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Andreas Schmidt: Die Energetik des Taijiquan Seite 1 Theoriearbeit von Andreas Schmidt zur Taiji-Lehrer-Prüfung 2015 Die Energetik des Taijiquan Gliederung: Einleitung Energiefluss im Taijiquan Erklärungsmodelle für „Energiefluss Meridiane und Sondergefäße Die 4 Energiekreisläufe der Sondergefäße und ihre Bedeutung im Taijiquan, eine Hypothese Zusammenfassung Literatur Anhang: Einige Punkte der Sondergefäß-Kreisläufe Einleitung „Die Energetik des Taijiquan“ ist ein Thema, dass mich schon seit vielen Jahren beschäftigt. Nach dem wir in der „Stehenden Säule“ unseren Körper ausgerichtet und den Geist zur Ruhe gebracht haben lernen wir in den „Seidenübungen“, äußere Bewegung und inneren Energiefluss miteinander in Einklang zu bringen. In den „Formen“ wird diese ganzheitliche innere und äußere Bewegung dann variiert und schließlich in den „Schiebenden Händen“ sowie der Selbstverteidigung zur Anwendung gebracht. Aber was ist dieser „Energiefluss“ eigentlich? Und wo genau fließt er entlang? Ich versuche hier diesem Thema auf den Grund zu gehen. Basierend auf mündlichen Unterweisungen unserer Taijiquan-Meister und Ausbilder, meinem beruflichen Wissen als Heilpraktiker (insbesondere aus der Akupunktur und Akupunktmassage), meinen Erfahrungen im Tao-Yoga (heute „Universal Tao“) nach Mantak Chia, Literatur und dem Erspüren im eigenen Körper habe ich ein Konzept entwickelt, das ich hier als Hypothese vorstellen möchte. Ich gehe von einer 3-dimensionalen Bewegung um das Körperzentrum („Dantian“) aus (3 Kreisläufe). Entlang der Mittelachse des Körpers (Wirbelsäule) gibt es zusätzlich sinkende und steigende Bewegungen.

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Theoriearbeit von Andreas Schmidt zur Taiji-Lehrer-Prüfung 2015

Die Energetik des Taijiquan Gliederung:

Einleitung

Energiefluss im Taijiquan

Erklärungsmodelle für „Energiefluss“

Meridiane und Sondergefäße Die 4 Energiekreisläufe der Sondergefäße und ihre Bedeutung

im Taijiquan, eine Hypothese

Zusammenfassung

Literatur Anhang: Einige Punkte der Sondergefäß-Kreisläufe

Einleitung

„Die Energetik des Taijiquan“ ist ein Thema, dass mich schon seit vielen Jahren beschäftigt.

Nach dem wir in der „Stehenden Säule“ unseren Körper ausgerichtet und den Geist zur Ruhe gebracht haben lernen wir in den „Seidenübungen“, äußere Bewegung und inneren Energiefluss miteinander in Einklang zu bringen. In den „Formen“ wird diese ganzheitliche innere und äußere Bewegung dann variiert und schließlich in den „Schiebenden Händen“ sowie der Selbstverteidigung zur Anwendung gebracht.

Aber was ist dieser „Energiefluss“ eigentlich? Und wo genau fließt er entlang?

Ich versuche hier diesem Thema auf den Grund zu gehen. Basierend auf mündlichen Unterweisungen unserer Taijiquan-Meister und Ausbilder, meinem beruflichen Wissen als Heilpraktiker (insbesondere aus der Akupunktur und Akupunktmassage), meinen Erfahrungen im Tao-Yoga (heute „Universal Tao“) nach Mantak Chia, Literatur und dem Erspüren im eigenen Körper habe ich ein Konzept entwickelt, das ich hier als Hypothese vorstellen möchte.

Ich gehe von einer 3-dimensionalen Bewegung um das Körperzentrum („Dantian“) aus (3 Kreisläufe). Entlang der Mittelachse des Körpers (Wirbelsäule) gibt es zusätzlich sinkende und steigende Bewegungen.

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Schematisch sieht das so aus:

Ich habe die Kreisläufe, das Zentrum und die Achse jeweils farblich gekennzeichnet, und behalte diesen „Farbcode“ im gesamten weiteren Text zur besseren Orientierung bei:

Den seitlichen Kreislauf in blau

Den Vor- / Rückläufigen Kreislauf in rot

Den horizontalen Kreislauf in grün

Die Mittelachse in orange

Und das Zentrum in gold.

Auf die menschliche Körperform bezogen entsteht daraus dieses Bild:

Der seitliche Kreislauf läuft an Innen- und Außenseiten der Arme

und Beine entlang.

Der Vor- / Rückläufige Kreislauf fließt an vorderer und hinterer Mittellinie entlang.

Der horizontalen Kreislauf bildet einen Gürtel.

Die Mittelachse verläuft im inneren des Rumpfes.

Das Zentrum wird durch das Dantian gebildet. Im länglichen Rumpf gibt es eigentlich 3 Dantian (im Unterbauch, Brustkorb und Kopf), das untere bildet zugleich den Masseschwerpunkt und ist deshalb im Taijiquan von besonderer Bedeutung.

Das entspricht genau dem Energiesystem der „8 Sondergefäße“ aus der

Traditionell Chinesischen Medizin und der daoistischen Alchemie.

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Detaillierter betrachtet werden die Kreisläufe noch etwas komplexer:

Der seitliche Kreislauf ist hier genauer zu sehen.

Der Vor- / Rückläufige Kreislauf bekommt, um im Taijiquan wirken zu können, „Nebenäste“ in Armen und Beinen: In den Armen bedient er sich der Linien des seitlichen Kreislaufs. In den Beinen verlaufen seine Linien vorne und hinten.

Der Gürtel des horizontalen Kreislaufs verbindet den seitlichen Kreislauf mit dem Vor- / Rückläufigen und dem Dantian.

Die Mittelachse ist hier nicht zu sehen, da innen liegend. Um wirken zu können, kann ihre Kraft sich in den Armen ebenfalls der Linien des seitlichen Kreislaufs bedienen. Mit der Erde ist er durch eine Linie im inneren der Beine verbunden.

Das Zentrum liegt ebenfalls tief im Inneren und ist hier nur angedeutet.

Weitere Details zu den genauen Verläufen und zum Wesen dieser Kreisläufe, sowie zu ihrem Bezug zur Traditionellen Chinesischen Medizin und zur „Inneren Alchemie“ des Daoismus gebe ich in einem späteren Kapitel.

Zunächst aber werde ich das Zusammenspiel von äußerer Körperbewegung und innerem Energiefluss an Hand von Beispielen beschreiben.

Da dieser Text eine Hypothese meinerseits darstellt, ist er als Anregung zur Diskussion und zum Nachspüren und –denken der Leser gedacht. Insbesondere folgende Inhalte sind meine eigenen Spekulationen und entsprechen deshalb nicht unbedingt der aktuellen WCTAG-Lehrmeinung:

- Horizontaler Energiekreislauf - Sinkende / steigende Energiebewegung - Zuordnung der Energiekreisläufe des Taijiquan zu denen der Sondergefäße der TCM

bzw. daoistischen Alchemie Über Rückmeldungen würde ich mich sehr freuen!

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Energiefluss im Taijiquan:

1) SEITLICHER ENERGIE-KREISLAUF:

Dieser Energiekreislauf stellt die wichtigste Basis in der Energiearbeit des Chen-Taijiquan dar.

Ich beschreibe hier die BEIDHÄNDIGE SEIDENÜBUNG in der Ausführung ohne Schritte und mit dem linken Fuß vorne. Der Einfachheit halber überspringe ich die 5 Phasen der Einleitung und beginne in der Ausgangsstellung.

PHASE 1 „HEBEN, DREHUNG NACH LINKS, INNERER WECHSEL“ Bewegung: a) Drehung: Das Gewicht bleibt zu 60% auf dem (vorderen) linken Fuß. Nachgeben in beiden Hüftgelenken, Hüftdrehung um 45° nach links. Knie und Füße bleiben (äußerlich) unbewegt, dabei (und in allen weiteren Drehungen) entsteht eine Spiralspannung in den Beinen. Der Rumpf ist jetzt nach vorne ausgerichtet. Beide Hände steigen durch die Drehung „schraubend“ (als würden sie einem großen Gewinde um unseren Rumpf herum folgen) auf Schulterhöhe. Der linke Ellenbogen dreht nach unten, bleibt auf Höhe des Rippenbogens, die Handfläche zeigt nach vorne. Der rechte Ellenbogen dreht nach rechts und steigt auf Schulterhöhe, die Handfläche zeigt nach unten, das Handgelenk bleibt bei der Drehung vor der Körpermittellinie. Beide Hände bewegen sich dabei, und in allen weiteren Phasen, spiralförmig. b) Entspannen und sinken (innerlich); vertikale Gewichtung.

Energiefluss linker Arm: a) Die Energie fließt spiralförmig von der Hand zum Ellenbogen b) weiter über die Arminnenseite zum Rumpf. Am Rumpf seitlich-vorne zur Leiste / Hüftgelenk.

Energiefluss rechter Arm: a) Die Energie fließt vom Dantian (Körperzentrum, unter dem Bauchnabel im Inneren) nach hinten zu Mingmen (LG*4, unter dem 2. Lendenwirbel), b) die Wirbelsäule hoch zum 7. Halswirbel (LG 14).

Energiefluss linkes Bein: a) Das Gewicht „sinkt“ weiter abwärts, wir drücken uns jedoch dabei schon etwas in einer spiraligen Spannung vom Boden ab, so dass die Energie (von der Erde reflektiert) außenseitig-hinten zum Knie aufsteigt. b) Ebenso weiter zur Hüfte (seitlich).

Energiefluss rechtes Bein: a) Die Energie fließt vom Dantian nach vorne (KG 6) b) runter zum Damm (KG*1).

*: KG = Konzeptionsgefäß, LG= Lenkergefäß. Sondergefäße der Akupunktur / chinesischen Medizin.

Eine Punkteübersicht gibt es hinten im Anhang.

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PHASE 2 „GEWICHTUNG NACH HINTEN, ÄUSSERER WECHSEL“ Bewegung: a) Gewichtung: Wir „öffnen“ (entspannen) rechts in der Leiste und verlagern das Gewicht zu 60% auf den (hinteren) rechten Fuß. Die linke Hand bleibt dabei in ihrer Position zum Rumpf (fast)unverändert, die linke Handfläche dreht nach oben. Die rechte Hand bewegt sich nach rechts, die Handfläche dreht sich nach außen. b) Auf die Verlagerung folgt ein „geradedrehen“ in die der Fußstellung entsprechende diagonale Position, 45° nach links. Die rechte Hand setzt ihre Bewegung nach rechts fort, bis der Arm eine Position im 135°-Winkel zur Schulterachse erreicht hat.

Energiefluss linker Arm: a) Die Energie fließt von der Hüfte von vorne (über KG 6) ins Dantian, erste Hälfte b) zweite Hälfte dieser Strecke.

Energiefluss rechter Arm: a) Die Energie fließt nach außen über die Schulter zum Ellenbogen b) weiter spiralig zur Handfläche (Laogong, KS* 8) und zu den Fingerspitzen (besonders im Mittelfinger).

Energiefluss linkes Bein: a) Die Energie fließt hintenherum über Mingmen ins Dantian, erste Hälfte b) zweite Hälfte dieser Strecke.

Energiefluss rechtes Bein: a) Die Energie fließt über die Leiste die Beininnenseite hinab zum Knie (innen) b) und weiter zum Fuß, Innenseite, Sohle (Verwurzelung, Ni*1).

*: KS= Kreislauf-Sex-Meridian, Ni= Nieremeridian.

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PHASE 3 „SINKEN, OPTIONALE DREHUNG NACH RECHTS, INNERER WECHSEL“ Bewegung: a) Drehung: Das Gewicht bleibt (zu 60%) auf dem (hinteren) rechten Fuß. Nachgeben in beiden Hüftgelenken, optionale Hüftdrehung um maximal 20° nach rechts. Beide Hände sinken durch die Schwerkraft (evtl. unterstützt durch die Hüftdrehung) auf Höhe des Rippenbogens. Der linke Ellenbogen dreht nach links, bleibt auf Höhe des Rippenbogens, die Handfläche zeigt nach unten. Der rechte Ellenbogen dreht nach unten und sinkt auf Höhe des Rippenbogens, die Handfläche zeigt nach vorne. b) Entspannen und sinken (innerlich); vertikale Gewichtung.

Energiefluss linker Arm: a) Die Energie fließt vom Dantian nach hinten zu Mingmen, b) die Wirbelsäule hoch zum 7. Halswirbel

Energiefluss rechter Arm: a) Die Energie fließt spiralförmig von der Hand zum Ellenbogen b)weiter über die Arminnenseite zum Rumpf. Am Rumpf seitlich-vorne zur Leiste / Hüftgelenk.

Energiefluss linkes Bein: a) Die Energie fließt vom Dantian nach vorne (KG 6) b) runter zum Damm (KG*1).

Energiefluss rechtes Bein: a) Das Gewicht „sinkt“ weiter abwärts, wir drücken uns jedoch dabei schon etwas in einer spiraligen Spannung vom Boden ab, so dass die Energie (von der Erde reflektiert) außenseitig-hinten zum Knie aufsteigt. b) Ebenso weiter zur Hüfte (seitlich).

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PHASE 4 „GEWICHTUNG NACH VORNE, ÄUSSERER WECHSEL“ Bewegung: a) Gewichtung Wir „öffnen“ (entspannen) links in der Leiste und verlagern das Gewicht zu 60% auf den (vorderen) linken Fuß. Die linke Hand bewegt sich nach links, die Handfläche dreht sich nach außen. Die rechte Hand bleibt dabei in ihrer Position zum Rumpf (fast)unverändert, die rechte Handfläche dreht nach oben. b) Auf die Verlagerung folgt ein „geradedrehen“ in die der Fußstellung entsprechende diagonale Position, um max. 20° nach rechts. Die linke Hand setzt ihre Bewegung nach links fort, bis der Arm eine Position im 135°-Winkel zur Schulterachse erreicht hat.

Energiefluss linker Arm: a) Die Energie fließt außen über die Schulter zum Ellenbogen b) weiter spiralig zur Handfläche (Laogong) und zu den Fingerspitzen.

Energiefluss rechter Arm: a) Die Energie fließt von der Hüfte von vorne (über KG 6) ins Dantian, erste Hälfte b) zweite Hälfte dieser Strecke.

Energiefluss linkes Bein: a) Die Energie fließt über die Leiste an der Beininnenseite hinab zum Knie (innen) b) und weiter zum Fuß, Innenseite, Sohle(Verwurzelung).

Energiefluss rechtes Bein: a) Die Energie fließt hintenherum über Mingmen ins Dantian, erste Hälfte b) zweite Hälfte dieser Strecke.

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KOORDINATIONSMUSTER DES ENERGIEFLUSSES im seitlichen

Energiekreislauf:

Schematische Darstellung des seitlichen Energiekreislaufs:

Die 4 „Blütenblätter“ stellen die Energieschlaufen in Armen und

. Beinen dar.

In der Mitte das Dantian, in dem die Schlaufen zusammenlaufen.

Es ergeben sich also 4 Energieschlaufen (rechter und linker Arm / rechtes und linkes Bein),

die alle im Körperzentrum, dem Dantian, zusammenlaufen. Wenn wir diese vergleichen,

fällt auf, dass die Energie im gleichseitigen Arm und Bein parallel verläuft. Dies entspricht

dem „Weisanhe“, den 3 äußeren Harmonien: Schulter und Hüfte verbinden sich, Ellenbogen

und Knie verbinden sich, Hand und Fuß verbinden sich.

Diagonal verbunden dagegen ergeben sich durch den gesamten Körper verlaufende

Kraftlinien auf der die Energie von der Erde (als statische Unterstützungsfläche) durch das

Körperzentrum und die Wirbelsäule in die Hand fließt. Durch diese Mechanik erhalten Stoß-

und Schlagbewegungen ihre Kraft, entsprechend dem alten Taiji-Spruch „Die Energie kommt

aus der Erde, entwickelt sich in den Beinen, wird gelenkt durch die Hüfte und wirkt durch

die Hände.“ Wenn wir der Handbewegung (links) in Phase 4 einen Widerstand

entgegensetzen, können wir diese Kraftlinie gut spüren und testen. In Umgekehrter Richtung

kommt sie bei nachgebenden und ziehenden Anwendungen zum Einsatz, wenn die

gegnerische Kraft in die Erde abgeleitet wird. Die Verbindungen des Weisanhe kommen hier

nicht durch Gleichzeitigkeit, sonder durch funktionellen Zusammenhang zum Ausdruck.

Wenn wir die Figuren der Handformen auf diese Kraftlinien hin untersuchen, entdecken wir

viele Variationsmöglichkeiten: Die Kraftlinie kann statt diagonal auch einseitig verlaufen. So

fließt Sie bei „Die Hand verdeckt Arm und Faust“ vom rechten Fuß über Dantian in die rechte

Hand. Bei „Den Kopf in die Hände nehmen und den Berg schieben“ wird beides kombiniert:

Energiefluss vom hinteren Bein in beide Arme. Bei Tritten verläuft die Kraftlinie von einem

Fuß über Dantian in den anderen („Seidenübung mit dem Bein“, „Mit der Ferse treten“).

Der genaue Verlauf der Kraftlinie in Unterarm und Hand ist Variabel und hängt von der

„Körperwaffe“ ab, mit der getroffen wird (Handfläche / Faust / Handkante / Fingerspitze…).

Die Spiralbewegung der Arme ermöglicht diese Flexibilität, Und verstärkt die Wirkung

(Bohrer-Prinzip). In der „Bohrenden Seidenübung“ wird dieses Prinzip besonders betont. In

der „Hinteren Seidenübung“ betonen wir dagegen, durch größere Hüftdrehungen, die

Beinspiralen, in denen wir, wie in Spiralfedern, Spannung für die Folgebewegung aufbauen.

So kann sich die Bewegung nicht „totlaufen“ (fast ein „Perpetuum Mobile“).

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In dem Waffenformen verlängert sich die Kraftlinie durch die Waffe

hindurch.

Auch Abkürzungen sind möglich, wenn die Energieübertragung auf den

Gegner bereits auf halbem Wege

stattfindet (Anwendungen

„Schulterstoß“, „Ellbogenstoß“).

Hinzufügung von Schritten: In der „beidhändigen Seidenübung mit Vorwärtsschritten“

werden die Schritte immer in den Phasen 2b und 4b ausgeführt, wenn das Bein durch die

Verlagerung bereits vom Gewicht befreit ist und durch die Hüftdrehung einen

Bewegungsimpuls bekommt. Eine weitere Möglichkeit besteht in den Phasen 1 und 3, unter

den gleichen Voraussetzungen („Seidenübung mit Rückwärtsschritten“, „3-facher

Vorwärtsschritt“).

Bei Verwendung von Schritten ist die Kraftlinie in der Endposition nicht als statische Linie

deutlich, funktionell aber genauso vorhanden; die Kraft wird über eine Beschleunigung der

Körpermasse von den Beinen an die Arme weitergeleitet, also auf mehr dynamische Art und

Weise. Die gilt entsprechend auch für Sprünge.

Wenn wir die Mechanismen der Kraftentwicklung zusammenfassen, kommen wir auf

folgende Faktoren: Eine sich von der Erde abdrückende Ganzkörperkraftlinie, von

Muskelschlingen bewegt und von einem optimal ausgerichteten Skelett gestützt; Die

beschleunigte Körpermasse; die Schwerkraft (das „Sinken“ des Körpers wird in die Arme

weitergeleitet); durch Beckenrotation entstehende Zentrifugal- und Zentripetalkräfte, die

sich als „Druck und Zug-Prinzip“ (Scherkräfte) auch ergänzen können; das „Bohrerprinzip“

der Armrotationen, die Spiralspannung der Beine; die Ausrichtung und Koordination der

Ganzkörperbewegung vom Körperschwerpunkt, Dantian, aus, in dem alle Bewegungsimpulse

beginnen („Centermovement“), durch 3-dimensionale Bewegung des Beckens (als Becken-

Mittelpunkt genauer gesagt des Kreuzbeins); dadurch, dass die Zentrumsbewegung den

Extremitäten (minimal) vorauseilt, entsteht zusätzlich ein „Peitschenschlageffekt“.

Im Zusammenspiel mit dem „Gegner“ kommen weitere Faktoren hinzu, z.B.: Timing (z.B.: „Der Gegner bewegt

sich nicht - ich bewege mich auch nicht. Der Gegner bewegt sich – ich bin schon da.“) , Distanz, „Kleben“,

Vorwärtsdruck, (dem Gegner seinen Bewegungs-) Raum nehmen, Kontrolle des gegnerischen Schwerpunkts,

immer auf die gegnerische Zentrallinie zielen (nicht auf Arme / Beine), Flexibilität, „Kraft hören-verstehen-

ableiten-hinzufügen“, Yin-Yang-Prinzip (Nachgeben gegen Druck, Folgen gegen Zurückweichen..), Weichheit

und Härte, „Lücken“ in der Abwehr erkennen, Beinarbeit und günstige Positionierung (Linien und Winkel),

überlegene geistige Haltung (Ruhe, Wachheit, Entschlossenheit, Überraschung, Projektion, Pokerface,

Strategie..) …

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2) VOR-/ RÜCKLÄUFIGER KREISLAUF. Dies ist der zweitwichtigste Kreislauf der Energiearbeit des Chen-Taijiquan. Mit seitlichem und vor- bzw. rückläufigem Kreislauf sowie Kombinationen daraus lassen sich bereits nahezu alle Taiji-Bewegungen verstehen. Ich beschreibe hier die beidhändige Ausführung der KLEINEN SEIDENÜBUNG, VORLÄUFIGER KREISLAUF

a) einfache / normale Version

Die Hände sind seitlich an der Taille, Handflächen zeigen nach oben, die Finger nach vorne. Das Becken wird leicht nach hinten gezogen. Die Beine werden etwas gestreckt. Gleichzeitig werden die Handgelenke über hinten angehoben, die Handflächen drehen zum Körper, die Finger nach unten.

Die Energie fließt die Wirbelsäule hoch und bis zum Scheitelpunkt. Die Arme / Hände werden parallel dazu „mit gewirbelt“.

Das Becken wird leicht nach vorne geschoben. Die Beine werde etwas gebeugt, der Körper sinkt. Gleichzeitig gehen die Handgelenke über vorne nach unten, die Handflächen drehen nach oben, die Finger nach vorne.

Die Energie fließt an der vorderen Mittellinie herab. Die Arme / Hände werden parallel dazu „mit gewirbelt“.

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Schematische Darstellung des vor- / rückläufigen Energiekreislaufs:

Ich stelle mir bei der einfachen Version 3 parallellaufende Räder auf einer gemeinsamen Achse vor: In der Mitte der Kleine Energiekreislauf am Rumpf, seitlich mitschwingend die Hände. Die Achse verläuft durch Dantian.

b) komplexe Version

Die Hände sind seitlich an der Taille, Handflächen zeigen nach oben, die Finger nach vorne. Das Becken wird leicht nach hinten gezogen. Die Beine werden etwas gestreckt. Gleichzeitig werden die Handgelenke über hinten angehoben, die Handflächen drehen zum Körper, die Finger nach unten.

In den Beinen fließt Energie an der Vorderseite nach oben. Am Rumpf fließt die Energie die Wirbelsäule hoch und bis zum Scheitelpunkt. Gleichzeitig von den Händen über die Arme zurück zu Dantian.

Das Becken wird leicht nach vorne geschoben. Die Beine werde etwas gebeugt, der Körper sinkt. Gleichzeitig gehen die Handgelenke über vorne nach unten, die Handflächen drehen nach oben, die Finger nach vorne.

In den Beinen fließt Energie an der Rückseite nach unten. Die Energie fließt an der vorderen Mittellinie herab. Gleichzeitig in den Armen (außenseitig, wie beim seitliche Kreislauf) zu den Händen herab.

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Erklärung: Wenn man die Energiebewegung detaillierter „unter die Lupe nimmt“, kann man zusätzlich den Verlauf in Armen und Beinen beschreiben. Die Kraft entsteht durch ein vom Dantian initialisiertes Heben und Senken in den Beinen, durchfließt Dantian und Rumpf (mittig vorne / hinten) und wird in die Arme weitergeleitet – und zurück über Dantian in die Beine. Als Vorstellungsbild beim Üben finde ich diese Version allerdings eher zu kompliziert.

RÜCKLÄUFIGER KREISLAUF Der Bewegungsablauf stellt die genaue Umkehrung des vorläufigen Kreislaufs dar: Die Hände drehen sich vorne hoch und hinten runter, der Kreis geht also andersherum. Der Energiefluss läuft ebenfalls andersherum:

In der einfachen Version drehen die 3 Räder rückwärts: Vorne hoch, hinten runter.

In der komplexen Version fließt die Energie an der Rückseite der Beine hoch, vorne über Dantian den Rumpf mittig rauf, vom Mittelpunkt der Brust außenseitig durch die Arme zu den Händen und innenseitig zurück, über den 7. Halswirbel und den Rücken hinab, erneut an Dantian vorbei und vorne die Beine herunter zur Erde.

VARIANTE: Das Heben der Hände kann auch durch ein senken des Körper initiiert werden: - die Handgelenke nach hinten zu heben (Vorläufiger Kreislauf) kann ich auch die Leisten entspannen, und vorne „lösen“, die Energie fließt dabei (wie bei der „normalen“ Version) am Rücken aufwärts. - Um die Handgelenke nach vorne zu heben (Rückläufiger Kreislauf) kann ich mich nach hinten „setzen“ (Kreuzbein senken), die Energie fließt dabei (wie bei der „normalen“ Version) am Rumpf vorne aufwärts. Diese Variante erleichtert es in den Anwendungen, beim Heben der Hände trotzdem tief und „verwurzelt“ stehen zu bleiben.

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3) HORIZONTALER ENERGIEKREISLAUF (EINE HYPOTHESE!!): Ich beschreibe hier die SEIDENÜBUNG MIT DEM BEIN / „BEINSPIRALE“. a) EINFACHE VERSION

IM UHRZEIGERSINN: Bewegung: Mit dem Becken machen wir kleine Kreise im Uhrzeigersinn. Das Standbein bleibt unbewegt, der waagerechte Oberschenkel des Spielbeines ebenso; der Fuß (und Unterschenkel) schwingt mit der Beckenbewegung parallel mit.

Die Energie fließt Im Becken in einem horizontalen Kreis im Uhrzeigersinn, im mitschwingenden Spielbein entsteht dadurch ebenso ein horizontaler Energiekreis.

GEGEN DEN UHRZEIGERSINN: Bewegung: Mit dem Becken machen wir kleine Kreise gegen den Uhrzeigersinn. Das Standbein bleibt unbewegt, der waagerechte Oberschenkel des Spielbeines ebenso; der Fuß (und Unterschenkel) schwingt mit der Beckenbewegung parallel mit.

Die Energie fließt Im Becken in einem horizontalen Kreis im Gegenuhrzeigersinn, im mitschwingenden Spielbein entsteht dadurch ebenso ein horizontaler Energiekreis.

Schematische Darstellung der einfachen Version der Beinspirale:

Auf dem Standbein rotiert das Becken gürtelförmig um Dantian. Der

Oberschenkel gibt die Kraft (wie eine Pleuelstange) zum Knie weiter, so

dass der Fuß parallel zum Becken mit rotiert.

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Weitere Beispiele für die Beteiligung des horizontalen

Energiekreislaufes sind DREHBEWEGUNGEN DES GESAMTEN KÖRPERS

wie „Mit dem Rücken schnell ausweichen“, „Die Jadefrau wirft das

Weberschiffchen“, „Treten wie ein Wirbelwind“ „Mit dem Bein die Halle

fegen (2. Form)“ oder „Die Hüfte („wie einen Mühlstein“) drehen, den Kopf wenden und die

Wurzeln winden (Hellebardenform)“

b) KOMPLEXE VERSION Die komplexe Version der „Beinspirale“ ist eigentlich eine Kombination mit dem seitlichen Energiekreislauf. Im Spielbein läuft die Energie auf einer Schlaufe durch Dantian, allerdings andersherum als bei der „Beidhändigen Seidenübung“ beschrieben. Sie bildet die Basis für Tritte und Fußwürfe. Ich stelle hier nur die Energieschlaufe des bewegten (in diesem Fall rechten) Beines dar. Im Standbein bleibt die Energie im Fuß verwurzelt, bei den Anwendungen fließt die Kraft allerdings von der Erde (Fixpunkt) zum Dantian, um dann durch das Spielbein zum Fuß fließen zu können. In den Armen bleibt die Energie in dieser Seidenübung im Dantian (in den Tritten der Handform folgen die Arme gleichzeitig z-B. dem seitlichen Kreislauf, s.o.).

IM UHRZEIGERSINN: PHASE 1: „INNERER WECHSEL“ Bewegung: Mit dem Becken machen wir kleine Kreise im Uhrzeigersinn. Das Standbein bleibt unbewegt, das gesamte Spielbein schwingt mit der Beckenbewegung parallel mit. Der Fuß befindet sich jetzt außen, das Bein ist fast gestreckt. Der Fuß schwingt nach hinten, Hüfte und Knie werden etwas gebeugt. <Anwendungsbeispiel: Große Sichel> Die Energie fließt von der Fußsohle (Ni 1) an der Innenseite des Beines entlang zurück über die Hüfte (Leiste) zum Damm KG1.

PHASE 2: „ÄUSSERER WECHSEL“ Bewegung: Der Fuß schwingt zur Mitte, Hüfte und Knie sind 90° gebeugt, der Oberschenkel steht waagerecht, der Unterschenkel senkrecht. <Kniestoß> Die Energie fließt den Unterbauch hinauf und von vorne (KG 6) ins Dantian.

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PHASE 3: „INNERER WECHSEL“ Bewegung: Der Fuß schwingt nach vorne, das Knie wird etwas gestreckt. <Vorwärtstritt> Die Energie fließt nach hinten zu Mingmen und weiter nach außen zur Hüfte.

PHASE 4: „ÄUSSERER WECHSEL“ Bewegung: Der Fuß schwingt nach außen, das Bein ist fast gestreckt. <Seitwärtstritt> Die Energie fließt an der Außenseite des Beines entlang zur Fußsohle.

GEGEN DEN UHRZEIGERSINN:

PHASE 1: „INNERER WECHSEL“ Bewegung: Mit dem Becken machen wir kleine Kreise im Gegenuhrzeigersinn. Das Standbein bleibt unbewegt, das gesamte Spielbein schwingt mit der Beckenbewegung parallel mit. Der Fuß befindet sich jetzt außen, das Bein ist fast gestreckt. Der Fuß schwingt nach vorne, Hüfte und Knie werden etwas gebeugt. <Kleine Sichel / Feger>

Die Energie fließt vom Fuß an der Innenseite des Beines entlang zurück zur über die Hüfte (Leiste) zum Damm KG1.

PHASE 2: „ÄUSSERER WECHSEL“ Bewegung: Der Fuß schwingt zur Mitte, Hüfte und Knie sind 90° gebeugt, der Oberschenkel steht waagerecht, der Unterschenkel senkrecht.

Die Energie fließt weiter zu über Dantian zu Mingmen.

PHASE 3: „INNERER WECHSEL“ Bewegung: Der Fuß schwingt nach hinten, das Knie wird etwas gestreckt. <Rückwärtstritt>

Die Energie fließt nach zur Hüfte (außen).

PHASE 4: „ÄUSSERER WECHSEL“ Bewegung: Der Fuß schwingt nach außen, das Bein ist fast gestreckt. <Halbkreistritt>

Die Energie fließt an der Außenseite des Beines entlang zum Fuß.

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4) SINKEND /STEIGENDE ENERGIEBEWEGUNG: Langsames Sinken und Lösen: In der „Stehenden Säule“ üben wir das Absinken lassen von ablenkenden Gedanken, emotionaler Aufregung und körperlicher Anspannung. Auch unsere Energie sinkt dabei nach unten. Wir werden im Körper unten schwer und stabil und oben leicht und frei. Dies Sinken und Lösen übertragen wir dann auch in alle Bewegungs-Formen und Partnerübungen. In der Meditation wird

dieses innere sinken lassen damit verglichen, wie Teeblätter sich in einem unbewegt stehenden Glas von selbst setzen, und klarer Tee (ein klarer Geist) entsteht. Nach dem Absinken des „trüben“ kann etwas „klares“ in uns aufsteigen: Klarheit, Energie. Manchmal können wir es al Wärme, Kribbeln, Vibration o.ä. wahrnehmen. Indische Yogis nennen es „Kundalini“, chinesische Daoisten beschreiben es als aufsteigendes „reines Qi“ / „Shen“ (Geist).

Bewegung: Man könnte den Wechsel tiefer und hoher Körperpositionen (z.B. „Herabfallen und die Beine spreizen“ und „Der goldene Hahn steht auf einem Bein“ als Ausdruck einer sinkenden bzw. steigenden Energiebewegung betrachten. Diese Bewegung lässt sich aber auch durch den vor- bzw. rückläufigen Kreislauf erklären.

Interessanter finde ich dagegen einen Effekt der plötzlichen Kraftentfaltung, der entsteht, wenn wir unser Körpergewicht ruckartig nach unten fallen lassen und die durch die Schwerkraft entstehende Kraft auf den Gegner übertragen, bevor wir uns mit unseren

Beinen wieder „auffangen“. Im westlichen Boxen wurde diese in den inneren Kampfkünsten, wie dem Taijiquan, altbekannte Tatsache von Jack Dempsey (links) als „Falling Step“ beschrieben, Bruce Lee (rechts) machte daraus seinen „One-Inch-Punch“. Im Taiji steht dafür kein spezifisches Bewegungsbild, da dies aus jeder Bewegung heraus benutzt werden kann. In den „Schiebenden Händen“ lässt es sich sehr gut üben.

IN DEN HANDFORMEN UND PARTNERÜBUNGEN WERDEN ALLE KREISLÄUFE FORTWÄHREND ABGEWECHSELT UND KOMBINIERT.

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Erklärungsmodelle für „Energiefluss“:

A) KÖRPERSTATIK (Skelett)

Für die optimale Weitergabe mechanischer Kräfte ist eine gute Ausrichtung der Knochen zueinander von großer Bedeutung. Das Skelett muss der Schwerkraft entsprechend ausbalanciert werden, und die Gelenke so gewinkelt werden, dass die statische Belastung mit möglichst geringen Scherkräften weitergegeben werden kann. So entstehen den gesamten Körper durchziehende statische Kraftlinien. Das Zentrum, in dem alle Linien zusammenlaufen, ist im Skelett das Kreuzbein (lat. „Os sacrum“, heiliger Knochen). Deshalb ist die Beweglichkeit und Ausrichtung der Kreuzdarmbeingelenke im Taiji von zentraler Bedeutung. Dass diese Linien schon von Natur aus angelegt sind, zeigt der innere Aufbau der Knochen mit dem Verlauf der Spongiosabälkchen. Die Knochen bestehen nicht aus einer homogenen Masse, sondern zeigen eine filigrane Bälkchenstruktur, deren Muster sich über das gesamte Skelett fortsetzt.

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B) MUSKELKETTEN Muskeln arbeiten bei natürlichen Bewegungen nicht einzeln, sondern in durch den ganzen Körper laufenden „Muskelschlingen“ zusammen. Ihre Gegenspieler, die dabei gestreckt werden, bilden dabei ebensolche Schlingen. Diese Muskelschlingen wurden schon 1956 von Prof. Dr. Kurt Tittel in seinem Werk „Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen“ eindrucksvoll dargestellt (die Muskel- und Knochen-Abbildungen stammen hieraus, mit freundlicher Genehmigung des Kiener- Verlages). Auf den Beispielbildern unten kann man deutlich die Ähnlichkeit mit den Energieverläufen des Taijiquan erkennen.

Beispiele Boxer / Gerade (links): Hier arbeiten

die Streckmuskeln von Bein, Rumpf

und Arm zusammen.

Ringer / Ausheber (links

unten): Eine ebensolche

Ganzkörper-Streckschlinge.

Diskuswerfer (rechts unten):

Hier kommt die

Komponente der Drehung

hinzu. Es entstehen

diagonale Muskelschlingen,

die über die schrägen

Bauchmuskeln beide

Körperseiten durchziehen.

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C) LEBENSENERGIE Die Traditionelle Chinesische Medizin basiert auf der Vorstellung, dass eine Bioenergie, das „Qi“, auf bestimmten Leitbahnen, den Meridianen und Sondergefäßen durch den Körper zirkuliert. Diese Energie belebt und ernährt das Gewebe, steuert und koordiniert die Organfunktionen und verbindet Körper und Geist / Seele miteinander. Es stellt auch die spirituelle Verbindung zu Himmel und Erde her. Für die Gesundheit ist ein ausgewogener und ungehinderter Energiefluss von Bedeutung. In der Akupunktur wird die Lebensenergie durch Nadelstiche in „Schaltpunkte“ auf den Meridianen reguliert, in der chinesischen Massage durch Fingerdruck. Im Taijiquan, Qigong und im daoistischen Yoga (Tao Yoga / Innerer Alchemie) stimulieren wir das Qi durch Bewegung, Atmung und Imagination.

Im Taijiquan als Kampfkunst nutzen wir das Qi (genauer gesagt seinen Kraft- / Bewegungsaspekt „Jin“ = „Elastizitätskraft“) auch zur Verteidigung, indem wir die äußere Bewegung (Körper) mit innerer Bewegung (Energiefluss) koordinieren.

Auch in der modernen Psychologie, speziell in der von Wilhelm Reich (Schüler von Sigmund Freud) begründeten Körperpsychotherapie spielt die Lebensenergie (hier „Orgon“ genannt) eine große Rolle. Sie vermittelt zwischen Körper und Seele, ihr freier Fluss ist für die emotionale und sexuelle Gesundheit von zentraler Bedeutung. Auch hier kommen Übungen der Atmung, Bewegung, Körperhaltung und Vorstellungskraft zum Einsatz.

Meridiane und Sondergefäße: Energiemodelle der Traditionellen Chinesischen Medizin und daoistischen Übungspraxis

Die chinesische Energielehre kennt zwei verschiedene Leitbahnensysteme: Das der 12 Hauptmeridiane und das der 8 Sondergefäße.

Die 12 Hauptmeridiane sind den inneren Organen zugeordnet; so gibt es z.B. eine Herzmeridian, einen Nierenmeridian usw.. Sie haben eine definierte Energiemenge und Flussrichtung. Zuviel Qi in ihnen führt genauso zu Störungen (Überfunktion, Entzündung…) wie zu wenig (Unterfunktion, Schwäche…). Auch ein Umkehrung der Richtung ist nicht gesund; ein aufwärts (statt abwärts) fließender Magenmeridian führt beispielsweise zu Übelkeit. Die Energie fließt in den Hauptmeridianen vom Fuß die Beininnenseiten hoch zur Leiste und vorne über den Bauch zum (vorderen) Brustkorb (Yin-Meridiane des Fußes); weiter an den Arminnenseiten zur Hand (Yin-Meridiane der Hand); über die Armaußenseiten zum Kopf (Yang-Meridiane der Hand); und über den Rücken / Flanken / Bauch und Beinrück- und außenseite zurück zum Fuß (Yang-Meridiane des Fußes). Dies wiederholt sich 3-mal (3 parallele Umläufe). Außerdem hat jeder Meridian einen inneren Ast, der ihn mit dem Dantian und mit seinem zugehörigen Organ verbindet (und mit dem gekoppelten Organ,

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selbe Wandlungsphase, s.u.) und einen „Tendinomuskulären“ Ast. Ihr Verlauf ist millimeterdünn und präzise. Zusätzlich zur passenden Yin- / Yang-Polarität (hier stehend für Yin = Substanz und Yang = Funktion) hat die Energie in den Meridianen eine spezifische „Schwingung“, über die das zugeordnete Organ mit dazugehörigen Emotionen, Farben, Geschmacksrichtungen, Klimafaktoren etc. in Resonanz steht. Diese Assoziationen werden im Prinzip der „5 Wandlungsphasen (Elemente)“ geordnet. Schon in „Neijing“, dem ältesten Buch der chinesischen Medizin heißt es: „… zu viel Trauer schadet der Lunge, zu viel Angst schadet der Niere,… Wind greift die Leber an, Hitze greift das Herz an…“.

Wandlungsphase Holz Feuer Erde Metall Wasser

Yin-Organe Leber Herz Kreislauf

Milz Lunge Niere

Yang-Organe Gallenblase Dünndarm „3 Erwärmer“

Magen Dickdarm Blase

Emotionen Wut Hass, Ungeduld

Sorge Trauer Angst

Tugend Freundlich-keit

Freude, Liebe

Ausgeglichen-heit

Rechtschaffen-heit

Sanftheit

Farbe grün rot gelb weiß blau / schwarz

Geschmack sauer bitter süß scharf salzig

Klima Wind Hitze Feuchtigkeit Trockenheit Kälte

Jahreszeit Frühling Sommer Spätsommer Herbst Winter

(Die Farben in dieser Tabelle entsprechen den Zuordnungen der 5 Wandlungsphasen; sie haben nichts mit meinem „Farbcode“ der Kreisläufe zu tun).) Die 8 Sondergefäße sind den Hauptmeridianen übergeordnet. Ihre Flussrichtung ist variabel: In der Akupunktur werden alle Sondergefäße als aufwärts fließend dargestellt. Im Tao Yoga dagegen werden einige davon umgedreht und dann mit anderen zu Kreisläufen verbunden. Diese Kreisläufe laufen im Tao Yoga genau entgegengesetzt zu den Hauptmeridianen, können aber in beiden Richtungen ins fließen gebracht werden. Nur 2 Sondermeridiane (Ren- und Du Mai / Kleiner Kreislauf) besitzen eigene Akupunkturpunkte; die anderen 6 bedienen sich einiger Punkte der Hauptmeridiane und verbinden diese auf anderen Wegen. Ihr genauer Verlauf wird in der Literatur sehr unterschiedlich dargestellt. Sie scheinen eine gewisse Variabilität zu besitzen. Sie können beliebig viel Energie aufnehmen und wie „Reservetanks“ speichern. Dadurch können sie Fülle und Leere in den Hauptmeridianen indirekt ausgleichen. Die Sondergefäße werden durch Erhöhung der Energiemenge von kleinen Bächen zu breiten Flüssen. Nahe nebeneinander laufende Sondergefäße können so zu einem gemeinsamen Fluss verschmelzen. Sie sind nicht organspezifisch, ihre Energie ist nur in Yin und Yang, nicht aber nach den 5 Wandlungsphasen unterteilt; sie stellt eine „Fusion“ der 5 Energien dar. In der daoistischen „Inneren Alchemie“ werden Energien der Hauptmeridiane in den Organen gesammelt und geläutert (die Emotionen in Tugenden verwandelt) und dann im Tiegel des „Dantian“* zu einer „Energie-Perle des großen Mitgefühls“ verschmolzen. Damit werden dann die Kreisläufe der Sondergefäße gefüllt und schließlich noch die Energien von Himmel (am Scheitelpunkt) und Erde (an den Fußsohlen) mit hineingezogen, so dass Himmel, Erde und Mensch eine Einheit werden. Durch diese Energieerhöhung werden „Huichun“ (ewiger Frühling = Jugendlichkeit und Gesundheit),

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Weisheit (Transformation von körperlicher Energie „Qi“ zu geistiger Energie „Shen“, Erleuchtung) und, auf esoterischer Ebene, schließlich „Unsterblichkeit“ angestrebt. Beide Energiesysteme sind von Geburt an angelegt, entwickeln sich aber unterschiedlich schnell: Während die Hauptmeridiane bei Schulkindern bereits voll ausgereift sind erreichen die Sondergefäße erst im Laufe der Pubertät ihre volle Funktionsfähigkeit. In der Medizin spielen die Organ-Meridiane die Hauptrolle, die Sondergefäße nur eine Nebenrolle; im Qigong, Tao Yoga bzw. der daoistischen Alchemie ist es umgekehrt. Taijiquan: Von ihren Eigenschaften her (Flexibilität in Verlauf und Flussrichtung, deutlich verstärkbarer Energiefluss, unspezifische, ganzheitliche Gesundheitswirkung, spirituelle Bedeutung) passen die Sondergefäße meines Erachtens viel besser zum Energiefluss des Taijiquan als das System der Hauptmeridiane. Historisch betrachtet ist es außerdem wahrscheinlicher, dass Chen Wanting der Begründer des Taijiquan, bei der Verschmelzung von äußerer Bewegung (Kampfkunst) mit innerer Bewegung (Energiefluss) mit den Sondermeridianen arbeitete. Schließlich war er, neben seiner militärischen Ausbildung, ein daoistischer Alchemist (z.B. mit dem Werk von Wei Huacun vertraut) und kein Arzt. Deshalb habe ich mich in dieser Arbeit zu dem Versuch entschieden, den Energiefluss der Taijiquan-Bewegungen mit den Energiekreisläufen der Sondergefäße, so wie sie mir aus der Praxis des Tao Yoga nach Meister Mantak Chia und aus meiner beruflichen Tätigkeit als Heilpraktiker mit Akupunktur und Akupunktmassage bekannt sind, zu erklären.

*=In der daoistischen Alchemie gibt es 3 Tiegel / „Dantian“: Das untere im Unterbauch (Körperschwerpunkt, der Erde und dem Körper zugeordnet), das mittlere im Brustkorb (dem Menschen und den Gefühlen zugeordnet) und das obere im Kopf (dem Himmel und dem Geist zugeordnet). In diesem Text ist immer das untere gemeint, weil es im Taijiquan als Körperschwerpunkt von besonderer Bedeutung ist.

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Die 4 Energiekreisläufe der Sondergefäße und ihre Bedeutung im Taijiquan, eine Hypothese

1) SEITLICHER KREISLAUF (Regulator- und Brückengefäß-Kreislauf) Diesen Kreislauf beschreibe ich zuerst, weil ich glaube, dass er in Taijiquan eine besonders wichtige Rolle spielt. Im Tao Yoga dagegen ist es der letzte, der geöffnet wird. Er besteht aus 4 Sondergefäßen, den Yin- und Yang-Brücken- und Regulator-Kanälen. In der Akupunkturlehre werden alle 4 als aufwärts (und im Arm zur Hand hin) fließend beschrieben. Im Tao-Yoga werden die beiden Yin-Gefäße umgedreht und die parallelen Verläufe der beiden Yin- und beiden Yang-Linien verschmolzen, um daraus einen Kreislauf zu kreieren, der meines Erachtens sehr den Energieverlauf der Frontalen und Beidhändigen Seidenübungen im Taijiquan ähnelt. Wenn man Chen Xin`s Zeichnungen mit diesen vergleicht falle 3 Unterschiede auf: - Erstens die Spiralen. Jan Silberstorff sagt dazu, dass es sich um eine 2-dimensionale Darstellung eines 3-dimensionalen Prozesses handelt, und die Energiebahnen nicht tatsächlich in Spiralen verlaufen, sondern erst durch die Bewegung so wirken. In den Unterarmen kann allerdings auch ein tatsächlich etwas spiraliger Verlauf entstehen, je nachdem, ob die Kraft mit Faust, Handfläche/ -kante o.a. am Gegner zum Einsatz kommt. - Zweitens das Zusammenlaufen aller Bahnen im Dantian, was ein ganz zentraler Punkt der Taiji-Energieverläufe ist. Meine Vermutung ist, dass das Gürtelgefäß diese Verbindung zum Dantian herstellt, quer am Unterbauch und unterem Rücken, sowie als direkte vorne-hinten-Verbindung mitten durch Dantian. So entstehen die 4 einzelnen und doch zusammenhängenden Energieschlaufen, die ich bei der „Beidhändigen Seidenübung“ beschrieben habe. Die Energie kann so im Dantian zwischen den Schlaufen wechseln. Auch ein Wechsel zu den anderen Kreisläufen, z.B. zum „Vor- und Rückläufigen Kreislauf“ (Kleiner / Großer Kreislauf, s.u.) ist hier möglich. - Drittens das Fehlen der Energieschlaufe am Kopf. Im Taiji leiten wir die Energie, wenn sie aus dem Arm zurückfließt, nicht zum Kopf hoch, sondern, weiter dem Yin Wei Mai folgend (s.u.) direkt abwärts zur Hüfte.

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Mit diesen Veränderungen ergibt sich Energiefluss-Variante 1 (u. li.). Wenn wir der die Energie von Dantian aus direkt durch die Wirbelsäule nach oben leiten, folgen wir dabei dem „Kleinen Kreislauf“ (Du Mai), und der Verbindung zu seinem Armast („Großer Kreislauf“), der im Arm mit dem Seitlichen Kreislauf (Wei Mai) identisch ist (Variante 2). Dies entspricht den Frontalen und

Beidhändigen Seidenübungen und zeigt eine weitere Wechselmöglichkeit zwischen den Kreisläufen auf. Vermutlich verschmelzen beide Varianten bei einer höheren Energieflussmenge. Das wäre durchaus vorteilhaft: Das Lenkergefäß (direkt auf der Wirbelsäule) verbindet die wichtigsten spirituellen Energiezentren (unter anderem die 3 Dantian), die 3 Finger breit seitlich davon liegenden Akupunkturpunkte des

Qiao Mai beeinflussen die Emotionen und Tugenden (siehe oben, Tabelle der 5 Wandlungsphasen), und der dazwischen verlaufende Hauptmeridian trägt funktionssteuernde Punkte für sämtliche inneren Organe. Ein Energieschub für Körper, Geist und Seele.

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In der Traditionellen Chinesischen Medizin entspricht der seitliche Energiekreislauf 2 Kreisläufen aus je 2 Gefäßen: YIN-WEI-Mai (Yin-Regulator- Gefäß) Schützt und reguliert das Yin (Substanz). In der Akupunktur verwendet z.B. bei Durchfall mit Flüssigkeitsverlust. Verlauf: Innenseiten der Beine und Arme, Bauch, Brust, Kopf. YANG-WEI-Mai (Yang-Regulator- Gefäß) Schützt und reguliert das Yang (Funktion). In der Akupunktur verwendet z.B. zum Stoppen starker Blutungen (das Blut ist ein Träger des Yang, ohne Blut „funktioniert nichts“) Verlauf: Außenseiten der Beine und Arme, Rücken, Kopf. YIN-QIAO-Mai (Yin-Brücken-Gefäß) Formt überschüssige Yin-Energie in Yang um. In der Akupunktur verwendet z.B. bei Lethargie (Trägheit).Verlauf: Innenseiten der Beine, Bauch, Brust, Kopf.

YANG-QIAO-Mai (Yin-Brücken-Gefäß) Formt überschüssige Yang- in Yin-Energie um.In der Akupunktur verwendet z.B. bei Schlaflosigkeit und Manie. Verlauf: Außenseiten der Beine, Rücken, Kopf.

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2) KLEINER KREISLAUF (hintere und vordere Mittellinie) / GROSSER KREISLAUF

Der KLEINE KREISLAUF besteht aus 2 Sondergefäßen, dem „Lenker-“ und dem „Konzeptions-Gefäß“. Im Tao Yoga ist dies der erste Kreislauf. Über KG6 bzw. 8 und LG4 ist er direkt mit Dantian verbunden. In der Akupunkturlehre werden beide als aufwärts fließend beschrieben. Im Tao-Yoga wird das Yin-Gefäß umgedreht, um den Kreislauf zu bilden, in der Akupunktmassage nach Penzel macht man es genau andersherum. Im Tao Yoga kann er zudem zum „GROSSEN KREISLAUF“ erweitert werden, in dem man die Arm- und Beinäste der Gefäße hinzufügt. In den Armen sind die Linien identisch

mit dem seitlichen Kreislauf, in den Beinen verlaufen sie vorne und hinten (statt innen- und außenseitig). Die Beinäste sind am Damm (KG1) mit dem Kleinen Kreislauf verbunden, für die Armäste bestehen verschiedene „Andockmöglichkeiten“: LG 14 (am 7. Halswirbel), LG11 (am 5. Brustwirbel) oder vorne am KG17 (Brustmitte). Im Taijiquan bringe ich den Kleinen Kreislauf mit den „Kleinen Seidenübungen (kleine Version)“ in Verbindung. Den großen Kreislauf assoziiere ich mit der großen Version der „Kleinen Seidenübungen“ und den Umsetzungen des „Vor- und Rückläufigen Kreislaufs“ in den Handformen, z.B. in „Buddhas Wächter stampft mit dem Stößel“.

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Der Kleine Energiekreislauf besteht in der Traditionellen Chinesischen Medizin aus 2 Gefäßen: REN-Mai (Konzeptions-Gefäß) Kontroliert das Yin. Gleicht Überschuß und Mangel in allen Yin-Meridianen aus. Substanz-stärkend Fließt von Damm an der vorderen Mittellinie hoch zur Unterlippe. DU-Mai (Lenker-Gefäß) Kontroliert das Yang. Gleicht Überschuß und Mangel in allen Yang-Meridianen aus. Funktions-aktivierend. Fließt vom Steißbein die Wirbelsäule hinauf und der über den Kopf zur Oberlippe; manchmal auch umgekehrt beschrieben.

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3) HORIZONTALER KREISLAUF / DAI-Mai (Gürtelgefäß)

Dieser Kreislauf wird von einem einzelnen Sondergefäß, dem Gürtelgefäß gebildet. Es ist das einzige, das horizontal verläuft. In der Akupunktur wird es auf Höhe der Gürtellinie beschrieben. Im Tao Yoga bildet es eine große Spirale mit 12 über die gesamte Körperhöhe (und darüber hinaus). Für das Taijiquan sind beide Vorstellungen interessant: Die Gürtellinie für die Becken- / Zentrumsrotation, die Ganzkörperspirale für die Wirkung der Beckenrotation in gesamten Körper. In Figuren wie „Treten wie ein Wirbelwind“ oder „Die Jadefrau wirft das Weberschiffchen“ und in der

„Seidenübung mit dem Bein (kleine Version)“ könnte das Gürtelgefäß besonders beteiligt sein. In der „Frontalen“ und „Beidhändigen Seidenübung“ könnte die Verbindung der Regulator- und Brückenkanäle zum Dantian herstellen. Der Energiefluss geht in beide Richtungen. Es verbindet Yin und Yang und beide Körperseiten miteinander. Im Tao Yoga werden außerdem Verbindungslinien durch die Körpermittelachse zwischen vorne und hinten sowie rechts und links beschrieben, auf verschiedenen Höhen, u.a. durch die 3 Dantian. In der Akupunktur verwendet z.B. bei Halbseitiger Lähmung nach Schlaganfall (Seitenausgleich) oder wenn gleichzeitig extreme Yin- und Yang-Symptome bestehen (Yin und Yang fallen dabei aus ihrem Zusammenhang und müssen miteinander verbunden werden).

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4) SINKEND /STEIGENDE ENERGIEBEWEGUNG / CHUNG-Mai (Zentralgefäß und Aura)

Das Zentralgefäß verläuft tief innen als Mittelachse durch den Rumpf (und somit durch die 3 Dantian)und hat rechts und links je eine Seitenlinie. In der Akupunktur wird es vom Damm aus aufsteigend dargestellt, die Seitenäste vorne an Bauch und Brust verlaufend. Teilweise wird auch ein Ast an der Beininnenseite erwähnt. Im Tao Yoga werden alle 3 Rumpfäste in der Tiefe durch die Organe geführt. Es wird auf- und abwärts benutzt, der Kreis wird durch die Aura, das den Körper umgebende Energiefeld, geschlossen. Die Energie kann im Chung Mai hoch und in der Aura runter fließen, - oder auch umgekehrt. In der Akupunktur verwendet z.B. bei Schwächezuständen, Rekonvaleszenz.

Im Taijiquan könnte er mit innerem und äußeren Sinken und Aufsteigen in Verbindung stehen. Innerlich zum Beispiel mit dem entspannenden „Nach unten Lösen“, „Spannungen nach unten in die Erde sinken lassen“ und dem „Aufsteigen klarer, wacher Energie“, das z.B. in der Stehende Säule oder Sitzmeditation zu spüren ist. Äußerlich z.B. in Figuren wie „Der Drache neigt sich zu Boden“, „Herabfallen und die Beine spreizen“ oder „Der goldene Hahn steht auf einem Bein“.

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Andreas Schmidt: Die Energetik des Taijiquan Seite 29

Zusammenfassung

Ich stelle die Hypothese auf, dass die inneren Energien im Taijiquan in den 8 Sondergefäßen fließen, die in der Akupunktur und der daoistischen Alchemie bekannt sind. Diese werden, ähnlich wie im Tao Yoga, zu 4 Kreisläufen verbunden. Es gibt einen Seitlichen Kreislauf aus den 4 Regulator- und Brückengefäßen (der sowohl diagonal als auch einseitig fließen kann), einen Vor- und Rückläufigen Kreislauf aus

Konzeptions- und Lenkergefäß an der Körpervorder- und Rückseite, einen Horizontalen Kreislauf (Gürtelgefäß), und ein auf- und absteigendes Zentralgefäß, das mit dem Energiefeld (Aura) des Körpers zusammen einen Kreislauf bildet. Alle Kreisläufe laufen durch das Körperzentrum, Dantian, und werden über dieses gesteuert. Die Energie kann zwischen den Kreisläufen beliebig wechseln. So entsteht ein 3-dimensionales, dynamisches Energiesystem mit vielfältigem Nutzen:

- Kämpferisch: Die Energiebahnen verbinden unseren Berührungspunkt mit dem Gegner über unser Zentrum in statisch günstiger Weise mit der Erde und ermöglichen uns, fest verwurzelt zu stehen, auf uns einwirkende Kräfte abzuleiten und die eigene Kraft optimal eizusetzen.

- Gesundheitlich: Körperhaltung und Bewegung werden optimal koordiniert.

Lebensenergie wird in Fluss gebracht und gespeichert, sie kann nach Bedarf an alle Organe / Meridiane verteilt werden.

- Seelisch: Die Lebenskraft wird in Schwung gebracht und die emotionalen Energien

ausgeglichen. Wir fühlen uns wohl; entspannt und belebt zugleich. Die gespeicherte Energie kann durch Meditation in „shen“, Bewusstsein“, verwandelt werden. Der Mensch wird spürbar mit Himmel und Erde und seinem innersten natürlichen Wesenskern verbunden. So kann er Taiji (die höchste Harmonie der Gegensätze), Wuji (Leere) und Dao (Sinn / Natur) in seinem eigenen inneren erforschen.

Ich vermute, dass Chen Wanting, als Krieger und Innerer Alchemist, diese Kreisläufe kannte, und seine Boxkunst, heute als Taijiquan bekannt, danach aufbaute.

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Andreas Schmidt: Die Energetik des Taijiquan Seite 33

Verwendete Literatur:

o Jan Silberstorff: „Chen“, „Schiebende Hände“, „Wei Huacun Artikel, erweitert (Lesezirkel)“

o Frank Marquardt: „Teilnehmermanual Taijiquan-Präventionskurse“ o Chen Xin: „The Illustrated Canon of Chen Family Taijiquan“ o Großmeister Chen Xiaowang: DVD „Chan Si Gong“ o Mantak Chia: Tao Yoga: „Chi, die heilende Urkraft“, „Inneres Tai Chi“, „Fusion of the 5

psychic Chanels“, „Innere Alchemie, Fusion der 5 Elemente“, „Cosmic Fusion“, „Posterserie zum Tao Yoga“, Audioanleitung „Fusion I, II, III“

o Gerhard Milbrat: „Alchemie des Qigong“ o Barbara Kirschbaum: „Die 8 außerordentlichen Gefäße in der traditionellen

chinesischen Medizin“ o Dr. Radha Thambirajah: „Energetik der Akupunktur“ o Erich Wühr (Übersetzer): „Quintessenz der Chinesischen Akupunktur und

Moxibustion“ o Iona Marsaa Teeguarden: „Jin Shin Do Akupressur-Handbuch“ o Christel Heidemann: „Meridiantherapie“ o Dr. Johannes Bischko: „Akupunktur“ o Huang Ti: „Neijing Lingshu / Suwen“ (Des gelben Kaisers Klassiker der Akupunktur /

inneren Medizin, Übersetzungen von Dr. Claus C. Schnorrenberger bzw. Dr. Nguyen Van Nghi)

o Willi Penzel: „ Akupunktmassage (3 Bände)“ o Klaus Radloff: „Energetisch-Statische Behandlung“ o Prof. Dr. Kurt Tittel: „Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen“,

Kiener Verlag o Christopher Casey (Kai Sai): „Mind-Hit-Boxing“ o James Cravens: „Chinese Boxing“ o Leo Fong: „Knock Out Punching“ o Bruce Lee (Lee Junfun): Jeet Kune Do o Keith Kernspecht: „Vom Zweikampf“

Danksagung Hiermit bedanke ich mich bei Frank Marquardt für seine Betreuung als Ausbilder und die Hilfe bei den Fotos, bei den Mitteilnehmern der Lehrerprüfung Wolfgang Lucas (Heilpraktiker) und Michael Marx (u.a. Universal-Tao-Lehrer) für ihre Beratung, bei Meister Jan Silberstorff und Großmeister Chen Xiaowang, Tao-Meister Mantak Chia, meiner Akupunktur-Lehrerin Dr. Radha Thambirajah, meinem früheren Chinese Boxing-Lehrer Detlef Zimmermann und anderen für ihren Unterricht, bei meinen Schülern für ihre Unterstützung und bei meiner Frau Stefanie für ihre Geduld.

Andreas Schmidt arbeitet seit 1992 als Heilpraktiker u.a. mit Akupunktmassage und traditioneller Akupunktur. Kampfkunst betreibt er seit 1978, seit 1999 ist er Kursleiter der WCTAG. Diese Arbeit entstand zur 2015 bestandenen Lehrer-Prüfung. Neben dem Taijiquan beschäftigt er sich auch mit anderen Methoden der Körpererfahrung und Meditation. Im Tao Yoga System nach Mantak Chia ist er Practitioner für Chi Nei Tsang

und Cosmic Healing (Massage und Energiearbeit).