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ALEXANDER THOMAS Die Entwicklung handlungspsychologisch- psychomotorischer Verhaltensanalysen in ihrer Bedeutung fur Sport und Leibeserziehung Die Versudie, das mensdilidie Bewegungsverhalten unter den Bedingungen von Sport, Spiel und Leibeserziehung mit Hilfe wissensdiaftlidier Methoden systema- tisch zu erforschen und die Bedingungszusarnmenhange des Zustandekommens, Ablaufs und der Bewertung sportlicher Leistungen zu analysieren, werden seit einigen Jahren immer umfangreidier. Die Sporrwissenschaft ist dabei, sich als ein eigenstandiges wissenschaftliches Fach zu verstehen, in das zwar viele Einzel- wissenschaften ihre auf Sport und Leibeserziehung angewandten Erkenntnisse einbringen, das sidi aber darilber hinaus einen eigenstandigen Bereich wissen- sdiaftlidier Forschung und Theorienbildung zu schaffen versuchr, Bis heute befin- den sidi diese BemUhungen allerdings erst im Anfangsstadium, und die sportwis- senschaftliche Forschung besteht noch immer aus einer Anzahl mehr oder weniger zufallig zusammenhangender Forschungsergebnisse. Umfassende Forschungskonzepte, die fiir groBe sportwissenschaftlidie Teildiszip- linen (Sportmedizin, Sportpsydiologie, Sportpadagogik usw.) Giiltigkeit harten, sind sicher wiinschenswert, aber beim gegenwaruigen Stand der sportwissensdiaft- limen Forschung nicht moglidi, so daB man sich mit Teilkonzepten begniigen muB, die zwar einen relativ begrenzten Phanomenbereidi umfassen und den An- spriidien interdisziplinarer und integrierter Forsdrung noch nidit voll genUgen, aber innerhalb ihrer Grenzen iiberschaubare und aufeinander bezogene For- schungsthemen entwidceln helfen und Forschungsergebnisse zu einem zusammen- hangenden theoretischen Modell integrieren konnen. Schon im jetzigen Anfangs- stadium sportwissenschaftlidier Forschung miiBten solche Madelle mittlerer Reich- weite zu entwickeln sein, wenn die Forschung mit dec ,Mutterwissenschaft' (Medi- zin, Psydiologie, Padagogik usw.) eng verbunden ist; in einem zweiten Schritt miiBten sich soldie Modelle zu gr6Beren Einheiten integrieren lassen. FUr den Bereich der Sportpsychologie - und hier besonders fUr die Untersuchung der psychischen Prozesse des mensdilidien Bewegungsverhaltens - bietet sich als umfassendes und integrierendes theoretisdies Modell eine handlungspsychologi- sche Betrachtungsweise an. 1m folgenden wird dargelegt, welche handlungspsychologischen und psycho- motorischen Ansatze aus Psychologie, Psychophysik und anthropologisdi-philo- sophischen Oberlegungen heraus entwickelt wurden. Wenn auch noch keine allge- meine und umfassende handlungspsychologische Theorie formuliert worden ist, so wird doch deutlich, daf die Betrachtung sportlidier Bewegungsvorgange als 258

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ALEXANDER THOMAS

Die Entwicklung handlungspsychologisch­psychomotorischer Verhaltensanalysen in ihrer Bedeutung

fur Sport und Leibeserziehung

Die Versudie, das mensdilidie Bewegungsverhalten unter den Bedingungen vonSport, Spiel und Leibeserziehung mit Hilfe wissensdiaftlidier Methoden system a­tisch zu erforschen und die Bedingungszusarnmenhange des Zustandekommens,Ablaufs und der Bewertung sportlicher Leistungen zu analysieren, werden seiteinigen Jahren immer umfangreidier. Die Sporrwissenschaft ist dabei, sich als eineigenstandiges wissenschaftliches Fach zu verstehen, in das zwar viele Einzel­wissenschaften ihre auf Sport und Leibeserziehung angewandten Erkenntnisseeinbringen, das sidi aber darilber hinaus einen eigenstandigen Bereich wissen­sdiaftlidier Forschung und Theorienbildung zu schaffen versuchr, Bis heute befin­den sidi diese BemUhungen allerdings erst im Anfangsstadium, und die sportwis­senschaftliche Forschung besteht noch immer aus einer Anzahl mehr oder wenigerzufallig zusammenhangender Forschungsergebnisse.Umfassende Forschungskonzepte, die fiir groBe sportwissenschaftlidie Teildiszip­linen (Sportmedizin, Sportpsydiologie, Sportpadagogik usw.) Giiltigkeit harten,sind sicher wiinschenswert, aber beim gegenwaruigen Stand der sportwissensdiaft­limen Forschung nicht moglidi, so daB man sich mit Teilkonzepten begniigenmuB, die zwar einen relativ begrenzten Phanomenbereidi umfassen und den An­spriidien interdisziplinarer und integrierter Forsdrung noch nidit voll genUgen,aber innerhalb ihrer Grenzen iiberschaubare und aufeinander bezogene For­schungsthemen entwidceln helfen und Forschungsergebnisse zu einem zusammen­hangenden theoretischen Modell integrieren konnen. Schon im jetzigen Anfangs­stadium sportwissenschaftlidier Forschung miiBten solche Madelle mittlerer Reich­weite zu entwickeln sein, wenn die Forschung mit dec ,Mutterwissenschaft' (Medi­zin, Psydiologie, Padagogik usw.) eng verbunden ist; in einem zweiten SchrittmiiBten sich soldie Modelle zu gr6Beren Einheiten integrieren lassen.

FUr den Bereich der Sportpsychologie - und hier besonders fUr die Untersuchungder psychischen Prozesse des mensdilidien Bewegungsverhaltens - bietet sich alsumfassendes und integrierendes theoretisdies Modell eine handlungspsychologi­sche Betrachtungsweise an.1m folgenden wird dargelegt, welche handlungspsychologischen und psycho­motorischen Ansatze aus Psychologie, Psychophysik und anthropologisdi-philo­sophischen Oberlegungen heraus entwickelt wurden. Wenn auch noch keine allge­meine und umfassende handlungspsychologische Theorie formuliert worden ist,so wird doch deutlich, daf die Betrachtung sportlidier Bewegungsvorgange als

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mensdiliche Handlung divergierende sporrpsychologisdie und sportwissenschaft­liche Forsdnmgsansatze integrieren und der Sportprazis, besonders de!" Leibeser­ziehung, neue Perspektiven eroffnen kann.

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit besteht dabei in der Darstellung derEntwiddung handlungspsychologischer Betrachtungsweisen unter dem Aspektihrer Bedeutung fur Sport und Leibeserziehung.

1. Die sportliche Tatigkeit a15 H andlung

Gleichgiiltig, welche der aus verschiedenen (z. B. anthropologisdien, phiIosophi­schen, padagogisdien, gesellschaftskritischen und soziologischen) Aspekten herausenrwickelten Definitionen von Sport und Leibeserziehung man als verbind­lich ansehen will: phanomenologisch betrachtet werden im Sport zunadist einmalin einem begrenzten und in bestimmter Weise vorstrukrurierten Tatigkeitsfeldzielgerichtete und koordinierte Bewegungen ausgefiihrt. Da der Spomer mit Hilfeseiner eigenen Korpermotorik eine geplante und mehr oder weniger bewulltkontrollierte Auseinandersetzung mit einer je nach Sportdisziplin versdiiedenkomplexen Umwelt eingeht, kann man das sportlidie Tun als HandIung auf­fassen. Zwar sind in der Psychologie sehr verschiedene Definitionen von Hand­lung gebraudilidi, die sidi besonders hinsichrlidi des Bewuiltseinsgrades der imHandeln vollzogenen Tatigkeit untersdieiden; wenn man sich aber auf den klein­sten gemeinsamen Nenner an Ubereinstimmungen besdirankt und Handeln aIsdas auf ein Ziel gerichtete, erwarrungsgesteuerte Verhalten des Menschen bezeich­net, dann is! die sportlidie Tatigkeir eine Handlung und unter handlungspsycho­logisdien Aspekten analysierbar. Das Handeln als cine spezifisdie Art mensch­lichen Verhaltens und als die wohl genetisch hodiste Form des Tuns ist somit durchzwei Grundfaktoren charakterisiert:

Das Handeln ist zielgeriduet, Es ist ein auf die Erreichung eines als subjektivwertvoll angesehenen und erlebten .Sollzusrandes' hin gerichreres Tun.

Das Handeln ist erwartungsgesteuert, d. h., es ist ein aus bestimmten Bediirfnis­sen und Motiven heraus entscehendes und auf der Grundlage subjekriver undsituativer Erfolgserwartungen gesteuertes Verhalten.

Die so als zielgeriditetes und erwartungsgesteuertes Tun definierte HandlungumfaBt mehr Verhaltensbereiche und psychische Komponenten, als gewohnlichbei der Analyse menschlicher Bewegungsvorgange und somit auch sportlicherBetarigungen als wirksam angenommen werden. Die meist unter biochemisdienund bewegungsphysiologischen Aspekten untecsuchten Bewegungsablaufphasensind nur ein Teil des gesamten Handlungsvorgangs, der ohne gleichzeitige Beriick­sichtigung der Vorbereitungsphase, lee Arbeitsphase, der Kontrollphase und derPhase der Verarbeitung der Bewegungserfahrung einschlieBlich der in diesenPhasen wirksamen psychologischen Faktoren unvollstandig und unverstandlichbleiben muB.

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Es sind bis heute eine Reihe von Versuchen unternommen worden, aus der ele­mentarisrisdi-mechanistisdien und reflesphysiologisdien Analyse heraus, derenspezielle Bedeutung fur die Bewegungsforsehung nicht bestritten werden soll, zueinem umfassenden, die psychischen Fakroren mit integrierenden Handlungssy­stern zu kommen, wenngleidi diesen Untersudnmgen nodi kein umschriebenerHandlungsbegriff zugrunde lag. Diese untersdiiedlichen wissenschaftstheoreti­schen Vorstellungen und wissensdiaftlidien Zielsetzungen folgenden Konzeptesind weitgehend unabhangig voneinander enrwickelt worden und stehen mehroder weniger unverbunden nebeneinander. Die folgenden Ausfiihrungen solleneinen Einblick in sie vermitteln,

2. Psycbomotorische und handlungspsychologische Ansiitze in der Analysevon Willkurbewegungen

a) Der ganzheitspsychologische Ansatz von KRUEGER und KLEMM versucht, dieEigengesetzlichkeiten korperlidien Tuns z. B. im Sport und in der Arbeit, diebeobaditbaren und in ihren raum-zeitlidien Dimensionen registrierbaren Bewe­gungsablaufe als motorische Gestalten zu verstehen, die ein von innen her zu­sammengehaltenes, ganzheitliehes Tun darstellen und in deren Ablauf sich dasHandlungssubjekt selbst erlebt und entfalret. Besonders KLEMM und seine Mit­arbeiter Hihrten zahlreidie Experimente vorwiegend an sportlichen Bewegungs­ablaufen und Arbeitsverrichtungen dunn, in denen sie einen - den ganzheits­psychologischen Postulaten gem1iBen - Zusammenhang zwischen den Gesetz­maBigkeiten der Bewegungsausfiihrung und den sie begleitenden Erlebnis- undEmpfindungsinhalten im Bewegungssubjekt zu erfassen trachteten, Die Ergeb­nisse dieser Untersuchungen fiihrten zunadist zur Formulierung von "ZwolfLeitsatzen zu einer Psychologie der Leibesdbungen". Irn zweiten Leitsatz mitdem Titel "Aufgabe und Oberblick" fordert KLEMM: "Der Psychologic der Lei­beslibungen fallt die Aufgabe zu, das seelische Geschehen zu erforschen, das sichin den Leibesiibungen abspielt, und von dem Zusammenhang mit der Personlich­keit Rechenschaft abzulegen" (1933, 388).

KLEMM versucht, in einer "Geschehenslehre" die ganzheitspsychologisdien Eigen­arten der Bewegungsgestalten im zielgeriditeten, gestalteten und zeitlidi-raum­lich geg1iederten Tun darzustellen und in einer "Strukturlehre" den Zusammen­hang zwischen dem Bewegungsgeschehen und den individuellen Personlichkeirs­eigensdiaften sowie typologisdien Merkmalen zu erfassen.

Die Gesamtergebnisse seiner Untersuchung faBt KLEMM in drei Leitsatzen der"Bewegungsgestaltung" Folgendermaflen zusammen:

1. Ein Vergleich der objektiven Bewegungsgenauigkeit mit dem subjekcivenUrteil iiber die Bewegungsgenauigkeit zeigt, daB die Sicherheit des Tuns dieSdiarfe der Auffassung iibercreffen kann.

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Die Entwicklung handlungspsychologisch-psychomotorischer Verhaltemanalysen

2. Die Canzheitlidrkeit des Tuns, z. B. die Gesamtfonn eines Wurts, ist genauerals die einzelnen Bestimmungsstiicke, z. B. Wurfstarke und WurfwinkeI, so daB"... das Gauze genauer hergestellt wird als die Teile: Die motorisdie Leistungsteigt mit der Cestaltetheit" (1936, 11).

3. Die gestaltete Gesamtbewegung strebt einer meBbaren und oft mathematischbestimmbaren Gestalt- und Pormgesetzmailigkeit zu (so z. B. der Gesdrwindig­keitsanstieg in Form einer Exponentialfunktion beim Speerwurf), der sich alleTeilbewegungen im Sinne des "Prinz ips der Dominanz des Ganzen tiber dieTeile" unterordnen.

Nach KLEMM ist also die aktiv gestaltete, in ihren raum-zeitlidien Dimensionenund in ihrem Impulsverlauf faBbare Bewegung mit den subjektiven Bewegungs­empfindungen und dem subjektiven Bewegungserleben in einem ganzheitlichenAkt verbunden und muB so als cine .gestaltete Einheit' betradicer werden,

Bei aller Kritik am rnethodisdien Vorgehen in den Untersuchungen von KLEMM,besonders hinsidirlidi der Befragungsmethoden und der Bewertungen der Ver­suchspersonenaussagen, und an dem zu weit reichenden Erklarungswert, der denBegriffen Gestalt und Ganzheit zugestanden wird, konnte KLEMM dodi zeigen,daB die mensch1iche Bewegung ein psychophysisches Gesdiehen darstellt, in demder objektiv faBbare Bewegungsablauf und die subjektive Bewegungsgestaltungeng aufeinander bezogen und als ein einheitlidier Akt anzusehen sind.

b) V. v. WEIZSACKER und seine Schiller entwidcelten ein leistungspsythoiogisd>psychopbysiologiscbes Konzept zur Erforschung der Wirkungsmechanismen undAblaufprozesse willklirlidier Bewegungen. In zahlreidien theoretiscnen undexperimentellen Untersuchungen (v. WEIZSACKER 1940; DERwoRT 1938; CHRI·STIAN 1948, 1953) kommen sic in Abhebung von dec klassisdien Bewegungs­physiologic zu folgenden Ergebnissen:

1. Im aktuellen BewegungsvoIlzug bilden der sidi bewegende Organismus (dasBewegungssubjekt) und die zu gestaltende Umwelt (als Bewegungsobjekt) eineLeisrungseinheir in Form eines Gestaltkreises, in dem sich vom zentralnervosenErregungsbild his zum objekuiv beobachtbaren und subjektiv erfahrbaren Bewe­gungsbild eine - bestimmten Transformationsgesetzen folgende - »Konstanzdes FormenwandeIs" vollzieht.

2. Hat das handelnde Subjekt einmal einen Entschluf zur Erreichung eines be­stimmten Bewegungsziels gefaBt, so unterliegt es in der Bewegungsausftihrungden von diesem Bewegungsziel her bestimmten raum-zeitlidien Gestaltungsgesetz­maBigkeiten, und seine eigentliche Leistung besteht in der Erfiillung dieser ziel­abhangigen, raum-zeitlidien Bewegungsgesetzmailigkeit,

3. Der sensorische und der motorisdie Teil des Bewegungsaktes sind so ineinanderverflochten und aufeinander bezogen, daB nicht nur die Wahmehmung die Mota­rik steuert und kontrolliert, wie meist (falsehlicherweise) angenommen wird,

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sondern auch umgekehrt, daB n'" das Wahrnehmungsurteil vom motorisdienVerhalten unmittelbar abhangt ...", so daB "... die Bewegung nicht nur Objekt(wie in der Physik), sondern selbst Mittel und Voraussetzung objektiver Erfah­rung (ist): d. h., etwas wird durch Bewegung wahrgenommen und durch Bewe­gung realisiert" (CHRISTIAN 1953, 12).

4. Die Voraussetzung zur Verwirklichung soldier sensomotorisdien Leistungenim zielgerichteten Bewegungsakt ist die durdi experimentelle Analyse belegteTatsache, daB Struktur und Funktion der die Bewegung errnoglidienden Organ­prozesse nicht festgelegt sind, sondern dem Prinzip des Funktionswandels folgen,so daB eine dem jeweiligen Leisrungsziel angepaiite und dem Grundprinzip derOkonomie der Krafre folgende Innervation und Koordination der Bewegungs­organe ermoglidrt wird. So kann der Organismus ein und dasselbe Ziel aufsehr verschiedenen Wegen erreichen, was eine hohe Anpassungsfahigkeit an ver­anderte Umgebungs- und Bewegungsstrukturbedingungen ermoglicht,

5. Die Bewegung ist, wie besonders CHRISTIAN festgestellt hat, kein wertneutra­les Phanomen, Sie ist "... vielmehr Mittel und Voraussetzung gegenstandlidierErfahrung: der Gegenstand erscheint durch Bewegung und erfahrt durch Bewe­gung seine Gestalt" (1948, 1). Je ungebundener, Freier und spontaner eine Bewe­gung verwirklicht wird, seien es nun einfache Greif- und Zielbewegungen oderhandwerkliche, spielerisdie und sporrliche Bewegungen, ". . . um so exaktergestaltet sidi die Leistung nicht nur hinsichtlich des 1iuBcren Erfolges (z. B. decTrefferzahl), sondern auch in ihrer inneren Regulation ..." (1948, 9), und urnso klarer wird die Bewegung a1s richtig oder Falsdi in ihrer Werthaftigkeit er­lebt, CHRISTIAN glaubt darin eine "... systematische Gleichhaufigkeit zwischender Ordnung des Tuns und der Ordnung der mechanism objektivierbaren Exakt­heir der Tat" zu erkennen; denn: "Das eine ist in der Ordnung des Werts, dasandere in der Ordnung der mechanischen Gesetzlichkeit begreifbar" (1948, 3).

Mit der Einfiihrung leistungstheoretischer und gestaltkreistheoretischer Konzeptein die Bewegungsforschung versuchen WErZSACKER und seine Schuler cine Brtickezu sdilagen zwischen dem psydrischen Bereich, dec in dec Bewegungsintention, imBewegungserleben und in der Bewegungsbewertung reprasentiert ist, und demphysikalisch-physiologisdien Bereich des Bewegungsablaufs, Sie kommen dabeizu dec SchluBfolgerung, daf im motorisdien Umgang mit dec Umwelt das Inren­tionale des biologischen Akts (man wiirde heute sagen: das zielgerichtete Strebennadi einer Soll-Lage) in Form eines motivierenden Interesses, aktiv Stellung zurUmwelt zu beziehen, die Fiihrung iibernimmt und sich dann erst irn aktivenZugreifen, Probieren und in der motorisdien Auseinandersetzung eine konkreteZielvorstellung ausbildet, Dabei besteht die biologisdie Leistung in einer Gestal­tung der durch das Bewegungsziel bestimmten Gesetzmaiiigkeiten von Raum undZeit; die physikalisdi-physiologisdien Bewegungskomponenten erfahren Ihrefunktionale Bestimmung durch diese Leistung.

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Die EntwicJelung handlungspsychologisch-psychomotorischer Verhaltensanalysen

Neben der fast revolutionaren Bedeutung, die diese Untersuchungsergebnisse undtheoretischen Schhillfolgerungen fur die nom weitgehend elementarisrisch-mecha­nistisch orientierte Bewegungsforschung bis in die Fiinfziger Jahre unseres jahr­hunderts harten, sind schon hier viele Gedanken und Aspekte verbreitet, die inder kybernetisch orientierten Bewegungsforschung und Sensomotorik weiterge­fuhrt wurden.

c) In einer .Allgemeinen Tbeorie der menschlichen Haltung und Bewegung' ver­sucht BUYTENDIJK (1956), von einem anrhropologisdi-Iunktionalen Ansatz auseine urnfassende Lehre von den tierisdien und menschlichen Bewegungen zu ent­widseln. Wahrend die klassische Physik und Physiologic clanach fragt, wie sichdie beobachtete Veranderung vollzieht, die Veranderung also als Prozef auffaBt,geht BUYTENDIJK in seiner Bewegungslehre von der Frage aus, was die Verande­rung bewirkt, z. B. cine dutch Bewegung erreichte Zustandigkeit desKorpers oderder Umgebung. Er fa£t damit das Bewegungsgeschehen als Funktion auf,die er als am "... unteilbares Ganzes von Veranderungen, sinnvoll bezogen aufetwas auBerhalb dieser Veranderungen" (1956, 7), definiert. Erst die Erfassungund Bestimmung des Sinngehalts einer Bewegung, den BUYTENDIJK "... auf Grundder allgemeingiiltigen Merkmale des menschlichen und tierischen Lebens, (der)... Einsicht in den Sinn des Bezugs von Individuum und Umwe1t (und) dunndas unmittelbar in der Erfahrung gegebene In-der-We1t-Sein ..." (1956, 13)als unmittelbar erfahrbar annimmt, gibt einen Einblick in die Funktion derBewegung und ihre Ablaufbedingungen.

"Beschcinkt man sich auf die allgerneinen Merkmale von Haltung und Bewegung,so wahlt man einen zwischen dem psychologischen und dem physiologischenge1egenen Gesichtspunkt. Wir spredien dann von dem /unktionalen Aspekt. Vonhier aus werden die Bewegungen und Haltungen formell als Funktionen begriffen.Das heiBt, sie werden begriffen als wahrgenommene Erscheinungen in ihremBezogensein auf etwas, das aU£erhalh des Wahrgenommenen liegt und von woaus sie erst sinnooll begriffen werden konnen. Dabei kann es sich beispielsweiseurn einen angestrebten Effekt handeln, wie etwa bei einer zielgeriditeten Tatig­keit, oder aber auch urn einen innerlichen Zustand, ein Gefilhl mit einer hierausresultierenden Ausdrucksbewegung. In heiden Fallen vollbringt der Mensch erwas.Es wird etwas getan, und was getan wird, geschieht durch den Leib" (1956, 4).Und etwas weiter heillt es: "... unsere Beurteilung des Sinnes der Bewegungenvollzieht sich also in einer psychophysisch neutralen Sphare, d. h. in einem Bereichder Erfahrung, in dern der Gegensatz psycho-physisch noch nidit vollzogen,jedenfalls nicht wirksam ist. In diesem Bereich, den wir den Bereich des Ver·haltens nennen konnen, bewegen wir uns selbst, handeln wir, vollziehen sidiunsere Ausdrucksbewegungen und verstehen wir die Handlungen und das Mie­nenspiel unserer Mitmenschen. Diese Einsicht wurzelt in einem .Vermogen', wiewit auch ein Vermogen zur Wahrnehmung von Farben und zur Erkenntnis ihrerwesentlichen Verwandtschaft hesitzen ... So konnen wir grundsatzlich den Sinn

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der vitalen Funktionen erkennen und so auch iiber die Moglichkeiten eines objek­riven Urteils hinsichtlich der Bedeutung der Bewegungen verfiigen" (1956, 15).

Da BUYTENDIJK wegen seiner funktionalen, das Wesen der mensch lichen undtierischen Bewegung verstehenden Betrachtungdie Begriffe Subjekt und Selbst­bewegung in seineBewegungslehre einfiigt, gewinnt sein Konzept eine weitgehendphilosoplrisdi-anthropologische Begriindung, FUr die Erklarung des Zustande­kommens, der Ausfiihrung und des Verlaufs von Bewegungen sind seinerMeinung nach die physiologisehen und psychologisdien Tatsadien allein nichtausreichend, da sie ihren Stellenwert nurinnerhalb einer anthropologi­schen Betrachtungsweise gewinnen konnen. Auch die Gesraltpsychologiebietet fUr BUYTENDIJK keine dem rarsachlichen Bewegungsgeschehen ad­aquate Erklarungsgrundlage, da sie n' •• das lebendige Geschehen ausschlielllidi alseine Sammlung von Prozessen und nicht als ein System von durch ein Subjektbestimmten und auf dieses bezogenen Funktionen" (1956, 40) betraditet, DerMensch aber hat die Fahigkeit, so meint er, "... in dem Verhalten der Lebe­wesen den Sinn, d. h. das Motiv, in der Gestalt wahrzunehmen. DiesesAuf-etwas­geriditet-Sein, dieser Bedeutungsgehalr der Funktionen, ist als ihr sich unmittelbarzeigender Sinn erfahrbar, und zwar urn so evidenter, je mehr sie durch Selbst­bewegung bedingt werden. Das Subjekt ist der bestimmende Grund fiir die wirk­lichen Funktionen; und gerade dieses Subjekt mit seinen Bediirfnissen, Absichten,Vorsatzen, Motiven, mit seiner eigenen Welt und seinem eigenen Leibe, vermagdie Gestaltpsychologie nidit zu ergriinden" (1956, 39).

Ausgehend vom so verstandenen Sinn- und Bedeutungsgehalt der Bewegung,kommt BUYTENDIJK zu folgender Einteilung des Bewegungsverhaltens:

"1. Die intra-empirisdie Binteilung nach der unmittelbar wahrnehmbaren Aus­Fiihrungsweise, dem empirisch gegebenen Verlauf, der Gestalt.

2. Die typologische Einteilung im Hinblick auf das Verhaltnis der Bewegungs­gestalt zur Person.

3. Die trans-empirisdie Einteilung nach dem Grad de. Freiheit und Zwangslaufig-keit, also bezogen auf das Verhaltnis zum Subjekr, dem "Selbst" .

4. Die Iunknionelle Einteilung nach dem Sinn der Bewegung" (1956, 60).

Innerhalb der funktionalen Einteilung der Motorik untersdieidet BUYTENDIJKatiller Ausdrucksbewegungen und reprasentativen Bewegungen Handlungen alsmotorisdie Jli.tillerungen, deren Sinn in der Erreichung cines Ziels, cines End­produktes, besteht und die sich diesem Ziel durch sukzessiv-fortschreitende Ver­anderung immer mehr annahern,Wenn sidi BUYTENDIJK mit diesem anthropologisch-funktionalen Ansatz einerBewegungslehre auch klar von einer physikalisch-mechanistischen Betraditungs­weise absetzt und das Schwergewicht auf den Sinn- und Bedeutungsgehalt derBewegung als aktive Auseinandersetzung eines Individuums mit seiner Umweltlegt, so enthalr sein Konzept doch viele spekulative Aspekte. Dais gilt besonders

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fur die Erfassung der Funkcion der Bewegung, die nach seiner Meinung dieGrundlage aller weiteren Erkenntnisse iiber das Bewegungsgeschehen bilden soll.Einer Ubemahme des Grundansatzes von BUYTENDIJK in cine wissensdiaftlidiuberprufbare Handlungstheorie sind damit Grenzen gesetzt.

d) Die sowjetische Psychologic bemtihr sidr sdion seit nahezu funfzig jahren,besonders durdi PAWLOW, SETSCHENOW, RUBINSTEIN und ANANJEW u. a.,auf der Grundlage ihres dialektisch-materialistischen Wissenschaftsverstand~

nisses den .Leib-Seele-Dualismus' zu iiberwinden und einer reinen Psycho­logie des Erkennens eine Psychologic des Handelns gegeniiberzustellen, Allepsychischen Ersdieinungen sind nach dieser Auffassung durdi einen Pro­zeB standiger Weffiselwirkungen zwischen Individuum und Umwelt deter­miniert. Nach der Widerspiegelungstheorie sind Wahrnehmung und Empfindungals Signal der Wirklichkeit aufzufassen, so daB ein ununterbrodiener Stromafferenter Signale von der Korperperipherie zum Zentralnervensystem gelangtund dort zur Handlungs- und Bewegungssteuerung verarbeitet wird, "Die Hand­lung ist nicht auf ihren Ausfiihrungsteil reduzierbar, in sic geht unbedingt auchder sinnliche, gnostische Teil ein, die peripherische Afferenz, die Analyse undSynthese der von aU£en kommenden sinnlichen Signale, durch die die Hand­1ungen reguliert werden (RUBINSTEIN 1972 6, 223).

Bei dem Bemiihen, in enger Anlehnung an SETSCHENOW und BERNSTEIN

ein Modell fiir die enge Verbindung zwischen motorisdiem und sensorischemTeil der menschlichen Bewegung zu entwickeln, in dem die physiologischen eben­so wie die psychologischen Ursachen der Bewegung beriicksichtigt sind, kommtRUBINSTEIN zu einer hierarchischen Anordnung des Strukturniveaus der Bewe­gung. Uber den Aspekt der psychologischen Bedingtheit teilt er die Bewegungs­vorgange in drei Gruppen ein: "... 1. in die Gruppe der Bewegungsakte, derenRegulation sich nur physiologisch vollzieht, 2. in die Gruppe der Bewegungen,die durch Empfindungen reguliert werden, ... 3. in die Gruppe der Bewegungenund Handlungen, bei denen die Reaktion auf einen Reiz in die Handlung mitdem Gegenstand als Objekt iibergeht ... Eine gegenstandlidie Handlung isteigentlich eine Bewegung, die hinsidrtlich des Gegenstandes und jener Verande­rungen, die dieser durch die Bewegung ... erleidet, generalisiert ist" (19726, 225).Nur die Anerkennung der ausfiihrenden und sinnlich-gnostisdien Abschnitte desHandelns als einer Einheit ermoglicht das Erfassen der Cesetzmafsigkeitenund Bedingungszusarnmenhange der rnenschlidien Bewegungen. HACKER hat dieaus der materialistischen Psychologie entwickelten handlungs- und bewegungs­theoretischen Vorstellungen folgendermaBen zusammengefaBt:

,,1.Psychische Prozesse ersdieinen groBtlenteils als ein auf die Losung von Auf­gaben zielendes Handeln.

2. Die Handlungen determinieren die Auswahl, Art und Struktur der ausfiih­renden Bewegungen; mit der Art der Aufgabe und der Einstellung zu ihr

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andern sich die eingesetzten neurologischen Bereiche und Bewegungsmedianis­men.

3. Die Eigensdiaften der Bewegungen sind zum groBten Teil nur aus Handlungenzu erklaren; das tiber eine reine Bewegungsphysiologie hinausgehende Bewe­gungsstudium ist somit ein Studium des motorischen Aspekts der Handlung.

4. Bewegungen sind kein rein effektorisches, sondern ein afferent-sensorisdiesPhanomen, das niche von seinem gnostischen Regulationsabschnitt Iosgelostbetraditet werden kann. Das Ergebnis der Bewegung ist meist ein gegenstand­limes Resultat, zu dem der Mensch eine Einstellung hat; mit deren Knderunganderr sidi die rnororisdie Sphare.

5. Riickgekoppelte Afferenzen und ihre Verarbeitung zum Zwecke der Regula­tion sind ein wesentlidier Grundbestand des Medranismus der Willkiirbewe­gung.

6. Hauptgegenstand von psychologischen Bewegungsuntersuchungen muB dieBewegungsafferenz sein, die a.uf verschiedenem Niveau vorliegt" (196i", 11­12).

Die in diesen Thesen zusammengefaBten Erkenntnisse tiber den Zusammenhangzwischen Denken und Handeln, physischen und psychischen Regulationsprozessender Handlung und Bewegung sind die Grundlage einer materialistisdi orientier­ten Handlungspsychologie geworden, die besonders in der Sowjetunion UDd denosteuropaischen Staaten in einer Reihe sportpsychologischer Einzeluntersuchungenihren Niedersch1ag gefunden hat, obgleich Fortschritte in der theoretisdien undanwendungsbezogenen Entwicklung der Handlungspsychologie eher an arbeits­und erziehungspsychologischen Problemen zu beobac:hten sind als an sportpsycho­logischcn Fragestellungen, In diesen Untersuchungen wird die Bedeutung senso­risch-kognitiver Vorgange - wie z. B. Bewegungsvorstellung, Bewegungsanti­zipation, BewegungsentschluB, Bewegungsempfindung, Bewegungskontrolle, Ver­balisierung des Bewegungsgeschehens sowie die Entwicklung von Handlungs­und Bewegungsprogrammen zur Steuerung und Kontrolle bei der Realisierungund Optimierung sportlidier Bewegungsablaufe in Training und Wettkampf ­deutlich hervorgehoben.e) In mehreren der bisher skizziertcn Ansatze einer zum Teil handlungspsycholo­gischen Fundierung menschlichen Bewegungsverhaltens und damit audi sportlicherBewegungsvorgange werden Begriffe wie Kreisprozesse, Rtickkoppelung, senso­motorisdie Einheit, Efferenz, Afferenz u.a, verwendet, die selbst wieder einetragende Rolle bei der Anwendung systemtheoretisther, speziell kybernetischeTund regelungstheoretischer Modelle zur Analyse der menschlichen Motorile ein­nehmen. In kybernetisdi orientierten Modellen wird das handelnde und sichbewegende Individuum als ein informationsaufnehmendes und selbstregulierendesSystem aufgefaBt, dessen sensomotorische Ablaufprozesse als Regelkreise eefaBtund durch quanrifizierbare Regelmodelle beschrieben werden konnen, die tedmi­sdien Regelungsvorgangen sehr ahneln, KUPFMULLER, PROKLEKOWSKY, Vos-

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SIUS und STIER haben zeigenkonnen, wenn auch zunadist our an relativ einfadienBewegungen (z. B. Zielbewegungen), daB die Gesetze der WillkUrrnotorik offen­sichtlich informations- unci regelungstheorerischen Prinzipien folgen.

In der letzten Zeit bedient man sidi auch bei der Analyse sportlicher und sport­motorisdier Vorgange und bei der Anwendung der gewonnenen Erkenntnisseftir die sportlidie Ubungs- und Trainingspraxis imrner haufiger kybemetischerMadelle und Beschreibungsbegriffe einschlieBlich der an tedmisdien Regelungs­vorgangen gewonnenen Analysemethoden (so u, a. UNGERER 1971 und VOL­

PERT 1971).

In seiner Arbeit "Zur Theorie des sensomotorisdien Lernens" (1973 ~) versudrtUNGERER, die sensomororisdien Lernvorgange, besonders im Bereich des Sports,mit Hilfe behaviorisrisdier und kybernetischer Modelle theoretisch zu analysierenund diese systemtheoretischen Ansatze fiir die Praxis nutzbar zu machen. ZurBeschreibung der komplexen sensomotorischen Vorgange bei der Ausfiihrung undbeim Erlernen sportlicher Beweguogen werden Regelungs-, Steuerungs- undInformationsverarbeitungsmodelle herangezogen, die cine Strukturierung undQuantifizieruog der Bewegungsvorgange erlauben sollen,

CHRISTLAN hat sich in einem Aufsatz »Kybemetik und Gestaltkreis als Erkla­rungsweisen des Verhaltens" (1963) mit dem Problem der Vereinbarkeit kyber­nerischer und gestaltkreistheoretisdier Ansatze (v. WEIZSACKER) auseinanderge­setzt, Er kommt dabei zu dem SdUuE, daB die biologisdi ebenso wie diekybernetisch orientierte Verhaltensanalyse von der Verhaltensleistung und ihrerZweck- und Zielgerichtetheit ausgehen und damit eine Verwandtsdiaft zeigen,die eine Anwendung technisdier Besdireibungsmodelle auf biologische Aspekterechtfertigt. Allerdings sieht CHRISTIAN auch einen wesentlidien Unterschiedzwischen Kybernetik und Gestaltkreis in der Bedeutung des Phdnomenalen undSpontanen des biologisdien Aktes, <las J1Ii<ht auf technische Regelvorgange redu­ziert werden kann, wenn er auch annimmt, daB sensumotorisdie Kreisprozessedie Strukturbedingungen der Verwirklichung des Intentionalen darstellen. Eineweitere Erkenntnis ist noch wichtig: daE der Bewegungsvorgang zwar in ruck­laufiger Analyse als geregelt besdirieben werden kann, in der Vorbereitungs­und Bewegungsphase jedoch nodi viele Moglichkeiten der Gestaltung offen blei­ben. "Es lassen sidi zwar Blocksdiemata der Willkiirbewegung zeichnen mit einemFolgeregler auf der unteren Stufe, mit starren und erlernten Programmen, sowieSpeicher auf hoherer Ebene und dann die entspredienden Informationsfliissetheoretisdi darstellen. lndes enthalten alle diese Schemata in Anwendung aufdie Willkiinnotorik die Aporie, daB im intentionalen Verhalten das Eingangs­programm nicht Festliegt. Eine fest umrissene Absicht, eine Intention im engerenSinne, steht niche am Anfang, sondern man handelt im intentionalen Bezug,bezieht Stellung, will etwas entfalten und in die Ftille seiner Gegenstandlichkeirriicken ... Der Weg geht also vom vorlaufig Bestimmten zum endgiiltig Bestimm-

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ten ... Es ist also so, daB wir in der natUrlichen Motorik meist nidu von einerschon fest umrissenen Objekt- oder Zielvorstellung (Programrn) ausgehen, son­dem daB sich diese sozusagen erst .unterwegs' - im Zugreifen, Probieren, in derbeweglidien Auseinanderserzung - bilden" (CHRISTIAN 1963,99).

Wenn die Sport- und Arbeitsmotorik auch starreren Bedingungen ihrer Verwirk­lichung unterworfen ist als die von CHRISTIAN apostrophierte ,.,natlirliche Moto­rik" und vomehmlich im sensumotorischen Lernprozef mit der Wirkung fest um­rissener Ziel-, Objekt- und Ausfiihrungsvorstellungen gerechnet werden muB, sowerden in den Satzen doch die Befurchrung und das Unbehagen deutlidi, dafkybernetisehe und regelungsthooretische Strukturmodelle allein der Komplexitatdes menschlidien Handelns undder Bewegung nicht vall gereeht werden kcnneen.

BUYTENDIjK (1967) hebt auf Grund seines anthropologisdien Ansatzes besondersden essentiellen Unrersdiied zwischen der mensch1ichen Bewegung und der Bewe­gung durch programmierbare Automaten hervor. Gerade diese Besonderheitender menschlichen Bewegung als Ausdruck eines aktiv in und durch seine Umwelthandelnden Mensehen lassen seiner Meinung nach cine einfache Dbertragung undAnwendung kybemetisch-regelungstechnischer Modellvorstellungen fiir die Erkla­rung menschlichen Bewegungsverhaltens nicht zu, "Das bewegliche Spiel unseresUmgangs mit den Dingen wird durch ein Bemerken der Bedeutungen, ihrerWerte und ihrer Rangordnungen bestimmr. Diese Bestimmung is! in der ridiri­gen Anpassung an die situational relevanten Faktoren vergegenwartigt. Diesgeschieht auBerhalb unseres objektivierenden Bewulltseins, aber nidit auBerhalbunserer (intendierten) Positionalitat" (BUYTENDIjK 1967,187). Wenn BUYTENDIjKaudi zugibt, daB bei einer funktionsanalytischen Betrachtung der Bewegungkybernetische Madelle nlitzlich sein konnen, so ist fur ihn das Ganze des Bewe­gungsakts dam nur aus dec jeweiligen Situation, dern handlungswirksamenSinnzusammenhang und dem "lUstoriologi.schen" Hintergrund zu verstehen. "Diewirkliche Bewegung ist aber in ihrer Physiogenese von Beginn his zu ihremEnde durdi ein System von Bedeutungen und Werten organisiert: z, B. die sieht­bare Labilitat und Form des Gegenstandes, seine im Sehen gegebene Schwere,die Glattheit, die Moglidikeit eines unerwarteten Stoliens, die"Wlirdigkeit'" derPerson, dec wit etwas reidien moditen usw. In der (unbewuBten) Ausftihrungder Handlung werden auBerdem Entdeckungen gemaeht und Improvisationenvollzogen, aber dies aIles befindet sich sowohl in einer zeitraumlidien wie ineiner axioiogiscben Ordnung" (BUYTENDIJK 1967, 193). Selbst wenn man denphilosophisdi-anthropologischen Grundgedanken BUYTENDIJKS nicht vollig zu­stimmt, so wird schon aus den beiden Zitaten und den Aussagen von CHRISTIANdeutlidi, daB die gerade audi im Sport immer wieder zu beobadirende Vielfaltund strukturelle Besonderheit dec motorischen Vorgange, besonders wenn mansie als Ergebnisse von Handlungsprozessen ansieht, mit kybemetisdien undsystemtheoretischen Modellen nicht befriedigend beschrieben und schon gar nichterklart werden kann.

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Die Entwicklung handlungspsychologisch-psywomotorischer Verhaltensanalysen

3. Handlungspsycbologische Ansdtze in der Allgemeinen Psycbologie

In den bisher dargestellten Untersuchungen standen die Bewegung und der Ver­such, die Bewegung als eine psychophysisch gestaltete Einheit aufzufassen und zubesdireiben, irn Mittelpunkt. Wenn diesen Versudien auch kein umschriebenerHandlungsbegriff zu Grunde lag, so wird das die Bewegung vorbereitende,begleitende und ihr nachfolgende psychisdie Geschehen dodi als ein "einheit­licher", "ganzheidicb.er", "gestalteter", "sinnerflillter" usw. Verhaltensprozefaufgefa£t. Zudem werden in allen Ansatzen die enge Verbindung von Psychisehemund Physisdiem some die Fiihrung des psychischen Bewegungsgeschehens gegen­tiber dem physischen hervorgehoben. Aus den verschiedensten Gebieten der Allge­meinen Psydiologie, zum Teil audi der Entwicklungs-, Personlichkeits- undArbeitspsychologie, liegen handlungspsydiologisdie Ansatze vor, die zwar flirunsere Fragestcllung von Bedeutung sind, abet mehr die motivations-, willens­und wertpsychologisdie Seite des Handelns betonen als ihren exekutiv-motori­schen Anteil. Wenn audi auf cine ausftlhrlidie Darstellung dieser handlungs­psychologisdien Untersuchungen verzichtet werden rnuf], so sollen docb. wenigstenseinige wesentliche Definitionen von Handlung erwahnt werden, aus denen dannersichtlich wird, wie vielfaltig auch hier die Auffassung von Handlung und Bewe­gung ist und welche Seiten des Handelns iiberhaupt betrachtet werden.

Nach LEWIN (1926), aufbauend auf den Untersuchungen von AeR, sind alleBewegungen, Tatigkeiten und einzelnen Handlungen in umfassende Handlungs­einheiten eingebettet, die das psychische Geschehen bestimmen und aus derenzeitlicher und struktureller Gliederung heraus sidi allein der Ablauf und dieErscheinungsweise der Einzelhandlungen bestimmen lassen. Zwischen einembestimmten Bediirfnisdruck, resultierend aus nariirlidien Bedilrfnissen, iiber­greifenden Willenszielen u. a., und der antizipierten Bediirfnisbefniedigung aufGrund einer entspredienden Handlung enrsteht ein Spannungszustand, der aufeinen Gegenstand oder ein Ereignis, das Aufforderungsdiarakter besitzt, anspriditund die Herrschaft tiber die Motorik gewinnt: "derartige Aufforderungscharak­tere wirken sogleich als Feldkrafte in dem Sinne, daB sie die psychischen Pro­zesse, VOt allem die Motorik, im Sinne einer Steuerung beeinflussen" (1926, 317).Fur HECKHAUSEN kommtdas Handeln dadurdr zustande, daB zwischen dergegenwartig erlebten Ist-Lage und de. erwiinschten Isr-Lage (Soll-Lage) einErwarrungsgefalle besteht, das die aktuelle Motiviertheit fiir diejenigen Hand­lungen darstellt, die das Individuum der gewiinschten Ist-Lage naher bringen.

PARSONS und SHILS (1951) verstehen unter Handlung alles Verhalten cineslebenden Organismus, das eine dutch die Ziele und Interessen des Handelndengeleitete Orientierung aufweist und mit den Begriffen Antizipation, Situations­bezug, normative Regulation und Motivation analysierbar ist.

Fur HELLPACH (1951) liege cine edrte HandJung dort vor, " .•. wo 1\ndenm­gen am eigenen Ieb., an. Mirgesdiopfen oder an Dingen vorsatzlich und psycho-

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physiologisch bewirkt werden" (1951, 85). Psydiophysiologisdi betrachtet ist furihn alles Handeln ein Bewegungsakt, sofem sich die psychisdie Komponente, derAntrieb und der EntschluB, die Handlung auszufiihren, in einen physiologischenVorgang, die Motorik, umsetzr, Nach THOMAE (1965) ist Handlung " ... cinerelativ in sich geschlossene Folge innerhalb des subjektiven Aktivitatskontinuums,die eine Fiir das handelnde Subjekt sinnvolle Veranderung der Welt, wie es sieerlebt, bewirkt" (1965, 53). Diese " ... gegentiber Reflexen sehr langzeitigen undgegeniiber existentiell definierten Lebensabschnitten sehr kurzzeitigen themati­schen Einheiten, die man als ,Handlung' bezeidmet ..." (54), werden durch dasErfassen der Bedeutsamkeit einer Situation eingeleitet und durdi eine einiger­rnafen adaquate Beanrwortung des .Aufforderungsdiarakters' der Situationbeendet.WITTE, der auf den Arbeiten VOn ACH, LEWIN, FUCHS und HECKHAUSENaufbaut, faBt Handlung als ein ziel- und erwartungsgesteuertes (motiviertes)Verhalten auf, das EntschluB-, Willens- und Zweckhandlungen ebenso umfaBtwie Instinkt-, Impuls- und Routinehandlungen.

Aufbauend auf der von RUlHNSTEIN (1973) gegebenen Definition von HandIungaIs ein zielgerichtetes und auf das Losen von Aufgaben gerichtetes Tun und aufseiner Vorstellung von Handlung als der Crundeinheit der Psychologic schledit­hin, gibt RAUM (1973) dem Handlungsbegriff wohl die umfassendste Bedeutung,wenn er sdireibt: "In der Grundeinheit .Handlung' lassen sich durch AnalyseaIle Elemente der Psychologic (zumindest im Keime) aufdecken. 1) Handlungensind ein Akt des Verhaltens (,Tat') als auch, ergebnisseitig betrachtet, eine Lei­stung des handelnden Subjekts. 2) In den aktuellen Handlungen vollziehen sichkognitive und motorische Prozesse in einer Einheit. In die Handlung gehen Emp­findungs-, Wahmehmungs-, Vorsrellungs-, Gedachrnis- und Denkleistungen ein;sie wird von Gefiihlen und Emotionen begleitet und in einem (volieativ) gesteuer­ten Vollzug realisierr. 3) In den aktuellen Handlungen wirken sidi die relativstatisdien Eigenscb.aften der Personlidikeit (Charakter, Wille, Motivation, Fahig­keiten, Fertigkeiten, Intellekt, Temperament) aus" (1973,21).

In jiingster Zeit sind gerade im Rahmen sportpsychologischer Untersuchungeneinige theoretisdie und empirisdi-experimentelle Ansatze zur Formulierung einerHandlungspsychologie unternommen worden. So hat vor aIlem VOLPERT(1971) auf der Grundlage einer zusammen mit ULICH u. a. (1972) erarbeitetenHandlungspsychologie als einer empirischen Wissenschaft, " ... die sich mit demmenschlichen Handeln als bewuBt auf ein Ziel geriditetes Verhalten befaBt unddie Handlung als Zentralphanomen menschlichen Verhaltens unter speziellsysterntheoretisdiem Aspekt unrersucht" (1971, 7), damit begonn:en, das sensumo­torische Lemen im sporrlichen Training unter diesem Hand:lungsbegriff zu analy­sieren, Auf der Basis des von MILLER u. a. (1960) entwickelten allgemeinen Hand­lungsablaufschemas (ToTE-Modell), in dem die zwischen Handlungsplan undHandlungsziel liegenden Regulations- und Steuerungskomponenten in ihrer

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Die Entwidelung handlungspsychologisch-psychomotoTischer Verhaltensanalysen

hierarcb.ischen Struktur erfaBt werden, bemdht sich KAMINSKI (1972, 1973) urndie handlungspsydiologisehe Fundierung sportlicher Leistungen, besonders furdie Analyse von Mehrfachhandlungen, wie sie z: B. von Skilaufanfangern gefor­dert werden.

In eigenen, nom nicht abgeschlossenen Untersuchungen werden die im Ubungs­prozef ziel- und bewegungszentrierter Sportarten wirksamen handlungspsycho­logischen Komponenten erfaBt und hinsiditlidr ihrer Auswirkungen auf denLernfortschritr und die motivationale, emotionale und soziale Beteiligung desSportlers im Training analysiert,

4. Die Bedeutung handlungspsychologischer Analysen fUr die Entwicklung einerpraxisorientierten sportpsycbologischen Forschung

Wenn man die in den letzten beiden Absdmitten dargestellten versdiiedenarti­gen theoretischen Ansatze und die ihnen zugrunde liegenden empirisch-experi­mentellen Untersuchungen zum Thema ,Handlung und Bewegung' vergleichendbetraditet, stellt sich die Frage nach ihren Ergebnissen und ihrer Verwendbarkeitfur die Enrwicklung sportpsychologischer Forschungsansatze und die darauf auf­bauende Erweiterung unserer Erkenntnisse tiber die vorn Sportler ausgefiihrtenHandlungen und Bewegungen und die sie bedingenden psychophysischen Regu­lations-, Steuerungs-, Kontroll- und Strukturgesetzrnaiiigkeiren.

In den Untersuchungen van KLEMM, v. WEIZSACKER, CHRISTIAN will BUYTENDIJKwurde, wenn auch auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Grundlagen, deutlichgezeigt, daf die menschliche Bewegung mehr ist als ein mit physikalischcn, physic­logischen und biomechanischen Methoden analysierbarer Vorgang. Sie versudi­ten auf sehr verschiedene Weise, den Menschen als das die Bewegung nicht passiverleidende, sondern aktiv ausftihrende und steuernde Individuum in die Bewe­gungsanalyse einzubeziehen. Obgleich die Einzelergebnisse dieser Unrersuchun­gen auch heute nodi von Bedeutung sind, konnen Erklarungsbegriffe wie Ganz­heitlichkeit der Bewegung, gestaltete Bewegung, Bewegungsgestalt, funktionaleSinnerfiillung und Bedeutungsgehalt der Bewegung u. a. nut ein erster Schrittsein, der hcutigen Ansprdchen wissenschafrlicher Verhaltensanalyse nicht mehrgeniigt. Dabei waren cine Relativierung rein Funktionsanalytisdier Betraditungs­weisen und eine starkere Betonung anthropologischer Aspekte des mensdilidienBewegungsverhaltens als einer aktiv gesteuerten Tatigkeit allerdings unbedingtnotwendig.

Noch radikaler und ausschlieBlicher wurden die Wechselwirkungen der psydii­schen und physischen Prozesse in der menschlichen Bewegung in der marerialisti­sdien Psychologic RUBrNSTEINS und seiner Nadifolger hervorgehoben.

Versucb.t man nun, von diesen Erkenntnissen und den in der Allgemeinen Psy­chologie erarbeiteten handlungspsychologischen Konzeption ausgehend, die amSportIer zu beobachtenden und mit dem Sport zusarnmenhangenden Tatigkeiten

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zu analysieren, und geht main dabei von der sportlidien Handlung als Gegenstandund Grundelement der wissenscheftlidien Analyse aus, dann hat das folgendeKonsequenzen fur die sportpsychologische Forschung:a) Zunachst mtill eine flir die Analyse sportlidier Tatigkeiten relevante Begriffs­bestimmung von Handlung entwickelt werden. Die oben skizzierte Vielfalt derHand]ungsbegriffe kommt hauptsachlich durch eine unterschiedliche (enge/weite)Begriffsfassung und durdi versdiiedenarrig gesetzre Sdiwerpunkte zustande,In neuerer Zeit seheint die Diskussion auf folgende Alternative hinaaszulaufen:

(1) Man kann Handlung im engeren Sinne definieren " ... als eine menschliche,nahzielgerichtete Aktivirat (die natiirlich auch von ilbergeordneten Pernzielenabhangt), deren Motiv, Ziel und Folgen den Menschen bewullt sind" und die" ... Einengung auf vollbewuflt gesteuerte Vollziige (deshalb flir zweckmallighalt), da fast alle menschlichen Vollziige automatisierte Komponenten enthalten",wie RAuM (1973, 22) und mit ihm die materialistisdi orientierten Psychologenmeinen. In diesem Konzept sind Tatigkeiten als "komplexe, fernzielgerichteteAktivitaten" den Handlungen als "nahzielgerichtete Aktivitaten" und damit als"bewuBtseinsreprasentante Elemente und Grundbestandteile im psychologis<henSinne" iibergeordnet, und " ... Operationen sind im Gegensatz zu Handlungenautomatisierte und damit im Hinblick auf Motiv, Aufgabe und Ziel unbewulitgewordene Handlungen (z. B. Fertigkeiten, Denkoperationen, Gewohnheicen),also Bestandteile von Handlungen, in deren Rahmen sie eingesetzt werden"(RAuM 1973,22).(2) Handlung wird im weiteren Sinne als "ziel- und erwartungsgesteuertes (moti­viertes) Verhalten" (WITTE) bezeidmet, wobei zunadist offen gelassen ist, welcheTeile des Handelns bewuiirseinsptliditig und iiberhaupt bewufltseinsfahig sind.Neben Kornponenten dee Handlungsausfiihrung wie Orientierungs-, Kontroll­und Steuerungsoperationen sind im sportlichen Handeln auch oft Motiv, Ziel undFolgen des Handelns dem Sportier nidit vall bewufsr, Die Ursachen dafdr sindnicht nur in einer bestimmten Art des Trainings zu suchen, das dem Sportierkeine Anregungen und Moglidrkeiten bietet, sidi der Bedingungen und Folgenseines Tuns bewuBt zu werden, sondern es muf mit der Wirkung erfahrungsab­hangigen, unanschaulidien Wissens, handlungssteuernder Erwartungsemotionen,situationsspezifischer und unbewuBt verlaufender Hinweisreize, die cine .Erwar­tungskonditionierung' hervorrufen, u. a. geredmet werden. Die endgiiltige Kla­rung eines flir das sportliche Handeln braudibaren Handlungsbegriffs, beson­ders hinsichtlich des Bewufitseinsgrades dec handlungsrelevanten Komponenten,kann erst nach dem Vorliegen einschlagiger Untersudiungsergebnisse im Rahmeneiner Handlungstheorie erfolgen, wobei die vorsdmelle Festlegung auf eine engeBegriffsauffassung fur die Forsdiung eher hinderlich ist. Bis dahin konnte einelohnende Aufgabe in dee Bestandsaufnahme dec schon bis jetzt in dee Psychologieerarbeiteten Erkenntnisse zum Problem der Wirkung bewuflter und unbewuflterVorgange im Handeln und in der Bewegung bestehen.

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Die Emwickllmg handlHngspsychologisch-psychomotori,chrT Verha/umana/ysm

b) Wenn sportliche Beratigungen als zielgerichtetes Verhalten aufgefaBt werden,muf geklart werden, unter weldien Zielstellungen das Handeln konkret erfolgt,denn nur daraus lassen sich die versdiiedenen Handlungsarten ableiten, die esabzugrenzen gilt. Bei dieser Aufgabe ist bisher noch ungeklart, auf welche Weisesidi die Handlungsziele im Handelnden reprasentieren und welche Zusarnmen­hange zwischen Handlungsmotiv, Handlungsziel und Handlungsverlauf, beson­ders auch hinsichdich einer Zielmodifikation wiihrend der Handlungsausfdhrung,bestehen.c) Jede Handlung (Einzelhandlung) ist als ,nahzielgerichtetes' Verhalten in uber­geordnete Handlungen mit umfassenderen Kompetenzbereidien (z. B. in .fern­zielgericluete' Tatigkeiten) eingebunden, womit die Notwendigkeir der Analyseder Einzelhandlung als Teil einer umfassenclen Handlungsstruktur bestehr, Dar­iiber, da£ die Handlungsstruktur hierarchisch organisiert ist, besteht weitgehen­des Einverstandnis (dazu KAMINSKI 1973 und HACKER 1973), doch wie imsportlichen Handlungsprozef die strukturellen Zusammenhange beschaffen sind,is! nach wie vor unklar.

Nur soviel ist sidier, daf mit der Analyse der sportlichen Tarigkeit als hierarchismorganisiertem Handlungsgeflige zwar der Elementarismus in der Handlungs­und Bewegungsforschung iiberwunden und ein der Komplexitat des realen Ge­schehens angemessenes wissensdiafrliches Vorgehen errnoglicht ist; doch werdendamit auch das empirisch-experimentelle Vorgehen und die quantitative undqualitative Verarbeitung der Daten zum Teil so komplex, daB oft mit herkdmm­lichen Methoden nicht vie! auszurichten ist, Darnit wird die Notwendigkeit derEntwicklung neuer Untersudrungsrnerhoden in einer handlungspsydlologischorientierten sportpsychologischen Forschung deutlich.

d) Beim gegenwartigen Stand handlungspsychologischer Forschung stehen - be­sonders im Zusammenhang mit dem Problem derengen Verflecheung von Hand­lung una Bewegung - die Phasenstrukrurund die Genesevon Teiloperationen desHandelns im Vordergrund, Besonders im Zusammenhang mit kybernetischenRegulationsmodellen sind viele Arten von Handlungsablaufschemata entwickeltund auf ihre Brauchbarkeit hin analysiert worden. Dabei zeigt sich, daB die allge­meinen, fiir aIle Arten des Hanclelns giiltigen Ablaufschemata lediglidi einegrobe Orientierungshilfe Ieisten konnen, indem sie z. B. Antriebs-, Oberlegungs-,Entsdilull-, Vollzugsvorbereirungs- und Vollzugsphase (RAuM 1973) besdireibenund einander zuordnen, Fiir die Analyse der Phasenstruktur verschiedener sport­lidier Handlungen sind spezifischere und differenziertere Ablaufschemata not­wendig, wobei z. B. Prozesse des sensumotorisdien Lernens mit zu beriicksichtigenwaren,e) Handlungspsychologische Analysen haben immer auch die neurophysiologi­schen Grundlagen der Bewegungsregulation zu beriicksichtigen. Hier scheinenz. B. die von ANOCHIN (1967) im Rahmen seines »funktionellen Systems derphysiologischen Ardiitektur des Behaltensaktes" entwickelten Stadien der 1. Affe-

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renzsynthese (mit Situations-, Einstellungs- und AnlaBafferenz), 2. Herausbil­dung des Aktionsakzeptors, 3. Antwortreaktion und 4. Reafferenzverarbeitungeinen brauchbaren Ansatzpunkt zu liefern, da sich diese Stadien der Herausbil­dung einer Reaktion sehr gut mit einigen psychologischen Phasenstrukturen derHandlung vergleichen lassen.Zusammenfassend HiBt sidi Feststellen, daf die Auffassung der sporrlidien Betati­gung als Handlung in der weiteren Fassung, namlidi als ziel- und erwartungs­gesteuertes Verhalten, die Moglichkeit bieter, die psychophysischen Bedingungs­zusammenhange der sportlichen Bewegung unter Einbeziehung des Sportlers alseines aktiv Handelnden mit seinen Erwartungen, Hoffnungen, Wiinsmen undBefiirchtungen und der an seinem Tun beteiligten Personen (Mitspieler, Trainer,Zuschauer) zu analysieren. Die Analyse selbst, soIl sie fur Sportler, Trainer unddie am sportlichen Geschehen beteiligten Personen handlungsrelevante Ergeb­nisse liefern, muf am konkreten Einzelfall, z. B. in einer bestimmten Spartan,in einem bestimmten motorischen Fertigkeits- und Trainingsstadium usw., vorge­nommen werden. Bei der Vielfalt sportlicher Betatigungen stehen wir mit unserenheutigen Erkenntnissen erst am Anfang. Erst auf der Basis so zu gewinnenderfundierter Erkennrnisse tiber Zustandekommen, Ablauf und Folgen der sport­lichen Handlungs- und Bewegungsvorgange konnen zukunftweisende Konzeptefur den Sport und die Leibeserziehung entwickelt werden. In diesen KonzeptenmtiBte deutlich werden, daB Sport und Leibeserziehung nicht de! Leisrungsmaxi­mierung um jeden Preis zu dienen haben, sondern zuerst dem in und durdi seineKorperbewegungen bandelnden M enscben.

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