger Forst erlangt haben, der sich aber durch Jagdvergaben an andere Adelige (z. B. an die Werdenberger) und durch die Abgrenzung der Freipiirsch Balingen- Ebingen im Ulmer Vertrag 1490 erheblich verkleinert hatte. In diesem Vertrag behielt Graf Eberhard der Altere von W/irttemberg, zugestanden von K6nig Maximilian, auf seinem im Hohenberger Forst gelegenen Territorium alle Hoheitsrechte. Den Zollern wurde nur das reineJagdrecht iibertragen, die Grenzen zur Freipiirsch exakt gezogen und Untertanenrechte zur Nutzung im Forst eingeriiumt (2). Die Jagd auf Raubwild war im Vertrag nicht geregelt. Es ist davon auszugehen, daf~ sie den Untertanen im Hohenberger Forst erlaubt war. B~en waren in Balingen zu dieser Zeit noch so h~iufig, daft sie bejagt werden muthen, W61fe und Luchse gehSrten zur Raubwildstrecke.

War das Jagdrecht urspriinglich das Kernstiick des Forstregals, wird es im Ulmer Vertrag aus der Gesamtheit des Rechtsbegriffs Forst als ein eigenstindiges Recht herausgel6st. Der Vertrag ist somit ein Beispiel dafiir, wie die Bedeutung der Begriffe ,,Forst ~, ,,Wildbann" und ,,Forsthoheit" im ausgehenden Mittelalter unklar wurde, und sich vermutlich regionale 13bungen und Rechtspositionen entwickelten. Dies sollte fiir sp~iteren Streit und Konflikte mit urs~ichlich sein.

5 Ursachen der Unter tanenrevolut ion in Hohenzol lern-Hechingen

Die sp/itmittelalterliche Agrarkrise des 14. Jahrhunderts, bedingt durch Pestumziige, BevS1- kerungsriickgang, Landflucht und fallende Agrarpreise, ersch~tterte die wirtschaftliche Basis des Systems der Grundherrschaft ganz wesentlich. Der RiJckgang an GiJhen fiir verlehnte Hofst/itten und die rfickLiufigen Einnahmen aus selbstbewirtschafteten Giitern muthen durch Einnahmen aus der Gerichtsherrschaft (Strafen) und aus der Leibherrschaft, den Abgaben der Leibeigenen, ausgeglichen werden. Die ohnehin schmale 6konomische Grund- lage des Kleinterritoriums Hechingen versch/irfte dieses Problem sehr.

1544 z~ihlte die Grafschaft 4741 Einwohner, davon galten 4074 als leibeigen, 667 als frei. Etwa I/3 der Leibeigenen war fremden Herrn mit dem Leib verwandt. In sp~iterer Zeit sollte sich die Unterscheidung nach Freien und Leibeigenen in der Grafschaft g~inzlich verwischen, da die Abgaben nach Art von Steuern und die zunehmend steigenden Frondienste jedermann leisten muf~te. Alle Einwohner wurden Untertanen (5). Als besonders driickend sollten sich die Fronen (sog. gemessene und ungemessene Fronen), vor allem die Hag- und Jagdfronen entwickeln. Aber auch die Natural- und sp~iter Geldabgaben, vor allem auch das Hauptrecht (Besthaupt, Bestkleid) und das Hagestolzenrecht, die Vorl~iufer heutiger Erbschaftssteuer, lasteten schwer auf den Einwohnern.

Um 1500 l~ t sich eine verst~kte Eingrenzung der Jagdfreiheiten der Einwohner vermu- ten. Zun~ichst ergibt sich aus einer unbeglaubigten Beschreibung vom Jahre 1542 (8), daf~ der zollerische Forst ausgedehnt wurde und jetzt nicht mehr nur den Burladinger Forst, sondern den Zollerberg, das Schamental und vermutlich das Killertal links der Starzel gebannt waren, also grot~e Markungsteile der Gemeinden Boll, Stetten bei Hechingen und der Kitlertalge- meinden. Graf Jos Niklaus verbot mit der Landesordnung von 1550 das Waidwerk w~ihrend der Sonntagsgottesdienste, sein Nachfolger, Karl I. verbot es votlstiindig. Wildstand und Wildschaden wurden zur Landplage.

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Unter der Fron des Hagens verstanden die Untertanen nach altem Herkommen nur das Herrichten der ,Richtsfiitt und Richtweg ~, womit woht die Schfitzensf~nde bei der Jagd und die Zug'~nge gemeint waren. Sie bekannten sich auch zum Aufh~ingen der Jagdtficher- und game (Lappjagd). Der Herr dagegen rechnete zur Pflicht des Hagens, ein Hag oder Geh~ig mit Pfiihlen und Zaunstecken ,,urn den Wald machen~; der Forst sei yon den Untertanen so zu umz~iunen. Auferdem wurde das Ausriiumen aller Wiilder yon Geh61z und Windfiillen, die das Jagen erschweren, darunter verstanden. Die juristische Fakult~it Tfibingen bestiitigte 1703 diese Auffassung des Fiirsten weitgehend (5).

Am st~irksten litten die Untertanen unter den Jagdfronen, die rich im heranwachsenden Absolutismus innerhalb yon 200 Jahren ins v611ig Unertr~igliche entwickelt haben. Die Untertanen muften zum Jagen ,ohnweigertich ~ erscheinen, ,so oft sie dazu erfordert werden, und wohin man sie beschaiden wfirde ~ (5). Sie hatter, die ,,Wehrer ~ (Treiber) zu schicken, das Jagdzeug zu ffihren, Rfiden zu ziehen und ein oder zwei Hundezieher je Gemeinde zu halten. Bei den grofen Jagdgeseltschaften waren Pferde fiir die Hofbedienste- ten herbeizufiihren und wieder fortzuschaffen, das Wildbret zu transportieren, Wein und Verpflegung zu fahren. Selbst auflerhalb des Landes, im Hohenberger Forst, muflten die zollerischen Untertanen dieser Art dienen, ebenso in der von ihnen als frei betrachteten Pfirsch. Auferdem hatten sie ,,Gewild~icker ~ anzulegen, Heu in die Wildhfitten zu bringen und Brunftpl~itze zu schaffen.

Die Gemeinden klagen (Zitat) (5): ,,Mit der Zeit ist des Hagens und Jagens kein Ende; J~iger und Hunde find vermehrt. Hunde gibt es zuletzt 400. Die Gemeinden mfissen sie ern~ihren. Daf ein Hund stark und fett genug ist, wird in hiiufigen Visitationen geprfift. Stirbt er, muff ihn die Dorfgemeinschaft ersetzen. ~ Im 18. Jahrhundert kommt es h~iufig zu Jagdveranstaltungen, an denen 150-200 Menschen mlt 300-350 Hunden den ganzen Tag bis sp~it in die Nacht treiben mfissen. Es werden Parforcejagden selbst im Frfihling und Sommer fast bis zur Ernte durchgeffihrt. Der Bauer, der die Felder im Schweifle seines Angesichts bestellte, mug nicht nut zusehen, wie seine Ernte buchsfiiblich in den Boden getreten wird, er muff selbst dabei mitwirken. Gleichzeitig muf er, trotz dem so geschm~ilerten Ertrag, immer h6here Abgaben leisten. Diese Lage, entstanden dutch die Arroganz der Macht, war urs/ichlich ffir Unruhen, Aufsdinde und Rechtsstreitigkeiten, die 200 Jahre lang die Graf- schaft schwer erschiittern soUten. Der sich entwickelnde hochadetige Herrschaftsanspruch und die gleichzeitig minimale Machtbasis bildeten einen nicht aufzul6senden Gegensatz.

6 Jagdregal und Einschriinkung der ,,freien Pfirsch"

Die erste Landesverordnung yon 1550 enthielt jagdrechtlich widersprfichlich auslegbare Bestimmungen. BERGEMANN (2) sieht es durch geschworene Urfehden bestrafter Wilderer als erwiesen an, daft die Jagd auch auferhalb der Forsten bezfiglich des kleinen Waidwerks (Hasen, Ffichse usw.) den Untertanen ab 1550 verboten wurde. Er geht davon aus, daf bei der damatigen Jagdauffassung den Untertanen auferhalb des Forstes auch die hohe Jagd (z. B. auf Rotwild) ohne weiteres untersagt war (letzteres ist nicht eindeutig nachgewiesen). Es w'urde auch verboten in ,,Wassern und Weyhern" ohne Erlaubnis zu fischen. Eindeutig in allen Wifldern, nicht nur in den Forsten, wurde die Jagd in einer Landesordnung nach 1600 verboten. Die noch sp~tere Landesordnung yon 1698 gestattet das Waidwerk in der gesamten Grafschaft nur noch mit ausdrficklicher Genehmigung des Forstmeisters, der eigentlich ein ,,Jiigermeister ~ war. Mit dieser Bestimmung gebrauchte Ffirst Friedrich Wilhelm das Jagd- regal ffir die gesamte geffirstete Grafschaft.

Gegen die Untertanen der D6rfer dienten die landesherrliche Machtstellung, die Strafen der hohen und niederen Gerichtsbarkeit ats Mittel der Durchsetzung. Bezfiglich der privite- gierten Residenzstadt Hechingen und den ausw~irtigen Adligen, die teilweise die Pfirsch in ZoUern praktizierten, waren die Machtmittel schw~icher. I685 richter sich die Hofkanzlei nicht befehlend, sondern antragstellend an die Stadt, sie m6ge auf etliche gewisse Jahre auf

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Gebrauch und Besuch der ,,freien Piirsch ~ verzichten. Hierzu willigte die Stadt nicht ein. Sie sei auf die freie Nutzung der Piirsch, was Weide, Holz, Eicheln angehe, ohne jede Einschr~in- kung angewiesen. Der Fiirst begegnete der Ablehnung, indem er piirschende Biirger als ,,Wildere: gef~inglich festsetzen liefL 1691 gemeinsam yon der Stadt und den Gemeinden vorgetragene Proteste blieben erfolglos. Das Verbot wurde durchgesetzt. Schon 1560-1564 (5) wandte sich der Zollergraf Karl I. einerseits an den Herrn von Karpf zu Talheim, andererseits an die Piirschverwandten des Neckar-Schwarzwaldviertels, sie m6chten aus Griinden guter Nachbarschaft die Piirsch am Zollerberg, um das Schlo~ Hechingen und in den Hechinger H61zern nicht mehr aufsuchen. Diese versprachen, voriibergehend die Jagd dort nicht auszuiiben, aber nicht auf das Jagdrecht, wie es/.iberliefert sei, zu verzichten. Vollmar von Ow von Hirrtingen setzte die ihm zustehende freie Pfirsch bei Tanheim durch Anrufung des Reichskammergerichts zun~ichst rechtlich durch (2). Es ist jedoch zu vermuten, daf~ er als Lehnsmann dem zollerischen Territorialherrn gegeniiber spiiter auf andere Weise nachgeben muflte.

Durch diese Beispiele wird deutlich, daft die freie Jagd nicht ausschliefflich und streng auf die Einwohnerschaft Zollerns begrenzt war. Obwohl die Obrigkeit gegeniiber den Unterta- nen das Bestehen einer freien Pfirsch bestritt und die Ausiibung der Jagd verbot, wurde die Existenz der Freipiirsch gegeniiber Adligen und der Stadt Hechingen noch im spiiten 17. Jahrhundert eingeriiumt. Das Ziel, sie abzuschaffen, wurde so mit v6tlig gegens~itzlichen, unwahrhaftigen Argumenten und unter Ausnutzung der Psychotogie und St~irke der Macht verfolgt. Mit der Landesordnung yon 1698 schliefllich wurde dem landesweiten Verbot der Jagd das Siegel des Gesetzes aufgedriickt.

7 Aufst/inde

Der Bauernkrieg von 1525 (3) hatte die Grafschaft Hechingen nicht erreicht. Sie erlebte ihren eigenen Bauernkrieg. In einer Reihe von 15 Aufst~inden bis 1796 war der Owinger Aufstand von 1584 der erste. Die genauen Umst~inde sind nicht bekannt. Owingen, das zuerst dem Kloster St. Georgen, sp~iter den Herren von Bubenhofen (Grosselfingen) zugeh/Srte, kam erst 1539 in den Besitz der Zollern. In st. georgischer Zeit hatten die Owinger nicht zu fronen. Gegeniiber den Bubenhofen konnten sie geringe Frondienst- pflichten behaupten. Ihr damaliger Aufstand war sicher nicht gegen den feudalen Staat als solchen gerichtet, sondern diente lediglich der Erhaltung ihrer Rechte (4). Sie wurden landfliichtig. Dies galt in der Forschung, die sich mit dem b~iuerlichen Widerstand im Deutschen Reich befaflte, lange Zeit als erstes Beispiel fiir einen ,,Austritt ~ von Unter- tanen in der deutschen Geschichte. In Hohenzollern-Hechingen, in dem fast jedes Dorf ein ,,Grenzdorf ~ war (Abb. 1), sollte das Mittel des Austritts in das benachbarte ,,Aus- land" ein h~iufig vorkommendes wirksames Element des Widerstands der n~ichsten 200 Jahre werden. Die .~mter Bisingen, Grosselfingen, Weilheim und Stein emp6rten sich 1605. Ein Ausschuf~ von 70 mit Gewehren bewaffneten M~innern erschien vor dem Schlofl Hechingen. Graf Johann Georg, der die Regierung erst angetreten hatte, begab sich zu Pferde in den Haufen. Mit ~iuflerster Miihe gelang ihm die Beruhigung.

Noch tiefer erschiitterte die Revoke von 1619, die sogenannte Generatrebellion, das Land. Der Anlafl waren die zunehmend geforderten ungemessenen Fronen zum Ban der Zoller- burg. Unter den Beschwerden stand aber obenan die ,,freie P~irsch% Das ganze Fehlatal, das ganze Killertal, Beuren und Rangendingen forderten sie zuriick (5). Gefordert wurde fieie Holznutzt/ng und Weide in den Gemeinde- und Privatw~ildern und die Einschr~inkung des herrschaftlichen Schafweiderechts, das sehr ZU Lasten der Allmende ausgeweitet worden war. Uber das Herkommen hinausreichende Fronen wurden verweigert. In einer yon C~EFt (5) zitiertert, aber nicht n~er bezeichneten Denkschrift der Hofkanzlei steht geschrieben: ,Jetzt rottierten sich die Untertanen wie das unverniinftige Vieh zusammen. Sie n6tigten die Gehorsamen durch Drohungen, Streiche und Schl~ige zum Abfall (vom F/irsten) und setzten

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einen Ausschu~ ein, die sogenannte 'Landschaft'". Die Landschaft sollte als Solidarpakt der Gemeinden in der weiteren Auseinandersetzung eine ganz entscheidende Rolle spielen. Das Drama der Generalrebellion endete aber wieder wie alle bisherigen Erhebungen so, daft s~imtliche Einwohner der aufrfihrerischen Ortschaften auf Gnade und Ungnade zur Huldi- gung im Schlof~hof zu Hechingen erscheinen muflten.

Bald erreichten die Kriegswirren des Dreifligj~ihrigen Krieges das Gebiet um den Hohen- zollern. Die Burg, die sie erbaut hatten, vermochte die Untertanen nicht zu schfitzen. Im Gegenteil, sie zog Freund und Feind an. Das Land wurde zum Aufzugs- und Durchmarsch- gebiet fiir Schweden, Wiirttemberger, Kaiserliche (Osterreich) und Bayern und verfiel in v611igen Ruin.

Am Ende des Krieges war die Bev61kerung auf fast die Hiilfte zuriickgegangen. Die Einwohner besaf~en kaum noch Pferde und Vieh. Teilweise muf~ten Frauen und Kinder den Pflug ziehen. Es ist iiberliefert, dai~ sich das katholische Stetten unter Holstein und das protestantische Erpfingen noch einen gemeinschaftlichen Pflug teilten (5). Aus dieser Zeit der totalen Katastrophe beziehen sich die einzigen Regierungshandlungen, die durch Schriftstiicke der Hofkanzlei an die Dorfv6gte fiberliefert sind, auf die ,,freie Piirsch". Der eifrige Forst- und J~igermeister Hans Ludwig Teuffel yon Pihl ermahnte ffir und im Auftrag des in dieser Zeit fast dauernd abwesenden Ffirsten die Untertanen und erneuerte wiederholt alle mit der Pfirsch zusammenhiingenden Verbote. Dessen ungeachtet fibten natfirlich die Untertanen schon aus purer Not das Waidwerk. Zwischen den Gemeinden in Zotlern und im benachbarten ,,Ausland" wuchs durch die Kriegswirren gr6f~te Soli- daritiit. Als Schlatt vollstiindig abbrannte, wurde es yon Jungingen und Ringingen versorgt. Bei Requirierungen der Truppen und Plfinderungen halfen sich die Gemeinden aus. Dieser Zusammenhalt solhe sich fiber die Jahrhundertgrenze hinweg erhalten und dem Widerstand gegen die Obrigkeit eine organisierte Grundlage, Gewicht und Durchhal- tekraft verleihen.

8 Versch~irfungen und juristische Auseinandersetzung

Am 8. Oktober I699 jagte Ffirst Friedrich Wilhelm, ein despotisch und auf~ergew6hnIich lange regierender Landesherr, der das ganze Fiirstentum zu einem einzigen Jagdrevier machen wollte, bei Owingen. Die Owinger verweigerten ihm die Hilfe beim Ausgraben eines im Bau eingeschlossenen Fuchses mit dem Hinweis, ihr gfiltiger Fronbrief verpflichte sie nicht zu Jagdfronen. Die Owinger waren yon einer ganzen Reihe yon Fronen befreit, da sie sich vor Jahren schriftlich und auf ewige Zeiten gegen Bezahlung eines j/ihrlichen Frongeldes yon bestimmten Leibesfronen befreien liei~en. Der aufgebrachte FOrst lief~ sich den im Original auf dem Rathaus verwahrten Fronbrief vorlegen, gab ihn nicht mehr heraus und verlangte die Einwilligung der Gemeinde zu Fronen nach den Bedingungen aller anderen Gemeinden, das nach altem Brief abet geleistete Frongeld sollten sie zus/itzlich weiter entrichten. 34 Bfirger, die eine Anerkennung verweigerten, liefl er in den Turm auf dem Hohenzollern werfen, einer yon Ihnen sollte unter ihnen ausgewfirfelt werden und ,,hangen ~, so sie nicht unterzeichnen. Unter dem Druck dieser Umst/inde stimmte die ganze Gemeinde ZU.

Nach kurzer Zeit aber fief die so vergewaltigte Gemeinde Owingen das Reichskammer- gericht in Wetzlar an, das unter dem Habsburger Kaiser Maximilian L 1495 auf dem Reichstag zu Worms eingerichtete oberste Gericht des deutschen Reiches, vergleichbar heute etwa dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht entschied recht bald. So brutal die Rechtsverletzung des Ffirsten war, so eindeutig war der Gerichtsbefehl, den alten Rechtszustand in Owingen wieder herzustellen. Dies sollte f/.ir die weiteren Entwicklungen yon weitreichender Bedeu- tung sein.

Im Jahre 1700 traten, durch dieses Urteil ermutigt, s~imtliche zollerischen Gemeinden, mit Ausnahme yon Boll und dem in Exklave gelegenen Wilflingen zusammen und w~ihlten als

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ihre geheime Vertretung die sogenannte Landschaft. Sie schworen sich, einander schadlos zu halten und mit Leib, Gut und Blut einander zu helfen.

Sie reichten geschlossene Klage gegen ihren Fiirsten beim Reichskammergericht in Wetz- lar ein. In der 16 Punkte umfassenden Beschwerde waren Hauptklagepunkte das Verbot der ,,freien Piirsch ~ uncl die auferlegten Jagdfronen. Die anderen Punkte betrafen eine Reihe von konkret genannten Abgaben und Lasten, u. a. das Hagestolzenrecht, die Leib- und Rauch- hennenabgabe und die SchafweidenprobIematik. Diese als ,,Untertanenprozess" (Abb. 2) in die Justizgeschichte eingegangene gerichtliche Auseinandersetzung sollte fast 100 Jahre andauern. Sie wurde yon revolution~irem Widerstand begleitet, der in seiner Dramatik die bisherigen Aufst~inde iibertraf, so d ~ der totale Untergang der Grafschaft drohte. Die Tragik der Entwicklung war: 1. Das Reichskammergericht erliel~ erst 1731, nach dreit~igj~ihriger Prozefldauer, eine erste

sachliche Gerichtsentscheidung. Mit ihr wurde den Untertanen rechts der Starzel die,,freie Pfirsch ~ einger~iumt, um sie im Restitutionsurteil yon 1768 nach weiteren 37 Jahren ein fiir allemal abzuerkennen.

2. Das Reichskammergericht hatte keine Exekutionsgewalt, seine Urteile und Zwischenbe- scheide gegen den Willen des Landesherrn durchzusetzen. Es war ein reines Spruchorgan.

3. Der Landesherr schaltete friihzeitig das 2. oberste Reichsgericht, den Reichshofrat in Wien ein. Dieser erliel~ nicht mit dem Reichskammergericht abgestimmte, teils diesem wider- sprechende Entscheidungen, die vor altem die innere Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung und die St~irkung der Landeshoheit betrafen.

Die permanente Anarchie veranlaf~te den Schw~ibischen Kreis, auf Bitten des Kaisers, immer wieder Exekutionstruppen in das F/.irstentum zu fiihren. Schon bald nach Prozet~beginn (1700) kam es Iandesweit zu erneuten Revolten. Die Gemeinden jagten teilweise gemeinsam in der freien Pfirsch, ja sogar im Forst. Vom Killertal wird berichtet, wie an den Fronleich- namsprozessionen provokativ geschossen wurde. Salven, von erh6hten Punkten abgefeuert, gaben den Gemeinden des Tales das Signal zumAufbruch zur Jagd. Meist stand am Beginn solcher Jagden ein Gebet. Damit erflehten die Jagenden nicht nut die Hilfe Gottes, sondern driickten aus, dat~ sie die Rechtm~il~igkeit ihres Tuns aus dem Evangelium ableiteten. Der Bauernkrieg, den BUCKLE (3) als einen Kampf des ,,Biblizismus gegen den Feudalismus" bezeichnet, finder hier mehr als 175 Jahre sp~iter in Zollern eine Parallete.

Es kam zu Schiet~ereien mit den fiirstlichen J/igern. Aus einem ,,dunklen Tannenbusche" so wird berichtet, wurde auf den F~irsten selbst ,,schelmenhaft und m6rderisch" geschossen. 1701 fliichtete der Fiirst vor emp6rten Untertanen in sein Schlo~ (Schl6flle) nach B urladin- gen.

Den Strafmagnahmen der immer wieder ins Land gehotten Truppen des Schw~ibischen Kreises wichen die D6rfer oft durch Flucht ins Ausland aus, nachdem sie vorbeugend wertvollere Gegenst~inde bereits dort deponiert hatten. Auf~er dem schon erw~ihnten Austritt der Owinger von 1584, traten 1701 Bfirger aus allen Gemeinden, 1706 die Burladinger, 1732 die Stettener, Gauselfinger, Hausener und die Rangendinger, 1733 die yon Starzeln, Killer, Jungingen und die yon Gauselfingen, Stetten u. H., H6rschwag und 1734 die von Hausen, Grosselfingen und Gauselfingen aus (5). Bei einem Austritt verzichteten die Gauselfinger auf ihre Ernte. Meist traten nur die M~inner aus und lief~en Frauen und Kinder in den D6rfern zur/.ick.

Der Rangendinger Austritt soil 7 Monate gedauert haben (5). Die m~innliche Bev61kerung zog nach Hirrlingen und ern~ihrte sich yon dem mitgenommenen Vieh. Mit 60-70 Gewehren an der Gemarkungsgrenze stehend, verhandelten sie mit den Beamten des Fiirsten und sp~iter mit dem Ffirsten selbst. Alle gegen ihre zur/ickgebliebenen Familien und ihr verlassenes Verm6gen angedrohten Strafen konnten sie nicht zur Rfickkehr bewegen. Ihre Frauen waren es gewesen, die sie zum Austritt dr~ngten.

In einer/.iberlieferten Schrift, die CRaMER (5) nicht n~iher bezeichnet hat, heittt es:

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,,Die Weiber sind oft schlimmer als ihre M~aner". Vielleicht stand der Schreiber unter dem Eindruck der/iber 60 ,,Weiber", die 1708 ,,amazonenartig und mit Gewehren und allerlei Ger~it bewaffnet", vor den Schultheifl und den Rat (Gericht) der Stadt Hechingen zogen und mit dem Schrei: ,,Wir wollen Blut haben", die Unterstiitzung ihrer Sache einforderten. Ubrigens unterst~itzte die Biirgerschaft der Stadt Hechingen und die von Ihnen gew~ihlte Vertretung, der sogenannte Achter, die Landgemeinden stets aktiv. Sie beteiligte sich an den Aufst~inden und war durch Deputierte in der ,,Landschaft ~ und beim Gerichtsverfahren vertreten. Der vom Fiirsten eingesetzte Stadtschultheifl und der auf den Fiirsten vereidigte Rat (Zw61fer, Gericht) der Stadt Hechingen waren eher Kreaturen der fiirstlichen Kanzlei, konnten aber die Solidaritiit der Residenzstadt mit den Landgemeinden nicht verhindern.

1733 kam es in Grosselfingen mitten im Dorf zu einem regelrechten Gefecht. In Ungarn kampferprobtes Milit~ir sollte das Doff einnehmen. Die Bauem unterbrachen den Gottes- dienst, wichen zun~ichst in ihre H~iuser aus und er6ffneten aus ihren Stuben heraus und yon ihren D~ichern herunter so massiv das Feuer, daft es mehrere Tote gab und die Soldaten fl/ichten muflten. Niemand wagte es, die Militiiraktion zu wiederholen.

Durch kaiserliche Kommissionen ist immer wieder versucht worden, einen Vergleich zwischen dem Landesherrn und den Gemeinden herbeizuf/.ihren. 1774 kam es zu einer ersten Entspannung durch eine Vereinbarung mit Burladingen. Der Gemeinde wurde erlaubt, zur Reduzierung des Wildschadens Oschsch(itzen aufzustellen, die Rot- und Schwarzwild auf den biiuerlichen Fetdern auf~erhalb des Waldes, im sogenannten ()sch, abschie~en durften. Die Jagdfronen wurden vermindert und ein Waldtausch vereinbart.

Mittlerweile drohte die Kraft der Untertanen zu erlahmen, doch klagten sie 1791 erneut vor dem Reichskammergericht mit 7 Klagepunkten. Hauptanktagepunkt war diesmal der Wildschaden. Das Wildschadensproblem war mittlerweile in fast allen Staaten ein Problem geworden. Reichshofrat und Reichskammergericht wirkten generell auf eine Reduktion hin. Vermehrt wurde der volkswirtschaftliche Schaden erkannt, so daft die Advokaten der klagenden Gemeinden der Streitsache mit dem Hauptanklage- punkt Wildschaden gr6flere Erfolgsaussichten einr~iumten. Geheimes Ziel aber blieb die Wiedereinffihrung der ,,freien Piirsch ~, well man nur durch sie glaubte, die erforderliche Wilddezimierung zu erreichen. Das Endurteil lautete: Die Gemeinden haben Wildscha- densersatzanspruch. Dies wurde von den Untertanen als die Wiederaufrichtung der ,,freien Piirsch ~ ausgelegt, so daft erneute Spannungen nicht ausbleiben konnten.

9 Der Landesvergleich von 1798

Die Einft/.isse der franz6sischen Revolution, die Tatkraft des yore Schw~ibischen Kreis entsandten Regierungsrats Reufl und der Wechsel in der Regierung anf Fiirst Friedrich Hermann Otto erm6glichten schliefllich 1798 eine L6sung des Streits auf dem Verhandlungs- wege.

Nachdem 1795 bereits ein entsprechender Vergteich mit der Stadt Hechingen zustande kam, unterzeichneten der Fiirst, die V6gte, Biirgermeister und Deputierten der Landgemein- den am 26. Juni 1798 den Landesvergleich. Nur Bisingen schlog sich von dem Friedenswerk aus (5). Vielleicht erhielt deswegen ihre Fasmachtsvereinigung spiiter den Namen ,,die Nichthuldiger%

Neben der Aufhebung der Leibeigenschaft, was aber nlcht die v611ige Befreiung yon den Abgaben bedeutete, da im wesentlichen nur das Hagestolzenrecht enffiel, der Verringerung der allgemeinen Fronen und dem weitgehenden WegfaUder Hag- und Jagdfronen wurde die Jagdfrage grfindlich gel6st (2, 5). Der Punkt 11 des Landesvergleichs, die Jagdfrage, enthielt folgende Regelungen: 1. Neben dem bestehenden Fasanengarten und dem Tiergarten beim Lindich wird ein dritter

herrschaftlicher Tiergarten, ganz auf fiirstlichem Eigentum, am Hohenzollern errichtet.

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2. Alle Gattungen hohen und niederen Wildes, welche nicht eingefangen und in die Tierg~ir- ten verbracht werden k6nnen, sind innerhalb yon 7 Monaten niederzuschieflen, sohald sich einzelne Stiicke spiiren Iief~en, sind sie aufzutreiben und wegzupiirschen.

3. Die Gemeinden w~ihlen yon der Herrschaft zu beeidigende und yon den Dorfv6gten zu beaufsichtigende ,,Communsch/itzen . Sie haben die Aufgabe, auf allen Fl~ichen der Markung, aufler auf dem herrschaftlichen Besitz, aUes hohe, niedere und Federwild, ohne Riicksicht auf die Jahreszeit abzuschieflen. Eine Belohnung erhalten sie nicht. Das erlegte Wildbret geh6rt ihnen.

Das bedeutete nicht die Wiederaufrichtung der ,,freien Piirsch ~, aber den Wegfall des Forstes oder Wildbannes und faktisch den Wegfall des zollerischen Jagdregals. Ein 98-j~ihriger Rechtsstreit und eine fiber zweiJahrhunderte anhaltende revolution~e Auseinandersetzung, durch die der Grafschaft der Untergang drohte, waren durch den Landesvergleich beendet worden.

In der Folgezeit wich im Fiirstentum Hechingen das stark absolutistisch gepr~igte Verfas- sungsleben weitgehend einem liberalisierten. Mit der Einrichtung der Versammlung der Landesdeputierten (Landtag) erhielt es ein konstitutionelles Staatssystem (1). Erst 1850 gab Hohenzollern-Hechingen seine Souveriinit~it freiwillig auf und bildete seit dieser Zeit ge- meinsam mit Hohenzotlern-Sigmaringen den Regierungsbezirk Hohenzollern innerhalb Preuigens, der nach dem 2. Weltkrieg im Bundesland Baden-Wiirttemberg aufging.

t837 erliefl das Fiirstentum Hechingen ein erstes Forstgesetz, das bereits der volkswirt- schaftlichen Bedeutung moderner Forstwirtschaft entsprach. Das sp~itere Gemeindeforstge- setz und das Feld- und Forstpolizeigesetz fiir Hohenzollern stammten aus preuffischer Zeit und waren bis zum Inkrafttreten des Landeswaldgesetzes fiir Baden-Wiirttemberg im Jahre 1976 giiltig.

So entwickelte sich das Forstregal in Zollern wie iiberall zur staatlichen Forsthoheit, das Jagdregal zur Jagdhoheit. Die Basis des Jagdrechts bis heuts sollte ab 1848 die Eigentumsjagd werden.

Z u s a m m e n f a s s u n g

Die herrenlosen W~ilder, C)den und GewSsser bezeichneten die Karolinger als ,,forestis" (Forst). In solchen Rechtsbezirken hatte der K6nig das Recht, die Verwaltung und Nutzung zu regeln, beson- ders auch das Jagd- und Fischereirecht. Er f6rderte mit Hilfe dieses Vorrechts die Binnenkotonisation und Landesentwicklung. Das sp~iter ats Forst- und Jagdregal bezeichnete Hoheitsrecht ging in Deutschland im Mittelalter weitgehend auf die Landesherrn fiber. Sie nutzten es im sich entwickeln- den Feudalismus meist exzessiv auch als Einnahmequelle ffir die Hofhaltung und zum herrschaftli- chen Jagdvergnfigen. Die Freipfirschgebiete, in denen nach altem germanischem Herkommen die Nutzung der W~ilder und Gew~isser, der Jagd und der Weiden den Untertanen in der Autonomie der Allmende zustand, wurden dadurch zunehmend eingeschr~inkt oder ganz aufgehoben. Die Wildst~in- de wuchsen ins Unertr~igliche. In der geffirsteten Grafschaft Hohenzollern-Hechingen kam es darfiber im 17. und 18. Jahrhundert zu erbittert geffihrten revolution~iren Auseinandersetzungen und zu dem ,,Untertanenprozess", der vor den h6chsten Reichsgerichten fast 100 Jahre lang anhiingig war und so in die deutsche Rechtsgeschichte einging. Am Beispiel des zollerischen Kleinterritoriums vermittelt die historische Betrachtung des Kampfes um die ,,freie Piirsch" Einblicke in die territo- rialen, 6konbmischen und juristischen Verh~ilmisse jener Zeit, in die Krise des Agrar- und Feudal- staats und die Entwicklung yore mittelaltertichen Forst- und Jagdregal zur staatlichen Forst- und Jagdhoheit heutiger Auspr~igung.

S u m m a r y

Afforestation and the battle for "free hunting" in the Duchy Hohenzollern-Hechingen The Carolingians designated the unowned forests, waste places, and waters as "forestis" (forest). In such legally defined areas the king had the right to determine their management and use, particularly hunting

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and fishing rights. Using this prerogative, he promoted the colonization of the interior and the development of the country. This sovereign right, later termed forest and hunting right (Forst- und Jagdregal), was then transferred in large part to the ruling lords in Germany during the Middle Ages. In the developing feudal system, they mainly used it excessively as a source of personal income and for their hunting pleasure. According to traditional German custom, the subjects were entitled to the use of the forests and waters as well as hunting and pasturage as passed down in the autonomy of the common land as the ,,free hunting ~ areas. These were increasingly encroached upon or completely taken over by the ruling sovereigns. As a result game populations increased intolerably. In the duchy of Hohenzollern-Hechingen bitter revolutionary uprisings ensued in the 17th and 18th centuries culmina- ting in the "Subordinates Case" which was arbitrated by the highest courts for almost 100 years and thus was recorded in the German history of law. The historical review of the struggle over the "free hunting" areas using the example of the small territory of the Zollern provides an insight into the territorial, economic and legal circumstances of those times, as well as into the crisis of the agricultural and feudal state and the evolution of the hunting and forest laws of the Middle Ages to those of modern times. Transl . : PHYLLIS KASPER

R~sum~

L 'afforestation et la revendication de la libert~ de ta chasse ~ l'approche dans la Principautd de Hohen- zollern-Hechingen

Les Carolingiens d~signaient les for&s, incultes et plans d'eau banaux par le terme "forestis" (for&). Dans de tels arrondissements judiciaires, le Souverain avait le droit de r~gler l'administration et l'usage de ces biens en ce compris le droit de chasse et le droit de p&he. En usant de cette prerogative, le d&eloppement des terres et leur colonisation int~rieure s'en voyaient favoris~s. Au Moyen-Age, en Allemagne, ce droit souverain, appel~ ult~rieurement droit r~galien, passa pour l'essentiel aux mains des seigneurs. Ceux-ci, au fur et ~ mesure que se d~veloppait la f~odalit~, abus~rent le plus souvent de ce droit pour assurer leur train de vie et leurs divertissements cyn~g&iques. Les territoires of 1 la chasse ~ l'approche s'exercait librement et dans lesquels, selon l'ancienne tradition germanique, l'usage des for&s, des eaux, de la chasse et du p~turage contribuait ~ l'autonomie communale des sujets, furent ainsi soumis ~ des restrictions croissantes ou furent m~me compl&ement supprim~s. Les populations animals se multipli~rent de fa~on excessive. Dans le comt6 princier de Hohenzol- lern-Hechingen, on en vint m~me, au cours des 17 eme et 18 ~me si&les,/* des conflits rtvolutionnaires ments avec hargne ainsi qu'/t des "proc~s de sujets"; ceux-ci se prolong&ent pendant pros d'une centaine d'anntes devant les plus hautes juridictions de l'Empire tant et si bien qu'ils entr~rent dans l'histoire du droit allemand. L'exemple de combat historique men6 pour la lib6ralisation de la chasse l'approche que nous donne le petit territoire de Zolle donne un &lairage sur les rapports territoriaux, &onomiques et juridiques de l'tpoque, sur la crise de l'&at agraire et de l'&at ftodal ainsi que sur l'tvolution du droit rtgalien forestier et cyn~g&ique du Moyen-Age vers le concept actuel de l'autorit6 foresti~re et cyndg&ique d'un &at. Trad.: S. A. DE CROMBRUGGHE

Literatur

(1) ADELMANN YON ADELMANNSFELDEN, 1899: Die Grundlagen der Verfassung und des Verwaltungs- systems der hohenzotlerischen Fiirstentfimer. Greifswald: Dissertation juristische Fakult~it Uni- versit~t Greifswald.

(2) BERGEMANN, U., 1964: Die Geschichte der landesberrlichen Jagdhoheit in der Grafschaft Zollern. Hohenz. Jahreshefte 24, 133-297.

(3) BLICKLE, P., 1993: Die Revolution yon 1525. Miinchen: R. Oldenbourg Verlag. (4) BUMILLER, C., 1994:900 Jahre Owingen-,,Aufwiegler, Aufriihrer u. Rottierer? ~ Hohenz. Heimat

Nr. 4/Dezember I994. (5) CRAMER, J., 1873: Grafschaft Hohenzollern 1400-1850, ein Bild sfiddeutscher Volkszust~inde.

Heimatb/icherei Hechingen. (6) IMMEL, R., 199t: Uber die geschichtliche Bedeutung der mittetattertichen Bannforstverleihungen.

Forst und Holz 46, 1991, 703-707. (7) KASPERS, W., 1959: Zur Geschichte des Begriffes und Wortes Forestris ,,Forst". Forstarchiv 30,

130-133. (8) Kv.Aus, J., 1940: Freibirsch und zotlerischer Forst. Hohenz. Jahreshefte 7, 1-57. (9) LINDNER, K., 1940: Die Jagd im friihen Mittelalter. Berlin: Walter de Gruyter & Co.

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(10) SCHHFFELE, M., 1993: Uber die Forstverfassung der Franken. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung 164, 221-224.

(11) SEMMLER, J., 1991: Der Wald in Mittelalter und Renaissance - Der Forst des K6nigs. Diisseldorf: Droste Verlag.

(12) WAGNER, 1876: Jagdwesen in Wiirttemberg unter den Herz6gen. Tiibingen: ehemals Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung.

Anschrift des Autors: Prof. H.-K. SCHULER, Fachhochschule Rottenburg - Hochschule fiir Forstwirt- schaft - Schadenweilerhof, D-72108 Rottenburg