Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

54
Aus der Diskussion :: nr. 1 – 05.12.2011 Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege Dokumentation eines Symposions am 24.10.2011 Inhalt Das Symposion Der Berliner Freiwilligensurvey Ausgewählte Surveyergebnisse in Stichworten Die fünf Thementische Staat und Gesellschaft neu denken – Engagementförderung heute Schlussfolgerungen - oder: Wie geht es weiter? Zum Symposion waren gekommen 1/54 Zum Symposion eingeladen hatte der Treffpunkt Hilfsbereitschaft Landesfreiwilligenagentur Berlin in Kooperation mit "aktiv in Berlin" Landesnetzwerk Bür- gerengagement und Bun- desnetzwerk Bürgerschaftli- ches Engagement (BBE) gefördert von der Senats- verwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.

description

Dokumentation eines Symposions von Treffpunkt Hilfsbereitschaft Landesfreiwilligenagentur Berlin in Kooperation mit "aktiv in Berlin" Landesnetzwerk Bürgerengagement und Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) am 24.10.2011 in Berlin

Transcript of Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Page 1: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Die Ergebnisse des BerlinerFreiwilligensurveys auswerten

Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Dokumentation eines Symposions am 24.10.2011

Inhalt

Das Symposion

Der Berliner Freiwilligensurvey

Ausgewählte Surveyergebnisse in Stichworten

Die fünf Thementische

Staat und Gesellschaft neu denken – Engagementförderung heute

Schlussfolgerungen - oder: Wie geht es weiter?

Zum Symposion waren gekommen

1/54

Zum Symposion

eingeladen hatte derTreffpunkt HilfsbereitschaftLandesfreiwilligenagenturBerlin

in Kooperation mit "aktiv inBerlin" Landesnetzwerk Bür-gerengagement und Bun-desnetzwerk Bürgerschaftli-ches Engagement (BBE)

gefördert von der Senats-verwaltung für Integration,Arbeit und Soziales.

Page 2: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Das Symposion

Am 15.06.2011 hatte Dr. Thomas Gensicke, TNS Infratest Sozialfor-schung München, im Roten Rathaus auf gemeinsame Einladung derSenatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und der Beauf-tragten für Bürgerschaftliches Engagement in der Senatskanzlei dieErgebnisse aus dem „Berliner Freiwilligensurvey“, einer tiefergehen-den Auswertung der bundesweiten Freiwilligensurveys der Jahre1999-2009 für Berlin, einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.

Diese repräsentative Untersuchung über das Bürgerschaftliche Enga-gement war in Berlin durch die Erhöhung der Befragungszahlen aufeine gesamtstädtisch und kommunal besonders detaillierte Ergebnis-basis gestellt worden. Sie führte zu neuen Erkenntnissen und warfviele Fragen bezüglich der Beförderung des Bürgerschaftlichen Enga-gements in Berlin auf.

Das von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Sozialesvorgeschlagene und hier dokumentierte Symposion zur weiteren Aus-wertung des Berliner Freiwilligensurveys sollte nun fünf zentraleAspekte der Untersuchung eingehender diskutieren:

• Hindernisse bzw. Förderansätze für das Engagement von Älteren

• Auswertung der Engagementfelder und der Motive von Freiwilli-gen

• Ergebnisse zum Engagement mit Blick auf verschiedene Lebens-welten

• Nachhaltige Förderung des Engagements Jugendlicher und jun-ger Erwachsener

• Stärkung der Informations- und Beratungsfunktion für bishernicht erreichter Zielgruppen.

Schließlich sollte die Bedeutung des Bürgerschaftlichen Engagementsals unverzichtbarer Bestandteil der Landes- und KommunalpolitikBerlins hervorgehoben diskutiert werden, um zusätzliche Aussagenund Einschätzungen für Leitlinien einer profilierten Engagementpoli-tik zu gewinnen und Diskursebenen in der Stadtzu öffnen.

Nach einer Überblick verschaffenden Einführung in für das Symposi-

2/54

:: Berlin - Metropole desBürgerschaftlichen Enga-gements. Bluhm und Hel-big präsentieren Ergebnisder aktuellen Freiwilligen-studiePressemitteilung, 14.06.2011www.berlin.de/landespressestelle/archiv/20110614.0830.347545.html

Page 3: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

on wichtige Aspekte des Berliner Freiwilligensurveys wurden die Fra-gen an fünf moderierten Thementischen diskutiert. Mit seinem über-greifenden Blick von aussen setzte Dr. Serge Embacher die BerlinerEngagementlandschaft in Zusammenhänge, beleuchtete und bilan-zierte den Tag und öffnete den Blick (auch über Berlin hinaus).

Eingeladen waren die Vertreter/innen der Fachverwaltungen sowieder Fraktionen, die Mitglieder und Interessierten des "aktiv in Berlin"Landesnetzwerk Bürgerengagement und der Runden Tische des Treff-punkt Hilfsbereitschaft. Der Treffpunkt Hilfsbereitschaft hat in guterTradition der Runden Tische zur Förderung des Freiwilligen Engage-ments in Berlin gerne die kurzfristige Vorbereitung und Organisationdes Symposions übernommen und legt hier die Ergebnisse vor.

Der Berliner Freiwilligensurvey

Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauenund Jugend (BMFSFJ) führte das Meinungsforschungsinstitut TNS In-fratest Sozialforschung München im Jahr 2009 (wie bereits 1999 und2004) einen bundesweiten Freiwilligensurvey (Ehrenamt, Freiwilli-genarbeit und bürgerschaftliches Engagement) durch. Die großeUmfrage stellt jedem Bundesland eine repräsentative Stichprobefür eigene Auswertungen zur Verfügung. Die Stadt Berlin hat TNSInfratest Sozialforschung München bereits zum dritten Male mit derErstellung einer Landesstudie beauftragt. Zur aktuellen Welle desFreiwilligensurveys 2009 erfolgte die Anlage in einem besondersaufwendigen Format. Die Stadt Berlin finanzierte 600 Interviews,um detaillierte Auswertungen zu ermöglichen, auch über verschie-dene sozialräumliche „Lebenswelten“ in der Stadt.

Die vertiefende Auswertung der Landesdaten macht im Zeitrahmeneines Jahrzehnts die Entwicklung der Zivilgesellschaft Berlins sicht-bar, mit besonderem Augenmerk für ihr Herzstück, das freiwilligeEngagement der Berlinerinnen und Berliner. Dabei galt es, die Be-sonderheiten des Stadtstaates im Umland der neuen Bundesländer,als Metropole und Bundeshauptstadt herauszuarbeiten. Neben derDarstellung der Fakten werden Entwicklungsfelder bestimmt, in de-nen die Rahmenbedingungen für Freiwillige verbessert werden kön-nen.*

3/54

:: Runde Tische zur Förde-rung des Freiwilligen Enga-gements in Berlin 2001-2011Vollständig dokumentiert unterwww.runder-tisch.freiwillig.info

*: Vgl. Berliner Freiwilligen-survey, S. 4

:: Gensicke, Thomas; Geiss,Sabine, 2010: Hauptberichtdes Freiwilligensurveys2009. Ergebnisse der re-präsentativen Trenderhe-bung zu Ehrenamt, Freiwil-ligenarbeit und Bürger-schaftlichem Engagement.Berlin, BMFSFJ

:: Gensicke, Thomas; Geiss,Sabine, 2011: Zivilgesell-schaft und freiwilliges En-gagement in der Bundes-hauptstadt Berlin 1999 –2004 – 2009. München, TNSzitiert im Folgenden: BerlinerFreiwilligensurvey

:: Symposionprogrammpdf-download aufwww.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 4: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Ausgewählte Ergebnisse in Stichworten

Jo Rodejohann, Dipl.-Pol., Treffpunkt Hilfsbereitschaft

In einer knappen halben Stunde den sogenannten Berliner Freiwilli-gensurvey, einen Bericht von 137 Seiten und zusätzlich 76 durchausinterpretationsbedürftigen Grafiken vorzustellen, das ist nichtmachbar, jedenfalls dann, wenn ich Sie nicht einfach mit vielen, vie-len Zahlen zuschütten will, die zudem noch aufeinander zu beziehensind, die aus den drei großen bundesweiten Freiwilligensurveys1999, 2004 und 2009 stammen, zusätzlich bezogen auf die BerlinerSituation, die vielfältige Entwicklungen über die Zeit abbilden. Des-wegen konzentriere ich mich heute auf elf Stichworte. Ich versucheso, Ihnen aus diesem sogenannten Berliner Freiwilligensurvey fürdas, was wir heute diskutieren, einiges an Hintergrund zu geben.Weiteres Material habe ich in den die Thementische begleitendenVorlagen zusammengestellt. Und zum Schluß gibt es noch einigeKommentare meinerseits.

Der Survey selber ist, wie gesagt, eine Sonderauswertung der bun-desweiten Freiwilligensurveys für 1999, 2004 und 2009, die von TNSInfratest Sozialforschung - zuletzt im Auftrag des Bundesministeri-ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - gemacht wurden.Sie wurde für Berlin diesmal von der Senatskanzlei und der Senats-verwaltung für Integration, Arbeit und So-ziales gemeinsam beauftragt. Auch für diefrüheren Surveys hat es landesbezogeneAuswertungen gegeben. Bundesweit wur-den 2009 insgesamt 20.000 Menschen tele-fonisch befragt, davon 1549 in Berlin. InBerlin ist die Zahl der auf Grundlage lan-desbezogener Beauftragung zusätzlich Be-fragten erheblich höher als in anderenBundesländern, was eine Reihe von weiter-gehenden Aussagen für Berlin ermöglicht.Der Auftrag für die Berliner Sonderauswer-tung der Daten wurde im Unterschied zu

4/54

:: Schriftform des Vortragsauf der Grundlage einerMitschrift von André Voll-rath.pdf-download der begleitendenPräsentation aufwww.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 5: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

einigen anderen Ländern, die damit noch mal eigens dritte Wissen-schaftler, Wissenschaftlerinnen beauftragt hatten, an den Auftrag-nehmer für die Umfrage selber vergeben, nämlich TNS Infratest.

Das ist aus meiner Sicht nicht ganz unwichtig. Denn wer immer – dashabe ich auch gemerkt – sich mit diesen 137 Seiten, die ja selberbereits eine (immer auch subjektive) Interpretation und Auswahlvielfältiger, nicht zwingend eindeutiger Informationen sind – underst recht wer sich mit den diesem Bericht zugrunde liegenden Da-ten auseinandersetzt, hat seine eigenen Sichtweisen, setzt unter-schiedliche Schwerpunkte, kommt zu unterschiedlichen Schlüssen -und so ist jeder Bericht auch immer wieder interpretationsbedürftig.Aber deswegen kein grundsätzlicher Einwand gegen die Beauftra-gung von TNS, auch andere Bundesländer haben es so gemacht, dochzu berücksichtigen ist, dass für Berlin diejenigen, die gefragt haben,auch mit der weitergehenden Auswertung dessen beauftragt wur-den, was sie gehört haben. Die Frage wäre eine Überlegung wert, obnicht ein gleichsam fremder Blick zusätzliche Erkenntnisse aus demriesigen Datenmaterial gewinnen könnte, das sich durch die dreiFreiwilligensurveys angesammelt hat. Und auch das, was ich ihnenvortrage, ist eben das, was ich heraus gelesen habe aus diesemBericht*; Sie werden nicht umhin kommen, sich selber mit ihm aus-einanderzusetzen, wenn Sie es wissen wollen.

Wie eingangs des Symposions schon gesagt: der Berliner Freiwilligen-survey liegt als Manuskript vervielfältigt vor – einige Exemplare da-von haben Sie auch draußen noch gesehen – und ansonsten ist er seitJuni als PDF-Datei öffentlich verfügbar. Allerdings gibt es bisher we-der eine klassische Druckfassung, noch – und das ist mir nicht ganznebensächlich – ist sein Inhalt in leichter Sprache oder anders bar-rierefrei zugänglich. Und ich muss sagen, obwohl ich einiges an Er-fahrung habe aus meiner sozialwissenschaftlichen Vergangenheit: anmanchen Stellen habe ich ziemlich gebastelt, um zu verstehen, wasdenn dort mitgeteilt werden sollte, das gilt natürlich für Menschenmit eingeschränkteren Möglichkeiten noch viel mehr. Dies also eineAnregung. Zwischenruf Frau Wanke, Senatsverwaltung für Integrati-on, Arbeit und Soziales: Noch in diesem Jahr werde der Bericht ge-druckt und es werde auch eine Zusammenfassung in leichter Spra-che geben!. Nun, hervorragend, es ist schon längst gelöst ; dazu

5/54

*: Vgl. als weitere Lesart inVorbereitung dieses Sympo-sions die Auszüge vonCarola Schaaf-Derichs ausdem Surveypdf-download aufwww.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 6: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

kann man Berlin in der Tat nur gratulieren, denn die Bermerkung giltnatürlich auch für andere Bundesländer, in denen dieser Wunsch,Ansgar Klein hat darauf hingewiesen, bisher auch noch ein Wunschgeblieben ist.

Die weite Engagementlandschaft, mein erstes Stichwort: Es gibtüber die Jahre von 1999 bis 2009 in der Sicht des Berliner Freiwilli-gensurveys ein steigendes öffentliches Enga-gement in der Stadt. Dieser recht allgemein-unbestimmte Begriff „öffentliches Engage-ment“ hat etwas damit zu tun, wie der Frei-willigensurvey fragt: Er geht nicht von einerausgefeilten Definition aus, was freiwillige Tä-tigkeit und Bürgerschaftliches Engagement ist,sondern fragt am Telefon nach allen Ausfor-mungen, in denen sich Menschen irgendwieöffentlich engagieren oder auch nicht - undbildet dabei drei Gruppen. Er fragt zum einen:Wer ist überhaupt nicht öffentlich aktiv? Er fragt weiter: Wer istzwar öffentlich aktiv, aber in ungebundenen Formen? Und schließ-lich: Wer ist freiwillig engagiert im engeren Sinne, etwa in Ehrenäm-tern oder Freiwilligendiensten? In Berlin waren 2009 etwa zwei Drit-tel der Bevölkerung ab 14 Jahren – und das sind 10% mehr als 1999 –im breitesten Sinne öffentlich aktiv. Die Steigerung ist allerdings we-sentlich auf den Zeitraum bis 2004 zurückzuführen, stagnierte dannund ging bis 2009 sogar leicht zurück. Diese Bewegung wird auch invielen einzelnen Aspekten des Engagements durchgängig deutlich:Wir haben im Grunde eine Aufschwungphase bis 2004 gehabt, undwir haben seitdem eine Stagnationsphase im öffentlichen Engage-ment. Was das nun im Einzelnen heißt, das sind Fragen, denen amersten Thementisch gleich weiter nachgegangen wird.

Es scheint unverbindlicher zu werden, mein zweites Stichwort:Bis 2004 beobachtet der Freiwilligensurvey allgemein wachsende öf-fentliche Aktivitäten, der Anteil der sich überhaupt nicht öffentlichin irgendeiner Weise betätigenden über 14-Jährigen sank auf 36 %.Aber nur teilweise sind die Aktivitäten dann auch in verbindlichereFormen freiwilligen Engagements gemündet. Die Umfragen legen so-gar seit 2004 einem leichten Trend weg vom freiwilligen Engagement

6/54

:: Weiteres dazu in der Vorla-ge zum Thementisch: DieEngagementlandschaft.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 7: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

nahe, hin zum unverbindlichen, nur irgendwie öffentlichem Engage-ment.

Nachfrage Hartmut Frech: Was ist denn konkret dieses „unverbind-lich öffentliche“? Das hängt mit der Frageweise des Freiwilligensur-veys zusammen: Er hat, wie schon gesagt, nicht von vornherein eineDefinition vorgegeben, was freiwilliges Engagement ist, sondernfragt sehr offen: Was machen Sie alles, was verbinden Sie damit?Und versucht dann, aus diesen offenen Antworten, aus einer großenZahl von Antworten, die natürlich dort zusammenkommen, zweiGruppen zu bilden. Die eine Gruppe bilden die freiwillig Engagier-ten mit einem Verständnis in Richtung auf freiwillige Dienste, Ver-pflichtungen in Organisationen. Und die andere Gruppe bilden dieöffentlich Engagierten, dort ist man aktiv, man beteiligt sich, mangeht zu Veranstaltungen und anderem hin. Die Spanne reicht von ei-ner irgendwie gearteten Teilhabe im öffentlichen Raum – das wäreder weitere Begriff – bis hin zum konkreten Engagement, etwa in ei-nem Altenheim, mit einer bestimmten Verpflichtung und anderemmehr, das wäre dann das freiwillige Engagement. Zwischenfrage:Also wenn ich zur Urania gehe, bin ich öffentlich engagiert? Gege-benenfalls ja, es kommt darauf an, was Sie dort machen. Sie könnendort zu einer Veranstaltung "Wie sieht die Zukunft der Stadtentwick-lung in Berlin aus" gehen oder Sie sehen sich einen Diavortrag überPakistan oder den Ural an. Das letztere wäre einfach eine ganz nor-male Weiterbildung für sie oder auch einfach Lust und Freude. Esentscheidet sich im Konkreten.

Carola Schaaf-Derichs: Die Logik des Freiwilligensurvey beruht inTeilen eben auf diesem Aktiv-sein, damit auch Öffentlich-werden,Mitgliedschaften in Vereinen sind erstmal Aktivitäten, auch wennman nicht gleich operativ etwas macht. Man ist Mitglied im Turn-verein, geht fleißig turnen, das ist schon mal mehr, als wenn mannichts täte, und das eigentliche, für uns "freiwillige Engagement",ist dann das operativ Tätigwerden, so mit den zwei Kategorien,glaube ich, kann man es einigermaßen unterscheiden.

Die vor mehr als zehn Jahren nach Berlin Zugezogenen, meindrittes Stichwort: Die in Berlin Geborenen und diejenigen, die inden letzten zehn Jahren zugezogen sind, sind nach dem Survey die

7/54

Page 8: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

relativ Engagiertesten, während diejenigen, die nicht in Berlin gebo-ren sind, aber schon länger als zehn Jahre in Berlin leben, ein gerin-geres Engagement ausweisen. Die Frage ist nicht ganz uninteressant,und der Bericht stellt sich ihr ja ausdrücklich,aber: Wie kann man esinterpretieren? Ich lebe seit 1968 in Berlin, ich gehöre also zu denenmit erwartbar geringerem Engagement. Ich weiß nicht, wie trenn-scharf diese Frage tatsächlich ist, "In Berlin geboren oder in Berlinnicht geboren?" Ich lass das einfach mal als Stichwort so stehen,vielleicht wird das nochmal klarer werden an einem späteren Punkt,wenn es darum geht, welche Altersgruppen sich in welchem Umfangengagieren.

Carola Schaaf-Derichs: Offensichtlich spielt heute der Grad der Mo-bilität der Menschen eine Rolle, wie intensiv sie sich verankern kön-

nen an einem Ort: Also jemand, der stabile Rahmenbedingungen,Lebensverhältnisse hat, an einem Ort lebt, geboren ist usw. hat

nach dem Freiwilligensurvey mehr Möglichkeiten, sich dort zu enga-gieren, gegenüber demjenigen, der berufsbedingt oder anderweitigbedingt viel mobil ist, wie es heute heißt, viel herumziehen muss,

herumkommt, jeweils neue Freundeskreise, neue soziale Netze undanderes aufbauen muss. Das wird als ein Faktor gesehen, der hier

mit reinspielt. Ich finde die Bezeichnung "einheimisch" ein bisschenschwierig in der Nomenklatur. Aber bemerkenswert ist der Zusam-menhang schon, wenn man bedenkt, dass ein Drittel der heutigenBevölkerung vor zehn Jahren noch nicht in Berlin gelebt hat, aber

gerade die zuletzt Zugezogenen zu den Engagierteren gehören.

Dazu passt mein viertes Stichwort, die unter 45-Jährigen: Bemer-kenswert und auch für die weitere Diskussion heute wichtig ist derBefund, dass nicht die Älteren und Erfahrenen, dass die unter 45-Jährigen, und das erklärt vielleicht über Bande etwas den eben er-wähnten Zuzugseffekt, seit 2004 das freiwillige Engagement, nun inder engeren Definition, auf dem Niveau von 2004 gehalten haben.Wenn man nur die Altersgruppe der über 45-Jährigen nehmen wür-de, dann hätte es seit 2004 einen Rückgang gegeben.

Mein fünftes Stichwort sind die "Lebenswelten": Der Survey ist da-von ausgegangen, dass es in Berlin unterschiedliche Lebenswelten

8/54

Page 9: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

gibt, was für jeden sehr schnell einsichtig wird, der einmal querdurch die Stadt mit der U- oder S-Bahn gefahren ist, ob von Westnach Ost oder von Rudow nach Tegel. Für Berlin unterscheidet erinsgesamt sieben sozialräumliche Lebenswelten, die Wirkungen ha-ben für öffentliche Aktivitäten und freiwilliges Engagement. Es sinddie so genannten Kreativbezirke, das ist Prenzlauer Berg, jetzt mehrnach Pankow zu, aber das ist in Bewegung, Kreuzberg kommt dazu,neuerdings Wedding.Es gibt die so ge-nannten Migrations-bezirke, das sindTeile von Mitte, dasist der "alte" Wed-ding, das ist Moabit,das sind zugleichteilweise frühere In-dustriebezirke, sindQuartiere, die in densiebziger Jahren(kahlschlag-)saniertworden sind, inner-städtische Neubau-quartiere, hier imdamaligen West Ber-lin, dasselbe ist aberauch parallel gelau-fen in Ost Berlin.Wir haben weiter dieso genannte Plattenbaukultur, wobei es diese Kultur – Plattenbauim technischen Sinne – eben nicht nur in Ost Berlin gibt, sie hat inWest Berlin mit den Großsiedlungen im Nordosten, Westen und Sü-den Parallelen. Spannend ist auch der so genannte Grüne Ring Ost,der sich von Köpenick bis hinauf in den Norden, bis nach Pankowzieht, unterbrochen von Plattenbau-, von Neubausiedlungen, mitseinen deutlichen, als positiv wahrgenommenen Verschiebungen.

Zusammengefasst: die Kreativbezirke gewinnen, die Migrations-bezirke verlieren - und die bürgerlichen Statusbezirke und auch

9/54

Page 10: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Berlin Süd, Charlottenburg, Wilmersdorf, Zehlendorf, die bleiben"unter den Erwartungen". Nachfrage: "Unter den Erwartungen" heißtverloren? So einfach nicht, aber der Freiwilligensurvey wertet es so,auch was den berlinweiten Durchschnitt angeht. Dabei geht dieseBewertung offensichtlich von einer bestimmten Vorstellung Bür-gerschaftlichen Engagements aus (ich erinnere an meine Eingangsbe-merkungen zu unterschiedlichen Sichtweisen und damit Interpretati-onsbedürftigkeiten der Ergebnisse des Surveys), dass es nämlich bür-gerliche Statusbezirke sind, die Engagement wesentlich tragen, dassgerade diese Mileus besonders bürgerschaftlich engagiert wären, al-lein schon weil sie dazu die Möglichkeiten, die Ressourcen haben -was aber so einfach offenbar nicht zutrifft, wobei es mal wieder aufdas "einfach" ankommt. Schließlich bildet noch Berlin Nord/West mitseinen Großsiedlungen und alten Industriebezirken ein eigenes Mil-eu, also Reinickendorf, Spandau. Mehr dazu gleich an einem eigenenThementisch.

Das sechste Stichwort, die Älteren: Jetzt komme ich zu den Älte-ren, die sich zu einer "Problemgruppe" entwickelt haben - ob so rich-tig wahrgenommen, weiß ich nicht -, aber wo es jedenfalls deutlicheVeränderungen gibt. Das Engagement dieser Teilgruppe, der älteren60-plus, stieg in Berlin zunächst deutlich bis 2004 auf 26% an, fieldann aber ebenso deutlich wieder auf 19%. Das sind keine neben-sächlichen Bewegungen. Etwas weniger stark stieg seit 2004 auchdie Zahl der überhaupt nicht Aktiven wieder an.

Und bei der so genannten Bereitschaft, die der Freiwilligensurveymit Fragen zu unterschiedlichen Bestimmtheitsgraden zu erhebensucht: Wären Sie grundsätzlich bereit? Wären Sie sicher bereit? Wä-ren Sie vielleicht bereit? Wären Sie gar nicht bereit? - auch da zeigtsich, dass diese Bereitschaft bei den 60-plus deutlich unter der an-derer Altersgruppen liegt, ja unterm Strich mit 51% massiv unter-durchschnittlich ausfällt. Zum Vergleich: die 14- bis 30-Jährigen sindin irgendeiner Form zu 86% bereit, bei den 31- bis 45-Jährigen sindes 83% und bei den 46- bis 59-Jährigen 74%, die grundsätzlich sa-gen, ja, wir würden gerne und wir täten es auch gerne.

Das ist ein wichtiger Hinweis, weil die Älteren – die in der Regel ausdem Erwerbsleben ausgeschieden (worden) sind – als diejenigen gel-ten, die ja nun Zeit, eben vom Haupttauschmittel freiwilligen Enga-

10/54

:: Weiteres dazu in der Vorla-ge zum Thementisch: En-gagement & Lebenswelten.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 11: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

gements im Übermaß hätten. Wie man sich das so in der Engage-mentpolitik vorstellt: Ich erinnere das Bild, mit dem das Bundesmi-nisterium für Senioren und andere wirbt, dieses tiefrote Sofa mit ei-ner Delle drinn und der Aussage: "Bitte bleiben Sie nicht im Sofa sit-zen, bewegen Sie sich!" Falls, nein als ob das wirklich das Problemwäre; ich komme später nochmal drauf zurück.

Und mein siebtes Stichwort, der ältere Familienjahrgang: Das istwohl für die weitere Entwicklung und auch für unsere Diskussionheute eine ziemlich bedeutsame Beobachtung im Freiwilligensurvey.Der ältere Familienjahrgang der 46- bis 59-Jährigen bleibt zwar öf-fentlich aktiv in irgendeiner Form, zieht sich aber latent aus demfreiwilligen Engagement im engeren Sinne zurück. Dazu haben wirdann auch gleich einen Thementisch, deswegen an dieser Stelle nurdie allgemeine Aussage.

Den jüngeren Menschen gilt mein achtes Stichwort: Insgesamt,wie schon gesagt, eine positive Entwicklung. Sie tragen das freiwilli-ge Engagement in Berlin. Zunächst hatte das Engagement allerdingsbei den unter 30-Jährigen bis 2004 bei 22% stagniert, ist aber dannin den letzten fünf Jahren sehr deutlich auf für Berlin überdurch-schnittliche 29% gewachsen - und nimmt man irgendwelche öffentli-chen Aktivitäten zum Kriterium, kommt es sogar auf 70%. Es erreichtdamit auch den Wert der folgenden Altersgruppe der 31- bis 45--Jährigen, die ihr, im engeren Sinne, freiwilliges Engagement eben-falls kontinuierlich von 25% 1999 auf 36% 2009 erhöht haben.

In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Begriffe wichtig, die eine zentrale Rolle im Freiwilli-gensurvey spielen: Die so genannten externen und internen Potentiale. Die internen Potenzialedefiniert der Freiwilligensurvey bezogen auf die bereits freiwillig Engagierten, inwieweit sie sa-gen: "Eigentlich bin ich mit meinem regelmäßigen Besuch im Altersheim noch nicht ausgelastet,ich könnte einfach noch mal eine Lesepatenschaft in einer Schule übernehmen, also mein freiwilli-ges Engagement ausweiten". Dieses wird dann als interne Bereitschaft oder Potenzial für freiwilli-ges Engagement gewertet. Und daneben gibt es noch die externen Potenziale. Das sind diejenigenaus der ja sehr breit gefaßten Gruppe von "irgendwie öffentlich" aber nicht "schon bereits freiwil-lig Engagierten", die sich bereit erklären, zukünftig ein verbindlicheres Engagement einzugehen,sprich, sich im engeren Sinne freiwillig zu engagieren.

11/54

:: Weiteres dazu in der Vorla-ge zum Thementisch:Ältere & Engagement.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 12: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Die externen Potenziale sind für diese Altersgruppe sehr hoch undbemerkenswert: nur 14% oder 15% der Männer und Frauen in dieserGruppe sind überhaupt nicht engagementbereit. Zudem gibt es einedeutliche Angleichung zwischen Männern und Frauen, mit einigenBesonderheiten; auf eine werde ich gleich noch mal kurz eingehen.Als besonders bemerkenswert gerade für die letzten fünf Jahre no-tiert der Freiwilligensurvey, dass die Gruppe der jungen Menschen inAusbildung, die in irgendeiner Form im Ausbildungs- und Bildungssys-tem sind, mit 30% die zweithöchste Engagementquote in Berlin nachden Erwerbstätigen hat, wenn man nach Erwerb- oder Tätigkeitsbe-reichen fragt. Die Erwerbstätigen selber weisen die höchste Engage-mentquote in Berlin auf. Noch auffälliger ist hier der Anteil der "nur"Aktiven – das sind die Zuschreibungen aus dem Survey, deshalb auchin Anführungsstrichen – mit 44% oder der mit nur 26% überhauptnicht Aktiven. Anders ausgedrückt: Dreiviertel sagen, dass sie in ir-gendeiner Form bereits jetzt öffentlich aktiv sind.

Das neunte Stichwort sind die Engagementmittler: Da geht's imGrunde darum: Wassagen denn dieseZahlen der BerlinerAuswertung desFreiwilligensurveys2009, nur einigewenige darauskonnten ja ange-führt werden, undwas folgt aus ih-nen? Was ist zu tun,was ist möglich?Wie kann unter-stützt, gefördertwerden, was schonda ist, was werdenkönnte? Wie kanndas weiter aktiventfaltet werden?Die ganze engage-

12/54

:: Weiteres dazu in der Vorla-ge zum Thementisch:Jüngere & Engagement.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 13: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

mentpolitische Landschaft mit ihren Strukturen, Agenden, Schwer-punkten , den Verortungen in einer weitläufigen Stadt, einer Metro-pole steht auf dem Prüfstand - besonders auch mit ihren Anlaufstel-len und Vermittlern wie etwa den Freiwilligenagenturen.

"Bessere Information und Beratung über Möglichkeiten des freiwilligen Engagements werden inBerlin von vielen Freiwilligen gefordert. Eine Möglichkeit dazu sind Informations- und Kontaktstel-len (Freiwilligenagenturen, Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros und anderes), die in denletzten Jahrzehnten dafür eingerichtet wurden. In Berlin hat sich der Kontakt der Bevölkerung mitsolchen Stellen zwischen 1999 und 2004 von 7% auf 10% erhöht, seitdem ist er gleich geblieben(2009: Hamburg 9%, Bremen 10%, bundesweit 9%). 37% der Berlinerinnen und Berliner (Hamburg34%, Bremen 33%) bekundeten 2009 Interesse, sich bei Informations- und Kontaktstellen über Mög-lichkeiten des Engagements zu erkundigen, das ist der höchste Wert aller Bundesländer. Der Kon-takt scheint oft positiv zu verlaufen, da 55% derjenigen, die bereits eine Informations- und Kon-taktstelle besucht haben, ihr Interesse äußerten, das unter Umständen wieder zu tun. Von denen,die noch keinen Kontakt hatten, hatten 35% Interesse am Kontakt.

Informations- und Kontaktstellen haben in Großstädten und Metropolen eine wichtige Bedeutungfür die Förderung des freiwilligen Engagements. Sie sind besonders wirksam, wenn sie ihr Aufga-benspektrum über die Vermittlung von Freiwilligen hinaus erweitern und sich zu kommunalen Ent-wicklungsagenturen wandeln. Alle, die etwas zur kommunalen Zivilgesellschaft beitragen können,miteinander ins Gespräch zu bringen und zu vernetzen ist die wichtigste Aufgabe. Das betrifft dieTräger des Engagements, Politik und Verwaltung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Wirtschaftund Medien und andere. Dazu kämen zielgenaue Angebote der Weiterbildung für Freiwillige eben-so wie für die Akteure der Engagementförderung sowie Beratung für die Träger über zeitgemäßeFormen der Rekrutierung und des Einsatzes von Freiwilligen. Das erfordert jedoch Ressourcen vonnicht unerheblichem Umfang, mit denen qualifiziertes Personal und ausreichende Sachmittel fi-nanziert werden können." (Freiwilligensurvey Berlin 26-27)

Dazu nun in der gebotenen Kürze, auch hierzu gibt es heute einenThementisch, einige Anmerkungen. Grundsätzlich gilt, dass frühernicht aktive Menschen seit 1999 vermehrt "aktiv" wurden, sie konn-ten aber nur zum Teil für freiwilliges Engagement im engeren Sinnegewonnen werden. In den Zuschreibungen, den Kategorien des Frei-willigensurveys ist die Berliner Bevölkerung insgesamt aktiver gewor-den, aber dieses Wachstum gestiegener "öffentlicher" Aktivität istnur zum Teil in freiwilliges Engagement umgesetzt worden, aus wel-

13/54

Page 14: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

chen Gründen auch immer, dazu eine erste Runde, wie gesagt,gleich am Tisch.

Mein zehntes Stichwort ist Geschlechter und ihre Lebenslagen:Die gut versorgten Männer in Berlin sind relativ gering engagiert, dasist eines der bemerkenswertesten Ergebnisse, bezogen auf Unter-schiede von Männern und Frauen. Gefragt wurde dabei nach derwirtschaftlichen Situation. Berlin unterscheidet sich mit seinem ins-gesamt recht niedrigen Niveau deutlich von den alten Bundeslän-dern, wo 46% der gut Versorgten tatsächlich engagiert sind - in Ber-lin sind es 26%. Hier sind einmal mehr die Milieus angesprochen,aber auch (unsere) Vorerwartungen wie die, dass eigentlich in einemgut bürgerlichen, gut versorgten Milieu hohes gesellschaftliches En-gagement, viel politische Aktivität sein müsste; offenbar eine Über-tragung von auf den ersten Blick schlüssigen Beobachtungen vor al-len Dingen aus den alten Bundesländern. Der Berliner Befund,daswird ausdrücklich festgestellt, ist außergewöhnlich. Er gilt mit die-ser sehr niedrigeren Engagementquote sonur für Berlin, denn auch in den NeuenBundesländern sind immerhin 32% der Gut-versorgten freiwillig engagiert. Und weildie Abnahme des Engagements, die seit2004 zu beobachten ist, ausschließlich zuLasten der Männer geht, kann man viel-leicht die Schlussfolgerung ziehen, dass gutversorgte Männer relativ gering engagiertsind - im Durchschnitt.

Insgesamt nimmt die Engagementquote vonMännern jedoch leicht zu, aber die Steige-rung hing nicht an Männern, die gut ver-sorgt waren, sondern an solchen mit einer nur befriedigend einge-schätzten wirtschaftlichen Situation, vor allen Dingen aber auch andenjenigen, die schlecht versorgt waren. Bei Frauen wiederum spieltdas Kriterium "Wie gut ist man versorgt oder nicht versorgt, wie gutsind die Lebensverhältnisse?" keine so große Rolle. Das ist, wie be-reits gesagt, wie alle Zahlen des Freiwilligensurveys interpretations-fähig, interpretationsbedürftig auch, aber es ist, glaube ich, nichtganz nebensächlich für die Frage, wie freiwilliges Engagement sich

14/54

:: Weiteres dazu in der Vorla-ge zum Thementisch: En-gagementmittler & Enga-gementpotenziale.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 15: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

entwickeln wird, wie es sich entwickeln sollte, wo die kritischenWegepunkte möglicher Entwicklungspfade aus der jetzigen Situationheraus liegen (könnten).

Mein elftes Stichwort schließlich gilt der Erwerbslosigkeit: Er-werbslose und Menschen mit einfacher Bildung lassen sich mit zweiBeobachtungen – nicht allseitig, aber zumindest in bestimmter Hin-sicht – beschreiben. Unter den Erwerbslosen gibt es zwar stabil rela-tiv viel Engagierte, aber seit 2004 zugleich weniger öffentlich aktiveMenschen. Das heißt, die Zahl derjenigen ist gestiegen unter den Er-werbslosen, die sich überhaupt nicht engagieren. Das wird im Frei-willigensurvey interpretiert als Indikator für eine wachsende sozialeInklusion eines Teils dieser Gruppe. Wie bestandsfähig diese Sicht istin dieser sehr generellen Schlussfolgerung muss man sehen. Und esbesteht eine große Lücke im Engagement bei Berlinern mit mittle-rem Bildungsniveau, nur 22% sind freiwillig engagiert, und eine nochgrößere bei denjenigen mit einfacher Bildung, nur 16%. Die ver-gleichsweise starke Schlussfolgerung in dem Zusammenhang - auchfür die sonstigen Aussagen des Freiwilligensurveys, wenn er dennversucht, zu interpretieren - ist recht eindeutig: Es lasse sich kaumeine öffentlich marginalisiertere Gruppe denken, als einfach gebil-dete Menschen in den Großstädten. Das ist zumindest eine Heraus-forderung, und es wirft natürlich viele Fragen auf.

Meinen Bericht möchte ich nicht abschliessen ohne einige (persönli-che) Anmerkungen - auch wieder nur in Stichworten -, die ich mirbeim Lesen dieses Berichts notiert habe, wozu aber in der gebote-nen Breite, in der notwendigen Analyse und in der nachvollziehbarenBegründung hier weder die Zeit noch der Ort ist. Sie sind dazu in ei-nem ersten Zugriff stattdessen gleich eingeladen an den Thementi-schen. Hier meine Anmerkungen Ihnen auf den Weg:

Und was ich noch sagen wollte ...

● Es ist die vielerorts sogenannt „wohlhabendste Generation der Rentner_innen, die jegelebt hat“, die sich offenbar in den letzten Jahren zurückgezogen hat. Und die kommendewird zukünftig wohl noch mehr mit „sich beschäftigt“ sein angesichts absehbar sinkender„Wohlstände“ für viele im Alter, trotz aller politischen Anrufungen. – Alternativlos?

15/54

Page 16: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

● Es ist die Generation der Familie & Beruf „geschafft“ Habenden über 45, der als „Eta-blierte“ wahrgenommenen, die in den letzten Jahren offenbar immer öfter „erschöpft“ ver-schnauft. Und die für den familiären wie beruflichen „Erfolg“ zu zahlenden persönlichen „Kos-ten“, sie werden zukünftig in immer komplexeren Lebenssituationen und sich weiter verdich-tenden, anfordernden Arbeitsverhältnissen auch nicht geringer werden. – Alternativlos?

● Es gibt Menschen mit einfacher Bildung, oder Erwerbslose mit Engagementquoten ver-gleichbar denen der „Gut Versorgten“, die beim Freiwilligen Engagement in Berlin offenbareher am Rand stehen. Sie sind aber wohl ebenso wenig wie die Alten ein einfach abschöpf-, einaufwandslos abrufbares Potenzial. Sie sind nur, aber sie sind durch sorgsame Begleitung und Un-terstützung in ihren jeweiligen Möglichkeiten aktivierbar – eine Dienstleistung allerdings, dieorganisiert und persönlich vor Ort erbracht werden muss, die nicht online oder auf Halde pro-duzierbar ist, und die vor allem wie alle solche persönlichen Dienstleistungen „kostet“. – Nichtleistbar?

Und was ich auch noch sagen wollte ...

● Es sind offenbar die <45, die sich jetzt noch mit „Kraft“ verstärkt engagieren, man könn-te auch sagen, sich wehren, um wenigstens für sich in Beruf und Familie und vor Ort - auch an-gesichts vielfältigen massiven Staats-, Markt- und auch Organisationsversagens - zuträgliche Le-benswelten mit Alternativen und Zukünften zu schaffen ...

● Es sind offenbar die gut Ausgebildeten und Lernenden, die noch Hoffnung haben, dass esdiese Lebenswelten nicht nur als private geben wird und kann, die sich verstärkt öffentlich füreine bessere Zukunft, für ihre (aber nicht nur ihre) engagieren ...

● Es könnten noch mehr sein, die aber meistens ebenso wenig wie die Alten kein durch ir-gendwelche auf Fristablauf gesetzte (Modell-)Programme und kein möglichst aufwandsarm onli-ne abschöpfbares Potenzial bilden, die mehr als bisher nur durch sorgsame Begleitung und Un-terstützung in ihren jeweiligen Möglichkeiten teilhaben können: Eben durch die persönliche„Dienstleistung“ von Engagementmittlern ...

● Es gibt noch viel zu tun, der Survey gibt wichtige Hinweise, sie sind der Diskussion wert,um dann realitäts- und teilhabemächtige Verabredungen Aller mit Allen zur Förderung Freiwilli-gen Engagements (in Berlin) zu treffen. Ob und wie es dann geht, wird sich zeigen, und wennnicht, stehen halt wieder Symposien an, und neue Verabredungen. Aber verbindliche Verabre-dungen, das wäre nicht schlecht. Denn immerhin wissen wir durch den Survey jetzt etwasmehr, wie es ist.

Und ganz zuletzt ...

● Ja, Bildung ist ein Thema, aber auf eine andere Weise als gemeinhin thematisiert: Es ist

16/54

Page 17: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

(auch) dieses Bildungssystem mit seinen nicht Alle einschließenden, nicht Alle in ihren eigenenwie gemeinsamen Möglichkeiten befähigenden Strukturen und Wirkungen, welches nun enga-gierte freiwillige öffentliche Solidarität, aber auch freiwilliges Lernen, Begleiten und Sorgen imdemografischen Wandel so sehr für viele (auch anwaltlich) auf die Tagesordnung gesetzt hat.Denn sonst blieben viele Menschen sich selbst (und der Für-Sorge) überlassen, und sie hättennicht teil, sie blieben draussen.

● Noch eins zu den Alten: Sie werden nicht die „Retter“ sein. Sie sind dabei, mit ihren Kräf-ten, ihrem Wissen, ihren Erfahrungen, aber sie haben ihren (Lebens-)Lauf ... und irgendwannwerden sie ihre Werkzeuge beiseite legen (müssen), sie werden nicht mehr überall dabei sein(können); doch für ein Gespräch über Erfahrungen wird noch für lange Zeit danach Zeit sein,wo immer und falls man sich begegnet. Stemmen müssen es aber wohl tagtäglich die, die es of-fenbar schon längst übernommen haben ...

● Und noch eine Frage zuallerletzt: Was ist eigentlich gesellschaftlich, politisch in den letz-ten Jahren in dieser Stadt und in diesem Land passiert, dass es diese doch bemerkens- undnachdenkenswerten Bewegungen seit einigen Jahren gibt, die der Survey auf seine Weise doku-mentiert? Was wissen wir wirklich darüber, warum es mit dem Freiwilligen Engagement so istwie es ist - und nicht längst anders?

"Selbstportrait" - ganzwie aktuell gewünscht -nach der neuesten Mode

Aufgenommen

im Juni 2011

auf dem Marktplatz

in Friedrichshagen

17/54

Page 18: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Die fünf Thementische

Ergebnisse im Überblick*

DIE ENGAGEMENTLANDSCHAFT

• 57% aller Engagierten wollen beteiligt sein.

• Es geht ihnen um ein Geben und Nehmen und um den Nutzender win-win-Situation.

• Engagement bereichert – Engagement verbindet: das solltemehr kommuniziert werden.

• Das Globalthema weltweiten, übergreifenden Bürgerschaftli-chen Engagements fehlt meist in den Angeboten, wird abernachgefragt, erwartet.

• Formen und Modelle der Anerkennung sollten auf allen Ebe-nen existieren: individuell, institutionell, staatlich.

• Für Langzeitarbeitslose sollten spezielle Modelle der Partizi-pation und Teilhabe entwickeltwerden.

• Die Vielfalt im Angebot und inden Anspracheformen ist ent-scheidend für die Interessier-ten in ihrer Beziehung zumBürgerschaftlichen Engage-ment.

ENGAGEMENT & LEBENSWELTEN

• Lebenswelten enden nicht an Bezirksgrenzen, d.h. bezirks-vernetzende Kooperationen und Projekte sind notwendig.

• Es braucht eine landesweite „Engagement-Strategie“ undbezirkliche „Engagement-Konzepte“.

• Viele Freiwillige sind mobil – sollten auch als solchegewonnen werden.

• Engagement-Motive hängen von individuellen Lebenslagenab, müssen zentrale Orientierung bei der Beratung undInformation sein.

18/54

*: Carola Schaaf-Derichs:Die Ergebnisse der The-mentisch im Überblickpdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 19: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

• Engagementformen müssen unabhängig von der jeweiligenLebenswelt gefördert werden.

• Info-Pakete für „Neu-Berliner/innen“ über Gelegenheitenund Strukturen im Bürger-schaftlichen Engagement soll-ten vielerorts in Berlin angebo-ten werden.

• Freiwilligenagenturen sind be-kannter und leichter zugäng-lich zu machen.

• Neben dem operativen Engage-ment ist das „demokratischeBeteiligungsengagement“ zufördern, Freiwilligenagenturensind entsprechend in ihrem An-gebot zu erweitern und zu qualifizieren.

ÄLTERE MENSCHEN & ENGAGEMENT

• Es existiert ein großer Kern langjährig Engagierter.

• Hindernisse für den Einstieg ins Engagement sind finanzielleBelastungen, und die Abwesenheit anderer anerkennenderRahmenbedingungen.

• Es bestehen hohe aktive & passive Informationsdefizite überdie Engagementlandschaft und –gelegenheiten.

• Um „Mutproben“ und Verunsi-cherungen zu vermeiden, soll-te eine Lotsenfunktion für Äl-tere im Engagement, am bes-ten mit Beratung wie in einerFreiwilligenagentur, ermöglichtwerden.

• Neue Vereinszugehörigkeitensind im Alter eine ungewollteSchwelle.

• Zusammengefasst: Engagementim Alter scheint also in hohem Maße unterstützungs-, beglei-tungs- und orientierungsbedürftig (Lotsendienste, Mentoring)zu sein, etwa durch vermittelnde und auch entwickelnde

19/54

Page 20: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Mittler wie die Freiwilligenagenturen; hier könnte eineChance zur Trendumkehr liegen.

JÜNGERE MENSCHEN & ENGAGEMENT

• „Service Learning“-Programme sollte an allen Schulen einge-führt werden.

• Für jede Schule sollten zwei qualifizierte Freiwilligenkoor-dinator/innen zur Verfügung stehen.

• Die Institution Schule zum Sozialraum hin und für Eigenini-tiativen öffnen.

• Schulpolitik: bessereUmsetzung von Bun-desinitiativen von derBundes- auf die Lan-desebene.

• Jugendpolitik: sowohlbei Fachressort „Bil-dung“ wie bei „Fami-lie“ ansiedeln.

• Nachhaltige Finanz-konzepte für Jugend-projekte.

• Wissenstransfer aus Forschung und Politik.

• Mehr formale Anerkennung der Kompetenzentwicklung durchJugendfreiwilligendienste.

ENGAGEMENTMITTLER & ENGAGEMENTPOTENZIALE

• Freiwilligenagenturen sollten als attraktive Orte für Informa-tion und Beratung zum Bürgerschaftlichen Engagement aus-gestattet sein, prominent beworben und öffentlich bekann-ter bei Organisationen und Bürger/innen werden.

• Freiwilligenagenturen sollen den Nutzen und den Spaß imBürgerschaftlichen Engagement öffentlich machen und guteErfahrungen Aktiver nach außen kommunizieren.

• Hauptamtlichkeit muss in der Arbeit der Freiwilligenagentu-ren im Sinne der Kontinuität und Verlässlichkeit der Struktu-ren fest verankert werden.

20/54

Page 21: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

• Um neue Zielgruppen zu erreichen, sind niederschwellige In-formations-Angebote und eine Orientierung auf das Gemein-wesen zu gewährleisten.

• „Gelegentliches Engagement“ sowie einfache Einsätze müs-sen im Angebot von Freiwilligenagenturen für neue Zielgrup-pen geschaffen werden, ein Spektrum vom „Hineinschnup-pern“ ins Bürgerschaftliche Engagement bis zu formell gere-gelten Freiwilligenddienstenmuss transparent und leicht ver-ständlich vorgehalten werden.

• Neue Konzepte wie die „Entwicklungsagentur fürs Kiez“ oderdie „Beteiligungsagentur vor Ort“ sollen neue Profile derAgenturen schaffen und die Vielfalt ihrer Nutzen für Interes-sierte steigern.

• Eine Weiterentwicklung der Freiwilligenagenturen zu „Kno-tenpunkten lokaler Aktivität“ und zu „Orientierungspunktenfür Bürgerschaftliches Engagement“ („Wo kann ich hier mit-machen?“ bzw. „Was kann ich hier gestalten?“) ist daher zuinitiieren.

• Freiwilligenagenturen sollen in ihrer Kompetenz als Organi-sationsentwickler/-berater (weiter) qualifiziert werden.

• Freiwilligenagenturen benötigen eine eigenständige Träger-schaft und eine auf die o.g. Qualitätsmerkmale ausgerichte-te, angemessene Finanzierung.

21/54

Page 22: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Thementisch: Die Engagementlandschaft

Themenanwalt: Claus Foerster, AWO LV Berlin Reporterin: Susanne Eckhardt-Lutsch, Treffpunkt Hilfsbereitschaft

Wo findet Engagement statt und welche Engagementfelder soll-ten verstärkt erschlossen werden? Welche Motive und Erwartun-gen spielen beim Engagement eine Rolle und wie lassen sich die-se Erkenntnisse nutzen?

Einige Ergebnisse & Aussagen des Surveys zum Thema.*

(0) Der Freiwilligensurvey unterscheidet nicht öffentlich Aktive, nuröffentlich Aktive und darüber hinaus (organisiert) freiwillig Engagier-te.

(1) Gestiegenes Engagement, gesunkene organisatorische Bin-dungsbereitschaft. In Berlin hatten 2009 65% und damit absolut 10% mehr als 1999 der ab 14-jährigen Bevölkerung (wenigstens einenlockeren) Kontakt zu Gruppen, Initiativen, Vereinen oder Verbänden,öffentlichen Organisationen, Institutionen oder Einrichtungen. NachSteigerung von 1999 auf 2004 von 24 auf 29 % stagnierte aber derAnteil der freiwillig Engagierten bis 2009 (28 %), und der Anteil derzwar öffentlich beteiligten aber keine bestimmten Aufgabenübernehmenden Engagierten wuchs von 1999 auf 2009 von 31 % auf37 %.

(2) Berlingeborene und jüngst Zugezogene sind mehr engagiert.Gut ein Drittel der Bevölkerung lebte 2009 erst seit zehn Jahren inder Stadt. Bemerkenswert ist im zeitlichen Verlauf das seit 1999 ste-tig wachsende freiwillige Engagement der Berliner seit Geburt (24 %auf 32 %), und ebenso der in den letzten zehn Jahren Zugezogenen(19 % auf 29 %). Die seit mehr als zehn Jahren in der Stadt Lebendenwiesen 1999, 2004 und 2009 jeweils den mit Abstand höchsten Anteilan Nicht Aktiven (48, 39, 40 %) aus.

(3) Kindergarten, Schule & Soziales Schwerpunkte des Engage-ments. Zwar gehören auch bundesweit „Sport und Bewegung“ und„Kindergarten und Schule“ zu den besonders großen Bereichen desEngagements. In Berlin sind jedoch Kindergarten und Schule als Felddes Engagements mit dem Sport quantitativ fast gleichwertig, bun-

22/54

*: Vorlage zum Symposion:Thementisch: Die Engage-mentlandschaft.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 23: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

desweit eine Ausnahme. Das gilt auch für die (relativ zu den beidenführenden Bereichen gesehen) starke Stellung des sozialen Engage-ments, das sich noch deutlich vor dem kirchlich-religiösen Engage-ment einordnet.

(4) Jüngere Familienjahrgänge stabilisieren das Engagement. Ei-nem kräftigen, von allen über 30-Jährigen, besonders den ab 60-Jäh-rigen getragenen Anstieg des Engagements zwischen 1999 und 2004(von 55 auf 64 %) folgte bis 2009 praktisch Stagnation, insbesonderedurch starke Rückgänge bei den Älteren, vor allem den 46-59-Jähri-gen, ausgeglichen nur durch verstärktes Engagement der Jüngerenbis 45 Jahre, vor allem, wie auchim Bundestrend der jüngeren Fa-milienjahrgänge der über 30-Jäh-rigen (von 1999 = 25 % auf 2009 =36%).

(5) Lebenswelten haben Wir-kung. Unterschiedliche Lebens-welten spielen auch eine gewisseRolle: Kreativbezirke gewinnen,Migrationsbezirke verlieren, Bür-gerliche Statusbezirke unter Er-wartungen, Plattenbau- und alteIndustriebezirke im Westen mitden meisten nicht Aktiven, Ver-besserungen auch im Grünen RingOst.

(6) Politische Kultur der Verantwortungsübernahme als Heraus-forderung: "Förderung der Eigeninitiative sozial Benachteiligter[...] [scheint] besser zu funktionieren als [...] Förderung einer sozi-al produktiven Verhaltenskultur [...] bei Menschen, bei denen dieVerbesserung des materiellen oder sozialen Status weniger im Vor-dergrund steht. [...] Sicher kann es auch politisch-ideologischeGründe haben, wenn sich Teile der bürgerlichen Kreise vom zivilge-sellschaftlichen Engagement fernhalten. Das ist jedoch [...] füreine nachhaltige Engagementförderung zu kurz gegriffen. Der Poli-tik stellt sich dabei in erster Linie eine kulturelle Aufgabe. Es gingeum Verbreitung eines Leitbildes, das Elemente einer wünschenswer-ten Lebensweise im kommunalen Gemeinwesen benennt. Darunter

23/54

Page 24: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

stünde die freiwillige Übernahme von Verantwortung im Rahmender Zivilgesellschaft im Vordergrund. Dabei müsste jedoch klar wer-den, dass die jeweiligen Beiträge in einem Verhältnis zu den mate-riellen, sozialen und kulturellen Ressourcen der Bürgerinnen undBürger stehen müssen. Wo mehr davon vorhanden ist, wird - auffreiwilliger Basis und in einem moralischen Sinne - mehr verlangt,als wo das weniger der Fall ist."*

Über die Diskussion am Thementisch berichtet:

• Cluster/ Abgrenzungen sind im Freiwilligensurvey teilweiseschwierig nachzuvollziehen (gerade im Bereich der Tätigkeitsfelder).

• Die Motivation und die Interessen der Freiwilligen sind sehr un-terschiedlich. Es wird eine Vielfalt gewünscht und diese Vielfalt auch sobeworben werden. Das kann über verschiedene Kommunikationswegeund Plattformen geschehen.

• Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit: Engagement für dasGemeinwohl aber auch für sich Selbst.

• Kommunizieren: „Engagement verbindet“ (Es macht Spaß undman tut etwas für das Gemeinwohl).

• „Engagement bereichert“ (Es tut auf beiden Ebenen gut).

• Weitere Kommunikation der win-win Situation (Wandel des Eh-renamtes).

• Anerkennung sollte auf möglichst vielen Ebenen zur Verfügunggestellt werden (aus dem Engagement heraus, institutionell, staat-lich ...) Frage der Anerkennungskultur, qualitative Weiterentwicklungder Anerkennungskultur und Stärkung der vorhandenen Instrumente.

• Kooperationen mit Jobcentern (Attraktivität für Langzeitarbeits-lose stärken, Entwicklung von langfristigen Modellen der Partizipationund Teilhabe von Langzeitarbeitslosen.

• globales Bürgerschaftliches Engagement als „fehlendes Tätig-keitsfeld“ z.B. Online Volunteering, Engagement im Ausland (z.B. 2 Mo-nate in Afrika).

24/54

*: Berliner Freiwilligensurvey,S. 29

Page 25: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Thementisch: Engagement & Lebenswelten

Themenanwalt: Dr. Jochen Gollbach, FreiwilligenAgentur Marzahn-HellersdorfReporter: Tobias Baur, Humanistische Union

Welche Schlußfolgerungen legen die unterschiedlichen Engage-ments in den sozialräumlichen Lebenswelten nahe? Sind sie indiesen Mileus gebunden? Wie und kann es gelingen, die in denLebenswelten offensichtlich unterschiedlichen Engagamentbe-reitschaften und -potenziale über die je eigenen Mileus hinausim Interesse einer gesamtstädtischen Entwicklung stützend als'bridging capital' zu aktivieren?

Einige Ergebnisse & Aussagen des Surveys zum Thema.*

(0) Sieben sozialräumliche Lebenswelten. Der Freiwilligensurveyunterscheidet für Berlin sieben sozialräumliche Lebenswelten, diesich auf das freiwillige Engagement unterschiedlich auswirken: Krea-tivbezirke, Migrationsbezirke, Plattenbaukultur, Grüner Ring Ost,Statusbezirke, Berlin Süd und Berlin NordWest.

(1) Kreativbezirke legen zu, Migrationsbezirke verlieren. Im Berli-ner Stadtkern hat sich das freiwillige Engagement zwischen den Mi-grationsbezirken des Westens (Wedding, Teile Neuköllns) und denKreativbezirken (Teile von Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichhain,nördliches Neukölln) auseinanderentwickelt: 2004 noch vergleichbar,ist es in den Kreativbezirken bis 2009 gewachsen (von 29 auf 35 %),in den Migrationsbezirken zurückgegangen (von 33 auf 31 %); beideliegen aber über dem Berliner Durchschnitt (28 %).

(2) Grüner Ring Ost holt auf, Plattenbaumilieus verlieren deutlichund haben die meisten nicht Aktiven. Im Berliner Osten gibt eszwischen dem Grünen Ring Ost (von Köpenick bis nach Pankow) undden Plattenbaumillieus seit 2004 ebenso eine gegenläufige Entwick-lung: Letztere weisen einen deutlichen Rückgang beim freiwilligenEngagement auf (von 29 auf 24 %) und hatten 2009 berlinweit mitAbstand den höchsten Anteil an Nicht Aktiven (42 %; allerdings auch2004 schon 44 %). Im Grünen Ring Ost hat sich der Anteil der nur Ak-tiven und der freiwillig Engagierten auf 67 % und damit über dem

25/54

* Vorlage zum Symposion:Thementisch: Engagement& Lebenswelten.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 26: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Berliner Durchschnitt (65 %) erhöht, und berlinweit gab es hier dengrößten Aufschwung im freiwilligen Engagement (von 19 auf 27 %,damit fast Berliner Durchschnitt von 28 %).

(3) Bürgerliche Statusbezirke bleiben hinter Erwartungen, Nord-West verliert deutlich. In den verbleibenden drei Mileus in WestenBerlins hätten die Autoren des Freiwilligensurveys für die bürgerli-chen Statusbezirke Charlottenburg und Wilmersdorf und auch BerlinSüd sich schon für 2004 ein höheres freiwilliges Engagement vorstel-len können und beobachten für 2009 eine leichte Abnahme (32 bzw.31 %) bei gleichzeitig leichter Zunahme der nur Aktiven (34 bzw. 38%). In Berlin NordWest mit Reinickendorf und Spandau ist der Anteilder nicht Aktiven von 26 % (dem niedrigsten Wert 2004) auf über-durchschnittliche 36 % gestiegen, zu deutlichen Lasten insbesonderedes freiwilligen Engagements (gesunken von 32 auf 26 %).

(4) Selbsthilfe reicht in sozialen Brennpunkten nicht aus: "Enga-gementförderung in der Metropole hat besondere Hintergründe. Ei-ner bezieht sich darauf, dass sich hier weit mehr als in der ländli-chen Fläche und in der Kleinstadt sozialeBrennpunkte finden, Stadtregionen oderStadtviertel, in denen sich sozial und kul-turell Benachteiligte konzentrieren. DieErfahrung ist, dass in solchen Milieus diesoziale Selbsthilfe nicht hinreicht, um diesoziale Integration zu verbessern, sei esauf private oder zivilgesellschaftliche Wei-se. Es sind also insbesondere der sozialeMangel, die fehlenden materiellen, sozia-len und kulturellen Ressourcen, die es nö-tig machen, dass der Staat (und auch ande-re öffentliche oder private Akteure) ein-greifen, um die Kräfte der Selbstorganisa-tion und der Selbsthilfe anzuregen und zu unterstützen. Ein ande-rer Ansatz der Engagementpolitik, der zum ersten nicht in Alterna-tive steht, aber durchaus zu gewissen Synergieeffekten führenkann, bezieht sich nicht einfach auf einen Mangel, sondern mehrauf die Freisetzung eines sozialen Überschusses. In Großstadt undMetropole konzentrieren sich neben den sozial Schwachen auch gutausgebildete und gut situierte Menschen, die eigentlich der öffent-lichen Aktivität und dem freiwilligen Engagement nahestehen und,

26/54

Page 27: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

was besonders wichtig ist, dazu von ihren materiellen, sozialen undkulturellen Ressourcen auch besonders befähigt sind."*

Über die Diskussion am Thementisch berichtet:

Lebenswelten sind nicht an Bezirksgrenzen gebunden

• Bezirksübergreifende Kooperationen und Projekte notwendig.• Neben der bezirklichen Engagement-Politik muss auch einelandesweite Engagement-Strategie entwickelt werden.

Wohnort ist oft, aber nicht notwendigerweise auch derEngagementort

• Mobile Freiwillige können auch für Engagement in anderenLebenswelten gewonnen werden.

Motivation zu freiwilligem Engagement verändert sich je nachLebenssituation und Lebenslage.

• Motivationslagen der Freiwilligen müssen in Erfahrung gebrachtwerden.• Motive zum Engagement müssen aufgegriffen und sich in denEngagementmöglichkeiten widerspiegeln.

Freiwilliges Engagement ist immer individuell undlebenslagenbezogen

• Unabhängig von der Lebenswelt muss die BerlinerInnen dieMöglichkeit gegeben werden, einen Bezug zu „ihrem“ individuellenEngagement zu entwickeln.

Berlin ist ein Ein- und Umzugsland

• NeubürgerInnen sollten ein „Info-Paket“ zu den Möglichkeiten desbürgerschaftlichen und freiwilligen Engagements erhalten.• Die FreiwilligenAgenturen müssen bekanter gemacht werden undleichter als bisher zu finden sein.

Die „neuen“ Formen des Engagements werden bisher zu wenigbeachtet

• Blick muss von der reinen „ehrenamtlichen“ Tätigkeit (z.B.Wahlamt im Verein) auch auf das Handlungsfeld „Bürgerengagement“(z.B. Stuttgart21, Bürgerinitiativen, Occupy-Bewegung) geweitetwerden.• FreiwilligenAgenturen sollten von „Ehrenamtsagenturen“ zu„Engagementagenturen“ qualifiziert werden.

27/54

*: Berliner Freiwilligensurvey,S. 28

Page 28: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Thementisch: Ältere Menschen & Engagement

Themenanwältin: Elke Korge, SeniorkompetenzTeam BerlinReporter: Jo Rodejohann, Treffpunkt Hilfsbereitschaft

Welche Hindernisse gibt es für ein größeres Engagement vonMenschen im Ruhestand und warum ist auch ein Rückgang desEngagements der älteren Familienjahrgänge (46 – 59-Jährige) -im Gegensatz zum gesamten Bundesgebiet - in Berlin zu ver-zeichnen?

Einige Ergebnisse & Aussagen des Surveys zum Thema.*

(1) Nicht die Älteren & Erfahrenen, es sind die unter 45-Jährigen,die freiwilliges Engagement auf Niveau halten. In Berlin hat seit2004 eine deutliche Umschichtung des freiwilligen Engagements vonden Jahrgängen der ab 46-Jährigen zu den unter 46-Jährigen statt-gefunden. Der Anstieg des freiwilligen Engagements von 1999 bis2004 (24 auf 29 %) wurde von allen Altersgruppen 31+ getragen, ins-besondere 60+ (16 auf 27 %). Die relative Stabilisierung seit 2004 bis2009 auf "niedrigem" Niveau (29 auf 28 %)sicherten die beiden Altersgruppen 14-30und 31-45, während das freiwillige Enga-gement der 46-59-Jährigen von 35 auf 27 %und der Alten 60+ von 27 auf 22 % sank.

(2) Erneutes Disengagement seit 2004besonders von Rentner_ und Pen-sionär_innen. "Extrem" nennnen die Auto-ren des Surveys die Entwicklung in der Al-tersgruppe 60+, betrachtet man nur dieRenter- und Pensionär_innen: "Bei Men-schen im Ruhestand müssen seit 2004 wie-der stärkere Hindernisse gegenüber dem Engagement aufgekommensein. Das war bundesweit nicht so." Das Engagement dieser Gruppestieg in Berlin von 1999 bis 2004 von 14% zwar auf 26 % . Aber es fielbis 2009 wieder auf 19%. Etwas weniger stark stieg auch die Zahl dernicht Aktiven wieder an (1999 = 60, 2004 = 44, 2009 = 48 %).

(3) Geringste & sinkende Engagementbereitschaft unter allen Al-

28/54

*: Vorlage zum Symposion:Thementisch: ÄltereMenschen & Engagement.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 29: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

tersgruppen bei 60+. Auch die Bereitschaft der nicht oder nur öf-fentlich Aktiven in der Altersgruppe 60+ (2009 = 78 %), sich bestimmtoder eventuell freiwillig zu engagieren, lag 2009 mit 12 bzw. 17 %deutlich unterhalb derjenigen in den anderen Altersgruppen - unddamit war die grundsätzliche Engagementbereitschaft (engagiert +bestimmt + eventuell) mit nur 51 % massiv unterdurchschnittlich;zum Vergleich: 14-30 = 86 %, 31-45 = 83 % und 46-59 = 74 %. Zwarbetrug diese 1999 noch 69 %, aber der Anteil der freiwillig Engagier-ten wuchs nur von 1999 = 16 über 2004 = 27 auf 2009 schließlich nur22 %.

(4) Der ältere Familienjahrgang der 46-59-Jährigen bleibt zwaröffentlich aktiv, zieht sich aber aus dem freiwilligen Engagementzurück. Nach 2004 gab es besonders bei den 46-59-Jährigen deutli-che Verluste: "Letzteres gab den Ausschlag dafür, dass die QuoteBerlins nicht mehr vorwärtskam." Und da in Berlin der Anteil der Be-völkerung 46+ seit 2004 von 49% auf 54% zunahm, wirkten sich dieRückgänge in in dieser Altersgruppe wie auch der der Älteren beson-ders deutlich aus. Seit 2004 scheint es bei 46-59-Jährigen einenRückfall eines Teils der Freiwilligen in den Status der „nur“ Aktivengegeben zu haben. Das interne Potenzial, also die Bereitschaft zurErweiterung des freiwilligen Engagements, ist bei dieser Gruppeüberdies auch kleiner geworden, während es 1999 unter allen Alters-gruppen noch das größte war. In der ältesten Gruppe 60+ hat sichdas interne Potenzial dagegen seit 1999 nochmal von 5% auf 9% fastverdoppelt. Und nur bei den 60+ hat sich das externe Potenzialgrundsätzlicher Engagementbereitschaft noch erhöht, dagegen nichtwirklich bei der Problemgruppe 46-59.

(5) Auf die Erfahrung und Kompetenz dieser Jahrgänge solltenicht verzichtet werden : "Die Belebung des Engagements der Jün-geren ist zwar zu begrüßen, dennoch wäre ein besserer Einbezugauch der reiferen und älteren Jahrgänge ins Engagement wün-schenswert. Die Zivilgesellschaft kann und sollte auf die Erfahrungund Kompetenz dieser Jahrgänge nicht verzichten. Es scheint inGroßstädten und Metropolen allerdings allgemein schwieriger zusein, die reifen und älteren Jahrgänge in das Engagement einzube-ziehen. Das könnte auch mit der Thematik der vorhandenen Ange-bote zu tun haben, die heute in den Metropolen möglicherweiseden jüngeren Altersgruppen mehr entgegenkommen."*

29/54

*: Berliner Freiwilligensurvey,S. 14

Page 30: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Über die Diskussion am Thementisch berichtet:

Die Themenanwältin stellte die zentrale Anfrage aus den Befun-den für ältere Menschen in den Mittelpunkt der Diskussion: Ihr er-neutes Disengagement seit 2004, besonders von Rentner_ undPensionär_innen, sowie die relativ niedrige und überdies sinken-de Engagementbereitschaft.

Die These des Disengagements wurde von den Teilnehmendenteils bestätigt, teils in Frage gestellt. Vier Aspekte wurden näherdiskutiert.

• Es gebe einen relativ stabilen Kern schon sehr langjährigEngagierter. Bei denen, die zum Engagement bereit indie Beratung kommen, tauche in letzter Zeit vermehrtdie Frage nach der Übernahme des damit verbundenenfinanziellen Aufwands auf, konkret insbesondere der Er-stattung der Aufwendungen für Fahrtkosten aber weni-ger allgemeiner Aufwandsentschädigungen. Dabei habedie Frage nach dem Fahrgeld nicht nur den rein monetä-ren Aspekt, es gehe auch um den Abbau von Barrieren(zum Beispiel der Vereinfachung der Nutzung öffentli-cher Verkehrsmittel bei langen Fahrten durch die Stadtdurch kostenlose Tageskarten); das Eingehen auf diekonkreten Bedarfe durch entsprechende Unterstützun-gen sei auch eine Form der Anerkennung.

• Hohe aktive & passive Informationdefizite, auch Zu-gangsbarrieren wurden am Beispiel des geringen Engage-ments in den Bereichen Partizipation und Teilhabe beiden bezirklichen Seniorenvertretungen und den anste-hendenen Neuwahlen hierzu angesprochen.

• Die Frage, warum bessergestellte, lebens- und berufser-fahrene Menschen, gerade auch Männer, sich im Alterweniger engagieren, wurde in Hinsicht auf die unter-schiedlichen Lebenswelten beruflichen und nachberufli-chen Engagements eingehender erörtert. Die Brüchezwischen beiden führen trotz grundsätzlicher Bereit-schaft zu großen Rollen-, Erfahrungs- und Orientierungs-unsicherheiten. Es fehle so etwas wie eine Lotsenfunkti-on auf dem Weg zum und durch das Engagement, ge-

30/54

Page 31: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

• rade auch für Männer; praktische Beispiele aus der Be-ratungsarbeit in den Bezirken unterstrichen diese auch(geschlechts-)relevante Problematik. Freiwilliges Engage-ment habe etwas mit einer Mutprobe zu tun, die mannicht wage, wenn keine Möglichkeiten gefunden werden,mit Unsicherheiten und neuen Erfahrungen (neugierig undoffen) umzugehen.

• Ein zusätzlicher Punkt: Engagement im Alter scheine sicheher nicht in organisatorischen Bindungen wie Vereinenund zeitaufwändigen Strukturen einbringen zu wollen (undzu können), sondernsuche nach offeneren,aber durchaus ver-bindlichen und auch län-gerfristigen Formen, diealterstypischen Anforde-rungen (z.B. Familie)und Einschränkungen(z.B. Gesundheit) ge-recht werden: "Man gehtim Alter doch nicht mehrin einen Verein!" Aberbesondere Orte mitniedrigschwelligenZugang werden in derNachbarschaft im Kiezgerne angenommen und sind auch notwendig.

Zusammengefasst: Engagement im Alter scheint also in hohemMaße unterstützungs-, begleitungs- und orientierungsbedürftig(Lotsendienste, Mentoring) zu sein, etwa durch als freiwilligesEngagement nicht nur vermittelnde sondern auch entwickelndeMittler wie die Freiwilligenagenturen; hier könnte eine Chancezur Trendunkehr liegen.

31/54

Page 32: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Thementisch: Jüngere Menschen & Engagement

Themenanwalt: Daniel Büchel UnionhilfswerkReporter: André Vollrath, Treffpunkt Hilfsbereitschaft

Wie kann bereits heute das Bürgerschaftliche Engagement vonJugendlichen und jungen Erwachsenen (Schüler, Studenten, Azu-bis etc.) noch besser angeregt und nachhaltig für die Ansprachedieser Generation auch institutionell verankert werden?

Einige Ergebnisse & Aussagen des Surveys zum Thema.*

(1) Zuletzt deutlich gewachsenes Engagement der bis 30--Jährigen. Das freiwillige Engagement der bis 30-Jährigen hatte zu-nächst zwischen 1999 und 2004 "auf auffällig niedrigem Niveau" mit22 % stagniert; stieg dann aber bis 2009 auf für Berlin knapp über-durchschnittliche 29 %, zusammen mit den nur Aktiven auf 70 %: Dasist der gleichen Gesamtwert wie bei der folgenden Altersgruppe der31- bis 45-Jährigen, die beim freiwilligen Engagement ebenfalls zu-legte von 1999 = 25 auf 2009 = 36 %. Seit 2004 scheint es bei den 14-bis 30-Jährigen vermehrt gelungen zu sein, „nur“ öffentlich Aktivefür freiwillige Tätigkeiten zu gewinnen.

(2) Seit 2004 stabilisiert das Engagementjüngerer Menschen die Engagementland-schaft in der Stadt. Von 2004 bis 2009 kamdie Engagementquote in Berlin trotzdemnicht voran, und allein diese beiden Alters-gruppen verhinderten mit ihrem Wachstumeinen massiven Einbruch gegenüber 2004.In Berlin hat seit 2004 eine deutliche Um-schichtung des freiwilligen Engagementsvon den Jahrgängen der ab 46-Jährigen zuden unter 46-Jährigen stattgefunden, wo-bei die öffentliche Aktivität und das frei-willige Engagement seitdem auf relativniedrigem Niveau, vergleichbar anderen Stadtstaaten, stagniert.

(3) Beim Engagement junger Menschen im Bildungssystem ist Ber-lin sehr gut. Berlin hält beim Anteil junger Menschen in den Zweigen

32/54

*: Vorlage zum Symposion:Thementisch: JüngereMenschen & Engagement.pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 33: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

des Bildungs- und Ausbildungssystems mit 15,3% den Spitzenwert un-ter den Bundesländern. In der Stadt hatte die Gruppe 2009 mit 30%die zweithöchste Engagementquote nach den Erwerbstätigen. Nochauffälliger ist der "enorme" Anteil der „nur“ Aktiven mit 44% oderandererseits 2009 nur 26 % nicht Aktiven.

(4) Hohes externes wie internes Potenzial für freiwilliges Engage-ment. Die bisher nur Aktiven bilden ein erhebliches externes Poten-zial für freiwilliges Engagement. Hinzu kommt, dass bei den bisherneu zum Engagement dazu gekommenen jungen Menschen es sichoft um solche handelte, die mit ihrem Einsatz ihre Möglichkeitennoch nicht ausgeschöpft sehen. Das interne Potenzial bei den 14- bis30-Jährigen ist inzwischen besonders groß und die Erweiterungswilli-gen überwiegen bei Weitem die nicht mehr dazu Fähigen in der Fra-ge einer möglichen Ausdehnung des Engagements. Und es fällt wei-ter auf, dass 2009 nur 14 bzw. 15 % der Männer bzw. Frauen in derAltersgruppe der bis 30-Jährigen überhaupt nicht zum Engagementbereit waren.

(5) Übergänge vom öffentlich Aktiven zum freiwilligen Engage-ment gestalten: "Auffällig ist die inzwischen sehr hohe Beteiligungjunger Menschen, die sich in den verschiedenen Phasen der (verlän-gerten) Ausbildung befinden [...]. Mit inzwischen 74% öffentlich Ak-tiven hat diese Gruppe den größten Zuwachs der Beteiligungsquotein der Zivilgesellschaft aufzuweisen. In dieser Gruppe junger Leutevereinen sich verschiedene Faktoren, die zur hohen öffentlichen Be-teiligung beitragen. Öffentlichkeit spielt im Lebensstil junger Men-schen ganz allgemein eine große Rolle. Sie sind unter allen Alters-gruppen diejenige mit dem „modernsten“ Lebensstil, der besondersauf öffentlichen Austausch mit anderen ausgerichtet ist. Außerdembewegen sich Jugendliche in der (verlängerten) Bildungs- und Aus-bildungsphase wegen ihrer Ausbildung ständig in öffentlichen Ein-richtungen, in denen viele Möglichkeiten und Anregungen zu öffent-lichen Aktivitäten vorhanden sind. Dazu schätzen sie die Möglich-keiten des Kompetenzerwerbs in der Öffentlichkeit, die auch fürihre berufliche Entwicklung von Nutzen sein können."*

33/54

*: Berliner Freiwilligensurvey,S. 40

Page 34: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Über die Diskussion am Thementisch berichtet:

Schule

• Integration von Servicelearning in den Schulalltag aller Schulfor-men, Klassenstufen und auch in den Alltag von Hochschulen.• Zwei qualifizierte Freiwilligenkoordinatoren für jede Schule.• Öffnung von Schulen für den Sozialraum und Integration von außer-schulischen Lernorten.• Mehr Raum für selbstorganisiertes Engagement und Eigeninitiative(Beispiel Patenschaften von Studierenden für Hauptschüler).

Jugend- und Engagementpolitik

• Bessere Umsetzung politischer Strategien der Bundesebene, die En-gagement von jungen Menschen unterstützen, auf die Landesebene(Negativbeispiele: Lissabonstrategie, Nationaler Aktionsplan für ein kin-dergerechtes Deutschland).• Jugendpolitik nicht einseitig beim Famili-enministerium ansiedeln, sondern auch beimBundesbildungsministerium.• Räume, Netzwerke für Wissenstransferüber politische Initiativen und Forderungenschaffen.• Mehr Nachhaltigkeit in der Projektförde-rung.• Kein Missbrauch von Kompetenznachwei-sen für die Finanzierung von Vereinen, Orga-nisationen.

Jugendfreiwilligendienste• Höhere Anerkennung von Jugendfreiwilli-gendienstleistenden in der Ausbildung, Anrechung von Kompetenznach-weisen bei Bewerbungen um Studienplätze etc..

Grundsätzliches

• Mehr Sprachsensibilität beim Reden über Menschengruppen, res-sourcenorientierte Sprache, die Potentiale in der Vordergrund stellt.

34/54

Page 35: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Thementisch: Engagementmittler & Engagement-potenziale

Themenanwältin: Andrea Brandt, FreiwilligenAgenturKreuzbergFriedrichshainReporterin: Carola Schaaf-Derichs, Treffpunkt Hilfsbereitschaft

Wie kann die Funktion der Freiwilligenagenturen und andererAnlaufstellen für die Information und Beratung von Engagement-interessierten auch für noch nicht erreichte Zielgruppen ge-stärkt bzw. ausgebaut werden?

Einige Ergebnisse & Aussagen des Surveys zum Thema.

(1) Der Aufschwung bis 2004 ging bis 2009 in Stagnation über. DieAuswertung des Freiwilligensurveys für Berlin weist nicht nur auf un-erreichte Zielgruppen hin sondern beobachtet auch bemerkenswerteVerwerfungen und Brüche in der Entwicklung; insbesondere fällt beiallen notwendigen Differenzierungen im Einzelnen ins Auge, dass der"Aufschwung" bis 2004 von einer Periode der Stagnation seitdem ab-gelöst worden ist.

(2) Seit 2004 relatives Disengagement der ab 46-Jährigen im Un-terschied zu den bis 45-Jährigen, die das Engagement tragen. InBerlin hat sich überdies seit 2004 die "innere" Dynamik freiwilligenEngagements bei den ab 46-Jährigen und den unter 46-Jährigenstark verändert. Der Anstieg des freiwilligen Engagements von 1999bis 2004 (24 auf 29 %) wurde noch von allen Altersgruppen 31+ getra-gen, insbesondere 60+ (16 auf 27 %). Die relative Stabibilisierung bis2009 auf im Vergleich immer noch "niedrigem" Niveau (von 29 auf 28%) sicherten nur die beiden Altersgruppen 14-30 (gewachsen seit2004 um 7 % auf 2009 29 %) und 31-45 (seit 1999 um 11 % auf 200936 %). Das freiwillige Engagement der 46-59-Jährigen sank dagegenseit 2004 von 35 auf 27 % und der Alten 60+ von 27 auf 22 %.

(3) Je mehr Menschen im Haushalt zusammenleben, umso mehrEngagement. Personen, die alleine leben, sind auch in Berlin, derStadt der "Singles", besonders wenig freiwillig engagiert, relativ un-verändert seit 1999. Dagegen hat sich das freiwillige Engagementvon Menschen, die in 2-Personen-Haushalten leben, bis 2009 sehr

35/54

*: Vorlage zum Symposion:Thementisch: Engage-mentmittler & Engagement-potenziale. pdf-download:www.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 36: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

deutlich auf fast durchschnittliche 27 % erhöht: "2009 besteht inBerlin eine linear positive Abhängigkeit des Engagements von derHaushaltsgröße, die es 1999 noch nicht gab". Mehr Menschen imHaushalt = mehr Engagement.

(4) Früher nicht Aktive gingen nur teilweise in freiwilliges Enga-gement. Deutlich abgenommen hatte in Berlin bis 2004 der Anteilder überhaupt nicht öffentlich Aktiven von 1999 = 45 % auf 36 %; bis2009 sank er aber nur noch um einen Prozentpunkt. Nur ein Teil die-ser Menschen allerdings konnte für ein freiwilliges Engagement ge-wonnen werden. Zusammengefasst: Von1999 bis 2004 wachsendende öffentlicheAktivitäten, aber nur teilweise in der ver-bindlicheren Form freiwilligen Engage-ments; seit 2004 auch hier eher Stagnationmit einem leichten Trend weg von freiwilli-gen Engagement.

(4) Trotz recht hohem Engagement Er-werbsloser Exklusionstrend. Unter Er-werbslosen gibt es zwar stabil relativ vieleEngagierte, aber seit 2004 weniger öffent-lich aktive Menschen (steigender Anteil dernicht Aktiven von 37 auf 45 %): "DieserTrend war in Berlin seit 2004 besondersdeutlich und ist (wie auch in den neuen Ländern) ein Indikator derzunehmenden sozialen Exklusion eines Teils dieser Gruppe."

(5) Gut Versorgte in Berlin relativ gering engagiert. Einer Engage-mentquote von bis zu 46% der gut Versorgten in den alten Ländernstanden 2009 gerade einmal 26% in Berlin gegenüber. Der Befund istsingulär, weil auch in den neuen Ländern immerhin 32% der gut Ver-sorgten freiwillig engagiert sind.

(6) Menschen mit geringerer Bildung im Engagement marginali-siert. Es besteht eine große Lücke im Engagement bei Berlinern mitmittlerem Bildungsniveau (nur 22% freiwillig engagiert, eine nochgrößere bei denjenigen mit einfacher Bildung (nur 16%; hier auchhoher Anteil von Menschen mit Mirgationshintergrund): "Es lässt sichkaum eine öffentlich marginalisiertere Gruppe denken als einfachgebildete Menschen in den Großstädten."

36/54

Page 37: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

(7) Kommunale Entwicklungsagenturen entwickeln: "Informations-und Kontaktstellen haben in Großstädten und Metropolen einewichtige Bedeutung für die Förderung des freiwilligen Engage-ments. Sie sind besonders wirksam, wenn sie ihr Aufgabenspektrumüber die Vermittlung von Freiwilligen hinaus erweitern und sich zukommunalen Entwicklungsagenturen wandeln. Alle, die etwas zurkommunalen Zivilgesellschaft beitragen können, miteinander insGespräch zu bringen und zu vernetzen ist die wichtigste Aufgabe."*

Die Ergebnisse des Thementischs:

37/54

*: Berliner Freiwilligensurvey,S. 26

Page 38: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Staat und Gesellschaft neu denken –Engagementförderung heute

Dr. Serge Embacher

Ich habe jetzt die Aufgabe, eine überwölbende Betrachtung zu ma-chen. Das ist einerseits sehr dankbar, weil man da nicht konkretwerden muss, und andererseits sehr schwierig, vor allen Dingen,wenn man es mit lauter Expertinnen und Experten zu tun hat. Ichwerde aber nachher trotzdem versuchen, ganz konkret auf der Berli-ner Ebene ein paar Vorschläge zu platzieren, die, glaube ich, ange-sichts der Diskussionslage, die wir auch heute erlebt haben, ange-messen sind.

Überwölbend ist schon die Überschrift meines Vortrages: Staat undGesellschaft neu denken, Engagementförderung heute. Wenn manunter Glaubens- und Gebetsschwestern und -brüdern ist, so wie wirhier heute, dann vergisst man ja gerne mal, dass der Erkenntnis-und Diskussionsstand über das Engagement und vor allen Dingenüber die Bedeutung des Engagements in der Gesellschaft nicht gleichverbreitet ist. Wir gehen jetzt hier davon aus – als Expertinnen und–, dass die Bedeutung der Bürgergesellschaft und des bürgerschaftli-chen Engagements für die Gesellschaft sonnenklar sind.

Das sind sie ja auch eigentlich, aber man muss es übersetzen, erklä-ren und erläutern. Und man muss heraus-kommen aus der manchmal immer nochgegebenen Perspektive des Orchideen-fachs, wo man sagt: „Dafür hätten wirauch gerne eine nette Förderung, weil esganz toll ist, dass es das gibt!“ Diese Nice-to-have-Perspektive, die muss man verlas-sen, schon allein, um einen Argumentati-onsrahmen zu haben, um überhaupt eineFörderung mit harten Argumenten erstrei-ten und argumentativ sich erarbeiten zukönnen. Und das hat was mit dem Verhält-nis von Staat und Gesellschaft und allge-

38/54

:: Schriftform des Vortragsauf der Grundlage einerMitschrift von André Voll-rath.pdf-download der begleiten-den Präsentation aufwww.engagementwerkstatt.de/wordpress2/?p=7193

Page 39: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

meineren Fragen zu tun. Ich werde deswegen ganz kurz aufreißen,warum ich glaube, dass man in dieser Hinsicht nur weiterkommt,wenn man Engagementpolitik konsequent als Demokratiepolitik be-zeichnet und auch so versteht.

Dann, zweitens, werde ich etwas über meine Erfahrungen auf derBundesebene berichten. Ich habe hier für das Bundesnetzwerk Bür-gerschaftliches Engagement im Auftrag des Bundesfamilienministeri-ums das Projekt „Nationales Forum für Engagement und Partizipati-on“ geleitet, was der eine oder die andere von ihnen vielleichtkennt, und ich werde ganz kurz erzählen, wo da der Anspruch warund auch inwiefern es gescheitert ist – das muss man ganz offen sa-gen, aber man kann ja produktiv scheitern, indem man dazulernt.

Und drittens werde ich ein paar Aufgaben für die Politik und Verwal-tung in Berlin formulieren, die sich in erster Linie aus dem beziehen,was jetzt hier in den letzten Stunden diskutiert wurde.

Engagementpolitik als Demokratiepolitik

Ich komme zu meinem ersten Punkt: Engagementpolitik als Demo-kratiepolitik. Hier geht es mir um den Rahmen, ich werde das allesnur ganz kursorisch und kurz streifen können, den ich für sehr wich-tig halte. Man muss sich dazu die Dimensionen BürgerschaftlichenEngagements vor Augen führen: Es hat eine individuelle, eine sozial-integrative und vor allen Dingen eine demokratiepolitische Dimensi-on. Sie alle spielen bei der konkreten Frage, wie man Engagement-gruppen gewinnen, Infrastruktur verbessern und wie man Themenweiter bewegen kann, eine Rolle. Und diese Begriffe, die jetzt et-was soziologisch anmuten und sehr weit gehen, sie zeigen aberschon an, dass es beim Bürgerschaftlichen Engagement nicht um et-was geht, was auch da ist, was man vielleicht gut finden mag, son-dern um etwas ganz Zentrales.

Individuell geht es um Anerkennung, Selbstachtung und, wie man soschön sagt, um die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Das ist in einerGesellschaft, die von doch massiven Krisentendenzen bedroht ist –ich brauche sie nur als Stichworte zu nennen: Demokratiefrust, Poli-tikverdrossenheit, soziale Desintegration –, extrem wichtig: dass

39/54

Vgl. Olk, Thomas; Klein, Ans-gar; Hartnuß, Birger (Hrsg.),2010: Engagementpolitik.Die Entwicklung der Zivilge-sellschaft als politische Auf-gabe. Wiesbaden, VS Verlagfür Sozialwissenschaften(Bürgergesellschaft und De-mokratie, 32).

Page 40: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

man den Einzelnen nicht vergisst, ihn mitnimmt und im Kopf behält,dass die Erfahrung von Selbstwirksamkeit zentral ist. Das hat wasmit dem Selbstverständnis von Menschen zu tun, die sich als selbst-bewusste Mitglieder eines demokratischen Gemeinwesens betrach-ten wollen und sollen. Und im Bürgerschaftlichen Engagement – so-wohl im Bürgerschaftlichen Engagement für Menschen, als auch beidenen, die es selber machen – spielt diese individuelle Dimensioneine ganz große Rolle. Und da ist es auch zweitrangig, ob ich michjetzt frage: „Ist das jetzt altruistisch oder eher egoistisch?“, dassind, glaube ich, nachgeordnete Kategorien. Ganz wichtig ist das,was dabei mit Menschen passiert.

Die sozialintegrative Dimension ist sowieso klar: Engagement sorgtan unzähligen Baustellen jeden Tag für gesellschaftlichen Zusam-menhalt in einer Gesellschaft, die massiv vom Auseinanderdriftender Lebenswelten und von Spaltungstendenzen bedroht ist.

Und beides zusammengenommen folgt daraus eine demokratiepoliti-sche Dimension: Wir haben uns daran gewöhnt, dass es hohe demo-kratische Standards gibt, dass es eine frei-heitliche demokratische Grundordnung gibtund dass es auch ein allgemein weit ver-breitetes demokratisches Bewusstsein gibt.Aber auch dieses Bewusstsein erodiert anden Rändern der Gesellschaft und zwarnicht nur bei den so genannten Prekariernund den Unterschichten, sondern auch ganzoben, da, wo man eben alle Möglichkeitenhat, sich in der Welt zu bewegen; wo manes immer weniger für lohnenswert oderauch notwendig hält, sich als Teil einer Ge-sellschaft, einer Gemeinschaft, einer de-mokratischen Wertegemeinschaft zu begreifen. Da sind Stichwortewie „Steuerflucht“ und „Internationalisierung von Kapitalverwer-tung“ Markierungspunkte.

Wenn man das jetzt weiterdenkt – es gibt natürlich noch viel mehrDimensionen, aber das sind für mich die grundlegenden normativenDimensionen –, dann kommt man dahin, sehr grob zusammengefasst,

40/54

Page 41: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

dass im Sinne von Böckenförde Bürgerschaftliches Engagement diemoralische Substanz für den Erhalt der freiheitlichen Ordnung mar-kiert: Der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böcken-förde hat gesagt, die freiheitliche Ordnung lebe von Grundlagen, diesie selber nicht schaffen kann. Und das heißt, dass Grundgesetz unddie vom Grundgesetz sanktionierten und in Kraft gesetzten Gremienund die formale Demokratie und alle demokratischen Verfahrennichts wert wären, wenn es nicht gäbe, was Böckenförde „die mora-lische Substanz von Bürgerinnen und Bürgern" genannt hat: Von Men-schen. die sich jeden Tag vor dem Hintergrund eines bestimmtenWertehorizontes dafür einsetzen, diese freiheitliche Ordnung zumLeben zu bringen. Das wäre die politische Dimension, und indem En-gagement zentral für die gesellschaftliche Integration ist, ist auchdie gesellschaftliche Dimension gegeben.

Wir haben also die großen Subsysteme, administrative und politischeMacht auf der einen Seite, dazu die marktförmige Organisation desWirtschaftsgeschehens mit Angebot und Nachfrage, Wettbewerb,Dauerkonkurrenz und den ganzen neoliberalen Maximen, die darausfolgen, auf der anderen Seite. Es sind mächtige Subsysteme, die imwesentlichen moralfrei operieren – es zumindest versuchen – undsich frei nach Luhmann auf sich selber beziehen: Sie sind selbstrefe-rentiell und haben sich auch weitestgehend verselbständigt. Bei demVersuch, den Euro zu retten und dabei die Banken einzubeziehen,kann man sehen, was es bedeutet, wenn sich ein System verselb-ständigt hat: Obwohl die moralische Lage, obwohl die Krise klar ist,obwohl auch die Akteure klar sind - im Grunde ist nichts zu machen.

Das hat etwas mit systemischen Verselbständigungsmechanismen zutun. Die sind auch menschengemacht, sie sind moralisierbar, aber siesind es nicht unmittelbar, das ist das Problem. Auch der Bankenma-nager, selbst wenn er kritisch über seinen eigenen Job nachdenkt,kommt nicht raus aus dem System. Und so geht es auch der Adminis-tration und der politischen Macht, die sich alle nach ganz eigeneninternen Gesetzmäßigkeiten bewegen. Politik und Administrationverfügen über Macht und haben Verfügungsgewalt, die Wirtschaftbewegt sich auf den Ebenen des Marktes, des Geldes, des Gewinns,und als drittes ist da die Bürgergesellschaft, die über all das nichtverfügt: Sie hat als schwache aber letztlich auch überzeugende Res-

41/54

Page 42: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

source – insofern sie moralisch-ethisch relevant ist – einzig die Kom-munikation. Die Bürgergesellschaft steht sozusagen für die Sphäreder Kommunikation, sie erschließt und verhandelt neue Verhältnisse:Wie wollen wir miteinander leben?

In jedem einzelnen Projekt der Bürgergesellschaft, in jedem Engage-ment thematisiert sich also – wie immer auch implizit, denn das istunabhängig davon, ob die Akteure das explizit machen – die Frage:In welcher Gesellschaft wollen wir leben und was verstehen wirüberhaupt unter gesellschaftlichem Zusammenhalt? Ich glaube, dassnur diese Sphäre der Bürgergesellschaft letztlich gesellschaftlicheIntegration sichern kann, dadurch, dass wir uns in ihr auf Grundzügedes gesellschaftlichen Zusammenlebens verständigen können.

Daraus folgt, dass in meinen Augen, nach meiner festen Überzeu-gung, Bürgerschaftliches Engagement eine Grundlage für ein neuesVerhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft bildet.Hier haben wir es wieder, dieses bekannte Dreieck - und das neumo-dische Wort dafür ist „Governance“. Ich will jetzt keine Vorlesung zu

Governance hal-ten. Aber wennman akzeptiert,wenn man nachBetrachtung derLage vielleicht ge-meinsam zu demSchluss kommt,dass die altherge-brachte Verant-wortungs- und Auf-gabenteilung zwi-schen Staat, Wirt-

schaft und Gesellschaft so nicht mehr funktioniert, wie wir sie überJahrzehnte – zumindest in der alten Bundesrepublik – hatten, dannmuss man auch hier überlegen: Wie kommt man zu neuen Verhält-nissen, wie handelt man sie aus? Und das heißt dann für die Bürger-gesellschaft: Wie kann sie sich in ein selbstbewusstes Verhältnis zuStaat und Wirtschaft setzen? Das ist, glaube ich, die ganz zentraleFrage und eine Funktion, die aus dem Engagement erwächst. Das

42/54

"Das bedeutet für die politi-schen Akteure, dass sie sichim komplizierten und lang-wierigen Prozess der Mei-nungsbildung und Entschei-dungsfindung viel stärker alsbislang auf Beteiligungs- undDiskursorientierung einstel-len müssen. Die These hier-zu lautet: Nur eine(berat-schlagende) Demokratie wirdauf Dauer funktions- undüberlebensfähig sein. [...] AlleFormen des „Durchregie-rens“ oder des Regierens als„Sozialtechnologie“ mit PR-Begleitung werden künftigimmer weniger geeignet sein,gute Entscheidungen (imSinne von „good gover-nance“) zu treffen, und pro-vozieren Abkehr vom politi-schen Prozess und Lähmungder demokratischen Empha-se, ohne welche die Demo-kratie nicht zu überleben ver-mag."

Embacher, Serge, 2011: Einstel-lungen zur Demokratie. In: FES:Demokratie in Deutschland 2011– Ein Report der Friedrich-Ebert-Stiftung. 16-17Download: www.demokratie-deutschland-2011.de/com-mon/pdf/Einstellungen_zur_De-mokratie.pdf - pdf, 208 KB

Page 43: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

kann kein Politiker machen, selbst wenn er will, das kann kein Wirt-schaftsmagnat machen, selbst wenn er will, das kann kein Verwal-tungsmensch machen, selbst wenn er will, das ist etwas, was genuindieser kommunikativen Sphäre des Engagements eigen ist.

Zusammengefaßt folgt daraus, wenn wir jetzt nach verbessertenRahmenbedingungen für Bürgerschaftliches Engagement fragen: En-gagementpolitik

• ist mehr als Projektförderung – darauf wird es sehr oft redu-ziert, da geht es eben um Geld und einzelne Projekte usw.,

• ist mehr als eine freiwillige Leistung – also die berühmtenfreiwilligen Leistungen der Kommunen, die dann bei Sparbe-schlüssen am ehesten zur Disposition stehen,

• ist vielleicht de jure eine freiwillige Leistung, aber es darf inunseren Köpfen keine freiwillige Leistung sein und

• es gibt sehr viele Verwaltungsmitarbeiterinnen und Mitarbeiterund auch politische Akteure, die das mittlerweile auch sosehen,

• es ist was sehr wichtiges, das nicht freiwillig oder zusätzlich ist,sondern ganz zentral für die gesellschaftliche Integration vonStaat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft ist.

Und wenn es so ist, dann muss Engagementpolitik langsam entwi-ckelt werden: Wir sehen bei der Schwierigkeit von Bürgerbeteili-gungsverfahren – wie das diskutiert wird, wie im öffentlichen Raumgestritten wird und welche Ängste und wechselseitigen Vorbehalteund Bedenken es gibt –, dass wir erst ganz am Anfang davon sind, soetwas wie eine wirklich freiheitliche Kultur des Miteinander zu ent-wickeln. Bei uns ist Politik, so wie wir das kennen, jeden Abend inden Talkshows sehen, im Grunde, polemisch gesagt, die Fortsetzungdes Krieges mit anderen Mitteln: Ein antagonistisches Geschäft, woes darum geht, den anderen öffentlich bloßzustellen, zu vernichten,klein zu machen - und wo es überhaupt nicht um Kompromissfin-dung, Konsensperspektiven usw., um das geht, was wir suchen.

Der Weg zu einer neuen politischen Kultur, in der Engagement zen-tral ist, das ist ein gemeinsamer Lernprozess, der nur ganz langsamgeht und in dem wir erst ganz am Anfang stehen. Und dann muss,

43/54

Page 44: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

glaube ich – und das geht aus dem, was ich gesagt habe, hervor –,Engagementpolitik in erster Linie, um mit Roland Roth zu sprechen,einer Vitalisierung der Demokratie dienen. Enggeführt auf den Kernheißt das: Es geht immer um das demokratische Gemeinwesen,wenn wir über Engagementpolitik und Engagementförderung spre-chen.

Und daraus folgt dann eigentlich der letzte Punkt: Ich glaube, dassbei allen Fortschritten, die es in den letzten zehn Jahren gegebenhat, dass Engagementpolitik – auch als politisches Handlungsfeld vonAkteuren in Parlament und Regierung – nach wie vor einer erhebli-chen Aufwertung bedarf. Das ist noch viel zu wenig, was geschieht,es gibt kaum Spitzenakteure, die sagen: „So, das mache ich jetztzur Chefsache!“ Wobei immer dann, wenn es geschieht, dann läuftes ja auch, wie man z.B. in Treptow-Köpenick sieht. Wenn da eineStadträtin hingeht und sagt: „So machen wir das jetzt, das ist jetztunser Ding!“ - dann passiert auch was und das ist immer so. Es istimmer so in der Politik, dass einer den Hut aufsetzen muss, und dermuss auch sozusagen ein "Großkopferter" sein. Diese Aufwertung vonEngagementpolitik, die gibt es zwar, nur noch viel zu wenig.

Erfahrungen auf Bundesebene

Und jetzt ganz kurz noch zu den Erfahrungen auf Bundesebene inden letzten zehn Jahren – das kennen sie natürlich, ich will nur dieStichworte nennen und vielleicht ist die zweite Seite, wo die Dingegescheitert sind, interessanter für sie.

Also es gab die Enquete-Kommission „Zukunft der Bürgergesell-schaft" im Deutschen Bundestag, eine der erfolgreicheren Enquete-Komissionen der Geschichte, wo der Abschlussbericht nicht einfachabgeheftet wurde, sondern wo man im Grunde bis heute an der Ab-arbeitung der über 200 Handlungsempfehlungen arbeitet.

Zwei Punkte waren ganz konkret: Man hat einen UnterausschussBürgerschaftliches Engagement im Deutschen Bundestag eingerich-tet, einen Unterausschuss zum Familienausschuss, der seitdem auchkontinuierlich arbeitet und bisher auch jede Neuwahl zum Deut-

44/54

Deutscher Bundestag, 2002:Bericht der Enquete--Kommission „Zukunft desBürgerschaftlichen Engage-ments“. BürgerschaftlichesEngagement: auf dem Wegin eine zukunftsfähige Bür-gergesellschaft. Drucksache14/8900Download: www.dipbt.bundes-tag.de/dip21/btd/14/089/1408900.pdf - pdf, 3,1 MB

Deutscher Bundestag: Unter-ausschuss "Bürgerschaftli-ches Engagement".WWW: www.bundestag.de/bun-destag/ausschuesse17/a13/bu-erger_eng/index.jsp

Zuletzt: Roth, Roland, 2011:Bürgermacht. Eine Streit-schrift für mehr Partizipation.Hamburg, edition Körber--Stiftung

Page 45: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

schen Bundestag überlebt hat.

Und man hat das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagementals engagementpolitische Vernetzung auf Bundesebene gegründet –auch eine Folge der Enquete-Komission.

Und dann gab es schließlich in den letzten Jahren das Nationale Fo-rum für Engagement und Partizipation, wo gesagt wurde – zu Zeitender Großen Koalition verdichtete sich die Debatte: „Jetzt diskutie-ren wir so lange über Engagementpolitik und es gibt so viele Ansät-ze, eigentlich müsste man jetzt mal das ganze Ding vom Kopf auf dieFüße stellen und das mal systematisieren.“ Und der Bund hatte sichvorgenommen – das stand so in der Koalitionsvereinbarung vonSchwarz-Rot, aber jetzt auch von Schwarz-Gelb – eine Nationale En-gagementstrategie des Bundes, der Bundesregierung, zu erarbeiten.Und dazu sollte das BBE, wo dieses Nationale Forum für Engagementund Partizipation angesiedelt war, mit Expertinnen und Experten ausden einschlägigen Diskursen Handlungsempfehlungen erarbeiten. Dashaben wir auch gemacht und es war ein sehr aufregender, inter-essanter, faszinierender und spannender Prozess, wo also eine sehrkonzise Agenda für die Engagementpolitik auf Bundesebene, abervor allen Dingen auch, was die Kooperation zwischen Bund und Län-dern und Bund, Ländern und Kommunen angeht, heraus gekommenist.

Dieser Prozess ist im Grunde dann am Ende trotzdem gescheitert.Und das nenne ich jetzt mal eine harte Landung, die es nach denverheißungsvollen Aufbrüchen schließlich gab. Es wäre zu optimis-tisch zu sagen „Zwischenlandung": Wir machen den Vogel wiederflott. Denn es gibt ganz problematische Sachen, an denen man sieht,dass Engagementpolitik eben doch noch nicht in den Köpfen ange-kommen ist. Ein simpler Ministerwechsel im Ministerium genügt, umein ganzes Metaprojekt zum Scheitern zu bringen.

Ich bin dafür bekannt und habe viele Feinde, weil ich immer Rossund Reiter nenne: Also in dem Moment, wo der Wechsel von Frauvon der Leyen zu Frau Schröder kam, hat diese Personalie das ganzeDing zum Erliegen gebracht, weil die neuen Akteure dachten: „Ach

45/54

Bundesnetzwerk Bürger-schaftliches EngagementBBE WWW: www.b-b-e.de

Nationales Forum für Enga-gement und PartizipationWWW: www.b-b-e.de/index.php?id=forum&L=%2Findex.php%3F

Page 46: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

das ist ja nicht so wichtig und was macht überhaupt das BBE, wasmachen die da überhaupt, das ist uns auch viel zu freiheitlich, De-mokratiepolitik, das hat doch mit Engagement nichts zu tun“ usw..Das haben wir erst im Laufe der Zeit so erkannt und vor allen Dingen– das war noch schlimmer –: Frau von der Leyen hat ihren Staatsse-kretär ins neue Ministerium mitgenommen. Und dann kam ein neuer,dessen Namen ich jetzt nicht nenne, den kennt sowieso jeder. Alsoalles, was vorher mühsam erarbeitet und auch unter den Akteurenkonsentiert wurde – und zwar parteiübergreifend, das hat mit CDU,SPD gar nichts zu tun – alles das wurde da wieder zerstört: Die Koor-dinierungsstelle für das Nationale Forum war ganz oben beim Staats-sekretär angesiedelt, da konnte man, wenn was schief lief, imStaatssekretärsbüro anrufen. Nach dem Ministerwechsel wurde esganz unten in ein Referat einsortiert. Wenn man jetzt was vomStaatssekretär wollte, musste man erst über die Referenten und Re-feratsleiter und Unterabteilungsleiter und Abteilungsleiter und dannzum Staatssekretär. Da ist man natürlich nie durchgedrungen mit ir-gendeinem Punkt. Solche Sachen zerstören Prozesse, die sind ganzsimpel, das steht nicht in der Zeitung, war aber für alle Beteiligten,leider sehr schmerzhaft, täglich erfahrbar.

Und was leider auch immer klarer wurde – und das ist auch im Mo-ment meine größte Sorge –, das ist die Indienstnahme des Engage-ments für staatliche Zwecke. Also wer sich die Mühe macht, diesiebzigseitige Engagementstrategie, die das Bundeskabinett voretwa einem Jahr beschlossen hat, durchzulesen, der wird sehen,dass da an ganz vielen Stellen sehr verräterische Formulierungensind wie: „der Staat kann nicht mehr alles leisten“ und „wir wollendie Bürgergesellschaft aufwerten und wir müssen da zu neuen Ko-operationen kommen“. Das hört sich auf den ersten Blick ganz gutan, aber wer jetzt schriftkundiger ist und zwischen den Zeilen liest,der weiß: Im Grunde besteht die stille Hoffnung, dass, wenn man dieBürgergesellschaft hinreichend stärkt, für billiges Geld, dass mandann staatliche Leistungen zurückfahren kann. Und das nenne icheine harte Landung. Also wenn das das Ergebnis der jahrelangen De-batten um die Förderung der Bürgergesellschaft ist, dann kann esdas nicht sein und da muss man auch Opposition wagen – und dasmeine ich jetzt nicht im parlamentarischen Sinne, sondern von der

46/54

Bundesregierung, 2010: Na-tionale Engagementstrate-gie. Berlin, 06.10.Download: http://www.aktive--buergerschaft.de/fp_files/Stu-dienBerichte/bg_bmfsfj_Nationa-leEngagementstrategie2010-10-06.pdf

Page 47: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Sache her.

Dem Grund nach ist damit auch dieses Governance-Format „Nationa-les Forum für Engagement und Partizipation“ gescheitert. Die Ideewar: Wir organisieren sechzehn verschiedene Dialogforen und diesollen zusammen mit den Vertretern der Ministerialbürokratie aufAugenhöhe Handlungsempfehlungen erarbeiten und die Entstehungder Engagementstrategie, die dann vom Bundeskabinett verabschie-det wurde, direkt begleiten. Das war auch so festgeschrieben, auchin der Projektbeschreibung und auch in dem Förderan-trag und in dem Bewilligungsbescheid. Alles schön undgut. Aber als es an die Entscheidungen ging und wirletztes Jahr die letzten sechs Dialogforen hatten, dabekamen wir dann drei Tage vor dem letzten Forumeinen Anruf, der dauerte dreißig Sekunden und da wur-de gesagt: „Wir nehmen von dem Format Abstand“.Ende der Durchsage. Und das hieß dann: Die Ministeri-en haben ihre Leute abgezogen oder verpassten ihnensozusagen einen Maulkorb. Wir hatten da absurde Si-tuationen, wo ein Beamter aus dem Finanzministeriumgesagt hat: "Ja, also ich arbeite für das Bundesfinanz-ministerium, aber ich bin jetzt hier eigentlich nur soaus Interesse und ich sage auch nichts in ein Mikro-phon!“ Da wurde dann die Angst virulent, irgendwasVerbindliches zu sagen. Aber Governance kann eigentlich nur bedeu-ten, dass der Staat und andere Akteure – also wirtschaftliche oderzivilgesellschaftliche –, dass die sich tatsächlich gleichberechtigt ge-genüber treten. Aber wie das gehen soll, das wissen wir nicht, weiles eben da gescheitert ist.

Und der letzte Punkt zum Stichwort harte Landung: Engagementpoli-tik nach Kassenlage. Gut, da stöhnen jetzt alle drüber, Haushaltsnö-te usw., aber es kann eigentlich nicht sein, dass die Schuldenkrisedes Staates, die der Staat verursacht hat, andere ausbaden müssen,wenn die Schuldenkrise härter wird. Also da muss man sich ebendann was einfallen lassen, es gibt Gestaltungsmöglichkeiten. DerBundesrechnungshof ermittelt jedes Jahr, dass siebzig MilliardenEuro an Bundesmitteln sinnlos verschwendet werden und dieses Ar-gument „Kassenlage" – „Ja, die Haushälter“ und „sie wissen ja und

47/54

Page 48: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

da müssen wir jetzt leider noch zwanzig Prozent wegnehmen“ –, dasist im Grunde keine verlässliche Basis für Politik. Da ist man auch alsStaatsbürger oder Staatsbürgerin gefragt, einfach mal in Frage zustellen, dass immer gesagt wird: "Es ist kein Geld für nichts da!" Alsoich selber bin, was die Kommunalpolitik angeht, auch politisch eini-germaßen versiert, ich weiß, wie schwer das ist, ich weiß aber auch,dass es geht, wenn der politische Wille da ist.

Aufgaben für Politik und Verwaltung in Berlin

Und jetzt zu meinem letzter Teil: Aufgaben für Politik und Verwal-tung in Berlin. Ich habe am Anfang gesagt – und das ist sozusagender Hintergrund, auf dem ich jetzt diesen letzten Punkt beschreibenwill –, ich begreife dieses Scheitern als ein produktives Scheitern.Ich glaube auch, dass es in Berlin und in einem Bundesland bessereVoraussetzungen gibt als bei so einem Monsterprojekt auf Bundes-ebene, einfach weil die Lage überschaubarer ist, man kennt die Ak-teure und es ist etwas leichter.

In Gensickes Report über Berlin, im Survey, gibt es ein schönes Kapi-tel „Anforderungen an großstädtische Engagementförderung". Dahabe ich noch mal so ein paar Punkte herausgegriffen, die Orientie-rungspunkte sein könnten. An einer Stelle – ich habe es wörtlich zi-tiert – schreibt er grundsätzlich: „Aufgabe der Politik ist die Förde-rung einer sozial produktiven Verhaltenskultur als kulturpolitischeAufgabe.“ Ich fand interessant, Engagementpolitik nicht als Sozial-politik oder so zu begreifen, sondern als Kulturpolitik und zwar imweiteren Sinne. Es geht nicht um Stadttheater und Volkshochschu-len, sondern hier steckt das drinn, was ich am Anfang sagte: Die Ent-wicklung einer neuen politischen Kultur. Und das gilt sowohl für dieZivilgesellschaft selber, als auch für die staatlichen Akteure – im Üb-rigen auch für die wirtschaftlichen Akteure, die habe ich jetzt nichterwähnt. Aber es ist vor allen Dingen eine Frage der Herangehens-weise und eben der Schaffung einer sozial produktiven Verhaltens-kultur – das fand ich sehr schön –, also die Frage, wie menschlicheVerhaltensweisen sozial produktiv gemacht werden können, das ist,glaube ich, ein guter Ansatz.

48/54

Page 49: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Was bedeutet das jetzt konkret für Engagementförderung? Da gehtes dann eben auch, frei nach Gensicke, um den Ausgleich von in derGroßstadt oft fehlenden materiellen, sozialen und kulturellen Res-sourcen durch eine systematische Förderung des Engagements. Undhier liegt die Betonung eigentlich auf „systematisch", dass man alsojetzt nach vielen Jahren der Projektförderung usw. – es wird auchweiter Projekte geben, aber die Frage ist: In welcher Matrix steckendie eigentlich und wie hängen die miteinander zusammen? –, zu ei-ner stärkeren Systematisierung der Engagementförderung kommenmuss. Ich gehe zum Schluss noch darauf ein, wie man das erreichenkann.

Es geht also um Vernetzung, Austausch, Solidarisierung. Wie kannman im Kopf, in unser aller Köpfe eine Art gesamtgesellschaftlichenZusammenhang herstellen, also etwa das, was man heute eigentlichnur noch gelegentlich in Leitartikeln findet, aber was keiner ernst-haft irgendwie noch als Argument aufgreift, weil man sagt: „Das istzu groß! Gesamtgesellschaft, gibt es das überhaupt? Und dieserAnspruch..., nein, wir machen lieber hier unser kleines Ding.“ Ichglaube, man muss manchmal auch ganz groß denken und einen Bo-gen im Kopf haben. Wenn man das Ziel „gesellschaftlichen Zusam-menhalt durch Engagementförderung“ weiter im Auge behalten will,dann braucht man diesen Bogen. Ja, und ganz konkret geht es ebendarum, wie es hier auch jetzt schon diskutiert wurde, Engagement-potenziale zu heben, sowohl thematisch, als auch, wie ich es jetzthier noch mal angerissen habe, auf Personengruppen bezogen: alsoÄltere, Kinder und Jugendliche, mittlere und gehobene Schichten,die eben bisher das nicht so tun, wie wir uns das wünschen. Daskann man endlos weiter durchdeklinieren, aber das wären so einpaar Ziele, die man im Blick haben müsste.

Und zum Schluss: Was kann man da machen, was bedeutet das kon-kret?

• Ich glaube, wir brauchen zunächst mal klare Zuständigkeiten inPolitik und Verwaltung. Das kann man in Berlin auf den ver-schiedenen Ebenen durchdeklinieren. Auch hier will ich nureinige Stichworte geben:

• Auf der Senatsebene brauchen wir weiter eine wichtige Rolle

49/54

Page 50: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

der Senatskanzlei und die muss sogar ausgebaut werden. Alsodie Beauftragte, die es da jetzt gibt, ist sehr wichtig und diemuss, glaube ich, weitere Kompetenzen und Befugnisse erhal-ten. Wir brauchen aber auch in den einzelnen Senatsverwaltun-gen jeweils Anlaufstellen für das Thema "Engagementförde-rung", wenn wir ernst nehmen wollen, dass das ein Quer-schnittsthema ist.

• Im Abgeordnetenhaus, würde ich sa-gen, brauchen wir auch so was wieeinen „Unterausschuss Bürgerschaft-liches Engagement" und wir brauchenengagementpolitische Sprecher derFraktionen. Wenn man in der FDP... –nein, die FDP-Fraktion gibt es nichtmehr –, wenn man in den anderenFraktionen – ja, die FDP kommt viel-leicht wieder –, jemanden sucht, derzuständig für bürgerschaftliches En-gagement ist, dann ist das gar nichtso leicht. Wenn man die Leute kennt,ist das O.K., will man aber von außen da ran, dann denkt man:Wer ist denn eigentlich im Abgeordnetenhaus zuständig? Da sind

alle Sprecher aufgelistet, nur wo istdas Engagement? Warum gibt eskeinen engagementpolitischenSprecher? Es gibt sogar Sprecher fürHundeauslaufgebiete, dann kann esdoch auch einen für bürgerschaftli-ches Engagement geben. So einen Un-terausschuss, den halte ich für ganzzentral, denn erst dann kommt Enga-gementpolitik in einem Parlament

richtig vor, dann kommt die Presse, dann ist Öffentlichkeit daund dann bekommt das einen institutionellen Griff und einestärkere Verbindlichkeit.

• Ja und bei den Bezirken, da ist es ja sehr heterogen. Es gibt Be-zirke, die sind da sehr weit, andere fangen gerade erst an und

50/54

Page 51: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

da geht es im Grunde um dieses Thema, das zum Schluss aufge-griffen wurde: Infrastruktur für Engagement, also Anlaufstellenschaffen bzw. ausbauen. Es gibt da, wie gesagt, auch sehr un-terschiedliche Bewusstseinslagen. Es ist sehr wichtig, dass dieBezirke sich das auch zueigen machen und dazu gehört ebenauch eine Leitbildentwicklung. Leitbilder sind ja etwas, das im-mer abgeheftet zu werden droht oder dann vielleicht über demBüro vom Bürgermeister steht undweiter nichts bedeutet. Man muss eseben auch hier verbindlich machen,man muss sich Leitbilder überlegen:Leitbild „Bürgerkommune", Leitbild„aktivierender Bezirk" oder was weißich. Und das muss man ein bisschenausbuchstabieren und in Verwaltungs-strukturen einsickern lassen, dasmuss einsickern in Bezirksverordne-tengehirne und das muss präsentsein: Wie wollen wir uns selber se-hen? Es gibt einige Kommunen inDeutschland, die das sehr erfolgreichgemacht haben, wo jeder Mensch dieses Leitbild kennt, weildas etwas damit zu tun hat, wie wir uns als Gemeinwesen ei-gentlich sehen wollen, als demokratisches Gemeinwesen.

• Ja und dann brauchen wir systematische Förderstrategien, alsoWege aus der Projektitis – das habe ich schon angedeutet. Es

wird weiter Projekte gebenund das ist auch gut undschön, aber wir wissen – allewissen das hier im Raum –, esgibt Projektförderung, es gibtModellvorhaben und es gibtProjektruinen und Modellrui-nen und zwar nicht wenige.Und wir müssen, glaube ich –und auch dazu haben wir kon-

krete Vorschläge erarbeitet im BBE, da kann ich jetzt nichtmehr drauf eingehen –, Wege aus dieser reinen Projektbezogen-

51/54

Page 52: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

heit von Engagement oder aus dieser sehr starken Projektbezo-genheit finden.

• Und dann kommt der Punkt, das wurde eben schon diskutiert,„lokale Infrastruktur für Engagement“. Bei Gensicke gibt esdiesen schönen Vorschlag: "aus Freiwilligenagenturen kommuna-le Entwicklungsagenturen machen", wobei „kommunal“ jetztnicht so zu verstehen ist – da hatten wir eben das Missverständ-nis –, dass das jetzt in staatlicher Verantwortung sein soll, son-dern im Sinne von „lokalen Entwicklungsagenturen“ – das hatCarola jetzt schon ausgeführt, da sage ich jetzt nichts zu.

• Der letzte Punkt ist der engagementpolitische Diskurs. Ich glau-be, wir brauchen auch auf Landesebene in Berlin etwas, was esauf Bundesebene zumindest ver-suchsweise gab, also eine Art Lan-desforum für Engagement und Parti-zipation, wo alles, was da ist – unddas sind tausende von Ansätzen, dassind unglaublich viele, es sind klugeKöpfe da, es sind viele Ideen da –mal auf den Tisch gelegt und syste-matisch ausgewertet wird, so dassman sagt: „Wir versuchen, alle Ele-mente dessen, was es schon gibt, zuorten, zu systematisieren und zu soetwas wie einer Landesengagement-strategie zu kommen – unter Einbeziehung von Land und Bezir-ken – und dafür haben wir auch die geeigneten Formate.“ Das,was heute stattgefunden hat, ist zum Beispiel so eine Keimzelleeines solches Forums - und da – das ist zumindest unsere Erfah-rung im BBE – entsteht dann wahnsinnig viel Produktivität, ent-stehen Ideen und entsteht auch eine bestimmte Dynamik.

Man kann sicher noch sehr viele Punkte überlegen, aber das sind soeinige, die aus meiner Sicht relevant sind. Vielen Dank.

52/54

Page 53: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Schlussfolgerungen - oder: Wie geht es weiter?

Die engagementpolitische Agenda in und für Berlin liegt auf demTisch, nicht erst seit dem Symposion, das weitere Aspekte und Hin-weise beigetragen hat. Über zehn Jahre Runde Tische zur Förderungdes Freiwilligen Engagements im Berliner Abgeordnetenhaus seitdem Internationalen Jahr der Freiwilligen 2001 geben einen Ein-druck des auch nach dem Europäischen Jahr der Freiwilligentätig-keit 2011 in Berlin unerledigt politisch Anstehenden: Eine kleine Be-standsaufnahme - eine, wenn man so will, noch sehr vorläufige En-quete in dem dem Begriff ursprünglichen lateinischen Wortsinne voninquirere für „nachforschen, prüfen, suchen“. Die UN haben geradezum Internationalen Tag der Freiwilligen für wirtschaftliche und so-ziale Entwicklung erstmals den Bericht zum Stand Freiwilligen Enga-gements vorgelegt: State of the World’s Volunteerism Report. Uni-versal Values for Global Well-being. Und der Berliner Statusbericht?Wann? Ergebnis beratschlagender Demokratie oder Verwaltungsakt?

Für die Auswertung der Freiwilligensurveys hat Berlin nach milieuty-pischen Aspekten fragen lassen; das Berlin zu Recht oder Unrecht zu-geschriebene wir sind icke!-Mileu fehlte. Es bildet sich ja auch nichtin telefonischen Nachfragen dem steinernen Berlin leicht zuordnen-bar ab. Es ist die Frage nach der für Nachforschen, Prüfen, Suchenoffenen politisch-gesellschaftlichen Haltung: Embachers analytischbegründete These, nur eine beratschlagende Demokratie wird aufDauer funktions- und überlebensfähig sein, gilt auch für die engage-mentpolitische Agenda. Sie hat in Berlin viele, meist unverbundeneOrte und Wege, die dem versäult-konkurrierenden Zugriff auf Ein-fluß und Mittel förderlicher erscheinen (und, so wie es ist, es auchsind) als jede offene Klärung von Status, Notwendigkeiten, Möglich-keiten und Machbarkeiten Bürgerschaftlichen Engagements in Berlin.

Die Schlußfolgerung Wie geht es weiter? liegt deshalb auf der Hand:Beratschlagen, nachforschen, prüfen, suchen - und gute Entschei-dungen treffen. Das Symposion hat uns ermutigt, gerade auch dievielen Rückmeldungen danach, dabei weiterhin Partner zu sein. DasAngebot gilt. Und Dank denen, die es möglich machten und machen.

Carola Schaaf-Derichs & Jo Rodejohann

53/54

"Das bedeutet für die poli-tischen Akteure, dass siesich im komplizierten undlangwierigen Prozess derMeinungsbildung und Ent-scheidungsfindung vielstärker als bislang auf Be-teiligungs- und Diskursori-entierung einstellen müs-sen. Die These hierzu lau-tet: Nur eine(beratschla-gende) Demokratie wirdauf Dauer funktions- undüberlebensfähig sein."

"Alle Formen des 'Durchre-gierens' oder des Regie-rens als 'Sozialtechnologie'mit PR-Begleitung werdenkünftig immer weniger ge-eignet sein, gute Entschei-dungen (im Sinne von'good governance') zu tref-fen, und provozieren Ab-kehr vom politischen Pro-zess und Lähmung der de-mokratischen Emphase,ohne welche die Demokra-tie nicht zu überleben ver-mag."

Page 54: Die Ergebnisse des Berliner Freiwilligensurveys auswerten. Fragen - Erkenntnisse - Lösungswege

Aus der Diskussion ::

nr. 1 – 05.12.2011

Zum Symposion waren gekommen:

Arkat, Nalan | Baur, Tobias | Berwig, Jana | Bialkowski, Thomas |Brandt, Andrea | Brendel, Katja | Brüning, Anne | Büchel, Daniel |Eckhardt-Lutsch, Susanne | Embacher, Dr. Serge | Fidancan,Christine | Foerster, Claus | Frech, Hartmut-W. | Gollbach, Dr.Jochen | Häntsch, Christiane | Hannemann, Veit | Hansen,Heidemarie | Herold, Helmut | Klein, Dr. Ansgar | Korge, Elke |Krug, Irene | Kurth, Karin | Lahn, Annette | Ludwig, Marc D. |Matthies, Axel | Moritz, Werner | Müller, Andrea | Ohm, Angelika |Petersmann, Lotta | Rodejohann, Jo | Schaaf-Derichs, Carola |Schibath, Alexandra | Schippel, Dietrich | Schlimper, Dr. Gabriele |Schober, Ursula | Schüler, Bernd | Tenten, Matthias | Timmer,Goerge | Vollrath, André | Vogt, Andrea Maria | Wanke, Manja |Weller, Ricarda | Zarske, Susanne

Das Symposion und dessen Dokumentation wurde ermöglicht durch eineZuwendung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.

Konzeption und Organisation: Carola Schaaf-Derichs, Jo Rodejohann,André Vollrath | Die HilfsbereitschaftOrganisationsassistenz: Susanne Eckhardt-Lutsch, Elke Korge, AlainLasserre | Die Hilfsbereitschaft

Themenanwälte: Andrea Brandt | FreiwilligenAgentur KreuzbergFrie-drichshain, Daniel Büchel | Unionhilfswerk, Claus Foerster | AWO LVBerlin, Dr. Jochen Gollbach | FreiwilligenAgentur Marzahn-Hellersdorf,Elke Korge | Seniorkompetenzteam BerlinThemenreporter: Tobias Baur | Humanistische Union, Susanne Eckhardt-Lutsch, Jo Rodejohann, Carola Schaaf-Derichs, André Vollrath

Dokumentation, Redaktion und Herstellung: Jo RodejohannDokumentationsassistenz: André VollrathFotos: Randy Tarango | www.people-photography.com - ausser S. 4unten, 5, 14-15: André Vollrath; S. 17: Frans de Lippe; S. 6 InitiativeZivilengagement

CC BY-NC-SA 3.0 | www.creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/

54/54

Aus der Diskussion ::

Texte & Dokumente der

Engagementwerkstatt

erscheinen bei Bedarf und wer-

den herausgegeben von Carola

Schaaf-Derichs für den Träger

der Engagementwerkstatt

Die Hilfbereitschaft e.V.Torstraße 231, 10115 Berlin

Redaktion: Jo Rodejohann

www.engagementwerkstatt.de

© Alle Rechte vorbehaltensoweit nicht anders mitgeteilt |Die Hilfsbereitschaft e.V. &Autor/inn/en

Die Engagementwerkstatt Berlinwurde 2009 - 2011 gefördert ausMitteln des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauenund Jugend im Rahmen desProgramms "Freiwilligendienstealler Generationen".