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Die Erkundung des Orklands DSA-News-Abenteuer 6 >>Teil 1: Im Spinnenwald<< 22.09.05 – 23.06.06 FESTGEHALTEN VON: FRANK WILLBERGER KORRIGIERT VON: CHRISTIAN BOETTGER

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Die Erkundung desOrklands

DSA-News-Abenteuer 6>>Teil 1: Im Spinnenwald<<

22.09.05 – 23.06.06

FESTGEHALTEN VON: FRANK WILLBERGERKORRIGIERT VON: CHRISTIAN BOETTGER

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DAS SCHWARZE AUGE und AVENTURIEN sind eingetragene Warenzeichen der Firma Fantasy Productions. Copyright (c) 1997. Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Dokument enthält nicht-offizielle Informationen zum Rollenspiel Das Schwarze Auge und zur Welt Aventurien. Diese Informationen können im Wider-spruch zu offiziell publizierten Texten stehen; bei Fragen zu dieser Website wenden

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Es handelt sich bei diesem Dokument um ein Log aus der Newsgroup z-netz.frei-zeit.rollenspiele.dsa zu den DSA-Basis-Abenteuern 15-17 „Im Spinnenwald“, „Der Pur-purturm “ und „Der Orkenhort“. Das Log wurde an einigen Stellen behutsam verän-

dert, um den Lesefluss zu verbessern und Fehler zu korrigieren.

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InhaltTeil I – Im Spinnenwald

Elgar und Rovena............................................................7Hesander.....................................................................23

Ingalf und Edric............................................................32Bei Garhelt.....................................................................36Die Gruppe....................................................................41

Wieder bei Garhelt....................................................49Reisevorbereitungen.....................................................55

Rovena.........................................................................55Ingalf, Edric und Melachath.....................................56Hesander.....................................................................59Elgar.............................................................................60

Ein aranischer Abend...................................................61Reisevorbereitungen – Teil 2.......................................66

Bei der Kräuterfrau....................................................66Bekleidung..................................................................67Rovena.........................................................................69Elgar.............................................................................71

Bald geht es los!............................................................74Aufbruch ins Abenteuer...............................................79Bei den Echsenmenschen............................................88

Im Bau der Echsenmenschen...................................90Derweil am Ufer........................................................94

Hinein ins Unbekannte...............................................97Der Elch......................................................................97Der erste Abend........................................................101

2. Tag: Hinaus aus dem Wald...................................1092. Tag: Im Grasland....................................................1122. Tag: Im Wald...........................................................1163. Tag: Im Wald...........................................................1213. Tag: Begegnungen..................................................127

Rast............................................................................129Überfall der Spinnen...............................................131Melachaths Entführung..........................................133Grisbart.....................................................................136

3. Tag: Verfolgung.......................................................139Die erste Spur...........................................................139Rovena, Edric und Grisbart....................................146Elgar, Hesander und Ingalf....................................147Die Basilaminensuppe............................................148Edric und Rovena.....................................................150Edrics Entdeckung...................................................152Elgar und Ingalf.......................................................153Das Einhorn.............................................................155Der Spinnenhügel....................................................160

3. Tag: Im Spinnenbau...............................................1633. Tag: Tiefer in den Spinnenbau.............................172

Elgar und Ingalf erkunden.....................................184Totenwächter............................................................186Wieder vereint..........................................................187

3. Tag: Kampf im Spinnenbau..................................189Die beiden ersten Spinnen......................................189Zwei weitere Spinnen..............................................191Die Riesenspinne.....................................................193

3. Tag: Der Rattengang..............................................1973. Tag: Melachath........................................................199

Entdeckung...............................................................199Weiter im Rattengang.............................................201Rovena und Hesander.............................................202Wieder vereint..........................................................204

3. Tag: Was nun?.........................................................207Melachaths Befreiung................................................214Spinnenwald Nachspiel.............................................220

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PersonenDer Erzähler / Meister Michael Dahms, Christian Böttger, Frank

Willberger

Die Helden (iooa)

Elgar Arres 'Isinha' - Isna-Inti Hapa

„Moha“-Magier Christian Böttger, Ludwig Hartmann

Rovena von Blautann Weidener Hexe Birgit Bucher

Edric Svellttaler Hirte Andreas Bruns, Miguel Estevez Milan

Ingalf Wedmannsson Thorwaler Frank Willberger, Ludwig Hartmann, Miguel Estevez Milan

Melachath ibn Shemirhija Aranischer Krieger Martin Deppe, Miguel Estevez Milan

Hesander Dracomir Hesinde-Geweihter Julian "Bolzbold" Eichert, Miguel Estevez Mi-lan

Grisbart, Sohn des Gerwolf Zwerg Martin Deppe

Die MeisterpersonenPhileasson Foggwulf Thorwaler Steuermann

Garhelt Hetfrau der Thorwaler

Joku Ihr Diener

Azl Azzl Häuptling der Echsenmenschen

Tili Tiki Seine Tochter

Neunfinger Riese

Junivera Rondrageweihte

Obu Oberhäuptling der Grolme

Eno Unterhäuptling der Grolme

Theires Zeel Händler im Orkland

Nahema Magierin

Frajo Krinak Der Statter der Stadt Freiheit/Ohork

Rodeks und Krinaks Die beiden Sippen der Holberker

Kar Krinak Gegenspieler des Statters

Phex Der Gott der Diebe und Händler

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Teil I – Im Spinnenwald

Elgar und RovenahorwalStadt der Thorwaler - Stadt der FremdenTT

Hier pulsiert das Leben im Nordwesten Deres. Der Hafen ist Anlaufpunkt fast unzähliger Schiffe und die Stadt selbst wird nicht selten zum Hafen für alle dieje-nigen, die sich eine Rückfahrt entweder nicht leisten können oder wollen.

Trotz Sonnenschein ist es nicht übermäßig warm, so dass der Tag eigentlich ganz angenehm sein sollte.

Die Betonung liegt für Elgar Arres, einen mittel-großen Mann mit auffallend weißen Haaren, gekleidet in einen unscheinbaren grauen Umhang, unter dem abgewetzte Hosen hervor schauen, auf sollte.

Heute ist ganz und gar nicht sein Tag. Zuerst diese grässliche Herberge. Irgendwie muss ihn der Hafen-meister falsch verstanden haben, als er nach einer "gu-ten Einkehr" fragte, denn außer reichlich Betrunke-nen gab es nichts, abgesehen von den verwanzten Bet-ten mit schimmelndem Stroh vielleicht. Aber das zählte in seinen Augen nicht.

Markttag. Hier musste doch etwas zu finden sein, um seine von der langen Seereise mit einem 'Drachen' arg mitgenommene Kleidung gegen ein standesgemäßes Gewand und einen entsprechenden Umhang zu tau-schen und die "Lumpen" einem städtischen Abfall-haufen zu überlassen. Also schlendert Elgar zunächst zielstrebig den erst besten Marktstand an, der Klei-dung feil bot. Nichts. Auch bei zwei weiteren Ständen war nichts passendes dabei: zu groß, viel zu groß, zu derb gewebt, schmucklos oder mit mehr als reichlich Fell besetzt - alles nicht sein Geschmack.

'Ein letzter Versuch!' sagte er zu sich selbst, als die Sonne bereits weit den Zenit überschritten hatte und suchte den nunmehr letzten Stand auf, an dem er noch nicht gewesen war. Und tatsächlich! Da war sie: eine wunderschöne Robe, nachtblau mit gleichfarbi-gem Seidenfutter und mittelblau abgesetzten Ärmel-, Kragen- und Saumabschlüssen.

"Was soll sie kosten?" fragte er den Krämer beim An-probieren.

Mit geübtem Blick sah der Trödler sofort, dass er hier vielleicht einen guten Handel abschließen könne und meinte: "Hm, sie steht Euch ausgezeichnet, mein Herr! Für Euch? Nur 7 Dukaten!"

Bei dieser Antwort vergaß Elgar fast das Luftholen. Diese Unverschämtheit! Seine roten Augen blitzten, aber der Händler ließ sich nichts anmerken.

"Nein. Das ist mir zu teuer." versuchte es Elgar erfolg-los.

Hin und her feilschen sie. Aber das kann Elgar gar nicht gut und am Ende macht der Krämer den Vor-schlag: "Also 5 Dukaten und 3 Silberlinge. Das ist mein letztes Wort! Sonst verhungern ja meine 8 Kin-der!" unterstreicht er seine Forderung.

Als Elgar gerade dankend ablehnen will, hört er von einigen Ständen weiter Gezeter. Neugierig wie er ist, zieht er ohne Kommentar die Robe wieder aus, seine eigenen Sachen wieder an und packt seinen gut 1,5 Schritt langen Stab fest mit der linken Hand.

Mit wenigen schnellen Schritten erreicht er den Ort des Geschehens.

Eine schlanke junge Frau wird von der Inhaberin des Standes - einer Tee- und Kräuterbude - roh am Hand-gelenk festgehalten, während sie wie wild nach der Marktwache brüllt.

Kurz mustert Elgar die beiden: Die junge Frau hat schwarzes Haar. Ein krasser Gegensatz zu seiner eige-nen weißen Mähne. Nur ein paar Strähnen in hellerer Farbe sind darin. Im Gegensatz dazu ist die Händle-rin hünenhaft groß, wenn auch etwas kleiner als Elgar selbst. Sie ist alt, sehr alt, das verraten ihm die vielen Runzeln in ihrem wettergegerbten Gesicht.

Dann schaltet er sich ein: "Immer die Ruhe, Frau! Was liegt an, was gibt es für Extreme?" Bewusst benutzt er die üblich Du-Form der Anrede. Das hat er von Eng-lund gelernt, dem Kapitän des Schiffes, mit dem er hier in Thorwal eintraf. Dann fährt er fort: "Guten Tag, darf ich Ihnen behilflich sein? Ich bin Elgar Ar-res, Wandernder Adeptus Arkanius." bauscht er ein wenig auf, damit die beiden ihn auch ernst nehmen.

"Das wäre sehr aufmerksam!" tönt es aufgebracht aus dem Mund der jungen Frau, auch wenn sie innerlich zusammenfährt, als der hilfsbereite Mann sich mit sei-nem Titel vorstellt. Wütend zerrt sie an der ihr Hand-gelenk umklammernden Klaue der Alten. "Lasst mich auf der Stelle los! Ihr habt kein Recht, mich festzuhal-ten!" versucht sie der Händlerin nun mit klarer, heller Stimme zu befehlen. Zornig funkeln ihre smaragdgrü-nen Augen die ihr körperlich überlegene Kräuterfrau an. "Es wird doch wohl erlaubt sein, die Waren zu prüfen, bevor man sie erwirbt. Oder habt Ihr etwa et-was zu verstecken? Schimmel und Fäulnis in den Bündeln, gut versteckt zwischen wohlfeiler Ware, wie?"

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Durch ihre heftigen Bewegungen fliegt ihr blauschwarzes Haar um ihre Schultern, dabei blitzen die fünf silbernen Strähnen darin leuchtend auf.

"Nun mal immer mit der Ruhe!" fordert er die beiden Frauen auf. "Lass sie los, sie wird nicht davon laufen, nicht wahr?" seine Stimme lässt keinen Zweifel an sei-ner Entschlossenheit.

"Ich habe auch keinen Grund, davon zu laufen," ant-wortet Rovena knapp.

Sie schüttelt die Hand der Kräuterhändlerin ab und reibt das Gelenk mit der linken Hand, ohne ihren Stab los zulassen.

"Was ist hier nun tatsächlich los?" fragt er, als die Alte Rovena losgelassen hat.

"Sie wollte diese Tarnelen da in ihrem Beutel ver-schwinden lassen, während sie vorgab, diese Wirsel-kräuter zu begutachten!" stößt die Kräuterfrau hervor, nur um gleich darauf wieder nach der Marktwache zu schreien.

"Das ist eine üble Verleumdung!" erregt sich Rovena und starrt die Alte mit ihren grünen Augen giftig an. "Und Eure Beschuldigung ist mehr als widersinnig! Ich soll versucht haben, die überall zu findende Tar-nele zu stehlen, deren Wirksamkeit und Wert weit un-ter der des Wirselkrautes liegt? Das ist doch lächerlich! Im Übrigen hat diese Tarnele schon zu lang gelegen, um überhaupt noch Wirkung zeigen zu können. Gute Frau, überlegt Euch gut, wessen Ihr mich da beschul-digt!"

Nur wenige Augenblicke später tauchen auch zwei dieser riesigen Kerle in ihren Pelzumhängen und den typischen blau-weiß gestreiften Wollhosen auf. Eine gefährlich aussehende Doppelaxt am Gürtel, fragt der eine: "Was ist hier los?"

Elgar verdreht nur die Augen: "Du bist bereits der Dritte, der das hier fragt." Dann fährt er fort: "Das kleine Missverständnis wird sofort geregelt sein, keine Aufregung."

"Ist ja gut! Das werden wir gleich sehen!" meint der Wachsoldat.

Rovena ist wütend. Sehr wütend sogar. Sie zittert leicht und umklammert ihren Stab so fest, dass die Knöchel ihrer zierlichen Hand weiß hervortreten. Doch sie beißt sich auf die Unterlippe.

'Nein, nicht jetzt. Bitte!' Nur nicht auffallen, hat Mut-ter gesagt, und sie gewarnt. 'Reiß dich zusammen, Kind. Du kommst in des Namenlosen Küche, wenn du dich nicht beherrschen kann, denke daran.'

Sie atmet tief durch. Sie hat hier einen Auftrag zu er-füllen. Deshalb wurde sie nach Thorwal geschickt.

Heute Morgen kam sie an. In Andergast hatte sie sich einer Gruppe Handelsreisender angeschlossen, hat ein bisschen für Unterhaltung gesorgt und ihr Wissen in

Pflanzen- und Heilkunde angewandt. Rovena von Blautann ist sehr ansehnlich, eine zierliche, junge Frau, nicht besonders groß, doch sehnig und kräftig, was sie unter einem langen, geschlitzten rostbraunen Rock und einer dunkelgrünen Bluse mit geschnürtem Ausschnitt verbirgt. Um ihren schlanken Hals liegt eine feine silberne Kette und ein Silberring ziert ihr linkes Ohr. Ein braun grünes Kapuzen-Cape bedeckt ihre Schultern, über denen ein Tuchbeutel hängt. An ihrem breiten Hüftgürtel sind eine Gürteltasche und eine Feldflasche befestigt und, verdeckt durch das Cape, ist dort noch ein Dolch eingesteckt. Leichte, be-queme Lederstiefel, in deren Schaft sich versteckt ein Jagdmesser befindet, bedecken ihre Beine bis zu den Waden. Ihr Stab ist schwarz, aus Ebenholz, und gut 1,5 Schritt hoch, ohne Verzierungen. Die Kleidung ist schlicht, aber ordentlich, ihr Äußeres wirkt gepflegt. Man könnte sie für eine kräuterkundige, wandernde Händlerin halten.

Aus dem hübschen, eher blassen Gesicht, das von den blauschwarzen Haaren weich umspielt wird und in denen die fünf silbernen Strähnen deutlich hervor schimmern, leuchten kontrastreich ihre grünen Au-gen, die immer noch zornig funkeln, aber den frem-den Mann nun auch musternd betrachten.

'Er könnte doch hilfreich sein, auch wenn er …' geht ihr durch den Kopf und plötzlich verändert sich der Ausdruck in ihren Augen und sie blickt den Fremden hilfesuchend an.

"Bitte glaubt mir, Herr Magus, ich werde zu Unrecht beschuldigt," stößt sie mit bewusst flehendem Ton hervor, ihre vollen, sinnlichen Lippen beben leicht.

Er hängt sich den Stab in die rechte Armbeuge und er-greift mit der rechten Hand Rovenas linke Schulter.

"Das haben wir gleich. Ihr werdet jetzt die Wahrheit sagen!" fordert er sie auf. "Jedwede Lüge werde ich auf magische Weise sofort erkennen, denkt daran!" zum Beweis zeigt er die linke Handfläche, in die ein kom-pliziertes Siegel tätowiert ist.

Dann senkt er vorsichtig die Hand und presst die Handfläche auf Rovenas Stirn.

Rovena kann nicht sagen, warum, aber sie erschau-dert, als Elgar die Hand auf ihre Schulter legt und sie die Tätowierung auf seiner linken Handfläche sieht. Und als sich diese Hand auf ihre Stirn legt, zittert sie leicht und ringt unmerklich nach Atem.

'Zu spät!' denkt sie, 'es bleibt mir keine Zeit mehr, mich zu schützen …'

Scheinbar der Situation ergeben schlägt sie mit einem tiefen Atemzug die Augen nieder, damit ihre Anspan-nung, Angst und Erregung in ihnen nicht sichtbar wird.

"Nur die Ruhe, es wird nicht weh tun." beruhigt Elgar die zitternde Rovena.

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Doch diese Worte wirken nicht wirklich beruhigend auf die junge Frau.

'Das sagst du so leicht, Magier,' denkt sie im inneren Kampf um Ruhe und Besonnenheit, um ihre aufwal-lenden Gefühle zu zügeln.

"Sprecht!" fordert er sie auf. "Habt ihr auch nur ver-sucht, dieser Händlerin ein paar Kräuter zu stehlen?"

"Nein," kommt ihre knappe Antwort mit klarer, fester Stimme, nur das unmerkliches Zittern darin könnte ihre Anspannung verraten.

"Ich habe nicht versucht, diese Frau zu bestehlen."

Unmerklich schließt sich ihre Hand fester um ihren Kampfstab.

Elgar schließt in tiefer Konzentration die Augen und hält die Hand noch einige Herzschläge länger auf der Stirn. Dann nimmt er sie zurück, öffnet die Augen und lächelt erst Rovena und dann die Wächter freund-lich an: "Sie sagt die Wahrheit." verkündet er, als ob das das Offensichtlichste der Welt ist.

(Was die Thorwaler allesamt nicht erkennen und Ro-vena allenfalls spüren kann, ist, dass jedenfalls derzeit keinerlei magische Energie von Elgar ausgeht und er bislang auch (noch) keinen Zauberspruch gewirkt hat.)

Erleichtert atmet Rovena auf und erwidert sein Lä-cheln mit einem Blick, der ihre Unschuld noch unter-streicht.

'Er scheint nichts bemerkt zu haben …' denkt sie, als sie keine Reaktion des Erkennens bei ihm feststellen kann.

Dann wendet er sich der Kräuterfrau zu und versucht, auch diese an der linken Schulter zu packen: "So, jetzt werden wir Dich befragen und sehen, was das alles hier soll!" bringt er in ärgerlichem Ton hervor.

Die Frau weicht ein paar Schritte zurück, um sich sei-nem Griff zu entziehen.

Noch bevor Elgar nachrücken kann, geht der führen-de Wächter dazwischen: "Genug!" fordert er die bei-den auf. "Das reicht mir. Entschuldige die Unan-nehmlichkeiten." wendet er sich an Rovena und zu der Kräuterfrau meint er: "Jorghild! Das war bereits das dritte Mal in dieser Woche, Du solltest Dich schä-men!" Dann ziehen die beiden ab.

Rovena zieht entrüstet eine Augenbraue hoch. 'So ist das also! Warte, Alte, am Liebsten würde ich ja …'

Aber sie beendet den Gedanken nicht, sondern funkelt die Kräuterhändlerin nur bitterböse mit ihren grünen Augen an und dreht ihr abrupt den Rücken zu.

Elgar wendet sich ebenfalls ab und meint: "Ich wollte doch eine Robe kaufen … Wo war das doch gleich?"

Die junge Frau betrachtet den Magier erst jetzt etwas genauer und mustert seine Kleidung. 'Nun, es würde

nichts schaden, …' denkt sie und antwortet auf seine Frage: "Oh, das tut mir wirklich Leid, dass Ihr in Eu-ren Geschäften unterbrochen wurdet. Dahinten sind einige Stände, die Kleidung anbieten."

Sie weist mit der Hand in die Richtung und fügt leise hinzu: "Ich muss Euch noch danken dafür, dass Ihr Eure Hilfe angeboten habt. Allein hätte ich größere Mühe gehabt, meine Unschuld zu beweisen."

Sie lächelt ihn an.

Offenbar hatte Elgar seine Umgebung schon verges-sen, noch bevor die ganze Sache richtig beendet war und schreckt nur aus seinen Gedanken, als er ange-sprochen wird: "Oh, ja, äh. Gern geschehen." stößt er mühsam hervor. Schüchtern lächelt er zurück. Scheinbar ist ihm in Gegenwart dieser nicht ganz un-ansehnlichen jungen Frau etwas unwohl.

"Ach ja, meine Robe. Ich muss furchtbar aussehen." meint er mit einem Blick an sich herab.

Rovena lächelt milde, als sie seinem Blick folgt. "Ihr seht aus, als hätte Ihr eine lange Reise hinter Euch," erwidert sie amüsiert.

"Nun, das hat fast die Qualität der 'Untertreibung des Jahres'." erwidert Elgar freundlich. "Aber ich glaube, diese Geschichte dürfte ein wenig lang für einen Schwatz auf dem Marktplatz sein. Das wäre etwas für einen Becher Wein." schlägt er vor.

"Und vielen Dank für den Hinweis." nimmt er den ur-sprünglichen Gesprächsfaden wieder auf. "Nur leider war ich bereits bei allen hier auf dem Markt befindli-chen Händlern und nur ein einziger hatte eine pas-sende Robe. Die Sachen hier sind alle so …" er sucht nach dem richtigen Wort, "… groß und grob."

Zustimmend nickt Rovena ihm zu. "Ja, Ihr habt recht, die Leute hier sind schon recht kräftig gebaut. Bedau-erlich, dass da die Auswahl für Euch nicht sehr groß zu sein scheint."

"Es gibt schlimmeres." beruhigt sie Elgar. "Gebt mir einen ruhigen Platz und etwas Zeit und ich 'zaubere' Euch aus jedem Lumpenstück ein Ballkleid, wenn es sein muss." Bei dieser Bemerkung lässt sein Tonfall vermuten, dass er mal eine Schneiderlehre erfolgreich beendet hat.

Rovena schaut ihn verwundert an. Das hätte sie nun nicht vermutet, sie erwidert ihm darauf jedoch nichts.

"Doch nun muss ich weiter. Einen guten Tag wünsche ich Euch," spricht sie mit einem freundlichen Kopfni-cken, fasst ihren Stab und wendet sich zum Gehen, um sich wieder unter das Marktvolk zu mischen.

"Vielleicht könntet Ihr mir jetzt ein wenig helfen?" fragt er zögerlich. Er scheint wenig Erfahrung mit die-ser Art Umgang mit anderen zu haben.

Rovena hält in ihrer Bewegung inne, als er anfängt zu sprechen, dreht sich wieder zu ihm herum und blickt

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ihm in seine seltsamen, roten Augen. Eigentlich wollte sie den Markttag nutzen und den Gesprächen zwi-schen den Leuten, Einheimischen wie Zugereisten, ihre Aufmerksamkeit widmen. Doch die Bitte kann sie ihm nicht abschlagen, so wie er sie vorträgt. Dieser Mann übt eine eigenartig Wirkung auf sie aus, ihr In-teresse ist geweckt. Den Gedanken an die Gefahr, die er für sie darstellen könnte, verdrängt sie.

Lächelnd erwidert sie: "Ich muss zugeben, dass ich im Kauf von Kleidungsstücken ebenso wenig geübt bin. Aber, ich stehe in Eurer Schuld, Herr Magus, daher kann ich ja versuchen, ob wir gemeinsam etwas aus-richten können. Meine Geschäfte haben auch etwas Zeit."

"Zu freundlich von Euch." antwortet er mit einer leichten Verbeugung. "Ich bin, nun ja, nicht gerade eine Genie, wenn es um das Einkaufen von Kleidung geht. Und dieser Trödler da hinten wollte mir fast 6 Dukaten für ein einfaches Gewand abknöpfen! Könnt Ihr Euch das vorstellen? 6 Dukaten!"

Elgar ist entrüstet. 'Na gut, ich muss ja zugeben, dass ich die sogar bezahlt hätte, wenn ich sie nur gehabt hätte.' gesteht er sich im Stillen ein. Aber er hat sich eben nicht.

"Falls es jedoch Eure eigenen Geschäfte nicht zulas-sen, würde ich mich zumindest freuen, das abendliche Mahl gemeinsam mit Euch einzunehmen. Ich habe gehört, die Taverne "Bei Morissa" soll recht brauchbar sein. Und gute Etablissements scheinen hier wirklich selten zu sein, wenn man unter 'gut' nicht gerade 'bil-liges Bier und Schnaps in Massen' versteht." fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu.

"Na los! Turtelt woanders!" faucht da die Kräuterfrau dazwischen. "Ihr versaut mir das ganze Geschäft!"

Wie von der Maraskantarantel gestochen fährt Elgars Kopf zu Jorghild herum, seine Augen funkeln gefähr-lich und ein tiefes Brummen - fast eine Art Knurren - entfährt seiner Kehle.

Für Rovena als 'Unbeteiligte' sieht er fast wie ein wü-tender Geist aus. Wie muss er da erst auf Jorghild als Ziel seines Zorns wirken?

Nur einen Wimpernschlag, dann ist die Szene vorbei und Elgar wendet sich wieder Rovena zu: "Entschul-digung." meint er. "Wir wurden unterbrochen."

Erschrocken schaut Rovena ihn an. Täuschen sie ihre Sinne, oder was war da eben geschehen? Verwirrt und misstrauisch blickt sie ihn nun kurz an, ihre Begeiste-rung ist deutlich abgekühlt und die Vorsicht gewinnt wieder Oberhand. Aber ihre Neugierde lässt sie nicht los, als sie erwidert: "Ähm, ja, ich wollte noch sagen, dass wir später gern gemeinsam Essen gehen könnten. Wo finde ich denn diese Taverne? Ich bin noch nicht so lange hier und kenne mich nicht so gut aus."

Ihre kraus gezogene Stirn bemerkend zieht Elgar sie beiseite und weist ihr den Weg nach dem Stand, an dem die Robe zu erstehen war. Unterwegs beruhigt er sie: "Keine Angst, das war eben doch nur 'Theater'!"

'Theater. Soso … ' denkt Rovena, 'war jedenfalls sehr beeindruckend.'

Lachend zeigt er auf den Stand: "Und dieser Kerl da wollte mir besagte 6 Dukaten für diese Robe dort …" - ein schönes nachtblaues Stück - "… abknöpfen. Tja, ist wohl nicht viel zu machen, denn auch die Hälfte davon würde meine derzeitige finanzielle Situation nicht erlauben."

Mit gespielter Empörung, denn sie hat keine Ahnung, was so eine Robe kosten darf, meint sie zu den sechs Dukaten: "Das ist allerdings eine stolze Summe, die Euch der Händler abverlangen will."

"Ja! Die Robe ist höchstens die Hälfte wert!" erwidert er darauf hin.

Eine kurze Pause folgt. "Es sei denn, Ihr hättet da spe-zielle Fertigkeiten, wie ich sie einmal bei einem jungen Burschen in Havena beobachten durfte. Der hätte Euch den Mantel von den Schultern stehlen können, ohne dass Ihr es bemerkt hättet!"

Kopfschüttelnd, mit einem unschuldigen Blick ent-gegnet sie entrüstet: "Ich bitte Euch, was denkt Ihr von mir? Von was für Fertigkeiten sprecht Ihr, und wie-so stehlen? Das kann doch nicht Euer Ernst sein, so etwas von mir zu erwarten?"

Natürlich gäbe es eine Möglichkeit, und wenn die ge-länge … Sie grinst innerlich. Hach, das wäre schon ein Vergnügen, seinen Blick zu sehen … ob sie es wa-gen soll? Ach, warum auch nicht, wird schon gut ge-hen … ihr ist jetzt einfach danach …

"Nun, äh," offenbar ist er sehr verlegen deswegen, "ich meinte, ob Ihr vielleicht die Kunst des Handelns und Feilschens beherrschtet. Nicht dass ich Euch zu einem Diebstahl auffordern würde." fügt er schnell hinzu. "Außerdem durfte ich ja gerade erleben, dass dies of-fensichtlich nicht Euer 'Fachgebiet' ist, denn sonst wä-ret Ihr wohl kaum 'erwischt' worden." Noch bevor Ro-vena etwas erwidern kann: "Nein! Nein, natürlich wart Ihr das nicht. Das habe ich doch soeben festge-stellt. Ich rede wieder…" der letzte Satz war eindeutig ein Selbstgespräch.

Rovena hatte schon den Mund zu einer schnippischen Antwort geöffnet, spart sich diese jedoch nach seinem Nachtrag. Ein unwohles Gefühl breitet sich wieder in ihr aus, warnt sie. Besser nicht, weiß sie denn, wer er wirklich ist?

Als sie den Stand erreicht haben: "Seht sie Euch an, sie ist ansehnlich, aber viel zu teuer."

Sie schaut sich die Robe sorgfältig an. 'Hm, er scheint einen guten Geschmack zu besitzen,' denkt die junge Frau, während sie den Stoff durch ihre Hände gleiten

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lässt. Wie gut würde die nachtblaue Farbe zu seinen weißen Haaren und diesen roten Augen passen! Sie schnurrt fast vor Vergnügen, als sie sich Elgar in die-sem Kleidungsstück vorstellt. Auch ihr gefällt der Stoff und die Farbe und als der Händler herbei kommt, fragt sie ihn nochmals höflich nach dem Preis, den er verlangt.

"Nicht wahr, sie ist ganz nett, aber 6 Dukaten!" das scheint ihm zuzusetzen.

Der Händler antwortet liebenswürdig: "Oho, eine wei-tere Interessentin! Junger Mann, wenn das so ist, dann sagt mir doch, was bietet Ihr mir jetzt für dieses gute Stück? Wir waren bei 7 Dukaten und 4 Silberstücken, wenn ich mich richtig erinnere."

Bedauernd zuckt die junge Frau mit den Achseln. "Nun, dann wünsche ich Euch viel Erfolg dabei, den passenden Käufer für das gute Stück zu finden. Eure Forderungen für dieses Gewand mögen berechtigt sein, doch dieser Preis ist uns zu hoch. Es ist wirklich schade," lächelt sie ihn versöhnlich an.

Fast befürchtet Rovena einen erneuten Ausbruch von Elgars Zorn miterleben zu dürfen.

Aber der bleibt ruhig: "Nein mein Herr, wir waren be-reits bei 4 Dukaten 5 Silbern, aber das ist unwichtig. Ich will sie nicht mehr. Macht doch Euer Geschäft mit dieser Dame!" Er verschränkt die Arme vor der Brust, den Stab hält er dabei in der rechten Ellenbeuge.

"Aber… aber…" stottert der Händler. "Meine 8 Kin-der. Da musst Du Dich irren, dieser Preis! Nein! Da-für verkaufe ich sie nicht, weder an Dich noch an Dich, junge Frau!" Die Freundlichkeit ist hinweg.

Fast hätte Rovena aufgelacht. "Nein, nein, werter Herr, für mich will ich sie auch nicht. Und Phex zum Gruße! Mein Bekannter hier bat mich nur, mir mal dieses Kleidungsstück anzusehen und ihm zu raten, ob es denn den Preis wert ist, den Ihr verlangt." Sie er-widert die Liebenswürdigkeit des Händlers nun mit einem Lächeln.

Der Händler misst sie mit geübtem Blick von Kopf bis Fuß. "Auch Euch würde ein neues Kleid sicher gut stehen. Eine junge Frau braucht doch des Morgens eine reiche Auswahl an Kleidern, um den Mannsbil-dern zu gefallen, nicht wahr?" Seiner Ausdrucksweise - und eigentlich auch seines Aussehens nach - ist der Händler offenbar kein gebürtiger Thorwaler.

"Ach? Was Ihr nicht sagt …," erwidert Rovena leicht spöttisch. 'Als wenn man sie nur damit beeindrucken könnte' denkt sie sich und unterdrückt ein Kichern, welches sich in ihr aufzubauen versucht.

"Nein, lasst gut sein, guter Mann, ich bin nur auf der Durchreise und habe leider keine Möglichkeit, großes Gepäck mit mir zu führen."

Sie gluckst ein wenig bei ihren eigenen Worten.

Rovena betrachtet die Robe erneut, hält sie in die Höhe, prüft ihre Größe und Verarbeitung. "Sagt an, wie lange liegt dies Stück denn schon bei Euch aus? Sie scheint mir doch recht klein als das sie von den Leuten hier getragen werden könnte. Großes Interesse wird sie nicht wecken."

"Oh, diese Robe ist wahrlich ein gutes Stück!" preist sie der Händler nun erneut an. "Und ich habe sie erst letzte Woche hereinbekommen. Aber wenn Ihr meint, hier sei kein Bedarf für Roben, dann muss ich Euch leider sagen, dass die hiesige Magierakademie nicht nur aus Einheimischen besteht, die alle über 2 Schritt groß sind. Auch einige Tulamiden oder Novadis - die kann ich so schlecht auseinanderhalten - und der eine oder andere Elf sind auch dabei. Und die haben auch Not, hier etwas Passendes zu finden."

Ablehnend schüttelt sie den Kopf. "Nun, wenn Ihr sie uns nicht verkaufen wollt, haben Eure Kinder auch nichts davon."

Sie wendet sich ab und schaut Elgar schulterzuckend an. "Kommt, wir schauen uns noch woanders um."

"Gut. Tut das. Aber bisher sind alle zu Galbedir zu-rückgekommen. Das sage ich Euch!" ruft er den bei-den hinterher. Allerdings versucht er nicht, sie weiter aufzuhalten.

"Bleiben wir bei dem heutigen Abendessen. 'Bei Mo-rissa' ist recht leicht zu finden: Ihr geht hier vom Marktplatz aus in Richtung Nord-Westen, folgt der nächsten Querstraße über die Brücke und biegt dann rechts in eine Gasse ein, an deren Ecke schon das Schild hängt. Ich glaube, der Phextempel ist schräg gegenüber. Aber Ihr solltet auch kaum Schwierigkei-ten haben, die Taverne zu finden. Die ist hier sehr be-kannt."

"Danke, mit der Beschreibung sollte ich die Taverne finden können," entgegnet Rovena mit einem wissen-den Lächeln. "Sagt mir noch, wann ich mich dort ein-finden soll."

"Nun, da ich dann noch ein paar Besorgungen zu ma-chen habe, würde ich sagen, wir treffen uns bei Son-nenuntergang. Das dürfte in etwa," er blickt zum Himmel, "in wenigen Stunden der Fall sein."

"Hm, gut, ich werde versuchen, zu der Stunde dort zu sein." Rovena lächelt ihn an. Vielleicht wird es ja ein interessanter Abend? Und ein Bett für die Nacht muss sie auch noch finden … vielleicht ja dort in der Taver-ne.

Im Gehen wendet sich Elgar an Rovena: "Vielen Dank, trotzdem. Ich werde wohl mein 'Talent' benut-zen müssen und mir selbst eine Robe verschaffen." grinst er verschwörerisch.

"Tja, es tut mir wirklich Leid, dass ich nicht mehr für Euch tun konnte, Herr Magus." Ihr Bedauern klingt ehrlich und Rovena fährt fort: "Aber vermutlich hat

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der Händler recht und wird hier doch noch einen Käufer finden. Er war sich sehr sicher und für weniger als 5 Dukaten hätte er sie uns nicht verkauft, fürchte ich. Wollt Ihr Euch noch nach Stoffen umsehen?"

Gleich darauf wird er wieder ernst: "Ich erwarte Euch dann 'Bei Morissa'. Dann können wir uns in Ruhe ein wenig unterhalten. Ach, wie lange fehlt mir schon ein gutes Gespräch. Mit diesen tumben Nüssen, die hier gewöhnlich in den Tavernen verkehren, redet es sich gar nicht. Und die hiesigen Magier sind noch schlim-mer. Einige von denen wollten gar nicht mit mir re-den. Weiß Hesinde, weshalb."

Aufmerksam lauscht Rovena seinen Worten und sie mustert ihn nun wieder neugierig. 'Was ist er für ein seltsamer Mann?' fragt sie sich 'Und was findet er an mir so besonderes, dass er sich so um meine Gesell-schaft bemüht?'

Ihr Blick sucht den seinen und sie antwortet ihm lä-chelnd: "Ich werde da sein."

' … und vielleicht erfahre ich ja dann mehr über ihn. Seltsam, er hat mich noch nicht einmal nach meinem Namen gefragt … ' wundert sie sich still.

"Also bis später." antwortet er schlicht.

Zum Abschied winkt er Rovena zu und ist schon im Gedränge verschwunden.

Sie winkt ein wenig schüchtern zurück und blickt ihm noch hinterher. Dann wendet sie sich um und schlen-dert weiter über den Markt, um die Zeit bis Sonnen-untergang weiter zum Belauschen der Gespräche un-ter den Bewohnern der Stadt zu nutzen. Dabei schlägt sie auch den Weg ein, den der Magier ihr zu dem Gasthaus gewiesen hat und spaziert über die Brücke in den Nordwestlichen Teil der Stadt. Suchend blickt sie sich um und endlich hat sie das Gasthaus gefun-den. Aber einen Phextempel schräg gegenüber kann sie nicht ausmachen, das Geschehen dort ist eher Rah-ja gefällig. Mit einem zufriedenen Kopfnicken prägt sie sich die Umgebung ein und wandert zurück zu dem immer noch regen Markttreiben. Auf dem Vieh-markt hat sie sogar Gelegenheit, sich ein paar Taler zu verdienen, als sie einer Händlerin einen Rat gibt, mit welcher Heilsalbe sich die Entzündung in den ge-schwollenen Gelenken eines Langmähnen-Wallachs behandeln lassen. So vergeht für sie die Zeit bis zum vereinbarten Treffen und gut gelaunt macht sie sich auf den Weg …

Auf mehr oder weniger direktem Wege macht sich El-gar sodann zur Taverne auf. 'Wo finde ich nur ein ru-higes Plätzchen?' fragt er sich unterwegs. Dann über-legt er es sich anders und steuert die "Schule der Hell-sicht" an. Am Tor angekommen pocht er an und wird kurz darauf auch eingelassen.

Auf sein freundliches Bitten hin weist ihm der Pfört-ner den Weg zu dem derzeit anwesenden Meister

Franjolf Thorbensson. Von ihm erfährt Elgar nach ei-nem kurzen, weltlichen Freundlichkeitsaustausch auch, dass derzeit leider kein Platz für weitere Studien an der Akademie für Nichtschüler frei wäre. Aber für die Nacht könne man sicher eine Unterkunft finden. Dankend verabschiedet sich Elgar und bekommt von einem Diener eine Adeptenzelle zugewiesen: ein dunkles und kaltes Loch im ersten Kellergeschoss.

'Nicht sehr schön, aber für meine Belange reicht es.' stellt Elgar erleichtert fest, nachdem er allein ist. Er legt Rucksack und Stab ab, stellt sich aufrecht hin und streicht seine Kleidung glatt. Dann versinkt er in Kon-zentration. Stellt sich die Robe bildlich vor, konzen-triert er sich weiter, denn diesen Zauber hat er noch nicht allzu oft gewirkt. Wieder streicht er über seine Kleidung. Die Robe sieht er nun vor sich: Nachtblau-er, weicher Stoff, heller abgesetzter Kragen und Säu-me. Das innen liegende Futter ist ebenfalls nachtblau, jedoch mit feinen roten Symbolen überzogen, Symbo-len der magischen Sprache Zhayad. Während der ge-samten Zeit murmelt er etwas für Außenstehende Un-verständliches, das klingt wie: "Ohne Ahle … Faden …"

Den Rest nuschelt er vor sich hin, genau wie es ihm vor langer Zeit sein alter Lehrmeister beibrachte.

Als es vollbracht ist, muss Elgar durchatmen, denn der Zauber ist ziemlich anstrengend. Aber er ist gelungen! Das kann er feststellen, als er an sich herabsieht. Ge-nau wie gewünscht. Eine wunderschöne nachtblaue Robe.

'Was wohl Rovena dazu sagen wird?' fragt er sich im Stillen.

Dann legt er sich für kurze Zeit auf die Pritsche und ruht aus. Nur kurz, ganz kurz … und schon ist er ein-geschlafen.

Erst durch das Pochen des Dieners gegen seine Tür wird er wach.

'Ist die Sonne schon untergegangen?' ist sein erster Gedanke. Schnell erhebt er sich und beachtet den staunenden Diener gar nicht, der sich über das neue Gewand zu wundern scheint.

Den Ruf zu einem Abendessen lehnt er dankend ab. Mit Sack und Pack eilt er schnell hinaus und dann die Gassen entlang auf die Taverne 'Bei Morissa' zu. 'Hof-fentlich komme ich nicht zu spät!' denkt er mehr als einmal.

Als die Praiosscheibe schon fast den Horizont berührt, steht er am Eingang der Taverne und hält Ausschau, ob er Rovena irgendwo erspähen kann. Nach mehre-ren Minuten des Wartens geht er hinein und setzt sich nach einem kurzen Rundumblick an den nächsten freien Tisch, der einen guten Blick auf die Tür bietet und wartet.

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Rovena erreicht die Gasse, in der die Taverne liegt, als die Praiosscheibe schon zur Hälfte am Horizont ver-schwunden ist. Vor der Eingangstür rückt sie ihre Kleidung zurecht und klopft ein wenig den Staub der Gassen davon ab, streicht sich ein paar Mal mit den Fingern durch die Haare, um sie zu glätten und zu ordnen, und betritt dann mit einem tiefen Atemzug die Taverne. Suchend schweift ihr Blick durch den Raum. Und tatsächlich, da sitzt er und wartet auf sie.

Als Elgar sie hereinkommen sieht, erhebt er sich und bietet ihr einen der Stühle an und ist ihr behilflich.

Bei seinem Anblick verschlägt es ihr beinahe den Atem. Wie gut ihm doch dieses Nachtblau der Robe, die ihm perfekt zu passen scheint, steht! Und die Far-be! Das gleiche Nachtblau, wie das ihres Tanzkleides! Langsam, beinahe scheu, geht Rovena mit großen Au-gen auf ihn zu.

"Ich kann es nicht glauben, Herr Magus, aber … Ihr könnt wahrlich zaubern!" Sie unterbricht sich und kommt etwas ins Stottern. "Ach, was rede ich, … na-türlich, … und auch wieder nicht … wie habt Ihr das geschafft? Ihr sagte ja schon, Ihr könntet Schneidern, aber so ein herrliches Stück in so kurzer Zeit?"

Rovena ist sichtlich beeindruckt, als sie sich auf einem Stuhl ihm gegenüber nieder lässt.

"Nun ja." antwortet er leicht verlegen. "Es ist ein schwieriger Zauber und ich kann ihn nicht besonders gut. Aber Meister Salpicon war ein wahrer Könner, wenn es um die Veränderung seiner Garderobe ging." kommt er ins Schwärmen. "Außerdem ist der Zauber recht kräftezehrend. Aber Ihr habt Recht, sie ist mir ganz ordentlich gelungen."

"Ihr habt sie also tatsächlich durch Magie gewirkt?" Rovena ist ein wenig verwundert, davon hat sie bis-lang noch nichts gehört.

"Natürlich!" er ist ganz erstaunt. "Wie denn sonst?"

"Nun, … ähm … wie man üblicherweise seine Klei-dung schneidert, mit Nadel und Faden," entgegnet Rovena etwas verlegen.

'Hält er mich jetzt für dumm? Muss man das wissen?' überlegt sie stirnrunzelnd.

"Wie Ihr beliebtet festzustellen, bin ich Magier - und nicht etwa Schneider! Zwar mag die Ausbildung an anderen Schulen sicher auch anders verlaufen, aber von einem Schneider-Magister habe ich noch nicht ge-hört." grinst er.

"Und ich habe noch niemanden, auch keinen Magier, getroffen, der sich mittels eines Zaubers eine neue Robe verschaffte," kontert Rovena leicht gereizt wegen seiner Arroganz. Woher soll sie auch wissen, dass Ma-gier dazu in der Lage sein sollten?

"Seht mir meine Unwissenheit nach, Herr Magus," wiegt sie jedoch gleich mit einem entschuldigenden

Lächeln ab. "Das ist aber sehr praktisch, spart es Euch doch einiges an Ausgaben. Eure neue Gewandung steht Euch wirklich gut."

Sie lächelt ihn etwas unsicher an.

"Vielen Dank." antwortet er. "Wie gesagt, ich kann den Zauber nicht sehr gut, daher bin ich auch vorsichtig, wenn es um die Ausführungsart geht, da diese den Zauber verkomplizieren kann."

"Nun untertreibt Ihr aber," antwortet Rovena mit ei-nem gewinnenden Lächeln. "Sie ist gelungen, man könnte meinen, Ihr tragt die Robe, die Ihr mir auf dem Markt gezeigt habt."

"Findet Ihr?" fragt er zurück. "Sie ist es nicht, aber ich muss zugeben, dass ich sie als Vorbild genommen habe. Aber meine Erinnerung war sicher nicht in allen Einzelheiten perfekt."

"Ja, das finde ich," antwortet sie ihm schlicht. "Sonst würde ich es ja nicht sagen."

Ein wenig erstaunt ist sie schon, dass der Magier zu diesem Mittel gegriffen hat. Und dann kichert sie in-nerlich leise vor sich hin. Ja, wenn sie ihn doch etwas besser beherrschen würde … das wäre doch wirklich amüsant, wenn er plötzlich …

'Schäm dich!' schielt sie sich in Gedanken, 'wie kannst du jetzt an so was denken …'

Dann winkt er die Bedienung herbei und bestellt - nach einer kurzen Rückfrage: "Wein?" - einen Krug mit rotem Wein. Auf Nachfrage erklärt er, dass der an-gebotene schwere Süße nicht erste Wahl sei und lieber der 'herbere' serviert werden solle.

"Ja, gerne," antwortet die junge Frau, die von der Auf-merksamkeit, die er ihr entgegen bringt, zugleich an-getan und verunsichert ist. Ihr ist zwar ein lieblicher Wein weitaus angenehmer, doch das äußert sie lieber nicht, scheint Elgar doch Sachkenntnis zu besitzen, was die Qualität der Weine anbelangt.

Als der Wein kommt, lässt er die zwei Becher füllen und unterbricht solange die Unterhaltung. Dann er-hebt er den gefüllten Becher und prostet Rovena zu. Dann fällt ihm offensichtlich etwas ein: "Oh, wir ha-ben uns ja noch gar nicht bekannt gemacht! Ihr seht aus, wie jemand der die Wahrheit ertragen kann … Deshalb nenne ich Euch auch meinen richtigen Na-men, Isna-Inti Hapa." Als er Rovenas fragenden Blick bemerkt, fügt er hinzu: "Ihr dürft mich aber auch gern kurz 'Isinha' nennen. So haben es früher alle in mei-nem Stamm getan."

"Aber entschuldigt, ich überhäufe Euch mit lauter Fragen, Isna … Isinha …" etwas unsicher spricht sie seinen offensichtlichen Spitz- oder Kosenamen aus und streicht sich ihr Haar zurück, "… und habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Rovena, Ro-vena von Blautann, und ich komme aus Weiden."

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Die junge Frau schenkt dem seltsamen Fremden ein schüchtern wirkendes Lächeln.

"Angenehm. 'Ißinia', ja, genau so wird er ausgespro-chen. Es ist lediglich die Kurzform des richtigen Na-mens, wird aber etwas anders ausgesprochen, als es die reine Abkürzung vermuten lässt. Ihr scheint eine Be-gabung für Sprachen zu haben?" fragt er und nippt an seinem Wein.

Verlegen lächelt Rovena ihn an und trinkt ebenfalls eine Schluck Wein, bevor sie ihm antwortet: "Nein, ei-gentlich nicht … oder, nun das hat mir bisher noch niemand gesagt. Ich habe versucht, den Namen so auszusprechen, wie Ihr ihn mir genannt habt. So kommt Ihr nicht aus dem Mittelreich? Woher stammt Ihr?"

Rovena schaut ihn in der Tat fragend an, als sie eben-falls ihren Becher mit Wein nimmt, um mit dem Ma-gier anzustoßen, denn die Herkunft seines Namens ist ihr völlig unbekannt.

"Nein. Meine leiblichen Eltern habe ich nie kennen gelernt. Bereits wenige Monate nach meiner Geburt kamen sie um. Ich wurde von einem Jäger vom Stamm der Kachukhas im Dschungel gefunden und von ihm und seinem Stamm als einer der ihren aufge-zogen. Man kann also sagen, ich bin ein Moha!" Ge-spannt wartet er ihre Reaktion darauf ab.

Mitfühlend blickt Rovena den jungen Mann an und versucht damit, ihre Neugierde zu verdecken. Ihre smaragdgrünen Augen schimmern, als sie mit leicht schräg gelegtem Kopf spricht.

"Das tut mir wirklich Leid, dass Eure Eltern umge-kommen sind. Und welch' ein Glück für Euch, dass Ihr gefunden wurdet und nicht das gleiche Schicksal teilen musstet. Euch erging es doch hoffentlich gut bei Euren Zieheltern? Wie lebt man bei den Mohas?" fragt sie ihn, in Erwartung, mehr über seine Vergan-genheit zu erfahren. Sie weiß so gut wie gar nichts über diese Kultur.

"Das sind aber mehr als nur zwei Fragen." antwortet er mit einem leicht tadelnden Unterton in der Stimme. "Wo soll ich da anfangen? Nun, sagen wir mal so, dass Glück wohl nichts damit zu tun hatte."

Rovena verzieht leicht das Gesicht und schüttelt un-merklich den Kopf, als sie seinen Tadel vernimmt. "Was denn dann?" fragt sie mit unschuldigem Tonfall. Warum muss er es auch so geheimnisvoll machen, so dass man ihm jede Kleinigkeit aus der Nase ziehen muss?' denkt sie mit einem innerlichen, ironischen Grinsen.

Erneut nippt er an seinem Wein, scheint seine nächs-ten Sätze genau zu überlegen. Dann, nach schier end-losen Minuten des Schweigens fährt er fort: "Zunächst sollte ich erwähnen, dass mir der Vergleich zu einer - wie könnte man sagen - 'normalen' Kindheit fehlt.

Aber auch die Mohas sind gar nicht anders, als alle an-deren. Höchstens abgesehen von ihrem Lebensraum. Außerdem sind sie wesentlich überlebensfähiger im Dschungel, als alles und jeder, den ich seit dem ken-nen lernen durfte."

Er räuspert sich kurz.

Dann winkt er der Bedienung nach Käse und Brot.

Schließlich fährt er fort: "Außerdem wusste ich damals gar nicht, dass die Kachukhas nicht meine richtige Fa-milie sind. Ich sah zwar anders aus, aber das interes-sierte niemanden. Ich war - ich bin -" korrigiert er sich schnell, "ein Teil von ihnen. Der Schamane wollte mich sogar zu seinem Nachfolger ausbilden, nachdem er feststellte, dass ich die Kraft habe. Aber daraus wur-de nichts, denn irgendwie hatte ich Schwierigkeiten damit, mit den Geistern und Ahnen in Verbindung zu treten. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich eben doch nicht von Geburt an Moha bin." spekuliert er. "Es könnte sogar sein, dass die Geister mich bewusst abgelehnt haben. Aber warum teilten sie das Lumu Mbha nicht mit?"

Immer mehr gleitet das Gespräch zu einem Selbstge-spräch ab, bei dem Elgar sich offenbar mit seiner Ver-gangenheit beschäftigt.

Plötzlich bemerkt er es und lächelt Rovena verlegen an: "Entschuldigung. Aber ich schweife ab."

Rovena hat ihm die ganze Zeit gespannt zugehört und beobachtet. Nun erwidert sie seinen Blick.

"Nein, nein, gar nicht … wie interessant Ihr erzählen könnt, Isinha! Ich habe bisher noch niemanden ge-troffen, der mir von den Moha erzählen konnte. Eure Geschichte ist sehr spannend. Lumu Mbha ist der Schamane Eures Stammes, nehme ich an."

"Richtig. Er war ein alter, aber sehr weiser Mann. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Er hat eine lange Zeit, fast 20 Mada-Wechsel lang, versucht, mich in seine Rituale einzuweisen. Ich sollte sein Nachfol-ger werden!"

Seine Schulter sinken merklich nach unten, als er sich an seine Zeit im Dschungel zurückerinnert.

'Weshalb erzähle ich ihr das eigentlich alles? Sie ist eine Fremde!' ruft er sich ins Gedächtnis.

Sie spielt versonnen mit einer Haarsträhne, wickelt sie leicht um den Zeigefinger. "Doch sagt, warum stellt Ihr Euch mit dem Namen Elgar Arres vor, wenn Ihr doch einen ganz anderen tragt?"

"Das ist nun wieder eine andere Geschichte. Isinha ist mein Name, nun genauer Kurzname. Elgar Arres hin-gegen, nun, das ist der Name, der mir gegeben wurde, nachdem ich die Mohas 'verlassen' habe und zu ihm gebracht worden war. Er mochte diese Namen nicht und alle mussten den Namen seines Hauses tragen. Es hieß, dass sonst die 'Obrigkeit' dies verlangen wür-

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de. So ganz habe ich das aber nie verstanden. Also lau-tet mein 'offizieller' Name eben Elgar Arres. Unter diesem Namen wurde ich auch Adeptus und absol-vierte meine Studien. Deshalb muss ich den Namen aber weder mögen noch benutzen! Also tut mir bitte den Gefallen, und nennt mich nach Möglichkeit nicht so." bittet er sie.

"Wenn es Euch nicht angenehm ist, Isinha, werde ich diesen Namen natürlich vermeiden," verspricht sie ihm. "Aber seht Ihr, jetzt muss ich schon wieder fra-gen," Rovena zwinkert dem Magier zu. "Wer ist denn Er, von dem Ihr mir erzählt?"

Darauf reagiert Elgar zunächst gar nicht. Dann sieht er ihr fest und lange in die Augen. Gerade als Rovena diesem Blick nicht mehr standhalten und wegsehen will, schlägt er die Augen nieder und starrt in seinen Weinbecher. Unvermittelt blickt er wieder auf. Schmerz zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Kein körperlicher Schmerz, sondern der einer qualvollen Erinnerung.

Nur mühsam hat Rovena dem Blick seiner roten Au-gen standhalten können, sie hatte das Gefühl, von ih-nen durchdrungen zu werden. Als er dann unvermu-tet den Blick senkt, beobachtet sie aufmerksam sein Gesicht. Was hat sie jetzt bloß angerührt? 'Sei nicht so neugierig' schilt sie sich selber.

Als er zu sprechen beginnt, ist seine Stimme belegt: "Um es kurz zu machen, ich wurde als Sklave ver-kauft. Jäger aus Al'Anfa kamen und überfielen unser Dorf. Viele wurden getötet, die Kinder und jüngeren Erwachsenen wurden verschleppt. Nach einer 'Reise' von mehreren Tagen durch den Dschungel, die nur wenige von uns überlebten, fand ich mich auf dem Markt in Al'Anfa wieder. Dort wurde ich als 'Ge-schenk' für ihn für die wahnwitzige Summe von 2 Du-blonen ersteigert."

Wieder muss er sich unterbrechen, Nimmt einen kräf-tigen Zug vom Wein. Offenbar fällt es ihm alles ande-re als leicht, darüber zu sprechen.

"Nuntious Arres." geringschätziger kann man einen Namen wohl nicht aussprechen. "Bei ihm war ich dar-auf hin für eine schier endlose Zeit als 'Hausdiener beschäftigt'" fährt Elgar fort. "Dort lernte ich auch Ga-rethi. Erst nach vielen Mada-Wechseln durfte ich auch bei 'offiziellen Anlässen' im Hause bedienen. Mein Aussehen verhalf mir immer wieder zu 'unschönen' Auftritten. Jedenfalls war eines Abends ein Magister anwesend, der sofort in mir die 'Kraft' erkannte. Frei heraus erklärte er, ich sei nicht länger Eigentum der von und zu Arres, sondern er würde mich mit in die Akademie nehmen, bevor meine Kraft versiege. Und so geschah es. So sehr Nuntious sich auch dagegen wehrte - und er hatte wahrlich mächtige Freunde - der Magier genoss einen Sonderstatus, der es ihm erlaub-te, sich einfach über alle Gesetze hinwegzusetzen und

sogar Sklaven zu befreien, ohne dafür dem Eigentü-mer einen Ausgleich zahlen zu müssen!"

Als es heraus ist, ist Elgar richtig erleichtert. Der ihm vom Herzen gefallene Stein ist fast körperlich spürbar.

Rovena schaut ihn einen Moment mit großen Augen an, bevor sie ihren Blick senkt und leise entgegnet: "Was hattet Ihr bloß Entsetzliches in Eurer Vergan-genheit zu erleiden!"

Sie stockt und blickt ihm einen Moment tief in die Augen, bevor sie weiter spricht: "Ich fühle mich sehr geehrt, Isinha, dass Ihr mir Euer Vertrauen schenkt und mir dies alles von Euch erzählt. Womit habe ich das nur verdient?"

Ihre Frage klingt ehrlich, sie ist verwundert und es be-rührt sie, welches Vertrauen er zu ihr hat.

"Findet Ihr?" stellt er die Gegenfrage. "Auf meiner Reise mit all diesen Klötzen auf dem engen Schiff konnte ich mit niemandem darüber sprechen."

Offenbar meint er die hiesigen Einheimischen.

"Ja," antwortet Rovena unumwunden und wirkt plötz-lich etwas verlegen, sie betrachtet den Wein in ihrer Hand. "Ihr kennt mich doch kaum und Eure Offen-heit verwirrt mich etwas."

Eigentlich ist sie nicht verwirrt, sondern eher erstaunt, wie jemand so viel über sich erzählen kann. Es würde ihr im Traum nicht einfallen, von sich, ihrer Herkunft und ihrem Werdegang zu erzählen. Das hat sie schon von Anfang an gelernt und es ist auch besser so. Man weiß ja nie, an wen man gerät … Schnell versucht sie das Thema zu wechseln. "Ihr seid also mit einem Schiff der Thorwaler in diese Stadt gekommen?"

"Ja, ich kam aus Al'Anfa mit einer Otta hierher. Er-staunlich, nicht wahr? - Englund - der 'Kapitän' - nahm mich auf, nachdem ich einen seiner Leute ohne eine Waffe in der Hand daran hindern konnte, mir den Kopf abzuschlagen. War keine so tolle Erfahrung für mich, da ich mich nicht richtig konzentrieren konnte und keinen Zauber wirken konnte. Also muss-te ich auf eine alte Moha-Kampftechnik zurückgrei-fen, die ich - Rondra sei gedankt - nicht verlernt hatte. Aber das ist eine andere Geschichte." kürzt er ab und greift bei dem mittlerweile auf dem Tisch stehenden Brot mit Käse zu und nimmt große Bissen von dem herzhaften Mahl.

Rovena schaut den Magier fragend und neugierig an. Als er sich von den Speisen bedient, nimmt sie sich ebenfalls Brot und Käse und legt beides auf ihren Tel-ler. Doch sie isst nicht gleich, sondern schaut ihm einen Moment beim Essen zu. Dann lässt ihrer Neu-gierde wieder freien Lauf.

"Ich möchte wirklich nicht neugierig erscheinen, aber lasst Ihr mich auch diese Geschichte hören?" fragt sie Isinha mit schmeichelndem Tonfall. "Warum ist es er-staunlich, dass Ihr mit einer Otta nach Thorwal

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kamt? Bietet sich das nicht an, wenn man in diese Stadt möchte, oder wolltet Ihr nicht hierher?"

Gespannt wartet sie auf eine Antwort von ihm.

Nachdem er den letzten Bissen hinunter geschluckt hat, antwortet er: "Nun, eigentlich schon. Wer mit ei-ner Otta fährt, ist gewöhnlich ein Thorwaler. Oder einen Kopf kürzer." ergänzt er, bevor er wieder zu-greift und isst.

Die Fragen, die sich Rovena bei der Erzählung des Magiers stellen, werden nicht weniger. "Jetzt müsst Ihr mir aber noch verraten, warum, um alles in Dere, man versucht hat, Euch den Kopf abzuschlagen," hakt sie mit einem erstaunten Gesichtsausdruck nach. "Und warum das ein Grund für den Kapitän war, Euch mit-zunehmen." Sie hat wirklich keine Erklärung für das Gehörte.

Trotz des guten Essens scheint Elgar bei diesen Fragen förmlich der Mund offen zu bleiben. "Verzeiht, Teu-erste." beginnt er dann. "Mir scheint, Ihr hattet bislang kaum Gelegenheit, die Bewohner dieses Landstrichs kennen zu lernen."

Dann wird seine Stimme gefährlich leise und er beugt sich über den Tisch, bis sein Gesicht dicht vor dem ih-ren ist: "Sie brauchen keinen Grund."

Dann setzt er sich wieder und fährt in normaler Laut-stärke fort: "Nun ja, wenigstens einige von ihnen nicht. So auch der, dem ich im Hafen von Al'Anfa ge-genüberstand. Er war auf einer Queste wider Al'Anfa-nischen Geschmeißes - er hätte es wohl anders ausge-drückt - und ich war nun mal dort und eindeutig kein Thorwaler. Punkt. So einfach war das."

Er nimmt einen Schluck Wein.

Mit einem gequälten Gesichtsausdruck fährt er fort: "Englund ist anders, fast schon gebildet, könnte man sagen."

Er mustert ein paar der Anwesenden und spricht dann weiter: "Was genau ihn bewogen hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls war er sehr beein-druckt, dass einer seiner Kämpfer nicht mit dem 'Wandelnden Geist', wie er mich später scherzhaft zu nennen pflegte, fertigt wurde. Und als die versammel-te Meute dann auch noch erfuhr, dass ich eigentlich ein 'Stubenhocker' bin, konnte der arme Tropf, der mir zu Leibe rücken wollte, nirgends ein ruhiges Plätz-chen mehr finden. Das hat seine Laune nicht wirklich gebessert. Das könnt Ihr mir glauben!" bekräftigt er den letzten Teil.

Rovena weicht ein Stück zurück, als Elgar sich zu ihr vorbeugt.

'Teuerste?! Du liebe Güte, jetzt übertreibt er aber! Was bildet er sich ein?' denkt sich die junge Frau, ohne das Gesicht zu verziehen. Mit etwas eingefrorener Miene verfolgt sie seine Erzählung, ohne ihn diesmal zu un-terbrechen. Sie nippt an ihrem Wein und nickt ein

paar Mal verstehend mit dem Kopf. Als er eine Pause macht, wagt sie es, sich wieder zu Wort zu melden.

"Ihr habt recht, ich bin noch nicht lange in dieser Ge-gend, die Eigenheiten dieser Menschen sind mir noch nicht sehr geläufig. Und ich kam auch erst heute mor-gen hier in der Stadt an."

Sie unterbricht sich, stellt den Becher Wein ab und schaut auf die Speisen auf ihrem Teller. Nachdenklich nimmt sie sich ein Stück Brot. Bevor sie jedoch ab-beißt, entgegnet sie auf seinen letzten Satz: "Das glau-be ich Euch gerne, Isinha, dass er nicht gut auf Euch zu sprechen sein dürfte. Ich hoffe, Ihr habt jetzt nichts mehr von ihm zu befürchten."

Mit einem kurzen Seitenblick auf ihn führt sie das Gespräch weiter: "Wenn ich Euch richtig verstanden habe, seid Ihr in einen Überfall der Thorwaler auf die Stadt Al'Anfa geraten. Doch was führte Euch denn nun in diese Stadt Thorwal?"

Fragend schaut sie ihn wieder an, während sie von ih-rem Brot abbeißt und sich dazu ein Stück Käse nimmt.

Irritiert schaut er sie an: "Ich sagte doch, ich kam mit dem Schiff hier an …" dann bricht er ab, als ihm klar wird, dass Rovena das nicht gemeint hat.

"Oh." kommentiert er sein Missverständnis. "Also Englund fuhr nun mal hierher. Da hatte ich kaum eine große Wahl. In Al'Anfa zu bleiben, nachdem ich nicht gefunden hatte, wen ich suchte, wäre zu gefähr-lich gewesen. Jeder Ort war gut und je weiter weg, um so besser. Ich kann nicht mein Leben damit vergeu-den, mich vor seinem weit reichenden Arm zu verste-cken oder Rachepläne zu schmieden." ergänzt er.

Wieder weiß sie nicht genau, auf was oder wen er an-spielt und blickt ihn fragend an. "Ist es dieser Nun-tious Arres, der Euch hierher geführt hat? Ihr sucht ihn und müsst Euch gleichermaßen vor ihm verber-gen, oder?"

Ihre smaragdgrünen Augen suchen seinen Blick.

"So in etwa." antwortet er ausweichend. "Jedoch hoffe ich sehr, dass er geblieben ist, wo immer er gewesen sein mag. Und dass 'dort' nicht 'hier' ist." fügt er hin-zu.

Nach einem Schluck Wein fragt er: "Aber sagt, ich breite hier Geschichte und Geschichten vor Euch aus, aber von Euch selbst weiß ich gerade mal den Namen. Woher kommt Ihr, womit verbringt Ihr den Tag und was führte Euch hierher - abgesehen von der Reisege-sellschaft." grinst er.

Dass diese Frage nun kommen würde, darauf hat sich Rovena schon gefasst gemacht. Sie erwidert sein Grin-sen zögernd mit einem Lächeln, und antwortet, etwas verlegen wirkend: "Richtig, ich kam noch gar nicht dazu, Euch von mir zu erzählen. Wobei es auch nicht viel über mich zu erzählen gibt, muss ich zugeben.

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Mein Leben verlief sehr ruhig, verglichen mit Eurem. Ich stamme aus Weiden, aus der Gegend von Nord-hag, um genau zu sein. Meine Mutter hat dort ein kleines Anwesen und ich helfe ihr, es zu bewirtschaf-ten," erzählt sie ihm, ohne zu Zögern. "Auch sammele ich verschiedene Kräuter für heilende Medizin, die ich anbiete gelegentlich, denn ich kenne mich ein wenig in der Kräuter- und Heilkunde für Mensch und Tier aus."

Sie hält inne, zögert und scheint zu überlegen, was sie ihm noch erzählen soll.

"Meine Mutter schickte mich hierher, nach Thorwal, um nach einer nahen Verwandten, einer Base mütter-licherseits, zu suchen, die vor Jahren in diese Gegend zog und von der wir lange nichts hörten. Da Ihr ja nicht von hier seid, brauche ich Euch wohl nicht zu fragen, ob Ihr sie kennt," beendet sie ihre Erzählung und blickt ihn forschend an. Genügen ihm ihre Anga-ben? Sie hat nicht vor, diesem Magier mehr als nötig von sich zu erzählen. Schließlich kennt sie ihn ja kaum und unvorsichtig zu sein, kann sie sich nicht er-lauben. Mit der rechten Hand hebt sie den Becher mit Wein an ihre Lippen, während sie verlegen eine ihrer blauschwarz schimmernden Haarsträhnen zwischen den Fingern der Linken dreht.

Über den Rand des Weinbechers hinweg mustert El-gar sie genau.

'Wer bist Du?' fragt er sich. 'Niemand reist aus dem Weiden'schen nach Thorwal, um eine Verwandte zu suchen, von der man einige Zeit nichts gehört hat. Schon gar nicht eine junge Frau ohne Begleitung! Wer bist Du wirklich und was willst Du hier?' sinniert er.

Als sie endet, entsteht eine kurze Zeit des Schweigens, die er mit weiteren Bissen des Mahls überspielt.

Schließlich antwortet er: "Fragen könnt Ihr mich, aber ohne nähere Angaben zu Eurer Verwandten kann ich die Frage nicht einmal dann positiv beantworten, soll-te ich sie tatsächlich kennen."

Sein musternder Blick ist Rovena unangenehm, doch sie weicht ihm nicht aus und erwidert Elgar lächelnd: "Sie heißt Raugunde Eschenbinge und ist in Heil- und Kräuterkunde bewandert. Ich soll bei ihr lernen und mein Wissen über Kräuterkunde erweitern."

Natürlich hat sich Rovena den Namen und die Person nur ausgedacht, aber bisher hat diese Erklärung aus-gereicht, um neugierige Fragen nach dem Grund ihrer Reise nach Thorwal hinreichend zu beantworten. Mit einem erwartungsvoll und unbedarft erscheinenden Gesichtsausdruck fügt sie hinzu: "Kennt Ihr sie viel-leicht doch?"

Während eines Moments des Nachdenkens zieht El-gar die Stirn in Falten und murmelt den ihm genann-ten Namen vor sich hin. Dann antwortet er: "Hm. Ad

hoc kann ich keine Convergentia zwischen dem Na-men und mir bekannten Personen herstellen."

Nachdenklich mustert er sie weiter über den Becher-rand hinweg.

"Aber," seine Züge hellen sich merklich auf, "Franjolf, der Skalde aus Englunds Haufen, der wird sie ken-nen! Er ist hier so etwas wie ein wandelnder Alma-nach. Ich werde ihn gleich morgen fragen." beschließt er. "Wenn hier jemand Euch zu Eurer Verwandten führen oder zumindest weisen kann, dann ist es Fran-jolf."

Ein gespieltes Lächeln zieht über Rovenas Gesicht, in Gedanken flucht sie aber leise vor sich hin.

'Oh, ich hätte es ahnen können, aber was soll's, auch dazu wird mir eine Ausrede einfallen …'

Mit einem erfreuten Blick, der ihr aber nicht so recht gelingen will, schaut sie Elgar ins Gesicht.

"Das wäre sehr nett von Euch! Ich habe mich heute schon umgehört, aber noch nichts erfahren können."

Damit hat sie wenigstens nichts Falsches gesagt … Um wieder von sich abzulenken, fügt sie sogleich eine neue Frage über ihn an. "Wie lange wollt Ihr denn hier in der Stadt bleiben, Isinha?" Ihre smaragdgrünen Augen funkeln ihn wieder neugierig an.

"So sei es." erwidert er.

'Du hast etwas zu verbergen. Ich weiß nur noch nicht, was.' entscheidet er und lässt das Thema vorüberge-hend fallen.

Nach einem Schluck Wein kommt er auf ihre letzte Frage zurück: "Nun, das kann ich gar nicht genau sa-gen. Wer weiß schon, wohin es einen verschlägt, wenn man kein bestimmtes Ziel hat. Vielleicht werde ich an der hiesigen Akademie meine Kenntnisse in Hellsicht-Zaubern aufbessern.

Andererseits reizt mich aber auch, die Gegend zu er-kunden und mir Land und Leute - abseits der See-fahrt - anzusehen. Ich hoffe auf eine gute Gelegenheit für Studien, denn sonst habe ich nichts an meine Aka-demie zu berichten. Und das wäre schlecht." fügt er noch hinzu.

Interessiert hört ihm die junge Frau zu.

'Er reist also ziellos herum, ohne eine bestimmte Auf-gabe … dann dürfte er auch mit den Gerüchten und der Angelegenheit nichts zu tun haben. Trotzdem sei vorsichtig …' redet sie sich zu, während sie ihn beob-achtet.

"So seid Ihr also auch unterwegs, um etwas zu lernen," entgegnet sie mit einem Lächeln auf den Lip-pen. "Wie ich auch. Doch wenn ich meine Verwandte nicht finden sollte, weiß ich schon, wohin mich meine Reise führen wird."

Ihr Blick wirkt etwas nachdenklich. "Zurück nach Weiden, um meiner Mutter zu berichten."

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In einem Moment des Schweigens blickt sie sinnie-rend in das Licht der Lampe auf ihrem Tisch. Drau-ßen ist es mittlerweile dunkel geworden und sie über-legt, wo sie die Nacht verbringen soll.

Während er mit dem Weinbecher spielt, antwortet er zurückhaltend: "Ars longa vita brevis."

Er stößt einen kurzen lautlosen Seufzer aus und sieht Rovena nachdenklich an.

"Es gibt so vieles zu lernen. Und uns bleibt so wenig Zeit dafür." Dann fährt er fort: "Nun lasst mal den Kopf nicht hängen. Wir finden Eure Verwandte schon. Wie ich sagte, kennt Franjolf hier alles und jeden. Er weiß Rat."

'Das werden wir noch sehen …' denkt sich Rovena mit einem innerlichen Grinsen, während sie dem Magier ein dankbar anmutendes Lächeln schenkt.

Schließlich wechselt er das Thema: "Um noch einmal auf den heutigen Tag zurück zu kommen, ich hoffe, ich habe Euch nicht zu sehr verängstigt mit dem klei-nen Mummenschanz auf dem Markt." leise kichert er. "Euer Gesicht war, …, war, …, als ob Euch Der, Des-sen Namen man nicht nennt, begegnet wäre."

"Nun, verängstigt eigentlich nicht," erwidert die junge Frau zögernd und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ihr saht plötzlich so verändert aus, so gefährlich …," sie stockt. '… wie ein wildes Tier' woll-te sie noch sagen, unterlässt es aber lieber, um ihn nicht zu verärgern.

"Ich dachte, es wäre eine Sinnestäuschung, denn schnell ward Ihr wieder der alte, als wäre nichts ge-schehen. Habt Ihr das bei den Mohas gelernt oder war es etwa ein Zauber?"

Ja, sie hatte sich erschreckt, und sie hat den Eindruck, dass irgend etwas seltsam an diesem Mann ist. Nur kann sie sich nicht erklären, was es ist … es kann doch nicht nur an seinem Aussehen liegen … Besser, sie bleibt weiterhin vorsichtig, so sehr er sie auch inter-essiert, bis sie noch mehr über ihn erfahren hat. Denn wenn er doch zu ihnen gehört und dahinter kommt, wer sie ist und warum sie hier ist …

Er wirkt verlegen, als er antwortet: "Nein, so etwas ist meinem Volk fremd, jedenfalls meinem Stamm." ver-bessert er sich. "Es gibt Stämme, die noch ganz andere Dinge tun, die für 'zivilisierte' Menschen abstoßend wirken, oder gar als nicht göttergefällig erscheinen. Wenn ich da nur an die Schrumpfköpfe und ähnliche 'Unsitten' denke …" er lässt den Satz unvollendet.

Ein wenig schaudert es die junge Frau bei seinen Wor-ten. Dinge geschehen auf dieser Welt …

"Ein Zauber. Hm, vielleicht war es das sogar." überlegt Elgar laut. "Aber jedenfalls keiner, der mir als solcher 'bekannt' wäre. Und 'Kraft' hat er mich auch nicht ge-kostet." sinniert er weiter laut. Offenbar ist er sich mo-mentan Rovenas Anwesenheit gar nicht bewusst und

grübelt laut vor sich hin. Kurz darauf bemerkt er ihren aufmerksamen Blick und findet in das Hier und Jetzt zurück.

"Verzeihung. Entschuldigt, ich war nicht ganz bei der Sache, schon wieder in ein Problem vertieft. Ihr habt mich da auf eine interessante Nebenerscheinung hin-gewiesen. Augenscheinlich scheint eine cohaesion zwischen thaumaturgischer Gestik und gewissen aver-sionae magicae zu bestehen. Ich glaube, diesem The-ma sollte ich mich bei Gelegenheit intensiver wid-men."

"Verzeiht," fällt Rovena sanft, beinahe entschuldigend, in sein Selbstgespräch ein. "Ich habe nicht an einer Akademie studiert und bin daher nicht so gelehrt."

Neugierig, mit blitzenden Augen, schaut sie ihn an, ist sie doch begierig, mehr zu erfahren.

"Ich würde aber zu gerne wissen, was Ihr mit Euren Worten ausdrücken wollt. Habt Ihr Euch nun ver-wandelt oder nicht?"

Sie ist gespannt, was er ihr erzählen wird. 'Man kann es sich wirklich schwer machen …'

Rovena ist amüsiert über die gelehrten Worte des Ma-giers über die für sie natürlichste Sache der Welt.

"Wie?" schreckt er aus seinen Überlegungen hoch. "Oh, äh, ja. Äh, Nein! Ich habe nichts 'verwandelt', keinen Zauber im magischen Sinne gewirkt." verbes-sert er sich schnell, als ihm der Inhalt der Frage be-wusst wird.

"Ich dachte nur gerade daran, dass manchmal im Um-gang mit leichtgläubigen oder abergläubischen Men-schen - wie den Seefahrern und Thorwalern an sich - oft gar keine 'Magie' im engeren Sinne notwendig ist, sondern dass für diese 'einfachen' Leute viele Dinge wie Menschenkenntnis als Magie erscheinen. Ich hof-fen, dass Euch das verständlicher ist." fügt er rasch hinzu. Er ist bemüht, ihr seine Überlegungen darzule-gen, auch wenn klar ist, dass ihm das ohne fachliche Begriffe sichtlich schwerer fällt.

Nach kurzem Schweigen runzelt Elgar die Stirn: "Moment mal. Habe ich das gerade richtig verstan-den?" fragt er. "Ihr glaubtet, ich hätte mich verwan-delt? Wie kommt Ihr denn darauf?"

In seinem Hinterkopf hat sich noch etwas anderes von Rovenas Antwort festgesetzt: 'Sie hat an keiner Akade-mie studiert. Hm, gut. Aber als Akademien werden doch nur diejenigen von uns Magiern und die der Krieger bezeichnet. Und wie eine Kriegerin sieht sie nicht aus …'

Aber dieses Rätsel muss er zunächst ungelöst lassen.

"Weil Ihr so verändert gewirkt habt," entgegnet Rovena zögernd, und versucht, möglichst naiv zu klingen.

"Schließlich konntet Ihr Eure Kleidung verändern, warum nicht auch Euer Aussehen?"

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Sie wirft ihm einen Blick zu, aus dem man Bewunde-rung herauslesen könnte, wenn man wollte.

'Vorsicht …' warnt sie eine innere Stimme, 'er ist kei-ner dieser Dummköpfe, er ist ein Magier, mit dem du dich da eingelassen hast …'

"Das war sicher nur, weil meine normale Erscheinung nicht ganz alltäglich ist." wiegelt er ab. "Glaubt Ihr nicht, wenn ich es könnte, würde ich mein Aussehen verändern? Oder kennt Ihr noch andere, die wie ich sind, so dass ich für Euch alltäglich wirke?" fragt er.

Insgeheim mustert er sie weiterhin, jetzt aber so un-auffällig wie möglich.

'Kann es sein, dass sie mehr ist, als sie zu sein vorgibt? Sie gibt sich wie die 'Unschuld vom Lande', aber da ist etwas …'

Ein nagendes Gefühl, das ihn nicht mehr in Ruhe lässt, beschäftigt ihn, seit er Rovena von wenigen Stunden auf dem Marktplatz getroffen hat.

Rovenas Blick schweift über die Gestalt ihres Gegen-übers.

'Hm, … er sieht doch nicht schlecht aus, wenn auch etwas blass … Sie schaut ihm in die Augen, funkeln-des Smaragdgrün trifft auf glühendes Rot …, und sie schenkt ihm ein Lächeln.

"Direkt kennen gelernt habe ich noch niemanden wie Euch, Isinha. Ihr seht ungewöhnlich aus, aber auch wieder interessant. Doch allein schon, dass Ihr ein Magier seid, hebt Euch von dem Alltäglichen ab …"

Nachdenklich betrachtet sie ihn. Oh, es kann schon nützlich sein, die eigene Gestalt verändern zu können, aber in diesem Fall erscheint es ihr doch nicht not-wendig …

Da hat sie Elgar auf dem "falschen Fuß" erwischt. "Oh, äh, ja." stammelt er nur, wendet aber den Blick nicht ab und fängt sich nach kurzer Zeit wieder: "Ihr schmeichelt mir." gibt er zu bedenken. "Aber fürwahr. Mein Aussehen ist ungewöhnlich. Ich selbst sah bis-lang niemanden, dessen Aussehen dem meinen gleicht. Allerdings glaube ich nicht, dass ich 'einzigar-tig' bin, wenn Ihr versteht. Soweit meine bisherigen Investigationen zeigen, scheint dies eine Art Verände-rung von Haut, Haaren und Augen zu sein, eine colo-ro albeo, könnte man sagen."

Mit diesen wissenschaftlichen Erläuterungen ist er wieder ganz in seinem Element. Entweder entgehen ihm ihre musternden Blicke oder er ignoriert sie vor-trefflich.

Seine anfängliche Unsicherheit amüsiert die junge Frau mit den blauschwarzen Haaren, innerlich schmunzelt sie darüber, dass er sie für eine Schmeich-lerin hält. Im Licht der Kerze schimmern die 5 silber-nen Strähnen hervor.

"Man könnte es auch als eine besondere Gabe sehen," wirft Rovena nachdenklich in seine akademischen Ausführungen ein. Ihr Blick schweift zum Fenster in die Dunkelheit der Nacht. Sie wird unruhig und sieht nach dem Wirt.

"Isinha, ich muss mich noch nach einer Bleibe für die Nacht erkundigen. Wo seid Ihr denn untergebracht?"

Mit dieser Frage versucht sie auch, von dem ihm viel-leicht unangenehmen Thema seines Aussehens abzu-lenken.

Der Themenwechsel kommt Elgar offenbar nicht un-gelegen, denn er geht direkt darauf ein, ohne weiter das letzte Thema zu verfolgen: "Ich? Nun, ich hatte vorhin kurz die Gelegenheit, der hiesigen Akademie einen Besuch abzustatten. Zwar ist mein ursprüngli-ches Ansinnen, hier meine Studien fortzusetzen, dort nicht unbedingt auf stürmischen Beifall gestoßen, je-doch konnte ich zumindest für heute Nacht eine No-vizenzelle bekommen, in der ich auch zu nächtigen gedenke. Bleibt Ihr gleich hier? Diese Taverne hat auch ein paar Gästezimmer und ist wohl auch gar nicht mal so teuer."

Rovena schaut sich wieder nach dem Wirt um. "Ja, ich dachte eigentlich, ich frage gleich hier nach einer Un-terkunft. Hoffentlich hat der Wirt noch ein Bett frei, sonst müsste ich bald los, um mich wo anders danach umzusehen."

Sie wendet sich wieder Elgar zu, ihr Blick wirkt nach-denklich.

'Hoffentlich reichen meine Barschaften, sonst werde ich mir einen Unterschlupf in einem Stall suchen müssen …' denkt sie beunruhigt, ohne dies jedoch dem Magier zu zeigen.

Ein knappes Nicken: "Gut. Wir wollen doch nicht, dass Ihr womöglich noch im Freien nächtigen müsst."

Ein Lächeln umspielt seine Lippen.

"Leider kann ich Euch nicht anbieten, mit in der Aka-demie zu übernachten. Denn Nichtmagiern ist der Zutritt nur gestattet, soweit ihnen eine Aufgabe über-tragen wurde oder sie zum Hauspersonal gehören." erklärt er.

Dann zieht er die weißen Augenbrauen über der Nase zusammen und fragt: "Oder seid Ihr etwa eine Magae? Ihr seht mir nämlich nicht danach aus."

"Ich?" Rovena reißt erstaunt die Augen auf. "Wie kommt Ihr denn darauf, so etwas anzunehmen? Nein, ich sehe nicht nur nicht danach aus, ich bin gewiss auch keine," erklärt sie im Brustton der Überzeugung. Leise grinst sie unmerklich in sich hinein.

'Möge die Göttin mich davor bewahren. Und in der Akademie übernachten, … zum Glück scheint das nicht möglich. Ich muss mich ja nicht gleich in die Höhle des Löwen begeben.'

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Sie lächelt ihn beruhigend an.

"Macht Euch nur keine Sorgen, Isinha. Ich werde schon ein Lager für die Nacht finden."

In ihren smaragdgrünen Augen blitzt es kurz auf, und als sie das Glas mit dem funkelnden Rotwein an die Lippen setzt, leuchten sie geheimnisvoll im Kerzen-licht.

"Ich nehme nichts an. Ich frage." ist seine lakonische Antwort. Das Aufblitzen ihrer Augen ist ihm nicht entgangen.

'Was hast Du zu verbergen?' fragt er sich zum wieder-holten Mal.

"Wäre es so furchtbar, Magier - oder Magae - zu sein?" fragt er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

"Furchtbar? Wie soll ich das beurteilen? Davon verste-he ich doch nichts," versucht sie ihm auszuweichen. "Empfindet Ihr es denn als furchtbar, ein Magier ge-worden zu sein, wo Ihr doch die Fähigkeiten dazu habt?"

Mit einem Augenaufschlag und verwundert wirken-den Ausdruck im Gesicht schaut sie ihn an. Eine leichte Unruhe breitet sich in ihr aus, sein Lächeln, das sie erwidert, gefällt ihr nicht. Wo bleibt nur der Wirt?

Mit dem Weinbecher spielend sieht er ihr tief in die Augen. Nicht lange, immer nur kurze Momente, dann blickt er in den Becher und lässt den Wein sanft krei-sen. Dann richtet er sein Augenmerk wieder auf Rove-na und fragt fast beiläufig: "Mache ich Euch nervös? Diesen Eindruck mache ich gelegentlich auf andere Menschen."

Beruhigend fügt er hinzu: "Ich bin wirklich harmlos."

Gewinnend lächelt er. Aber das flackernde Kerzenlicht könnte einem flüchtigen Beobachter auch das voll-ständige Gegenteil davon vorgaukeln.

'Das sagen sie alle …' Rovena bemüht sich, seinem Blick standzuhalten. 'Du tust gut daran, deine Beteue-rungen zu halten …'

Wieder kreuzen sich ihre Blicke und Elgar wird das Aufblitzen in ihren smaragdgrünen Augen nicht ent-gehen. Doch nur kurz ist es wahrzunehmen, dann blickt sie ihn möglichst sanft an.

"Ich bin unruhig, weil ich noch nicht weiß, wo ich heute Nacht hin soll, Isinha."

Sie mustert ihn, um zu erfahren, ob sie auf ihn auch glaubhaft wirkt.

"Ich bin ja heute erst hier eingetroffen und habe es bis-her versäumt, mich um eine Unterkunft zu kümmern. Aber es wird sich schon etwas ergeben. Wenn der Wirt auftaucht, werde ich ihn gleich fragen."

Wieder blickt sie sich kurz um, und fragt den Magier dann beiläufig: "Ihr habt mir meine Frage nicht beant-

wortet, Isinha. Ist es eigentlich schwierig, die Zauberei der Magier zu erlernen? Was hat man Euch denn bei-gebracht?"

Vielleicht erfährt sie ja noch ein wenig mehr über sei-ne Gesinnung, wenn sie geschickt weiter fragt.

Verstehend nickt er und meint: "Entschuldigt. WIRT-SCHAFT!" brüllt er dann über den Lärm der Taverne hinweg. "Das haben wir gleich."

Als die Bedienung nach kurzer Zeit erscheint, teilt ihr Elgar mit: "Die Dame wünscht ein Zimmer für die Nacht."

Als Antwort erhält er lediglich den Hinweis, darum würde sich Morissa selbst kümmern und schon ist sie wieder im Gedränge verschwunden, um den Bierfluss für die Gäste aufrecht zu erhalten.

Elgar zieht beide Augenbrauen hoch und zuckt mit den Schultern: "War einen Versuch wert."

"Danke trotzdem," Rovena schaut der Magd mit un-mutig zusammen gezogenen Augenbrauen nach.

"Die Wirtin wird sich schon zeigen, wenn es ans Be-zahlen geht," fügt sie ironisch hinzu. Sie betrachtet Elgar von der Seite.

"Isinha?" In vertraulich klingendem Ton spricht sie ihn an. "Warum schweigt Ihr?"

"'Der Dumme plappert. Aber der weise Mann hört zu.' Das waren die Worte von Lumu Mbha, wann immer er gefragt wurde, weshalb er bei Stammesfesten und anderen Anlässen nie viel sagte. Gut. Sie verlieren et-was durch die Übersetzung, aber der Inhalt ist klar. Ich glaube, ich verstehe erst langsam all das, was er mir beizubringen versuchte." antwortet er.

Dann fährt er fort: "Ja, kann schon sein. Aber verlas-sen würde ich mich nicht darauf. Und Zechpreller sind hier gar nicht gern gesehen. An Eurer Stelle wür-de ich mich selbst darum kümmern. Aber so Ihr es wünscht, werde ich sehen, was ich tun kann, Meine Dame."

Bei seinen letzten Worten schaut er fragend, ob er sich gleich erheben und nach einem Zimmer fragen soll, oder ob der Becher in seiner Hand erst noch geleert werden kann.

"Bleibt sitzen, Isinha," beeilt sie sich, ihn zurückzu-halten. "Ihr habt mich falsch verstanden, natürlich werde ich mich selber um eine Unterkunft kümmern. Und so eilig ist es noch nicht," fügt sie schnell hinzu und wirft ihm einen neugierigen Blick zu.

'Hat er mich jetzt absichtlich falsch verstanden, um meiner Frage auszuweichen?' fragt sie sich im Stillen und versucht es erneut.

"Euer Schamane teilt die selbe Weisheit wie meine Mutter, scheint mir," setzt sie die Unterhaltung mit ei-nem Schmunzeln fort. "Sie sagt immer 'Reden ist Sil-

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ber, Schweigen ist Gold' und damit hat sie oftmals recht."

Rovena lächelt versonnen bei dem Gedanken an Ayla, ihre Mutter.

"Und wenn es Euch unangenehm ist, dass ich Euch nach dem frage, was Ihr als Magier gelernt habt, so müsst Ihr es mir nur sagen, ja?"

Gespannt wartet sie auf seine Antwort. Wird er ihr wieder auszuweichen versuchen?

"Ach das meint Ihr!" erwidert er erleichtert. "Mein be-vorzugtes Fach ist die magica mutanda, speziell dieje-nige der resae desertae - unbelebter Dinge." ergänzt er auf ihren fragenden Blick hin.

"Und Eure Frau Mutter war ebenfalls in den Künsten bewandert - auf Euch jedoch wurde nichts davon bei Eurer Geburt übertragen? Sehr merkwürdig." wundert er sich leise. "Aber sehr interessant. Ich bin mir sicher, davon gehört zu haben. Kundige, die die 'Gabe' intui-tiv einsetzen können. Vielleicht als 'Heilende Hände' oder 'Meisterliches Handwerk'. Ja, ich habe davon ge-hört." ist er sich sicher.

"Und Eure Mutter, welches 'Geschenk' wurde ihr zu-teil?" fragt er mit ehrlichem Interesse. Rovena kann keinerlei 'Hintergedanken' aus seinem Gesicht able-sen.

Rovena mustert ihn aufmerksam. Dass er sich immer in diesen fremd klingenden Begriffen ausdrücken muss! Hat sie ihn richtig verstanden?

"Und dazu gehören dann auch solche Künste wie die Veränderung an Eurer Robe, nehme ich an," entgegnet sie ihm, darauf bedacht, möglichst ahnungslos zu klingen. Doch was nun? Wie kommt er darauf, dass Ayla die Fähigkeiten eines Schamanen besitzen könn-te, nur weil beide die gleiche Lebensphilosophie tei-len? Ahnt er vielleicht doch etwas? Hatte sie sich durch eine unbedachte Bemerkung verraten?

Sie grübelt still vor sich hin, während sie ihren Blick versunken auf ihr Weinglas gesenkt hält und ange-strengt überlegt, was sie ihm antworten soll, ohne sich zu offenbaren.

"Meine Mutter ist sehr bewandert in der Anwendung von Heilkräutern bei Mensch und Tier," entgegnet sie ihm etwas zögernd. "Und ich habe von ihr gelernt. Man kann dieses Wissen natürlich als ein Geschenk betrachten, aber eigentlich gehört sehr viel Kenntnis über die Pflanzen und ihre Anwendung im speziellen Fall dazu. Ja, das alles zu wissen, kann man schon als Gabe bezeichnen."

Ihre Augen flackern unruhig, doch nur kurz, und ein Lächeln umspielt dabei zaghaft ihren Mund.

"Oh, nun habe ich Euch wohl missverstanden." ent-gegnet er entschuldigend. "Ich dachte, Ihr bezieht

Euch auf die Fähigkeit, z.B. mit den Ahnen zu spre-chen oder ähnliche Dinge zu bewirken."

Aufmerksam betrachtet er seine Gegenüber. Die lär-mende Menge der Tavernenbesucher versucht er men-tal zu verdrängen. Ganz konzentriert ist er.

'Was hat sie tatsächlich gemeint?' fragt er sich. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend, wie er feststellen muss.

"Und nein. Die Fähigkeit, eine Robe wie diese zu schaffen" - er streicht abwesend über den Reversauf-schlag - "gehört sicherlich nicht dazu. Das dürfte über die Kraft eines jeden Dilettanten weit hinausgehen. Eure 'Gabe' und die Eurer Frau Mutter und solche Kenntnisse könnten aber die herbalen Eigenschaften unterstützen und ihre Wirkungen verstärken." führt er seinen Gedanken fort.

"Wenn Ihr wollt, kann ich Euch sagen, ob Ihr eine 'Gabe' der Art besitzt, die ich eigentlich meinte." schlägt er unbefangen vor.

Innerlich erstarrt die junge Frau, während sie seinen Blick sucht. Hin und her gerissen sind Rovenas Ge-fühle zwischen Angst und Ärger. Unbewusst legt sie schützend die flache linke Hand an die Schulter, wäh-rend die rechte mit dem Weinglas auf dem Tisch spielt.

'Das wirst du nicht …' fährt es ihr durch den Sinn, als sie ihm mit festem, doch sanften Ton erwidert: "Macht Euch bitte keine Umstände, Isinha. Es ist für mich nicht wichtig, von Euch zu wissen, ob ich über eine Gabe verfüge. Wichtig ist, dass meine Kenntnisse über die Heilkraft der Kräuter für Mensch und Tier hilf-reich sind. Das genügt mir."

'… und das sollte auch dir genügen.' fügt sie scharf in Gedanken hinzu. Sie ist ganz auf sich und ihren Ge-sprächspartner konzentriert. Gespannt wartet sie auf seine Reaktion.

"Wie Ihr wünscht. Ich wollte mich keinesfalls in Eure Angelegenheiten mischen." erwidert er entschuldi-gend, während er mit dem Kopf eine Verbeugung an-deutet, ohne sie aus den Augen zu lassen. Seine im Lichte der Tischkerze rubinrot leuchtenden Augen blicken ihr wach entgegen, mustern sie interessiert, aber unaufdringlich.

'Warum diese Aufregung?' fragt er sich.

"Und Eure Angelegenheit allein ist es, ob oder wie stark die 'Kraft' in Euch stecken mag." fährt er fort. "Ich finde es nur immer wieder interessant, dass viele der …", er sucht nach einem passenden Wort, "… 'Be-gabten' fast Angst davor zu haben scheinen, wenn sie erfahren, dass sie von Hesinde berührt wurden. Ob-gleich das Wissen und die Fähigkeit, eine solche Gabe auch einzusetzen, eine hohe Gunst der Göttin ist, ob der Plebs das nun erkennt oder nicht."

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'Wenn du wirklich darauf verzichtet hast, wäre das an-ständig von dir,' denkt sie, während sie seinen for-schenden Blick mit leichtem Zweifel erwidert. 'Auch spricht eine gehörige Portion Überheblichkeit aus dei-nen Worten.'

Ihre Miene ist unbewegt, als sie ihm kurz, aber ruhig, antwortet: "Manchmal ist es gut, etwas nicht zu wis-sen, Isinha."

Ihr Misstrauen dem Magier gegenüber will nicht so recht weichen und aufmerksam funkeln ihn ihre sma-ragdgrünen Augen an.

Er trinkt seinen Becher aus und fragt: "Wollt Ihr ge-hen?"

Auch er sieht sich nun nach einer Bedienung um.

"Es ist schnell spät geworden in so liebreizender Ge-sellschaft. Und der Zauber hat mich etliche Kraft ge-kostet."

"Jetzt schmeichelt Ihr mir aber." Rovena beugt leicht den Kopf, eine silbrig-schwarze Haarsträhne fällt weich in ihr Gesicht, die sie bedächtig zurück streicht. Ein verhaltenes Lächeln umspielt ihren Mund.

"Ich werde wohl so langsam gehen müssen, ja." Sie hält nach der Wirtin Ausschau. "Wie schnell doch der Abend verging, Ihr habt wirklich recht. Und ich möchte Euch natürlich auch nicht von Eurer Nachtruhe abhalten."

Rovena trinkt noch eine Schluck Wein, das Glas ist fast zur Neige geleert. Sie sehnt sich nach einem war-men Lager, denn mittlerweile ist sie doch, auch durch den Wein, recht müde geworden.

"Nun gut." erwidert er.

"Aber 'zahlen!' sollte man hier nicht rufen." erklärt El-gar. "Soweit ich das richtig verstanden habe, was ich bisher von den Thorwalern gelernt habe, kündigt man damit eine Saalrunde an." - 'Und dafür reicht das Geld nun wirklich nicht!' zählt er in Gedanken seine Barschaft.

Im Aufstehen sagt er: "Lasst mich die Rechnung über-nehmen."

Dann geht er um den Tisch herum und hilft ihr beim Aufstehen.

"Ich wünsche Euch eine gute Nacht."

Nach kurzem Zögern fügt er hinzu: "Und ich hoffe, auf bald."

Mit einem leichten Nicken verabschiedet er sich und sagt schließlich: "Wenn Ihr mich sucht, findet Ihr mich entweder in der Akademie oder man weiß dort, wo ich zu finden bin, solange ich in der Stadt bleibe."

Rovena erhebt sich und dreht sich zu ihm um. Sie schließt ihr locker über den Schultern hängendes Cape, hängt den Tuchbeutel über und nimmt ihren Stab in die Linke.

"Gute Nacht, Isinha," antwortet sie auf seine Worte, sieht ihn versonnen an. 'Warum muss er nur Magier sein? Es ist schon bedauerlich …'

"Ich danke Euch sehr für den angenehmen Abend."

Sie berührt ihn leicht am Arm.

"Morgen werde ich mich weiter in der Stadt umsehen. Und vielleicht sehen wir uns, ja."

Ihr Blick schweift durch die Wirtschaft. Wo bleibt nur Morissa?

Das Gedränge hat noch nicht nachgelassen. Die Ta-verne ist nach wie vor gut besucht.

"Es wäre mir eine große Freude." antwortet er und lä-chelt. "Ach, ehe ich es vergesse: Vielleicht könnten wir uns mal über Eure Kräuterkenntnisse unterhalten und uns austauschen. Während meiner Studien an der Akademie gehörte die Alchemie zu meinen Hauptstu-dienfächern. Möglicherweise habt Ihr den einen oder anderen Hinweis für mich, da ich mich eigentlich nur in den südlichen und heißen Dschungeln auskenne, die Flora der Nordlande aber für mich unbekannt ist."

Auch Elgar nimmt seinen Stab auf und hängt sich den Rucksack locker über die linke Schulter. Er sieht sich um und weist mit dem Kopf in Richtung der Theke. Dann bahnt er sich seinen Weg dahin, um die Rech-nung zu begleichen.

Bemüht, Zusammenstöße mit den teilweise betrunke-nen Gästen zu vermeiden, folgt Rovena Elgar dicht auf. Hinter seinem Rücken zieht sie abwägend ihre Augenbrauen zusammen. Eigentlich sollte sie ihr Wissen nicht mit einem Magier teilen. Doch wenn er etwas von Alchemie versteht, könnte sie die Gelegen-heit nutzen und etwas dazu lernen, warum also nicht? Er muss ja nicht alles erfahren. Und vielleicht ist er durch seine Vergangenheit doch anders, als die, vor denen sie sich in Acht nehmen muss. Kaum hörbar stößt sie scharf Luft aus. Die Entscheidung ist nicht leicht und ihre Stimme klingt etwas unsicher, als sie ihm, nach einer Weile, antwortet: "Wenn Ihr so inter-essiert daran seid … also gut, ich kann Euch natürlich das eine oder andere Kräutlein zeigen und seine Wir-kung erklären. Und Ihr erzählt mir, was es im Süden für besondere Kräuter gibt und wie sie dort angewandt werden, ja?"

Das überaus neugierige Funkeln in ihren smaragdgrü-nen Augen entgeht ihm, da er ihr immer noch den Rücken zuwendet.

Obgleich ihn diese Reaktion ein wenig überrascht und der Lärmpegel hier - kurz vor der Theke - eine zivili-sierte Unterhaltung wirksam verhindern, dreht er sich halb zu Rovena um und meint über die rechte Schul-ter hinweg: "Sehr gut, lasst uns das aber gleich drau-ßen besprechen."

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Offenbar hat Elgar schon wieder vergessen, dass sie ei-gentlich hier bei Morissa ein Zimmer nehmen wollte und daher wohl die Taverne gar nicht verlassen wird.

Dann dreht er sich zurück und überwindet die letzten Schritt Entfernung zur Theke, immer Gäste nach rechts oder links schiebend. Dort angekommen, schlägt er mit der flachen Hand auf den Tisch und ruft: "Bedienung!"

HesanderGerade hat Elgar auf die Theke gehauen und "Bedie-nung" gerufen, als er einer ganz in grün gewandeten Person gewahr wird, die sich einen Weg durch das Ge-dränge bahnt und anscheinend auf ihn zukommt. Die Person ist etwa fünfeinhalb Fuß groß, hat braune Haare und dunkelbraune Augen. Man würde ihn auf etwas mehr als zwei Dutzend Götterläufe schätzen. Die Gewandung, in die der Fremde gehüllt ist, ist von goldener Borte eingefasst. Auf der Brust, dort wo das Herz sitzt, ist eine stilisierte goldene Schlange einge-stickt. Der Fremde schaut Euch mit durchdringenden Augen an, sein Blick hellt sich auf und er sagt: "He-sinde zum Gruße!"

Aufgrund der unvermittelten Ansprache dreht Elgar sich halb zu dem Neuankömmling herum und ant-wortet: "Möge Sie über Dich wachen."

Er mustert den Fremden kurz und sieht dann nach, ob jemand auf seinen Ruf reagiert hat.

Der Fremde schaut für einen Moment etwas irritiert, und mustert sein Gegenüber. Irgendetwas scheint ihn verunsichert zu haben. Mal schaut er Elgar prüfend an, mal überlegt er wieder fieberhaft - sofern dies in dieser lauten Atmosphäre überhaupt möglich ist. Halb zögernd sagt der Fremde: "Wäre es möglich, mit Euch und …", der Fremde schaut an Elgar vorbei und sieht Rovena an, "… Eurer Begleitung ein paar Worte zu wechseln? Draußen?"

Unmerklich kneift Elgar die Augen etwas zusammen. "Ich kann nur für mich selbst sprechen." erwidert er mit einem Seitenblick auf Rovena.

"Meine 'Begleitung' trifft ihre eigenen Entscheidun-gen. Worum geht es denn, was ist Euer Begehr?" fragt er misstrauisch, nachdem der andere beharrlich auf eine unthorwalsche Anrede besteht.

Da der Fremde anfangs nur an Elgar interessiert zu sein schien, hat Rovena versucht, sich unauffällig hin-ter diesem in der Menge der Gäste an der Theke zu verbergen, wohl ohne Erfolg, wie es scheint. Sie nickt dem Grüngewandeten grüßend zu, mustert ihn kurz mit unverhohlenem Misstrauen und blickt Elgar dann fragend an.

Der Fremde mustert nun Elgar und Rovena lange.

Der Blick des Fremden schweift an dem mittelgroßen Elgar von Kopf bis Fuß und wieder zurück. Trotz der

Kerzenbeleuchtung ist zu erkennen, dass er unge-wöhnlich blass ist. Sein offen getragenes, schulterlan-ges Haar ist weiß, fast farblos. Seine roten Augen blit-zen den Fremden an. Die weite nachtblaue Robe und der fast schwarze Stab mit der im Kopfstück eingelas-senen Kugel in seiner Hand lassen kaum einen Zwei-fel daran, wer und was Elgar Arres ist, ein Adeptus Magicus.

Dann wiederholt er seine Frage, da er den Eindruck hat, dass Rovena sie nicht mitbekommen hat.

"Verzeiht, aber hier ist es doch etwas laut. Dürfte ich Euch", hierbei schaut er Rovena an, "und Euch", hier-bei schaut er Elgar an, "um eine Unterredung nach draußen bitten?"

Mit leicht selbstgefälligem Ton antwortet er: "Nun, selbstverständlich könnt Ihr uns bitten. Die Thorwaler sind stolz darauf, ein freies Volk zu sein und diese Freiheit auch jedem Fremden hier zu belassen."

Er besieht sich seinerseits den Fremden genau, mus-tert das Zeichen auf seiner Brust und taxiert sein Ge-genüber.

Dann fährt er fort: "Ich für meinen Teil bin bereit, Euch anzuhören. Ach ja, da wäre noch die Kleinigkeit unserer Zeche. Wenn Ihr so liebenswürdig wäret?"

Der gerade erscheinenden Bedienung zugewandt meint Elgar: "Unser junger Freund hier," dabei klopft er dem Fremden freundschaftlich auf die Schulter, "übernimmt freundlicherweise unsere Rechnung." und wendet sich dem Ausgang zu.

Der Fremde schaut in Richtung des Wirts, dann in Richtung Elgars und sagt kurz und knapp: "Wohl an, hättet Ihr mit einem Diener des Phex gesprochen, so wäre dies ein vortrefflicher Schachzug gewesen."

Dann wendet er sich dem Wirt zu und sagt: "Doch die Diener der Hesinde sind der Göttin Diener und nicht die Lakaien derer, die Madas Gabe besitzen."

Schulterzuckend holt Elgar seinen Beutel hervor und zahlt den Wein und das leichte Mahl mit zwei Silber-stücken: "Danke." meint er im Gehen.

Und mit diesen Worten folgt er Elgar.

Rovena steht an der Theke und blickt während des kurzen Disputs zwischen dem Fremden und Elgar ungläubig von einem zum anderen.

'Was bitte soll das denn?' fragt sich die nicht übermä-ßig große, zierliche junge Frau verwundert und schaut sich kurz und unauffällig mit aufblitzenden smaragd-grünen Augen um. Ihr blauschwarzes Haar mit den fünf silbernen Strähnen fällt ihr lang und weich über den Rücken, das geschlossene, bräunlich grüne Kapu-zen-Cape lässt nur wenig von ihrer übrigen Kleidung erkennen. In der linken Hand hat sie den ebenholz-schwarzen, schlichten Stab fest im Griff.

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"Ich suche noch nach einem Schlafplatz für die Nacht. Wenn Ihr Frau Morissa bitte Bescheid geben würdet, wir sind draußen zu finden …," murmelt sie der Bedienung noch zu und folgt dann, sich durch die umherstehenden Gäste schiebend, den beiden vor die Tür. Sie wirkt angespannt und beunruhigt. Warum, fragt sie sich, will dieser Fremde denn bloß gerade sie beide jetzt sprechen?

"Erst zahlen, dann nach draußen gehen," ist die Ant-wort des vierschrötigen Tresenknechts.

Rovena hat die Worte der Bedienung gerade noch ver-nommen, während sie sich schon der Tür zugewandt hat. Sie hält sofort inne, dreht sich herum und nestelt an ihrer Gürteltasche, in der sich ihr Geld befindet.

"Oh, entschuldigt, ich dachte …"

Verlegen zieht sie die Geldbörse hervor und schaut den Mann hinter dem Tresen fragend an.

"Was bin ich noch schuldig?"

"2 Silbertaler", kommt die prompte Antwort.

"Kommt Ihr, meine Liebe?" fragt er Rovena im Vorbei-gehen und bahnt ihr gegebenenfalls den Weg durch die Besucher der Taverne.

Eilig und kommentarlos zählt Rovena das Geld ab und legt die verlangten zwei Taler auf den Tresen. In Gedanken bei dem seltsamen Fremden verabschiedet sie sich, leise vor sich hin murmelnd, mit einem Kopf-nicken und arbeitet sich wieder zur Tür vor. In ihr gärt es, sie ist gleichermaßen beunruhigt wegen des Fremden und verärgert über Elgars Verhalten, als sie aus dem Gasthaus ins Freie tritt.

Als die drei vor der Tür angekommen sind, führt El-gar sie etwas weg von der Tür, hängt sich den Stab in die linke Armbeuge und verschränkt die Arme vor der Brust. Mit neutralem Blick - so man davon bei den rot blitzenden Augen sprechen kann - fixiert er den Frem-den und fragt leicht gereizt: "Also schön, hier sind wir. Wer seid Ihr und was wollt Ihr?"

Der Fremde schaut die beiden nacheinander an und beginnt zu sprechen. Euch fällt auf, dass er mittelrei-chisches Garethi spricht und kein eindeutiger Dialekt zu erkennen ist. Der Fremde scheint seine Worte fer-ner sehr genau zu wählen.

"Verzeiht, wenn ich Euch einfach so angesprochen habe, Ihr wollt nun sicherlich den Grund dafür wis-sen."

Er hält kurz inne und mustert Elgar und Rovena nochmals.

"Nun, gestattet, dass ich mich vorstelle. Ich bin He-sander Dracomir vom heiligen Orden der Draconiter und Diener der Mutter der Weisheit. Ich habe lange nach jemandem wie Euch gesucht - und nun habe ich Euch - den Zwölfen sei Dank - gefunden."

"So so, gesucht und gefunden." antwortet Elgar dar-aufhin schlicht. Er mustert erneut das Symbol auf der Brust seines Gegenüber.

'Von euch gelesen habe ich wohl, Draconiter. Aber in welchem Zusammenhang?' grübelt er still.

Dann erwidert er: "Nennt mich einstweilen Elgar Ar-res. Auf die übliche Anredeform 'Wohlgelehrter Herr' mögt Ihr gern verzichten, das klingt so, so alt." lockert er die Spannung etwas.

"Doch nun sprecht geschwind. Was wollt Ihr?" erin-nert er an seine ursprüngliche Frage. "Denn wenn es etwas ist, das nicht für jedermanns Ohren bestimmt ist, wäre das Innere einer vollen Taverne besser geeig-net. Da kann niemand so ohne weiteres lauschen!"

Innerlich stöhnt Rovena auf, als sich der Fremde als Diener der Hesinde und Draconiter vorstellt. Er könnte sich gleichermaßen als übermäßig wissbegierig herausstellen. Aber mit seiner Suche kann er sie doch nicht gemeint haben, schließlich trägt sie ihre Her-kunft ja nicht wie der Magier zur Schau. Schweigend und mit misstrauisch gesenktem Kopf mustert sie He-sander. Ja, was will er von ihnen? Das interessiert sie jetzt auch brennend …

Hesander schaut beide erneut prüfend an.

"Ich hatte einen Traum, eine Vision. In dieser Vision erschien mir die Erzheilige Canyzeth dar selbst und wies mich an, nach einem Mann und einer Frau zu suchen. Ich sah die Gestalten nur schemenhaft und ich erhielt die Eingabe, dass die beiden in Thorwal zu finden seien. Ihr beide entsprecht diesen Gestalten aus meiner Vision recht genau."

"Ist Euch das Feuer zu Kopf gestiegen, Mann? Wie können wir 'Gestalten' aus Eurer Vision entsprechen, die Ihr nicht mal annähernd genau, sondern nur sche-menhaft gesehen habt?"

Elgar schüttelt missbilligend den Kopf.

"Nein, lasst Euch etwas Besseres einfallen!"

Offenbar war er zu lange allein unter Thorwalern und hat deren 'Höflichkeit' angenommen. Ein kurzer Sei-tenblick zu Rovena offenbart dieser, dass Elgars untrügliches Misstrauen geweckt ist.

Ein strenger Blick zu Hesander und er fährt fort: "Be-fragt Eure Erzheilige erneut und bittet um eine klare Vision."

Dann scheint ihm noch etwas einzufallen: "Weshalb genau sucht Ihr die beiden 'Gestalten' aus Eurem Traum?"

Unbeeindruckt von Elgars 'Begeisterung' antwortet Hesander: "Wie Ihr sicherlich selbst wisst, befragt man die Erzheilige Canyzeth nicht wie eine Marktschreie-rin nach dem Preis für ein halbes Dutzend Eier. He-sinde und Canyzeth haben mir den Weg nach Thor-wal gewiesen und ich spüre, dass ich in Euch die Rich-

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tigen gefunden habe. Und ich nehme nicht an, dass Ihr die Urteilskraft der Mutter Hesinde dar selbst an-zweifeln wollt.

Ich sollte Euch suchen, weil Ihr den Beistand der Mutter der Weisheit und ihrer elf göttlichen Geschwis-ter benötigt - wieso sie einen unbedeutenden Diener wie mich dazu auserwählte, weiß nur die Mutter der Weisheit alleine. Und es steht weder Euch, noch mir noch irgendeinem anderen sterblichen Wesen zu dies zu hinterfragen. Wenn Hesinde befiehlt, so gehorche ich."

Dabei schaut Hesander Elgar tief in die Augen und hält seinem strengen Blick mühelos Stand. Das Feuer des Glaubens und der Überzeugung dessen, was er ge-rade gesagt hat, ist in seinen Augen deutlich zu erken-nen.

'Was benötigen wir …?' Rovena kann ein leises Schnauben nur schwer unterdrücken.

"Oh Mann," entfährt es ihr kaum vernehmbar, sie starrt Hesander ungläubig an. "Herr …" sie stockt kurz, "… Dracomir … Ihr müsst Euch irren, denn unsere Wege werden sich in kürzester Zeit wieder trennen."

Ihre smaragdgrünen Augen funkeln, es erscheint ihr mehr als unwahrscheinlicher, dass eine andere Göttin als Sumus Tochter ihr beistehen sollte.

Immer noch unbeeindruckt schaut Hesander Rovena in die Augen.

"Die Erzheilige irrt sich nicht", sagt Hesander in ei-nem sanften, aber bestimmten Tonfall, der keinen Wi-derspruch zulässt. "Unsere Wege mögen sich trennen, doch so wie ich Euch diesmal gefunden habe, so wird die Mutter Hesinde ihrem bescheidenen Diener er-neut den Weg zu Euch weisen."

Er schaut erneut in Rovenas smaragdgrüne Augen.

"Es erscheint mir fast, als fürchtetet Ihr Euch vor ir-gendetwas."

Furcht? Rovenas Augen verengen sich und ein ironi-scher Zug huscht um ihre Mundwinkel.

'Sei froh, dass du ein Diener Hesindes bist,' denkt sie spöttisch und bemüht sich, ihre Gedanken nicht in ih-rer Miene widerspiegeln zu lassen.

"Nein, Herr Dracomir, auch hier irrt Ihr. Ich werde mich nur bald wieder auf den Weg in meine Heimat machen müssen."

Den kurzen Wortwechsel beobachtet Elgar aufmerk-sam, gibt er ihm doch die Möglichkeit, Hesander zu mustern.

'Hm, ein Eiferer. Das kann ja heiter werden!' überlegt er.

"Nun, Ihr mögt Recht haben, was Eure Erzheilige an-geht. Auch ich verehre die Wissende Mutter, nur eben auf meine Weise. Ich glaube aber, dass Ihr soeben

falsch verstanden habt. Wir" damit macht er eine aus-ladende Geste, die alle drei umfasst, "sind auf keinem gemeinsamen Weg. Und unser" - dabei deutet er erst auf Rovena, dann auf sich - "Weg, wird nicht der glei-che bleiben."

Als er die letzten Worte gesprochen hat, stutzt er kurz. Dann fragt er Rovena: "Unsere Wege trennen sich auch?" er kann es kaum glauben.

"Aber wollten wir nicht …" mit einem kurzen Seiten-blick auf Hesander verstummt er.

"Ja." sagt er dann resignierend.

Dann strafft er sich, zieht leicht die Schultern zurück und fragt Hesander erneut: "Aber noch immer habt Ihr nicht offenbart, was Ihr wollt, oder vielmehr, was Euch aufgetragen wurde, von uns zu wollen."

Hesander schaut gen Himmel, dann schaut er wieder Elgar an.

"Ich … ich weiß es nicht. Aber die Erzheilige gab mir zu verstehen, dass ich Euch auf irgendeine Weise bei-stehen soll. Ich weiß nicht warum oder wofür oder wogegen. Das ließ sie offen. Möglicherweise liegt dies noch im Ermessen der Zwölfe."

Dann lässt er Elgars zuvorige Worte Revue passieren.

"Ihr … ihr sagtet, dass sich Eure Wege trennen wer-den? Aber, das bedeutet doch dann …", er stockt und überlegt.

Traurig nickt Elgar: "Genau."

Mit einem wehmütigen Seitenblick zu Rovena fährt er fort: "Ich werde mich wieder in die alleinige Gesell-schaft raubeiniger, dem Trunke ergebener, grölender Piraten begeben müssen - oder eben allein wandern."

Nach kurzer Überlegung hellen sich seine Züge auf: "Es sei denn, Ihr könnt Euch, dem Ruf der Göttin He-sinde folgend, vorstellen, mit mir gemeinsam zu rei-sen. Denn schließlich hatten wir eigentlich noch etwas vor, oder?" fragt er hoffnungsvoll Rovena.

Dem Ruf Hesindes folgen? Innerlich muss Rovena ki-chern. Sie schaut ihn prüfend an. Seine Niederge-schlagenheit scheint echt zu sein.

'Wärst du doch nur nicht so neugierig, Magier …'

Sie könnte sich schon vorstellen, ein Weilchen mit ihm zusammen zu bleiben, ein Stück des Weges nach Norden gemeinsam mit ihm zu reisen. Sie zieht die Stirn in Falten, als sie zögernd antwortet: "Wenn wir den gleichen Weg hätten … was Ihr von mir wissen wollt, könnte ich Euch auch hier in der Gegend zei-gen."

Rovena schaut Elgar einen Moment erstaunt an, der Ärger über sein leeres Versprechen rumort noch immer in ihr. Hat er wirklich gedacht, sie beide könnten eine Weile zusammen bleiben? Wie kommt er nur darauf? Doch da fällt ihr ein, dass sie ihm auf seine Bitte hin ja ein paar Kräuter der Nordlande zeigen und ihre

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Wirkung erklären wollte. Scharf mustert sie den Ma-gier, zieht eine Augenbraue hoch und beugt sich zu ihm hin, um ihm leise zuzuflüstern: "Ja, so wird wohl sein. Aber ich pflege meine Zusagen in der Regel auch zu halten …"

Elgar ist völlig perplex, und das sieht man ihm auch an. "Was …" fängt er an und setzt wieder ab. Verzwei-felt bemüht er sich, einen Erinnerungsfetzen hervor-zukramen. Nichts.

"Was …" beginnt er noch mal und flüstert ihr dann ebenso zu: "Könnten wir das bitte gleich unter 4 Au-gen klären, ja?"

Offenbar hat er keine Ahnung, was sie meint.

Rovenas Augen blitzen kurz auf, doch sie nickt ihm zustimmend zu.

Hesander schaut sich die Szene schweigend an, dann sagt er: "Bevor Ihr dies tut, lasst mich Euch noch et-was über meine Vision berichten. In meiner Vision war noch etwas, aber ich kann es nicht eindeutig be-stimmen. Ich sah durch die Augen eines Vogels das weite Land, und es war hell erleuchtet von der Weis-heit der allwissenden Mutter. Ich konnte Felder, Wie-sen und Städte sehen. Je weiter der Vogel gen Firun flog, desto schwächer wurde das Licht, bis der Vogel vor einem Wolken verhangenen Land abdrehte. Ich konnte nicht erkennen, was und wo es war. Doch es war noch nicht von der Weisheit der Mutter erleuch-tet."

Unwillkürlich entfährt es ihm im Flüsterton: "Uh oh, das ist gar nicht gut!"

Dann fragt er sich und Hesander: "Welches Land mag nur von der Weisen Mutter nicht berührt sein? Was liegt denn nördlich von … ja von wo überhaupt?"

Diese Fragen beschäftigen Elgar ungemein, so dass er seine Umwelt kaum noch wahrnimmt.

Rovena hört dem Draconiter erstaunt und aufmerk-sam zu.

"Gen Firun?" Sie schnaubt heftig. "Dort liegt, von hier aus betrachtet, das Land der Schwarzpelze … doch was sollen wir damit zu tun haben?" fragt sie Hesan-der, verwundert den Kopf schüttelnd.

"Also bitte, wie sprecht Ihr denn über meinen Stamm?!" Elgar ist wütend. "Außerdem liegt das Land meiner Ahnen nicht gen Firun, sondern in genau ent-gegen gesetzter Richtung!" stellt er fest. "Außerdem haben sie keine 'Pelze', sondern ihre Haut ist genau wie Eure und meine, nur dunkel gefärbt! Auch ist der Dschungel über die Maßen göttlich gesegnet. Dort gibt es auf einem Quadratfuß mehr Leben, als hier in der ganzen Stadt! Tsa und Peraine sind uns immer wohl gesonnen gewesen."

"Verzeiht, aber die Dame hat Recht. Gen Firun liegt das Land der Schwarzpelze - sie heißen so, weil sie so

aussehen - sie haben einen schwarzen Pelz. Das Land, das Ihr meint, liegt gen Praios und ist in der Tat von Tsa und Peraine vielfach gesegnet. Aber da war noch etwas anderes in meiner Vision, etwas, das ich mir nicht erklären kann …"

"Oh!" macht Elgar. "Ich unterlag wohl einem schwe-ren Irrtum und bezog dies zu Unrecht auf meine Ver-wandten und Ahnen. Verzeiht!" wendet er sich an Ro-vena.

Nachdem sie auf Elgars Wutausbruch ein Stück zu-rückgewichen ist, nimmt Rovena nun mit etwas säuer-licher Miene dessen Entschuldigung an.

"Ihr könnt es ja nicht wissen … und ich habe nicht daran gedacht," murmelt sie vor sich hin.

Erklärend fügt er hinzu: "So so, Schwarzpelze. Diesen Namen habe ich zuvor noch nicht gehört. Was sind sie, diese Schwarzpelze? Und was ist da noch, das Ihr nicht versteht?" fragt er.

"Nun, Adeptus Arres, die Schwarzpelze werden auch Orks genannt. Sie beleben die nördlichen Steppen in Clans und sind für gewöhnlich den Menschen gegen-über nicht wirklich freundlich gesonnen. Es wurden schon größere Kriege gegen sie geführt und sie waren schon mehr als einmal eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit."

Dann erinnert sich Hesander wieder an die Frage El-gars. Er schaut Rovena an und sieht für einen Mo-ment wieder irritiert aus.

"Nein, vergesst es. Das ist nicht mehr wichtig …", meint Hesander mit deutlich irritierter Stimme.

"Ob ich mich geirrt habe?" immer noch sind Hesan-ders Blicke auf Rovena gerichtet.

Die junge Frau erwidert den Blick des Draconiters, ihre Augenbrauen ziehen sich fragend in ihrem blas-sen Gesicht zusammen, sie schaut an sich herunter. Der lange, geschlitzte, rostbraune Rock lugt unter dem Kapuzencape hervor, die Lederstiefel sind staubig von den Straßen, dennoch sieht ihre Kleidung schlicht, aber ordentlich aus. Wie man es von einer wandern-den Kräuterkundigen nicht anders erwarten sollte. Leicht stützt sie sich auf ihren Stab.

"Stimmt etwas nicht? Was habt Ihr?"

Misstrauisch mustert sie den Geweihten.

"Ich sagte Euch doch, dass Ihr Euch irrt. Oder hattet Ihr etwa wieder eine Vision?"

Ein Spur von Ironie schwingt kaum vernehmbar in ihrer klaren, hellen Stimme mit.

Hesander schaut Rovena immer noch an.

"Nein, edle Dame, ich hatte keine weitere Vision."

Wieder denkt er nach.

'Edle Dame …' Rovena schmunzelt zufrieden und ge-denkt nicht, Hesander zu korrigieren.

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Dann schaut er hoch zum Himmel. "Oh allwissende Mutter, jetzt hast Du mich durch halb Aventurien rei-sen lassen, damit ich Deinem Willen gehorche. Doch wie soll ich Deinem Willen gehorchen, wenn ich nicht mit Sicherheit weiß, ob sie es sind oder nicht?"

Während des kurzen Wortwechsels starrt Elgar vor sich hin und grübelt. Wieder einmal an diesem Tag.

Dann murmelt er: "Orks, aha. Ja, von denen habe ich gelesen. Aber 'Schwarzpelze' kam in der 'Theoretica orcis' nicht vor."

Lauter fragt er: "Seid Ihr sicher? … Ja, ja, natürlich seid Ihr sicher."

Er sieht die beiden an: "Nach der mir bekannten ein-schlägigen Literatur sollen die Orks eine eigene Kul-tur haben. So alt wie nur wenige auf Dere und sogar fast so alt wie die meiner Ahnen." führt er im Unter-richtston aus.

Dann unterbricht er sich: "Aber das gehört im Mo-ment nicht hierher. Aber sollte sich mir die Gelegen-heit bieten, würde ich gern die diesbezügliche Theorie bestätigen - oder auch widerlegen. Je nach dem."

Die junge Frau wird bei Elgars letzten Worten blass, was jedoch durch ihre eh blasse Gesichtsfarbe nicht weiter auffällt.

"Bei uns in Weiden erzählt man sich keine erfreuli-chen Geschichten über die Schwarzpelze." erklingt es leise aus ihrem Mund. "Sie sollen sehr grausam sein. Aber selbst bin ich ihnen noch nicht begegnet."

"Da stimme ich Euch zu. Sie werden für gewöhnlich als grausam bezeichnet. Aber darf ich Euch noch et-was anderes fragen, Edle Dame, Adeptus? Was führte Euch hierher nach Thorwal?"

"Sicher, fragen dürft Ihr." antwortet Elgar. "Es ist zwar unhöflich, die Dame nicht zuvorderst sprechen zu las-sen, aber ich glaube, in diesem Fall wird sie es mir nicht übel nehmen." fährt er mit einem Seitenblick zu Rovena fort und zieht dabei fragend die Augenbrauen in die Höhe.

Mit einem leichten Kopfnicken gibt sie ihm zu verste-hen, dass sie nichts dagegen einzuwenden hat. Das Spielchen mit der Dame fängt an, ihr Spaß zu ma-chen.

Dann fasst er kurz zusammen: "Also, für Euch die Kurzversion: Aus verschiedenen Gründen hielt ich mich vor einiger Zeit in Al'Anfa - Perle des Südens oder Sündenpfuhl Deres, je nach dem, wen Ihr fragt - auf und ein Grüppchen der hier ansässigen Seefahrer kam gerade vorbei. Einer Verwechslung mit den dorti-gen Sklaventreibern konnte ich entgehen und so führ-te eins zum anderen und am Ende schloss ich mich ihnen auf ihrer Fahrt in ihre heimische Gewässer an. Und nun bin ich hier und vor meiner Rückkehr dort-hin sollte wohl einige Zeit vergehen." antwortet er auf

die Frage. "Viel mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen."

Beim letzten Satz zwinkert er Rovena unmerklich zu und nickt anschließend knapp, damit sie weiß, dass sie nun ihren Teil der Geschichte erzählen mag - oder auch nicht. Er selbst wird über das von ihr Gehörte nichts preisgeben.

Während Elgar redet, fällt Rovena ein, dass sie sich bei Hesander ja bisher noch nicht einmal vorgestellt ha-ben. Als der Magier ihr das Zeichen zum Weiterreden gibt, schaut sie den Geweihten mit nach wie vor miss-trauischem Blick an.

"Erst einmal möchte ich mich vorstellen, mein Name ist Rovena von Blautann aus dem Weidener Land …" hier macht sie eine kurze Pause und wirft Elgar einen bezeichnenden Blick zu, bevor sie weiterspricht, denn er soll sich besser selber vorstellen, wenn er denn möchte. "… und der Grund meines Aufenthaltes hier in Thorwal ist schnell erzählt. Ich kam hierher, um eine Verwandte zu besuchen und bei ihr mein Wissen über die Kräuterkunde zu mehren."

Prüfend bleibt ihr Blick auf Hesander gerichtet. Meint er wirklich immer noch, sie wäre diejenige, zu der ihn die Göttin Hesinde geschickt haben mag und die ihm in seiner Vision erschienen ist?

Hesander hört aufmerksam zu und mustert Rovena erneut. Neugier und Enttäuschung mischen sich in seinem Blick - so könnte man vermuten.

"Fürwahr ein Hesinde- und Perainegefälliges Ansin-nen, meine Dame."

Dann erhellt sich sein Blick.

"Nun, dann wäre es denkbar, dass sowohl Ihr als auch der Adeptus einen gemeinsamen Weg habt. Und dass Ihr womöglich den Beistand der allwissenden Mutter und ihres bescheidenen Dieners benötigt."

Die letzten Worte lassen Hesander wieder sicherer klingen.

Stumm nickt Elgar.

"Möglich ist alles." lautet seine allgemeine Antwort.

"Ich für meinen Teil würde gern dieses Land der Orks erkunden, Neues entdecken und wie gesagt, die Theo-retica orcis überprüfen."

Nach einem prüfenden Blick in alle Richtungen meint er aber: "Mir scheint diese Seitengasse aber kaum der rechte Ort für derartige Planungen zu sein. Außerdem ist es spät. Wollen wir das nicht lieber morgen bespre-chen?" fragt er.

Hesanders Züge erhellen sich erneut sichtlich. (Auf-merksamen Beobachtern würde auffallen, dass über seinem Kopf eine imaginäre Öllampe angegangen ist).

"Nun, eine empirische Überprüfung der Theoretica orcis - welch hesindegefälliges Unternehmen! Aber Ihr habt Recht, es wäre töricht, dies in einer Seitengasse

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zu besprechen. Wie sieht es mit Euch aus, Frau Rove-na?"

Rovenas Blick wandert von Elgar zu Hesander und bleibt dann an dem Magier hängen.

'Das Land der Schwarzpelze erkunden zu wollen, welch eine verrückte Idee!' geht es ihr durch den Kopf, aber gleichzeitig meldet sich auch ihre Neugierde. Würde Elgar tatsächlich in dies unbekannte Gebiet ziehen wollen, trotz der schrecklichen Geschichten, die man sich über seine grausamen Bewohner, die Orks, erzählt? Aber er scheint ja nicht viel über die Schwarzpelze zu wissen. Sie schnaubt leise und wiegt nachdenklich ihren Kopf, als sie Hesander antwortet: "Ich habe vor allem das dringende Problem, noch eine Unterkunft für die Nacht finden zu müssen. Von mir aus können wir uns aber morgen nochmals treffen."

Sie ist wirklich neugierig zu erfahren, ob Elgar sich tatsächlich auf dieses Unterfangen einlässt.

Hesander schaut Rovena unbekümmert an und meint: "Nun, eine kräuterkundige Dame, wie Ihr es seid, würde sicherlich eine Nacht im Schoße der Mut-ter Peraine verbringen wollen. Dort habe ich zumin-dest mein Quartier, da es bislang noch kein Haus der allwissenden Mutter in dieser Stadt gibt. Wenn Ihr mögt könnte ich möglicherweise eine Übernachtung für Euch arrangieren."

'Ja, warum eigentlich nicht? Da es schon spät ist, wer-den mir bestimmt keine dummen Fragen mehr ge-stellt. Also warum nicht eine Nacht im Peraine-Tem-pel verbringen? Das ist allemal besser als uner-wünscht in einer Scheune …'

Rovena überlegt einen kurzen Moment und erwidert Hesanders Blick mit einem Lächeln.

"Wenn Euch das möglich wäre, würde ich Euer Ange-bot natürlich liebend gern annehmen. Es ist schon dunkel und so recht weiß ich jetzt nicht, wo ich mich hinwenden soll. Bei Morissa jedenfalls werde ich nicht mehr nach einem Schlafplatz fragen …"

Ärgerlich zieht sie die Augenbrauen zusammen. Die Zeche, die sie zu zahlen hatte, war schon happig. Sie wirft einen kurzen Blick zu Elgar hinüber.

Bevor Elgar antworten kann, sagt Hesander mit leicht ironischem aber keinesfalls abschätzigem Unterton: "Nun, edle Dame, ich denke, dass der Adeptus doch einige Übung im 'Arrangieren' kostengünstiger Über-nachtungsmöglichkeiten hat. Nicht wahr, Herr Elgar?"

Den Blick Rovenas erwidert er kurz und fast meint sie, ein angedeutetes Nicken gesehen zu haben. Dann wendet Elgar sich Hesander zu. Sein Ton ist dem sei-nes Gegenübers angepasst: "In der Tat."

Er scheint kurz zu überlegen, wie der sich ausdrücken soll.

"Fürwahr habe ich bereits eine Schlafstatt in der Aka-demie gefunden. Man war so freundlich, mir für die Nacht eine Novizenzelle anzubieten. Sie ist nicht lu-xuriös, aber bietet alles was man braucht: Bett, Stuhl, Tisch, eine Kerze und eine Tür, die man hinter sich schließen kann."

Bei seinen letzten Worten lächelt er und im Stillen fügt er hinzu: 'Und Du nächtigst in einem Schlafsaal, vielleicht mit Aussätzigen, die der Göttin Gnade su-chen.'

"Vortrefflich", kommentiert Hesander Elgars Ausfüh-rungen.

"Dann würde ich vorschlagen, dass Ihr, Herr Elgar, morgen um die Mittagsstunde in den Perainetempel kommt, damit wir unsere Unterredung fortsetzen kön-nen."

Dann schaut er Rovena an.

"Nun, Frau Rovena, wenn Ihr wünscht, begleite ich Euch zum Haus der Peraine."

"So sei es."

Elgar lockert seine Haltung etwas und verbeugt sich leicht aus der Hüfte gegenüber Rovena: "Ihr kommt zurecht, Rovena? Dann wünsche ich Euch eine gute Nacht." verabschiedet er sich von ihr. Für Hesander hat er nur ein knappes Nicken übrig. An beide fügt er hinzu: "Ich werde zur angegebenen Stunde dort sein."

Die junge Frau nickt den Magier mit einem besänfti-genden Lächeln zu, und schluckt.

"Ja, natürlich. Euch auch eine angenehme Nachtruhe, Isinha," murmelt sie leise und hat ihren Ärger über ihn schon fast wieder vergessen. "Wir sehen uns dann morgen …"

Rovena spürt die angespannte Stimmung zwischen den beiden Männern deutlich. Das kann ja lustig wer-den, sollten sie tatsächlich gemeinsam ins Land der Schwarzpelze ziehen …

Dann ergreift er den Stab mit der Linken und stiefelt mit wehender Robe in Richtung der Hellsicht-Akade-mie davon, ohne sich noch einmal nach den beiden umzusehen. Mit einem innerlichen Kopfschütteln beim Gedanken an Hesander murmelt er irgendwann unvernehmlich: "Priester!"

Dann verdrängt er das und seine Gedanken kreisen bis zum Erreichen der Akademie um eine zierliche Frau mit dunklen Haaren und 5 silbernen Strähnen …

Rovena schaut dem Magier nachdenklich nach, bevor sie sich Hesander zuwendet.

"Von mir aus können wir nun zum Haus der Peraine gehen. Ist es sehr weit?" fragt sie mit möglichst unbe-fangenem Ton.

Morgen früh wird sie zusehen, dass sie zeitig den Tempel verlässt und sich ebenfalls erst zur Mittags-

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stunde dort wieder einfindet. Sie darf nicht vergessen, weswegen sie eigentlich hier ist und sollte sich schon noch etwas umhören …

'Wenn sie wüsste, dass Übernachtungen im Peraine-Tempel für gewöhnlich mit göttergefälligen Diensten des Gastes einhergehen. Nun, sie wird ihre Kenntnis-se gewiss einbringen können', denkt sich Hesander, als er mit der rechten Hand eine einladende Geste macht und Rovena damit zu verstehen gibt, ihm zu folgen.

"Der Tempel ist glücklicherweise nicht am anderen Ende der Stadt, wenn Ihr mir dann folgen würdet, edle Dame?"

Rovena nickt nur und schickt sich an, dem Geweihten zu folgen. Beinahe lautlos geht sie ein Stück hinter ihm, ihren Gedanken nachhängend beobachtet sie die Gestalt vor ihr, ihre grünen Augen funkeln unter der über ihr Haar gezogenen Kapuze in der Dunkelheit.

"Woher, sagtet Ihr, kommt Ihr, werter Herr?" fragt sie ihn unvermittelt.

Hesander hört die Stimme hinter sich, schaut sich um und verlangsamt sein Tempo, so dass Rovena zu ihm aufschließen kann.

"Ich komme ursprünglich aus Beilunk. Dort bin ich geboren."

Dann setzt er den Weg zum Peraine-Tempel fort. Soll-te Rovena wieder zurückfallen und sichtlich hinter ihm gehen, wird er sagen: "Aber, edle Dame, ich bitte Euch, Ihr seid doch nicht meine Dienstmagd."

Mit diesen Worten lässt er sie wieder aufschließen.

Verborgen unter ihrer Kapuze grinst Rovena bei sei-nen letzten Worten.

Sie antwortet ihm jedoch in entschuldigendem Ton-fall: "Verzeiht, Herr Dracomir, ich war in Gedanken."

An seiner Seite gehend schaut sie kurz zu ihm auf. Der Name Beilunk ist ihr in anderem Zusammen-hang aus Erzählungen unangenehm in Erinnerung.

"Wenn Ihr sagt, Ihr kommt ursprünglich aus Beilunk, dann lebtet Ihr doch in einer anderen Stadt, bevor Ihr Eurer Vision gefolgt seid, oder?"

Neugierig versucht die junge Frau, etwas mehr über den Fremden zu erfahren. Ganz wohl ist ihr nicht in seiner Gesellschaft, und dieses Gefühl verstärkt sich, je näher sie dem Peraine-Tempel kommen. Noch kann sie ihrer eigenen Wege gehen …

"Nun, sagen wir so, Frau Rovena, ich wurde in Bei-lunk geboren - dort leben auch heute noch meine El-tern, die dort genau wie ich ihr Leben dem Dienste der Zwölfe verschrieben haben. Ich selbst habe eine längere Zeit in Gareth und im Hort der Draconiter verbracht. Dort nahm mich die allwissende Mutter in den Kreis ihrer Diener auf - und dort hatte ich vor", Hesander überlegt kurz, "etwas mehr als zwei Mon-den meine Vision."

Gareth! Der Name vermittelt Rovena einen bitteren Geschmack und sie verzieht im Schatten ihrer Kapuze bei dem Gedanken an den Großinquisitor ihren schö-nen Mund. Doch Gareth ist weit und ihr Auftrag ein anderer.

Ihre Stimme klingt ruhig als sie Hesander antwortet: "Von dort kamt Ihr also."

Weiter geht sie nicht auf seine Herkunft ein. Die jun-ge Frau schaut wieder zu ihm hin.

"Ihr habt lange gesucht, bis Ihr sicher wart, die Richti-gen gefunden zu haben. Wie lange seid Ihr schon hier in Thorwal?"

Vielleicht weiß er ja etwas …

Hesander bleibt plötzlich stehen und schaut Rovena nochmals sehr genau an.

Dann sagt er: "Nun, um Praios Gebot zu folgen, muss ich gestehen, dass es mehr ein Gefühl war. Niemand sagte mir 'sucht einen Elgar und eine Rovena'. Ich habe Euch von weitem gesehen in den Straßen Thor-wals und ich spürte, dass Ihr es sein müsst."

Praios? Prüfend sucht Rovenas Blick in Hesanders dunkelbraunen Augen.

Dann lacht sie leise. "Nein, ich habe nicht angenom-men, dass Euch unsere Namen bekannt waren. Ihr habt uns dann wohl auf dem Markt beobachtet, ja?" fragt sie nach und wartet, dass er weiter geht.

Wieso sagt er ihr nicht, wie lange er schon hier ist? Daraus muss man doch kein Geheimnis machen … oder doch? Ihre Hand schließt sich fester um ihren Stab.

"Ganz Recht. Ich habe Euch gesehen und ich spürte, dass ich die Richtigen gefunden habe."

Hesander bemerkt Rovenas Unruhe.

"Sagt, Frau Rovena, Ihr traut mir nicht ganz, nicht wahr?"

Mit sanftem Blick schaut er in ihre Augen.

"Ich kenne Euch kaum," erwidert Rovena auswei-chend und senkt den Blick; doch nur, um Hesander gleich darauf wieder aufmerksam zu mustern. Im Mo-ment sieht es ja nicht so aus, als ob sie etwas von dem Geweihten zu befürchten hätte.

'Sei nicht so nervös,' schilt sie ihre innere Stimme.

"Ihr taucht plötzlich auf, redet von einer Vision …" Sie unterbricht sich und ergänzt in Gedanken '… und ich weiß immer noch nicht, was das für mich zu be-deuten hat …'

"Ist es da verwunderlich, dass ich ein wenig misstrau-isch bin?"

Beiläufig streicht sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wirkt ein wenig müde.

"Nun, da habt Ihr natürlich Recht, Frau Rovena. Doch lasst mich Euch versichern, dass Euch durch mich

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keine Gefahr droht. Ich bin ein Diener der allwissen-den Mutter", und mit dem letzten Satz legt er vorsich-tig eine Hand auf ihre Schulter - aber nicht wie zwi-schen Mann und Frau sondern wie zwischen Hirte und Schäfchen.

Rovena erschaudert leicht bei der Berührung durch seine Hand auf ihrer Schulter. Behutsam entwindet sie sich Hesanders Griff, schaut ernst zu ihm hoch.

'Oh Mutter, was rätst Du deiner Tochter? Kann ich ihm vertrauen?'

Im schwachen Laternenlicht des Hauses in der Gasse, vor dem sie stehen geblieben sind, schimmern ihre smaragdgrünen Augen geheimnisvoll. Dann nickt sie ihm zu und ein zögerliches Lächeln huscht über ihr Gesicht.

'Er hat einen Auftrag, und er nimmt ihn ernst …'

"Ich habe Euer Wort?" Mehr als Feststellung denn als Frage verlassen die Worte leise ihren Mund. "Dann lasst uns weitergehen. Ist es noch weit?"

Rovena atmet tief durch und lässt sich von ihm weiter durch die Nacht führen.

Kurze Zeit später erreichen die beiden den Peraine-Tempel.

Hesander betritt den Tempel mit den Worten: "Ja, das habt Ihr, Frau Rovena - solange Ihr die Gebote der Zwölfe achtet."

'Gut, dass du die Einschränkung noch erwähnst, Ge-weihter,' denkt sich die junge Frau ironisch und ver-kneift sich ein abfälliges Schnauben. 'Ein wirklich gu-ter Anfang … jetzt weiß ich wenigstens, was ich von deinem Wort zu halten habe.'

Sie ist erzürnt über seine, ihrem Verständnis nach, Doppelzüngigkeit. Äußerlich jedoch ruhig betritt sie nach Hesander den Tempel und schaut sich sofort sorgfältig um. Noch nie hat Rovena in ihrem bisheri-gen Leben den Fuß in einen Tempel der Zwölfgötter gesetzt und neugierig beobachtet sie, wie sich die Menschen um sie herum verhalten.

Dann wendet er sich an eine Perainedienerin und fragt sie: "Peraine zum Gruße, Schwester. Ich möchte Euch Frau Rovena vorstellen. Sie ist eine Kräuterkun-dige und würde gerne diese Nacht im Schoße der Göt-tin verbringen."

Dann schaut er Rovena an. "Nun, hier ist es üblich, als Gast im Hause der Peraine, ihre Diener bei der tagtäg-lichen Arbeit zu unterstützen und die Göttin damit zu ehren. Ich für meinen Teil habe mich mit der Überset-zung ältere Schriften befasst, vielleicht könnt Ihr bei den Kranken dem einen oder anderen eine Weile bei-stehen. Peraine wird es Euch vergelten."

'Das hättest du mir auch ruhig vorher sagen können!'

Rovenas grüne Augen blitzen auf, doch da sie in die-sem Moment gerade den Kopf zum Gruß senkt, fällt es niemandem auf.

"Selbstverständlich werde ich meine Kenntnisse ein-setzen, um zu helfen, Leid zu lindern," erwidert sie ernst auf Hesanders Vorschlag, die weitläufige Bedeu-tung ihrer Worte erschließt sich ihm jedoch nicht gänzlich.

"Doch ich bin müde von der langen Reise und würde mich gerne bald zu Ruhe legen. Sagt mir, was ich zu tun habe." fügt sie mit einem unterdrückten Gähnen an. Und morgen wird sie einen ausgedehnten Spazier-gang in die umliegende Landschaft vornehmen …

Hesander bemerkt die Gefühlsregung in Rovena und erwidert: "Nun, Ihr könnt Euch sicherlich gleich zur Ruhe begeben. Und ich hoffe, Ihr nehmt mir meine kleine Überrumpelung mit dem Tempeldienst nicht allzu übel. Aber ich bin sicher, Eure Künste werden der Göttin Peraine zur Ehre gereichen. Falls Ihr hin-gegen direkt Eure Hilfe anbieten möchtet, werde ich Euch Schwester Periande vorstellen, die Euch einwei-sen wird."

Rovenas Miene bleibt ernst. Sie nickt knapp mit dem Kopf und sieht ihn vorwurfsvoll an.

"Ihr hättet es wirklich erwähnen können." antwortet sie ihm. Doch weiter geht sie nicht darauf ein, sondern blickt sich suchend um.

'Besser wäre es, ich würde diesen Dienst morgen erle-digen, …' denkt sie mürrisch und ist bemüht, ihren Ärger zu unterdrücken.

"Lasst mich erst ein paar Stunden schlafen und stellt mich dann morgen früh dieser Frau vor. Ich kann den Kranken gewiss besser helfen, wenn ich ausgeruht bin. Wo kann ich schlafen?"

Hesander schaut Rovena mit sanftem Blick an und sagt dann: "Ich zeige Euch Eure Schlafstätte."

Dann geht er in einen Seitentrakt des Tempels und bleibt vor einer Tür stehen. Er öffnet die Tür und weist Rovena den Weg in eine kleine Kammer. Sie ist sehr spärlich eingerichtet, nur ein gemachtes Bett, am Fußende eine Truhe, ein kleiner hölzerner Tisch, auf dem eine Waschschüssel und Krug stehen, sowie ein Hocker. Erleuchtet wird die Kammer von einer Öl-lampe.

"Ich selbst schlafe in der Kammer am Ende des Gan-ges. Möge Boron Euch einen erholsamen Schlaf und Bishdariel angenehme Träume schicken."

Mit diesen Worten wendet er sich zum Gehen.

Die junge Frau wirft einen Blick in die Kammer und atmet erleichtert auf. Wenigstens hat sie ein Zimmer für sich allein. Sie tritt ein und dreht sich zu Hesander um.

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"Euch ebenfalls einen erholsamen Schlaf, Herr Draco-mir. Gute Nacht," schickt sie ihm hinterher und schließt die Tür hinter sich.

Leicht missgestimmt geht Rovena zur Ruhe.

Nachdenklich geht sie zum Bett, stellt ihren Stab ab und sieht sich nochmals um. Die Kammer wirkt düs-ter und trostlos auf sie, kein Fenster, durch das man einen Blick hinaus auf die Gegend oder das Madamal werfen könnte. Mit einem leisen Seufzer legt sie ihre Sachen in die Truhe, wäscht sich und legt sich dann, der Oberkleider entledigt, auf das Bett, wo sie sich un-

ter der Decke zusammenrollt. Nein, sie fühlt sich nicht sonderlich sicher hier. Der Tag verlief so ganz anders, als sie geplant hatte. Und morgen früh wird sie erfahren, was noch auf sie zu kommt. Aber vielleicht kann sie ja hier in dem Tempel etwas erfahren, von dem sie Ayla berichten kann. Ihre Gedanken schwei-fen weiter zu ihrer Begegnung mit diesem Magier. Is-inha wird hoffentlich morgen Mittag hierher kom-men, in seiner Gesellschaft hat sie sich deutlich woh-ler gefühlt, auch wenn von ihm eine gewisse Bedro-hung ausgeht … und mit diesen Gedanken fällt sie in einen unruhigen Schlaf.

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Ingalf und Edricie Tage wieder daheim in Thorwal vergehen fast so schnell wie das Geld aus den Beuteln

verschwindet und so sind die Ingalf und Edric wieder genötigt sich nach einer Einkommensquelle umzuse-hen. Ingalf kann zwar ein wenig seiner Ausrüstung und seinen Kakteenschnaps an den Mann und die Frau bringen, aber 8 Flaschen bringen nicht genug Geld für lange.

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Und so sind die beiden ziemlich blank und Ingalf zieht mit Edric im Schlepptau durch die Kneipen Thorwals, um seine Fähigkeit als Bilderstecher ge-winnbringend einzusetzen. Ingalf weiß, dass er die besten Preise – auch für etwas schlechtere Tätowie-rungen – bei den Fremden erzielen kann, also versu-chen sie ihr Glück in der Fremdenstadt.

Ihr erster Weg führt sie zunächst in den "Goldenen Apfel". Dort sitzen aber nur üblichen 'Schlauköpfe', die alten Professoren der Akademie in ihrer abendli-chen Runde. Bei denen ist für einen Bilderstecher kein Geld zu machen.

Also weiter zum "Zauberspiegel" - aber auch dort nur ein paar Magierschüler, die wieder mit ihren Zauber-kunststücken angeben wollen und kein Geld für unse-re beiden Helden übrig haben.

Um die nächste Ecke sind sie dann "Bei Morissa" an-gelangt. Als sie die Tür aufmachen, wird er mit einem lauten: "Wedmansson? Alter Kojennässer, was machst Du denn wieder hier?"

An einem der fast voll besetzten Tische hat sich ein großer Thorwaler mit weißblondem Haar und eis-grauen Augen erhoben und winkt Ingalf zu.

Der bahnt sich mit "Der alte Nachttopfkapitän Fogg-wulf! Ich dachte, Du ruderst auf 'ner Galeere!" den Weg zu dem Tisch.

Die beiden ungefähr gleich alten Thorwaler umarmen sich und werfen sich bevor sie sich wieder hinsetzen noch ein paar Beleidigungen an den Kopf.

Während dieser Begrüßungszeremonie bleibt Edric verunsichert in einiger Entfernung stehen. Er hat den Eindruck, dass sich die Thorwaler - obwohl sie offen-sichtlich kameradschaftlich miteinander umgehen - gleich die Köpfe einschlagen werden. Für ihn sind die Sitten und Verhaltensweisen dieser groben Seefahrer noch immer ein Rätsel.

Besonders wenn sie nicht alleine sind … Viel lieber wäre er vor der Wirtshaustür auf der Straße geblieben und hätte gewartet, bis Ingalf wieder herausgekom-men wäre. Aber er ist nun mal hier und steht nun et-was abseits und dreht nervös seinen Stab in den Hän-den, während er möglichst unauffällig zu Boden

schaut. Nicht dass noch einer auf die Idee kommt, er gehöre gar nicht hier her!

Nach einem "Wirt! Schnell 3 Feuer!" sind sie aller-dings wieder relativ ruhig – was bedeutet, dass die Unterhaltung im Umkreis mehrerer Tische ohne große Konzentration verstanden wird.

'Warum bloß drei?' überlegt Edric, schließlich ist der Tisch ja gut besetzt.

"Was treibt Dich nun wirklich wieder nach Thorwal?" fragt Phileasson Foggwulf, so der volle Name des Thorwalers, Ingalf.

"Och, das ist eine lange Geschichte, die auch richtig gut ist", erwidert Ingalf. "Aber Dich hätte ich auch noch nicht wieder hier erwartet! Immer noch Maat bei Käpt'n Englund?"

"Nee!" kommt er von Phileasson. "Seit der letzten Fahrt aus Al'Anfa bin ich Steuermann. Wir hatten ein paar Verluste." fügt er nachdenklich hinzu. "Aber da-für haben wir einen Magier von den Sklavenhaltern retten können, ist doch auch was?"

"Das wohl!" Ingalf lacht auf. "Ein Magier? Naja, ihr schleppt auch Alles mit, was ihr finden könnt!"

"Ja, so'n komischer Typ, ist von den Menschenfressern groß gezogen worden und kam dann zu den Sklaven-haltern. Und dann kam er zu uns; gestern früh sind wir zurück gekommen. Aber willst Du mir nicht Dei-nen Freund vorstellen?"

"Das wohl! Phileasson, das ist Edric, Edric Phileas-son." stellt Ingalf die beiden vor. "Edric ist mir auf der Welt der Riesenbäume begegnet und da ich ihm vom Meer erzählt habe, ist er mit mir nach Thorwal ge-kommen."

Dann wendet er sich zu Edric: "Das ist Phileasson Foggwulf, der alte Jammerlappen fährt seit dem wir uns kennen mit Käpt'n Englund zur See. Angefangen als Schiffsjunge hat er sich jetzt wohl bis zum Steuer-mann hoch gedient. Ach, damals auf der 'Hammerhai'. War 'ne tolle Zeit! Nun er sagt von sich immer, dass er ein so berühmter Seemann werden von dem die ganze Welt reden wird." Ingalf fängt an zu Lachen, Phileasson fällt mit ein.

Schüchtern hebt Edric den Kopf und nickt Ingalf of-fensichtlichem Freund höflich zu. Er tritt sogar einen Schritt näher an den Tisch heran, behält aber die Hände am Stab.

'Händeschütteln scheint hier nicht üblich zu sein,' überlegt er. 'Und eine Umarmung überlebe ich ver-mutlich nicht …'

"Swafnir und Efferd zum Gruße", begrüßt er Phileas-son höflich aber schüchtern.

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"Swafnir zum Gruß!" erwidert Phileasson. "Setz' Dich dich zu uns, dazu hat der Wirt die Stühle an den Tisch gestellt!"

"Habt Ihr schon von Garhelts neuem Spleen gehört?" fragt Phileasson die beiden. Als bei mit dem Kopf schütteln, fährt er fort: "Sie sucht Leute für einen Landgang – irgendwas mit den Orks oder so …" Er macht eine Pause "Soll sich aber richtig lohnen, aber was soll das Ganze? Thorwaler an Land, da soll sie doch lieber irgendwelche Fremden nehmen!"

"Nee!" kommt er entsetzt von Ingalf. "Dann sacken die ja den ganzen Ruhm ein! Ein Thorwaler sollte schon dabei sein!"

'Und der werde ich sein!' denkt Ingalf. 'Schließlich kann ich reiten und war schon mit Edric in einer an-deren Welt, das muss Garhelt doch verstehen.'

'Was das wohl wird? Hoffentlich lässt sich Ingalf von der Idee nicht anstecken. Die Watabh waren schon unheimlich genug. Da muss ich die Orks gar nicht kennen lernen.' erinnert sich Edric an die Schauerge-schichten über die Schwarzpelze.

'Außerdem wollte Ingalf mir doch was vom Meer zei-gen. Obwohl …' er erinnert sich an die stürmische Überfahrt, auf der er schon gedacht hatte, er müsse sterben.

Dennoch findet er die Idee faszinierend. Das wäre wieder ein Schritt näher nach Hause, schließlich stammt er aus dem Svellttal und ist von zu Hause nur weggelaufen, weil der die Welt kennenlernen und Abenteuer erleben wollte. Wohin hat das bisher ge-führt? Er hat eine fremde Welt kennengelernt und Sprachen gelernt, Gefahren überstanden und Freunde gefunden. Doch ein bisschen Heimweh hat er schon …

"Ach, komm Ingalf!" Phileasson mag es fast nicht glauben. "Du hast wirklich nichts von ihrem Plan ge-hört, ich bin erst seit gestern wieder da und weiß es. Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?

Aber Du hast recht ein Thorwaler sollte schon dabei sein, wenn die Mutter unseres großen Hetmanns so was anleiert."

Dann fragt er neugierig die beiden: "Und ihr wärt wirklich an so einem Abenteuer interessiert? Mich würde niemals jemand zu einem Abenteuer in den Norden kriegen, wirklich nicht!"

Ingalf kippt gerade sein zweites Feuer - schließlich ist er eingeladen und will nicht unhöflich sein: "Natür-lich meine ich das Ernst! Wir waren in der Wüste bei den Mönchen, auf 'nem Riesenbaum mit komischen Viechern und quer über den Kontinent zurück! Was kann uns da im Orkland Neues begegnen?"

Edric sitzt schüchtern auf seinem Stuhl und spielt mit seinen Fingern nervös unter der Tischplatte. Schein-

bar interessiert mustert er die Taverne von unten bis oben und versucht möglichst unsichtbar zu sein.

'Hoffentlich spricht er mich nicht an.' denkt er. Er hat zwar keine Angst vor Ingalfs Freund, doch gehörigen Respekt. Außerdem weiß er, das Thorwaler urplötz-lich recht aufbrausend werden können, wenn ihnen etwas nicht gefällt.

'Was es Neues im Orkland geben kann?' überlegt er, 'Sicherlich mehr Orks als ich jemals zu Gesicht be-kam. Ob sie auch richtige Siedlungen haben, so wie wir? Und Viehzucht und Ackerbau, oder sind sie eher Nomaden, die den Herden hinterher ziehen?'

Ja - es würde ihn schon interessieren, dies herauszu-finden.

Ingalf schaut zu Edric hinüber und sieht, wie er sicht-lich nervöser wird: "Nu, sag doch mal was! Wär doch ein schönes Abenteuer, oder?"

Edric schreckt aus seinen Gedanken hoch.

"Wie? Äh, ja bestimmt." murmelt er halblaut bestäti-gend.

'Ob ich einen Abstecher in mein Dorf machen sollte, falls wir in die Nähe kommen? Ich würd' schon gerne wissen, wie es den Schafen jetzt geht.' schweift er in Gedanken wieder ab.

Dann fährt er an Phileasson gewandt fort: "Was weißt Du denn Genaues über die Geschichte? Wo und wann kann man mir Garhelt sprechen? Wer ist schon dabei?"

"Mönsch Ingalf!" Phileasson haut Ingalf kräftig auf die Schulter. "Was ist denn aus Dir geworden? Ein Landsegler?"

Er nimmt einen Schluck.

"Aber was soll's. Der Fürstenmutter einen Gefallen zu tun, hat auch was. Schau einfach mal im Palast vorbei. Da wird man Dir sagen, wann sie Zeit für jemanden, der", er denkt einen Moment nach, "bereit ist, große Opfer zu bringen und der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen, hat. So hat sie es, glaube ich, ausgedrückt. Ob jemand schon dabei ist, habe ich keine Ahnung."

Ingalf schaut den Thorwaler an: "Ein Landsegler? Findest Du,hmm, vielleicht, … aber Leif fühlt sich auf Schiffen nicht so recht wohl. Bei Swafnir!"

'Landsegler?' Edric schaut entsetzt auf und blickt Phi-leasson an 'Was meint er denn damit?'

Er braucht einen Moment um hinter die Bedeutung dieses Ausdruckes zu kommen und senkt dann etwas beschämt wieder den Blick.

Edric hält Ausschau nach dem Wirt oder einer Bedie-nung. 'Ein kühles Bier wäre jetzt nicht schlecht', denn er bekommt langsam Durst. Aber seinen Wunsch ein-fach so in den Raum zu brüllen, wie die Thorwaler es vorhin getan haben, mag er dann doch nicht.

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Die Wirtin und eine Bedienung sind schon zu sehen, aber sie bemerken Edrics suchenden Blick anschei-nend nicht.

Phileasson stutzt: "Leif? Ich dachte, Dein schüchter-ner Freund heißt Edric."

"Das wohl!" erwidert Ingalf mit einem breiten Grin-sen. "Hat dir der Wind doch noch nicht alles aus dem Kopf geblasen! Der heißt Edric, aber mein Pferdchen heißt Leif. Und wir haben uns ganz gut aneinander gewöhnt - nur auf dem Drachen, auf dem wir herka-men, mochte er nich' sein."

"Ein Pferd! Und Du gibst ihm einen Namen. Puh! Du bist wohl wirklich für die Seefahrt verloren." Phi-leasson schüttelt den Kopf.

"Nun, das wird sich zeigen!" Ingalf stänkert weiter: "Du wolltest doch auch schon deine eigen Otta haben und was machst du? In Al'Anfa Magier fangen, das ist auch keine echte Seemannsbeschäftigung!"

Edric zieht ein wenig den Kopf zwischen die Schul-ten. 'Hoffentlich fangen die nicht gleich an zu strei-ten.' denkt er und blickt intensiver in Richtung der Be-dienung.

Ingalf scheint einen wunden Punkt getroffen zu ha-ben, auf die Phileasson in bester Thorwalermanier reagiert. Er knufft Ingalf gegen die Schulter und ruft: "Mit den Worten kannst Du es jedenfalls noch. Moris-sa, noch drei Premer!"

In kürzester Zeit ist der Schnaps da.

Phileasson ergreift seinen Trinkbecher und prostet: "Efferd wird Dich schon wieder in seine Finger krie-gen. Auf sein Wohl!"

"Auf sein Wohl!" erwidert Ingalf. "Und ich krieg' dich auch nicht nur nach Worten 'rum. Lass uns ein thor-walsches Duell ausfechten! Morissa, 2 Schritt für uns und einen Humpen für unseren trockenen Freund!"

Als die Bedienung kommt und die Gläser abstellt hofft Edric, einen kurzen Moment ihre Aufmerksam-keit erhaschen zu können und bestellt halblaut "Ein Bier. Bitte."

Rasch senkt er wieder den Blick, nicht dass den beiden Thorwalern zu sehr auffällt, dass Edric sich an ihrer Trinkerei bisher nicht beteiligt hat.

'Probieren würde ich das Premer Feuer schon gerne mal', denkt er sich, denn von diesem berühmten und verfluchten Schnaps hat er schon eine Menge gehört. Er kennt nur den kräftigen, bitteren Schnaps den die Dörfler zu Hause gebrannt haben. Doch er scheut sich, hier, vor Ingalf und dessen nicht weniger lauten Freund zu dem Glas zu greifen.

Er lächelt Edric zu: "Jetzt zeigen wir dem alten Fisch-kopp mal wo Ingerimms Hammer hängt, wie die Zwerge sagen!"

Verlegen lächelt Edric zurück und nickt beflissen.

'Was haben sie vor? Ein thorwalsches Duell? Sie wer-den sich doch nicht schlagen wollen?' Bei diesem Ge-danken schleicht sich ein wenig Angst in sein Gesicht.

'Ingalf ist noch nicht betrunken', weiß er und hofft, das sein Freund weiß was er da tut. Edric jedenfalls weiß nicht was er tun soll.

Nach einer Weile kommt Morissa mit zwei jeweils einen Schritt langen Tabletts, die im Wechsel mit Bier und Premer Feuer vollgestellt stehen und einem ein-zelnen Humpen.

Den einzelnen Humpen stellt sie vor Edric, die langen Tabletts - beginnend jeweils mit einem Humpen und endend mit einem Becher Feuer - vor Ingalf und Phi-leasson. "Wohl bekomm's!" sagt sie noch, bevor sie sich zurückzieht.

Als die anderen Gäste - zumindest alle anwesenden Thorwaler - das geplante Duell mitbekommen, ver-sammeln sie sich johlend um den Tisch.

Ingalf und Phileasson schauen sich an, dann meint Ingalf: "Der bessere gewinnt. Auf die Ehre und auf Swafnir! Bei drei!"

Edric greift schnell nach seinem Humpen und klam-mert sich mit beiden Händen daran fest.

'Sie wollen um die Wette trinken' stellt er erleichtert fest. Als er jedoch sieht, wie viele Humpen und Becher dort abwechselnd stehen wird ihm mulmig zu mute. Obwohl er weiß, dass Ingalf einen kräftigen Zug am Leib hat und ihn kein Getränk so leicht aus der Bahn wirft, schwant im Schlimmes und er fragt sich, wie er Ingalf danach wohl in dessen Bett bekommen soll …

"Drei!"

Und los geht etwas, was es wohl nur in Thorwal gibt: Ein Duell im Wettsaufen und zwar immer ein Hum-pen Bier im Wechsel mit einem Becher Premer Feuer. Alle anderen aventurischen Völker - die Zwerge viel-leicht ausgenommen - bekommen schon bei Anblick eines solchen Duells eine Alkoholvergiftung.

'Nein, sie tun es wirklich', fasziniert schaut Edric zu wie in schneller Folge erst ein Humpen und dann ein Becher mit Premer an die Lippen gesetzt und geleert wird. Das Bier - oder der Premer – landen gar nicht immer im Mund, sondern laufen den Kontrahenten am Kinn und Hals hinab und durchfeuchten deren Hemden.

Er ist froh, dass die beiden dies auf diese glimpfliche Art austragen, obwohl er den Sinn des Duells gar nicht verstanden hat. Zwar wurden harte Worte ge-tauscht, doch welche ausschlaggebend waren, kann er nicht beurteilen.

Er schaut der Darbietung zu gespannt zu, dass er ganz und gar vergessen hat, dass er ja auch einen Humpen vor sich hat und einen Schluck nehmen wollte …

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Die ersten 2 Humpen und das Feuer dazwischen hat Ingalf noch ohne Probleme und schneller als Phileas-son weg getrunken, beim zweiten begeht er aber den großen Fehler, hoch zu schauen und dabei verschluckt er sich etwas.

Was soll er tun? Sich ordentlich aushusten, um das Feuer aus der Luftröhre zu bekommen heißt für ihn, das Duell verloren zu geben. Ingalf beißt - nicht wört-lich - die Zähne zusammen und versucht, den Brand in der Luftröhre im dem nächsten Humpen Bier in der Speiseröhre zu löschen.

Aber Phileasson konnte durch sein Zögern in Füh-rung gehen. Jetzt muss sich Ingalf sputen und es sind noch jede Menge Bier und Feuer bis der Schritt zu Ende ist.

Irgendwann ist es auch fast egal, ob das Bier in den Mund oder in den Bart läuft, die Augen der beiden Duellanten werden immer kleiner und glasiger, die Be-

wegungen unkontrollierter. Manch ein Humpen kann erst im zweiten oder dritten Anlauf zum Mund oder wenigstens in die grobe Richtung geführt werden.

Und wieder ist es Ingalf gelungen, die Führung zu übernehmen. Das letzte Glas Feuer, Ingalf nimmt es, kippt es, knallt das leere Glas auf den Tisch, sagt "Ers-ter!" rülpst laut und kippt hintenüber vom Stuhl.

Einige Sekunden später folgt ihm Phileasson auf die Dielen.

Ein typisches Ende eines Duells in Thorwal: Zwei Bier- und Schnapsleichen.

Da Ingalf schneller war, finden sich genügend Leute, die den Sieger - ohne dass dieser es mitbekommt - un-ter Edrics Anleitung in ihr gemeinsames Zimmer bringen und ihn dort auf seinem Bett fallen lassen.

Ingalf rührt sich bis zum nächsten Morgen nicht mehr, nur sein lautes Schnarchen zeigt Edric, dass er nicht tot ist.

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Bei Garheltrei Tage nach dem denkwürdigen Thorwaler-wettstreit treffen Ingalf und Edric im riesigen

Langhaus des Hetmans bei Garhelt, der Fürstenmut-ter, ein. Uralt scheint sie zu sein, weißhaarig, und ihr Gesicht hat so viele Falten, dass es eigentlich für ein Dutzend Gesichter reicht. Aber ihre Augen blicken hellwach die beiden Neuankömmlinge an.

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In dem Langhaus schaut Edric sich fasziniert um. Das Haus ist wahrlich riesig.

'Es würde keinen Vergleich mit einem Palast scheuen!' denkt er beim Anblick.

'Wie alt mag sie sein?' fragt sich Edric, als der die Fürstenmutter erblickt. 'Sie sieht uralt aus.'

Bisher hat er wohl noch keine ältere Frau gesehen.

Bei ihr ist ein junger Mann, einen halben Kopf kleiner als Ingalf, den man beim besten Willen nicht in Thor-wal erwarten würde. Er scheint direkt aus einem Ba-sar zu kommen, denn irgendwie riecht er nach einem Hauch Tee. Sein dunkelblondes Haar fällt in Wellen bis auf die Schultern, wird aber durch den kleinen Turban im Zaum gehalten, der mit einer prächtigen Turbanbrosche verziert ist. Das Gesicht ist leicht ge-bräunt, die Augen sind leicht mit Kohlestift verdun-kelt, seine Lippen mit Henna ein bisschen hervorge-hoben. Bis auf einen Kinnbart ist er gut rasiert. Er trägt eine dunkelblaue Pluderhose, Stiefel und einen verzierten Gambeson über einem edlen Seidenhemd. An seiner Seite hängt ein Rabenschnabel.

Sein Blick schweift hinüber zu dem jungen Mann, den er mehr am Rande der Wüste auf einem Basar er-wartet hätte. So wie er aussieht und sich kleidet hält Edric ihn auch für einen Edlen.

"Das ist Melachath ibn Shemirhija." Garhelt spricht den fremden Namen flüssig aus. "Der aranische Bot-schafter meinte, der Junge könnte mal ein wenig Ab-wechslung gebrauchen."

Ein kleines Lächeln umspielt ihre Lippen.

'Oh, nein! Nicht noch einer, der noch grün hinter den Ohren ist', denkt sich Ingalf, 'ich bin doch kein Baby-sitter!'

Ingalf ist sich in diesem Moment nicht bewusst, dass Garhelt ihn selbst wahrscheinlich auch als 'Junge' titu-lieren würde.

"Und ihr seid Edric aus dem Svellttal und Ingalf Wed-mansson? Schön, dass wenigstens einer meiner Thor-waler sich für etwas mehr als … Nun denn, lassen wir das."

Schon beim Hören des komplizierten Namens be-kommt Edric einen Knoten in der Zunge.

Unwillkürlich muss Edric ebenfalls lächeln, als die alte Frau dies tut. Dieses Lächeln weicht aber einem ungläubigen Starren, als er hört, wie sie seinen Na-men zuerst nennt. Wie soll er sich nun verhalten?

Das ist schließlich eine Ehre, noch vor dem Thorwa-ler genannt zu werden, oder?

Seine Gedanken rasen. Was soll er tun? Was soll er sa-gen? Wie soll er sich verhalten? Am liebsten würde er sich irgendwo verkriechen!

'Ein Kniefall', ihm fällt ein, dass so etwas vor hohen Persönlichkeiten immer gemacht wird. Doch wie macht man bei den Zwölfen einen Kniefall?

Ungeschickt lässt er sich auf beide Knie nieder und stammelt: "Ja. Hoheit" - 'Hoheit, war das richtig? Wie spricht man die Mutter des Hetmanns, die Fürsten-mutter an?' fragt er sich, der Verzweiflung nahe. Ohne Zweifel ist die Fürstenmutter mit einem König gleich zu setzen.

'Wäre ich doch damals bei den Schafen geblieben. Doch ich wollte große Abenteuer erleben. Und jetzt sitze ich hier schon wieder in der Patsche', scheltet er sich selbst.

Hätte er doch bloß Ingalf vorher gefragt … aber der hätte ihn sicher nur ausgelacht …

>So wie man sie eben anspricht, das wohl< hätte er gesagt und die Geschichte des abends lautstark herum erzählt!

So bleibt Edric vor er Fürstenmutter knien, und war-tet, unentschlossen, was er nun tun soll, darauf, dass man ihm eine Anweisung gibt.

"Lass man gut sein, mein Junge! Steh wieder auf!" ist die milde Reaktion Garhelts. "Du kannst Hetfrau zu mir sagen - oder Muhme, wenn Du willst."

"Ja, Hetfrau", antwortet ihr Edric und steht umständ-lich auf. Dabei ist er bemüht möglichst leise zu sein.

"Danke." Es erscheint ihm besser dies noch hinzuzu-fügen.

'Muhme? bedeutet das Mutter?' überlegt er stumm. Vielleicht wird er Ingalf später danach fragen.

Im folgenden stellt er sich ein klein wenig hinter In-galf, aber nicht so, dass es Anschein erweckt, er würde sich hinter dem Thorwaler verstecken. Schließlich ist er ein Hirte und braucht sich nicht zu verstecken! Er bemüht sich, seinen Blick nicht auf den Boden abglei-ten zu lassen, sondern die Fürstenmutter anzusehen.

"Swafnir zum Gruß, Hetfrau Garhelt!" sagt Ingalf mit dem leichten Andeuten einer Verneigung. "Wie geht's Dir? Und selbstverständlich wird ein richtiger Mann" - leichter Seitenblick auf Edric und Melachath - "Thorwals Ehre hoch halten!"

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Er grinst die alte Hetfrau breit an.

Dann begrüßt er Melachath auf Tulamidisch: "Sei ge-grüßt Melachath!"

'Tja, gelernt ist gelernt!'

Ein ungläubiger Ausdruck huscht über das Gesicht, als Melachath Edrics Kniefall sieht. Der Ausdruck steigert sich noch, als er die tulamidischen Worte hört …

Auf Thorwalsch antwortet er. "Seid gegrüßt", er fährt auf mittelreichisch fort, "schön, dass im Land der rau-hen Winde jemand die Sprache meines Volkes spricht. Aber versteht mich nicht falsch. Ich komme nicht aus dem fernen Tulamidenreich, sondern aus dem von Rahja gesegneten Aranien."

"Das wohl!" Ingalf muss grinsen. "Und ich komme auch nicht aus dem Tulamidenreich, sondern aus dem von Swafnir und den Hetleuten gesegneten Thorwal!"

"Und hier seid ihr richtig!" unterbricht die Hetfrau. "Kommt mit!"

Garhelt geleitet die drei zu einem steinernen Neben-gebäude, zündet eine Laterne an und weist mit einer feierlichen Geste in den großen Saal, den einzigen Raum, den das Gebäude enthält.

"Das ist mein Geschenk an Aventurien!" sagt sie nur.

Die drei schauen sich verdutzt in dem dämmrigen Raum um, doch sie können nichts Wertvolles entde-cken. Nichts als Landkarten und Regale mit Schrift-rollen, wohin der Blick auch fällt.

'Das ist also Garhelts Schatz!' Ingalf steht mit offenem Mund in dem Raum und ist … still.

"Was ihr hier seht", erklärt Garhelt, die das Erstaunen bemerkt haben muss, "ist mehr wert als Gold und Edelsteine. Ihr steht vor der vollständigen Geographie der bekannten Welt. Mein Großvater hat mit der Sammlung von Schriften und Karten begonnen, mein Vater hat sie fortgesetzt, und ich werde sie zum Ab-schluss bringen. Die Sammlung wird allen Wissbegie-rigen zugänglich sein. Bald werden sich in Thorwal mehr Gelehrte niederlassen als in Gareth, Vinsalt und Tuzak zusammen …"

Sie hält einen Moment versonnen inne, dann fährt sie fort: "Nur ein Teil Aventuriens bleibt noch zu kartho-graphieren: das Orkland. Und darum frage ich euch, seid ihr bereit, vom Oberlauf des Bodir nach Enqui zu marschieren, euren Weg in Zeichnung festzuhalten und alle eure Erlebnisse niederzuschreiben?"

'Was hier für Schätze liegen. Und ich kann einen Teil dazu beitragen. Ob Aranien wohl ordentlich gezeich-net ist?'

Nachdem Melachath klar geworden ist, auf welch Wissen er hier blickt, spricht er: "Ich habe die Küsten gesehen, als ich hier her fuhr. Ich habe vom Landesin-neren nur wenig gesehen. Ich bin auf jeden Fall bereit,

wenn ihr uns noch ein bisschen Ausrüstung gebt, da-mit wir auch wieder kommen. Ein Chance, diesen Quell des Wissens zu erweitern sollte man sich nicht entgehen lassen."

"Das wohl!" kommt es kurz und knapp von dem im-mer noch verwunderten Ingalf.

'So viele Papiere und Pergamente …' staunt Edric, der noch nie zuvor so viele Schriftrollen gesehen zusam-men hat.

'Die Papiere müssen viel wert sein, wenn die Hetfrau so davon spricht.' andächtig schaut er sich um, ohne den wirklichen Wert der Schriften begreifen zu kön-nen, da er kaum lesen, schreiben oder zeichnen kann …

'Ich habe diese Fertigkeiten nicht!' zweifelt er, wagt je-doch nicht zu widersprechen, da er befürchtet, von sei-nem Freund Ingalf getrennt zu werden. Bisher hatte er schließlich kaum Gelegenheit Schreiben und Lesen zu lernen.

"Gut, dann könnt ihr euch vielleicht auch darum kümmern, weitere Mitstreiter zu finden. Jemand, der richtig gut lesen und schreiben kann, wäre praktisch. Am besten ein Gelehrter, noch besser ein Magier. Man weiß nie, was einem so alles über den Weg läuft. In der Akademie brauchst Du aber gar nicht erst zu fra-gen, die sind nicht besonders abenteuerlustig."

Garhelt verhält kurz.

"Perfekt wäre es, wenn ihr auch eine Frau fändet. Es gibt immer wieder Situationen, wo ihr Männer jeman-den braucht, der euch den Kopf zurecht rückt."

"Ausrüstung? Kein Thema!" geht sie auf Melachath ein. Die Hetfrau winkt lässig mit der Hand.

"Überlegt euch, was ihr braucht, Tronde kümmert sich darum. - Ach ja, eines noch: Von euch spricht nicht zufällig jemand Orkisch?"

Ganz ernst meint sie die letzte Frage nicht.

"Ich spreche diese Sprache ein wenig." Edric tritt vor und strahlt über das ganze Gesicht.

"Ich hatte schon einmal mit Orks zu tun." ergänzt er. Er ist stolz, einen Beitrag zu der Expedition leisten zu können.

Garhelt nickt ruhig. "Das ist ein gutes Omen!" stellt sie bestimmt fest.

Ingalf lächelt voller Stolz als Edric von seinen Fähig-keiten erzählt.

'Ich sag doch, der Kleine ist zu gebrauchen!'

Ingalf fällt die Geschichte von Phileasson wieder ein: 'Da war doch ein Magier auf der Otta, den sie aus Al'-Anfa mitgebracht haben!'

"Ich hab' vielleicht schon einen Magier im Auge, bis wann soll die Gruppe zusammen sein?" fragt Ingalf die Hetfrau.

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"Bevor ich sterbe", kommt Garhelts trockene Antwort.

"Dann haben wir ja, dank deiner Gesundheit, noch sehr viel Zeit!" kommt es von Ingalf ebenso trocken zurück. "Aber ich denke, in Thorwal sollten sich Fremde bis morgen ausfindig lassen - so sie noch hier sind."

"Ja, dann bin ich gespannt, wen ihr mitbringt."

Die drei wollen sich schon verabschieden, als Garhelt bemerkt: "Habt ihr Lust, mit mir Mittag zu essen?"

"Aber natürlich gerne. Vielleicht erfahren wir dann ja auch etwas voneinander."

"Aber immer!" antwortet Ingalf fröhlich. "Was meinst du, Edric?"

"Gerne." antwortet Edric fröhlich. Das Eis ist gebro-chen, und er sieht sich als vollwertiges Mitglied in die-ser Gruppe.

Beim Essen mit Garhelt ist die Situation völlig ent-spannt. Es ist wie beim Besuch bei einer lieben Tante, die man lange nicht gesehen hat.

Natürlich ist sie neugierig, und fast genauso neugierig sind die drei Abenteurer aufeinander. Zwar plaudert nicht jeder alle seine Geheimnisse aus, aber Garhelt, und damit die anderen, erfahren eine ganze Menge.

Die ungewöhnlich entspannte Atmosphäre beim Es-sen verwirrt Edric. Er hatte sich das alles festlicher, prunkvoller, … vielleicht adliger vorgestellt. Es ist tat-sächlich etwa so, als würde er bei Tante oder Oma zum Essen sein. Zugegeben, vielleicht nicht zum all-täglichen Mahl, aber zu einem der festlicheren Anläs-se, beispielsweise wenn ein Schwein geschlachtet wur-de. Dann wurde immer in großer Runde ein festliches Mahl abgehalten, damit alle daran teilhaben und die Götter preisen konnten. Sehnsüchtig denkt er an das kleine Dorf zurück und vermisst so manchen lieben Menschen.

Während des Mahls berichtet der hochgewachsene junge Mann mit den zerzausten blonden Haaren ein wenig von sich. So ist er eines von mehreren Kindern einer Bauersfamilie. Schon in frühester Kindheit musste er mit dem alten Schäfer los, und die Schafe hüten – sie waren schließlich ein nicht unbedeutender Reichtum für des Dorf. Ihre Wolle wärmte im Winter und auch das schmackhafte Fleisch füllte so manchen Magen.

Dennoch zog er eines Tages von seiner Neugierde und Abenteuerlust getrieben in die weite Welt, um ferne Länder zu sehen. Solche Reisen waren für seine El-tern und die Dorfbewohner aus dem Svellttal schier unvorstellbar, so dass er heimlich fortgehen musste.

Schon bald schloss er sich Schadriel dem Großen und seiner Gruppe an, die in der Wüste einen Schatz su-chen wollten. In der großen Wüste wurden sie jedoch von verrückten Mönchen überfallen und gebeten,

durch ein magisches Tor zu gehen. Auf der anderen Seite lag eine Welt aus riesigen Bäumen. Der Scharla-tan Schadriel und seine Gefährten fanden dort fast alle den Tod. Er hatte die Hoffnung auf eine Rück-kehr als Ingalf der Thorwaler, Frumol der Abenteurer mit Sephyra der Gauklerin und Randirion dem Solda-ten dort auftauchten und er sich der Gruppe anschlie-ßen konnte. Schließlich ist ihnen gemeinsam die Flucht aus dem verrückten Land geglückt und er ist gemeinsam mit seinem Freund Ingalf nach Thorwal aufgebrochen.

Nachdem Edric nun doch ziemlich ausführlich aus seinem Leben berichtete lauscht er gespannt den wei-teren Geschichten über die erlebten Abenteuer.

Auch Melachath erzählt. Er ist im fernen Aranien in Nasir Alkid geboren. Nach einer langen Tradition wird der erste Geborene und die erste Geborene eines jeden Jahres später bei "Den Getreuen" (in Nasir Al-kid stationierte leichte Reiterei) aufgenommen. Die meisten Eltern in dem Dorf sind froh, da das eine große Ehre ist und das Kind auch von den Getreuen Essen und einen Schlafplatz für einige Jahre erhält. Bei den Getreuen zeigte sich, dass mit Melachath je-mand den Getreuen beigetreten war, der mit einigem Geschick den Umgang mit dem Rabenschnabel er-lernte und der ein gutes Gespür für Pferde hatte.

Eines Tages sprach ein Hauptmann der Getreuen zu den Soldaten, die ihre Ausbildung grade beendet hat-ten und erzählte, dass Aranien vorhabe, einen Bot-schafter nach Thorwal zu schicken. Dieser wollte als Bewachung jemanden haben, der sich mit aranischer Etikette auskenne, einigermaßen gebildet sei und sich mit einem Thorwaler im Kampf messen könne. Da-her wurden viele Auswahlverfahren durchgeführt. Die jungen Soldaten mussten reiten, sie mussten kämpfen, sie mussten zeigen, dass sie sich nach traditioneller aranischer Art schminken konnten. Der letzte Wettbe-werb war ein Turnier "Rote und weiße Kamele". Da Melachath schon in jungen Jahren ein begeisterter Spieler dieses schwierigen Spiels war, gewann er das Turnier. Zusammen mit zwei anderen Soldaten zogen sie also nun zum Botschafter und dieser nahm alle drei mit nach Thorwal.

Etwas wehmütig berichtet Melachath, dass sein Pferd das Schiff nicht betreten wollte und er es deswegen daheim lassen musste. Die Miene wird allerdings deutlich freudiger, als er von seiner Seefahrt nach Thorwal erzählt. Von Khunchom, Al'Anfa, dem Lieb-lichen Feld und Havena. Und schließlich, wie merk-würdig er sich zuerst unter den fremden, groß ge-wachsenen Thorwalern fühlte. Seit einem halben Jahr ist Melachath nun in Thorwal, kann mittlerweile so-gar einige Brocken Thorwalsch und hat mittlerweile sogar Gefühl dafür, was bei Thorwalern normaler

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Brauch ist. Dass sich diese allerdings nicht am ganzen Körper rasieren versteht er bis heute nicht.

Nachdem er dies alles erzählt hat, holt er noch eine Wasserpfeife und zeigt, wie man sich im fernen Arani-en entspannt.

"Lass' mal probieren!" Garhelt scheint wirklich inter-essiert.

Und sofort reicht ihr Melachath den Schlauch. Es riecht nach normalen Tabak mit mit einem Hauch ir-gendeiner fremden Frucht.

"Hm, hat was", kommentiert Garhelt. Dann entfährt ihr: "Dann hat es ja zweifach Gutes, dass der Bot-schafter uns besucht hat."

Als die beiden anderen fertig erzählt haben und Garhelt sich an der Wasserpfeife gütlich tut, nimmt Ingalf noch einen großen Schluck aus seinem Hum-pen und fängt dann an zu erzählen. Und da er ein Thorwaler ist und genauso erzählt, wird die eigentlich kurze Geschichte, die er zu erzählen hat, immer auf-regender und aufwendiger mit allen möglichen Din-gen ausgeschmückt und verändert.

Er erzählt von seiner Geburt auf See und der Zeit der Kindheit und Jugend in Thorwal seinen Freunden (unter anderem auch von Phileasson), welche Streiche sie unternommen haben, ihre ersten Abenteuer auf See als Schiffsjungen und die vielen Fahrten und Kämpfe die das ehrbare Seemannsleben so mit sich bringt.

Als Ingalf an diesem Punkt angelangt ist, bricht drau-ßen aber schon die Dämmerung herein.

Dann seine letzte Fahrt mit seiner Otta, die nicht so gut verlaufen war. In einem Sturm ging er über Bord und wurde von einem Handelsfahrer gerettet. Ein Thorwaler auf einem Schiff bedeutet einen guten Ma-trosen mehr zu haben und so hat ihn der Kapitän auch wohlwollend aufgenommen. Aber ein Thorwaler fühlt sich auf einem plumpen schweren Handelsschiff nicht wohl. So kam es dann das Ingalf in Thalusa sei-nen Abschied, seine Heuer und noch ein paar Kleinig-keiten nahm und sein Heil an Land versuchte.

Dort traf er dann nach kurzer Zeit auf seine späteren Freunde, Frumol, Sephyra - die beiden Turteltäubchen - und Randirion - den manchmal spießigen und ko-mischen Stutzer, aber sein bester Freund seit langem.

Mit diesen hat er dann die Kinder der Müllerpaares vor dem schrecklichen Zauberer Murgol gerettet. Eine Geschichte, die voller Kämpfe und Gefahren steckte und daher auch in entsprechender Länge erzählt wer-den muss.

Anschließend kommt die Geschichte des Kloster am Berg und dem Weltenbaum. Der Baum scheint aber ein anderer gewesen zu sein, als der von dem Edric berichtet hat, denn auf diesem Baum lebten schreckli-che Monster, furchtbare Unholde und vieles mehr.

Nach diesen Gefahren kamen sie in das Dorf der Wa-tabh und am nächsten Tag trafen sie auf Edric. Ingalf fasst sich daher bei dem gemeinsamen Teil der Reise kurz - schließlich hat Edric schon davon berichtet. Und so ist er nach einer weiteren Stunde wieder in Thorwal und fertig.

Während Ingalf erzählt, lauscht Edric mit großen Au-gen.

'Was hat Ingalf doch alles erlebt!' bewundert er seinen Freund.

Doch als Ingalf von dem Kloster und der folgenden Reise erzählt, kommen ihm leichte Zweifel. Ingalf scheint an einem ganz anderen Ort als er selbst gewe-sen zu sein … Diesen Gefahren, den Bestien, ja den Ungeheuern ist er nie begegnet. Auch erschienen ihm die Riesenbäume zwar riesig aber keinesfalls waren sie so gigantisch wie der Seefahrer sie darstellt!

Edric merkt, wie durstig er geworden ist und greift schnell nach seinem Humpen. Während der Erzäh-lung hat er wie gebannt zugehört und darüber sogar vergessen, einen kräftigen Schluck zu nehmen.

Irgendwann - "Viel zu schnell, aber meine alten Kno-chen …" meint Garhelt - ist der Abend zu Ende.

"Also Jungs, kommt wieder vorbei, wenn euer Trupp komplett ist, und überlegt euch, was ihr an Ausrüs-tung braucht. Ein, zwei Maultiere solltet ihr als Trag-tiere mitnehmen, die fressen alles, was ihnen zwi-schen die Zähne kommt. Pferde sind ungeschickt - am Bodir ist es erstmal sumpfig, und die fressen nicht al-les", verabschiedet sie die drei zukünftigen Forscher.

Melachath richtet sich auf und überlegt, ob er noch ir-gendwas nicht hat, was er im Orkland dringend bräuchte. Der Abschied von seinem Pferd tut ihm jetzt schon leid. Aber sonst fällt ihm auf Anhieb nichts Großartiges ein, was ihm noch fehlt. Ein Zelt wäre nicht schlecht, aber über Übernachtungen kann auch morgen noch geredet werden. Heute ist keine gute Zeit mehr zum Nachdenken. Die Thorwaler teilen zu viel Bier aus, als dass man am Ende des Abends noch wirklich gut nachdenken könnte.

Er wird wohl noch eine letzte Nacht im Haus des Bot-schafters schlafen und dem aranischen Botschafter wohl noch den Tipp geben, der Hetfrau eine schöne Wasserpfeife zu schenken.

Er richtet sich an Ingalf und Edric: "Sagt, wann sollen wir morgen aufbrechen? Und was soll ich bis dahin noch besorgen?"

"Nich' so schnell, junger Freund, erstmal müssen wir noch Verstärkung finden." Ingalf denkt laut nach.

"Hoffentlich finden wir den Magier, von dem Phileas-son erzählt hat. Wäre wirklich nett. Ich glaub' wenn wir die beiden gefunden haben, melden wir uns wie-der hier. Und dann klären wir die Ausrüstung."

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Garhelt nickt.

Edric wendet sich an seinen Freund Ingalf: "Wo fin-den wir denn weitere Gefährten für die Reise? Und wieviele sollen das sein?"

Er selbst braucht nicht viel Ausrüstung. Da er sich in der Natur gut auskennt, hat er keine Angst dort zu verhungern. Auch braucht er keine weiches Bett für die Nacht. Nur allzu gerne wäre er gleich aufgebro-chen, endlich raus aus dieser Stadt in der sich die Menschen gegenseitig auf die Füße treten.

'Kein Wunder wenn es immer zu Streit kommt. Drau-ßen ist alles viel angenehmer!'

Nicht zu ersten Mal kommt ihm dieser Gedanke.

"Na, ich denke, da wir einen Magier suchen, sollten wir doch einfach morgen früh in der Akademie fragen - da gibt's wohl genug davon!" beantwortet Ingalf Ed-rics Frage. "Und wieviele wird sich finden. Ich hoffe, wir finden einen von diesen Bücherfüchsen, der mit will."

'Sonst müssen wir halt Phileasson suchen oder die Kneipen abgrasen', fügt Ingalf in Gedanken hinzu.

'Oh die Akademie …', daran hatte Edric gar nicht ge-dacht.

"Meinst Du wir finden da jemanden?" er klingt etwas skeptisch, den warum sollte ein Magier aus der behü-teten Akademie ausziehen?

"Na klar, wenn die Hetfrau ruft …" er verneigt sich grinsend Richtung Garhelt. "… und wenn nicht, dann olporten wir einen Magier: besoffen machen, Klapps auf'n Kopp und wenn er aufwacht, sind wir weit weg!"

Edrics Augen weiten sich ungläubig. 'Ol-por-ten' wie-derholt er in Gedanken.

"Du willst einen Magier kidnappen?" fragt er. Seine Stimme spiegelt Entsetzen und Unglauben wieder.

"Nöö, nicht kidnappen", antwortet Ingalf.

"Wir wollen doch kein Lösegeld, wir wollen doch nur 'nen Begleiter", fügt er breit grinsend hinzu.

"Was ist mit Phileasson? Kannst Du ihn nicht überre-den, mitzukommen?" fragt der blonde junge Mann weiter. "Der scheint doch auf ein Abenteuer aus zu sein, oder? Außerdem kennst Du ihn."

"Nee, Phileasson!" Ingalf bekommt fast einen Lach-krampf. "Der wird nix machen, was über Land geht. Wenn es 'ne Umsegelung Deres wäre, dann ja, aber ohne sein Schiff, niemals!"

"Also Melachath, wir beide bringen Dich jetzt zu Dei-ner Schlafstätte, wer weiß, wo die Botschaft sich befin-det, und holen Dich dann morgen früh ab. Im Laufe des Tages sollten wir den Mitstreiter gefunden haben."

Er haut Melachath und Edric, die rechts und links von ihm stehen, kräftig auf die Schultern. Zu Garhelt gewandt, verabschiedet er sich: "Mach's gut, Muhme, bis die Tage!"

So verabschieden sich die drei von Garhelt und gehen ihrer Wege.

Melachath wird wie versprochen bei der Botschaft vor-bei gebracht. Ingalf und Edric gehen danach zu ihrer Schlafstätte.

Nachdem Edric und Ingalf die Fremdenstadt über die nördliche Kanalbrücke verlassen haben, gehen sie am Wall des Hafens vorbei, umrunden den Ottaskin des Windzwinger - den Ottaskin von Garhelt und Tronde - und kommen dann zum Langhaus von Ingalfs Fa-milie an der Gardays Heyde.

Es ist ein typisch thorwalsches Langhaus - für Edric sehen die Häuser in dem Viertel alle gleich aus: wie umgedrehte Schiffe. Da es schon sehr spät ist, ist die Halla schon verlassen und so schleichen die beiden leise zu ihrem Schlafgemach. Ein mit Fellen von der Halla abgetrennter kleiner Raum, in dem die Betten und ein paar Truhen für eventuelle Gäste der Familie stehen.

Ingalf lässt sich auf sein Bett fallen, kickt die Schuhe weg, zieht Hemd und Hose aus und ist schon unter den Fellen eingeschlafen.

Auch Edric geht gleich zu Bett. Er zieht leise Schuhe, Hose und Hemd aus und kriecht unter die wärmen-den Felle. Schon kurz darauf hört er Ingalfs Schnar-chen, doch er kann - obwohl er nach dem langen Tag müde ist - nicht einschlafen. Unruhig wälzt er sich von einer Seite auf die andere. Seine Gedanken krei-sen um Garhelt, den Auftrag, das Orkland und seine Heimat …

Irgendwann fallen ihm dann die Augen zu.

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Die Gruppem nächsten Morgen - sowohl für Ingalf, Edric und Melachath als auch für Elgar, Rovena und

Hesander - holen Edric und Ingalf in aller Frühe Me-lachath wieder bei der Botschaft ab.

AAAuf geht es zur Schule der Hellsicht, so heißt die Ma-gierakademie in Thorwal in der Umgangssprache.

Dort hat Elgar gerade sein Morgenmahl beendet, als ihm von einem Schüler mitgeteilt wird, dass "ein Thorwaler mit zwei Begleitern" nach ihm gefragt hat.

Nach der für Elgar ruhigen Nacht lässt er sich den "Novizen-Schmaus" - grüne Grütze mit Honig - gera-de im Speisesaal schmecken, als der Eleve an ihn her-antritt.

'Eigenartig.' überlegt er. 'Welcher Thorwaler? Und wollten wir uns nicht im Peraine-Tempel treffen?' geht ihm weiter durch den Kopf. Aber nach 2 weiteren Löf-feln lässt ihn die Neugier nicht weiter essen und er verlässt den Speisesaal, nicht jedoch ohne sein Ge-schirr an den vorgesehenen Platz zu räumen.

Eiligen Schrittes begibt er sich zum Tor, wo ohne Zweifel die Gäste auf ihn warten werden, da Zutritt ohne weiteres an Nicht-Magier kaum gewährt werden wird.

Kurze Zeit nach der Mitteilung steht er beim Pförtner und fragt: "Mir wurde gesagt, es sei nach meiner An-wesenheit verlangt worden?"

"Ja, Magister, so scheint es. Der Mann fragte nach dem reisenden Magier, und der sie Ihr doch. Er hat zwei Auswärtige bei sich, und er wartet vor dem Tor", erläu-tert der einarmige Thorwaler, der als Pförtner fungiert.

"Er wartet draußen, und er ist ungeduldig", fügt er hinzu.

"Es scheint so." beantwortet Elgar die Frage. "Unge-duld ist keine Tugend der Zwölfe." zitiert er und dankt dem Mann mit einem freundlichen Lächeln und Ni-cken.

Und vor der Tür, mitten auf der Straße, steht ein - für einen Thorwaler mit 1 Schritt und 4 Span recht klei-ner - Krieger mit blonden, zu Zöpfen geflochtenen, Haaren und einem kurzen gegabelten Bart, der mit seinen braunen Augen die Tür beobachtet. Er steht auf ein 1 Schritt langes Beil gelehnt, ein weiteres klei-neres Beil steckt in seinem Gürtel, den er über einer Wollweste trägt. Darunter trägt es eine schwarze Le-derhose und Stiefel. Außerdem trägt Ingalf noch einen Fellumhang.

Neben dem Hünen steht ein etwas kleinerer Mann als der Thorwaler. Auch aus einigen Schritt Entfernung riecht er nach einem Hauch Tee. Sein dunkelblondes Haar fällt in Wellen bis auf seinen verzierten, roten

Gambeson. Ein kleiner Turban sorgt dafür, dass die Haare nicht im Gesicht landen und gibt einer prächti-gen Turbanbrosche Halt. Sein leicht gebräuntes Ge-sicht wirkt eher verletzlich, da die Augen mit Kohle-stift verdunkelt und seine Lippen mit Henna hervor-gehoben wurden. Unter seinem Gambeson lugen eine dunkelblaue Pluderhose und Stiefel hervor. An seiner Seite hängt ein Rabenschnabel.

Das Reden überlässt er dem Thorwaler, dem Einhei-mischen eben.

'Hoffentlich kann sich Ingalf nach dem letzten Abend noch an meinen Namen erinnern.'

Hinter dem Thorwaler steht ein junger Mann mit blonden Haaren, der ein wenig größer ist als der Thorwaler. Er ist kein Krieger - dazu ist er nicht breit genug gebaut - und trägt eine braun-graue Kleidung aus Wolle und Leder. Obwohl er seinen Blick gesenkt hält sieht er nicht aus wie ein Diener. Er macht viel-mehr einen etwas schüchternen, ja verlorenen, Ein-druck.

Auch trägt er bis auf ein Jagdmesser keine Waffen bei sich. Edric scheint sich hier nicht wohl zu fühlen, die grau-braune Farbe seiner Kleidung deutet darauf hin, dass er Städte nicht gewohnt ist. Vielmehr würde er in ein kleines, primitives Dorf passen …

Als Elgar vor die Tür tritt, schultert Ingalf seine Or-knase, geht direkt auf ihn zu, mustert ihn kurz und fragt: "Du bist der Magier, der mit Phileasson hier an-gekommen ist? Hast Du Zeit? Ja, dann komm mit zur Hetfrau."

In seiner nachtblauen Robe und mit dem im Wind wehenden durchschimmernden Haar ist Elgar kaum kleiner als sein Gegenüber. Mit wachen roten Augen mustert er aufmerksam zunächst den Sprecher. Mit Seitenblicken bedenkt er dessen Begleitung.

Als der Thorwaler anfängt zu sprechen, blickt der jun-ge Fremde kurz auf, nur um gleich wieder seinen Blick zu senken. Obwohl er die Direktheit und den rüden Umgangston der Thorwaler inzwischen kennt, zuckt er bei den Worten unmerklich zusammen.

Da diese sich nicht äußern, wandert sein Blick zu In-galf zurück und antwortet mit wohl modulierter Stim-me: "Ja, ich bin der Adeptus."

Er runzelt leicht die Stirn. Dann fragt er seinerseits: "Sei so gut, Mann, nenne mir Deinen Namen. Denn nicht mal Grumbald der Grobe war so unhöflich, und das, obwohl er mir den Kopf abschlagen wollte! Aber das ist eine andere Geschichte." fügt er rasch hinzu.

"Äh, was?" Ingalf ist ein wenig aus seinem Konzept gerissen. Er schaut seinen Gegenüber genau an. 'Hm, Adeptus, was ein komischer Name, aber wenn er Höf-

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lichkeit will, dann soll er sie haben! Und wer ist dieser Grumbald?'

"Also, Adeptus. Ich heiße Ingalf."

Dann zeigt er auf Edric: "Edric, Adeptus. Adeptus, Edric."

Und dann auf Melachath: "Melachath Shemirhijason, Adeptus. Adeptus, Melachath Shemirhijason."

Mit einer angedeuteten Verbeugung zu jedem der drei Fremden bei der Vorstellung lässt er Ingalf ruhig aus-reden, ehe er diesen korrigiert: "Ich grüße euch. Aber 'Adeptus' ist ein Titel, kein Name. Für euch bin ich einstweilen Elgar Arres."

'Hmm, das hätte er doch gleich sagen können!' grum-melt Ingalf.

"So, kommst Du jetzt mit?"

"Nein." ist die schlichte Antwort. "Ich habe bereits Plä-ne für den heutigen Tag und für die Tage und Wochen danach plane ich, eine Theorie zu überprüfen, die mich lange und weit von hier weg führen wird."

Stolz richtet er sich auf und ergänzt: "Meine Reise wird dazu dienen, die 'Theoretica orcis' zu verifizieren oder zu falsifizieren. Bestellt das der Hetfrau."

'Ah, er will reisen, dann isses kein Sesselpuper! Wäre ja schon gut', überlegt Ingalf weiter.

"Du willst eine Reise machen? Das trifft sich, dafür suchen wir dich doch! Aber wo willst du denn hin und was willst du da machen?" fragt ihn Ingalf, der mit den Worten des Magiers nicht viel anfangen kann.

'Der klingt ja fast wie Randirion!' erinnert er sich an seinen alten Kameraden. 'Der konnte auch immer einfache Sachen so komisch ausdrücken. Wo mag er jetzt bloß sein? Echt schade, dass er nicht mit uns nach Norden gezogen ist. Aber er wollte ja mit den Turteltäubchen ziehen.'

Edric, der die Worte des Magiers nicht verstanden hat, hatte sich bislang im Hintergrund gehalten.

'Sehr merkwürdig.' überlegt er.

Elgar ist verwundert: "Das sagte ich doch."

Dann erinnert er sich an seine Zeit auf Englunds Schiff und die etwas andere Ausdrucksweise der See-leute. Daher erwidert er: "Nun, ich will es für Dich anders ausdrücken."

Deutlich und betont langsam - fast wie zu einem Kind - spricht er die nächsten Sätze: "Ich werde feststellen, ob die Angaben eines Mit-Bruders richtig oder falsch sind, die dieser in seinem Buch 'Theoretica orcis' nie-dergeschrieben hat. Dazu reise ich gen Firun, in das Land der Orken, oder 'Schwarzpelze', wie sie hier ge-heißen werden."

Bei diesen Worten schaut der junge Mann auf.

"Orks!" platzt er heraus. Seine Stimme und Gesichts-züge sind freundlich.

"Die Hetfrau schickt uns ins Orkland!" erklärt er dem Fremden. "Sie stellt uns sogar die Ausrüstung", fährt er bewundernd fort.

"Ihr solltet vielleicht doch mitkommen", dabei lässt er offen ob er die Hetfrau oder das Orkland meint.

"Du kennst Orks?" fragt Elgar erfreut. "Sag mir, Freund, wie sind sie? Ich bin nämlich noch keinem le-benden Exemplar begegnet. Aber die 'Theoretica orcis' schwärmt von ihrer alten Kultur, den großen Städten und der fortgeschrittenen Zivilisation." fällt er sogleich in das Thema ein.

"Ja, ich bin ihnen schon begegnet." antwortet ihm der junge Mann stolz, entscheidet sich aber dagegen, hier und jetzt mehr zu erzählen.

"Das ist gut, das ist gut."

Dann wird er ruhiger und überlegt: 'Soso, eine Expe-dition. Und eine finanzierte noch dazu.'

Laut meint er dann: "Vielleicht sollte ich das wirklich, mitkommen meine ich. Aber zuvor muss ich dennoch einige Dinge erledigen, bevor wir aufbrechen können. Außerdem muss ich mir die Sache noch durch den Kopf gehen lassen." fügt er hinzu.

Nach dieser Erklärung kommt er auf Ingalfs Äuße-rung zurück: "Weshalb sucht ihr gerade mich? Ihr drei seid nicht die ersten, die behaupten, hier nach mir zu suchen und mich gefunden zu haben. Kennt ihr viel-leicht einen Draconiter namens Hesander Dracomir?" fragt er weiter.

Hierauf erwidert der blonde Mann nichts.

Als er auf keine seiner beiden Fragen eine Antwort er-hält, zuckt Elgar nur mit den Schultern und geht mo-mentan nicht weiter darauf ein.

Mit einem freundlichen Lächeln für alle drei verneigt sich Elgar erneut leicht und verabschiedet sich mit den Worten: "Ich habe, wie gesagt, noch etwas zu erle-digen. Trefft mich hier heute später am Tag wieder."

Dann dreht er sich ohne ein weiteres Wort um und verschwindet wieder hinter dem Eingangstor.

"Hoppla!" meint Ingalf, als sie sich wieder alleine vor der Tür finden. "Der lässt uns hier einfach stehen! Wie wär's wenn wir den gnädigen Herrn einfach auf seinen Erledigungen begleiten?"

'Dann geht er uns nicht durch die Lappen!' fügt er in Gedanken hinzu.

"Ich bin auf jeden Fall dabei. Dabei könnten wir drei ja schon mal durchsprechen, was wir in den weiten des Orklandes so brauchen und noch nicht haben. Ich habe noch nicht viel von den Orks gehört, aber meis-tens habe ich sie als wilde Bestien geschildert bekom-men. Wenn sie eine eigene Kultur haben, dann sollten wir Ihnen vielleicht Gastgeschenke mitbringen?"

Seine eiligen Schritte führen ihn in seine Novizenzel-le zurück. Dort ergreift er seine restlichen Sachen und

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den Rucksack und begibt sich umgehend zum Pfört-ner zurück.

Diesen informiert er: "Ich habe noch Besorgungen zu machen. Die Herrschaften von eben werden sich hier später wieder einfinden, um mich zu treffen. Sollte ich noch nicht zurück sein, geheiße sie, zu warten oder später zurückzukehren."

Mit einem Blick auf Praios' Scheibe stellt er fest, dass es noch mindestens 2 Stunden bis Mittag sind, gleich-wohl macht er sich in Richtung Peraine-Tempel auf den Weg.

Als Elgar die Akademie verlässt, stellt er fest, dass die drei Besucher immer noch vor dem Tor auf ihn war-ten.

Als er der Wartenden gewahr wird, hält Elgar kurz inne und wendet sich an Ingalf: "Ihr hattet meine Fra-ge von vorhin noch nicht beantwortet, deshalb wartet ihr hier, richtig? Also, was ist mit diesem Hesander? Kennst Du ihn? Zweite Frage, weshalb gerade ich?"

"Ich kenne weder deinen Grumbald noch deinen He-sander. Wir sind hier weil die Hetfrau eine Expedition in die Orklande plant, wie Edric schon sagte, und ihr dafür noch ein Gelehrter oder ein Magier fehlen. Eine Frau hätte sie auch gerne dabei, aber das trifft ja bei dir nicht zu." Ingalf grinst den Magier breit an.

Dann fährt er fort: "Genauer gesagt, wir sollen vom Oberlauf des Bodir nach Enqui marschieren, den Weg in Zeichnungen festhalten und alle unsere Erlebnisse niederschreiben, um die letzten fehlenden Lücken in der Schatzkammer Garhelts zu schließen."

"Aha. Gut zu wissen." erwidert er nachdenklich.

"Eine Frau soll auch dabei sein …" murmelt er, der Rest ist unverständlich.

"Insgesamt klingt das fürs Erste nach einem ziemlich soliden Plan." staunt er.

"Das wohl!" erwidert Ingalf. "Was Garhelt anpackt, hat Hand und Fuß!"

"Und was die Frau angeht, da habe ich vielleicht eine Lösung für euer Problem." grinst er.

"Allerdings wäre es an Dir, sie zu überzeugen. Ich würde das wohl kaum schaffen." ergänzt er.

"Dazu sind wir doch genug", grinst Ingalf seinen neu-en Gefährten an.

Mit einem wissenden Lächeln erwidert Elgar: "Nun, dann bist ein ein Leichtgläubiger und damit bereits der beste neue Freund von Hesander."

Was er damit genau meint, erklärt er den anderen nicht. Nur ein: "Ihr werdet schon sehen." ist ihm noch zu entlocken.

"Wenn ihr mögt, begleitet mich. Ich bin ohnehin auf dem Weg zu ihr."

Dabei macht Elgar eine einladende Geste, ihm zum Peraine-Tempel zu folgen.

Ingalf schließt sich Elgar an.

Gespannt, was da wohl kommen möge, folgt Me-lachath Elgar zusammen mit Ingalf und Edric.

In seiner stillen Art folgt Edric, der blonde Jüngling, seinem Freund Ingalf.

Mit leichter - aber rein innerlicher - Belustigung zieht er mit seinem "Gefolge" durch die Straßen Thorwals. Im Gedränge des Markttreibens nimmt er keinerlei Rücksicht, ob man ihm folgen kann.

Und sein "Gefolge" scheint auch im Marktgetümmel verloren gegangen sein, denn als er den Markt hinter sich hat, ist er allein.

Schließlich bleibt Elgar stehen und fragt den nächst besten Passanten nach dem Weg zum Peraine-Tempel.

"Ein Magier im Peraine-Tempel. Hoho!" kommt die Antwort des Thorwalers, aber dann weist er denn Weg.

Kurze Zeit später steht er davor …

… genau wie seine 3 Gefährten, die - Dank Ingalfs Ortskenntnis - einen einfacheren Weg genommen ha-ben …

… und fragt: "Kommt ihr mit hinein, oder wartet ihr wieder vor der Tür?"

"Da wir schon lange warten, kommen wir mit!"

Gemeinsam betreten die vier Gefährten den Tempel. Dort erkundigt sich Elgar nach den Übernachtungs-gästen Rovena und Hesander.

In den Tempel getreten schaut sich Edric neugierig um. In einem Tempel der Peraine ist er noch nie ge-wesen. Angesichts der vielen Kranken würde er gerne helfen und deren Leid ein wenig lindern, doch kennt er sich in der Heilkunde kaum aus. So weicht nach kurzer Zeit der neugierige Ausdruck in seinen Augen einem betretenen Schweigen. Mit leicht gesenktem Kopf steht er da, wie fehl am Platze …

Rovena befindet sich zu dem Zeitpunkt im Saal der Kranken und sitzt am Lager einer jungen Frau, die vom Fieber verzehrt wird. Sie legt ihr kühlende Um-schläge auf die Stirn und flößt der Stöhnenden mit gutem Zureden einen heilenden Tee ein, den sie aus getrockneten Blättern, Blüten und Früchten des Sa-tuariensbusches zubereitet hat. Sie hat auch nach Traschbartpulver oder Donf geschickt, die sie die Frau kauen lassen will, um ihr damit gegen ihre Fieber-schübe zu helfen. Als sie Elgars Stimme vernimmt, fährt ihr Kopf suchend hoch. Sie wirkt müde, ihr blei-ches Gesicht zeugt von einer unruhigen Nacht, und schon früh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang ist sie aufgestanden und hat ihre Kammer verlassen. Sie wollte nur ein wenig vor die Tür, an die frische Luft gehen, vielleicht sogar etwas weiter fort, so dass sie

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möglicherweise ein Wäldchen erreicht hätte. Aber in den Gängen traf sie dann auf eine Schwester, die sie zu einer Kranken gebeten hat. Angesichts des Elends dieser jungen Frau hat sie sich dann doch sogleich um sie gekümmert. Dabei hat sie der Schwester davon er-zählt, dass sie ihre Tante sucht und bisher nicht finden konnte, und sie auch gefragt, was denn an dem Gere-de wahr wäre, dass hier in der Gegend in letzter Zeit Frauen verschwunden sein sollen. Sie erzählt, dass sie sich Sorgen um ihre Tante macht.

Als ihre Blicke sich über die Entfernung quer durch den Schlafsaal der Kranken treffen, huscht ein leichtes Lächeln der Freude kaum wahrnehmbar über Elgars Züge. Er bedeutet seinen neuen Gefährten, am Ein-gang des Saals auf sie zu warten, denn offensichtlich ist wenig Platz für Herumstehende.

'Das Siechenhaus', Ingalf schaut sich um, 'wenn man das so sieht, dann will ich auf See oder mit der Orkna-se in der Hand sterben, aber nicht hier!'

Dann eilt er auf Rovena zu und begrüßt sie mit einem leisen aber freundlichen: "Guten Morgen! Es ist zwar früher als vereinbart, aber es ging nicht anders. Sobald Ihr eine freie Minute habt, würde ich Euch nach drau-ßen bitten wollen."

Dabei deutet er auf die Tür, in der immer noch sein 'Gefolge' wartet.

"Es hat sich da etwas ergeben …" deutet er an.

Sie blickt ihm mit sichtbarer Erleichterung entgegen. Endlich ist er da und erfreulicherweise auch noch frü-her als erwartet.

"Guten Morgen, Isinha," erwidert sie und ihre müde wirkenden Augen strahlen. "Das macht überhaupt nichts aus, dass Ihr früher gekommen seid. Ich bin hier gleich fertig, mehr kann ich für diese Frau nicht tun."

Rovena erhebt sich, wäscht sich die Hände und schickt sich an, dem Magier zur Tür zu folgen.

Leise sagt sie noch beruhigend zu der Kranken: "Ich komme gleich zurück."

Und mit einem knappen Nicken kehrt er zu Ingalf, Edric und Melachath zurück. Er bedeutet ihnen, dass Rovena sich alsbald zu ihnen gesellen wird.

'Von Hesander keine Spur. Was soll's. Der ist schon nicht verloren gegangen.' denkt er.

Rovena geht auf die Gruppe der Wartenden zu. Ihr Cape hat sie bei ihrem Tuchbeutel und dem Stab am Lager der Kranken abgelegt und so steht sie nun in ih-rem langen rostbraunen, seitlich geschlitzten Rock und der geschnürten dunkelgrünen Bluse vor ihnen, in ihrem breiten Hüftgürtel steckt, neben der Gürtel-tasche, ein Dolch. Die schlanke, Anfang Zwanzigjäh-rige ist nicht besonders groß mit ihren 1 Schritt 67. Sie streicht sich ihre blauschwarzen Haare aus dem Ge-

sicht und im Tageslicht schimmern die fünf silbernen Strähnen darin auf.

Während Elgar und Rovena sich noch wundern, wo Hesander abgeblieben ist, hören sie aus einem Neben-gang leise Schritte. Wenig später tritt Hesander zu El-gar und Rovena und begrüßt sie mit einem "Peraine und Hesinde zum Gruße. Ich freue mich, Euch wie-der zu sehen."

Dann bemerkt er die anderen und schaut Elgar fra-gend an. "Ihr habt Begleiter mitgebracht?"

Misstrauisch betrachtet sie die drei Fremden und blickt dann Elgar mit ihren smaragdgrünen Augen fragend an.

"Was hat sich denn ergeben?" will sie von ihm wissen.

Elgar wendet sich an Rovena und Hesander, als er er-klärt: "Das hier sind unsere neuen Freunde. Der mit der Axt ist Ingalf, der Schüchterne heißt Edric und unser aranischer Kamerad hier ist Melachath." stellt er die Gefährten kurz vor. Dann deutet er auf Rovena und Hesander: "Und das sind Rovena und Hesander."

Nach Abschluss der Vorstellung meint er zu Ingalf: "Du bist dran!" und fordert ihn so auf, die angekün-digte Überzeugungsarbeit zu leisten.

Ingalf steht auf seine Orknase gestützt in einer Ecke des Raumes und betrachtet Elgars Freunde. Die junge Frau erscheint nicht unsympathisch, nur die 5 Sträh-ne, die wie von einer Kralle gezogen aussehen, lassen ihn stutzen. Dem grün gekleideten Geweihten blickt er nur kurz und mit wenig Interesse an.

Als er dann mit Reden anfängt, wendet er sich daher auch hauptsächlich an Rovena: "Wir sind mit Elgar gekommen, weil wir noch Kameraden für eine Expe-dition suchen. Garhelt möchte, dass wir das Orkland erforschen. Wir drei hatten uns für den Auftrag gemel-det, aber ihr fehlte noch ein Wissenschaftler oder Ma-gier. Und den haben wir" 'hoffentlich' "in Elgar gefun-den. Nun, ist Garhelt aber auch der Meinung eine Frau muss immer dabei sein, und deshalb sind wir hier." Der Thorwaler blickt mit seinen braunen Augen in die grünen Augen Rovenas. "Wollt ihr mit?"

'Von 'nem Pfaffen hatte Garhelt zwar nicht geredet, aber bei Swafnir, was soll's?!'

'Wie, 'Wollt ihr mit?', ist das alles?' überlegt Elgar irri-tiert. 'Irgendwie müssen die Thorwaler anders mit den Frauen umgehen, als alle anderen Männer. Damit be-kommt er Rovena nie dazu, mit ins Orkland zu zie-hen!' grübelt er. Allerdings fällt ihm auch spontan nichts ein, was besser wäre.

Blitzartig kommt ihm eine Idee: "Sag mal, Edric. Da Du Orks kennst, was machen die so. Entführen die auch Menschen-Frauen? Denn das würde erklären, weshalb hin und wieder jemand verschwindet."

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"Hm," stammelt Edric verlegen. "Nicht dass ich wüss-te. Mich haben sie bisher nicht entführt, aber sie sind anders als wir. Und doch wieder gleich."

Und an Rovena gewandt: "Vielleicht wurde Eure Tan-te Opfer eines solchen Raubzugs. Dann könnten wir sie gleich mit befreien und Eure Suche wäre erfolg-reich." fügt er rasch hinzu. Deutlich ist ihm anzuse-hen, dass er seine Idee zur Überzeugung Rovenas für erste Klasse hält.

Rovena steht da und schaut von einem der Männer zum anderen. Die Ereignisse überrumpeln sie. Sie mustert Ingalf aufmerksam, erwidert seinen Blick, antwortet jedoch nicht gleich, sondern lässt ihre Au-gen neugierig weiter zu dem blonden Mann wandern, den Elgar als Edric vorgestellt hat. Was weiß er über die Schwarzpelze? Und könnten die Gerüchte tat-sächlich daher rühren? Dann bleibt ihr Blick an dem bisher wortlos neben den anderen stehenden, hüb-schen jungen Fremden aus Aranien hängen und ihre Augen weiten sich für einen kurzen Moment, ein An-flug eines Lächelns zieht über ihr Gesicht.

'Melachath … nett.' Sie versucht sich seinen, in ihren Ohren fremd klingenden Namen einzuprägen.

'Das ist ja vielleicht eine bunt gemischte Gesellschaft …' denkt sie abschließend bei sich und sucht Elgars Blick. "Meint Ihr wirklich, meine Tante könnte tat-sächlich von diesen Ungeheuern entführt worden sein?"

Sie setzt einen erschrocken wirkenden Gesichtsaus-druck auf und überlegt angestrengt. Die Peraine-Schwester hat ihr von Frauen erzählt, die beim Kräu-tersammeln verschwunden sind und dass man mun-kelt, dass sie ins Orkland verschleppt worden sein könnten. Ob tatsächlich Orks dahinter stecken, dazu konnte die Ordens-Schwester ihr nichts sagen.

Rovena überlegt und schaut Elgar nun versonnen an. Er ist der einzige, den sie schon ein wenig kennt. Al-lein kann sie nicht ins Orkland reisen, um die Ge-rüchte zu überprüfen. Da würde es sich anbieten, sich dieser Gesellschaft anzuschließen … sie nickt zö-gernd, aber zustimmend.

"Ihr könntet Recht haben," ergänzt sie ihre Frage. "Ich sollte mit euch kommen. Wartet einen Moment, ich habe noch etwas zu erledigen und hole meine Sa-chen."

Sie geht eilig zu dem Krankenbett zurück, gibt der Ordens-Schwester Anweisungen, wie sie der Kranken die Kräuter, so sie denn zu beschaffen sind, verabrei-chen muss, wirft sich ihr Cape um und nimmt den Tuchbeutel auf. So gerüstet steht sie wieder vor der Gruppe und sagt auffordernd: "Ich wäre soweit …"

Melachath räuspert sich. "Schönste aller Frauen, es wäre mir ein Vergnügen, wenn Ihr uns begleiten wür-det. Die Hetfrau sagte, sie wollte eine Frau. Ich hätte

nicht gedacht, dass wir jemanden treffen, der wie Ihr seid."

Bei Melachaths Worten kehrt ein wenig Farbe in Ro-venas Gesicht zurück. Sie schenkt ihm ein bezaubern-des Lächeln und neigt leicht den Kopf. 'Oh, der Hüb-sche ist ein Meister der schönen Worte! Was haben mir meine Schwestern doch von Aranien erzählt? Das un-sereiner dort ein recht hohes Ansehen genießt und gut leben kann, wenn ich mich nicht täusche …'

Sie hält locker ihren eineinhalb Schritt langen schwar-zen Stab in der linken Hand und lauscht weiter sei-nen Worten, ohne ihn zu unterbrechen. Es würde sie doch interessieren, warum diese Hetfrau, Garhelt, un-bedingt eine Frau bei der Reisegesellschaft haben wollte. Ein versonnenes Lächeln umspielt ihre Lippen …

"Das ist eine fürwahr göttergefällige Queste, die Ihr da anstrebt. Ich würde mich Euch nur zu gerne anschlie-ßen und das Orkland erkunden. Herr Elgar, dann lie-ße sich endlich die Theoretica orcis verifizieren oder falsifizieren. Eine wahrhaft hesindegefällige Aufgabe."

"Mir scheint, dass also alle soweit bereit wären, wenn noch ein wenig eingekauft wird. Vielleicht sollten wir zusammen besprechen, was wir noch brauchen. Es reicht ja, wenn einer dann zur Hetfrau geht und das Wenige bestellt. Das sollte im Laufe des heutigen Ta-ges sein. Dann sollten wir uns heute Abend noch mal richtig feiern, denn das dürfte für einige Zeit das letzte Mal sein. Morgen früh verabschieden wir uns dann und ziehen los."

"Ja." bestätigt Edric enthusiastisch. Je schneller er wie-der aus der Stadt herauskommt um so besser. Doch dies würde er Ingalf niemals anvertrauen, schließlich ist diese Stadt so etwas wie sein Herz.

Alles was er braucht hat er eigentlich. Aber das reicht nur, um sein Überleben sicherzustellen.

"Angelsehnen, Haken, Nadel und Faden, Schlafsack, Zelte, warme Decken, Kochgeschirr und Zwieback wären sinnvoll" murmelt er.

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht als er fortfährt: "Würdet ihr ein Ork-Weib entführen?"

Er schaut wieder zu Elgar zurück und senkt dann wieder den Blick.

Entsetzt sieht Elgar den jungen Hirten an: "Ork-Weib oder nicht. Eine Entführung ist und bleibt ein schwe-res Verbrechen! Eine solche Missetat ist nicht ent-schuldbar."

Fast aufbrausend kam diese Antwort und nur Rovena kann wirklich ermessen, dass er sich eigentlich bei dem Thema 'Entführung' noch zurückhaltend geäu-ßert hat. Seine Vergangenheit kann er nicht vergessen …

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"Verbrechen oder nicht kommt immer darauf an, wer die Gesetze macht." kontert der blonde Hirte. "Andere Länder, andere Götter, andere Sitten", fügt er noch knapp hinzu.

'Mutter Natur hat ihre eigenen Gesetzte. Da ist es egal ob Du Schaf oder Wolf bist …'

"Unser junger Freund ist ja ein richtiger Philosoph!" ist Elgar erstaunt, kommentiert den Inhalt jedoch nicht weiter.

"Nun, Herr Thorwaler", er blickt Ingalf an, "Ihr müsst nicht die Wahl zwischen Wissenschaftler oder Magier treffen. Ihr könntet beides haben."

"Oh, das ist ja klasse!" erwidert Ingalf, dann wendet er sich an Rovena: "Du bist also Wissenschaftlerin?"

Irritiert schaut Rovena den Thorwaler an, dann lacht sie kurz auf und erklärt ihm mit ihrer klaren Stimme: "Nein, da habt Ihr etwas falsch verstanden, Ingalf. Ich bin nur eine einfache Frau und ein wenig gelehrt …" sie wirft einen kurzen Blick zu Elgar und Hesander hinüber, "… in der Kräuterkunde."

Nur ein leises einmaliges Glucksen zeugt davon, dass Elgar sich kurz nicht in der Gewalt hatte. Fast hätte er los geprustet vor Lachen: 'Mensch Ingalf! Das hätte ich Dir gar nicht zugetraut!' bewundert er ihn im Stil-len. Sein Blick ruht merklich auf Hesander. 'Na, was sagst Du dazu?' überlegt er.

"Nun, da liegt ein Missverständnis vor. Frau Rovena ist eine Kräuterkundige, ich bin der Wissenschaftler in aller Bescheidenheit."

Er schaut Rovena und Elgar an.

'Dann sind es doch die Richtigen!' schießt es ihm durch den Kopf.

"Ingalf, wenn Du also einen Diener der Hesinde in Deinen Reihen zu schätzen weißt, reise ich gerne mit Dir", fügt Hesander in ungewohnt lässigem - aber wohl für die Umstände angemessenen - Ton hinzu.

"Nun, das mit dem Wissenschaftler wird sich zeigen." wirft Elgar ein. "Jedenfalls freue ich mich auf kon-struktive Debatten mit Euch."

Auffallend spricht Elgar nur Ingalf mit dem 'Du' an, allen anderen Nichtthorwalern jedoch lässt er die üb-lichen Höflichkeitsformen angedeihen.

"Du sagtest, Garhelt würde die Expedition finanzie-ren. Das trifft sich außerordentlich gut. Wenn nichts dagegen spricht, würde ich ihr gern einen Besuch ab-statten und eine 'Einkaufsliste' zukommen lassen wol-len. Außerdem habe ich noch einiges in der Akademie zu erledigen … Wir können also ohne weiteres in ein paar Wochen aufbrechen." fügt er noch hinzu.

'Einkaufsliste? In ein paar Wochen?' Ingalf glaubt, er hat sich verhört, aber was soll er sich mit dem Magier rumärgern, diesen Zahn kann ihm Garhelt schon sel-ber ziehen.

"Wir wollten sowieso wieder zu Garhelt, das weitere Vorgehen planen. Also von mir aus können wir los!"

An den Magus gewandt: "Meister der magischen Künste, meint Ihr nicht, dass es gut wäre, schnell auf-zubrechen und nicht erst in einigen Wochen? Im Mo-ment sind wir alle gesund und in einigen Wochen kann viel passieren. Vorbereitet sind wir morgen auch. Und Eure Studien in der Akademie verkraften sicher-lich auch einen Aufschub, denn ihr werdet als Magus in Eurer weiteren Laufbahn noch genug Zeit in stau-bigen Horten des Wissens verbringen. Sucht Eure Ausrüstung und Teile Eurer Unterlagen zusammen. Ihr könnt einen Teil auch einfach abends am Feuer le-sen."

Hesander kann ein Schmunzeln nicht verbergen, als er die Worte Melachaths hört. "Ich für meinen Teil wäre bereit, los zu ziehen, ich bin ohnehin seit mehre-ren Wochen auf der Reise gewesen."

"Ich richte mich da ganz nach euch," ist Rovenas Ant-wort. "Je eher ich weiß, was meiner Tante zugestoßen sein könnte, desto eher kann ich zu meiner Mutter zu-rück. Und ich brauche auch nicht viel, einen Schlaf-sack oder eine warme Decke, einen Kessel zum Ko-chen, ein paar nützliche Kräuter, Verbandsmaterial, genügend Proviant …"

Die junge Frau sinniert, was sie sonst noch brauchen könnte.

Er schaut von Elgar hin zu Rovena, die etwas beson-deres an sich hat. Irgendwie scheint sie hier fehl am Platze in ihrer Kleidung, nicht so aufgetakelt wie El-gar oder der Priester, selbst Garhelt hat sich nicht so aufgetakelt als er dort zu Gast war. Sie ist aber nicht so nachlässig gekleidet wie der Thorwaler. Eher natur-verbunden, wie seine eigene. Und dann sind da noch ihre Haare mit den silbernen Strähnen …

Nachdem Melachath geendet hat, wiegt Elgar leicht den Kopf. Nachdenklich antwortet er schließlich: "Nun, abstrakt generell betrachtet mögt Ihr sicherlich Recht haben. Aber individuell konkret ist das in unse-rem Fall unangemessen, überstürzt aufzubrechen. Meine 'Studien' betreffen die Reisevorbereitung. Es gilt zu ergründen, ob hier bereits Informationen niederge-legt wurden, die uns nützen können. Ihr mögt einfach Euer Pferd satteln und los reiten. Aber hier gibt es kei-nen Tross, der uns folgt und die notwendigen Dinge für uns erledigt. Ein Unternehmen dieser Tragweite will sorgsam vorbereitet sein. Pläne müssen gemacht, Ausrüstung zusammengestellt werden."

Langsam redet er sich in Rage. "Seid Ihr überhaupt schon mal allein auf eine solche Queste gegangen?" fragt er unverblümt.

"Also erstens werden wir keine Pferde mitnehmen. Pferde sind am Bodir unnütz. Der Boden ist zu sump-fig und Pferde sind zu wählerisch, als dass sie immer

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genug zu Fressen haben. Wir werden Maultiere mit-nehmen", wiederholt Melachath das Wissen der Het-frau. "Zweitens ist dies kein Krieg, wo uns ein Tross folgt. Wenn wir in einen Krieg ziehen würden, wären wir anders bewaffnet hier. Wir sagten ja bereits, dass wir kartographieren und nicht töten wollen. Drittens ist dies keine Queste. Keine Herausforderung. Mit wem sollte ich mich messen? Und vor allem: Wieso allein? Wer redet von allein? Wir alle hier ziehen ja immerhin los."

Nach kurzem Überlegen fährt er fort: "Nun gut. Sprecht hier mit einigen Zöglingen der Akademie, dass Sie, Herr Magus, sie im Lesen unterrichten. Su-chen Sie die Bücher aus, die gelesen werden wollen und lassen sie die Zöglinge nach den wichtigen Infor-mationen suchen. Um die Ausrüstung kümmern wir uns. Diese ist bis morgen fertig. Ich hoffe, Ihr müsst nicht jedes Buch einzeln abstauben und lesen, sonst dauert das noch Jahre."

Süßlich lächelnd erwidert Elgar daraufhin: "Und Ihr glaubt wirklich, was Ihr da gerade gesagt habt?" zwei-felnd schüttelt er den Kopf: "Na wenn das Kartogra-phieren 'keine Herausforderung' darstellt, weshalb glaubt Ihr wohl, seid Ihr nicht allein beauftragt wor-den, sondern wir sollen als - wohl gemerkt - gut ge-mischte Gruppe reisen? Ich will zwar Eure Ausbil-dung nicht in Zweifel ziehen, aber praktische Erfah-rung scheint Ihr mir keine zu haben."

Ingalf schüttelt den Kopf, als er den beiden zuhört: 'Wow, der Herr Magier scheint ja schon weit 'rumge-kommen zu sein, dass so zögerlich und ausweichend redet.'

"Aber natürlich! Das ist keine Herausforderung, son-dern ein Abenteuer. Das wir alle zusammen reisen sol-len liegt einzig und allein daran, dass wir unterschied-lich genug sind um vieles zu erreichen. Vergleicht es mit einer Rose."

Mit einem Blick zu Rovena: "Jedes einzelne Blatt kann noch so schön sein," an den Magus gewandt fährt er fort. "zur wunderbaren Rose einer Blüte gehö-ren mehrere Blätter. Ich denke, dass meine Ausbil-dung nicht so trocken, wie die der meisten Meister der Magie verlaufen ist. Allerdings heißt das nicht, dass ich Eure Ausbildung für minderwertig betrachte. Nur sehe ich nicht ein, warum wir noch ewig unnütz uns sammeln sollen, wenn wir doch eigentlich bereit sind. Uns wird nicht so viel Wissen fehlen, dass es für uns tödlich ist. Ich bin seit jeher etwas ungeduldig. Ich mag dieses Land, aber ich würde gerne mehr von der Welt sehen. Und wenn wir nicht reisen, reisen andere und werden den Ruhm bekommen, den wir uns jetzt schon holen könnten."

Die auf Rovena abzielende Metapher ist Elgar nicht entgangen, jedoch antwortet er nur: "Auch ein Buch hat viele Blätter respektive Seite. Sie wollen ebenso

alle gelesen sein, bevor die Entscheidung getroffen wird, ob der Umschlag dem Inhalt gerecht wird."

Er verschränkt die Arme vor der Brust.

"Wahre Größen misst sich nicht an dem Ruhm, der Euch so wichtig erscheint. Wissen ist Macht. Und der Umkehrschluss 'Nichts wissen macht nichts' ist alber-ner Unsinn." fügt er hinzu.

"Ungeduld ist der Untergang der Eiligen." zitiert er. "Schon Hiku-hal Gha schrieb: 'Bedencke all dein Thun. Und bedencke es vor dem Thun.'"

"Und trotzdem gibt es wichtige Seiten und unwichtige Seiten. Nicht alles in einem Buch ist sinnvoll, um es zu verstehen."

Er stößt sichtlich genervt die Luft aus.

"Und ich kann ein Buch vorzeigen, wo hunderte Frau-en und Kinder gestorben sind, weil ein Kommandant zu zögerlich war. Das sagt nicht viel. Wir beide wer-den viele Beispiele aufzeigen können, die unsere Seite untermauern. So kommen wir nicht weiter. Entweder wir durchforsten die Bücher zu mehreren, auf dass das Ganze ein Ende hat, oder wir wählen anhand des Buchtitels aus, welche Bücher wichtig und welche un-wichtig sind. Die wichtigen nehmen wir mit, die un-wichtigen bleiben hier. Der Vorteil, sofort zu gehen, liegt darin, dass jetzt alle zusammen sind und noch überhaupt losgehen wollen. In einem Monat kann sich das doch sehr geändert haben …"

Er dreht sich zu den anderen: "Sagt ihr doch alle auch mal etwas dazu!"

Hesander hat sich die Diskussion interessiert ange-hört, dann antwortet er auf die Frage: "Werter Krieger und werter Adeptus, jeder für sich hat aufgrund seiner Erfahrungen Recht. Sowohl Rondras Schwert als auch Hesindes Weisheit und Madas Gabe haben sich in al-len Zeiten und in den größten Schlachten wider das Böse, wenn sie vereint waren, als die stärksten erwie-sen. So möge sich jeder auf das konzentrieren, was er am besten kann und nach bestem Wissen und Gewis-sen dazu beitragen. Ein Krieger mit seinem Schwert, ein Fährtenleser mit seinen Augen und seiner Orts-kenntnis, ein Magier mit seinem Wissen und seiner Gabe."

An den Krieger gewandt: "Ein überstürztes Aufbre-chen könnte sich als töricht erweisen", dann schaut er den Magus an, "genauso wie übertriebenes Zaudern oder Zögern."

Dann schaut er in die Runde. "Was haltet Ihr davon, wenn jeder seine Ausrüstung vervollständigt und wir in zwei Tagen von heute an gerechnet aufbrechen?"

"Ich kann mit diesem Kompromiss leben. Ich bin so-gar gerne dazu bereit, dem Herrn Magus zu helfen, wenn mein Teil fertig ist. Allerdings weiß ich nicht, ob Menschen, die nicht Madas Gabe empfingen, in die Hallen der Akademie dürfen. Ich finde den Vorschlag

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gut. Dann können wir uns noch kennenlernen. Aller-dings sollten wir unsere Unterhaltung nicht an einem besseren Ort fortsetzen? Nicht dass wir uns hier noch anstecken. Das wäre der Reise sicherlich nicht dien-lich."

Hesander zieht eine Augenbraue hoch, als er die Zweifel seines Gegenübers hört. "Nun, Ihr könnt des-sen gewiss sein, dass Ihr im Hause der Herrin Peraine sicher seid, solange Ihr den Geboten der Zwölfe folgt."

"Weise gesprochen, Hesander." lobt Elgar. Er verneigt sich leicht zu Melachath hin und spricht: "Wohl an, so sei es. Ich werde meine Recherchen kurz halten. Aber ich glaube kaum, dass uns das Mitnehmen wichtiger - oder auch nur unwichtiger - Werke aus der Akademie-bibliothek gestattet ist. Sogar für die Magister der Schule selbst ist es eine reine Präsenzbibliothek. Aber vielleicht kann ich die Titel einiger besonders vielver-sprechender Werke in Erfahrung bringen und Euch, werter Melachath, morgen eine Liste überreichen. Ver-sucht dann, diese Werke anderweitig zu besorgen oder käuflich zu erwerben. Wäre Euch dieser Vorschlag zur Hilfe recht?" fragt er mit liebenswürdigem Ton.

"Aber gerne. Wobei ich vermute, dass ich nicht wirk-lich die richtigen Bücher auftreiben werde. Außerdem mangelt es mir an Geld, um diese zu bezahlen. Be-schränkt Euch auf zwei oder drei Bücher, dann wird die Hetfrau, das vielleicht unterstützen."

"Gut. Wenn jetzt alles klar ist, werde ich mich schleu-nigst an die Arbeit machen. Gehabt Euch wohl, alle miteinander." verabschiedet er sich allgemein.

An Melachath gewandt fügt er hinzu: "Ihr werdet die Liste spätestens zur Mittagsstunde beim Pförtner der Akademie vorfinden. Ich werde ihn anweisen, sie nur an Euch herauszugeben. Ihr könnt doch lesen?" fragt er sicherheitshalber nach.

"Hätte ich Euch sonst angeboten, dass ich Euch beim Suchen der Bücher helfe?"

"Ihr würdet kaum glauben, was in diesbezüglich schon alles erlebt habe! Aber diese Geschichten hebe ich mir für die langen Abende am Lagerfeuer auf."

Während der stellenweise hitzigen Unterredung der Herren hat sich Rovena nach und nach zurückgezo-gen und steht nun etwas abseits der Gruppe. Sie wirkt nachdenklich, während sie die so unterschiedlichen Männer versonnen beobachtet.

'In zwei Tagen also soll es los gehen … bis dahin wer-de ich mich noch ein wenig hier in der Stadt und den umliegenden Gehöften umhören,' sinniert sie. 'Und ich werde mir auch ein Quartier außerhalb der Stadt suchen … noch eine Nacht im Peraine-Tempel kommt gar nicht in Frage …'

Als die Diskussion zu Ende ist - 'Oh, Mann, was für ein Geschwafel! Hetfrau, was verlangst Du da von mir? Da war ja Randirion stumm wie ein Fisch!' -

fährt Ingalf dazwischen: "Nun, bevor ihr alle eure Plä-ne macht und auf Garhelts Kosten Bücher kaufen geht, sollten wir doch erstmal die Hetfrau entscheiden lassen, ob ihr überhaupt die richtigen für diesen Auf-trag seid!

Wir sollten sie auch - als Auftraggeber - über den rich-tigen Zeitpunkt des Aufbruchs entscheiden lassen!"

Er wendet sich zum Gehen, denn geredet wurde ja schon genug.

"Du beweist ebenfalls große Weitsicht, Ingalf." antwor-tet Elgar. "Ich bin gespannt auf Deine Hetfrau. Kön-nen wir sie nicht später am Tag einfach mal besuchen? Oder wäre das nicht passend?" fragt er den Thorwaler weiter.

"Wir haben der Muhme gesagt, dass wir vorbei kom-men, wenn wir die Gruppe zusammen haben", ant-wortet Ingalf kurz.

"Und das ist offensichtlich jetzt. Dann los, lassen wir sie nicht länger als nötig auf uns warten." erwidert El-gar daraufhin.

"Führe uns zu ihr." fordert er den Thorwaler auf.

"Das wohl!" murmelt Ingalf und stapft missmutig los.

'Ja, gnädiger Herr! Ich führe Euch gerne! Jawohl! Wenn der weiter so hochnäsig rumstänkert, muss ich ihn wohl mal auf den rechten Weg weisen!'

Den Ton Ingalfs ignorierend meint er nur: "Danke." und folgt ihm.

Edric hält sich während des Wortgefechts in seiner stillen Art im Hintergrund.

'Sie blöken wie Schafe', kommt ihm dabei in den Sinn, während er Menschen und Bauten in der Umgebung mustert.

Als Elgar sich zum Gehen wendet, fügt er an Rovena gewandt hinzu: "Begleitet Ihr mich noch ein Stück, ich würde Euch gern noch kurz sprechen. Aber da of-fenbar die Zeit drängt, wäre es nicht schlecht, dies beim Gehen zu erledigen."

Als Elgar sie unvermittelt anspricht, fährt sie aus ihren Gedanken hoch.

"Wie?" Sie schaut ihn erst irritiert an, dann lächelt sie und erwidert: "Ja, gerne, Isinha. Ich wollte sowieso ein wenig an die frische Luft. Entschuldigt, ich war in Gedanken. Wurde schon beschlossen, wo und wann man sich wieder zusammenfindet?"

Rovena tritt an seine Seite, um ihn zu begleiten.

Auf dem Weg zu Garhelt bleibt er mit Rovena etwas zurück, damit ihre Unterhaltung nicht von den ande-ren gehört wird.

Die junge Frau hält sich an seiner Seite und meint nach einem Moment des Schweigens: "Und, was woll-tet Ihr noch mit mir bereden?"

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Ein wenig steigt der Ärger über den gestrigen Abend wieder in Rovena auf, doch nach der beklemmenden Nacht in diesem Tempel hat er schon an Bedeutung verloren.

Hesander wird irgendwo hinter Ingalf und vor Elgar und Rovena gehen, schließlich hat er mitbekommen, dass die beiden ungestört reden wollen. Wenn man ihn ansieht, wird man feststellen, dass er bis über bei-de Ohren strahlt und ein Glühen in seinen Augen zu sehen ist. Mit leichtem Schritt geht Hesander hinter dem Thorwaler her und folgt ihm bis zur Hetfrau, es sei denn, der Weg dorthin wird durch irgendetwas un-terbrochen.

Immer aufmerksam darauf achtend, dass keiner der neuen Gefährten das Gespräch belauschen kann, fragt er leise: "Was haltet Ihr von unseren neuen Freunden? Die ganze Situation kommt mir, nun, ein wenig 'merkwürdig' vor. Gestern sprach dieser Hesander von einer Vision, die uns irgendwie im Orkland sah. Und heute, wie zufällig, stehen Ingalf, der Aranier und Ed-ric vor meiner Tür und haben eigentlich bestimmt, dass wir ins Orkland ziehen werden. Wisst Ihr, was ich meine?"

Sein Gesichtsausdruck wirkt nachdenklich, aber auch etwas besorgt.

Rovena schaut kurz zu ihm hin, dann wieder auf den vor ihr liegenden Weg. Leise entgegnet sie ihm: "Meint Ihr, dass tatsächlich wir die beiden Gestalten aus Hesanders Vision sein könnten? Irgendwie selt-sam ist das schon, ja, da habt Ihr recht, und mir kommt es auch nicht so vor, als ob sich die Herren kennen würden. Ich weiß auch noch nicht, was das al-les für mich zu bedeuten hat, aber von Euch hatte ich gestern den Eindruck, dass Ihr von der Idee, das Land der Schwarzpelze zu erforschen, recht angetan seid."

Sie stockt, wirft ihm wieder einen Blick zu und spricht dann weiter.

"Eigentlich trifft es sich doch ganz geschickt, dass wir nun, außer diesem Herrn Dracomir, noch weitere Be-gleiter haben. Ich weiß nicht viel über die Schwarzpel-ze, aber mir wurde geraten, dieses Land möglichst zu meiden. Nur wenn das Verschwinden meiner Tante, und anderer Frauen," fügt sie noch hinzu, "tatsächlich mit den Schwarzpelzen zusammenhängt …"

Weiter führt sie ihre Gedanken nicht aus, aber dann könnte sie ihrer Mutter zumindest berichten, dass da-hinter nicht die Inquisition steckt.

Elgar sieht sie von der Seite an, mustert ihr Profil, ehe er antwortet: "Ja, durchaus möglich. Ich habe davon gelesen, dass die Gabe manche dazu befähigt, Blicke in eine mögliche Zukunft zu werfen."

Dann fährt er fort: "Sicher wollte ich das Land der Schwarzpelze bereisen und erforschen. Aber eigentlich nach meinem eigenen Zeitplan. Und vielleicht nicht

gerade schon morgen." fügt er hinzu. "Andererseits habt Ihr auch Recht, dass es wohl besser ist, in einer relativ großen Gruppe zu reisen."

Rovena antwortet ihm nicht gleich, sie beobachtet die vier ungleichen Gestalten vor ihr, die sie wahrschein-lich auf der Reise in dies unbekannte Gebiet begleiten werden. Ihr Blick bleibt an den beiden Waffenträgern hängen. Leise murmelt sie vor sich hin: "Ich hoffe mal, dass wir nur auf friedliche Exemplare dieser Schwarzpelze stoßen …"

Ganz wohl ist ihr bei dem Gedanken an die Geschich-ten, die ihr über die Orks erzählt wurden, nicht. Ande-rerseits ist sie aber auch begierig zu erfahren, was hin-ter den Gerüchten steckt. Und wenn es brenzlig wird, wird sie sich schon zu helfen wissen …

"Tja, egal wie diese Orken sind, nur friedfertige Gesel-len wird es auch bei ihnen nicht geben." prophezeit er ihr.

"Das gibt es nirgendwo, höchstens bei den Elfen viel-leicht. Aber davon kenne ich keinen persönlich, so dass ich da lieber keine Vermutungen anstelle." ant-wortet Elgar.

Schweigend geht er den Rest des Wegs neben Rovena her. Ab und zu wirft er einen Blick auf sie.

Wieder bei GarheltAls die Gruppe bei Garhelt ankommt, dauert es einen kleinen Moment, bis sie vorgelassen werden.

"Donnerwetter, ihr seid aber schnell!" begrüßt sie In-galf und seine Begleiter. "Wen haben wir denn da?"

"Hallo Muhme!" beginnt Ingalf mit angedeuteter Ver-beugung. "Du hast gesagt, dass wir die Gruppe zu-sammensuchen sollen", er fängt breit an zu grinsen, "also haben wir das getan. Also wir haben da Elgar, Magier. Rovena eine Frau der Heilkunst und Hesan-der, Wissenschaftler. Aber eigentlich können sie sich auch selber vorstellen, oder?"

Er tritt zurück neben Edric und flüstert dem Hirten ins Ohr: "Jetzt wird das endlose Gerede wieder losge-hen, mal sehen wann Garhelt dazwischen haut!"

Garhelt nickt den drei Neuankömmlingen freundlich zu: "Willkommen, bei Swafnir! Ihr wollt also zusam-men mit Ingalf, Edric und Melachath das Orkland er-kunden?"

Bei der Nennung seines Namens tritt Elgar vor und verbeugt sich knapp, ohne den Blick von ihr zu wen-den: "Euer Hoheit. Ich hörte von Eurem Plan, das Or-kenlande zu erforschen. Auch ich hege diesen Wunsch, äh, seit einiger Zeit und würde mich der ex-peditiona gern anschließen."

Dann macht er einen halben Schritt zurück und war-tet.

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"Du bist offensichtlich Magus. Sehr schön! Wo hast Du denn gelernt?" fragt Garhelt freundlich.

Stolz richtet Elgar sich auf: "Ich bin Adeptus der bei Außenstehenden als 'Schule der wandelbaren Form zu Mirham' bekannten Academia und gelernt habe ich die magica mutanda bei Seiner Spektabilität Salpikon Savertin persönlich."

Nach seinen Ausführungen verbeugt er sich wieder leicht. Offenbar weiß er genau, wie man sich hochste-henden Persönlichkeiten gegenüber verhält.

"Klingt gut, mein Junge!" antwortet Garhelt großmüt-terlich. "Versteh' ich richtig, Dein Spezialgebiet sind die Verwandlungszauber?"

"Ganz recht!" ist Elgar begeistert. "Meine Ausbildung war zwar vielseitig, aber die thaumaturgische Beein-flussung unbelebter materia ist zweifelsohne …" - ein flüchtiger Seitenblick zu Ingalf

- der breit grinsend neben Edric steht -

offenbart ihm, dass jetzt nicht die richtige Zeit für aus-schweifende Reden ist - "… mein Spezialgebiet. Aber auch Kenntnisse bei fremden Sprachen und der Alchi-mie wurden nicht vernachlässigt." beendet er rasch seine Rede.

"Sehr schön! Sehr schön!" antwortet Garhelt und wen-det sich nun den anderen beiden Neuankömmlingen zu.

Hesander hat beim Eintreten eine Verbeugung ge-macht. Als er merkt, dass lange Phrasen hier fehl am Platze sind, spricht er als nächster.

"Hoheit, ich bin Hesander Dracomir, ein Diener der Hesinde und Sammler neuen Wissens. Eine Reise in das Land der Orks wäre ein überaus hesindegefälliges Ansinnen."

Mit einem Blick in Richtung Rovena überlässt er ihr das Feld.

"Ein Diener der Hesinde, wirklich!" Garhelt schüttelt den Kopf, so als ob sie es nicht fassen kann. "Die Göt-ter sind mit uns. Was soll euch jetzt noch zustoßen können?"

Während Elgar vorgetreten ist und zu reden begann, hat sich Rovena hinter ihm aufmerksam umgesehen. Nachdem nun auch Hesander seine Vorstellung been-det hat und der Blick der Thorwalerin auf ihr ruht, tritt auch sie einen Schritt vor und verbeugt sich leicht.

"Seid gegrüßt, Hetfrau," spricht sie mit klarer, fester Stimme. "Euer Bote …", ihr Blick begegnet Ingalfs, " … hat mir ausgerichtet, dass Ihr für die Erkundung des Orklandes eine Frau in der Gruppe wünscht. Und da ich mit dem Herrn Magus bekannt bin, fragte man mich. Ich wäre bereit, mich ihnen anzuschließen."

Sie wartet, etwas angespannt, auf die Antwort Garhelts.

Garhelt schaut Rovena lange prüfend an.

"Du bist genau die Richtige, … Tochter."

Mehr sagt sie erst einmal nicht. Ein feines Lächeln umspielt ihre Lippen. Dann fällt ihr noch etwas ein.

"Ich glaube, wir sollten uns nachher kurz unter vier Augen besprechen, so von Frau zu Frau."

Aufmerksam beobachtet Elgar diese Szene: 'Aha, sehr interessant.' denkt er sich. 'Als ob es eine stumme Ver-ständigung zwischen ihnen gibt. Ob sie beide der con-versatio magicae fähig sind? Aber würde ich dann nicht die Kraft fließen spüren?' grübelt er.

Bei Garhelts Betonung des Wortes Tochter zuckt Rove-na leicht zusammen. Sie neigt kurz den Kopf und ant-wortet ihr gefasst: "Wie Ihr wünscht, Hetfrau."

Ihre smaragdgrünen Augen blitzen Garhelt unruhig an. 'Was will sie mit mir besprechen …?' fragt sie sich.

Sie ist neugierig, aber gleichzeitig auch besorgt.

'Hmm, die drei sind echt Klasse!' denkt sich Ingalf. 'Die ganze Zeit reden sie ununterbrochen und jetzt stehen sie hier stumm wie die Fische! Und jetzt sind auch noch >die Götter mit uns<!'

Nach der allgemeinen Begrüßung und Vorstellung wartet Elgar, bis gerade niemand mehr spricht und wendet sich an Garhelt: "Euer Hoheit, so gern ich auch weiter Eure Gesellschaft genießen würde, so sprach Ingalf sehr eindringlich von der Eiligkeit des Unternehmens. Ich habe noch umfangreiche Vorberei-tungen zu treffen und wäre hoch erfreut, mich jetzt zurückziehen zu dürfen. Der Reise mehr als dienlich wäre es auch, wenn ich noch ein gewisses magisches Ritual vollziehen könnte, bevor es los geht, dafür be-nötige ich allerdings mindestens einen Tag und einen weiteren Tag, um mich von den Strapazen zu erholen. Mit Eurer Erlaubnis …"

Er verbeugt sich und wendet sich zum Gehen.

"Nicht so schnell, junger Adept!" ruft ihn Garhelt zu-rück. "Zuerst sollten wir noch ein paar Dinge bespre-chen. Zuerst solltet ihr planen, was ihr alles auf die reise mitnehmen wollt. Die Beschaffung wird mögli-cherweise ein paar Tage dauern. Dann kannst Du im-mer noch Dein Ritual vollziehen."

"So sei es." bekommt sie zur Antwort.

Garhelt ruft einen Schreiber herbei.

"Joku, schreibe alles auf, was die jungen Leute brau-chen!" weist sie ihn an.

Elgar tritt sodann an die Seite von Joku und diktiert ihm in den Griffel, was seiner Meinung nach benötigt wird: "Schreib." fordert er ihn auf. "3 Zelte, Decken, 50 Schritt Seil, große Wasserschläuche und kleine Feld-flaschen für jeden, Kochgeschirr, ein Zeichenbrett, Pergamente, eine wasserdichte Hülle dafür, Tusche, Pinsel, Griffel, Schreibfedern, Tinte in mindestens zwei verschiedenen Farben, ein Sextant, ein Südwei-

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ser, Graphit, 3 Sturmlaternen, Lampenöl, Rationen für 2 Wochen pro Person."

Sobald Joku alles notiert hat, fragt er in die Runde: "Fällt noch jemandem etwas ein, das ich vergessen habe?"

Eilig schreibt Joku alles mit. Als er fertig ist, bemerkt Garhelt: "Hm. Das meiste wird kein Problem sein. Ein Südweiser wird schwierig, schauen wir mal. Aber was ist denn ein Sextant, und was ist Graphit?"

"Nun, ein Sextant ist ein Gerät, das dabei hilft, die ei-gene Position zu bestimmen. Ich las davon in den ko-pierten Aufzeichnungen eines Feinmechanikers und Erfinders aus Havena. Leider will mir gerade sein Name nicht einfallen. Aber er war so ähnlich wie Len-hard oder Leonhard.

Man peilt damit die Sonne oder bekannte Sterne an und kann durch Ablesen einer Skala den Winkel des Himmelskörpers über dem Horizont bestimmen. Wenn man diese Prozedur jeden Tag zur gleichen Zeit wiederholt, lässt sich daraus errechnen, wie weit man vorwärts gekommen ist. Angeblich soll das Gerät für die Seefahrt entwickelt worden sein, wo andere Be-zugspunkte fehlen.

Und Graphit ist ein Material, das die Zwerge entdeckt haben, als sie nach Diamanten schürften. Auch davon habe ich gelesen. Es soll so ähnlich aussehen wie Blei, aber kein Metall sondern eine Form der Kohle sein. Man kann damit auf Papier schreiben oder malen und es erzeugt graue Schattierungen und Linien."

Nun ist Elgar ganz der Wissenschaftler und sein Blick verrät, dass er sowohl Garhelt wie auch den anderen gern alles darüber erzählen würde.

"Ich glaube nicht, dass es diese Dinge in Thorwal gibt, werde mich aber darum bemühen", erwidert der Schreiber vorsichtig.

Hesander nutzt die kleine Pause Elgars, um sich ein-zuklinken.

"Nun, ich denke, Graphit ist zwar schön und gut, aber wir werden zur Not auch ohne auskommen", sagt er fast beschwichtigend in Richtung Garhelt und Elgar.

"Ich für meinen Teil habe meine sieben Sachen zu-sammen und die Auflistung des Adeptus ist für dieses Unternehmen wohl bedacht gewesen. Wir sollten al-lerdings, bevor wir abreisen, um den Segen der Zwölfe beten. Ich mag zwar für unser aller Seelenheil auf der Reise sorgen können, doch hängt unser Erfolg oder Misserfolg allein vom Willen der Zwölfe ab."

"Nicht allein", entgegnet Garhelt trocken. "Ein wenig wird auch euer eigenes Können eine Rolle spielen."

"Ach ja, da fällt mir noch etwas ein. Der Sextant soll eine Weiterentwicklung des Quadranten sein, eigent-lich 'nur' eine wesentlich genauere Version davon.

Eventuell könntet Ihr uns einen Quadranten besor-gen?" fragt er hoffnungsvoll nach.

Der Schreiber macht mit einem Brummen sich eine entsprechende Notiz. Dann schaut er die anderen ab-wartend an.

"Hmm, Elgar hat zwar an vieles gedacht, aber wir wollen ja nicht nur trockene Rationen essen, daher wären ein paar Töpfe und Pfannen, Messer und Ga-beln nicht schlecht." fügt Ingalf der Liste hinzu.

Der Schreiber notiert alles. Beim letzten Wort stockt er aber. Garhelt schaut Ingalf halb entsetzt an: "Hast Du gerade eben 'Gabeln' gesagt?"

"Natürlich Gabeln", antwortet Ingalf, "Fleischgabeln, oder sollen wir das Fleisch mit den Fingern in der Pfanne umdrehen?"

Garhelt lacht laut auf: "So etwas passiert, wenn ein Thorwaler in die Welt zieht, er braucht eine Gabel zum Wenden des Fleisches!"

Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

"Aber nun mal ernsthaft: Waffen, Rüstungen und Mu-nition habt ihr zufriedenstellend?"

"Hmm, Rüstungen stören nur", Ingalf versucht die Aufmerksamkeit Garhelts wiederzuerlangen, "aber eine Ersatz-Orknase und eine Handvoll Schneidzähne wäre nicht schlecht!"

"Eine Orknase, drei Schneidzähne", diktiert Garhelt Joku.

"Rüstungen schon, da hast Du Recht. Aber was ist mit Kleidung?" fragt Elgar. "So einen schweren wetterfes-ten Umhang oder Mantel und ein paar Stiefel wären sicher nicht schlecht. Zumindest für mich." ergänzt er.

"Wetterfester Mantel und Stiefel für den Magus", schreibt Joku auf.

Dann überlegt Ingalf kurz: "Da Edric und ich auch noch Pferde haben, die ja nicht mit auf die Reise sol-len, können wir diese irgendwo sicher unterbringen?

Und wie sieht das mit den Maultieren aus, Muhme, sollten die nur als Last- oder auch als Reittiere genutzt werden? Denn für den Krempel, den Elgar mitneh-men will, brauchen wir sicher 2 Tiere, wenn wir auch reiten sollen, sind es 8!"

"Äh, Moment mal." fährt Elgar an Ingalf gewandt da-zwischen. "Reiten? meinst Du, auf einem Pferd oder Maultier?"

Sein Ton verrät unmissverständlich, was er davon hält, nämlich nichts.

"Das ist in Bezug auf meine Person keine gute Idee." fügt er hinzu.

Und in seinen nicht vorhandenen Bart murmelt er: "Schusters Rappen, ja. Garhelts Rappen, nein."

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"Natürlich Maultier, Bidenhocker wirst Du hier nicht finden!" antwortet Ingalf - nebenbei sein Wissen aus der Wüstenquerung einstreuend.

"Die Pferde stellt ihr natürlich hier unter. Acht Maul-tiere auf einem Haufen muss man erstmal finden. Und dann sollen sie sich noch untereinander vertra-gen. Nee, nee, ihr werdet zu Fuß zu gehen."

Da ist sich Garhelt ganz sicher.

"Danke!" murmelt Elgar so leise, dass wohl keiner der Umstehenden ihn gehört hat. Sein Mund und seine Augen verziehen sich jedoch zu einem leichten und befriedigten Lächeln und er nickt mehrmals leicht.

'Na Klasse, wir haben ja Zeit!' murmelt er unverständ-lich.

Rovena tritt verhalten an den Schreiber Joku heran.

"Notiert bitte noch Verbandsmaterial, und Heilkräuter für Wundbehandlungen, gegen Krankheiten und Ver-giftungen sollten wir auch dabei haben, mein Vorrat ist nicht mehr so üppig. Und ein Kessel wäre auch recht praktisch, warme Decken und Proviant hat Herr Arres ja schon genannt," fügt sie noch zögernd hinzu.

"Sehr gern die Dame", erwidert der Schreiber höflich. "Wäre Leintuch als Verbandsmaterial genehm?"

Garhelt unterbricht: "Wegen der Heilkräuter gehst Du am besten zu Luvia in der Krämergasse. Joku, Du setzt ein Schreiben auf, dass Einkäufe im vernünftigen Rahmen vom Hetman beglichen werden."

Joku nickt und macht sich eine Notiz. Dann fragt er noch an Rovena gewandt: "Nadel und Garn hast Du?"

"Zum Nähen von Wunden oder zur Ausbesserung der Kleidung?" fragt Elgar nach.

"Sofern nicht zuviel verlangt wird, ich habe etwas da-bei." fügt er noch hinzu.

Garhelt zuckt die Achsel: "Wieviel ihr braucht, das müsst ihr wissen."

"Für einen mehrwöchigen Marsch durch die Wildnis reicht mein eigener Vorrat wohl nicht, wenn es um die Garderobe und mögliche Wunden von 6 Personen geht. Also packt ruhig etwas dazu." weist er Joku an. "So, 2 Rollen festes Garn und mehrere Rollen leichten Nähgarns sollten reichen. Für Wunden sollen sich die - selbstverständlich gesäuberten - Gedärme von Tie-ren, z.B. Katzen, sehr gut eignen. Ein Magister der Brabaker Akademie schrieb in einem Folianten, den ich zu lesen die Freude hatte, über die guten Eigen-schaften dieses Materials. Damit vernähte Wunden sollten weniger zur Narbenbildung neigen und die Fäden müssten auch nicht wieder heraus geholt wer-den."

Schon ist Elgar wieder bei ausschweifenden Erläute-rungen.

"Vielleicht sollten wir ein paar Katzen mitnehmen. Nur zur Sicherheit." überlegt er halblaut.

Joku schreibt fleißig mit.

Rovena hat auf Jokus Frage nur mit dem Kopf genickt, zum Antworten kam sie gar nicht mehr. Neugierig hört sie Elgars Ausführungen zu. Natürlich hat sie Nadel und Faden dabei und für wirklich schlimme Wunden gibt es ja auch noch andere Mittel … sie grinst leise vor sich hin.

"Hoffen wir, dass wir es nicht allzu oft brauchen wer-den …" murmelt sie leise vor sich hin.

"Vielleicht auch ein paar Schweine und Rinder", feixt Ingalf, "dann haben wir immer genug Lebensmittel und Leder!"

Hesander geht sozusagen dazwischen und meint: "Nun, ich denke, dass wir einen Teil dessen, was wir benötigen, auch unterwegs finden werden, wenn wir es nicht schon hier bekommen und mitnehmen kön-nen."

"Wo Ihr gerade so in Geberlaune seid," merkt Elgar an, "könnte ich noch ein oder zwei Tränke restitutio-nierender Art bezüglich astraler Kraft - nur für Notfäl-le - gebrauchen. Solltet Ihr solche nicht zur Hand ha-ben, kann ich sie mit der richtigen Laboreinrichtung und den nötigen Zutaten auch, äh, schnell selbst her-stellen." bietet er an.

Joku schreibt noch nichts auf, sondern schaut zu Garhelt.

"Hm, Joku das wird noch ein Brief, diesmal für seine Spektabilität. Mein Einfluss ist da aber beschränkt. Schau mal, ob Dir geholfen wird", antwortet diese - mehr als zweifelnd.

"Bereits Eure Bereitschaft, sich für mich zu verwen-den, ist mehr, als man erwarten darf." antwortet Elgar mit einer Verbeugung.

"So wir nun alles besprochen haben, würde ich mich doch zurückziehen wollen." greift er das ursprüngli-che Anliegen wieder auf. "Mit Eurer Erlaubnis."

"Gut. Wenn Du es so eilig hast …" Garhelt zuckt die Achsen. "Du kannst morgen wiederkommen und Dir den Brief holen. Dann werden auch ein Schneider und ein Schuster zum Maßnehmen da sein."

Noch einmal verbeugt sich Elgar leicht. Zum Ab-schied hebt er für die anderen grüßend die Hand und erwidert: "Bis morgen!"

Dann dreht er sich um und mit wehender Robe stiefelt er hinaus.

Direkt von Garhelts Langhaus aus begibt sich Elgar ohne Umwege zurück zur Schule der Hellsicht. In der ihm zugewiesenen Kammer kramt er aus seinen Sa-chen ein sorgsam eingeschlagenes Buch hervor und blättert suchend darin. Als er das gewünschte Kapitel gefunden hat, beginnt er mit dem aufmerksamen Le-sen bei "Vom zweyten Zauber des Stabes" und ver-sucht, sich alle Einzelheiten einzuprägen …

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Melachath hat eine Weile daneben gestanden und ge-murmelt und überlegt, was er noch braucht.

Als alle fertig sind, meldet er sich zu Wort: "Hmmm. Ihr alle habt vieles aufgezählt, aber ich denke, da wir noch einen Tag auf unseren Adepten der Kraft Madas warten müssen, werde ich wohl einen Teil meiner Sa-chen selbst besorgen."

An die Hetfrau gewandt fährt er fort: "Hetfrau Garhelt, was Ihr noch besorgen könntet, wäre folgen-des: Ein Hammer, 50 Nägel, ein Beil und eine Säge, eine Schaufel, ein kleines Fischernetz und einen or-dentlichen Schlafsack. Ich selbst werde wohl morgen auf dem Markt noch eine schöne Pfeife kaufen, wer weiß, ob wir auf dem Weg genug Muße haben, eine Wasserpfeife zu rauchen. Und ich werde wohl auch noch zwei Wurfspeere und einen Kurzbogen mit Pfei-len kaufen. Ohne euch nahe treten zu wollen, aber ich denke, dass man Waffen selbst kauft."

Joku schreibt alles mit. Garhelt zuckt bezüglich der Waffen nur die Achseln: "Wie Du meinst."

"Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du in der Stadt bessere Waffen findest?" fragt Ingalf Melachath un-gläubig.

"Nein, das glaube ich allerdings nicht. Nur möchte ich eben auch einen eigenen Beitrag leisten und mir nicht alles bezahlen lassen. Außerdem habe ich bei Waffen gerne die Wahl und gucke mir da erst mehrere an. Eine Waffe muss ja auch gut in der Hand liegen."

Garhelt räuspert sich: "Es ist doch klar, dass ihr eure Waffen selbst auswählt. Das können wir gleich im An-schluss machen - in Trondes Waffenkammer."

"Dann nehme ich doch meine Waffen hier mit. Aber ich möchte dafür etwas entrichten!"

"Tust Du, mein Junge, tust Du!" seufzt Garhelt. "Du erkundest das Orkland."

"Was meinst Du, Melachath, wollen wir ein paar Sa-chen aussuchen?" fragt ihn Ingalf. "Wir können ja mal probieren, wie lange Du Dein Hämmerchen in der Hand hast, wenn Dir jemand mit einer Orknase ge-genüber steht!"

"Das würde ich gerne ausprobieren. Es sind vom Ge-brauch her ja gar nicht so unterschiedliche Waffen."

"Hoheit", sagt Hesander, "ich benötige nichts außer das, was ich am Leibe trage und was einige Vorredner bereits bestellt haben. Einen wetterfesten Einband für mein Tagebuch sowie eine wasserfeste Pergamentrolle wären das einzige, das ich benötige. Darüber hinaus noch neues festes Schuhwerk und einen warmen Mantel. Alles weitere führe ich von der Reise hierher mit mir."

"'Wasserfeste Pergamentrolle' ist leider ein Wider-spruch in sich. Du kannst aber einen Beutel aus Fischhaut bekommen, worin Du Pergament und Ta-

gebuch aufbewahren kannst. Der hält ganz leidlich trocken. Mantel und Schuhwerk, noch einmal. Gut. Maßnehmen ist morgen früh." Garhelt grinst auf ein-mal fröhlich.

Seit Elgar die Gesellschaft verlassen hat, fühlt Rovena sich ein wenig verloren unter den ihr Fremden. Sie wartet eigentlich nur noch darauf, dass Garhelt sie zu der angekündigten Unterredung unter vier Augen bit-tet, dann will sie hinaus aus der Stadt und ihrem Be-dürfnis, ein Wäldchen in der Umgebung aufzusu-chen, nachgeben. Sie verfolgt aufmerksam die Gesprä-che der Anwesenden, überlegt, ob sie noch etwas ver-gessen haben könnte, aber ihr fällt im Moment nichts ein, was nicht schon erwähnt wurde.

Zum Schluss meldet sich auch Edric. "Eine schöne warme Wolldecke, das wäre zu gütig von Euch. Sonst habe ich alles, was ich brauche."

Garhelt zieht nur eine Augenbraue hoch, sagt aber erste einmal nichts weiter. Sie wartet einen Moment ab.

"Komm' schon Edric! Statt der Decke nimm' lieber 'nen Schlafsack, gut gefüttert!" meint Ingalf zu seinem schüchternen Freund. "Ich würde nämlich auch einen brauchen!"

"Wenn Du meinst", kommt es zögernd von Edric.

"Aber sicher!" sagt Ingalf und klopft im freundschaft-lich auf die Schultern.

Und so schreibt Joku zwei zusätzliche Schlafsäcke auf.

"Jo. So einen Schlafsack bräuchte ich auch noch. Aber ich kann ihn mir auch einfach morgen selbst besor-gen. Ich finde, ich habe die Hetfrau mehr als genug Ausrüstung besorgen lassen. Jetzt tue ich auch selbst was!"

Garhelt verdreht nur die Augen.

"Das sagt sich leicht, wenn ein voller Beutel am Gürtel klimpert", erwidert Ingalf mit einen eingefrorenen Grinsen.

"Ich lade Euch heute Abend ein. Wer immer bei unse-rer Reise mitgeht, ist heute Abend in die aranische Botschaft eingeladen. Ich bin der Meinung, wer etwas hat, der soll etwas davon an die abgeben, die weniger haben."

"Nun, ich denke Edric und ich werden das Angebot gerne annehmen, oder?" Ingalf schaut seinen Gefähr-ten an.

Edric nickt.

Erst wendet er sich den restlichen Gefährten zu: "Was ist mit euch? Feiern wir heute alle zusammen, bevor wir dann - hoffentlich bald - aufbrechen?"

Dann wendet sich Ingalf an die Hetfrau: "Wann sollen wir denn eigentlich aufbrechen?"

Trocken erwidert Garhelt: "Sobald ihr fertig seid."

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'Sobald wir fertig sind!' grummelt Ingalf in Gedanken. 'Edric und ich sind fertig, das Geld wird knapp, aber der Herr Magier muss noch dieses und jenes machen. Und dann noch die maßgefertigten Klamotten - oh, Mann!'

"Da sich scheinbar sonst keiner für Waffen interessiert, können wir auch schon aufbrechen!" meint Ingalf, dem das ganze Organisieren langsam aber sicher zu langweilig wird.

"Wenn ich mich nicht täusche, ist bei der Waffenkam-mer auch ein Fechtboden. Da können wir 'n paar Runden drehen!"

Dann sieht er sich um, was die anderen so jetzt unter-nehmen wollen.

Als dann Melachath sie alle zu einem Fest einlädt, mustert sie ihn wieder neugierig, bevor sie auf Ingalfs Frage antwortet: "Ich komme natürlich auch, es ist eine gute Gelegenheit, sich gegenseitig ein wenig ken-nenzulernen."

Nachdenklich schaut sie zur Tür, hinter der der Ma-gier verschwunden ist.

'Er wird dann wohl nicht dabei sein …' sinniert sie und ihr Blick wandert hin zu dem jungen Aranier.

"Habt Dank für Eure großzügige Einladung, Herr Melachath. Doch sagt mir bitte noch, wo ich die arani-sche Botschaft finde." spricht sie zu ihm mit ihrer ein-nehmenden Stimme.

"Das können wir ganz einfach regeln", mein Garhelt. "Die Herren gehen jetzt mit Joku in die Waffenkam-mer und suchen sich aus, was sie brauchen. Und wir beide plauschen noch ein wenig. Ein Bediensteter wird dich dann zur Botschaft bringen. Was meint ihr?"

Sie schaut die fünf fragend an.

"Das wohl!" meint Ingalf, kurz und knapp. Er freut sich schon darauf, es dem Aranier mit einer Orknase zu zeigen.

"Auch ich finde, dass dieser Vorschlag sehr gut klingt. Wenn ihr jemanden Elgar hinterher schickt, wäre das natürlich auch sehr nett, denn er ist natürlich auch eingeladen, wie ihr natürlich auch. Allerdings vermute

ich, dass der Herr Magus in seine Bücher vertieft nicht erscheinen wird."

"Das wird sich regeln lassen", erklärt Garhelt.

"Ich komme mit", kommt es von Edric.

"Natürlich!" Ingalf schaut ihn ungläubig an. "Meinst Du etwa, ich hätte Dich hier alleine stehen lassen?!"

Rovena neigt bei Garhelts Vorschlag zögernd, doch zustimmend den Kopf, obwohl sie ihre Pläne, durch einen besinnlichen Streifzug durch einen Wald wieder zu innerer Ruhe und Ausgeglichenheit zu gelangen, damit als hinfällig ansieht. Diese Nacht im Tempel hat an ihren Nerven gezehrt und sie benötigt eigent-lich einen Ausgleich. Doch sie will nicht auffallen. Es wird sich schon noch eine Gelegenheit ergeben. Ihr Blick wandert von Garhelt zu Ingalf und bleibt an Melachath hängen.

'Er kann wohl Gedanken lesen,' sinniert sie amüsiert, 'dass er an Isinha denkt. Ein aufmerksamer Mensch und bestimmt ein netter Begleiter.'

Sie schenkt ihm ein Lächeln.

Das er natürlich erwidert, auch wenn er nicht weiß, wieso sie ihm die Güte eines Lächelns schenkt.

Hesanders Blick erhellt sich. "Es wird mir eine Ehre sein, Eurer traviagefälligen Einladung Folge zu leis-ten."

Wenn die anderen sich zum Hinausgehen anschicken, wird Hesander in den Perainetempel zurückgehen und seine Ausrüstung überprüfen. Dann wird er vor den Schrein der Peraine treten und für das Wohl der Gruppe beten, bevor er abends dann in die aranische Botschaft gehen wird.

Hesander verbeugt sich noch einmal vor der Hetfrau, dann verlässt er mit den anderen das Langhaus der Hetfrau.

"Ich werde mich dann heute Abend in der Botschaft Araniens einfinden. Bis dahin werde ich für uns be-ten."

Mit diesen Worten schlägt Hesander einen anderen Weg als die übrigen Gefährten ein und geht zum Pe-rainetempel.

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ReisevorbereitungenRovena

ls alle anderen weg sind, bleiben Garhelt und Rovena allein zurück.AA

Garhelt schenkt Rovena und sich einen Tee ein und schaut die junge Frau einen Moment prüfend an. Dann spricht sie: "Die Männer wissen es nicht, oder?"

Etwas unwohl beobachtet Rovena, wie die anderen den Raum verlassen und sie nun mit der Hetfrau al-lein zurückbleibt. Weshalb hat sie sie so auffällig Toch-ter genannt? Diese Frage beschäftigt sie schon etwas. Gerade hat sich die junge Frau ihre Tasse Tee genom-men und an die Lippen gesetzt, als die Worte Garhelts sie erstarren lassen. Doch bevor sie der Hetfrau ant-wortet, schaut sie ihr einige Sekunden starr in die Au-gen. Rovenas Augen verfärben sich, der Farbton der Iris wechselt von dem leuchtenden Smaragdgrün zu einem dunklen Purpur, fast schon violett. Aber Garhelt bemerkt davon nichts, auch zeigt ihre Iris kei-ne Veränderung. Rovena atmet tief durch, nachdem sie den Hexenblick beendet hat und betrachtet kurz die Tasse in ihrer Hand, bevor sie wieder aufschaut und Garhelt möglichst ahnungslos antwortet: "Was meint Ihr damit, Hetfrau? Was sollen die Männer nicht wissen?"

"Das Du, wenn ich mich nicht total vernavigiert habe, eine Tochter Satuarias bist." Garhelt ist ganz ruhig.

Rovenas Augen verengen sich, sie mustert Garhelt sehr aufmerksam. Also doch, sie hat es befürchtet, die Hetfrau scheint sie durchschaut zu haben. Trotzdem bewahrt sie Ruhe, denn sie hat nicht das Gefühl, dass ihr von der Thorwalerin Gefahr droht. Schließlich will diese ja, dass sie mit ins Orkland zieht.

"Wie seid Ihr darauf gekommen, Ihr selber seid keine Schwester," will sie von Garhelt wissen und fügt noch leise hinzu: "Und nein, ich denke nicht, dass die Män-ner es wissen. Es ist auch besser so …"

Nachdenklich trinkt sie einen Schluck Tee.

"Keine Sorge. Mit dem Alter lernt man auch, auf die kleinen Zeichen zu achten. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es Dir unangenehm ist, als Hexe erkannt zu werden. Dabei sind immer wieder welche gerade hier in der Akademie zu Gast. - Moment mal, Du kommst aus dem Mittelreich, nicht wahr?"

Ein Ahnen zeigt sich auf Garhelts Gesicht.

"So, sind sie das …" murmelt Rovena leise und ver-zieht leicht das Gesicht, nickt dann jedoch und ent-gegnet: "Richtig, ich komme aus Weiden, aus der Ge-gend von Nordhag, dem Blautann. Es ist nicht immer gesund, sich als Tochter Satuarias zu erkennen zu ge-

ben und ich bin gewohnt, es, so gut es geht, zu verber-gen."

Sie stößt ein kurzes, hartes und sarkastisches Lachen aus, hält inne und spricht dann nachdenklich weiter: "Eigentlich meide ich den Umgang mit Magiern und Geweihten, es war ein Zufall, dass Herr Arres mit mir zusammentraf. Ich kam erst gestern hier in Thorwal an und geriet dann auch gleich noch in eine Vision."

Über ihr Gesicht huscht ein Grinsen, während sie Garhelt weiter aufmerksam beobachtet.

"Verdammte Bannstrahler!" Ein Großmütterchen knurren zu hören, ist ein neues Erlebnis für Rovena. "Aber sei beruhigt, die haben keine Macht in Thorwal. Gut, das einfache Volk hat manchmal abergläubische Vorstellungen bezüglich Hexen, aber wer schon einmal hinter den eigenen Horizont geschaut hat, der weiß, dass die Töchter Satuarias ein Segen für uns alle sind. Einzelne Ausnahmen gibt es natürlich immer. Du kannst es aber halten wie ein Segelreffer. Irgendwann wirst Du Deine Kräfte sowieso offenbaren. Die Vision eines Dieners der Hesinde sollte man nicht unter-schätzen. Ich habe es vorhin absolut ernst gemeint da-mit, dass die Götter meinem und damit eurem Vorha-ben wohlgesonnen sind."

Garhelt lehnt sich zurück.

"Pass' auf! Hesander wird Dir wahrscheinlich bald ein Loch in den Bauch fragen", gluckst sie.

Bei der Erwähnung der Bannstrahler spannt sich Ro-vena unwillkürlich an, in ihren schönen, smaragdgrü-nen Augen, die sich gefährlich verengt haben, lodert ein verzehrendes Feuer von Hass und Verachtung. Die Qualen ihrer Schwestern in den Folterkammern der Inquisition kann sie förmlich fühlen, sie kennt die Drohung der Praiospfaffen, jede Schwester kennt sie … Aber nur für einen kurzen Moment lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf, dann hat sie sich wieder unter Kontrolle.

Bei den weiteren Worten der Hetfrau wandelt sich ihr Gesichtsausdruck zu einem beinahe ungläubigen Er-staunen.

"So ratet Ihr mir also, den Herren reinen Wein einzu-schenken?" fragt sie mit einem leicht ironischen Un-terton in ihrer klaren Stimme. "Nun, mir ist schon be-wusst, dass sie es über kurz oder lang erfahren werden, wenn ich mit ihnen ziehe … nur eben auch wegen der …" Kurz unterbricht sie sich, wiegt nachdenklich den Kopf, bevor sie weiter spricht, "… unersättlichen Neu-gier zweier dieser Männer, den nicht zu unterschät-zenden Vorurteilen und dem Aberglauben, der sich um uns rankt, scheute ich mich bisher, mein Wesen offen zu legen."

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Auf die Vision Hesanders geht sie nicht ein, doch muss sie an seine Worte im Tempel denken. '… solan-ge Ihr die Gebote der Zwölfe achtet'

Unbewusst verzieht sie leicht ihren sinnlicher Mund, während sie Garhelt offen in die Augen blickt.

Garhelt zuckt die Achseln. "Wann Du ihnen reinen Wein einschenkst, ist natürlich Deine Sache. Jede Zeit hat Vor- und Nachteile. Ein früher Zeitpunkt zeigt den Männern, dass Du ihnen vertraust. Ein später mag den Nutzen Deiner Künste am deutlichsten ma-chen. Am meisten Sorgen wegen der Reaktion mache ich mir bei Edric. Das einfache Volk, aus dem er an-scheinend kommt, ist manchmal ganz schön aber-gläubisch."

"Und wenn ich es nicht jeden gleich wissen lasse? Wem von ihnen kann ich vertrauen?" Die junge Frau schaut sinnierend in ihre halb leere Tasse und blickt fragend auf. "Ich werde es überdenken. Sie betrachten mich als Heil- und Kräuterkundige und mit dieser Aufgabe werde ich sie auch begleiten, sie werden sich auf mich verlassen können. Heute Abend, auf dem Fest, zu dem Melachath geladen hat, werde ich viel-leicht zu einer Entscheidung kommen."

"So sei es! Es ist Deine Entscheidung." Garhelt strahlt ein ganz warmes Lächeln aus.

Sie lächelt Garhelt nun mit einem warmen Lächeln an. "Ihr seid sehr freundlich zu mir, Hetfrau, ich habe mich schon lange nicht mehr so sicher gefühlt wie in Eurer Gesellschaft. Mich würde wirklich interessieren zu wissen, warum Ihr wünscht, dass eine Frau auf der Expedition dabei sein sollte …"

Neugier spricht aus ihr Blick, mit dem sie Garhelt an-sieht.

Garhelt erwidert grinsend: "Weißt Du Tochter, wenn Männer allein gelassen werden, tendieren sie dazu, erst zu handeln und dann nachzudenken. Oder sie verlieren sich in absolut blödsinnigen Dingen. Ich bin mir sicher, dass Ingalf und Melachath gerade dabei sind, einander blaue Flecken zu verpassen. Und mor-gen wird das Gestöhne groß sein. Es ist einfach not-wendig, dass jemand dabei ist, der die Männer von unvernünftigen Handlungen abhält und sie wieder auf den richtigen Weg führt. Ohne dass sie es merken, natürlich."

Jetzt kann sich auch Rovena ein Grinsen nicht ver-kneifen.

"Nun, wenn du meinst, du hast da in mir die Richtige gefunden … ich werde sehen, was ich tun kann."

Schließlich hängt vielleicht auch ihr Leben von den Handlungen der Gefährten ab. Sie stößt leise ein rau-es Lachen aus und schüttelt den Kopf.

"Die beiden liefern sich also tatsächlich so einen Hah-nenkampf? Dann hoffe ich doch, sie sind vernünftig und lassen zur rechten Zeit wieder voneinander ab.

Nicht, dass ich heute Abend meine Fertigkeiten schon vorweisen muss."

Ein geheimnisvolles Schmunzeln zieht über ihr Ge-sicht.

"Na, ich hoffe, dass Elgar den Elfen-Heilzauber be-herrscht." Garhelt wird plötzlich nachdenklich. "Du solltest ihn mal darauf ansprechen."

Rovena schaut die Hetfrau fragend an.

"Ich kenne mich mit der Magie der Elfen nicht aus. Wenn Elgar aber heute Abend erscheinen wird, werde ich ihn danach fragen. Er wird bestimmt wissen, was Ihr meint."

"Ist ja auch egal. Irgendwann kommt immer die Si-tuation, dass man etwas braucht, was man nicht hat. Dann denkt man sich etwas aus." Garhelt klingt wirk-lich so, als ob sie in der Situation schon öfter war.

Dem kann Rovena nur mit einem Kopfnicken zustim-men.

Garhelt und Rovena plaudern noch eine Zeit lang weiter. Zwischendrin beauftragt sie noch einen Be-diensteten, Elgar wegen des aranischen Abendessens Bescheid zu sagen. Und dann ist es so weit, dass Rove-na zur Botschaft gebracht wird. Vorher gibt bekommt sie noch das Schreiben für die Kräuterfrau, dass Joku mittlerweile erstellt hat.

"Komm wieder vorbei, wenn Du alles hast", gibt ihr Garhelt mit auf den Weg.

Die junge Frau neigt ihr Haupt vor der weisen Het-frau. "Das werde ich tun, ich denke morgen im Laufe des Mittags."

Rovena blickt ihr noch ein mal offen in die Augen.

"Mögen Satuaria und Eure Götter Euch immer be-schützen, Hetfrau," wünscht sie ihr leise, steckt das Schreiben sorgfältig in die Gürteltasche an ihrem brei-ten Gürtel, wirft sich das Cape um, nimmt den Tuch-beutel und den ebenholzschwarzen Stab und folgt dem Bediensteten nachdenklich zur aranischen Bot-schaft.

Garhelt blickt noch eine Zeit lang in die Richtung, in die Rovena verschwunden ist. Dann holt sie ihr Strick-zeug hervor und fängt, zufrieden summend, an zu stricken.

Ingalf, Edric und MelachathDie Waffenkammer des Hetmanns Tronde lässt das Herz eines jeden Kämpfers höher schlagen.

Alle möglichen Arten von Waffen stehen säuberlich aufgereiht in Haltern an den Wänden, oder sie liegen wohlgeordnet an den Wänden. Äxte und Beile, Schwerter, scharfe und stumpfe Hiebwaffen, Speere, einige Zweihänder, alle Arten von Wurfwaffen, Bögen - alles ist vorhanden. Dazu kommen alle möglichen

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Arten von Rüstungen. Die Helden sind von der Fülle der Auswahl überwältigt.

Ingalf hatte zwar beim Hetmann eine große Auswahl an Waffen erwartet, aber das was er hier zu sehen be-kommt, übertrifft doch seien kühnsten Vermutungen. Er schaut sich voller Begeisterung in dem Raum um, streicht hier behutsam über ein Axtblatt, wiegt da einen Dolch oder einen Schneidzahn in der Hand und beachtet seine Gefährten überhaupt nicht.

Ingalf findet nach kurzem Suchen seine zweite Or-knase und die drei zusätzlichen Schneidzähne.

Die Orknase, die sich Ingalf ausgewählt hat, ist am Griff mit weichem Leder umwunden und zeigt auf dem Blatt fein ziseliert die typischen thorwalschen Ornamente, die sich auf der linken Seite um eine Wal-fluke winden und auf der rechten Seite um einen Fel-sen im Meer - das Zeichen der Olporter Waffen-schmiede. Er macht ein paar Schläge in die Luft um die Gewichtsverteilung der Waffe zu bewerten und findet sie perfekt ausgewogen.

'Eine Orknase, wie dazu geschaffen Orknasen von den dazugehörigen Orkköpfen zu trennen!' denkt er sich, 'auf jeden Fall besser als meine alte!'

Er stellt die Orknase beiseite und widmet sich der Prüfung verschiedener Schneidzähne. Auch hier wer-den die kleinen Beile auf ihre Gewichtsverteilung ge-prüft und auf die Griffigkeit, sie sollen die Hand ja nicht zu früh verlassen, aber auch nicht an der Hand kleben. Nach einer Weile des Experimentierens hat er drei Schneidzähne gefunden, die seinen Ansprüchen gerecht werden würden. Auch diese sind von besserer Qualität als sein jetziger Schneidzahn. Aber im Ge-gensatz zu der Orknase wird er seinen alten Schneid-zahn nicht hergeben, denn den hat er bei seiner Otta-jara erhalten.

Er sieht sich nach einem alten Holzschild um, hängt ihn an eine Wand, geht gut 5 Schritt zurück, nimmt die 4 Schneidzähne in die Linke, dreht sich blitz-schnell zum Schild um und nach einigen fließenden Bewegungen stecken die 4 Schneidzähne eng beiein-ander in der Mitte des Schildes.

"Gute Ware!" meint er, geht zum Schild nimmt die Schneidzähne heraus und dreht sich zu seinen Ge-fährten um.

Unter den Wurfspeeren sind zwei, die Melachath be-sonders gut in der Hand liegen. Kurzbögen samt Pfei-len und Köchern sind natürlich auch vorhanden - ne-ben einigen Langbögen.

Langsam sucht Melachath seine Wurfspeere aus. Prü-fend lässt er sie auf dem Finger balancieren, um den Schwerpunkt herauszufinden. Er wirft einige Speere in eine Strohzielscheibe. Zwei stellt er abseits für sich hin und stellt die Reste wieder ordentlich weg. Den Kurzbogen und die Pfeile legt er daneben.

Joku lässt die drei Besucher beim Waffenmeister Ar-nim zurück. Er murmelt etwas von "Briefe schreiben".

Edric schaut sich die Rüstungen etwas genauer an. Es gibt alles mögliche - vom wattierten Waffenrock bis hin zum Plattenpanzer.

"Was meint ihr, könnte sowas nötig sein?" spricht er die beiden anderen an.

Ingalf schaut seinen Freund mit einem breiten Grin-sen an: "Klar, schaden kann es nicht, aber denk' dran Du rostest im Regen!"

Edric muss unwillkürlich loslachen.

'Hmm, vielleicht wäre es aber besser ihn in eine Rüs-tung zu stecken, dann bleibt er uns länger erhalten!' fügt er in Gedanken hinzu. 'Und apropos Regen, ich brauche noch ein paar Sachen zur Waffenpflege!'

Er geht an die Regale mit den Waffenölen und Reini-gungstüchern und nimmt sich noch ein Fläschchen Waffenöl und ein paar weiche Reinigungstücher.

Dann geht er zu Edric und hilft ihm dabei, ein paar Rüstungen anzuprobieren: "Na, kannst Du Dich noch bewegen?"

"Nee, das ist wirklich nix für mich. Da bleibe ich lie-ber mit meiner Schleuder im Hintergrund oder bleibe mit meinem Stab auf Abstand." Edric entledigt sich wieder aller Rüstungsteile. "Aber wäre eine etwas stär-kere Rüstung nichts für Dich, Ingalf? Du gehst doch im Zweifelsfall auf Tuchfühlung ran."

"Nee!" erwidert Ingalf. "Für mich is'ne Rüstung auch nix! Aber vielleicht nehm' ich mir 'n Rundschild mit. Wir müssen ja nicht alles tragen!" fügt er hinzu.

Dann wendet er sich noch mal der Ecke mit den Rundschilden zu und probiert sie aus. Schließlich fin-det er einen schwarzen Rundschild mit einer weißen Walfluke und einem dreiviertel Schritt Durchmesser. 'Der passt gut zu meiner neuen Orknase!'

Er passt die Riemen an seinen Arm an und dann prüft er noch den langen Riemen mit dem man den Schild auf dem Rücken befestigen kann.

Edric schaut sich noch ein wenig suchend um. Dann wendet er sich an den Waffenmeister: "Habt ihr viel-leicht Bleikugeln für meine Schleuder?"

"Tut mir leid, junger Freund. Der Hetmann mag keine Schleudern, und deswegen haben wir dafür auch kei-ne Munition."

Als Melachath auch seine Waffen ausgesucht hat, wendet sich Ingalf an den Aranier: "Wie sieht's aus mit einer kleinen Trainingsrunde?"

"Aber klar. Von einem Meister der Äxte lasse ich mich doch gerne unterweisen", antwortet er mit einem Schmunzeln.

"Dann komm!" sagt Ingalf und geht mit seinen Waf-fen nach nebenan in die Übungshalle.

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Dort stellt er seine Waffen an die Wand und beginnt sich bis auf die Lederhose auszuziehen. Dabei wird sein muskulöser und behaarter Oberkörper mit den Tätowierungen auf den beiden Armen sichtbar. Den linken Oberarm ziert das Zeichen seiner Otta, ein Kriegshammer um den sich ein Hammerhai windet, der rechte Arm ist von der Schulter bis zum Handge-lenk mit einem bunten Knotenmuster tätowiert.

Auch Melachath beginnt, sich auszuziehen. Als er nur noch in seiner Pluderhose da steht, macht er einen fast gegensätzlichen Eindruck zu dem Thorwaler. Auf sei-nem gut trainierten Oberkörper ist kein Haar zu er-kennen und es ist auch keine Tätowierung vorhanden. Er wirkt vergleichsweise jünglich. Er nimmt seinen Rabenschnabel in die Rechte und stellt sich Ingalf ge-genüber auf.

Dann nimmt er seine neue Orknase in beide Hände und begibt sich in die Mitte der Halle: "Auf die Ehre, nicht aufs Blut!"

"Aber klar. Auf die Ehre. Dann zeig mal, was du kannst" spricht er mit einem Lächeln auf dem Ge-sicht.

Ingalf setzt ein leicht gefrorenes Grinsen auf, nimmt die Orknase fest in beide Hände, macht einige Schritte auf Melachath zu, aber bevor er zuschlägt, weicht er nach links aus. Die Orknase wechselt in die rechte Hand und kracht mit voller Wucht - aber zum Glück für den Aranier mit quergestelltem Blatt - auf Me-lachaths Seite.

Erschreckt fährt Edric zusammen.

'So geht das also!' denkt er.

Kurz merkt man Melachath an, dass er es nicht ge-wohnt ist, getroffen zu werden. Ein leichter Ausdruck der Verwunderung zieht über sein Gesicht. Er geht zunächst in Grundstellung, macht einen Schritt auf Ingalf zu, setzt zu einem Hieb von oben an und als Ingalf seine Orknase hoch reißt, senkt er den Schlag um ihn mit der flachen Rückseite des Rabenschnabels auf den Oberschenkel des Thorwalers nieder gehen zu lassen.

"Pferdekuss nennt man das bei uns. Damit werden Neulinge in der Akademie begrüßt. Den blauen Fleck sieht man wochenlang."

Ingalf zuckt bei dem Schmerz in seinem Bein zusam-men: 'Mist, das tat weh!'

Dann zieht er sich ein wenig zurück, nimmt die Or-knase wieder in beide Hände und bestürmt Melachath mit einige schnell durchgeführten Schlägen, die wie ein Gewitter auf den Aranier niederregnen.

'Hm, Angreifen kann man ja mit den Dingern gut, aber Verteidigen ist wohl schwierig. Muss ich dran denken, falls ich mal gegen solche Waffen antreten muss', denkt Edric.

Melachath versucht, die ersten Schläge abzuwehren, lässt dann aber seine Deckung fallen und setzt noch einen wohl platzierten Schlag auf beide Oberschenkel. Die Schläge von Ingalf lässt er über sich ergehen, auch wenn es weh tut. Nach kurzer Zeit zeigt sein Gesicht deutlich, dass er Schmerzen hat.

Er zieht sich wieder etwas zurück und sagt mit einem verkrampften Lächeln: "So, ich würde sagen, jetzt ha-ben wir uns beide mal einen drauf gehauen. Deine Schläge tun mehr weh, meine behindern dich immer mehr im weiteren Kampf. Bevor wir uns noch etwas brechen und morgen nicht aufbrechen können, würde ich sagen, wir hören auf. Sehr gut gekämpft."

"Das wohl! War ein guter Kampf!" meint Ingalf.

Als er dann auf den Aranier zugeht um ihm respekt-voll die Hand zu schütteln, merkt er, dass ihm die Bei-ne doch ein wenig mehr schmerzen, als er zuerst dachte.

"Du führst das Hämmerchen nicht übel", muss er dann mit einen schmerzverzerrten Gesicht zugeben.

Edric meint nur: "Die armen Orks, die so blöd sind, uns anzugreifen!"

"Ja, die werden ganz schön die Hucke voll kriegen!" fügt Ingalf hinzu.

Vom Waffenmeister kommt Beifall: "Gute Basis, Jungs! Aus euch wird noch was!"

Ingalf grinst: 'Wenn der wüsste, was wir schon erlebt haben, von wegen gute Basis, pah!'

Er klaubt seine Sachen zusammen, zieht sich wieder an und wendet sich an Melachath: "Wir sehen uns heute Abend! Dann trinken wir einen!"

Dann sagt er zu Edric: "So, was meinst Du, wir gehen jetzt in ein Badehaus, dann geht's denn blauen Fle-cken heute Abend wieder gut!"

"Ein Badehaus? Du bist doch gar nicht schmutzig?" Edric schüttelt verwirrt den Kopf.

Jetzt ist es an dem Thorwaler verwirrt zu gucken. "Wieso ein Badehaus hat nicht nur was mit Schmutz zu tun … ach was, Du kommst mit, basta, dann wirst Du schon sehen!"

Edric zieht kurz den Kopf ein: "Ist schon gut, Ingalf. Kommt Melachath auch mit?"

"Ich denke schon. Ein Badehaus hier im Norden ist zwar etwas anders, als bei uns, aber schaden tut das auf gar keinen Fall. Wir müssten nur auf dem Weg eben bei der Botschaft vorbei laufen, damit ich dem Botschafter auch noch sagen kann, dass heute Abend einige Gäste eingeladen sind."

"Dass Du einfach so einladen kannst …" Edric schüt-telt den Kopf.

"Hoffentlich kommen wir gelegen."

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"Kein Problem!" meint Ingalf. "Wir müssen ja auch noch unsere Errungenschaften nach Hause bringen, schließlich wollen wir in ein Badehaus und nicht ins Orkland!" fügt Ingalf grinsend hinzu.

Die drei gehen durch die nachmittägliche Fremden-stadt den gleichen Weg wie am Vorabend bis zur ara-nischen Botschaft. Dort warten Ingalf und Edric drau-ßen, während Melachath dem Botschafter die Gäste ankündigt.

Schon als Melachath wieder vor die Tür tritt, kommen hinter ihm zwei Dienstboten heraus, die sich ge-schwind in verschiedene Richtungen aufmachen.

Von dort gehen die drei zu dem Langhaus, in dem Ed-ric und Ingalf geschlafen haben, die Waffen und Aus-rüstungsteile wandern in die Truhen in dem Schlaf-raum. Dann führt Ingalf seine Gefährten durch einen Nebenausgang in einen Hinterhof.

"Wir sind da!" verkündet Ingalf.

Edric schaut sich neugierig um.

Im Hinterhof steht eine niedrige Holzhütte aus der durch einen Schornstein Dampf aufsteigt. Das Haus besteht nur aus einem einzigen Zimmer. Links sind ein paar Bänke auf denen die Gefährten ihre Sachen ablegen können, rechts vom Eingang sind 2 große Wannen aufgestellt. Den größten Teil des Raumes nimmt aber ein in den Boden gegrabenes Becken ein. Aus dem heißen Wasser steigt der Dampf auf, der durch den Kamin entweicht. Im Becken sitzen trin-kend und singend eine handvoll Thorwaler.

Ingalf grüßt die Badenden mit einem "Na ihr alten Badefrösche!", zieht sich aus und springt erst in eine der Wannen - in denen eiskaltes Wasser ist - wäscht sich zügig, um dann in das warme Wasser des großen Beckens zu gleiten.

Mit zusammen gebissenen Zähnen, klettert auch Me-lachath ins kalte Becken und wäscht sich. Als er dann ins warme Becken steigt, merkt man, dass er sich dort deutlich wohler fühlt.

"Los, kommt mit ins Wasser!" ruft er den Freunden zu.

Dort nimmt er sich ein Trinkhorn und fällt mit lauter Stimme in das Lied ein.

Edric macht vorsichtig alles nach, was Ingalf vorge-macht hat.

'Brr, das Wasser ist ja kalt!'

Als er ins heiße Wasser steigt, begrüßt er die Anwesen-den mit einem Nicken und einem vorsichtigen Lä-cheln.

'Arrgh, das Wasser ist aber heiß!'

Dann entspannt er sich und schaut sich um.

'Ob ich mir wohl auch ein Trinkhorn nehmen kann?'

Ein Trinkhorn nimmt sich Melachath nicht, aber er hört vergnügt zu.

Na einiger Zeit taucht zwischen Edric und Melachath ein blonder Kopf mit Zöpfen auf - eigentlich in Thor-wal nichts ungewöhnliches - der die beiden angrinst.

"Ihr wollt nichts trinken?" fragt die junge Thorwale-rin. Plötzlich schießt es den beiden durch den Kopf, dass sie in einem gemischten Bad sitzen - und richtig, wenn man genauer durch den Dampf sieht, erkennen sie, dass es sich um 4 Thorwaler und 2 Thorwalerin-nen handelt.

Nachdem Melachath seinen Mund wieder geschlossen hat, lächelt er und meint: "Äh. Aber klar. Ich wollte mich hier nur erstmal umschauen …"

Ingalf hat anscheinend kein Problem mit dieser Kon-stellation.

"Äh, öh, …", stammelt Edric nur.

'Bei uns in Aranien gehen entweder nur Männer oder nur Frauen oder nur als Paar zusammen ins Bade-haus. Aber man kann sich dran gewöhnen.'

Nachdem unsere Freunde wieder richtig aufgewärmt und eingeweicht sind und ein bis zwei (oder mehr) Premer Feuer - für die innere Wärme durch die Keh-len geflossen sind, wird es auch Zeit aufzubrechen. Ingalf steigt genauso unbefangen aus dem Becken, wie er hineingestiegen ist und trocknet sich mit bereitlie-genden Tüchern ab. Dann werden natürlich die Haa-re in Zöpfe geflochten und die Kleidung angelegt.

Mit einem "Wollen wir?" zu den Gefährten und "Sauft nicht so viel, ihr alten Feuerschlucker!" zu den Baden-den, verlässt er wohlig grunzend das Badehaus.

Und das warme Wasser hat gut getan und die Mus-keln entspannt - es werden sich zwar auf den Ober-schenkeln blaue Flecken von Melachaths Schlägen bilden, aber die Schmerzen sind nicht mehr zu spü-ren.

Im der angenehmen kühlen Abendluft machen sich die drei zur aranischen Botschaft auf.

HesanderHesander begibt sich in den Perainetempel und zieht sich in seine Kammer zurück. Dort wird er eine Stun-de lang im Gebet und Meditation versinken und der Mutter der Weisheit danken dafür, dass er diejenigen gefunden hat, die er suchen sollte. Dann wird er vor der großen Statue der Peraine im Hauptraum nieder-knien und zu den anderen zwölfgöttlichen Geschwis-tern beten und ihren Beistand für die kommende Auf-gabe erbitten. Danach geht Hesander wieder in seine Kammer und überprüft sein Hab und Gut; schließlich nimmt er sein Schlangenbuch hervor und schreibt ein neues Kapitel "De Verificatione Theoreticae Orcum". Dort schreibt er über den Teilerfolg in seiner Vision.

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Vermutlich wird es dann schon Abend sein und He-sander macht sich auf in die aranische Botschaft.

ElgarElgar unterbricht das hingebungsvolle Studium des Kapitels über den zweiten Stabzauber nur für einige sehr kurze Pausen, in denen er frische Luft schnappen geht. In Gedanken geht er immer wieder die einzel-nen Schritte des zweiten Stabzaubers durch, konzen-triert sich auf den gesamten Ablauf, damit er während des Rituals das Buch möglichst nicht wird zu Hilfe nehmen müssen. Aber zuvor wird er am nächsten Tag bei Garhelt vorsprechen, sich seinen Mantel und neue Stiefel abholen und hoffentlich springt für ihn noch eine neue Robe und ein Reisegewand heraus. Dann sind da noch die Zaubertränke.

Im Laufe des nachmittags kommt noch ein Bedienste-ter mit der Einladung zum Essen in der aranischen Botschaft vorbei. Alle anderen kommen auch.

"Wir holen Dich dann ab."

Elgar hört interessiert von der Einladung in die Bot-schaft und von dem geplanten Abendessen. Dem Bo-ten gibt er mit auf den Weg: "Ich werde die Ankunft des Boten erwarten und teile den anderen mit, dass ich der Einladung gern folge."

Sogleich macht er sich wieder über seine Studien her.

'Ach, es gibt so viel zu tun und es ist so wenig Zeit da-für!' denkt er nicht nur einmal an diesem Tag.

Langsam wird es darüber Abend.

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Ein aranischer Abendas aranische Botschaftshaus ist ein mittleres Haus in der Nähe des Zentrums. Das Erdge-

schoss ist aus Stein gemauert, der zweite Stock besteht aus Fachwerk. Im,mit einer Mauer umgebenen Hin-terhof ist ein sorgsam gepflegter Garten.

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Im ersten Stockwerk, wohin alle eingeladen wurden, ist unter anderem ein größerer Raum, der mit dicken Teppichen und vielen Kissen ausgelegt ist. Nachträg-lich wurden in den Raum auch noch drei Nischen eingebaut. Einige Kohleschalen verströmen angeneh-me Wärme und einen bezaubernden Geruch. Auf ei-nem kleinen Beistelltischchen liegt ein "Rote und wei-ße Kamele"-Spiel mit prächtigen Figuren. Auf einem anderen steht eine große Wasserpfeife mit acht Schläuchen.

In seine prächtige Robe gekleidet und das durchschei-nende Haar offen tragend und seinen allgegenwärti-gen Stab als Stecken nutzend, folgt Elgar der Füh-rung von Melachath durch die Botschaft. Interessiert betrachtet er die gesamte Architektur und die Einrich-tung. Viele der von ihm entdeckten Details werden mit einem wohlwollenden Kopfnicken bedacht, ganz so, als hätte er erwartet, diese Dinge hier so zu sehen.

In Begleitung des Bediensteten der Hetfrau erreicht auch Rovena endlich die aranische Botschaft. Sie hat ihren Begleiter gebeten, sie etwas außerhalb der Stadt zu führen, weil sie noch ein wenig Spazieren und an die frische Luft gehen wollte. Sie hat diesen Gang in völliger Schweigsamkeit genossen und die Zeit ge-nutzt, über Garhelts Worte nachzudenken.

Vor dem Gebäude bleibt sie einen Moment stehen, um es zu betrachten, verabschiedet sich von ihrem Begleiter und folgt dann einem der bediensteten Ara-nier durch die Räumlichkeiten. Obwohl ihr das, was sie sieht, sehr gefällt, überkommt sie ein Unbehagen, als sie dem Bediensteten in das erste Stockwerk folgt, ihre Hand umklammert den schlichten Stab aus Ebenholz. Dort trifft sie dann mit ihren Reisegefähr-ten zusammen.

Als Ingalf das Spiel sieht, ist er von den Figuren be-eindruckt - er hat ähnliche schon auf der Rückreise aus der Khom in vielen Dörfern von alten Männer vor Kaffees bewegen sehen, aber nie so schöne Figuren.

"Sag mal, Melachath", fragt er, "wie geht dieses Spiel, Edric und ich haben es schon oft gesehen, aber keiner wollte es uns erklären."

Falls sich die Möglichkeit ergibt, wird Hesander ein-mal eine Partie Rote und Weiße Kamele gegen wen auch immer spielen.

"Du kennst dieses Spiel", fragt Edric, als er sieht, dass sich Hesander damit befasst "Wie geht es denn?"

Ansonsten bewundert auch er den kunstvoll herge-richteten Raum.

Melachath wendet sich an Hesander: "Komm, lass uns eine Runde spielen und das Spiel dabei Edric und Ingalf zeigen. Wenn noch jemand zuschauen und ler-nen will, können wir das Spiel gerne in die Mitte schieben."

"Nun denn, so sei es", stimmt Hesander zu. "Möge Phex uns wohlgesonnen sein."

'Und Hesinde meinen Geist erleuchten', denkt sich Hesander noch, bevor es losgeht.

Edric schaut sehr gespannt zu. "Woher kennst Du denn das Spiel?" fragt er Hesander.

Auch Ingalf schaut den Geweihten erstaunt an. Dann wendet er sich aber an die beiden Spieler: "Aber nicht nur spielen - das kennen Edric und ich schon - son-dern auch ein paar Erklärungen, bitte!"

"Nun, ich kenne das Spiel von meinen Eltern. Ich habe es schon als Junge gespielt - es hat mich, seit ich es kenne, immer wieder fasziniert. Darüber hinaus ist es ein wunderbarer Spiegel der aranischen Kultur", antwortet Hesander und nimmt eine der Figuren in die Hand und fährt mit den Fingern liebevoll darüber.

Rovena hat den Geweihten aus einiger Distanz beob-achtet und bemerkt, wie liebevoll er mit den Figuren umgeht. Sollte sie wirklich, gegen ihre Art? Ach, wenn sie doch wenigsten eine Vertraute hätte …

Edric staunt. 'Mit was sich Leute so alles beschäftigen!'.

"Nun, dieses Spiel hat in Aranien eine ungeheure Be-liebtheit erlangt. Man sagt, manche Politik und man-ches Geschäft seien schon über einem Spiel rote und weiße Kamele gemacht worden."

Hesander stellt die Figur wieder zurück auf das Brett und versucht sich an die 'Großwesir Melhilla Eröff-nung' zu erinnern.

Elgar wendet sich von der beeindruckenden Umge-bung ab und kommt sehr interessiert näher. Er besieht sich das Spielbrett und die fein gearbeiteten Figuren genau und stellt im Geiste Überlegungen dazu an, welche Logik - denn eine solche gibt es immer - hin-ter diesem Brettspiel stecken mag.

Dann meint er zu den versammelten Gefährten: "Ich will mich ja nicht einmischen und ich kenne auch Eure Stellung hier nicht, Melachath, aber ist es nicht unhöflich, den Botschafter warten zu lassen und sich hier einem Spiel hinzugeben? So sehr auch mich neue Erkenntnisse faszinieren, glaube ich, wir sollten das auf nach dem Essen verlegen!"

Zustimmung suchend sieht er in die Runde.

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"Ich bin Leibwächter des Botschafters. Bis morgen. Und wenn wir wieder zurückkommen, bin ich es auch wieder. Aber natürlich warten wir mit dem Spie-len bis nach dem Essen."

"Schade!" kommt es leise von Ingalf. "Na, dann spä-ter."

Aufmerksam beobachtet sie auch die sich eingefunde-nen Reisegefährten. Mit einer gewissen Erleichterung hat sie festgestellt, dass auch Elgar anwesend ist, dem sie freundlich zugenickt hat.

Als er sie erblickt, hellen sich seine Gesichtszüge merklich auf und mit einem freundlichen und war-men Lächeln, das seine ansonsten fast fremdartig wir-kenden blassen Züge auftauen lässt, nickt Elgar ihr ebenfalls zu.

Als einer nach dem anderen eintrudelt, stellt Me-lachath die Gäste dem Botschafter und seiner Frau vor: "Dies sind Nahene al-Angrûban saba-Mehirra und ihr Mann Achmed al'makt saba Derischlejy.

Das sind meine Gefährten: Rovena, eine Blume, die in fremder Umgebung blüht."

Bei ihrer Vorstellung neigt Rovena erst grüßend den Kopf vor der Dame und dann vor ihrem Gemahl, dem Botschafter.

"Ingalf und Edric, ein Thorwaler, der mit seiner Axt wunderbare Schläge verteilen kann und sein Freund, der sich in der Tugend der Zurückhaltung auszeich-net."

"Swafnir zum Gruß! Wie geht's?" kommt es von In-galf in der gewohnt schnoddrigen Art des Thorwalers - wenn auch mit leichtem Verneigung gegenüber der Botschafterin.

"Hesander, ein Diener Hesindes, der uns mit seinem Wissen sicherlich sehr nützlich sein wird.

Und zu guter Letzt noch Elgar, ein Meister der Ma-gie."

Nach der Vorstellung verneigt er sich und sagt: "Euer Exzellenz, meine Dame."

Das Essen nehmen die Gefährten mit dem Botschaf-ter und seiner Frau ein. Der Botschafter ist ein großer, beleibter Mann mit dunklen Haaren und prächtiger, fremder Kleidung. Er lacht oft und gerne. Während des Essens ist er sehr höflich und eher zurückhaltend. Sein Frau ist eine eher zierliche Aranierin, die mit zahlreichen Schmuckstücken geschmückt ist. Ihr Ge-sicht ziert eine kleine Kette zwischen Nasenflügel und Ohr. Sie stellt viele Fragen und möchte möglichst viel über die Gäste erfahren.

Zu ihrem Unwohlsein, nicht mit den Füßen auf fes-tem Boden zu stehen, gesellt sich nun noch das Ge-fühl, hier wegen ihres schlichten Aussehens nicht am rechten Fleck zu sein. Ihre Kleidung ist zwar ordent-lich, sieht man von den Spuren der Reise ab, aber sie

ist nun mal sehr schlicht gekleidet und die Pracht um sie herum trägt zu ihrer Verunsicherung bei. Ihr ein-ziger Schmuck ist ein silberner Ohrring im linken Ohr und die feine silberne Kette um ihren Hals. Sie muss an ihr Tanzgewand denken, das sie in ihrem Tuchbeutel bei sich trägt, aus nachtblauer Seide, be-stickt mit Silberfäden. Dieses Gewand erscheint ihr eher in dieser Gesellschaft angebracht, und doch wie-der nicht. So versucht sie, sich möglichst unauffällig zu verhalten, antwortet auf die Fragen der Frau des Botschafters zurückhaltend und ist bemüht, wenig Aufmerksamkeit zu erregen.

Während sie durch das Haus geführt werden, geht er an Rovenas Seite und bemerkt: "Es freut mich sehr, Euch wiederzusehen. Ihr seht heute Abend … bezau-bernd aus."

Auch wenn das eine gebräuchliche Floskel ist, klingt sie ehrlich, genau wie sie gemeint ist.

Rovena schaut zu ihm auf, ihre Augen suchen seinen Blick.

"Danke, Isinha," antwortet sie ihm schlicht mit einem samtigen Klang in ihre Stimme. Sie wirkt ein wenig verlegen und streicht sich eine vorwitzig in ihr Ge-sicht gefallene Haarsträhne zurück.

"Ich freue mich auch, dass Ihr kommen konntet. Fast habe ich befürchtet, Eure Studien würden Euch fern halten. Seid Ihr gut vorangekommen?"

Neugierig mustert sie ihn, ihre Freude über seine Ge-sellschaft hier, in der ihr ungewohnten Umgebung, ist ihr anzumerken.

Etwas verlegen sieht auch er sie an: "Nun ja, ja und nein." antwortet er leicht ausweichend. "Es ist viel zu wenig Zeit. Und es gibt noch so vieles zu Lesen, vor-zubereiten etc. etc. Ihr wisst schon."

Er wirkt leicht niedergeschlagen deswegen, aber schließlich wischt er alles wie mit einer Handbewe-gung beiseite: "Aber den heutigen Abend soll es uns nicht verdrießen."

Mit leicht beschwingtem Schritt hält er sich neben ihr.

'Woher soll ich das schon wissen?' fragt sie sich ver-wundert und mustert ihn kurz von der Seite.

"Die Hetfrau lässt fragen, ob Ihr den Elfen-Heilzau-ber beherrscht," äußert sie unvermittelt. "Ich war heu-te Nachmittag bei ihr und wir kamen darauf, als wir über die Expedition sprachen."

Fragend schaut sie zu ihm hin.

"Den Elfenheilzauber?" jetzt ist Elgar etwas irritiert. "Bis jetzt wusste ich nicht, dass 'Elf-sein' eine Art Krankheit ist, die zu heilen diese Wesen trachten. Und dass es dafür einen speziellen Zauber geben soll, habe ich auch noch nicht gehört."

Er verfällt in ein kurzes Schweigen und scheint ange-strengt nachzudenken.

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Dann fährt er fort: "Aber einen Heilzauber beherrsche ich schon. Vielleicht nicht meisterlich, aber doch gut genug, um ihn ohne weiteres anwenden zu können, sollte es erforderlich sein. Wenn ich mich recht erin-nere, ist dieser Zauber angeblich elfischen Ursprungs. Das allerdings möchte ich bezweifeln, da elfische Ma-gie nach den Schriften des Horasio Ulmental anders als gildenmagische Zauber arbeiten."

Er sieht kurz zu Rovena und bemerkt ihren Gesichts-ausdruck: "Unterbrecht mich bitte, falls das zu theore-tisch für Euch ist." fordert er sich mit einem Lächeln auf.

Rovena schaut ihn erst verständnislos an, dann lächelt sie und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Sie zuckt mit den Schultern und erwidert: "Was die Het-frau damit gemeint hat, kann ich Euch nicht sagen, Isinha. Ich denke aber, es geht ihr schon um einen Zauber der Elfen, der heilend wirkt. Denn wenn die Kräfte der heilenden Kräuter wie dem Vierblatt nicht mehr helfen und Ihr diese Kunst der magischen Hei-lung beherrscht, wird das bestimmt sehr nützlich für uns sein können."

Bedacht geht sie neben ihm her und betrachtet ihn aufmerksam von der Seite.

"Was bewirkt dieser Zauber denn eigentlich?" fragt sie ihn neugierig.

Sich ihrer Aufmerksamkeit mehr als bewusst seiend, antwortet er: "Nun, der Zaubernde erschafft eine Ma-trix, nun eigentlich sind es drei, aber der Einfachheit halber bleiben wir bei einer, in der die Wirkung des Spruches fixiert werden muss. Im Fall des Heilzau-bers ist es sogar eine permanente Wirkungsmatrix. Der Zauber selbst bewirkt, dass durch die eingesetzte Kraft eine Verbindung zwischen astraler Ebene des Zaubernden und der Lebensessenz des Verwundeten hergestellt wird, die zu einer Art Projektion der Ener-gie, oder besser einer Umwandlung von astraler Kraft in Lebenskraft führt. Kurz gesagt, der Zauber lässt alle Arten von Wunden, Verletzungen und Knochen-brüchen in wenigen Herzschlägen heilen." schließt er seine magotheoretischen Ausführungen ab.

Mit großen Augen folgt Rovena seinen Ausführungen. Das ist ihr nun doch zu hoch.

'Wovon redet er …' fragt sie sich erstaunt. 'Wenn mir danach ist, geschieht, was ich will, oder eben auch nicht … warum muss er es so kompliziert machen?'

Sie lächelt mit einem leichten Kopfschütteln.

"Ihr seid sehr gelehrt, Isinha," schmeichelt sie ihm. "Und wenn dieser Zauber das alles vermag, ist er sehr nützlich."

"Ja, ein sehr nützlicher Zauber." pflichtet er ihr bei. "Was das andere betrifft … nun ja. Sagen wir einfach, ich habe schon das eine oder andere Buch gelesen und ein paar Bruchstücke davon behalten." beschei-

den lächelt er. "Aber wir sollten unsere Gastgeber nicht warten lassen. Wir setzten unsere Unterhaltung besser etwas später fort." und damit begibt er sich zum gedeckten Tisch und wartet den offiziellen Beginn des Essens ab.

Das Essen besteht aus mehreren Gängen. Erst eine Fleischbrühe mit Pidda, dem weißen Fladenbrot der Aranier. Dann folgen ein Fleischragout, gebratenes Geflügel und ein Fischgericht. Als Nachtisch wird eine große Platte gebracht, die eingezuckertes Obst, ein wenig Gebäck und diverses Zuckerwerk bereit hält. Es folgt noch das Teetrinken, das nach einem Essen normal ist.

Herzhaft greift Elgar bei allen Speisen zu. Die thor-walsche Küche sagt ihm nicht besonders zu und das vergangene halbe Jahr bot für seinen Geschmack zu viel Gelegenheit, sie "genießen" zu dürfen.

"Hmm. Ausgezeichnet!" ist immer wieder von ihm zu hören.

Staunend betrachtet sie die ihr vorgesetzten Speisen. Ihr Magen knurrt leise bei dem Anblick der leckeren Speisen, denn seit dem kargen Mahl gestern Abend und der Brotkante und dem Apfel aus ihrem Reise-proviant, die sie heute morgen im Tempel nach dem Aufstehen langsam kauend gegessen hat, hat sie den Tag über nichts mehr zu sich genommen, was für sie jedoch nichts Ungewöhnliches ist. Sie nimmt sich von allen Speisen, doch eher wenig, genießt den Ge-schmack der ihr ungewohnten Gerichte und das Ge-fühl der Sättigung. Als der Tee serviert wird, lehnt sie sich mit einem entspannteren Gesichtsausdruck zu-rück und genießt das heiße Getränk leise schlürfend.

Das Ingalf gerne erzählt (vielleicht auch ein wenig übertreibt) und dabei gut und viel isst - und natürlich trinkt, haben Melachath und Edric schon beim Essen mit Garhelt festgestellt. Hier wiederholen sich die Szenen: Ingalf isst von jedem der Gänge eine gehöri-ge Portion und lässt sich auch gerne von der Botschaf-terin ausquetschen und auch heute fragt sich Edric wieder, ob er wirklich die gleiche Route wie Ingalf ge-nommen hat.

Aber langsam erkennt Edric ein Muster: Es geht gar nicht darum, was sie wirklich erlebt haben. Es geht darum, seine Zuhörer zu interessieren, sie zu fesseln. Es reicht, wenn das, was erzählt wird, hätte geschehen können.

Edric sagt nicht besonders viel den ganzen Abend, aber nimmt aufmerksam alles in sich auf. Genau des-wegen ist er doch aus dem Svellttal weggezogen!

Die Fragen der Frau des Botschafters wird er mit aller-lei rhetorischen Verzierungen beantworten. Insgesamt hält sich Hesander aber sowohl beim Essen und Trin-ken als auch bei den Gesprächen dezent zurück, d.h. er tut alles in Maßen.

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Zwei Bedienstete und der Botschafter tragen das Es-sen ab und kommen mit einer Tabla (kleine Trommel, die im Sitzen gespielt wird und wo der Musikant die Trommel quer unter dem Arm hält) und einer al'Ud (aranische Laute) wieder herein. Der Botschafter setzt sich wieder hin, kümmert sich aber darum, dass die Gäste versorgt werden. Die beiden Bediensteten spie-len Musik auf.

Da Ingalf schon im Badehaus gesungen hat, hört er erstmal interessiert zu.

Mit einem versteckten Schmunzeln bemerkt sie die Verrichtungen des Botschafters.

'So also geht es in dieser Kultur zu …' sinniert sie und mustert neugierig seine prachtvoll geschmückte Frau. Die Musik, die aufgespielt wird, gefällt ihr sehr, und so lauscht sie mit halb geschlossenen Augen und wiegt sich leicht im Takt der Melodien.

Die Frau des Botschafters scheint sich wirklich her-vorragend zu unterhalten.

Der Takt ist anders, aber rhythmisches Trommeln war eine der wenigen Musikformen, die bei den Festen seines Stammes zelebriert wurden. Und so wippt El-gar mit der Fußspitze rhythmisch mit, auch wenn er sich selbst immer für reichlich unmusikalisch gehal-ten hat. Auch ein Instrument hat er nie spielen ge-lernt.

Nach der Musik macht der Botschafter eine Handbe-wegung zu Melachath. "Du wolltest doch unseren Gästen Das Spiel zeigen."

Melachath holt erst einmal die Wasserpfeife in die Mitte des Raums und fängt an, sie anzuzünden. Da-neben breitet er das Spiel aus. Neben dem in viele Sechsecke aufgeteilten Spielteppich liegen einige wei-ße Kamele, einige rote Kamele, ein paar Zelte, Sha-difs und jede Menge Waren. Er setzt sich Hesander gegenüber hin und fängt an zu erklären: "Es geht dar-um, dass man Handelsrouten bildet, sie versorgt und verteidigt. Am besten ich erkläre Euch das beim Spie-len."

Mit Hesander fängt er an zu spielen und erklärt dabei immer wieder, was man tut, und warum man das so tun kann. Auf Nachfragen erklärt er mit einiger Ruhe immer wieder einzelne Regeln und man merkt, dass ihm das Spiel sehr am Herzen liegt und er es schon oft gespielt hat.

Als die Runde beendet ist, ist weit über eine Stunde ins Land gegangen.

"Ich werde ein solches Spiel mit auf unsere Expediti-on mitnehmen. Es ist nicht so prächtig, wie dieses hier, aber zum Spielen reicht es allemal. Wir können dann noch die eine oder andere Runde abends am La-gerfeuer spielen. Vielleicht kann ich euch ja noch die eine oder andere Variante beibringen."

Neugierig hat sich auch Rovena dazu gesetzt, doch nur zum Zuschauen, das Spiel ist ihr völlig unbe-kannt. Sie verfolgt die Züge der Spieler und hört Me-lachaths Erklärungen aufmerksam zu.

'Keine schlechte Idee, das Spiel mitzunehmen,' denkt sie sich, 'vielleicht kann ich es auch erlernen.'

Und so vergeht der restliche Abend am Spiel, Musik und der Wasserpfeife.

Ingalf versucht sich im Laufe des Abends neben dem Spiel mit einigen Zügen aus der Wasserpfeife - er stellt aber fest, dass Rauchen und Blubbern irgendwie nicht sein Ding ist.

Edric versucht sich ebenfalls. Er schafft es mit Mühe, einen Hustenanfall zu unterdrücken. Nein, Rauchen ist auch nicht sein Ding.

Elgar hängt nach dem Essen mehr seinen eigenen Gedanken nach, als sich an den gebotenen Unterhal-tungen zu erfreuen. Er wirkt nachdenklich und in sich gekehrt.

Gegen Ende hin bietet Melachath natürlich allen einen Schlafplatz in den Gästezimmern unten an. An die, die nicht in der Botschaft übernachten wollen, wendet er sich mit den Worten: "So morgen ist noch ein freier Tag und übermorgen gehts los. Dann sollten wir uns wohl morgen bei der Hetfrau zur Anprobe treffen. Gute Nacht."

Auf Melachaths Angebot eines Schlafplatzes geht sie gerne ein. Es ist spät geworden und sie hatte wieder keine Gelegenheit, sich um eine Unterkunft zu küm-mern. Sie bittet noch darum, sich eine Weile im Gar-ten des Hinterhofes aufhalten zu dürfen, bevor sie sich schlafen legen wird.

"Aber klar. Ich zeige Euch einfach eben, wo ihr schla-fen könnt und so und ihr könnt dann gerne noch ein bisschen im Garten herum spazieren."

Er führt sie nach unten, zeigt ihr ihr Zimmer, das ein Fenster direkt zum Garten hat und zeigt ihr noch den Zugang zum Garten, in welchem viele Blumen aus Aranien stehen, bei denen es ein Wunder ist, dass sie hier noch nicht eingegangen sind.

"Der Botschafter selbst kümmert sich um den Garten. Seine Lieblingspflanzen sind die Rosen. Diese sind sehr verbreitet in Aranien. Guten Nacht."

Rovena folgt ihm, nachdem sie sich von den Anwe-senden verabschiedet hat. Ein wenig erleichtert betritt sie das Erdgeschoss, wirft einen neugierigen Blick in das ihr zugewiesene Zimmer und geht dann ein paar Schritte in den Garten hinein. Über ihr müdes Ge-sicht huscht ein Lächeln, als sie sich zu Melachath umwendet.

"Es ist einfach wunderbar!" ruft sie leise aus, ihre Au-gen strahlen. "Eure Gastfreundschaft sucht ihresglei-

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chen! Guten Nacht, Melachath, und vielen Dank für die Einladung."

Die junge Frau verabschiedet ihn mit einem leichten Kopfnicken; sie geht in ihr Zimmer, legt ihre Sachen ab und zieht mit einem Seufzer die Stiefel aus. Barfü-ßig läuft sie hinaus in den Garten. Sie atmet tief die blumig-erdig duftende Luft ein und lässt sich an ei-nem Rosenbeet in die Hocke nieder, so als ob sie dem Geruch besonders nahe sein wollte. Tief gräbt sie da-bei ihre Finger und Zehen in die dunkle, schwere Erde und ein angenehmes Gefühl der Vertrautheit durchströmt sie. Nach eine Weile jedoch zieht sie sich in das angenehme Gästezimmer zurück und findet schnell in einen erholsamen Schlaf.

Als Melachath dann die Gefährten verabschiedet, wendet Ingalf sich an Edric: "Willst Du hier bleiben oder kommst Du mit? Ich will sonst gehen."

"Nee nee, ich komme schon mit!" Edric verabschiedet sich mit einem tiefen Diener beim Botschafter und seiner Frau. Seinen zukünftigen Gefährten winkt er fröhlich zu. "Bis morgen dann!"

Dann verabschiedet er sich von den anderen und wünscht ihnen eine angenehme Nachtruhe.

Auch Elgar verabschiedet sich: "Morgen früh sehen wir uns noch kurz bei der Hetfrau. Dann werde ich mich für das Ritual zurückziehen und ihr könnt mich dann in der Akademie abholen." lässt er die anderen wissen.

Mit schnellen Schritten strebt er der Akademie entge-gen und bettet sich dort umgehend zur Nachtruhe.

Nur wenig später wünscht auch Hesander den Gast-gebern und den eventuell noch verbleibenden Gefähr-ten eine gute und vor allem borongefällige Nachtruhe und zieht sich dann in den Perainetempel zurück.

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Reisevorbereitungen – Teil 2Bei der Kräuterfrau

ovena erwacht am nächsten Morgen nach einer erholsamen Nacht. Nach einem reichlichen, je-

doch eiligen Frühstück nimmt sie Abschied von dem Botschafter und seiner Frau. Sie begibt sich zum Markt, wo sie den Kräuter- und Teeladen aufsucht. Vorsichtig nähert sie sich dem Stand und grüßt die alte Frau, die sie gestern verleugnet hat, distanziert, doch höflich, und hält ihr Garhelts Schreiben hin.

RR

"Seid gegrüßt, gute Frau. Ich komme von der Hetfrau und soll bei Euch einige Kräuter besorgen."

Mit einem Brummen hält sich die Alte das Schreiben vor die Nase und murmelt dann vor sich hin. "Gut, gut, dann lass' hören, was du brauchst, Kindchen. Aber sag mir noch, was du damit vor hast."

Rovena schaut die Alte misstrauisch an, äußert sich je-doch nicht weiter dazu.

'Eigentlich sollte sie doch wissen, was sie verkauft und wozu es dienlich ist,' denkt sie sich nur und beginnt, nach dem Gewünschten Ausschau zu halten.

"Ich brauche Tarnele," fängt sie an, das Gewünschte aufzuzählen. "Am besten als Salbe. Ah, wie ich sehe, habt Ihr dort ja einige Tiegel stehen. Gut, davon neh-me ich einen mit. Sie hilft, wie Ihr sicher wisst, gut bei Wunden, gegen die Schmerzen und fördert die Hei-lung." Sie schaut sich suchend um. "Ihr habt nur die Tarnele als fertige Salbe zubereitet da, wie ich sehe. Gibt es hier in Thorwal jemanden, der auch von an-deren Heilkräutern schon zubereitete Salben und Tränke anbietet?"

Die Kräuterfrau schüttelt bedauernd den Kopf. "Nein, Kindchen, hier bei uns nicht. Die musst du dir schon selber zubereiten."

Rovena schaut etwas unglücklich drein. Na, hoffent-lich gelingt es ihr, die Kräuter haltbar zu machen, ver-lieren doch viele ihre Wirkung, wenn dies nicht ge-schieht. Dann durchsucht sie die ausliegenden frische Kräuter.

"Sehr gut, hier ist ja auch frisches Wirselkraut. Davon gebt mir vier Pflanzen. Eine Salbe davon auf frische Wunden aufgetragen, stoppt die Blutung und ein Trank wirkt kräftigend."

Die Kräuterfrau nickt wissend mit dem Kopf und legt die ausgesuchten Pflanzen zur Seite.

"So, was haben wir hier noch?"

Rovena greift prüfend in die Auslage und zieht ein Körbchen mit den Früchten der Vierblättriger Einbee-re hervor.

"Sind die auch frisch?" will sie wissen.

Die Alte gibt einen entrüsteten Laut von sich. "Aber natürlich, was denkst du denn …"

"Dann gebt mir davon vierzig Beeren, ein Saft daraus wirkt ähnlich wie das Wirselkraut, stillt Blutungen, lindert jedoch auch Krankheiten und Vergiftungen."

Dann entdeckt sie noch etwas.

"Was ist denn dies hier, es sieht fast aus wie Gänse-blümchen …"

Die Kräuterfrau erklärt ihr eifrig: "Diese Pflanze fin-dest du nur hier bei uns im Nordwesten, Kindchen, das ist Klippenzahn. Der ausgepresste und eingekoch-te Saft davon kann das Wundfieber verhindern und beschleunigt die Wundheilung."

Rovena hört aufmerksam zu. "Dann gebt mir davon so viel, wie ich für einen Saft brauche."

Die Alte zählt ihr zehn Stengel ab und wartet erwar-tungsvoll auf ihre weitere Bestellung.

Nun durchsucht Rovena noch die getrocknete Ware. "Ich benötige noch Bleichmohn-Samen …"

Die Händlerin hält ihr einen Korb hin, in dem sich getrocknete Mohnkapseln befinden.

"Ah, sehr gut, danach habe ich gesucht. Es gibt kaum ein besseres Schmerzmittel … ich nehme davon drei-ßig Kapseln …"

Weiter schweift ihr Blick über die getrockneten Pflan-zenbündel, die sich vor ihr ausgebreitet darbieten. Ein Lächeln fliegt über ihr Gesicht, als sie die getrockne-ten, dicken, dunkelgrünen Blätter, die weißen, eiför-migen Früchte und ebenfalls getrockneten Blüten des Satuarienbusches entdeckt.

"Davon bräuchte ich einen nicht zu kleinen Beutel voll, denn einen stärkenden Tee kann man immer brauchen."

Zum Schluss bleibt ihr Blick an einem unscheinbaren, getrockneten Kraut hängen.

"Was sehe ich, Ihr bietet auch Thonnys an … das ist gut, auch dies eignet sich hervorragend zur Stärkung schwindender Kräfte."

Dabei denkt sie natürlich an Elgar und sich selbst, als sie von der Kräuterfrau sechsunddreißig Blätter haben möchte.

"So, wenn Ihr mir jetzt noch einen Tiegel mit Salben-fett und einen kleinen Mörser samt Stößel dazu packt, habe ich vorerst alles, was ich benötige. Sagt mir, was Ihr für alles verlangt, die Hetfrau wird für die Kosten aufkommen."

Mit diesen Worten verabschiedet sie sich von der Kräuterfrau und eilt mit ihrem Bündel zu Garhelts Haus.

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BekleidungAm nächsten Morgen versammeln sich die fünf Män-ner wieder bei Garhelt, allerdings ist diese gar nicht da. Joku, der Schreiber, wartet mit zwei Thorwalern auf die Ankömmlinge, die er als den Schuster und den Schneider vorstellt.

"Am besten sagt ihr den beiden jeweils, was ihr haben wollt. Ruft mich, wenn ihr fertig seid", verabschiedet sich Joku in einen Nachbarraum.

"Das Schreiben für die Akademie ist dann auch fertig", informiert er Elgar.

Dankend nickt Elgar zum Zeichen, dass er den Schreiber verstanden hat, mit dem Kopf und wendet sich an den Schneider: "Meister. Ich brauche für die Reise einen derben, wetterfesten weiten Mantel, der mich vor den Unannehmlichkeiten schlechten Wetters und meine Robe vor den Schnitten scharfer Blätter und den Stichen spitzer Äste schützt. Die Schultern sollten mit einem doppelten, abnehmbaren Überwurf verstärkt sein. Die Mantelschöße sollen geteilt sein und sich separat an den Beinen mit dünnen Riemen befestigen lassen, die an der Innenseite des Mantels befestigt sind, so dass auch Reiten oder Laufen bei starkem Wind den Mantel nicht aufbauscht.

Und seht meine Robe, die ich trage. Fertigt mir bitte ein ebensolches Stück aus bestem, aber stabilen Tuch. Füttert es mit nachtblauer oder schwarzer Seide, so Ihr habt und stickt nach den Vorlagen, die ich Euch geben werde, Symbole hinein."

Dann lässt er Maß nehmen.

Auf einen Bogen Pergament malt Elgar sodann ver-schiedene Symbole arkanen Charakters und ordnet sie auf einem Mantelumriß so an, wie er sie gern hätte. Dieses Pergament übergibt er dem Schneider.

Der Schneider ist begeistert: "Der Mann weiß, was er will!"

Und schon legt er los, Elgars Maße zu nehmen. Dann beginnt noch eine kurze Diskussion über die exakte Positionierung und Größe der einzelnen Ornamente, die nach kurzer Zeit zu beider Zufriedenheit abge-schlossen wird.

"Endlich einmal etwas anders!" bedankt sich der Schneider zum Abschluss bei Elgar.

An den Schuster gewandt: "Auch Euch, Meister, mei-nen herzlichen Dank im Voraus. Ein paar Stiefel aus festem, aber nicht zu hartem Leder wäre mein Be-darf."

"Kriegen wir hin", erwidert der Schuster, während er die Maße nimmt.

Ingalf ist erstaunt über die aufwendigen Bestellungen Elgars, dann überlegt er was er selber noch brauchen könnte: 'Die Sachen sind ja eigentlich alle noch in gu-tem Zustand, aber die Sohlen könnten ein wenig auf-

gemotzt werden, denn wir werden wohl viel laufen müssen.'

Als der Schuster mit dem Maßnehmen fertig ist, wen-det sich Ingalf an ihn: "Was meinst Du, lohnt es sich, die Stiefel neu zu besohlen, oder würdest Du zu neu-en raten?"

Der Schuster beschaut sich Ingalfs Stiefel genau. "Dei-ne Stiefel sehen doch gut eingelaufen aus. Neu Besoh-len ist am besten!"

Irgend etwas nagt am Schuster, dann platzt es aus ihm heraus: "Sag mal, wann hast Du die Stiefel zuletzt eingefettet?"

"Ich?" fragt Ingalf unbekümmert, "Das hat doch der Verkäufer gemacht!"

"Hältst Du es bei Deinen Waffen genauso?" entgegnet der Schuster trocken.

"An meinen Waffen hängt mein Leben, an meinen Stiefel aber nicht!" Auch Ingalf kann, wenn er will schlagfertig sein.

"Denkst Du, mein Lieber", seufzt der Schuster. "Es sterben mehr Soldaten an Krankheiten als an Wun-den. Viele werden wegen nasser, kalter Füße krank. Und man holt sich häufig nasse Füße, wenn man wei-te Strecken weitab von Wegen läuft."

"Ja, ja" erwidert Ingalf. "Du magst ja Recht haben, aber dann sag' mir doch, ob und wie meine Stiefel zu retten sind?"

"Ganz einfach: Ebenso regelmäßig einfetten, wie Du Deine Waffen pflegst."

"Gut, dann pack' mir was von dem Lederfett ein", for-dert Ingalf den Schuster auf. "Wie lange brauchst Du für die neuen Sohlen? Kann ich warten?"

Schneider und Schuster grinsen einander an.

Der Schneider meint: "Hängt davon ab, was noch an Bestellungen kommt. Ein paar Tage wird es aber dau-ern. Wir sind nämliche keine Zauberer."

Ein Grinsen zieht über Melachaths Gesicht, bis er sei-ne eigenen Stiefel sieht. Er ist es einfach nicht ge-wohnt, Stiefel einzufetten und schmiert da wahr-scheinlich genug für zwei drauf.

'Bei uns im Süden braucht man Stiefel nicht oft ein-fetten. In der trockenen Umgebung macht das nicht so viel Sinn.'

"Schuster, ich glaube ich hätte gerne auch noch schwere Stiefel. Und vielleicht einen dieser ledernen Reitmantel, wenn das möglich ist. Wir werden zwar nicht reiten, aber die Dinger werden ja auch gut gegen Regen sein."

Der Schuster vermisst auch Melachaths Füße.

"Den Ledermantel macht der Kollege."

An den Schneider gewandt fährt er fort: "Ich bräuchte eventuell noch einen Silham. Das ist ein Gewand aus

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dem Land der ersten Sonne. Es ist aus dicker Wolle gefertigt und hat eine Kapuze. Dass was ihr Burnus nennt, kommt dem am nächsten. Ich kann ja noch mit in die Schneiderei kommen und dann können wir das mit Nadeln kurz anstecken, dann zeige ich euch, was ich meine. Sonst bräuchte ich auch noch eine Wollhose, ein Leinenhemd, ein Halstuch und gute Lederhandschuhe."

"Habe alles dabei, junger Mann", erwidert der der Schneider und fängt an, Maß zu nehmen. "Südländi-sche Gewänder solltest Du Dir im Süden machen las-sen, aber Hose, Hemd und Halstuch sind kein Pro-blem. Die Lederhandschuhe macht der Schuster gleich mit."

"Ich könnte dir meinen eigenen mal vorbei bringen, dann weißt du, was ich meine und du könntest so et-was auch schneidern."

"Wir haben hier ein altes Sprichwort: 'Schuster, bleib bei Deinen Leisten!' Das gilt auch für Schneider."

Der Schneider wirkt richtig störrisch.

"Wofür brauchst Du das Ding überhaupt, wenn Du einen Ledermantel hast?"

Der Schuster wendet sich an Edric, als er dessen Schuhe sieht: "Hast Du auch Stiefel?" Als dieser ver-neint, bekommt er auch neue Stiefel angemessen.

"Hmm, wenn dann so ist, dann nehme ich ein paar neue und bringe dann die zum Besohlen vorbei, wenn ich die anderen abhole!" sagt Ingalf dann nach ein paar Minuten. 'Barfuß ist doch im Frühjahr noch zu kalt!'

"Machen wir!" Der Schuster nimmt Ingalfs Maße.

"Und Du, Diener der Götter, wie sieht es bei Dir aus?" Jetzt ist Hesander gefragt.

Hesander wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Dann wird er einen wetterfesten Mantel aus grünem Stoff und mit goldener Borte umnäht in Auftrag geben sowie ein Paar wetterfeste Stiefel. Dann sagt er zum Schneider: "Als Muster nehmt bitte meinen derzeiti-gen Mantel. Er ist zwar warm, aber sicherlich nicht für die Reise in unbekannte Gefilde geeignet. Achtet bitte auf das Schlangensymbol auf der vorderen linken Sei-te - vom Tragenden aus gesehen."

"Sehr wohl!" Schneider und Schuster machen sich ans Ausmessen.

Die beiden wollen schon gehen, da betritt Rovena den Raum. Sie grüßt in die Runde der noch Anwesenden und schaut die beiden Thorwaler fragend an.

"Ich komme doch hoffentlich nicht zu spät?" klingt es etwas verlegen aus ihrem Mund, als sie schnell ihr Bündel mit den eingekauften Kräutern und ihren Stab abstellt. Sie wendet sich an den Schuster und zeigt ihm ihre leichten Lederstiefel.

"Was meint Ihr, halten sie einen Marsch durch die Or-kenlande aus? Ich bevorzuge leichtes Schuhwerk, aber es sollte natürlich entsprechend warm sein."

Und schnell an den Schneider gewandt, bevor dieser verschwinden kann, fragt sie bittend: "Ich könnte auch einen langen, warmen, regenabweisenden Umhang gebrauchen, am Besten aus grünem Elfen-Bausch, denn der ist schön leicht und doch warm. Könnt Ihr mir den anfertigen?"

Der Schuster schaut sich Rovenas leichte Schuhe an und schüttelt den Kopf: "Das ist nichts für eine größe-re Expedition."

Der Schneider schüttelt auch den Kopf. Er grinst al-lerdings.

"Also, wenn Du den Stoff lieferst, kann ich daraus auch den Umhang machen, aber aus Wolle ist es kein Problem."

Die beiden nehmen auch Rovenas Maße.

Etwas enttäuscht zuckt Rovena mit den Schultern.

"Natürlich, Wolle geht auch, nur dann wird der Um-hang so schwer," murmelt sie leise und auch dem Schuster schaut sie skeptisch zu.

"Du wirst sehen, das klappt schon. Und Wolle ist leichter als Leder. Du kannst natürlich auch Leinen haben, aber das hält nicht so warm", überlegt der Schneider.

"Nein, nein, kein Leinen, das hält auch die Nässe nicht ab. Fertigt ihn dann bitte aus Wolle," entgegnet ihm Rovena mit einem kleinen, ergebenen Seufzer.

Als nun alle versorgt sind, verabschieden sich die bei-den: "In drei Tagen ist Anprobe, am Tag danach könnt ihr von uns aus losziehen."

"Gut, das ist sehr gut. Ihr braucht nicht zu hetzen." trägt Elgar den beiden Handwerkern auf. "Qualität ist sehr wichtig. Lasst euch ruhig Zeit!" - 'Was mir mehr Zeit für meine vorbereitenden Studien gibt!' lächelt er innerlich.

"Oh. Vier Tage also noch. Hmmm. Dann bleibt Euch ja noch viel Zeit zum Studieren, Herr Magus. Was machen wir noch bis dahin?"

In Anbetracht der knappen Kassen und des guten Es-sen in der Botschaft überlegt Ingalf nicht lange: "Wir könnten uns die Zeit mit dem Kamelspiel vertreiben. Und wenn uns das zu fad wird, vielleicht auch noch ein paar Runden auf dem Fechtboden machen, schließlich sollten wir fit sein, wenn es gegen die Orks geht!"

"Okay. In drei Tagen kriege ich die Regeln wahr-scheinlich jedem erklärt. Fällt denn sonst noch jeman-den etwas ein, was wir bis dahin noch machen sollten?"

"Vielleicht sollten wir uns schon mal zwei Maultiere aussuchen", fällt Edric ein. "Die können ziemlich stör-

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risch sein und, wenn sie sich nicht vertragen, dann mögen uns die Götter gnädig sein. Ich kann mich dar-um kümmern", bietet er an.

Bei den Worten Melachaths muss Elgar grinsen: "Nun, Hesander, Melachath. Mir würde da schon ei-niges einfallen."

Er macht eine kleine Pause, um sich der Aufmerksam-keit der beiden zu vergewissern.

"Ich werde Euch um die Einlösung Eures Verspre-chens hinsichtlich der Recherche in diversen Werken ersuchen. Flora und Fauna der Region, soweit be-kannt. Eventuell kann Euch da Edric weiterhelfen, dessen Heimat, das schöne Svellttal eine gewisse Ähn-lichkeit mit dem Orkenlande aufweisen dürfte. Jahres-zeiten und Wetterverhältnisse, Hochwasser der Flüsse usw. Der Bodir entspringt doch dort in der Gegend. Seht zu, was Ihr herausbekommen könnt." fordert er die beiden gelehrten Gefährten auf.

Hesander lässt sich die Worte durch den Kopf gehen.

Dann antwortet er: "Herr Elgar, ich werde meinen Anteil zum Wohle der Mission und zu Ehren Hesin-des sicherlich beitragen."

Dann schaut er Elgar mit etwas ernsterer Miene an: "Euer Tatendrang ist sicherlich bewundernswert, wis-set jedoch, dass ich zuvorderst der Herrin Hesinde diene."

'Hmm, ich sollte mir noch 2 Bund Petersilie mitneh-men!' Ingalf verdreht bei den Reden der beiden die Augen. 'Wenn das die ganze Zeit in diesem Ton geht, oh Swafnir!'

In diesem Moment kommt auch Joku herein und übergibt Elgar den Brief an den Erzmagus.

Dankend nimmt er den Brief entgegen und verab-schiedet sich von den anderen.

Drei Tage haben sie also noch Zeit … das wird hof-fentlich ausreichen, um die Kräuter zu verarbeiten. Rovena nimmt ihr Bündel und den Stab auf, wartet bis Elgar den Brief entgegen genommen hat und bittet dann Joku: "Könnt Ihr mich zur Hetfrau führen? Sie erwartet mich."

"Das mache ich gern!" Joku führt Rovena zu Garhelt.

Als sich alle zum Gehen aufmachen, wendet sich In-galf an die Gefährten: "Also, ich werde jetzt Edric be-gleiten. Und ihr wollt also studieren, nun gut, wir tref-fen uns dann heute Abend beim Kamelspiel in der aranischen Botschaft. Es sei denn ihr wollt euch auch noch die Nächte um die Ohren schlagen."

"So sei es. Ich werde mir die Nächte sicherlich nicht über verstaubten Büchern verderben. Wir sollten uns einfach jeden Abend in der Botschaft treffen, damit wir uns austauschen können, was wir den Tag über so erfahren haben."

Dann geht er mit Edric im Schlepptau in Richtung Stall und lässt sich in den nächsten Tagen von dem Hirten zeigen, wie man mit Maultieren umgeht.

Edric erzählt Ingalf bereitwillig alles, was er über den Umgang mit Maultieren wissen muss. Gemeinsam suchen sie Tiere aus, die sich nicht beißen und zan-ken.

"Wie viele Tiere wollen wir denn mitnehmen?" fragt er Ingalf.

"Hmm", erwidert Ingalf nach einigen Überlegungen, "Garhelt sagte wir sollen zwei fürs Gepäck mitneh-men. Können denn 2 Tiere alles tragen, was sich un-sere klugen Herren so ausgesucht haben?"

Nachmittags wird er mit Melachath oder mit Edric ein paar Trainingsrunden im Fechtboden durchziehen.

Edric schaut eifrig zu, wenn die beiden Kämpfer trai-nieren. Ihm selbst sind solche Waffen zu groß, zu schwer und zu unhandlich. Er verlässt sich lieber auf seinen Instinkt, seine Schleuder und den Stab, den er von den Mönchen in der Wüste bekommen hat. Sei-ner Erfahrung nach sind Orks zwar kriegerischer als Menschen, doch bisher konnte er immer gut mit ih-nen verhandeln. Zwar waren sie nie befreundet, doch gab es gegenseitige Toleranz in ihrer Beziehung.

Aufmerksam verfolgt er die Bewegungen, um Muster im Bewegungsablauf zu finden. Wer weiß wann er einmal gegen einen solchen Gegner antreten muss.

Er wird zusätzlich einige Male von Ingalf aufgefor-dert, auch mal mit seinem Stab anzugreifen und zeigt ihm dann auch noch ein paar Finten mit denen man auch eine Orknase oder eine ähnliche Waffe abwehren kann.

Es stellt sich heraus, dass Edric sich mit seinem Stab ganz gut zu wehren weiß. Und mit einer Orknase einen Stab abzuwehren, ist auch nicht ganz einfach.

'Ich brauche unbedingt noch Kugeln. Nur schade, dass die Hetfrau etwas gegen Schleudern hat … So muss ich wohl mit Steinen vorlieb nehmen.' Bei die-sem Gedanken seufzt er unwillkürlich.

Edric braucht nach Ingalfs Meinung noch ein wenig Schliff, wenn er einem Ork gegenübertreten soll oder muss.

Abends finden sich dann Edric und Ingalf zum Ka-melspielen in der aranischen Botschaft ein.

RovenaGarhelt begrüßt Rovena: "Na, hast Du alles bekom-men, was Du wolltest?"

Die junge Frau neigt zur Begrüßung den Kopf.

"Ja, zumindest was die Kräuter angeht habe ich alles," erwidert sie. "Doch werde ich einen Teil davon noch weiterverarbeiten müssen, um ihre Heilkraft zu erhal-ten."

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Sie hält inne und schaut Garhelt fragend an.

"Kann ich das bei Euch hier in Ruhe machen? Ich bräuchte dazu auch einen kleinen Kessel, Sieb, Tiegel und Fläschchen, um die fertigen Säfte und eine Salbe abzufüllen."

Sie überlegt, ob ihr noch etwas fehlt und fügt dann lei-se hinzu: "Ich hoffe, es gelingt mir, so viel Erfahrung habe ich mit der Zubereitung nicht, das hat bisher im-mer meine Mutter gemacht, während ich ihr zur Hand ging und zusah."

"Gerne Tochter, Du kannst alles, was Du brauchst von meiner Köchin bekommen."

Garhelt wendet sich an Joku: "Bringst Du Rovena zu Barion?"

Gesagt, getan - Rovena wird zu Köchin gebracht. Die ist in der großen Küche des Anwesens gerade damit beschäftigt, zusammen mit ihren Helferinnen und Helfen, das Mittagessen zuzubereiten. Joku schafft es im Moment nicht, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Geduldig steht Rovena mit Stab und Bündel da, und wartet, bis die Köchin Zeit für sie findet. Neugierig beobachtet sie die Betriebsamkeit der Küchengehilfen und schnuppert nach den Gerüchen der auf den Herdfeuern zubereiteten Speisen.

"Du kommst zurecht?" fragt Joku.

"Ich denke schon. Du kannst ruhig gehen, Joku, lass dich nicht aufhalten," entgegnet Rovena ruhig und be-hält Barion, die Köchin, um deren Aufmerksamkeit Joku bemüht war, im Auge. Aufmerksam mustert sie die geschäftige Frau.

Nach einiger Zeit kehrt Ruhe ein, und Barion nimmt Rovena endlich wahr.

"Was treibt Dich denn hierher, bist Du die neue Aus-hilfe?"

Rovena muss grinsen.

"Nein, da muss ich Dich enttäuschen," antwortet sie, ihre Augen blitzen belustigt. "Die Hetfrau schickt mich. Ich soll von Dir ein paar Sachen erhalten, die ich für die Vorbereitung der Expedition benötige."

Die ohnehin schon breite Köchin stemmt die Arme in die Hüften. "Aha, die Hetfrau. Nun ja, da ich vermu-te, dass keiner so dumm ist, sich ohne Berechtigung auf Garhelt zu berufen, werde ich Dir helfen, wenn Du keine zu unverschämten Wünsche hast. Also, was liegt an?"

Ganz leicht verengen sich Rovenas Augen, der Griff ihrer Hand am Stab wird fester, als sich Barion vor ihr aufbaut.

"Wenn ein ruhiger Platz an einer Feuerstelle, ein klei-nen Kessel samt Kochbesteck, frisches Wasser, ein Sieb und ein Trichter nicht unverschämt sind, möchte ich dich doch bitten, mir diese Wünsche zu erfüllen. Ach

ja, und ein oder zwei Salbentiegel sowie ein paar Fläschchen brauche ich auch noch."

Der Klang ihrer Stimme ist etwas leiser, und schärfer, ohne jedoch seine Freundlichkeit zu verlieren, ein un-bestimmtes Lächeln umspielt ihren Mund.

"Deine Hetfrau freut sich bestimmt auch, wenn sie von mir hört, dass ich zufrieden bin."

Sie neigt den Kopf mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen zur Seite.

Einen Moment schaut die Köchin Rovena prüfend an, dann grinst sie breit und schlägt ihr auf die Schulter.

"Du bist gut, immer gerade heraus. Was Du willst, lässt sich organisieren."

Überrascht lässt Rovena den Schulterschlag über sich ergehen, verstohlen reibt sie sich die schmerzende Stelle.

"Danke, das hatte ich auch gehofft," antwortet sie Ba-rion mit einem milden Lächeln.

Und tatsächlich, in kürzester Zeit hat Rovena ihre Kochstelle alle benötigten Utensilien beisammen.

An einem freien Tisch am Feuer öffnet sie ihren Beu-tel, in dem sie ihren Einkauf verstaut hat und breitet alles auf dem Tisch aus.

'Womit fange ich jetzt am Besten an?' fragt sie sich, und starrt einen Moment auf den vor ihr ausgebreite-ten Beutelinhalt.

Zuerst einmal packt sie die schon getrockneten Kräu-ter wieder ein, ebenso den Tiegel mit Tarnelensalbe. Den Rest ordnet sie auf dem Tisch an. Das Wirsel-kraut … damit sollte sie beginnen, der Sud daraus muss sechs Stunden ziehen, bevor er abgeseiht und abgefüllt werden kann. Und für die Salbe müssen drei Wirselkräuter fein zerrieben und mit Salbenfett ver-mengt werden. Sie füllt Wasser in den Kessel und hängt ihn über das Feuer. Ihr fehlt doch noch ein klei-ner Topf, den sie sich von einem Küchengehilfen ge-ben lässt. Dahinein gibt sie die grob klein gerupften Blätter der vierten Pflanze. Während sie darauf wartet, dass das Wasser zu sprudeln beginnt, fängt sie an, die anderen Pflanzen im Mörser fein zu zerreiben. Zwi-schendrin kocht das Wasser und sie übergießt die zer-rupften Blätter in dem Topf, den sie mit einem Tuch abdeckt. Zu den zerriebenen Pflanzen gibt sie das Sal-benfett und vermengt alles miteinander. Die gut ge-mischte Salbe verteilt sie glatt gestrichen in die zwei Tiegel, verschließt diese sorgfältig und verstaut sie in dem Beutel. Die ganze Zeit über summt sie leise eine Melodie vor sich hin, wie auch Ayla immer bei guter Laune während der Verarbeitung vor sich hinge-summt hat.

Nach dem der Mörser gereinigt ist, gibt sie nach und nach die blauen, nußgroßen Beeren der Vierblättrigen Einbeere hinein, zerstampft sie und gibt den Brei in

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den Kessel. Über dem Feuer kocht sie den Brei unter andauerndem Rühren kurz auf und will ihn nun in eine bereit stehende Flasche durch ein Sieb abgießen, doch es gelingt ihr nicht, den heißen Topf und das Sieb gleichzeitig zu halten, um die Flüssigkeit in die Flasche zu bekommen. In ihrer Ungeschicklichkeit stößt sie die Flasche um, sodass ein guter Löffel voll des wertvollen Tranks auf dem Tisch landet. Deutlich vernehmbar flucht sie vor sich hin, ihre gute Laune hat sich schlagartig verzogen. Hilfesuchend blickt sie sich um und bittet den sie beobachtenden Küchenge-hilfen, ihr Flasche und Sieb zu halten, damit sie mit beiden Händen den Kessel ausleeren kann.

"Ich habe noch ein paar andere Flüssigkeiten umzu-gießen. Es wäre sehr nett, wenn du mir dabei auch helfen kannst, da fehlt es mir wohl an der Geschick-lichkeit," muss sie eingestehen.

Doch der Junge grinst nur schief und hält ihr ohne weitere Bemerkungen Sieb und Flaschen, so dass sie den überwiegenden Teil des Tranks in die Flasche ge-füllt bekommt.

Der Blick, den sie ihm mit ihren smaragdgrünen Au-gen für seine Hilfsbereitschaft zuwirft, lässt den Jun-gen bis zur Haarwurzel erröten.

Mittlerweile ist es schon spät am Nachmittag, die Ar-beit zieht sich hin. Und nun der Klippenzahn. Sie zieht die Stirn in Falten und versucht sich zu erin-nern, was ihr die Kräuterfrau dazu gesagt hat. Erst die Stengel auspressen und dann einkochen. Nun gut, auch das sollte zu bewerkstelligen sein. Mühsam zer-drückt sie die Stengel in ihrem wieder gereinigten Mörser und streicht den Brei durch das Sieb. Kritisch betrachtet sie die sich im Kessel ansammelnde Flüs-sigkeit, während sie den eindickenden Saft gleichmä-ßig rührt. Als sie der Meinung ist, dass er die richtige Konsistenz erreicht hat, füllt sie auch diese Flüssigkeit mit Hilfe des Küchenjungen in eine Flasche ab.

Draußen wird es bereits dämmrig. Der Wirseltrank-Absud sollte nun auch genügend gezogen haben und wartet darauf, geseiht und abgefüllt zu werden. Ein letztes Mal winkt sie den Küchengehilfen herbei und auch dieses Mal gelingt es ihr Dank seiner Hilfe den Trank ohne große Verluste abzufüllen. Zufrieden be-trachte sie ihr Werk, verkorkt die Flaschen sorgfältig und verpackt alles samt Mörser, Stößel und Sieb in ih-rem Beutel. Dem Küchengehilfen und der Köchin dankend verabschiedet sie sich und beeilt sich, die ara-nische Botschaft zu erreichen, wo sie sich für den Abend mit den anderen treffen will. Vielleicht ist es ihr ja sogar erlaubt, dort bei dem herrlich duftenden Garten eine weitere Nacht zu verbringen …

ElgarNachdem sich Elgar von seinen zukünftigen Reisege-fährten verabschiedet hat, eilt er zur Hellsicht-Akade-

mie Thorwals zurück. Schnellen Schrittes lässt er den Markt und die Gassen bis hin zu dem Steinbau hinter sich.

Am Tor angekommen zieht er das versiegelte Schrei-ben der Hetfrau hervor und reicht es dem dort warten-den Diener mit den Worten: "Übergebt dies bitte Sei-ner Spektabilität, mit besten Empfehlungen von Het-frau Garhelt."

Bei ihrer Erwähnung beäugt der Diener neugierig das Siegel und mit einem Erkennen in seinem Blick hält er Elgar davon ab, sich in seine Kammer zurückzuzie-hen: "Bitte folgt mir unverzüglich. Sendboten der Hetfrau sind sofort vorzulassen, ganz gleich, worum es sich handelt oder welche Stunde schlägt." zitiert er offenbar allgemeine Anweisungen. Der Diener wirkt aufgeregt: "Eilt Euch, eilt Euch. Ihre Spektabilität höchst persönlich wünscht Euch zu sprechen!"

Mit einem Schulterzucken akzeptiert Elgar dieses Ver-halten und kurz darauf steht er vor einer schweren ei-chernen Tür. Auf das zaghafte Klopfen des Dieners hin wird mit einer starken weiblichen Stimme zum Eintreten aufgefordert. Ihre Spektabilität, Cellyana von Khunchom, sitzt in einem bequemen Sessel hin-ter einem riesigen Schreibtisch voller Bücher.

Sie winkt die beiden herein: "Was gibt es?" fragt sie.

Der Diener überreicht unter mehreren Verbeugungen das Pergament und zieht sich dann zurück.

Elgar bleibt allein vor dem Schreibtisch stehen. Etwas unschlüssig sieht er sich um, während die Erzmagie-rin die Nachricht von Garhelt aufmerksam liest.

Dann lehnt sie sich zurück und mustert ihren Besu-cher aufmerksam: "So so. Ihr wollt also ein Ritual un-ter der Obhut der Akademie ausführen. Ich nehme an, Euer Stab soll ein weiteres Mal mit einem Stabzauber besprochen werden?"

Mit klarer Stimme antwortet er ihr: "Genau so ist es, Eure Spektabilität."

"Hm, gut. So sei es. Ich werde Trebonius anweisen, Euch zu unterstützen." Dann wird sie nachdenklich. "Hetfrau Garhelt ersucht mich weiter darum, Euch 'Zaubertränke' zur Verfügung zu stellen." Sie schüttelt den Kopf. "Auch wenn wir von der Akademie immer gern helfen, wo wir können, glaube ich nicht, dass Euch ein Zaubertrank von Nutzen sein kann. Ihr seid … Adeptus, und als solcher steht Euch nicht mal in Eurer heimischen Akademie der Zugriff auf derartig machtvolle Tränke zu. Ich muss ablehnen." Leichtes Bedauern ist aus ihrer Stimme zu hören.

Elgar verbeugt sich steif aus der Hüfte: "Ich respektie-re und akzeptiere Eure Entscheidung. Vielen Dank, dass ich Euch persönlich mein Anliegen überbringen durfte."

Mit einer winkenden Handbewegung läutet sie eine kleine Glocke, die kaum zu hören ist. Gleichwohl öff-

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net sich kurze Zeit später eine andere - bislang verbor-gene - Tür und ein stattlicher Mann fortgeschrittenen Alters tritt ein.

"Trebonius, sei so gut und begleite unseren Gast hin-aus. Er wird ein Ritual mit Deiner Unterstützung voll-ziehen."

Das Ganze klingt mehr nach einem Befehl, denn nach einer Bitte. Trotzdem verbeugt auch Trebonius sich und geleitet Elgar aus dem Studierzimmer der Akademieleiterin hinaus.

Vor der Tür angekommen stellt Elgar sich seinem Be-gleiter vor: "Gestattet, ich bin Elgar Arres, Adeptus mi-nor, derzeit auf Wanderschaft und in Diensten der Hetfrau Garhelt zur Erkundung des Orklandes. Bitte zeigt mir einen Platz, an dem ich das Ritual des zwei-ten Stabzaubers durchführen kann."

Stumm lächelnd nickt Trebonius mit dem Kopf und bedeutet Elgar, ihm zu folgen. Sie durchqueren die ganze Akademie, so scheint es jedenfalls, denn der Weg ist lang und führt mehrere Treppe hinauf und auch wieder hinab. Schließlich erreichen die beiden einen Gang, der über mehrere Schritt kahl ist und an dessen Ende eine Tür zu sehen ist. Der dahinter lie-gende Raum ist das Ziel der Wanderung. Der Raum selbst ist kaum 4 Schritt im Quadrat groß und fenster-los. In jeder der 4 Ecken hängt eine Fackel in einem Halter. Nachdem die beiden eingetreten sind und die Tür von innen geschlossen ist, sehen alle Wände gleich aus. Nichts lenkt das Auge des Betrachter ab oder zieht den Blick auf sich. Auf den fragenden Blick Elgars hin spricht Trebonius zum ersten Mal: "Nichts soll die Konzentration stören." beantwortet er mit ei-ner voll klingenden aber leisen Stimme die unausge-sprochene Frage. Mit einem Fingerzeig deutet er in Richtung Firun.

Mehr ist auch nicht nötig, Elgar hatte den gesamten gestrigen Tag über viele Stunden in die Lektüre des Ablaufs des Rituals investiert. 'Das wird sich jetzt hof-fentlich auszahlen.'

Trebonius versenkt sich in Gedanken und meint kurz darauf: "Die richtige Zeit ist noch eine knappe Stunde entfernt."

Stumm nickt Elgar und legt sein Gepäck und die Robe ab. Nur mit Hemd und Hose bekleidet lässt er sich auf den Boden nieder. Dort zieht er die Stiefel aus und sucht mit den nackten Zehen Kontakt zum Fuß-boden. Den Stab legt er quer über seine gekreuzten Beine, ergreift ihn mit beiden Händen in gleichem Abstand von der Mitte und legt die Daumen über die greifenden Finger. So sitzend entspannt er sich, kon-zentriert sich noch einmal auf den Ablauf.

Nur wenige Augenblicke später - so scheint es - meint Trebonius: "So, in wenigen Augenblicken ist der ideale

Zeitpunkt für den Beginn des Rituals gekommen, fang an!"

Elgar fühlt sich in seine Novizenzeit zurückversetzt. So war er auch damals aufgefordert worden. Schnell verdrängt er diesen Gedanken und konzentriert sich auf sich selbst. Er versucht, sein inneres Zentrum, die Quelle seiner Kraft zu finden. Mit geschlossenen Au-gen wandert sein geistiger Blick an sich herab, be-trachtet sich gleichsam von außen. Er sieht sich den Stab auf den Knien haltend. Eine kleine Ewigkeit scheint nichts zu geschehen. Dann kann sein geistiges Auge feine rote Linien erkennen. Noch sind sie unge-ordnet, wild durcheinander.

Mit der Kraft seines Willens formt er die Stränge der Kraft in sich und bündelt sie in ein festes Band, das er durch beide Hände in den Stab fließen lässt. Er spürt, wie die Kraft zuerst über die Oberfläche des glatten Stabes tanzt, wie die Energie in seinen Handflächen prickeln.

Die Zeit vergeht. Elgar weiß nicht, wie lange er sich schon mit aller Kraft konzentriert. Instinktiv merkt er, dass ein kritischer Punkt erreicht ist: Die Matrix ist nahezu vollständig aufgebaut. Die gewünschte Wir-kung muss nun im Stab verankert werden. Licht. Feu-er. Der Stab verwandelt sich vor Elgars geistigem Auge in eine Fackel. Wie hat er das geschafft? Er wiederholt es. Er hält den Stab und befielt dem Stab in Gedan-ken. Der Stab fängt an zu leuchten, das Leuchten konzentriert sich auf die Spitze und wird intensiver. So intensiv, dass schließlich nicht nur Licht, sondern auch die Wärme eines Feuers von ihr ausgeht.

In diesem Moment wird Elgar klar, dass er soeben den Verwandlungsvorgang in unendlich langsamer Ge-schwindigkeit erlebt hat. Seine nächsten Versuche der Umwandlung sind so schnell, dass dem Auge kaum Zeit bleibt, sich an die Veränderung zu gewöhnen. Vielmehr ist der Stab von einem Moment auf den an-deren eine Fackel, und dann wieder nicht mehr. Schweißgebadet wird Elgar vom Rütteln an seinen Schultern wach.

Trebonius hält ihn mit beiden Armen in der sitzenden Position fest: "Ihr währt beinahe vornüber gefallen." erklärt er. Nur mit Mühe gelingt es ihm, Elgar auf die Beine zu bringen und ihm beim Anziehen zu helfen: "Ihr solltet jetzt schlafen. Ihr hattet einen anstrengen-den Tag."

Obwohl im fast im Laufen die Augen zufallen, folgt Elgar Trebonius durch die Akademie. Wie es scheint, ist der Rückweg wesentlich kürzer und bereits ein paar Augenblicke später liegt er in seiner Kammer im Bett und schläft, und schläft und schläft …

Erst am übernächsten Morgen erwacht Elgar und fühlt sich recht gut erholt. Wenngleich er spürt, dass ihm noch ein erheblicher Teil seiner Kraft fehlt.

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'Aber sie wird wiederkehren.' Das hat er in seinem Buch der Stabzauber gelesen. Das Ritual hat ihn keine permanente Kraft gekostet.

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Bald geht es los!ie neue Kleidung und die neuen Stiefel sind so, wie die jungen zukünftigen Abenteuer sich

vorgestellt haben. Gut gearbeitet und bequem. Vier Tage hat die Herstellung gebraucht. Dann kam eine Anprobe, und am nächsten Tag, dem heutigen, ist al-les fertig. Jetzt geht es nur noch darum, die Lasten richtig zu verteilen.

DD

Die neue Robe passt Elgar genauso gut, wie seine "er-zauberte". Sogleich tauscht er die beiden und verpackt die alte Robe mit auf ein Maultier. Die alten Stiefel überlässt er dem Schuster, zuletzt zieht er den Mantel über, ein schönes Stück aus dunklem, schweren segel-tuchähnlichen Material.

"Und?" fragt er in die Runde, "Sehe ich jetzt irgendwie 'finster' aus, oder geht es?"

Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen und die Gefährten wissen nicht, wie ernst die Frage gemeint ist.

"Äh, siehst finster genug aus" äußert Melachath mit ei-nem Stirnrunzeln.

'Jetzt weiß ich auch, warum man immer vor Meistern der Magie gewarnt wird. Die sind merkwürdig. Werde wohl mal ein Auge auf ihn werfen müssen.'

Dann tauchen Ingalf und Edric auf. Der Thorwaler muss sich ein Grinsen verkneifen als er die Antwort von Melachath hört.

"Finster genug wofür?" fragt Elgar mit einem leicht misstrauischen Unterton in der Stimme. Sein Haar hängt ihm leicht im Gesicht, aber die roten Augen blitzen darunter hervor, als er das Kinn senkt und die Augen damit scheinbar tief unter die kaum sichtbaren Augenbrauen absenkt. Obwohl er äußerlich wirklich nicht anziehend aussieht, zieht er alle Blicke auf sich und überzeugt schon fast durch pure Anwesenheit.

"Also …?" fragt er noch mal nach.

"Keine Ahnung wofür. Du hast gefragt, ob du finster aussiehst. Ein Normaler hätte eine solche Frage nicht mal gestellt."

Mit einer neckenden Bemerkung hat Rovena auf El-gars ursprüngliche Frage antworten wollen, doch nun zieht sie ihre Stirn in Falten. Schnell tritt sie zwischen die beiden, fasst Elgar am Arm und versucht, seinen Blick mit ihren smaragdgrünen Augen zu fesseln.

"Ihr seht Eurem Stande gemäß respekteinflößend aus, Isinha," versucht sie ihn leise mit sanfter Stimme zu beschwichtigen. "Der schwarze Mantel steht Euch und wird Euch auf der Forschungsreise sicher gute Dienste leisten."

Sie lächelt ihn an. "Und, was sagt Ihr zu meinem Um-hang? Eine gute Arbeit, meint Ihr nicht auch?" ver-

sucht sie ihn abzulenken und die Situation zu ent-spannen.

"Fürwahr, edle Dame", antwortet Hesander auf Ro-venas Frage. "Der Umhang steht Euch ausgezeichnet."

Dann begutachtet Hesander seinen neuen grünen Reisemantel.

"Gute Arbeit", murmelt er und zieht ihn an.

Rovena blickt sich schnell zu dem Geweihten um, ohne jedoch von Elgar abzulassen.

"Vielen Dank, Hesander," erwidert sie, ihr Blick fällt auf seinen grünen Mantel. "Grün ist auch eine schöne Farbe, ich mag sie ebenfalls," bemerkt sie mit einem zögernden Lächeln.

"Euer Umhang wirkt … äh … kleidsam." antwortet er vorsichtig.

Es ist offensichtlich, dass Rovena sich zwischen sie drängt, um einen sich anbahnenden 'Konflikt' - gleich welcher Art - schon im Keim zu ersticken.

'Sie führt die ihr von Garhelt zugedachte Aufgabe wirklich gut aus.' bewundert er sich im Stillen. 'Auch wenn sie sich wahrscheinlich dessen gar nicht bewusst ist!'

Kurz treffen sich ihre Blicke, das feurige Rot seiner und das kühle Grün ihrer Augen. Seine leichte An-spannung lässt etwas nach, als er laut fortfährt: "Und 'respekteinflößend', bei Hesinde, das ist vielleicht un-ser guter Ingalf hier! Nein, mir ging es mit der Frage eigentlich darum, ob ich überhaupt noch standesge-mäß gekleidet bin, wenn ich den Mantel über der Robe trage."

An Melachath gewandt: "Meine ungeschickte Aus-drucksweise muss Euch zu einer Fehlannahme verlei-tet haben. Dennoch danke ich Euch für die Kritik." fährt er mit einer leichten Verbeugung fort.

"Ist schon in das Reich des Vergessenen entfleucht."

Rovena nimmt erleichtert ihre Hand von Elgars Arm. Forschend gleitet ihr Blick über sein Gesicht. Sie kennt seine Vergangenheit, als einzige hier, und das macht ihn ihr vertraut. Nachdenklich streicht sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Garhelts Worte gehen ihr wieder durch den Kopf … und die ihrer Mutter. Nun, man wird sehen … Ihr Blick wandert von Melachath zu Ingalfs eindrucksvoller Erschei-nung, eine bessere Begleitung auf so einer Reise kann man sich doch eigentlich gar nicht wünschen.

Ingalf selbst wirkt schon ein wenig bedrohlich und kämpferisch: Er trägt seinen lange Fellweste über Hemd und Hose, hat auch schon seine neuen Stiefel an. Auf dem Rücken trägt er den Rundschild, im Gür-tel steckt sein blankgeputzter Schneidzahn und in der

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Hand trägt er seine neue Orknase. Das Gepäck - sein vollgepackter Seesack mit den aufgeschnallten restli-chen Waffen und dem Schlafsack, sowie ein Bündel mit Töpfen, Pfannen und weiterem Kochgeschirr - wird von zwei jungen Verwandten Ingalfs getragen.

Dann nimmt Melachath sein Zeugs und fängt an, das Werkzeug auf ein Tier zu packen. Etwas argwöhnisch bemerkt er, dass nur zwei Esel vorhanden sind.

'Vielleicht sollten wir noch einen dritten Esel mitneh-men. Naja erst mal sehen.' Dann zieht er noch die neuen schweren Stiefel an und tut seine eigenen mit auf einen Esel. 'Wenn da was dran kommt, möcht ich nicht barfuß laufen.'

"So dann bin ich ja mal gespannt, wie unser aller Zeug auf die beiden Esel passen soll. Vor allem mit dem Proviant."

"Edric und ich haben das schon ausprobiert - das passt!" lässt sich Ingalf vernehmen, während er seinen Seesack und das Bündel auf einem der Esel befestigt.

Bei sich tragen alle ihre persönliche Ausrüstung. Der Rest wird auf die Maultiere gepackt.

Aufmerksam betrachtet Melachath, ob die Ausrüstung komplett auf die beiden Packesel passt. Vorsichtig richtet er noch mal seinen kleinen Turban und über-prüft, dass dieser fest sitzt.

Es sieht gut aus. Die beiden Maultiere sind zwar ziemlich voll beladen - außer den persönlichen Sa-chen ja auch mit Proviant und einem Zelt, aber sie se-hen nicht überladen aus.

'Gut, das das geklappt hat.'

Rovena probiert die neuen Stiefel über und nickt zu-frieden. Ja, sie sind bequem und fest, bestimmt halten sie mehr aus als ihre alten, mit denen sie hier ankam. Verstohlen versteckt sie ihr Jagdmesser wieder im Schaft des neuen Schuhwerks und probiert anschlie-ßend den Kapuzenumhang an. Auch er passt wie für sie gemacht, der dunkelgrüne Stoff aus gefilzter Wolle wird die Nässe gut abhalten und sie wärmen. Zufrie-den wickelt sie ihre alten Stiefel in das Cape und sucht nach einem Platz dafür auf den Maultieren. Sie kon-trolliert, ob auch ihr Schlafsack, das Kochgeschirr und genügend Verbandsmaterial mitgeführt wird. In ihrem Tuchbeutel, der ihr schwer über die Schulter hängt hat, hat sie die Kräuter, Salben und Tränke verstaut, Mörser und Sieb packt sie zum Kochgeschirr auf das Maultier. Mit ihrem Stab aus Ebenholz in der Hand steht sie nun da und betrachtet neugierig ihre Reisege-fährten.

Edric probiert stolz seine neuen Stiefel an. Sie sehen nicht nur schick und bequem aus, nein sie sind es auch! Und so teure Stiefel hat bestimmt noch nie-mand in seinem ganzen Dorf besessen. Allein deswe-gen hat es sich gelohnt, fortzugehen!

"So, ihr Lieben!" begrüßt Garhelt die sechs, als sich alle bei ihr versammelt haben. "Damit die Erkundung auch wirklich ein Erfolg wird, habe ich für euch noch zwei Geschenke."

Hetfrau Garhelt tritt an ein Regal und zieht einen dreißig Zentimeter langen, armdicken Gegenstand heraus. Das Gebilde sieht aus wie eine braune, spär-lich behaarte Keule, die an ihrem dünneren Ende mit einer spatenförmigen, glatten, transparenten Fläche versehen ist.

"Der abgeschlagene Daumen eines Riesen", erläutert Garhelt schlicht. "Wann immer ihr während eurer Rei-se auf einen Orkstamm stoßt, zeigt den Kreaturen die-ses Ding. Sie werden euch wie Könige verehren."

'Interessant. Ich frage lieber nicht, wer das war.' über-legt Elgar stumm.

Dann antwortet er: "Ich mag Eure Einschätzung die-ses Umstands nicht anzweifeln. Gleichwohl denke ich, dass das eine Frage des Glaubens darstellt. Und für Fragen des Glaubens ist unser werter Herr Hesan-der zuständig. Ich bin dafür, dass er den Daumen ver-wahrt und ihn den ungläubigen Orken zeigen soll."

Hesander schaut erstaunt auf den Daumen. So etwas hat er noch nie gesehen.

"Das ist sehr fürsorglich von Euch, Hoheit. Es emp-fiehlt sich Konflikten mit den Orks aus dem Weg zu gehen. Und wenn man die Theoretica orcis überprü-fen will", Hesander schaut in Richtung Elgars, "dann wird dies wohl etwas schwierig, wenn man während-dessen Schwerthieben ausweichen muss."

"Das ist wohl wahr", ist die knappe Antwort Garhelts.

Rovena starrt das keulenförmige Fingerglied des Rie-sen mit einem leichten Schauer sprachlos an.

'Drei dieser Ungetüme sollen im Orkland leben? Hof-fentlich laufen wir ihnen nicht über den Weg … Orks sind ja schon schlimm genug …'

Sie schluckt unmerklich.

Garhelt sagt nichts weiter, sondern schaut die zukünf-tigen Orklandreisenden nur abwartend an. Sie scheint auf etwas zu warten.

'Der Daumen eines Riesen. Wo hat sie den nur her?' fragt sich Edric, immer wieder überrascht.

"Welcher Riese war es denn, dem der Daumen nun fehlt und wer hat ihn abgeschlagen?"

"Oh, mitgebracht hat den einer meiner Vorfahren. Rior Riesenschläger nannte er sich nach seinen Abenteu-ern." Sie kratzt sich am Kopf. "Den Namen des Riesen weiß ich nicht. Haben Riesen überhaupt Namen? Es wird aber überliefert, dass die Orks nichts so fürchten, wie die drei im Orkland heimischen Riesen. Sie glau-ben, nur ein Gott könne diesen Ungeheuern einen Schaden zufügen."

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Garhelt hat tatsächlich für Elgar einen Quadranten organisiert. "Kannst Du tatsächlich damit umgehen?"

"Natürlich!" antwortet Elgar im Brustton der Über-zeugung. "Schließlich habe ich gelesen, dass mit einem solchen Apparat der Standort bestimmt werden kann und wie das so vor sich geht."

Garhelt gluckst. "Vergiss es, mein Junge! Es soll auch Männer gegeben haben, die gelesen haben, wie man eine Frau glücklich macht. Immer musste es ihnen ge-zeigt werden. Und sie mussten unter Aufsicht üben." Garhelt kichert weiter.

"Nun, das ist wohl etwas anderes!" entrüstet stemmt Elgar die rechte Hand in die Hüfte, den Stab in der Linken haltend.

"Und das mit der 'Aufsicht' habe ich überhört." gibt er zu bedenken. "Ich glaube, Ihr hättet bei meinem Stamm sehr sehr glücklich werden können." über die Einzelheiten dieser Bemerkung schweigt er sich je-doch aus. Nur ein wissendes Lächeln zeigt Garhelt, dass er ihre Bemerkung nicht übel nimmt.

"Gut, gut. Wenn Du Dein Teil wirklich mitnehmen willst, so hast Du meinen Segen."

Garhelt gluckst noch zweimal unterdrückt.

Während sich die anderen verabschieden überdenkt Edric noch einmal die Worte der Hetfrau.

"Ihr habe vorhin noch ein zweites Geschenk erwähnt", wendet er sich an Garhelt.

Obwohl die wie eine Urgroßmutter ist, ist sie dennoch das Oberhaupt der Thorwaler und er senkt verlegen den Blick.

Bei diesen Worten hält Elgar inne. "Stimmt. Unser junger Freund hier hat Recht!"

Er ist beeindruckt über die Aufmerksamkeit Edrics.

'Aus dem Jungen kann etwas werden.' überlegt Elgar.

Ingalf ist zwar auch erstaunt über den Daumen des Riesen, aber dann fallen auch ihm Garhelts Worte ein.

"Genau, was hast Du denn noch für uns?" fragt er die alte Hetfrau.

"Schaut mal her!" Garhelt öffnet einen kleinen Leder-beutel und schüttet daraus sechs erbsengroße karme-sinrote Pillen in ihre geöffnete Hand.

"Für jeden eine", erläutert sie. "Tragt diese Arznei im-mer griffbereit. Wenn ihr in eine gefährliche Lage kommt, dann steckt die Pille in den Mund, und wenn ihr meint, dass es ans Sterben geht, dann zerbeißt ihr sie. Die Pille enthält nicht mehr und nicht weniger als euer zweites Leben."

'… und sorgt sogar dafür, dass Kämpfe deutlich leiser werden, weil wir uns nicht absprechen oder aufschrei-en, weil wir Angst haben, die Pille zu verlieren.'

"Nicht schlecht. Ich hoffe ja mal, dass ich diese Pille nicht brauche, aber schaden dürfte sie ja nicht. Habt Dank."

"Welch kostbare Gabe!" staunt Elgar. "Dieses Ge-schenk unschätzbar wertvoll."

Unter weiteren Dankesworten nimmt Elgar 'seine' Pil-le entgegen und verstaut sie sicher in seiner Gürtelta-sche.

'Hm. Ich muss mir etwas überlegen, wie man so etwas Kostbares würdig schützen kann.' überlegt er.

"Danke!" ist alles was Ingalf sagen kann. Er ist stark beeindruckt.

'Eine zweite Chance! Das ist gut, was kann uns den jetzt noch passieren? Wir haben genug Waffen und Ausrüstung und jetzt auch noch ein zweites Leben!'

'Sterben? …'

Rovena starrt mit weit geöffneten Augen die kleinen, roten Pillen in der Hand der Hetfrau an. Garhelt spürt, wie die Finger der jungen Frau leicht zittern, als sie ihr eines der Kügelchen aus der Hand nimmt und leise "Danke" murmelt. Die Schauergeschichten über die Schwarzpelze drängen sich in ihre Gedanken … doch nein. Sie wird gut auf diesen Schatz aufpassen, sie will noch nicht sterben, auf keinen Fall. Aus ihrer Gürteltasche zieht sie ein kleines Lederbeutelchen hervor und legt die Pille sorgfältig zu ihrem Talisman, einem kleinen, taubeneigroßen Rosenquarz.

Hesander betrachtet die Pille lange, legt sie aber dann in Garhelts Hand zurück.

"Hoheit, dies ist ein kostbares Geschenk, doch mein Schicksal liegt allein in der Hand der Zwölfe. Wenn die Herrin Hesinde, der Herr Boron und die anderen zwölfgöttlichen Geschwister so wollen, dann holen sie mich zu sich. Ich vertraue auf den Willen der Götter und daher kann ich dieses Geschenk nicht anneh-men."

'Ein zweites Leben …' sinniert Edric. 'Das muss ein Geschenk der Götter sein, wer sonst könnte ein zwei-tes Leben gewähren?'

Bei dem Wort 'Sterben' schüttelt sich Edric unwillkür-lich. Er weiß, dass alles Leben einmal in den Tod übergeht, doch Gedanken darüber hat er sich bisher nicht gemacht. Er ist noch jung und hat starke und mutige Freunde, auch eine Begegnung mit Orks macht ihm keine Angst, schließlich ist es nicht seine erste … doch dieses eine Wort hat eine unangenehme Bedeutung, etwas Bedrohliches … es ist das Ende des Lebens.

Ganz vorsichtig greift er nach dem Geschenk und nimmt es an sich.

"Danke." sagt er leise. "Brauchen wir es denn wirklich?" fragt er Garhelt.

"Hoffentlich nicht", ist die thorwaltrockene Antwort.

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"So, dann wollen wir uns wohl verabschieden und los-ziehen." Melachath geht zu dem Botschafter, der ihn heute begleitet hat: "Dann macht es gut und trinkt nicht so viel, wenn Ihr Euch mit Thorwalern trefft. Alkohol benebelt den Geist und lockert die Zunge. Grüßt Eure Frau. Wir sehen uns bald wieder."

Er verbeugt sich noch einmal tief und geht dann zu dem Esel, auf dem seine Sachen gelagert sind und streichelt ihn noch ein bisschen. Er beugt sich tief zu dem Esel herab, so dass keiner seine Tränen sieht.

"In der Tat, wir sollten aufbrechen." merkt Elgar an. Sein Blick schweift prüfend über die Gefährten und die beiden Maultiere.

'Gut. Gut. Alles scheint für die Reise bereit zu sein.' konstatiert er für sich.

Dann setzt er ein fröhliches Lächeln auf und wendet sich an Garhelt: "Habt Dank für alles. Wir werden uns der uns gestellten Aufgabe würdig erweisen und sie zur allgemeinen Zufriedenheit lösen."

Mit einer leichten Verbeugung fordert er die anderen auf: "Kommt, der Weg ist weit."

Garhelt schaut ein wenig verblüfft, räuspert sich und sagt dann: "Immer diese jungen Otter! So schnell schießen die Elfen nicht. Es geht morgen früh los - mit der Oamanita auf dem Bodir."

'Mit dem Schiff, Klasse!' Elgar ist nur wenig begeistert, schon wieder ein Schiffsdeck mit einer Handvoll Thorwaler zu teilen.

'Schon wieder ein Schiff …' denkt Edric missmutig. Die Erinnerung an die letzte Seereise sitzt ihm noch in den Knochen.

'Hoffentlich dauert die Fahrt nicht zu lange.' hofft er indes. Aber der Bodir ist ja ein Fluss und kein offenes Meer. Vielleicht hat Efferd ja erbarmen und lässt die See ruhig.

"Dann treffen wir uns morgen früh am Hafen, oder bleiben wir alle zusammen mit unserer Ausrüstung und übernachten gemeinsam?" fragt er die Gefährten.

"Ihr könnt gern hier bleiben. Ich habe ein kleines Ab-schiedsfest vorbereitet", lädt Garhelt alle ein.

'Ein thorwalscher Aufbruch!' denkt sich Ingalf. 'Ein Besäufnis am Abend und dann im Morgengrauen mit dickem Schädel auf 'nen Kahn! Wenn das keine guten Vorzeichen sind! Und dann das zweite Leben!'

Ingalf strahlt über das ganze Gesicht. Er kloppt Edric und Melachath auf die Schulter: "Das wird ein feines Abenteuer! Findet ihr nicht?"

'Und an die anderen drei werde ich mich wohl gewöh-nen. Wobei mir das bei Rovena am leichtesten fällt.' fügt er in Gedanken hinzu.

"Ich denke schon. Ich werde heute noch mal in der Stadt stöbern, ob ich noch die eine oder andere Sorte Tee finde, die hier getrunken wird. Vielleicht findet

man ja auch die eine Sorte, die einen Kater verhindern soll oder zumindest den nächsten Tag erleichtert. So einen Tee wird man in dieser Stadt wohl irgendwo fin-den. Abends dann also hier."

"Gut. Vielen Dank. Obwohl ich bereits alle notwendi-gen Sachen bei mir habe, werde ich noch einmal zur Akademie zurückkehren, mich dort von Trebonius verabschieden und ihn bitten, meinen aktuellen Be-richt über die Fahrt nach Thorwal und den Aufbruch ins Orkland meiner alma mater zukommen zu las-sen." erklärt Elgar den anderen. "Wir sehen uns später hier wieder." verabschiedet er sich und verlässt Garhelts Haus in Richtung der Hellsichtakademie.

Bei der anschließenden typisch thorwalschen Feier - also viel Essen, noch mehr Trinken und ganz laut Sin-gen - erzählt Garhelt noch, wie es dann im einzelnen weitergehen wird. Mit der Oamanita wird es auf dem Bodir so weit stromaufwärts gehen, wie der Bodir schiffbar ist. Das befahrbare Flussbett endet irgendwo nördlich des Steineichenwalds. Von dort aus werden die Helden dann auf sich allein gestellt sein. Bis dahin wird Garhelt sie natürlich persönlich begleiten. Ob das alle am nächsten Morgen noch wissen, ist eine ganz andere Frage.

Und Ingalf verhält sich auf dem so typischen thorwal-schen Fest wie ein typischer Thorwaler. Er isst viel, trinkt noch mehr - besonders dem Feuer, dass er in der nächsten Zeit wohl nicht mehr bekommen wird, spricht er stark zu - und singt auch anständig (und vor allem laut) mit. Der nächste Abschnitt ist ihm egal, da er das Schiff nicht lenken muss, daher hört er Garhelt eher mit halben Ohr zu. Als sich das Fest dann dem Ende neigt, sind von Ingalf nur noch leichte Schlaf- und Schnarchgeräusche zu hören: Er ist irgendwann an seinem Platz eingeschlafen.

Aufmerksam lauscht Rovena Garhelts Erklärungen. Dass sie anfangs mit dem Schiff reisen soll, bereitet ihr Unbehagen, doch es wird ja nicht für lange sein. Bei der Feier hält sie sich mit dem Trinken eher zurück, lacht und singt aber gerne mit. Diesen Abend will sie genießen und spät erst fällt sie müde auf ihrem Lager in einen traumlosen Schlaf.

Edric sitzt etwas verlegen unter den Thorwalern und den Gefährten. Große Feiern waren noch nie etwas für ihn. Vielleicht weil er es nicht kennt, ausgelassen zu feiern. Zu Hause in seinem Dorf gab es so etwas selten, und mit den Schafen ließ es sich auch nicht gut feiern …

So sitzt er verlegen auf seinem Platz und sieht den an-deren zu, während er vorsichtig an seinem Becher nippt. Inzwischen kennt er von Ingalf so manchen Text, so dass er zwischendurch leise mitsummt und im Takt der Musik zaghaft mit den Fingern auf den Tisch trommelt.

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Wie nicht anders zu erwarten, feiert Ingalf ausgelas-sen, und er fragt sich, ob er dies auch irgendwann ler-nen könne, oder ob dafür Thorwaler Blut notwendig ist.

Er bedauert, mit den übrigen bisher so wenig gespro-chen zu haben, doch fällt ihm nichts Gescheites ein, um eine Unterhaltung anzufangen. Ingalf hat's da leichter, der plappert einfach drauf los, aber das traut

sich Edric nicht. Er wüsste auch gar nicht was er so er-zählen sollte …

Schweigend hört er den Ausführungen Garhelts zu und ist froh darüber, dass die Schifffahrt nicht allzu lang sein wird. Und dann haben sie endlich den gan-zen Trubel der Stadt hinter sich. Unwillkürlich muss er bei der Vorstellung, endlich aus der Stadt herauszu-kommen, aufseufzen.

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Aufbruch ins Abenteueramanita, so heißt eines der mächtigsten Dra-chenschiffe, das je das Meer der Sieben Winde

befahren hat, und die Gefährten stehen an seinem Bug. Doch ihre Blicke wandern nicht über gischtge-krönte Meereswogen, sondern über die trägen gelben Fluten eines Stromes, der noch vom Frühlingshoch-wasser angeschwollen ist. Die Oamanita segelt in ge-mächlicher Fahrt den Bodir hinauf, einen Fluss, des-sen Quellen irgendwo im Orkland zu suchen sind.

OO

Bei den Gefährten, schwer auf ihren Stock gestützt, blickt Garhelt, Hetfrau und Fürstenmutter von Thor-wal, über das Land. Eben deutet sie nach Osten auf eine halb im Dunst verborgene Bergkette.

"Der Steineichenwald", murmelt sie. "Das ist die Grenze."

Die sechs angehenden Helden wissen, welche Grenze gemeint ist, die Trennlinie zwischen dem Aventurien, das sie kennen- und dessen Schrecken sie fürchten ge-lernt haben, und jenem Teil des Kontinents, dessen Namen viele Geschichtenerzähler im Munde führen, den aber kaum eine Heldenfuß je betreten hat: das Orkland!

Wieviel Entsetzen ist mit diesem Namen verbunden! Kaum eine Stadt im Mittelreich, die nicht einmal von einem Plündererzug aus dem Orkland gebrandschatzt wurde. Und doch gab es immer wieder Abenteurer, für die hatte der Name einen verheißungsvollen Klang. Diese Leute dachten an das Plündergut.

Einige erinnern sich an den Raubzug von Lowangen, der noch gar nicht so lange zurückliegt! Was für eine Beute! Wohl fünfzig schwere Vierspänner - Stoerre-brandter genannt - wären nötig, um all das Gold, die Stoffballen, Kristallschalen und Alchimistentinkturen zu fassen, die die Orks vom Stamm der Olol Kol allein aus Lowangen fortschleppten …

Wo sind alle diese Schätze geblieben?

Aber das treibt die sechs ja gar nicht an. Sie treibt et-was anderes, etwas, das noch stärker als die schnöde Gier nach Gold sein kann:

Es spielt für Ingalf schon eine große Rolle, an diesem Abenteuer teilzunehmen, weil mal wieder seine Ta-schen leer sind - sicherlich der wichtigste Grund für die meisten aventurischen Abenteurer auf eine Queste zu ziehen. Für ihn ist aber viel wichtiger, als einziger Thorwaler auf einer Expedition im Auftrag der thor-walschen Hetfrau und Legende Garhelt die Ehre Thorwals zu mehren. Nun gut, auch seinen persönli-chen Ruhm. Er hört schon die Lieder der Skalden , die am prasselnden Kamin in langen Winternächten die Geschichte von der Erforschung des Orklandes und In-galf dem Entdecker singen.

'Es muss unendlich viel Wissen da draußen geben!' Kaum ein anderer Gedanke ist so stark in Elgars Kopf. Begierig saugt er alles Wissen auf, das ihm Garhelt oder die Matrosen des Schiffes über die am Flussufer vorbeiziehenden Lande geben können. Fein säuber-lich notiert er seine Reiseberichte, die er schließlich an die Mirhamer Akademie schicken wird. Denn eines - da ist sich Elgar ganz sicher - ist sein großes Ziel: So schnell, wie sonst noch kein Akademieabgänger vor ihm, will er erst Adeptus maior und dann Magicus werden. Sein Einfluss und seine Bekanntheit wird mit Zeit wachsen. Und schließlich und endlich wird er Rache nehmen können, an dem ihm verhasstesten Menschen …

'Die Grenze …' Rovena schaut nach Osten zum Steineichenwald, an dessen Rand entlang sie nach Thorwal gereist ist, um einem Gerücht nachzugehen, das die Schwesternschaft beunruhigt, und weswegen ihre Mutter sie hier her schickte. Bisher hat sie nur in Erfahrung bringen können, dass kräutersammelnde Frauen im Grenzland, wohl auch Hexenschwestern darunter, verschwunden sind, aber nicht wohin oder warum. Vielleicht liegt des Rätsels Lösung in den Or-kenlanden und sie kann ihrer Mutter berichten, was sich dort zuträgt. Nie hätte Ayla allerdings zugelassen, dass sie allein dorthin geht, aber es bietet sich doch ge-radezu an, mit dieser Gruppe mutiger Männer zu zie-hen. Rovena betrachtet ihre Gefährten verstohlen, das durch den Wind in ihr blasses Gesicht gewehte lange, schwarze Haar verdecken das Lächeln auf ihren Lip-pen und die funkelnden grünen Augen. Nun, sie ist sich eigentlich sicher, dass Ayla nichts dagegen haben würde … und sie wird schon auf sich aufpassen … zärtlich streichelt sie das glatte, harte Holz ihres Sta-bes und blickt geradeaus auf den mächtigen Strom hinaus.

'Unbekannte Länder' geht Melachath hin und wieder durch den Kopf. Er sieht seinen Namen klein unten auf der Karte, als mit Kartograph des Orklandes. Dass er gar nicht so genau weiß, wie groß das Orkland ist, spielt da eher eine kleine Rolle. Wichtig scheint nur, dass man dabei war und dabei Geschichten heraus kommen, die man später einmal erzählen kann oder die erzählt werden. Der Name soll in Aranien bekannt werden für jemanden, der vieles gesehen hat.

An Reichtum und Schätzen ist Edric nicht sonderlich interessiert. Ihm macht es nichts aus, einmal hungrig unter kalte Decken zu schlüpfen und die ganze Nacht zu frieren. Er ist ein einfacher Mann auf der seiner Reise durch die Welt. In dem vergangenen Jahr hat er bestimmt mehr erlebt, als jeder andere aus seinem Dorf! Er ist in der Wüste gewesen, in einer fremden

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Welt, ist zur See gefahren und hat einen furchteinflö-ßenden Freund, einen wahren Krieger, gefunden.

Falls er jemals wieder zurück in sein Dorf kehrt, ist er reich, reich an Erfahrung. Niemals wieder wird er Schafe hüten! Wehmütig denkt er daran, dass inzwi-schen vielleicht gar kein Platz mehr für ihn in der Dorfgemeinschaft ist …

Hesander ist voller Tatendrang - seine Vision hat ihn zu einer Gruppe geführt, mit der er jetzt ein unbe-kanntes Land erforscht. Canyzeth hat ihn nicht irrege-leitet. Mit festem Glauben und dem unerschütterli-chen Eifer, das im Orkland zu sammelnde Wissen sei-ner Kirche zur Verfügung zu stellen und eines Tages den Draconitern beitreten zu können, zieht Hesander ins Orkland. Viele noch leere Seiten seines Schlangen-buches harren darauf, mit kostbarem Wissen gefüllt zu werden …

Zwei Tage später liegen die Wipfel des Steineichen-waldes hinter den Reisenden, und vor dem Bug des Drachenschiffes breitet sich das weite Flusstal aus. Der Bodir ist immer noch ein mächtiger Strom, die Entfernung von einem Ufer zum anderen beträgt wohl eine halbe Meile, und doch ist der Kiel der Oa-manita schon ein-, zweimal bedrohlich über Grund geschrammt. Hier, nördlich der Steineichen, gibt es nichts, was den Fluss in seinem Lauf beengt. Seine Fluten haben kein tiefes Bett gegraben, die Wasser-massen wälzen sich gemächlich über flaches Land.

Der Kapitän kommt zum Bug und bedeutet Garhelt, dass die Fahrt zu Ende ist. Die Hetfrau verabschiedet sich von euch: "Möge neben allen anderen Göttern vor allem Phex, der Gott der Reisenden, über euch wa-chen!"

"Habt Dank, dass ich meinen Teil zur Erkundung Aventuriens beitragen kann. Wir sehen uns wieder!"

Ingalf ist ganz hin und her gerissen, ab jetzt ist er nur noch auch sich (und seine Gefährten) gestellt, keine Gelage, kein Feuer - aber dafür Abenteuer. Er geht da-her ein wenig geknickt zur Garhelt drückt ihr fest die Hand und sagt: "Bei Swafnir, wir sehen uns alle in Enqui wieder! Mein Wort, Dein Pfand!"

"So sei es!" Garhelt schaut Ingalf fest in die Augen.

Auf seiner langen Reise in den Norden an Bord eines Drachen hat Elgar gelernt, dass dieses Versprechen von Thorwalern mehr als ernst genommen wird. Bei In-galfs Worten nickt er und fasst seinen Stab fester: "Wir werden es schaffen und allen widrigen Umständen trotzen!" ist er der festen Überzeugung. "Wir sind eine bunte Truppe. Aber 'Abwechslung bereichert' heißt ein weiser Wahlspruch." fügt er hinzu.

Zum Abschied winkt Edric der Hetfrau noch einmal zu.

Rovena neigt respektvoll den Kopf vor der weisen Het-frau. Sie blickt ihr einen Moment lang fest in die Au-gen und murmelt leise Worte des Abschieds.

Die angehenden Helden und die zwei bepackten Maultiere werden noch ein Stück in Richtung Ostufer gerudert, den Rest des Weges müssen alle durch das knöcheltiefe Bodirwasser stapfen. Die Matrosen haben glücklicherweise eine Stelle gefunden, wo man sich nicht anschließend auch noch durch den Sumpf quä-len muss.

Edric zieht sich die neuen Stiefel aus, bevor er durch den Bodir watet.

'Nicht, dass sie jetzt schon zu Schaden kommen', weiß er seine Ausrüstung pfleglich zu behandeln.

Er ergreift den Strick des ersten Maultiers und führt es zum Ufer.

Mit einem Lächeln beobachtet Rovena Edrics Tun. Recht hat er, nasse Stiefel sind unangenehm und au-ßerdem freut sie sich schon darauf, wieder festen Bo-den unter ihren nackten Füßen zu fühlen und das kühle Nass des Wassers zu spüren. Sie macht es Edric nach, zieht ebenfalls ihre Stiefel aus und watet mit ge-rafftem Rock und Umhang hinter ihm her durch das seichte Wasser.

Am Südrand eines großen zusammenhängenden Waldgebietes erreicht die Gruppe festen Boden. Rich-tung Osten und Süden erstreckt sich die Grassteppe.

Edric lässt seinen Blick über die Einöde schweifen.

'Wie schön es hier doch ist', überlegt er, während er die kühle, reine Luft tief einatmet. Endlich ist er wieder zu Hause, nicht in seinem Dorf, aber in den Wäldern und Steppen.

Rovena mustert den jungen, zurückhaltenden Mann, Ingalfs schweigsamen Begleiter, neugierig. Er macht ihr den Eindruck, als wenn er, wie sie selbst, sich hier deutlich wohler fühlt als in den beengenden Straßen der Städte. Sie hat auch mitbekommen, dass er sich mit den Schwarzpelzen ein wenig auszukennen scheint, und ergab sich auch die letzten Tage nicht die Möglichkeit, dass sie sich mit ihm unterhalten konnte, so wird sich jetzt auf ihrer gemeinsamen Reise doch bestimmt eine Gelegenheit bieten.

"So. Da sind wir nun. Ich hätte Lust was Heißes zu trinken. An Bord ging das wegen dem Feuerverbot ja nicht. Hat jemand Lust auf einen Tee? Wir können ja dann direkt danach weiter."

"Macht das", ereifert sich Edric. "Ich sehe mich hier mal ein wenig um."

Schnell schlüpft er wieder in seine Stiefel und ergreift Schleuder und Stab und macht sich daran, den Weg voraus zu erkunden.

Der Wald ist ziemlich dicht. Zwar scheint es möglich zu sein, ihn zu durchqueren, aber es wird in jedem

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Fall mühsam werden. Um die Ausdehnung des Wal-des zu überprüfen, geht Edric ein wenig Richtung Sü-den. Von dort aus schaut er, wie weit sich der Wald Richtung Osten erstreckt. Oh, das hier scheint ein sehr großes Waldgebiet zu sein!

Edric geht noch ein wenig weiter und genießt die Ab-geschiedenheit, die Geräusche des Waldes und der Tiere.

'Recht hatte die Hetfrau mit den Maultieren.' stimmt er ihr stumm zu.

Sorgfältig macht Melachath ein kleines Feuerchen und hängt einen Topf mit heißem Wasser darüber, be-reitet schon mal die Teekanne vor und holt auch schon mal die Becher raus. Er gibt allen einen Becher warmen Tee, der süß schmeckt und definitiv nicht aus dem Norden stammt. "Das ist ein Tee aus meiner Hei-mat. Den gibt man dort oft Gästen, wenn sie eine lan-ge Reise vor sich haben. Dieser Tee bringt Glück auf Reisen. Und da wir eine Reise vor uns haben, kann das nicht schaden. Naja und nebenbei füllt er auch ein bisschen was in den Magen, damit man nicht hungrig auf Reise geht."

Ingalf schaut Edric hinterher, sagt aber nichts. 'Er wird schon wissen, was er macht und nicht gleich in Gefahr geraten.' Dann setzt er sich neben Melachath ans Feuer und wartet schweigend und immer noch seinen Gedanken hinterher hängend auf den Tee.

Rovena hat sich am Feuer neben Ingalf niedergelassen und sieht Melachath bei der Zubereitung des Tees zu. Dankend nimmt sie den heißen Tee entgegen und lä-chelt bei seinen Worten.

"Eine schöne Tradition und bestimmt ein guter Start zu einer Reise," bemerkt sie und nimmt einen kleinen Schluck. "Der Tee tut wirklich gut …"

Ingalf nimmt den Tee schweigend - nur mit einem leichten Kopfnicken des Dankes - hin und trinkt ebenso schweigend und geistesabwesend.

Die Schweigsamkeit des auf den geselligen Abenden so munteren und redseligen Thorwalers fällt der ne-ben ihm sitzenden jungen Frau auf. Rovena mustert ihn von der Seite, nippt an ihrem Tee und kann dann doch ihre Neugier nicht zurückhalten.

"Was ist mit Euch, Ingalf, warum so schweigsam? Was beschäftigt Euch?" fragt sie ihn leise und hofft, dass er ihre neugierigen Fragen nicht als zu aufdringlich empfindet.

"Äh, was?" Ingalf fährt zusammen als Rovena ihn an-spricht. Dann ist er wieder da, er versucht ein verlege-nes Grinsen und sagt: "Es ist nix. Nur das es jetzt los-geht, bis vorhin war alles wie üblich, aber jetzt sind wir hier alleine und auf uns gestellt … Naja, alles wird gut, bei Swafnir!"

Wenn jemand Hesander beobachtet, wird man bemer-ken, dass er sorgfältig ein paar Aufzeichnungen in ei-

nem Buch macht. Ab und an schaut er auf, mustert die Gefährten, senkt seinen Blick wieder und schreibt weiter.

Den Tee nimmt er mit einem "Danke" an und stellt ihn neben sich auf den Boden. Ab und an nimmt er gedankenverloren einen Schluck.

Mit seinem eigenen Teebecher in der Hand sieht El-gar dem Gelehrten zu.

'Tja, er mustert uns und schreibt. Schreibt er über die bisherige Reise oder charakterisiert er uns bereits nach wenigen Tagen?' lautet Elgars stumme Frage.

Nach einiger Zeit des Grübelns und Teetrinkens hält er es nicht mehr aus und fragt: "Sagt, was schreibt Ihr da, werter Herr Hesander? Eine Reisechronik, so wie ich dies für Garhelts Auftrag und auch meine Akade-mie tue?"

Hesander schreibt den einmal angefangenen Satz zu Ende, dann schaut er auf und meint: "Ganz Recht, Herr Elgar."

Dann steckt er die Feder sorgfältig weg, verschließt das Tintenfässchen, klappt das Buch zu und packt alles drei sorgfältig weg.

Ingalf, der - nachdem ihn Rovena aus den Gedanken geweckt hat - der Unterhaltung der beiden gelauscht hat, fragt in die Runde: "Ihr wollt also eine Chronik führen, werdet ihr auch die Karten zeichnen oder soll ich das machen?"

Eine Frage, die zumindestens den Magier und den Geweihten etwas überraschen dürfte.

Elgar wirkt nicht im Mindesten überrascht: 'Wieso soll er das auch nicht können?'

Er antwortet dem Thorwaler daher erleichtert: "Das ist gut. Sehr gut. Zeichne Du die Karte, ich werde un-sere Abenteuer auch für die Hetfrau niederschreiben. Das Zeichnen würde wohl bei mir recht lange dauern, da ich künstlerisch eher mäßig begabt bin."

Sodann zeigt er Ingalf, wo und wie er die Zeichenu-tensilien, Tinten und die Pergamente verstaut hat, da-mit dieser jederzeit seiner neuen 'Arbeit' nachgehen kann.

Hesander schaut Ingalf etwas überrascht an und sagt dann: "Du kannst gerne eine Karte anfertigen, denn ich bin kein Derograph. Dieses Buch hier ist aber nur für meine eigenen Aufzeichnungen bestimmt. Viel-leicht gestattest Du mir, dass ich mir am Ende unserer Reise - sofern es die Götter so wollen - Deine Karte in mein Buch übertragen kann."

"Nun", erwidert Ingalf, "wenn ich eine Karte zeichne, dann mache ich es, weil uns Garhelt den Auftrag dazu gegeben hat. Und es ist ihr Geschenk an die Völker, also frag' sie nach der Karte, wenn ich fertig bin."

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"Ich verstehe", sagt Hesander unbeeindruckt. "Nur wieso fragst Du uns dann so, als ob Du uns ein Ange-bot machen wolltest?"

"Ich hatte nicht vor, ein Angebot zu machen", erwidert Ingalf, "ich wollte nur wissen, wer diese Aufgabe erle-digen soll. Wenn Du gesagt hättest, dass Du die Karte zeichnest, wäre es doch auch in Ordnung gewesen."

Hesander schaut Ingalf an und meint: "Wenn Du ein guter Kartenzeichner bist, dann ist das wohl eindeutig Deine Aufgabe. Ich habe zwar zahlreiche Karten gese-hen und auch schon Skizzen angefertigt, aber ich bin kein Derograph."

"Gut, dann leih' mir Deine Feder und ein Stück Per-gament und ich zeige Dir wie ich zeichne", entgegnet Ingalf.

"Aber gerne doch", antwortet Hesander. Dann holt er seine Feder, das Tintenfässchen und eine Rolle Perga-mentpapier aus seinem Rucksack hervor und reicht sie Ingalf.

Ingalf nimmt sich die Schreibutensilien und beginnt mit dem Zeichnen einer Karte. Er zeichnet relativ schnell und konzentriert, aber ohne sich lange Gedan-ken über Richtungen und Entfernungen zu machen. Am linken Rand beginnt er mit der Küste und Thor-wal. Dann zeichnet er den Lauf des Bodir ein, der bis Tjola Richtung Nordosten verläuft - er vergisst auch nicht die Fährstation auf der Nordseite einzuzeich-nen. Dann kommt der Flussverlauf nach Norden. Ru-kian am Westufer, Angbodirtal (und die Fähre) und der Mündung des Arval, dann Auplog. Als letztes Bo-don und Vilnheim, die letzten der thorwalschen Sied-lungen im Bodirtal. Danach knickt der Bodir nördlich des Steineichenwaldes wieder Richtung Nordosten und nach einem weiteren Stück, dass Ingalf noch zeichnet, macht er einen Punkt auf die Karte: "Hier sind wir jetzt!"

"Interessant", murmelt Hesander. "Ich hätte nicht ge-dacht, dass man eine Karte auch so zeichnen kann - so ganz ohne derographische Angaben", fügt er be-wundernd hinzu. "Was hältst Du davon, Ingalf, wenn wir beide jeder für sich eine Karte anfertigen und spä-ter vergleichen?"

"Wenn Du meinst", antwortet Ingalf. Dann fährt er grinsend fort: "Die schenke ich Dir", und gibt dem er-staunten Hesander das Pergament zurück, "Vielen Dank für das Pergament."

'Tja, mein Guter, jetzt mach bloß den Mund wieder zu, sonst fliegen die Orkfliegen rein!' feixt er noch in Gedanken. 'So, bis Edric wieder da ist, kann ich ja noch ein wenig richtig zeichnen.'

Er geht zu dem Maultier mit seinem Seesack auf dem Rücken und kommt nach kurzer Zeit mit einem Per-gament und der Waschledermappe mit seiner Täto-wierausrüstung zurück. Dann setzt er sich wieder ans

Feuer und fängt noch einmal mit der Zeichnung an. Nur dieses Mal in den bunten Farben, die er auch zum Tätowieren nimmt. Blau für das Wasser, rot für die Städte, schwarz für Straßen und Wege, braun für die Felder, gelb für die Berge des Steineichenwalds und grün für die Wälder. Wenn er mit der Skizze bis zum aktuellen Standort fertig ist, packt er die Farben wieder sorgfältig in seine Waschledermappe und legt das Pergament ordentlich zusammen, ohne das die fri-schen Farben verlaufen. Dann wartet er auf die Rück-kehr Edrics und den Aufbruch.

Hesander ist es nicht entgangen, dass Ingalf offenbar eine neue Karte anfertigt. Während Ingalf beschäftigt ist, wird Hesander ihm aus ca. 1 Schritt Entfernung schweigend über die Schulter schauen.

Ingalf bemerkt zwar, dass Hesander hinter ihm steht, aber er lässt sich nichts anmerken und grinst in sich hinein.

Interessiert beobachtet Rovena, wie auf dem Perga-ment die Zeichnung entsteht. Mit stummer Bewunde-rung schaut sie den flinken Fingern des Thorwalers zu und als das Bild fertig ist, kann sie ihre Begeiste-rung nicht mehr zurückhalten.

"Das sieht ja richtig kunstvoll aus! Du zeichnest wohl öfter solche Bilder?" will sie neugierig von Ingalf wis-sen.

Als Rovena fragt, muss Ingalf grinsen, dann antwortet er: "Nun, normalerweise nehme ich zum Zeichnen ein etwas anderes Material als diese alte Haut." Kleine Kunstpause. "Ich bevorzuge frische Haut. Und bei Dir gäbe es sicherlich noch ein paar Stellen, die ich bema-len könnte, oder?"

Ingalf Grinsen wird immer breiter.

Bei dieser "Enthüllung" von Ingalfs Profession des Hautbilderstechers muss Elgar in Verbindung mit Ro-vena unwillkürlich lächeln.

'Ob sie sich auch solche Bilder, wie sie die Thorwale-rinnen zur Schau tragen, machen lassen würde?' über-legt er. Gedankenverloren betrachtet er die Fläche sei-ner linken Hand und das darin befindliche Siegel der Akademie. Auch wenn es mit einem magischen Präge-stock und nicht mittels Tätowierung gefertigt wurde, ist es doch letztlich auch 'nur' ein Hautbild.

Rovena mustert den grinsenden Thorwaler mit nach-denklich-verträumten Blick. Solch schmückende Hautbilder hat sie schon auf den Körpern ihrer Schwestern bewundert und es wurde ihr erzählt, dass diese Bildchen in die Haut gestochen und nicht aufge-malt werden. Von einem halbelfischen Künstler in Salza wurde ihr berichtet, dass dessen Hautbilder gar ein Eigenleben zu führen scheinen.

"Deine Nadeln werden eine gänzlich unberührte Flä-che vorfinden," entgegnet sie Ingalf, dabei funkeln ihn

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ihre smaragdgrünen Augen übermütig an und sie er-widert sein Grinsen mit einem Lächeln.

"Gut, vielleicht können wir die Abende am Feuer dazu nutzen um dieses zu ändern!" antwortet ihr Ingalf. "Aber ich sage Dir jetzt schon, es wird nicht ohne Schmerzen ablaufen. Jeden Nadelstich wirst Du spü-ren, aber dafür sind die Bilder auch ein Leben lang schön."

Dann fügt er noch hinzu: "Und bei einer so schönen Frau wird das Bild auch besonders schön. Vielleicht weißt Du ja schon, was Du für ein Bild möchtest und wo es hin soll?"

Ein freundlich geflüstertes "Schmeichler!" ist alles, was man von Elgar leise vernehmen kann.

'Hm, aber Recht hat er. Nur wenn das Abenteuer in einem Balzwettbewerb enden sollte, wird das hier nicht gut ausgehen.' prophezeit er sich selbst stumm. 'Andererseits bringt das etwas Würze in den tristen Alltag der Wanderei.'

"Es wird schon auszuhalten sein," meint Rovena zu-versichtlich, ein Hauch von Röte erscheint auf ihren Wangen bei seinem Kompliment und ihre Augen leuchten vor Freude über die Aussicht auf einen ver-schönernden Körperschmuck. Die junge Frau überlegt kurz und entgegnet, nach einem verstohlenen Seiten-blick zu Elgar, etwas gedämpfter auf Ingalfs Frage: "Ich habe schon eine Vorstellung davon, was es sein soll und wo ich es tragen will. Doch lass uns später darüber reden, jetzt ist nicht die rechte Zeit dafür. Wir sollte aufbrechen."

Sie trinkt ihren Becher Tee leer und erhebt sich mit ei-nem an Elgar gerichteten, versöhnlichen Lächeln.

Schließlich kehrt Edric zur Gruppe zurück und setzt sich zu Ingalf, den der als Anführer der Gruppe sieht.

"Der Wald ist dicht, ihn zu durchqueren ist mühsam. Es scheint aber ein größeres Waldgebiet zu sein."

Edric hört den Worten seines Freundes etwas verwun-dert zu. Er ist sonst schließlich kein Mann der schmei-chelnden Worte.

"Sie hat Recht. Wir sollten aufbrechen." ist alles was er sagt und blickt ein wenig sehnsüchtig zu dem Wald hinüber.

Elgar, der immer noch neben Rovena und Ingalf - in-zwischen mit leerem Teebecher - sitzt, begrüßt Edric mit einem Kopfnicken. Nach dem Bericht über das vor der Gruppe liegende Gelände fragt er: "Meinst Du, wir sollten den Wald umgehen und wenn ja, in welcher Richtung?"

Er wiegt nachdenklich den Kopf. Dann scheint ihm eine Idee zu kommen: "Hört mal alle her." fordert er die umstehenden Gefährten auf. "Wir sollen das Ork-land erkunden. Soweit, so gut. Unser Freund Edric hier meint, das vor uns liegende Waldstück sei dicht

und nur schwer zu durchqueren. Also sollten wir es vielleicht umgehen oder zumindest daran entlang wandern, bis sich eine gute Gelegenheit bietet. Wir müssen schließlich ein ziemlich großes Gebiet erkun-den. Dann sollten wir auch an dessen Grenze anfan-gen und uns in einem bestimmten Muster darin bewe-gen. Ingalf, bis wohin erstreckt sich das Orkland unge-fähr?"

"Bis Enqui?" kommt von Ingalf lakonisch die Ant-wort.

"Und?" kommt die Gegenfrage. "Wenn das Orkland - und davon gehe ich derzeit aus - ein 'Land' wie jedes andere auch ist, dann hat es eine Fläche. Diese Fläche ist begrenzt, und zwar mindestens von 3 Seiten. Wir sind hier."

Elgar macht mit dem Finger einen Punkt in den Bo-den. Dann einen weiteren.

"Das ist Enqui." zeigt er darauf. "Die kürzeste Verbin-dung zwischen diesen beiden Punkten ist eine Linie, so."

Er verbindet die beiden Punkte mit dem Finger.

"Wenn alles zwischen hier und Enqui zum Orkland gehört, dann muss alles rechts und links dieser Linie zum Orkland gehören. Dann aber wäre außer unse-rem Standort und Enqui, sowie alles jeweils dahinter nicht Teil des Orklandes. Das wiederum impliziert, dass das Orkland eine seitlich unendliche Ausdeh-nung, jedenfalls bis zu den Küsten, hätte, was meines Wissens nach jedenfalls nicht so ist. Also, wie weit reicht das Orkland?" wiederholt er seine Frage und zieht die kaum sichtbaren Augenbrauen hoch.

Hesander tritt dazu und meint: "Ich bezweifle, dass sich das so genau sagen lässt. Die Grenzen sind si-cherlich fließend. Es wäre außerdem noch zu klären, ob das Orkland nur dort ist, wo Orks leben oder ob es indirekt durch die angrenzenden Reiche begrenzt ist."

"Nun, da würde ich sagen, sowohl als auch." entgeg-net Elgar. "Schließlich sollen wir einen 'weißen Fleck' auf einer Karte mit Inhalten füllen. Also wäre dies un-ser 'Arbeitsgebiet', unabhängig davon, ob es nun 'poli-tisch' oder faktisch noch Orkland ist oder nicht." stellt er fest. "Gleichwohl bleibt dann meine Frage die glei-che, nur vielleicht anders formuliert: Welches Gebiet genau sollen wir nun erforschen?" beendet er seine Ausführungen.

"Ich bin zwar nicht so gelehrt ins solchen Fragen, aber ich würde erstmal den Bodir entlang erforschen. Da hat man einigermaßen feste Punkte hoffe ich. Punkte wie Berge kann man ja einzeichnen und sich dann später daran halten. Aber auf der anderen Seite könnte man auch einfach sagen, dass ich keine Ahnung habe und wir diese Frage besser noch der Hetfrau stellen sollen."

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"Dann hoffe ich, Ihr habt eine laute Stimme oder ver-fügt über andere Formen hesindegefälliger Kommuni-kation." erwidert Elgar mit einem freudlosen Lächeln. Dann weist er einfach mit der Hand stromabwärts und fragt: "Könnt Ihr den Drachen noch sehen?"

Die Oamanita ist zwar noch zu sehen, befindet sich aber bereits außer Rufweite.

"Ich meinte, dass wir das in der Vergangenheit hätten tun sollen und es versäumt haben. Da habe ich mich wohl falsch ausgedrückt."

"Wenn die Götter es so wollen, dass wir ohne diesen Rat der Hetfrau das Orkland erkunden, dann sei es so. Eurer Vorschlag, Melachath, hört sich plausibel an. Wir sollten uns an Landmarken orientieren und an ihnen entlang das Land erforschen."

Elgar nickt: "Gut. Aber das klärt die Ausgangsfrage nicht, ob wir den Wald umgehen oder uns hindurch schlagen sollen." lenkt er die allgemeine Aufmerksam-keit auf das aktuelle Problem. "Ich bin dafür, den Wald - soweit möglich, in nordöstlicher Richtung zu umge-hen." stellt er seinen Standpunkt dar.

Ingalf hat dem Disput ruhig zugehört, nun meldet er sich aber wieder zu Wort: "Die Muhme hat gesagt: 'Geht vom Oberlauf des Bodir nach Enqui, zeichnet was ihr seht und beschreibt den Weg.' Ich glaube es ist ihr völlig egal, welchen Weg wir wählen, nur einen sollten wir auf jeden Fall nehmen. Und da man von der Gegend mehr sieht, wenn man um den Wald her-um geht, sollten wir das tun."

Etwas bedauernd vernimmt Rovena, dass man das verlockende Waldgebiet umgehen will, doch sie über-lässt die Entscheidung über den weiteren Weg denen, die darin mehr Erfahrung haben, zu Fuß voran zu kommen. Stumm blickt sie ihre Gefährten an und wartet auf das Zeichen zum Aufbruch.

'Sie wollen also um ihn herum gehen.' stellt Edric in Gedanken noch einmal fest.

"Ihr scheint nicht begeistert darüber zu sein." Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage, die Elgar gegen-über Rovena erwähnt, während er den Becher an Me-lachath zurückgibt, seine Siebensachen packt und den Rucksack schultert.

Er merkt sehr schnell, dass sein Rucksack ganz schön schwer ist.

So gibt er nach kurzer Zeit dem stärker werdenden Drang nach und überlässt dem von Edric geführten Maultier seine Decke, das Geschirr und das Seil. Schließlich packt er auch noch den vollen Wasser-schlauch dazu, überlegt es sich aber anders und tauscht diesen gegen ein gut eingewickeltes Bündel (in dem sich sein octavo "Die Magie des Stabes" befin-det). Mit so erleichtertem Gepäck lässt es sich dann wesentlich besser Marschieren.

Ja, so geht es sich wirklich viel angenehmer.

Melachath sammelt nach kurzem die leeren Tassen wieder ein und wäscht sie noch kurz aus. "So. Sollen wir dann los? Ich würde gerne heute meine neuen Stiefel noch einlaufen. Und ich würde gerne mal gu-cken, wie gut wir mit den Tieren zurechtkommen." '… und untereinander.'

Melachath packt sein Zeug zusammen und packt es wieder auf einen Esel. Er streichelt noch den Esel, während er darauf wartet, dass die anderen fertig sind.

Die Gruppe macht sich entlang des Waldrandes Rich-tung Osten auf. Hier ist das Gras etwas niedriger als in der Steppe, so dass die sechs gut vorankommen.

Elgar benutzt seinen Stab wie einen Wanderstecken und betrachtet intensiv die Umgebung, prägt sich markante Merkmale ein, um dies dann am Abend möglichst farbig in den Reisebericht aufnehmen zu können. Hin und wieder befragt er Rovena und Edric, der sich hier auch ganz gut auszukennen scheint, nach dem Namen einer bestimmten Pflanze oder ei-nes Baumes und macht sich im Geiste Notizen.

Rovena hält sich an Elgars Seite, nachdem sie auf sei-ne Feststellung nur mit einem kurzen, sehnsüchtigen Blick in das Astwerk der Bäume reagiert hat, und gibt ihm auf seine Fragen nach den Gewächsen, so sie die-se kennt, bereitwillig Antwort.

Hesander hat seinen Kampfstab als Wanderstab in der Hand und die Basiliskenzunge sicher in der Dolch-scheide unter seinem Mantel.

Melachath hat seinen Rabenschnabel an der Hüfte hängen. Er führt die ganze Zeit einen Esel, auf dem die beiden Wurfspeere so liegen, dass er sie schnell greifen kann. Er ist es gewohnt, zu marschieren, auch wenn er in seiner Einheit eher reiten sollte. Aufmerk-sam betrachtet er immer wieder die Umgebung, da er sich sicher ist, dass er nicht zum Zeichnen der Karte in der Gruppe ist. Natürlich wird auch er seinen Teil abends erzählen, aber das Zeichnen überlässt er ande-ren. Er kümmert sich eher darum, dass die anderen nicht irgendwann kaum noch gehen können. Zwi-schendurch legt er eine Pause ein, damit die anderen mal verschnaufen können. Damit keiner die schwarze Karte abkriegt, sagt er dann meistens eher, dass er aus der Übung ist und leicht verschnaufen möchte. Wenn er merkt, dass keiner erschöpft ist, dann lässt er solche Pausen natürlich sein.

Ingalf hat um relativ unbeschwert wandern zu können sein ganzen Gepäck auf dem Maultier verstaut. Er trägt nur den Rundschild an dem langen Befesti-gungsriemen über den Rücken und die Orknase. Da aber auch die Orknase in der Hand auf Dauer ziem-lich schwer wird, hat er sie zuerst in eine Schlaufe an seinem Gürtel geschoben. Aber da ihn der schwingen-de Stiel der Orknase ein paar Mal zum Straucheln ge-bracht hat (zum Glück konnte er durch einige Ausfall-schritte das Gleichgewicht halten – es wäre auch zu

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komisch gewesen, den stolzen Thorwaler im Gras lie-gen zu sehen, gestolpert über seinen eigenen Axtgriff!), hat er sie jetzt mit dem Blatt über die rechte Schulter gelegt. So ist sie auf der Schulter abgestützt und er hat den Stiel in der Rechten.

Edric nutzt seinen Stab mit den metallbeschlagenen Enden als Wanderstab, sein Jagdmesser und die Schleuder hängen am Gürtel. Solange sie am Flus-sufer marschieren hofft, er noch einige Steine als Ge-schosse für die Schleuder zu finden, bückt sich ab und zu um einen geeigneten Stein aufzuheben.

Nach einer halben Stunde, es ist noch kein Ende des Waldes in Sicht, ist plötzlich ein heftiges Prasseln und rascheln im Gebüsch zu hören.

'Der Wald ist groß, wirklich groß. Ganz anders als im Svellttal. Da gab es mehr Wiesen', überlegt Edric wäh-rend sie den scheinbar endlosen Waldrand entlanglau-fen.

Sekunden später bricht ein Hirsch aus dem Gebüsch, dicht gefolgt von zwei grünhäutigen, aber menschen-ähnlichen Kreaturen.

Stehen bleibend betrachtet er interessiert ohne Scheu die beiden Kreaturen. Schließlich sind sie zu sechst und gut bewaffnet.

'Die sind nur auf der Jagd nach Wild.' überlegt Elgar. 'Und wahrscheinlich sind sie ungefährlich.'

Misstrauisch sieht Edric dem entgegen, was dort aus dem Wald kommen mag, doch als er den Hirsch und die Verfolger sieht, entspannt er sich wieder: 'Sie sind nur auf der Jagd und an uns sicherlich nicht interes-siert.'

Ingalf bleibt abrupt stehen, als der Hirsch und die Jä-ger aus dem Wald brechen. Langsam nimmt er die Or-knase von der Schulter und wartet ab, wie sich die bei-den verhalten.

'Hmm, Baumbewohner kenn' ich schon und auch Blaugeschuppte, aber Grünhäutige sehe ich zum ers-ten mal!'

Sofort zieht Melachath einen Wurfspeer vom Esel und sucht einen festen Stand. 'Grüne Kreaturen? Was sind die?' denkt er nach.

Hesander bleibt stehen und beobachtet die Szene. Da für ihn unmittelbar keine Gefahr droht, schaut er nur.

Erschrocken durch das plötzliche Auftauchen der ihr unbekannten Wesen tritt Rovena hinter den Magier zurück und umklammert fest ihren Stab. Aus ihrer Deckung heraus beobachtet sie angespannt, wie die Grünhäutigen angesichts der Reisegruppe reagieren werden.

Mit hochgezogenen Brauen schaut Elgar wie in Zeit-lupe hinterher, als Rovena sich 'versteckt'. Fast ist er versucht, sie mit Worten wie: 'Die tun nichts, die wol-len nur jagen.' zu beruhigen. Aber wer weiß? So rich-

tet er sich auf und steht mit leicht im Wind bauschen-den Mantel und wehendem Haar und dem Stab in der linken Hand da. Aufmerksam beobachtet und lauscht er. Sind da vielleicht noch mehr dieser Grünhäuter im Wald?

Im Nacken des Hirsches steckt ein Dreizack, Blut strömt über seinen Hals. Nach einem letzten gewalti-gen Sprung bricht er vor den Füßen der Helden zu-sammen. Die beiden Verfolger sind offenbar so sehr vom Jagdfieber gepackt, dass sie die Helden erst be-merken, als sie unmittelbar vor ihnen stehen. Sie fah-ren erschreckt zusammen. Einer hebt ein Jagdmesser, das er in der Faust hält, der andere macht eine un-schlüssige Bewegung mit seinem Dreizack. Beide ha-ben lange Schwänze, die nervös durchs Gras ringeln.

'Echsenwesen' fährt es Hesander durch den Kopf. Er schaut sich die beiden genauer an, solche Wesen hat er noch nie gesehen.

Einer der beiden fängt in einer zischelnden Sprache zu sprechen an, die aber keiner der Helden versteht. Dabei deutet er mehrmals auf den Hirsch und dann auf seine Brust.

Hesander glaubt, den Echsenmenschen zu verstehen, zeigt auf den Hirsch und macht mit beiden Armen eine Geste, soviel wie 'nehmt ihn Euch, was Euch ge-hört'. Dabei zeigt er mit beiden Händen auf den Hirsch dreht sich dann in Richtung des Echsen-menschen und zeigt dann mit den Händen auf selbi-gen und macht währenddessen demonstrativ einen Schritt zurück.

Die Echsenmenschen schauen vorsichtig zu den an-deren.

Auch Ingalf tritt einige Schritte zurück, bleibt aber darauf bedacht sofort wieder nach vorne springen zu können.

'Warum sollen wir uns um einen Hirsch streiten?' fragt er sich, 'schließlich haben wir genug Verpflegung mit.'

Melachath macht langsam einen Schritt zurück, ohne die beiden aus dem Auge zu lassen. Aus dem Augen-winkel versucht er zum Wald hin zu linsen, ob das al-les war.

Im Wald ist nichts Verdächtiges zu sehen.

Rovena bleibt weiterhin im Hintergrund, den Stab hält sie nun locker in der linken Hand, die rechte weist offen mit den Handflächen nach oben, um den Grünhäutigen zu zeigen, das sie keine Waffe hält. Um den Ringfinger ist ein blauschwarzes Haare gewickelt. Sie hält den Blick auf die Echsenmenschen gerichtet, der Dreizack im blutüberströmten Nacken des präch-tigen Hirsches hat ein beängstigendes Gefühl bei ihr hinterlassen.

'Was sind das für Wesen? Doch keine Tiere, oder?' fragt sie sich.

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'Sollen sie nehmen, was sie erlegt haben.' Edric, der blonde Jüngling, erhebt keinen Anspruch auf den Hirsch den die fremden Echsenwesen erlegt haben. Auch er macht einen Schritt zurück, doch das störri-sche Maultier macht seinem Namen alle Ehre, denn es will sich nicht bewegen. So bleibt Edric nichts an-deres übrig als es einige Schritte seitwärts zu lenken.

Neugierig beobachtet er das Verhaltend er Wesen, ihre grüne Haut und den langen Schwanz.

'Ob sie wohl Beziehungen zu Orts unterhalten?' fragt er sich dabei.

Von der Sprachbarriere lässt Elgar sich gar nicht be-eindrucken.

'Weshalb sollten uns gänzlich fremde Wesen nicht auch eine uns unbekannte Sprache gebrauchen?' - "Wir verstehen euch nicht." antwortet er, nachdem ihm ein Rundumblick die ratlosen Gesichter seiner Gefährten offenbart hat. So macht er mit der Hand zuerst eine Geste zu seinen Gefährten und dann auf sich selbst. Dann fährt er fort, die Richtung, in die sie wollen, anzuzeigen. Dazu sagt er: "Wir gehen."

Den Kreaturen bedeutet er sodann mit einem Finger-zeig auf den toten Hirsch und dann auf die beiden, dass die Helden nicht an der Jagdbeute interessiert sind, was er mit: "Ihr behalten," kommentiert. Wieder lächelt er freundlich.

Die beiden Echsenmenschen lächeln freundlich zu-rück, stecken ihre Waffen ein und machen sich an-schließend daran, den Hirsch in den Wald zu schlep-pen. Glücklicherweise handelt es sich um einen relativ kleinen Hirsch, denn ansonsten wären sie mit dem Tragen völlig überfordert.

Ingalf legt sich die Orknase wieder über die Schulter und dreht sich zu den Gefährten um: "Der Weg ist noch weit, lasst uns weiter gehen."

Er geht am Waldrand weiter, ohne sich weiter um die Echsenmenschen zu kümmern.

Melachath lässt seinen Wurfspeer zwar erstmal in der Hand, aber er nimmt den Esel und folgt Ingalf. Zwi-schendurch guckt er aber immer wieder zurück.

Wo die Echsenmenschen verschwunden sind, ist nichts weiter zu sehen.

Mit einem letzten Nicken verabschiedet er die Ech-senmenschen und wendet sich dann Rovena zu: "Ihr braucht keine Angst zu haben. Diese Wesen sind harmlos und wir können weiter ziehen."

'Angst?' Rovena muss innerlich schmunzeln. Soll El-gar ruhig ihre vorsichtige Art dafür halten, sie weiß, dass es für sie besser ist, aus dem Verborgenen zu han-deln, und wenn sich ein Gefühl bewahrheitet, bleibt ihr so meist genügend Zeit, entsprechend zu reagie-ren.

"Meint Ihr wirklich, dass sie harmlos sind?" fragt sie ihn zweifelnd und blickt den Echsenmenschen nach. "So sahen sie mir nicht gerade aus. Solche Wesen sind mir noch nicht begegnet. Was waren das für Kreatu-ren?"

"Das ist wohl eines der vielen Geheimnisse, die hier im Orkland auf uns warten." meint Elgar leichthin. "Aber sie schienen mir nicht in der rechten 'Stim-mung' für eine eingehende Befragung oder für Studi-en." ergänzt er schmunzelnd. Dann geht er an Roven-as Seite weiter am Wald entlang, wo er immer wieder nach Kräutern oder anderen Pflanzen und auch deren Anwendung Fragen stellt. Sein profundes Wissen der Alchimie ist ihm dabei eine größere Hilfe, als sein ei-gentliches Wissen um die Natur.

Edric schaut den beiden Echsengestalten hinterher, wie sie den Hirsch wegtragen. Dann tätschelt er das Maultier und mit einem "Komm, es geht weiter" folgt er Ingalf.

Ingalf wendet sich nach einiger Zeit an Edric: "Wenn ich das Maultier mal nehmen soll, musst Du es nur sagen - schließlich hast Du mir ja gezeigt wie es geht!"

"Es ist recht folgsam" antwortet Edric, der das Maul-tier im Moment nahezu problemlos führt. "Achte Du auf den Weg und führe uns."

Aufmerksamer als vor der Begegnung mit den Grün-häutigen wandert sie nun weiter und unterhält sich mit Elgar. Die neuen, festen und deutlich schwereren Stiefel werden ihr dabei immer mehr zu einem Küm-mernis. Wie angenehm war dagegen das Laufen in ih-ren weichen, leichten Stiefeln …

Nach ungefähr einer weiteren halben Stunde, den die Helden am Waldrand entlanggehen, ohne dass eine Ende des Waldes oder eine gut begehbare Schneise Richtung Norden in Sicht ist, hören die Helden einen kurzen Zischlaut. Dann schlüpfen 20 Echsen-menschen von links aus den Büschen. Jeder von ihnen hält einen Dreizack hinter dem Rücken. Offenbar ein lächerlicher Versuch, die Waffe zu verbergen, denn die Zinken ragen deutlich sichtbar über die Köpfe der seltsamen Kreaturen hinaus.

Ingalf der sich mit Edric unterhalten hat, hat die Ech-senmenschen nicht kommen gehört und ist ziemlich überrascht, als diese auftauchen.

"Wir sollten uns vorsichtig verhalten", meint er leise in die Runde. "Die Waffen hinter dem Rücken zeigen doch wohl, dass sie uns nich' angreifen wollen, oder?"

Hesander bleibt stehen und schaut zu den anderen. "Wir haben die beiden Jäger vorhin ziehen lassen, viel-leicht wissen sie das noch nicht", sagt er in die Runde.

Demonstrativ hält Hesander seinen Stab ähnlich wie die Echsenmenschen hinter dem Rücken verborgen und wartet auf eine (Re)Aktion der Echsenmenschen.

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Die Echsenmenschen treffen keine Anstalten zum Angriff. Sie starren die Helden nur aus großen gelben Augen an. Einer von ihnen, er trägt als einziger einen breiten Ledergürtel um den Leib, drückt einen Busch beiseite. Dahinter ist mit viel Phantasie tatsächlich so etwas wie ein kleiner Pfad zu erkennen. Er tritt einen Schritt in den Pfad hinein und winkt die Helden her-an.

'Ist am Ende eine Kommunikation mit den Echsen-menschen möglich?' fragt sich Hesander. 'Vielleicht wollen sie uns einen Weg aus dem Wald heraus zeigen …', ist sein nächster Gedanke, mit dem er sicheren Fußes den gewiesenen Pfad betritt.

Skeptisch betrachtet Elgar die Vorgänge. 'Er wird doch nicht …?' denkt er, noch während Hesander den Pfad betritt. 'Doch, er wird! 20 Echsenmenschen laden uns doch nicht ein? Da stimmt doch etwas nicht!' - "Wir warten dann hier auf Dich!" ruft er dem voranschrei-tenden Geweihten hinterher. "Schreib mal."

Dann wendet er sich an die anderen: "Wollen wir ihm nach?" fragt er in die Runde.

… und bemerkt dabei Melachath, der schon hinter Hesander her geht. Die beiden Wurfspeere liegen noch auf dem Esel und diesen führt er hinter sich her. Es sieht nachdenklich aus.

"Wir können ihn doch nicht allein gehen lassen …" Die junge Frau schaut Elgar zweifelnd an. "Es sieht mir schon so aus, als ob sie uns zu sich einladen wür-den. Bestimmt haben die Jäger von uns berichtet," meint sie zu Elgar, während sie sich von dem Schreck erholt, der ihr beim plötzlichen Auftauchen der vielen Grünhäutigen durch die Glieder gefahren ist.

'Wenn sie uns gegenüber böse Absichten hegen wür-den, wären wir jetzt vielleicht schon tot … na, hoffent-lich sind sie wirklich harmlos …' denkt Rovena nur und wartet ab, ob auch die anderen dem Beispiel He-sanders folgen wollen.

Schulterzuckend meint Elgar: "Offenbar haben die beiden gerade beschlossen, dass wir knapp zwei Dut-zend neue Freunde haben. Sei's drum."

Damit rückt er seinen Rucksack zurecht, deutet eine Verbeugung zu Rovena an und macht eine einladende Geste mit der Hand: "Meine Dame. Ich verzichte auf das höfliche 'Nach Euch'."

Damit folgt er dem von Melachath geführten Maultier in sicherer Entfernung und nickt den Echsen-menschen im Vorbeigehen freundlich zu. Bei den Zweigen angelangt versichert sich Elgar, dass sie auch für Rovena beiseite gehalten werden. Dann folgt er den Gefährten und dem Pfad.

Rovena erwidert nichts auf Elgars Worte, sie hält sich nur dicht hinter dem Magier und betritt den Wald nun mit gemischten Gefühlen. Einerseits freut es sie, end-lich doch noch in den Wald hineinzukommen, ande-rerseits traut sie den Echsenwesen nicht ganz. Mit leichtem Unbehagen geht sie an den Grünhäutigen vorbei, die sie in den Wald hinein geleiten.

Ingalf, der Hesander nicht hätte alleine gehen lassen, folgt Edric mit dem zweiten Maultier und versucht, so den Rücken der Gruppe zu decken. Die Orknase trägt er jetzt in der Hand, aber er verhält sich beobachtend und defensiv.

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Bei den Echsenmenschenuf verschlungenen Pfaden, die wirklich nur je-mand gefunden hätte, der sich hier auskennt,

werden die Helden geführt. Ingalf hat das Gefühl, dass es so ungefähr nach Nordwesten geht.

AAPlötzlich ist der Wald zu Ende, und die Echsen blei-ben vor einer Wasserfläche stehen. Dicht am Wasser erhebt sich ein mehrere Körperlängen hoher Hügel, der einen Durchmesser von wohl 30 Schritt hat.

Hesander bleibt stehen - sein offener Mund zeigt sein Staunen.

'Höchst interessant', denkt er sich, 'so leben sie also.'

Er versucht, sich das Bild genau einzuprägen und ver-fällt in Gedanken, wie er das am besten in seinem Buch beschreiben kann.

Auch Rovena bleibt stehen und betrachtet die Umge-bung aufmerksam. Ihr Blick streift suchend nach ei-nem Eingang über den Hügel.

'Ob wir dort, in diesen Bau, hinein müssen?' fragt sie sich besorgt und streicht sich fahrig eine silbrig-schwarze Haarsträhne hinters Ohr.

Als Elgar den Wald verlässt und den ersten Blick auf dieses 'Bauwerk' wirft, ruft er leise "Kau-Pe Tisamotu!" aus und pfeift unwillkürlich durch die Zähne.

'Woran erinnert mich diese Hügelbauweise nur? Of-fenbar ist es ein Bauwerk, denn natürlichen Ur-sprungs ist das wohl nicht.'

Der offen stehende Mund verrät Melachaths Staunen.

'Wie soll man denn darin leben?'

Er sucht nach Öffnungen und versucht abzuschätzen, wieviele Echsen hier offensichtlich sind.

Das müssen noch wesentlich mehr Echsen sein, als die 20, die sie begleiten. Und wer weiß, wie weit der Bau in die Tiefe geht?

Ingalf, der mit Edric am Ende der Karawane geht, kommt als letzter auf die Lichtung. Er schaut sich neugierig um, behält aber mehr die Echsen als die Umgebung im Auge.

Zwei Echsenmenschen steigen ins Wasser. Sie winken den Helden zu. Plötzlich trifft Ingalf wie ein sanfter Peitschenschlag der Schwanzhieb eines Echsen-menschen auf den Oberschenkel.

Ingalf zuckt zusammen und kann seine Reflexe noch soweit unterdrücken, dass nicht die Orknase den Schwanz eines der Echsenmenschen kürzt.

Weitere Echsenmenschen steigen ins Wasser, einige tauchen unter, die anderen fordern die Helden durch Handzeichen auf, ihnen zu folgen.

"Hey!" ruft er den Echsenmenschen hinterher. "Wir sind keine Fische, wie sollen wir euch folgen, wenn wir nicht wissen wie weit wir tauchen müssen?"

'Zumal ja vielleicht nicht mal alle Schwimmen kön-nen …' fügt er in Gedanken hinzu.

Elgar gibt den Echsen zu verstehen, dass er folgen wird. Dann überlegt er kurz und fragt: "Wer von euch bleibt hier, um unsere Sachen, die nicht nass werden sollen, und die Maultiere zu bewachen? Ich selbst würde mir nämlich gern den Bau ansehen."

Rovena rührt sich nicht vom Fleck. Nicht nur, dass sie nicht besonders gut schwimmen kann, was soll aus ih-rer Ausrüstung werden? Die Maultiere müssen sie zu-rücklassen, ihre am Körper getragene Kleidung wird nass werden. Sie schüttelt den Kopf, die silbernen Strähnen in ihren Haaren blitzen auf.

"Nein, wir sollten ihnen nicht folgen, ich habe kein gutes Gefühl dabei …" murmelt sie leise und um-klammert fest ihren Stab.

Edric ist mit dem Maultier bis ans Ufer gefolgt. Be-sorgt sieht er, wie die Echsenmenschen ins Wasser steigen - warum sollten Echsen nicht auch im Wasser leben - doch zum einen kann er kaum schwimmen, zum anderen kann er die Maultiere hier nicht allein zurücklassen. Hilfesuchend blickt er zu Ingalf hin-über.

Ein Echsenmensch nach dem anderen taucht unter, und keiner kommt wieder hoch. Die verbleibenden versuchen mit aller Freundlichkeit die Helden dazu zu bewegen, und unter Wasser zum kommen. Rovena wird bewusst, dass bei den Echsenmenschen keine Kleidung nass werden kann.

"Was sollen wir tun, wenn die uns so freundlich bit-ten?" fragt Ingalf zurück und weist auf die Echsen-menschen, die die Gruppe umstellt haben. "Aber viel-leicht wollen sie ja gar nicht, dass wir alle mitkom-men, dann kann ja irgendwer hier bei der Ausrüstung und den Tieren bleiben."

"Vielleicht sollten die zurückbleiben, die nicht gut schwimmen können?" fragt Ingalf den Magier. "Kannst Du denn schwimmen?"

Mit einem Bände sprechenden Blick lehnt Elgar sei-nen Stab gegen den nächsten Baum, nimmt den Rucksack ab und streift Mantel und Robe ab. Diese legt er ordentlich zusammen und packt sie dann auf das Maultier, das auch seine anderen Sachen trägt. Dann zieht er das Hemd über den Kopf und enthüllt seinen Oberkörper, der gar nicht wie der eines Stuben-hockers aussieht. Auch wenn er bei weitem nicht so kräftig wie Ingalf ist, wirkt er dennoch durchtrainiert. Zuletzt zieht er auch noch die Stiefel aus und ergreift

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dann wieder den Stab. "Wollen wir?" fragt er den Thorwaler.

Ingalf schaut den Magier erst skeptisch, aber dann doch etwas wohlwollender an. 'Vielleicht hat er ja doch schon mal Wasser gesehen.'

Dann legt er erst seinen Schild, die Gürteltasche, in der sich auch die Lebenspille von Garhelt befindet, und bis auf die Lederhose die Bekleidung ab. In den Gürtel der Hose steckt er erst seinen Schneidzahn und nimmt seine alte Orknase vom Maultier, die er auch in den Gürtel steckt.

'Ich will mir ja nicht am ersten Tag meine neue rui-nieren!' denkt er als er Garhelts Orknase auf den Klei-dungshaufen - der in keinster Weise ordentlich aus-sieht - legt.

Dann wendet er sich noch an Edric: "Pass mir gut auf die anderen und meine Sachen auf!"

Anschließend gibt er seinem Freund noch einen Klapps auf den Rücken und geht mit einem "Das wohl!" in Richtung Elgar ins Wasser.

"Ich bleibe bei den Maultieren zurück." gibt Edric be-kannt. So muss er nicht eingestehen, dass er schlecht schwimmen kann.

"Ich denke auch mal, dass ich hier bleiben werde. Schwimmen haben wir auf der Akademie nie groß ge-lernt. Wir sind höchstens mal in Sommernächten im Rosensee geschwommen. Schwimmt ihr besser."

Als Elgar sieht, wie Ingalf auch seine Gürteltasche ab-schnallt, fällt ihm auf, dass er seine ebenfalls noch trägt. Auch er schnallt sie ab und drückt sie Rovena di-rekt in die Hand. Mit einem: "Jetzt haltet Ihr eines meiner Leben in der Hand." nickt er ihr zu und folgt Ingalf und den Echsen ins Wasser.

'Hoffentlich kann ich mit dem Stab gut genug schwimmen.' durchfährt es ihn. Aber ihn zurücklas-sen? Dann kommt ihm eine Idee. Mit Gürtel und ei-nem Stück Seil bindet er sich den Stab auf den Rücken, so dass er zum Schwimmen beide Hände frei hat. Da der Stab kürzer als er selbst ist, dürfte er auch beim Auftauchen keine Schwierigkeiten bekommen.

Plötzlich platscht eine Echsenschwanzspitze gegen Edrics Gesicht. Als er unwillkürlich dorthin fasst, bleibt an seinem Finger der Überrest eines fingerlan-gen Insektes kleben.

Edric schaut auf die Reste des Insektes. 'Was mag das für ein Insekt gewesen sein? Klebte es am Schwanz oder wollte es mich stechen?'

Das Insekt hat einen kräftigen Stachel. Es sieht so aus, als ob es durch den Schlag zerquetscht worden ist.

Er blickt auf und sucht nach der Echse, deren Schwanzspitze sein Gesicht gerade berührt haben könnte …

Der Echsenmensch verschwindet mit einem Winken im Wasser.

"Danke" ruft Edric dem Fremden winkend hinterher. 'Sie scheinen uns wirklich freundlich gesinnt.'

Er blickt sich um, wo er denn die Maultiere anbinden könnte.

Es gibt dafür genügend Gesträuch.

Er führt sein Maultier zu einem Strauch und bindet es mit geübten Griffen fest. Anschließend widmet er sich dem anderen Tier und führt es ebenfalls zu einem na-hen Gesträuch um es dort festzuzurren, wie Ingalf sa-gen würde. Unwillkürlich muss er dabei lächeln.

'Was sie dort unten wohl erwartet?' fragt er sich be-sorgt.

Hesander steht eine Weile am Ufer und überlegt. Gut, er gehört auch nicht wirklich zu den guten Schwim-mern und das ganze könnte nicht ungefährlich sein. Schließlich siegt aber seine Neugier und er legt seine Geweihtenkleidung sorgfältig an einem Baum ab und geht mit nur einem Lendenschurz bekleidet ans Was-ser.

Als er die anderen im Wasser sieht, wird er etwas nachdenklich.

'Hmmm. auf der anderen Seite kann das auch inter-essant werden. Was soll mir schon passieren. Rovena, Hesander und Edric werden wich schon verteidigen können.'

Hastig zieht er seine Sachen aus, schmeißt sie auf einen Esel, damit sie nicht im Schlamm rumliegen.

"Jungs, ich komme doch mit."

Nur im Lendenschurz und mit seinem Schmuck be-kleidet springt er ohne Waffe ins Wasser.

'Ich werde das schon schaffen.'

"Würdet Ihr auf meine Sachen achten, während ich weg bin?" fragt Elgar höflich, als er erkennt, dass zu-mindest Rovena ihnen nicht folgen wird. Dann meint er: "Ingalf und ich gehen - äh – schwimmen."

"Werde ich, Isinha, so gut ich es vermag," entgegnet Rovena ihm leise und mit einem besorgten Ton fügt sie noch hinzu: "Bitte, seid vorsichtig!"

Ein knappes Nicken und ein freundliches Lächeln sind seine Antwort.

Edric und Rovena bleiben allein zurück, nachdem alle Echsenmenschen und Gefährten im Wasser ver-schwunden sind.

Das Tauchen bereitet Ingalf überhaupt keine Proble-me.

Beim ersten Tauchversuch hat er nicht genügend Luft geschöpft, so dass Melachath noch einmal auftaucht. Bei zweiten Tauchversuch findet er den unterirdi-schen Eingang.

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Hesander taucht den Gefährten hinterher. Nun ja. Er will es, aber im Halbdunkel des Bodirwassers über-kommt ihn leichte Panik, so dass er schnell wieder auftaucht. Aber er gibt nicht auf und taucht noch ein-mal. Diesmal schafft er den Einstieg.

Einen Moment blickt er gedankenverloren auf die Wasserfläche hinaus und sieht zwei Köpfe kurz nach-einander wieder auftauchen, bevor sie endgültig unter Wasser verschwunden bleiben.

Rovena hat ihren vier Gefährten bedrückt hinterher gesehen und starrt noch eine Weile auf die auslaufen-den Wellen, die letzten Zeichen der Verschwundenen. Irgendwie verspürt sie ein unbehagliches Gefühl, das sie leise aufseufzen lässt, doch dann löst sich ihr Blick von der Wasseroberfläche und sie dreht sich zu Edric um.

"Sie werden schon wieder auftauchen," versucht sie ihn und sich zu beruhigen, nachdem sie seine eben-falls besorgte Miene gesehen hat.

"Lass uns ein Feuer machen und einen Tee kochen," schlägt sie vor und beginnt, Holz für ein Feuer zu-sammen zu suchen.

"Hmm." Edric nickt - wortkarg wie immer - zustim-mend und mach sich daran, Teekanne und Becher von den Maultieren zu holen.

Im Bau der EchsenmenschenDie vier Gefährten schaffen es. Richtig schwimmen muss man gar nicht. Tauchen ist angesagt, und da kommt es vor allem darauf an, genügend Luft zu ha-ben keine Panik zu kriegen. Zwei Körperlängen geht es in die Tiefe, dann durch eine körperhohe Öffnung im Flussufer und dann geht es schon wieder aufwärts. Keine große Sache.

Hesander kommt in einer fast kreisrunden Halle von wohl 12 Schritt Durchmesser und mehr als vier Schritt Höhe hinaus. In der Außenwand sind etwa 20 halb-runde dunkle Durchgänge zu sehen. Ingalf ist schon da. Elgar und Melachath kommen etwas später an.

Das Staunen ist Melachath ins Gesicht geschrieben. Das sah von außen kleiner aus.

Ingalf begrüßt die Gefährten mit einem "Na, falsch abgebogen?"

'Fast wie früher, als ich in den Mangroven tauchen ge-lernt habe …' denkt Elgar, als er die Wasseroberfläche durchbricht.

Mitten in der Halle erhebt sich ein kleiner Podest, auf dem in einem steinernen Sessel ein mit einem silber-nen kuppelförmigen Helm geschmückter Echsen-mensch thront. Er blickt den vier Ankömmlingen auf-merksam entgegen. An seiner Seite steht ein weiteres, auffallend zierlich gebautes Echsenwesen, das sich durch einen leuchtend roten Zackenkamm auszeich-net. Bei den übrigen Echsenmenschen ist dieser

Kamm ebenso grün wie der gesamte Körper. Die Kreatur auf dem Thron - offenbar der Häuptling - hebt die Hand mit gespreizten Fingern und straff ge-spannten Schwimmhäuten und spricht die Helden an: "Willkomm, freundlich Langfinge! Ich Häuptlich Azl Azzl, das in eu Sprak: Kriege, der Flieg in Flug mit Schwanzend triff. Ihr mein Gäs!"

Melachath versucht, diese Geste zu erwidern und ver-beugt sich. Darüber, dass der Häuptling die fremde Sprache spricht, wundert er sich. Aber das Reden will er sowieso dem Magus überlassen. Der meinte ja, er wäre schon so weit 'rum gereist und außerdem wird dieser ja sicherlich die eine oder andere Sprache spre-chen.

Da es nicht so ganz hell hier unten ist und Elgar sich gern umsehen würde, nimmt er den Stab vom Rücken und macht eine - eigentlich überflüssige - Geste mit der rechten Hand, während der Stab in der linken Hand ruht. Sofort geht ein warmes Licht von der Spit-ze des Stabes aus und hüllt die Anwesenden ein.

Ein erschrockenes Keuchen durchfährt die versam-melte Schar der Echsenmenschen, aber der Häuptling rettet die Situation, indem er in die Hände klatscht. Daraufhin werden Tische und Hocker hineingetra-gen, Pokale, Krüge und gewaltige Näpfe voll damp-fender Speisen.

Sich dem Effekt seiner Tat nicht bewusst, sieht Elgar sich um: "Hm, wunderbar." ist gelegentlich leise von ihm zu hören.

Als die Möbel und Speisen gebracht werden, lenkt er seine Aufmerksamkeit auf die Echsenmenschen und den 'König' und antwortet diesem auf seine Vorstel-lung: "Habt Dank. Meine Begleiter sind Ingalf, der Recke hier, Melachath, der Feinsinnige und Hesander, der Wissende."

Bei Nennung eines jeden der 'Zusatztitel' zeigt er auf den Betreffenden. Schließlich verbeugt er sich leicht: "Und ich bin Elgar …" kurz zögert er und fast hätte er sich hinreißen lassen, sich den Beinamen 'Der Er-leuchtende' zu geben. Statt dessen sagt er schlicht "… den man Isinha nennt."

"Sehr erfreu, sehr erfreu. Lang all zu!" fordert der Häuptling auch die anderen zum Essen auf.

'Na, das geht doch gut los, aber das dicke Ende kommt sicherlich!' unkt Ingalf in Gedanken. Dann wendet er sich an den Häuptling: "Wenn Du uns was zu Essen gibst, können unsere Freunde draußen auch was bekommen?"

"Wer komm, krich Esse", ist die lakonische Antwort des Häuptlings.

'Klar, aber Du kannst mit Deinen Flossen auch gut schwimmen', denkt sich Ingalf, 'aber Edric und Rove-na nich'!'

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Anschließend nimmt er von den dargebotenen Spei-sen. Erst vorsichtig um den Geschmack zu prüfen, aber dann bei den ihm mundenden Speisen wie üb-lich üppig.

Das Essen schmeckt hervorragend. Ingalf haut richtig rein. Die Speisen bekommen ihm prächtig. Nach dem Essen fühlt er sich so energiereich wie selten zuvor.

Unauffällig besieht sich Elgar das ihm angebotene Es-sen genau. Als er bemerkt, dass Ingalf mächtig zulangt und ihm alles zu schmecken und auch zu bekommen scheint, weicht etwas von seinem natürlichen Miss-trauen. Er hatte bereits die rechte Hand ausgestreckt über den Schüsseln, um einen Krankheiten und Gifte neutralisierenden Zauber zu wirken. Aber das unter-lässt er und bedient sich ebenfalls.

Auch Elgar schmeckt das Essen bestens. Vollkommen ungewohnt zwar, aber delikat.

Wenn ja nun schon zwei essen und nicht umfallen, wird auch Melachath ein wenig der angebotenen Spei-sen essen. Dabei guckt er sich viel um, damit er mög-lichst viel behält, damit man am Abend die Reisebe-richte ordentlich schreiben kann.

Melachath merkt ganz schnell, dass das Essen für ihn überhaupt nichts ist. Ihm wird übel.

Worauf hin er natürlich so gut wie nichts mehr isst. Aber um diplomatisch zu bleiben, versucht er, sich nichts anzumerken lassen. Wenn er das Gefühl hat, besinnungslos zu werden, wird er vorher versuchen, Ingalf zu warnen.

Melachath schafft es, ein Übergeben zu vermeiden. Er bleibt auch bei Bewusstsein.

Hesander zeigt eine anfängliche Skepsis, nimmt den Duft des Essens mit der Nase auf und fängt dann an, zu essen. Dabei kaut er bewusst und versucht, heraus-zuschmecken, was die Echsenmenschen uns denn wohl kredenzen.

Auch Hesander schmeckt das Essen richtig gut.

Nach dem Essen schaut sich Ingalf in dem Raum um, dann wenn ihn keiner der Echsen beobachtet, ver-sucht er einen Napf mit Deckel mit einigen Leckerei-en für die beiden zurückgelassenen Gefährten zu fül-len.

Die Echsenmenschen beobachten die Helden interes-siert. Ab und zu tuscheln zwei miteinander. Ein Napf mit Deckeln ist nicht zu sehen.

Nachdem Elgar seine Mahlzeit beendet hat, wendet er sich wieder an den König: "Habt Dank!"

Dann zögert er etwas, da er offenbar nicht weiß, wie er sich ausdrücken soll. Schließlich beginnt er wieder: "Wer, nein, was seid Ihr?" mit einer ausladenden Handbewegung zeigt er auf den gesamten Innen-raum. "Ich habe noch nie von Euch gehört oder gar

von Euch gelesen. Seit Ihr Nachfahren der 'großen Echsen' aus dem heißen Süden?"

Elgar hatte während seiner Studienzeit viel über die alten Echsenstämme gelesen und gehört, da Seine Spektabilität Salpikon schließlich der bekannteste und weiseste Echsenkundige ganz Deres ist. Aber von die-sen nördlichen Exemplaren stand nichts in den Bü-chern.

'Das ist meine Chance, frühzeitig in den Stand des Adeptus maior erhoben zu werden!' freut er sich be-reits und macht sich im Geiste Notizen für seinen Be-richt an die heimatliche Akademie.

"Wir habe hier imme gewohn!" Der Häuptling richtet sich stolz auf. "Wir sind die beste Kriege von ganz Volk!"

"Welches Volk?" hakt Elgar sofort nach. "Seit Ihr nicht das ganze Volk?" fragt er dann.

'Gibt es etwa noch eine ganze Zivilisation dieser We-sen, die nicht hier in diese Bau sind? Das würde be-deuten, dies wäre nur ein Vorposten oder etwas ähnli-ches. Was für eine Entdeckung!'

"Vol-wo-Erd-und-Wasse-leb." Azl Azzl legt die Hand auf seine Brust. "Wir leb Fluss. Hie und da."

"Äh, woher kennt ihr unsere Sprache? Habt ihr viel-leicht schon mal mit einem "Rior Riesenschläger" ge-redet?“ - 'Wie alt werden diese Echsen eigentlich?'

"Vor viel Jahr bin ich auf große Reis", er überlegt kurz, "auf Wanderschaf gegang. Da ich hab Langfing ge-troff, mit Nam 'Läuf so schell'. Viel eu Sprak gelern!"

"Wisst ihr, ob es noch Riesen in der Nähe gibt?" spru-deln die Fragen nur so aus Melachath raus, der ein bisschen blass aussieht.

Beifällig nickt Elgar, das würde ihn auch interessieren. 'Schließlich scheinen die Echsenmenschen recht freundlich zu sein und haben entweder noch keine schlechten Erfahrungen mit Menschen gemacht oder können ganz gut einschätzen, wer für sie gefährlich ist.'

Als Melachath das Wort 'Riesen' erwähnt, rollt Azl Azzl mit den Augen und fängt an auf echsisch zu re-den. Daraufhin wird das zierlich gebaute Wesen neben ihm ohnmächtig. Der Häuptling beachtet das aber gar nicht weiter, sondern antwortet in Menschensprache: "Ja, Ries, ja. Am Fluss, wo Wasser herkomm."

Ingalf ist etwas verwirrt, aber dann fragt auch er: "Habt ihr hier auch Schnaps?"

"Muss das denn sein?" flüstert Elgar dem Thorwaler zu. Als er sieht, dass es Melachath offenbar nicht so gut geht, fragt er nach: "Oder soll der Alkohol medizi-nischen Zwecken dienen?"

"Das wohl!" antwortet Ingalf. "Nach einem Essen regt ein Schnaps die Verdauung an …" und mit einen auf den Aranier "… oder beruhigt sie wieder."

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'Zumindestens war es bei mir immer so.' fügt er in Ge-danken hinzu.

Nun ist Azl Azzl verwirrt. "Was 'Schnapps'?" will er wissen. Bevor Ingalf antworten kann, erhellt sich aber sein Gesicht, und er klatscht in die Hände. Jetzt be-ginnen einige Echsenmenschen, Essgeschirr, kleine Möbelstücke, aber auch ein paar goldene Becher, eini-ge Perlen, mehrere Bernsteinbrocken und bunt gefärb-te Flusskiesel zu einem Haufen auf dem Boden der Halle aufzutürmen.

'Hm, wird das nun unsere nächste Station oder sollten wir lieber die Flussquelle und damit den Riesen um-gehen?' fragt sich Elgar, während die Echsen noch die Kiesel auftürmen.

Als sie mit ihrer Arbeit fertig sind, lehnt Azl Azzl sich zufrieden zurück und deutet auf den Haufen. "Das mein Schnapps", sagt er stolz. Anschließend deutet er auf das Echsenwesen mit dem roten Rückenkamm, das sich mittlerweile von seiner Ohnmacht erholt hat. "Das au mein Schnapps, mein Eikind, mein … ähh … Docht?"

Elgar schüttelt leicht den Kopf: 'Da muss er was falsch verstanden haben.' Laut sagt er: "Meint Ihr 'Tochter'?"

Erst fängt Ingalf an zu Grinsen, als er die Verwechs-lung der Wörter versteht und will auch schon zu einer Erklärung ausholen, …

Er wartet einen Moment, dann steht er auf, legt Ingalf die Hand auf die Schulter und sieht seine Tochter fra-gend an. Das Echsenmädchen nickt eifrig mit dem Kopf.

"Du gute Krieg! Du bekommen ein Schnapps und an-der Schnapps, Du glücklichste Mann am Fluss!" er-klärt Azzl voller Entschlossenheit.

… aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken. So hatte er sich den Abend irgendwie nicht vorgestellt. Dann fängt er an zu stottern: "Oh, das … ähm … geht nicht! Ich hatte schon … einen, hmm, Schnaps und … ähm … eine große Schar von … Eikindern!"

So langsam kommt er wieder in sicheres Fahrwasser: "Um genau zu sein ein ganzes Dorf voller Töchter und Söhne! Und viele Enkel und Urenkel. Und Frau-en, da geht halt keine mehr dazu. Und wenn ich nicht zurückkomme, dann werde die alle mich holen kom-men. Und die Frauen bei uns sind doppelt so groß wie ich. Und alles große Krieger! Die wühlen sich von au-ßen durch den Hügel durch, um mich zu holen! Und dann sind sie echt böse! Also nee, so schön der Schatz ist, ich kann ihn nich annehmen!"

Fast hätte er laut gelacht. Mit einem Glucksen meint er mit einem Ellenbogenstoß in Richtung Ingalfs Rip-pen: "Ich glaube, Du hast gerade die 'Frau fürs Leben' gefunden!" Sein breites Grinsen zeigt deutlich, wie sehr er sich für seinen Gefährten freut.

'Noch so'n Spruch, Kieferbruch!' schießt es Ingalf durch den Sinn, der im Moment der Situation noch keine komische Note abgewinnen kann. 'Wie oft war ich jetzt schon in der Situation, dass mir irgendwelche Väter ihre Töchter anhängen wollten? Aber da hatten wir vorher wenigstens Spaß!'

Hesander, der diese Szene zunächst schweigend beob-achtet, kann ein Grinsen ob dieser fürwahr komischen Situation nicht unterdrücken.

'Wer hätte gedacht, dass das Wort Schnaps offenbar so etwas wie Braut oder im weiteren Sinne Schatz bedeu-tet.'

Da er aber nicht weiß, wie die Echsenwesen auf einen eigentlich deutlichen Affront reagieren und wie sich der sozusagen Schwiegervater in Spe verhält, wird er zunächst abwarten.

"Das sein gut", antwortet Azl Azzl. "Du schon haben Frau. Du kennen. Du nehmen Tili Tiki, was heißt 'Aug, goldner als von Frosch', mit zu Dein Volk."

'Interessant', denkt sich Hesander, 'die Echsen halten es anscheinend nicht mit Travias Gebot und sind of-fenbar der Vielweiberei nicht abgeneigt.'

Hesander geht etwas näher zu Ingalf heran und meint in gedämpfter Stimme: "Ich würde an Deiner Stelle den König nicht beleidigen und das Mädchen erst ein-mal mitnehmen. Wer weiß, wie der König reagiert, wenn Du ablehnst."

"Das ist mir völlig egal, wie der König reagiert!" erwi-dert Ingalf leicht gereizt. "Wenn sie Dir gefällt, dann nimmt Du sie Dir!"

'Das würde eine Hochzeit geben!' denkt Elgar. 'Das grüne Paar würde sicher gut zueinander passen …' Einen Kommentar hierzu verkneift er sich aber.

"Hör' auf ihn." ist Elgars gut gemeinter Rat. "Er kennt sich damit aus, den ganzen Tag in Grün herumzulau-fen. Außerdem kann sie bestimmt genau so gut schwimmen wie Du."

Nur schwer kann er sich das Grinsen aus dem Gesicht wischen.

"Immerhin ist sie nicht so blass wie Du!" Ingalfs Ge-duld mit der Situation im allgemeinen und dem Ma-gier im besonderen neigt sich dem Ende zu.

"Da hast Du Recht." Elgar scheint nicht im mindesten beleidigt ob des "Angriffs" auf sein Äußeres.

Für Ingalf antwortet er dem König sodann: "Unser Freund fühlt sich geehrt."

"Nein!" ruft Ingalf dazwischen. "Ich fühle mich nicht geehrt, weil ich diese Ehre nicht annehmen kann!"

'Und vor allem: Ich will nicht!'

"Das habe ich auch nicht gesagt. Ich sagte nur, Du 'würdest Dich geehrt fühlen', nicht: 'Gib sie mir!'. Das

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ist ein großer Unterschied!" beharrt er. "Und jetzt krieg' Dich wieder ein!"

"Dir will ja auch keiner 'ne Frau an Hals hexen!" pampt Ingalf zurück.

"Wenn's mal 'ne Frau wäre … aber es ist … ein Frosch!" flüstert Elgar belustigt zurück. Mit einer höfi-schen Verbeugung meint er sodann: "Wir haben Deine Gastfreundschaft schon sehr lange beansprucht. Sagt, wie können wir sie vergelten?"

Hesander tritt einen Schritt zurück und meint leise aber bestimmt zu Elgar: "Ich glaube, es ist jetzt nicht an der Zeit für derartige Wortspiele. Und vielleicht ist Azl Azzl ja aus welchem Grund auch immer froh, die-ses Echsenmädchen los zu sein. Würdet Ihr Eure Tochter dem erst besten echsischen Krieger anvertrau-en?"

"Das ist nicht der Punkt. Erstens habe ich keine Toch-ter und zweitens ist das aus gildenrechtlichen Grün-den derzeit auch nicht möglich!" erwidert Elgar kurz angebunden.

"Ich hab' Dir schon mal gesagt", ruft Ingalf erzürnt auf. "Ich will die Echse nicht, wenn Du sie willst, dann nimm sie Dir! Aber nicht mit mir! Nur über meine Leiche!"

"Ingalf", sagt Hesander mit Nachdruck, "er hat sie aber Dir anvertraut, weil er in Dir einen großen Krie-ger sieht. Selbst wenn ich sie haben wollte, würde er sie mir nicht geben - ich bin kein Kämpfer."

Mit ungewohnt knappen Worten fährt er fort: "Willst Du den König verärgern? Dann weigere Dich weiter - aber ich fürchte, das wird Ärger geben."

Wohl aufgrund von Ingalfs heftiger Reaktion be-kommt der Häuptling von Elgars letzter Frage nichts mit.

Azl Azzl schaut etwas verwirrt, als seine Gäste auf einmal alle anfangen, durcheinander zu reden.

"Du Tili Tiki nicht wollen?" fragt er, wohl um sich Klarheit zu verschaffen. Aber aus seiner Stimme ist alle Jovialität verschwunden?

"Ja … Nein", Ingalf steckt in der Klemme, "es geht nicht! Ich kann nicht!"

"Und warum nich?" Azl Azzl klingt gefährlich ruhig.

"Ich hab's doch schon gesagt: Ich hab' schon zu viele Frauen und darf nicht! Die Götter würden es nicht wollen!"

'Oh, Swafnir! Hilf mir hier raus und ich will nie wie-der lügen, jedenfalls nicht so oft!'

"Oh." Der Häuptling scheint den Umstand vorhin nicht richtig mitbekommen zu haben. Kein Wunder bei dem Schwall, den Ingalf da losgelassen hat. Azl Azzl erklärt den Sachverhalt seiner Tochter, die dar-aufhin tief seufzt.

"Götte nicht wolle! Kann man nichs machen."

Auch der Häuptling seufzt tief auf.

Ingalfs Seufzer klingt so, als wäre ihm ein mittleres Gebirge vom Herzen gefallen. 'Danke Swafnir! Ich werde mich bemühen, mein Versprechen zu halten!'

Dann wird er wieder ernst: "Tut mir leid, Ingalf. War nicht so gemeint." entschuldigt er sich.

Ob Ingalfs Knurren bedeutet, dass er die Entschuldi-gung annimmt, kann Elgar nicht so ganz deuten.

Er klatscht abermals in die Hände, und die ausgebrei-tete Mitgift, in der sich einige recht wertvolle Einzel-stücke befinden, wird wieder eingeräumt. Dann be-ginnt er sich auf seine Gastgeberpflichten in höflicher Konversation.

Nachdem sich die allgemeine Lage wieder beruhigt hat, wirft Elgar Ingalf noch einen 'kalten' Blick zu, endlich den Mund zu halten. Dann wiederholt er sei-ne Frage an den König.

Der Häuptling wirkt richtig erstaunt. Nach einem Moment Überlegen fragt er vorsichtig: "Du Tili Tiki nehmen?"

Ingalf muss wohl plötzlich irgendetwas in den falschen Hals bekommen haben, denn er hält sich laut hustend und prustend die Hand vor den Mund und läuft ein wenig blau an.

'Tja, mein guter Magier, jetzt steckt Dein Kopf in der Schlinge!' denkt er sich amüsiert.

Elgar kann sich ziemlich genau vorstellen, was Ingalfs Hustenanfall verursacht hat und milde blickt er zu ihm hinüber.

'Reizvoll wäre es schon. Es würde mir die Möglichkeit zu ungeahnten Forschungen schaffen. Vielleicht auf dem Rückweg …? Nein. Oder doch?'

Mit einem warmen Lächeln schüttelt Elgar den Kopf: "Da, wo wir hingehen, würde eine Prinzessin nur in Gefahr sein. Es ist kein Platz für junge Damen."

Das auch Rovena zu den Gefährten gehört, ver-schweigt er geflissentlich. 'Schließlich ist sie keine Prinzessin, oder?'

"Was ihr hier machen in Land von Flatterlapp, was Feue spei?"

"Moment." fährt Elgar dazwischen. "'Flatterlapp', was ist das?" - 'Und das soll auch noch Feuer speien. Hm. Er wird doch nicht einen dieser Lindwürmer meinen, die nach alten Legenden in einigen Bergen Deres hausen sollen?'

Plötzlich wirkt Elgar sehr sehr nachdenklich und macht einen besorgten Gesichtsausdruck.

Achaz denkt angestrengt nach, dann erklärt er: "Flieg wie Vogel, aber vieee größe!"

Der Häuptling seufzt noch einmal, dann wieder holt er seine Frage: "Was ihr hier mache?"

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"Wir sind Forscher." erklärt Elgar. "Wir zeichnen eine Karte vom Weg durch dieses Land."

Bewusst hält er seine Erklärung kurz, nicht dass der König auf die Idee kommt, sie könnten ihm hier die Herrschaft streitig machen wollen.

"Warum ihr das machen?" ist die naheliegende nächs-te Frage des Häuptlings.

"Weil es noch keine Karte gibt." lautet die einfache und ebenfalls naheliegende Antwort.

"Wofür man brauchen Karte?" Der Häuptling scheint wirklich neugierig zu sein.

"Reiche Menschen, Könige, finden 'echte' Karten schön. Sie werden als 'Schmuck' an die Wand gehängt. Sie sind ein 'Schatz'." erklärt Elgar geduldig, der keine Lust darauf hat, die weiteren Möglichkeiten von Kar-ten mit dem Echsenmenschen zu erörtern.

"Langfinge!" Der Häuptling scheint beeindruckt, was die Menschen so für verrückte Sachen machen, aber sein Wissensdurst ist eindeutig erschöpft.

Danach sieht Elgar sich um: "Wir würden gern mehr über Euch erfahren, aber wir haben eine Aufgabe. Wenn wir nichts für Euch tun können, würden wir uns jetzt gern verabschieden. Unsere Freunde warten draußen auf uns und machen sich sicher schon Sor-gen."

Dabei denkt er an die zierliche Rovena und den schüchternen Edric und wie sie allein - ohne Kenntnis all dieser Umstände - dort warten.

Der Häuptling scheint nichts dagegen zu haben, dass die Helden schon wieder gehen. Zum Abschied gibt er noch einen Topf mit einer Salbe gegen 'Flieg, das beiß' mit.

Elgar bedankt sich ordentlich und bringt mit einer weiteren (überflüssigen) Handbewegung den Zauber-stab zum Erlöschen und bindet ihn sodann wieder auf dem Rücken fest.

"Wollen wir?" fragt er in die Runde und geht zum Wasser, um zurück nach draußen zu schwimmen.

Ingalf nickt und folgt Elgar, ohne ein weiteres Wort zu sagen. 'Erst Schnaps und Schatz, dann erzählt er uns was von Drachen … hätte ich jetzt von unseren Schif-fen erzählt, dann hätte ich wahrscheinlich seine Mut-ter heiraten müssen!'

Hesander nickt Elgar zu. Dann schaut er nochmal zum König und sagt: "Ich danke Euch für Eure Gast-freundschaft. Lebt wohl."

Dann geht er zum Wasser und schwimmt nach drau-ßen.

Und so taucht Elgar in's Wasser. Dann kommt er noch einmal zum Tiefluftholen nach oben und winkt den versammelten Echsenmenschen dabei freundlich zu. Drei Mal atmet er bewusst ein und wieder aus, dann hält er beim vierten Atemzug die Luft an und taucht

unter. Durch die Öffnung hinaus, noch ein paar Meter und dann nach oben.

Melachath dankt noch einmal für die Gastfreund-schaft und das gute Essen und macht sich dann auf den Weg nach draußen.

Derweil am UferDie Zeit vergeht. Die Gefährten sind bestimmt schon eine Stunde verschwunden.

"Ich werde die Maultiere abladen." sagt der junge Mann und macht sich daran, das Gepäck von den Tie-ren zu laden, damit auch diese sich ein wenig ausru-hen können.

"Meinst du, sie brauchen noch länger?" Rovena wird langsam unruhig, bisher hat sich kein Lebenszeichen ihrer Gefährten gezeigt. Als sie sieht, wie sich Edric beim Abladen abmüht, fasst sie bereitwillig mit an. Wenig Gepäck haben sie ja nicht gerade dabei, die Maultiere sind schon ordentlich beladen.

"Weiß nicht." antwortet er wortkarg. Gerne würde er mehr sagen, doch weiß er nicht so recht, wie er das an-stellen soll. Auch macht er sich Sorgen, da Ingalf und die anderen noch nicht wieder aufgetaucht sind. Als Rovena ihm beim Abladen der Tiere hilft, schenkt er ihr ein schüchternes aber dankbares Lächeln.

Nachdem das Feuer brennt und der Tee zubereitet ist, versucht Rovena, ein Gespräch mit dem schweigsa-men jungen Mann zu beginnen.

"Du kennst dich doch mit den Schwarzpelzen aus," fängt sie an. "Man hat mir in Weiden erzählt, dass sie Mörder, Plünderer und Brandschatzer sind, doch du scheinst sie auch anders kennengelernt zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich auch friedlich sein können …"

"Nur ein wenig." Edric hält seinen Becher mit beiden Händen und schaut Rovena über den Rand hinweg an. Vorsichtig nippt er an dem heißen Getränk.

"Hatte mal Kontakt mit ihnen." fährt er zögerlich fort. "Ist aber schon länger her."

Ach - was hat er in der Zwischenzeit nicht schon alles erlebt! Und vor allem: Er hat Ingalf getroffen, in einer fremden Welt, zusammen mit Randirion, Sephyra und Frumol. Dass er sich ihnen angeschlossen hat, ermög-lichte ihm die Rückkehr nach Dere.

"Sie sind wie einfache Männer und Frauen" - er be-nutzt das Wort Menschen bewusst nicht - "Aggressiver als Menschen, aber ähnlich." erklärt er umständlich. "Ich meine, sie haben Götter, und einen Anführer. Sie ziehen durch das Land auf der Suche nach Ruhm und Nahrung."

Er schaut die hübsche Frau noch einen Moment lang an, dann blickt er hinaus auf das Wasser.

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Rovena erwidert seinen Blick mit einem Lächeln. 'Ein paar Worte hat er also doch herausgebracht' denkt sie, ihr Blick folgt dem seinem auf die Wasseroberfläche und sie wird wieder ernst.

"Sie sind also nicht so furchterregend wie sie beschrie-ben werden? Haben sie auch Familien, so wie wir? Erzähl mir doch mehr von ihnen, denn so wie du sie beschreibst, scheinen sie weniger den Ungeheuern zu ähneln, die mir beschrieben wurden."

Edric schaut sie erstaunt an. Er soll ihr erzählen? Gleich darauf senkt er wieder den Blick, als könne er ihren Glanz nicht länger ertragen. Nein, berichten soll er ihr. Er seufzt kurz und beginnt leise seine Schilde-rung: "Sie haben Familien, Frauen und Kinder. Meist leben sie in kleinen Sippen zusammen, manchmal in großen Stämmen."

Er macht eine Pause und nippt am Tee. Zögernd fährt er fort, so als müsse er die richtigen Worte finden.

"Nimm Ingalfs Temperament und Kraft, vielleicht we-niger Intelligenz, mehr Starrsinn. Stecke ihn in einen schwarzen Pelz und du hast so etwas wie einen hand-zahmen Ork vor Dir."

Bei dem Vergleich muss die junge Frau unwillkürlich grinsen. Nein, selbst wenn sie sich Ingalf in einen schwarzen Pelz gehüllt vorstellt, entspricht das nicht dem Bild, dass sie von einem Ork nach den Schilde-rungen ihrer Mutter und anderer hat.

Wieder macht er eine Pause, dann hebt er den Kopf und blickt sie an: "Sie sind wild, brutal, tierisch und gefährlich. Aber sie haben ihr Kultur, ihren Glauben und ihre Ideale. Wenn wir vorsichtig sind, wird nichts geschehen."

Aufmerksam hört Rovena ihm zu, unterbricht ihn auch nicht in seinen Pausen, nicht, dass er gleich wie-der verstummt. Als er sie nun anschaut, sieht er in ihr erstauntes Gesicht, auf dem sofort ein Lächeln er-scheint, als sich ihre Blicke kreuzen.

"Du hast also keine schlechten Erfahrungen mit den Schwarzpelzen gemacht, scheint mir. Sprichst du ei-gentlich ihre Sprache? Und was meinst du mit vor-sichtig sein? Dass wir besser Begegnungen mit ihnen vermeiden, oder?" will sie weiter von ihm wissen. Sei-ne, wenn auch kargen, Beschreibungen haben ihre Neugier geweckt, mal etwas anderes als die üblichen Geschichten über die grausamen Orkbanden zu hö-ren.

"Bisher habe ich die Begegnungen überlebt" antworte Edric kurz angebunden wie immer. "Und ich spreche auch ihre Sprache." fügt er noch hinzu.

Er schweigt und als Rovena schon meint, er wolle nichts weiter sagen fährt er fort: "Vergleiche sie mit ei-nem Rudel Wölfe im Winter. Sie sind hungrig und reißen unsere Schafe. Für uns mögen sie grausam und brutal erscheinen, doch für sie ist es ihr Leben."

Ernst sieht er sie an, bevor er weiter spricht.

"Eine Begegnung können wir sicher nicht vermeiden, aber wenn es soweit ist, bedenke gut was Du tust. Ge-nauso als stündest Du den Wölfen gegenüber, kann eine falsche Gebärde der Tod sein."

'Wenn sie denn wie Wölfe wären, hätte ich schon ein Mittel, sie zu besänftigen …' denkt Rovena bei seinen Worten, aber Orks sind keine Wölfe und daher un-gleich gefährlicher für sie. Ihnen auszuweichen und sich zu verbergen, wurde ihr schon früh beigebracht, da sie oft genug allein im Finsterkamm unterwegs sein musste Sie erwidert seinen Blick ebenso ernst.

"Ich werde deine Worte beherzigen und mich nach dir richten," antwortet sie ihm vertrauensvoll und blickt ihm tief in die Augen. "Du wirst durch deine Erfah-rungen am Besten wissen, wie wir uns verhalten müs-sen."

Schließlich durchbricht Elgar nur wenige Herzschläge nach dem Abtauchen in der Echsenhöhle wieder die Wasseroberfläche und orientiert sich. Sobald er das Ufer und die beiden zurück gebliebenen Gefährten entdeckt, schwimmt er auf sie zu und steigt dann aus dem Wasser. Mit einer Decke aus dem Gepäck rubbelt er sich trocken und zieht sogleich Robe und Mantel wieder über, ebenso schnallt er die Gürteltasche um.

Auch Melachath wird sich natürlich abtrocknen und sich erst mal wieder warm anziehen.

Dort angekommen trocknet sich Hesander ebenfalls ab und legt seine Kleidung wieder an.

Als Elgar und Hesander fertig angekleidet sind, be-merkt Elgar zu Hesander: "Das war … hmm … sehr aufschlussreich. Welche Schlüsse können wir wohl aus der Tatsache ziehen, dass es in der Gegend offenbar einen Lindwurm oder ähnliches gibt?"

Noch während Hesander über diese Dinge grübelt, reicht Elgar das Töpfchen mit der Salbe an Rovena weiter: "Hier, ein Geschenk von König Azl Azzl. Es soll gegen Stiche der hier heimischen Insekten hel-fen." Dann wartet er auf Hesanders Antwort.

"Das werden wir wohl noch herausfinden. Auf alle Fälle ist es wohl ratsam, öfters einmal einen Blick nach oben zu richten."

Rovena nimmt den Tiegel mit einem Kopfnicken ent-gegen und steckt ihn zu den anderen Salben in ihren Beutel. Dabei schaut sie sowohl Elgar als auch Hesan-der fragend an. "Wovon sprecht Ihr? Etwa von Dra-chen?"

"Ganz recht, Frau Rovena", nickt Hesander ihr zu. "Aber ich denke nicht, dass sich der Lindwurm - falls es ihn hier gibt - ausgerechnet uns als Opfer aussucht. Die Götter werden uns behüten", fügt er mit sicherer Stimme hinzu.

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Elgar zuckt mit den Achseln. "Wir wissen es nicht ge-nau. Azl Azzl hatte eine - ähm - gewöhnungsbedürfti-ge Ausdrucksweise. Aber es wäre durchaus denkbar." ergänzt er. "Außerdem hat er uns vor einem Riesen ge-warnt, der an der Quelle des Bodir leben soll."

'Ob es der ist, dessen Fingerglied wir mit uns führen?' überlegt Rovena mit hochgezogenen Augenbrauen, entgegnet jedoch nichts auf Elgars Worte. Sie schaut Hesander an, ihre Miene ist dabei eher ausdruckslos. "Wenn Ihr das sagt …"

Drachen und Riesen - Dieses Land ist für Edric voller Überraschungen. Er schaut zum Himmel, vielleicht kann er ja schon einen Drachen sehen!

'Ob sie so furchterregend sind, wie in den Geschichten der Alten?' fragt er sich. 'Dem Riesen sollten wir besser nicht den abgeschlagenen Daumen zeigen.'

Irgendwie fürchtet er mehr die Begegnung mit dem Riesen, als die Konfrontation mit einem Drachen.

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Hinein ins Unbekannteachdem alle wieder wohlbehalten bei Rovena und Edric angekommen sind, verabschieden

sich die Echsenmenschen winkend.NNEdric steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als er nacheinander die Gefährten wieder aus den Tie-fen auftauchen sieht. Es wundert ihn nur, dass Ingalf, welchen er fragend ansieht, nicht als Erster kommt.

Ingalf taucht fast am Ufer wieder auf, zieht sich an Land, schüttelt das Wasser aus den Haaren und geht sofort zu Rovena und Edric: "Mann oh Mann, ihr habt hier schön gesessen und Tee getrunken! Ach, da könn-te ich jetzt auch drauf!"

Während sie sich abtrocknen und wieder anziehen, er-zählen die Echsenbesucher von ihrem Erlebnis in gro-ben Zügen.

Dann trocknet er sich ab, zieht seine Kleider wieder an, nimmt seine Waffen auf und setzt sich zu den bei-den ans Feuer. Nachdem er einen Schluck Tee getrun-ken hat, erzählt er speziell für die beiden Zurückge-bliebenen die Erlebnisse im Echsenbau. Entgegen sei-ner - den Gefährten bekannten - Art, erzählt er das Erlebnis mit dem Häuptling und seiner Tochter sehr sachlich und ohne Ausschmückungen. Bedauernd fügt er am Schluss hinzu, dass es ihm nicht gelungen ist für die beiden etwas zu Essen mitzubringen.

Da Ingalf bereits im Echsenbau so empfindlich rea-giert hat, beschließt Elgar, zunächst darauf zu verzich-ten, die "pikanten Details" ihres kleinen Ausflugs zu erzählen.

'Wer weiß, wie viele langweilige Abende am Lagerfeu-er wir noch haben werden. Bei diesen Gelegenheiten kann man immer noch davon erzählen und vielleicht kann Ingalf dann auch selbst darüber lachen.' überlegt er sich.

Schließlich will er es sich mit dem Thorwaler nicht verderben - auch wenn er keine Angst vor einer Kon-frontation mit diesem groben Seefahrer hat, schließ-lich weiß er sich nicht nur mit Magie, sondern auch ohne Waffen sehr gut seiner Haut zu erwehren.

Danach stellt sich die Frage, wohin es weiter geht. Die Helden befinden sich an der einen Stelle, wo das Was-ser direkt an den Wald geht. Nördlich und südlich da-von ist zwischen Bodir und Wald Sumpf.

Nachdem Elgar die Umgebung genau inspiziert hat, fragt er in die Runde: "Wollen wir versuchen, hier den Fluss zu überqueren? Ich wäre dafür, dass wir unse-ren Weg zurück durch den Wald suchen und uns dann an seinem Rand wieder entlang bewegen. Genau so, wie wir es vor der Begegnung mit unseren neuen Freunden gemacht haben. Den Sumpf sollten wir meiden."

"Ich bin auch dafür, auf dem etwas festeren Boden weiterzulaufen. Die Tiere können im Sumpf nicht gut laufen. Und ich auch nicht. Der Fluss kann zwar gute Nahrung hergeben, aber die sollten wir anders zube-reiten, als diese Echsen. Allerdings würde ich probie-ren, am Fluss weiterhin als grobe Richtung weiterzu-gehen. Da wissen wir im Notfall wenigstens, wie wir aus dem Orkland wieder verschwinden können, wenn wir merken, dass diese Expedition nichts für uns We-nige ist."

"Gut, dann lasst uns aufbrechen und zunächst in den Wald zurückkehren und zu versuchen, die Richtung des Flusses beizubehalten, sobald wir auf das Ende des sumpfigen Gebiets stoßen." bestimmt Elgar.

Wenn sich sonst niemand äußert, ergreift er Stab und Rucksack und macht sich reisefertig: "Wer geht voran?" fragt er.

"Komm Edric!" antwortet Ingalf indirekt auf die Frage des Magiers und trottet neben Edric und dem Maul-tier los.

Edric grinst ihn an und beginnt, die Maultiere wieder zu beladen.

Ingalf ist immer noch in Gedanken bei dem Gesche-hen im Echsenbau und daher sehr schweigsam.

'Hoffentlich habe ich den Häuptling nicht zu sehr verärgert. Wenn die Echsen jetzt aggressiv werden …'

Der ElchIm Wald ist das Vorankommen mühsam, aber mög-lich. Nach vier Stunden Richtung Nordosten sind die Helden immer noch mitten im Wald, da ergibt sich auf einer kleinen Lichtung eine günstige Gelegenheit zum Rasten. Die Helden wollen sich gerade niederlas-sen, da erscheint am Rande der Lichtung ein riesiges vierbeiniges Tier mit mächtigem Schaufelgeweih. Ein Elch, das erkennt Edric.

"Ein Elch." flüstert der junge, blonde Mann. "Scheu aber gelegentlich etwas reizbar. Wir sollten uns einen anderen Rastplatz suchen." schlägt er leise vor, und führt sein Maultier mit langsamen Bewegungen am Rande der Lichtung entlang.

'Mit einem wütenden Elch ist nicht zu scherzen. Sie sehen zwar ein wenig ulkig aus, sind aber wehrhafte Gegner.' erinnert er sich.

Hesander sind diese Tiere aus zahlreichen Beschrei-bungen und Skizzen in den unzähligen Büchern, die er studiert hat, bekannt. Bewundernd schaut er auf das Tier und preist in Gedanken Tsa für ihre uner-müdliche Schöpfungskraft.

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Ohne sich zu bewegen, sieht Elgar zu dem Tier hin-über.

'Ein phantastisches Tier!' denkt er. 'So ganz anders als die Tiere im Dschungel. Groß, majestätisch, erhaben. Und wie alle Tiere wird es uns nicht böse gesinnt sein, wenn wir es nicht provozieren.' hofft er im Stillen, denn der Elch ist wirklich groß.

"Pst!" macht er dann. "Seid leise und erschreckt es nicht." flüstert er.

'Die gefährlichsten Tiere sind kleine Tiere.' rezitiert er in Gedanken einen Lehrsatz des Schamanen seines Stammes und denkt dabei an die tödlichen Insekten seiner Heimat. Zur Sicherheit wiederholt er den Satz ein paar Mal in Gedanken.

Auch Melachath verharrt bewegungslos an den Sattel-taschen, aus denen er grade das Zeug für einen or-dentlichen Tee heraus holen wollte. Er versucht, mit den Augen zwei Dinge zu beachten. Den Elch und die Wurfspeere auf dem Sattel. Obwohl sie in Reich-weite liegen, will er das Tier nicht verletzen, denn im-merhin haben sie genug Essen für einige Tage mit. Da muss jetzt noch kein Tier dran glauben. Er überlegt natürlich auch, ob man ein solches Tier auch reiten kann und welchen Eindruck es machen würde, wenn zwanzig Reiter auf solchen Tieren auf einen zugerit-ten kommen. Allerdings verwirft er den Gedanken so-fort wieder.

Ingalf schaut sich den Elch kurz an, 'Hmm, ganz schön groß!', dann aber dreht er sich wieder um und beginnt die Maultiere abzuladen. Schließlich wollen sie nicht jagen und warum sollte ein Hirsch - selbst so ein großer - auch angreifen.

Der Elch scheint nicht besonders gut gelaunt, den er schnaubt und senkt den Kopf. Plötzlich läuft er los - mit vollem Tempo auf die Gruppe zu.

Sofort reißt Melachath einen Wurfspeer vom Esel und versucht, den Elch auflaufen zu lassen, falls dieser auf ihn zukommt. Als Reiter hat er schon des öfteren gese-hen, wie das geht und in seiner Ausbildung ja auch gelernt. Also setzt er das Ende auf den Boden auf und verlagert sein Gewicht, damit er im letzten Moment wegspringen könnte.

'Nur nicht zögern.' hat Murrik immer gesagt. 'Nur nicht zögern' wiederholt er den Satz im Geiste.

Da Elgar den Elch nicht aus den Augen gelassen hat, sieht er die Gefahr zeitig genug. Da er noch immer am Rand der Lichtung steht, fällt es ihm leicht, rück-wärts - den Elch im Blick behaltend - zu den Bäumen zurückzugehen und sich hinter einen der dickeren zu stellen. Fieberhaft überlegt er, was den Elch wohl zum Angriff verleitet haben kann.

"Zwischen die Bäume" ruft Edric, als der Elch heran-stürmt, denn dort kann das Tier mit seinem mächti-gen Geweih nicht gut vorankommen. Er selbst be-

müht sich, das Maultier in den Wald hinein zu trei-ben, damit es nicht verletzt wird. Nicht auszudenken, wenn sie ein Lasttier verlieren würden!

Hesander kriegt große Augen und wird dann dem Rat folgend sich zwischen den Bäumen verstecken.

Ingalf lässt die bereits abgeladenen Sachen liegen und hilf Edric, das Maultier unter die Bäume zu bugsieren. Während Edric an den Zügeln zieht, schiebt Ingalf von hinten. Unter den Bäumen angelangt, blickt er sich nach den anderen um und versucht diesen - so-weit nötig - zu Hilfe zu kommen.

Rovena war gerade beim Sammeln von Holz am Ran-de der Lichtung, als der Elch unerwartet auftaucht, glücklicherweise auf der gegenüber liegenden Seite. Zuerst verharrt sie bewegungslos, beobachtet das mächtige Tier misstrauisch, aber auch bewundernd. Eigentlich wirkte der prachtvolle Elch nicht sehr an-griffslustig, doch als er dann plötzlich losstürmt, ist es für den Versuch einer Besänftigung bereits zu spät. Sofort beherzigt sie Edrics Zuruf und versucht, schnell hinter einem Baum aus der Reichweite des Geweihs zu kommen. Ihr Herz klopft und sie schaut sich nach ihren Begleitern um. Konnten sich alle in Sicherheit bringen? Wieder richtet sie ihren Blick auf den Elch, verfolgt mit zunehmender Unruhe und Besorgnis, wie er näher kommt. Ihren Stab hält sie locker in der Hand, fühlt das glatte, harte Holz und atmet tief durch.

Als Elgar sieht, dass auch Rovena sich sicher hinter einen der Bäume flüchten konnte, wirft er ihr schnell ein aufmunterndes Lächeln zu. Dann wandert sein Blick zurück zu Melachath, der immer noch auf der Lichtung steht und den Elch zu erwarten scheint.

'Ist er verrückt geworden?' schießt es ihm durch den Kopf.

Sogleich brüllt er: "Mann, komm weg da! Der Elch wird dich niedertrampeln! Der Wurfspeer wird diesen Aufprall niemals aushalten!"

Auch wenn Elgar keine Erfahrung im Umgang mit derlei Waffen hat, so kann er doch deren Belastbarkeit anhand seiner Kenntnisse moderner Mathematik ein-schätzen.

'Das wird Melachath sicher nicht gesund überstehen!'

Da Melachath der einzige ist, der sich nicht zurück-zieht, ist er für den Elch das nächstliegende Angriffs-ziel. Und der Elch ist keine Wildsau, die einfach vor-anstürmt. Im letzten Moment macht er einen Schlen-ker zur Seite, am Speer vorbei und erwischt dann Me-lachath mit einer seiner mächtigen Schaufeln.

Nun, da der Elch an ihm entlang getrampelt ist und die anderen wohl in Sicherheit sind, haut Melachath den Speer zwischen die Hinterbeine des Elches und versucht, sich dann auch in den Wald zu retten. Sei-

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nen schmerzenden linken Arm beachtet er erst einmal nicht.

Noch während Melachath praktisch überrannt wird, tritt Elgar selbstbewusst hinter dem Baum hervor und wechselt den Stab in die rechte Hand. Auch wenn er den ersten Angriff damit nicht mehr verhindern kann, so wird der Kampf wohl kaum von dem Aranier allein zu gewinnen sein. Die linke Hand ausstreckend und mit Zeige- und Mittelfinger auf den Elch zeigend, ruft Elgar laut aus: "Blitz dich find', werde blind!"

Für die Umstehenden ist allerdings kein "Zauberef-fekt" wahrnehmbar, keine Funkten, die sich von den Fingern des Magiers lösen, kein prächtiges Farbenspiel zeigt die Wirkung des Zaubers. Dennoch erscheint der Elch plötzlich weniger sicher und offenbar verwirrt, fast orientierungslos.

"Schnell, komm da weg!" ruft Elgar dem Kämpfer zu. "Der Zauber wirkt nur ein paar Herzschläge!" teilt er ihm mit.

Der Elch scheint sich an Elgars Stimme zu orientie-ren, denn nun stürmt er auf ihn zu. Elgar ist es ein leichtes, dem Elch auszuweichen. So bricht der Elch ins ins Unterholz. Es gibt einen kleinen Moment Zeit für alle, sich neu aufzustellen.

Sobald der Elch an ihm vorbei ist, sucht Elgar wieder den Schutz eines großen Baumes.

'Was machen die denn?' fragt sich Edric erschrocken.

"Hört auf das Tier zu reizen und zieht Euch weiter zurück!" gibt er ungewohnt bestimmend, ja fast schon befehlend seine Anweisung. Er selbst schaut sich nach dem zweiten Maultier um. Gegebenenfalls überlässt er es Ingalf, dies Maultier weiterzuführen und kümmert sich um das Zweite.

Ingalf, der mit Edric das Maultier in Sicherheit ge-bracht hat, greift sich seine Orknase und versucht da-mit, den durch das Unterholz behinderten Elch zur Strecke zu bringen. Er versucht, den Elch mit Angrif-fen von der Seite von dem Standort der Gefährten wegzulocken, ihn aber gleichzeitig im Unterholz zu halten, denn was der Elch auf dem freien Feld kann, hat er ja gesehen.

Als Ingalf mit der Orknase losstürmt, will Edric ihn am Arm festhalten. Aber Ingalf ist schneller.

"Lass den Elch. Führ' die Gruppe weiter in den Wald." gibt er ihm Anweisung. "Die Ausrüstung können wir später holen."

Den ersten Hieb kann Ingalf dem Elch völlig unbe-drängt beibringen. Den zweiten versucht der Elch schon wieder zu parieren, was ihm aber nicht gelingt. Es sind zwei gute Treffer Ingalfs in den Körper, die den Elch aber kaum beeindrucken. Er greift weiter an.

"Blöde riesige Seegurke!" schimpft Ingalf, während er immer wieder versucht den Elch weiter in das Unter-

holz zu locken, um seine Bewegungsfreiheit weiter einzuschränken. Er bemüht sich dabei, keine Be-kanntschaft mit den Schaufeln des Elches zu machen.

'Der Elch war wohl etwas zu schnell, um ihm den Speer in die Beine zu hauen.'

Melachath nimmt den Speer erneut in die Hand und versucht, von der Seite kommend, dem Elch den Speer in die Flanke zu bohren und sich danach schnell in den Wald zurückziehen, damit er genügend Zeit hat, den Rabenschnabel heraus zu holen und den Elch aus seiner sichereren Deckung zu verletzen.

'Heute gibt's Elchfleisch.'

Melachath verfehlt den Elch. Und der merkt nicht einmal, dass Melachath ihn angegriffen hat.

"Hört auf!" schreit Edric, der blonde Junge, seine Ge-fährten an, die auf das große Tier einschlagen. "Hört auf!" ruft er noch einmal so laut, dass sich seine Stim-me fast überschlägt. "Das Tier hat Euch nichts getan!" Seine Hände krampfen sich um seinen Stab, er ist hin und her gerissen, ob er in den Kampf eingreifen soll, um die beiden Wahnsinnigen von dem Elch abzuhal-ten …

Und jetzt wird Rovena aktiv.

Rovena schreit, vor Schreck, Angst um ihre Gefährten und Zorn, laut auf. Als der Elch ins Unterholz bricht, nicht weit von ihr entfernt, tritt sie hinter dem Baum-stamm hervor, jedoch bereit, sofort wieder dahinter zu verschwinden.

"Ich lenke das Tier ab," ruft sie Ingalf und Melachath zu, die sie angreifen sieht. Gerade aufgerichtet, mit blitzenden Augen, faucht sie das blindwütige Tier auf-gebracht an: "Lass gefälligst auf der Stelle von uns ab, du großer Trampel, und troll' dich!"

Wild wirbelt der Ebenholzstab in ihrer rechten Hand und mit Schwung wirft sie ihn dem Elch entgegen. Der Stab wirbelt durch die Luft, findet sein Ziel und schlägt wie eine Furie auf das mächtige Tier ein.

Ingalf, der von Rovena Trick völlig verdutzt ist, zieht sich weiter aus der Reichweite zurück, dann ruft er - ohne den Elch aus den Augen zu lassen - Melachath zu: "Komm, lass ihn Du hast doch schon was abge-kriegt! Hören wir auf Edric, der kennt die blöden Vie-cher!"

Dann schaut er sich nach einem Baum um, hinter dem er Schutz finden kann und ruft in Richtung Ed-ric: "Er hat angefangen! Wenn wir aufhören, sieh zu wie wir das Monster los werden!"

Mit wilden, zufrieden funkelnden Augen, den Blick auf den rasenden Stab und den Elch gerichtet, verfolgt sie den Kampf.

Noch während der Stab auf den Elch zufliegt, spürt Elgar ein Prickeln im Nacken. Als er sieht, dass der Stab den Elch nicht einfach nur getroffen hat, sondern

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weiter 'aktiv' bleibt, ist er sich sicher: 'Hm. Interessant, eine combative manifestatio movimentatorischer Art. Ich sollte die werte Dame später darauf ansprechen!' nimmt er sich still vor.

Da nun fast alle in den Kampf eingegriffen haben, glaubt Elgar nicht mehr an eine friedliche Lösung der Situation. Andererseits sind bereits Ingalf und Me-lachath damit beschäftigt, auf den Elch einzuschla-gen. Und auch der Stab Rovenas braucht seinen Platz, so dass er davon absieht, sich auch ins Getümmel zu stürzen.

Statt dessen wendet er sich ab und versucht, Edric mit den Maultieren zu helfen, diese aus der Kampfzone herauszuhalten und in Sicherheit zu bringen.

Der erste Angriff des Stabes schlägt fehl, erst behindert ihn ein tief hängender Ast und der Elch, durch das laute Geräusch aufmerksam geworden, wendet sich herum und entgeht so dem nächsten Schlag. Doch ein erneuter Angriff zeigt Erfolg, die beiden Schläge an den mächtigen Kopf des Tieres treffen es schmerzhaft und lenken es erfolgreich von Ingalf ab. Der Elch ist zuerst zu verwirrt, um die Schläge zu parieren. Auch den nächsten Angriff kann das Tier nicht parieren, wieder schlägt der Stab wild und kräftig zu und trifft diesmal Kopf und Hals.

Als Melachath den tanzenden Stab sieht, wirkt er sehr verlegen. 'Sie ist eine Tochter Madas. Und ich habe es nicht mal gemerkt. Wenn das Madame Aliesha wüss-te.' Da er weiß, wie willkürlich dieser Stab losschlägt, zieht er sich natürlich auch hinter einen Baum zu-rück, wo er alles weitere sehen kann. Er ruft Ingalf zu: "Das Viech ist auf uns losgegangen, nicht wir auf ihn."

"Als ob das jetzt noch einen Unterschied macht." meint Elgar leise zu Edric, während sie die Maultiere ruhig halten.

"Da habt Ihr Recht, Herr." antwortet ihm Edric in sei-ner schüchternen Art, während er seine Aufmerksam-keit wieder den Maultieren widmet.

Als Antwort erhält Edric ein Nicken. Aus einem inne-ren Impuls heraus meint Elgar dann: "Wir sollten uns nachher mal unterhalten."

Edric durchfährt es wie ein Blitz: Warum will sich der Herr Magus mit ihm unterhalten? Und nachher - das klingt so wie eine offizielle Audienz. Ober Edric etwas getan hat, was dem edlen Herren missfällt?

Beim erneuten Angriff des Stabes schafft es der Elch endlich, diesen mit seinen gewaltigen Geweihschau-feln zur Seite zu schlagen, doch der Stab lässt sich nicht beirren und attackiert erneut. Der Treffer landet knapp unter dem rechten Auge des Elches und nun hat dieser genug. Äste, die ihn angreifen, sind nichts für ihn. Er wendet sich von seinen Gegnern ab und flüchtet mit weiten, ausgreifenden Sätzen in den

Wald. Das leiser werdende Geräusch brechender Äste zeigt an, dass sich der Elch eilig entfernt.

Hesander beobachtet Rovena aus der Deckung eines Baumes heraus und ist erstaunt, als der Stab ihrem Befehl gehorcht. Zwar hat er von den Töchtern Madas und derartigen Künsten gelesen, aber gesehen oder gar eine Tochter getroffen hat er noch nie.

Als der Elch flüchtet, streckt Rovena die Hand aus. Der Ebenholzstab kommt bebend zur Ruhe, sinkt zu Boden und liegt nun völlig ruhig da. Die junge Frau eilt zu ihm hin, nimmt ihn schnell auf und streichelt zärtlich über sein Holz. Dann atmet sie tief durch und schaut sich nach ihren Gefährten um. Das wilde Fun-keln in ihren smaragdgrünen Augen lässt langsam nach.

Mit weit aufgerissenen Augen verfolgt Edric das Schauspiel, das sich seinen Augen bietet. War er doch zuerst erfreut gewesen, dass ihn die hübsche Frau in seiner Absicht, den Elch zu schützen unterstützt, so stellt sie nun ein Rätsel für ihn dar. Ihr Stab schlägt unkontrolliert auf den Elch ein - und zwar, ohne dass dieser ihre Hand berührt! Warum will auch sie dem Elch Böses? Reicht es nicht dass die Kämpfer ihn schon bedrängen?

Als er schließlich merkt, dass Rovena den Elch nur vertreiben will, fällt ihm ein Stein vom Herzen. End-lich jemand, der etwas für Tier übrig hat!

Aber was ist mit dem Stab? Hat er sich nur getäuscht? Nein, ganz sicher nicht! Als sie den Stab wie eine Kostbarkeit aufhebt und zärtlich streichelt, ja fast lieb-kost, kann der junge Mann seinen Blick nicht von ihr wenden. Als ihre funkelnden Augen ihn treffen, hält Edric ihrem Blick nicht stand, wendet sich schnell um und eilt zu den Maultieren zurück. Seine Gedanken rasen, doch er kann sie jetzt nicht ordnen.

Dann überlässt Elgar Edric auch das zweite Maultier und fragt: "Meinst Du, wir können jetzt gefahrlos auf der Lichtung unser Lager aufschlagen?" Dabei sieht er ihn direkt an.

Der junge Mann antwortet nicht gleich. Zuerst muss er den Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hat, her-unterschlucken.

"Ja." ist alles was er schließlich herausbringt. Der Elch wird sie sicher nicht mehr belästigen.

Ingalf tritt an Edric heran: "Hast Du das gesehen? Kannst Du das verstehen? Anscheinend kann sie zau-bern, aber sie ist doch kein Magier …"

Edric schüttelt nur wortlos den Kopf. Nein, er versteht das nicht. Doch die alten Geschichten erzählen von Frauen, die … Schade nur, dass er nicht allzuviele Ge-schichten kennt.

Rovena schaut dem jungen Mann hinterher, dann sucht ihr Blick Melachath.

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'Jetzt wissen sie es …' geht ihr durch den Kopf, fahrig streicht sie sich eine ins Gesicht gefallene silber-schwarze Strähne hinters Ohr. 'Hoffentlich war es kein Fehler, dass ich mich dazu habe hinreißen lassen, einzugreifen.'

Sie hat sich wieder einigermaßen beruhigt und spürt nun den Verlust an Kraft, den sie der Kampf gekostet hat.

'Aber wenigstens ist dieses Ungetüm jetzt verschwun-den …'

Langsam geht sie auf den verletzten Aranier zu, stützt sich dabei leicht auf ihren nun wieder unscheinbar wirkenden Stab in der linken Hand. Sanft schaut sie ihn an und streckt vorsichtig ihre Hand vor.

"Du bist verletzt worden. Ist es schlimm? Soll ich da-nach sehen?" fragt sie ihn mit möglichst ruhiger Stim-me und wartet gespannt, auch ein wenig besorgt, auf seine Antwort.

Etwas errötet meint Melachath: "So so, du bist also eine Tochter Madas."

Ingalf, der Rovena etwas skeptisch betrachtet, fragt Edric leise: "Was ist eine Tochter Madas?"

Doch Edric antwortet nicht auf seine Frage. Zu sehr ist er in Gedanken beschäftigt.

'Warum nur haben alle etwas zu verbergen?' fragt er sich, schließlich fing er gerade an sie zu mögen. Wel-che unausgesprochenen Geheimnisse mag es wohl noch in dieser Gruppe geben?

Melachath verbeugt sich tief. "In meiner Heimat ge-ben sich viele Töchter Madas offen zu erkennen, aber mir ist auch bekannt, dass das nicht in allen Teilen Deres gern gesehen wird. Ich bin froh, dass wir eine Tochter bei uns haben."

Nach einem Blick auf die Schulter fährt er fort: "Der Elch hat mich nicht stark getroffen, das tut zwar weh, aber es ist nicht gebrochen. Das wird mit einer guten Nacht Schlaf schon von allein werden. Kannst aber gerne trotzdem mal gucken."

Verlegen begegnet Rovena seiner Verbeugung mit ei-nem kurzen Senken des Kopfes.

"Es muss ein Glück für meine Schwestern sein, in dei-ner Heimat zu leben," antwortet sie ihm leise, wäh-rend sie mit zarten Fingern die Schwellung an seiner linken Schulter untersucht. "Du hast recht, die Verlet-zung sieht nicht gefährlich aus, wenn du den Arm schonst, wird die Schwellung schnell abklingen. Soll-ten die Schmerzen zu stark werden, kann ich dir etwas geben, sie zu mildern."

Einen Moment lang schaut sie ihm in die Augen.

"Deine Worte waren sehr freundlich, ich wäre froh, wenn die anderen auch so denken werden wie du," dankt sie ihm mit einem Lächeln.

"Bei uns gibt es eine Redensart: 'Jemandem reinen Tee einschenken'. Erkläre ihnen, wieso du das konntest und warum du das bisher verborgen hast. Sie werden es verstehen."

Wieder hält Rovena seinen Blick fest, ihre Augen ver-engen sich leicht.

"Ich bin keinem Rechenschaft schuldig dafür, dass ich eine Tochter Satuarias bin," entgegnet sie dem Aranier leise in schärferem Ton, bemüht sich jedoch gleich wieder um einen sanften Klang ihrer Stimme, als sie leise weiter spricht: "Die Hetfrau gab mir den Rat, es euch wissen lassen, bei einer passenden Gelegenheit. Nun ist es geschehen …"

Der erste AbendDann fragt er in die Runde: "Übernachten wir trotz-dem hier oder suchen wir uns einen anderen Platz?"

"Edric, was meinst Du, Du kennst die Viecher? Kommt er heute nochmal wieder?" fragt er seinen Freund. Der heutige Tag scheint ihm einiges seiner Selbstsicherheit gekostet zu haben.

"Nein, wir können hier rasten." bestätigt er noch ein-mal.

"Ich denke, dies ist ein guter Platz", erwidert Hesan-der. "Lasst uns heute Abend zu den Göttern beten und sie um ihren fortgesetzten Beistand bitten."

Mit diesen Worten legt er sein Gepäck beiseite und hilft beim Entpacken der Pferde, falls der Rest sich ebenfalls dazu entschließen sollte hier zu bleiben.

"Na, dann los!" ruft Ingalf den anderen zu. "Wir soll-ten die Zelte jetzt endlich aufbauen, schließlich ist es bald dunkel!"

Edric nickt nur. Dann beginnt er die Maultier an-zupflocken und abzuladen. Anschließend hilft er da-bei, die Zelte aufzubauen. Die ganze Zeit über wirkt er ein irgendwie geistesabwesend und noch zurückge-zogener als bisher.

Auch Elgar begibt sich auf die Lichtung und sucht einen guten Platz für ein Lagerfeuer. Das zunächst von Rovena gesammelte Holz, das bei dem Kampf mit dem Elch achtlos liegen gelassen wurde, hebt er auf und trägt es zu einem kleinen Haufen zusammen. Den zur Fackel verwandelten Stab hält er solange in die Mitte des Haufens, bis ein lustige kleines Feuer brennt. Dann verwandelt er ihn zurück und sieht, ob er noch etwas Feuerholz findet, ohne sich von der Lichtung entfernen zu müssen.

Da Edric nicht auf Ingalfs Frage antwortet und er sich nicht traut Rovena, direkt zu fragen, versucht er beim Aufbauen der Zelte Melachath auszufragen, denn der scheint ja was zu wissen. Den Magier und den Ge-weihten wird er nicht fragen, die Blöße so etwas nicht zu wissen, will er sich nicht geben.

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Und Melachath wird ihm natürlich erzählen, dass das ein Ausdruck für Frauen ist, die hier Hexen genannt werden. Er erzählt lange darüber, welch gute Taten Hexen in seinen Landen schon vollbracht und welche Schönheit sie nach Aranien gebracht haben.

"Eine Hexe!" entfährt es Ingalf halblaut. Dann dreht er sich schnell zu Rovena um, ob sie seinen Ausruf ge-hört hat oder nicht.

"Sag, stimmt es, dass man sie nicht töten kann, solan-ge sie auf dem Boden steht? Deshalb hat sie bestimmt auch den Elch angegriffen, ihr konnte ja nix passieren! Aber warum hat sie das denn nicht eher gesagt? Hat sie ein Geheimnis? Ob ihr Druidenmann hinter ihr her ist? Meinst Du sie verhext uns?"

Ingalf schaut wieder verunsichert in Rovena Richtung.

Hesander hat Ingalfs Angst mitbekommen und tritt an den Thorwaler heran. "Nein, Ingalf, sie wird uns nicht verhexen. Denn wenn sie uns Böses wollte, dann hätte die Hetfrau sie nicht mit auf diese Reise gehen lassen. Oder misstraust Du etwa der Entscheidung der Het-frau?"

"Die Muhme wird es schon wissen", antwortet der Thorwaler, "aber sie ist ja auch nicht hier."

Die Aufregung Ingalfs ist Elgar, der außer dem Lager-feuer und dem Holzsammeln nicht viel tun kann, nicht verborgen geblieben.

'Komisches Volk, diese Thorwaler.' denkt er. 'Obwohl ich nun schon so lange unter ihnen weile und mit ei-nigen gereist bin, überraschen sie mich immer wieder. So viel Aberglauben auf einem Haufen! Tss tss.'

Gedanklich schüttelt er darüber den Kopf.

"Ganz ruhig mit den wilden Pferden. Sie kann zau-bern wie jeder andere Magier auch. Allerdings sind die Zauber der Hexen weniger auf den Tod des anderen ausgelegt, sondern eher sanftmütiger Natur. Du wärst überrascht, welch leidenschaftliche Liebhaberinnen sie sein oder wie gut sie heilen können. Warum sie das nicht eher gesagt hat? Ich weiß nicht. Vielleicht weil sie genau vor einer solchen Entgegnung Angst hatte und vielleicht auch vor der Inquisition? Die Hexen die ich bisher kennen gelernt habe, haben keine Män-ner gehabt. Das hätte wohl auch kaum zu ihnen ge-passt. Ich glaube nicht, dass sie uns verhext! Ich bin mir sogar sicher, dass sie nicht zu den wenigen bösen Hexen des Nordens gehört. Mir scheint, dass in ihr eher die Seele einer sanftmütigen Heilerin zu wohnen scheint. Die Götter hätten uns nicht zusammenge-führt, wenn sie nicht gewollt hätten, dass wir nicht zu-sammen hier sind. Ich vermute mal, dass sie heute Abend am Lagerfeuer etwas erzählt. Vermutlich wird sich dann einiges aufgeklärt haben."

Die Worte Melachaths beruhigen den aufgewühlten Thorwaler wieder, schließlich war Rovena bislang

auch immer nett und will sich sogar ein Hautbild ste-chen lassen.

Als Melachath dem armen Ingalf seine Erklärung zu Hexen im Allgemeinen und Rovena im Besonderen angedeihen lässt, muss Elgar schmunzeln. Allerdings verbirgt er es hinter dem Kragen seines Mantels, den er trägt. Insgeheim nimmt er sich vor, mit Rovena eine Unterhaltung unter vier Augen zu führen, sobald die anderen zur Ruhe gegangen sind. Schließlich erinnert er sich noch sehr gut an ihr langes Gespräch "Bei Mo-rissa" an jenem Abend, der ihm so unendlich lang her scheint.

Er wendet sich daher wieder den noch zu erledigen-den Tätigkeiten zu, die notwendig sind, um das Lager für die Nacht zu bereiten. Aber gespannt auf den Abend am Feuer ist er schon.

Der Wald ist friedlich am Abend und in der Nacht. Am Lagerfeuer ist es richtig heimelig. Allerdings merkt Melachath, nachdem der Kampfesrausch ver-flogen ist, dass die Prellungen doch mehr schmerzen, als er gedacht hat.

Nachdem das Lagerfeuer an ist, bittet Melachath Ro-vena doch mal über die Prellung zu gucken. Er bietet ihr auch an, ein Stückchen abseits zu gehen, wenn sie das will.

Rovena setzt sich auf seine Bitte zu ihm hin, ihren Beutel mit den heilenden Kräuterzubereitungen hat sie griffbereit.

"Lass uns hier am Feuer bleiben, dann kann ich mir deine Verletzung besser ansehen," erwidert sie lä-chelnd und lässt ihn die verletzte Schulter frei ma-chen.

Sorgfältig untersucht sie die Stelle ohne ihm zusätzli-che Schmerzen zu bereiten, dabei streicht sie auch sanft über seinen Arm und Nacken. Die Prellung hat sich mittlerweile blau-rot verfärbt und ist stark ge-schwollen. Nachdenklich zieht sie die Augenbrauen zusammen, dann greift sie in ihren Beutel und holt die Flasche mit dem Einbeerentrank heraus. Sie gibt davon eine kleine Menge, soviel wie einer nußgroßen Beere entsprechen sollte, auf ihren Holzlöffel und lässt ihn den Saft einnehmen.

"Jetzt sollte es nicht lange dauern und die Schwellung und deine Schmerzen werden zurückgehen," erklärt sie ihm. "Bis morgen wirst du dann nicht mehr viel von der Verletzung verspüren."

Während sie sich um ihn kümmert meint er: "Du soll-test etwas über dich erzählen, Tochter der Nacht. In-galf ist ziemlich beunruhigt, weil hier Hexen einen anderen Ruf haben, als in meiner Heimat. Und den anderen würde es sicherlich auch nicht schaden. Ich mache nachher einen Tee mit angenehm beruhigen-der Wirkung. Dabei kannst du es ja erzählen."

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Die junge Frau nickt, das Licht des Mondes schim-mert in den fünf silbernen Strähnen ihres sonst blauschwarzen Haares.

"Wenn du meinst, dass uns der Tee gut tut, warum nicht … doch was soll ich euch noch erzählen?" fragt sie und schaut auch die anderen einen nach dem an-deren an.

Ingalf versucht unsicher, ihrem Blick auszuweichen.

"Ich weiß nicht. Warum du uns begleitest, ob du einen Druidenmann an deiner Seite hast, vielleicht auch noch dass es solche und solche Hexen gibt. Keine Ah-nung."

"Dann setze deinen Tee auf," entgegnet Rovena freundlich, amüsiert über den Druidenmann zieht sie einen Mundwinkel zu einem leichten Grinsen hoch. "Ich kann euch versichern, dass ich nicht mit euch ge-zogen bin, um euch zu schaden, sondern um euch mit meinen Fähigkeiten zur Seite zu stehen. Und ich weiß auch, dass es unter den Töchtern Satuarias solche gibt, die unsere Schwesternschaft in Verruf bringen. Es ist nicht anders als anderswo auch."

Wenn Rovena mit dem Verarzten fertig ist, tritt Hesan-der an sie heran und spricht mit ruhiger Stimme: "Ihr seid eine Frau mit einer kostbaren Gabe, Rovena. Ich habe von Töchtern der Mada nur in Büchern gelesen und bin bisher noch nie einer begegnet. Wohl aber weiß ich um die Vorurteile und Ängste, die Euch ent-gegengebracht werden. Ich fühle mich geehrt, eine Tochter der Tochter Hesindes an meiner Seite zu wis-sen", lächelt er sie milde an.

Etwas zurückhaltend schaut Rovena den Geweihten an. Er scheint ihr ein schwieriger Mann zu sein, doch ist sie auch erleichtert über seine Anerkennung.

"Wir Töchter Satuarias waren die ersten, die die Gabe Madas erhielten, Hesander. Was Eure Bücher über uns schreiben, weiß ich nicht, es sieht aber doch so aus, als ob es nicht nur Verleumdungen sind."

Um ihren Mund spielt ein Lächeln, in dem auch eine Spur Bitterkeit zu finden ist.

Mit gemischten Gefühlen betrachtet Elgar die Gesprä-che der Gefährten mit Rovena, allesamt auf ihre "Ei-genschaft" bezogen. Sicher, in der Akademiezeit hatte er keinen Kontakt zu andersartigen Magieanwendern, den "Intuitivzauberern", wie sie von einem der Lehr-meister bezeichnet wurden. Schon damals hielt er die geringschätzige Haltung seiner Lehrer für falsch. Zwar mussten sie alle hart für den Erfolg arbeiten und die Magie "erlernen". Jedoch war er als ursprünglich für die Nachfolge des Stammesschamanen vorgesehe-ner Kandidat bereits sehr früh mit Magie in ihrer "na-türlichen" Form in Kontakt gekommen. Und im Laufe der Zeit und in der Folge der großzügigen Freiheit der Lehr- und Lernmethoden in Mirham ebbte der "schlechte Einfluss" schließlich ab.

'Hm. Schließlich ist alles Magie.' überlegt er und war-tet auf einen günstigen Moment, Rovena sagen zu können, dass er keinerlei Vorurteile oder gar "böse Ab-sichten" hegt und die Inquisition schließlich hinter mindestens ebenso vielen Magiern der "Linken Hand" her ist, wie Hexen im Ziel der Verfolgung stehen.

Als schließlich auch Hesander sich von Rovena ent-fernt hat, ergreift Elgar seine Chance und geht zu ihr herüber. Die ganze Zeit überlegt er nach einer guten Formulierung. Sobald er ihr gegenübersteht, fällt ihm aber außer einem: "Es macht mir nichts aus" ein. Der Umgang mit der jungen Frau fällt ihm nicht leicht. Vor allem in Anwesenheit der anderen.

Rovena senkt zuerst den Blick, als er ihr gegenüber steht. Er hat ihr so viel von sich erzählt, warum sollte sie ihm, diesem seltsamen Magier, nicht doch vertrau-en? Als sie den Kopf hebt und sich ihre Blicke kreu-zen, blitzen ihre smaragdgrünen Augen kurz auf.

"Warum auch, Isinha?" erwidert sie ihm und die Art, wie sie seinen Kosenamen ausspricht, gibt ihm zu ver-stehen, dass sie dabei an seine Vergangenheit denkt.

Erleichtert lächelt er sie an: "Ja, eben. Ich sehe, Ihr versteht mich. Denn sind wir nicht alle Teil der großen Familie?" fragt er.

Fast klingt es, als erwarte er keine Antwort, denn sein Blick wirkt, als würde er über etwas nachdenken und sie gar nicht ansehen. Gerade so, wie Rovena es einige Male bei ihm schon erlebt hat.

'Oh ja, eine große Familie, … mit ungeliebten Stief-töchtern …' Rovena verkneift sich, diese Bemerkung laut zu äußern. Sie berührt Elgar leicht am Arm, schaut ihn nur stumm an. 'Wo ist er mit seinen Ge-danken?' fragt sie sich, doch vermeidet sie es, ihn bei seinen Überlegungen zu stören. Es gibt noch so viel zu tun, das Lager zu errichten …

…, das Essen zu bereiten, die Wachen einzuteilen, …

"Hm, wie?" schreckt er leicht aus seinen Gedanken hoch, als er die Berührung wahrnimmt. "Entschul-digt." bringt er hervor. "Aber ich denke, dass es an der Zeit ist, die letzten Förmlichkeiten 'zu begraben'. Be-reits jetzt nennt Ihr mich bei meinem nicht offiziellen Namen. In thorwaler Manier wäre es da sicher ange-messen auch die Anrede dem anzupassen. Einverstan-den?" fragt er.

"Es war dein Wunsch, dass ich dich mit deinem richti-gen Namen anrede, erinnerst du dich?" Rovena zwin-kert ihm zu und verfällt sofort in eine vertrauliche An-rede. "Natürlich bin ich einverstanden."

"Ich erinnere mich selbstverständlich daran." meint er. "Aber … Na, du weißt schon." lässt er den Rest offen. Dann nickt er ihr freundlich zu und sagt: "Dann wol-len wir uns mal mit um das Nachtlager kümmern, sonst heißt es nachher, wir würden uns drücken." Mit

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einem schiefen Lächeln für Rovena geht Elgar zu den Maultieren zurück und hilft beim Abladen.

'Aber …?' Rovena schaut ihm nach. Nein, sie weiß nicht, was er meint … aber vielleicht wird sie es noch erfahren.

Da Elgar ihr bereits den Rücken zugekehrt hatte, konnte er ihren fragenden Gesichtsausdruck nicht mehr sehen. So ist er einfach froh, dass er vermeintlich mit sich und Rovena im Reinen ist und ihr "erklärt" hat, weshalb er Namen und Anrede hatte ändern wol-len.

Als alles getan und das Feuer angezündet ist, winkt Elgar Edric zu: "Ich wollte kurz mit Dir sprechen." und wartet, dass der junge Mann herankommt.

Edric schaut kurz auf und bevor er sich erhebt und wie ein Diener an Elgar herantritt.

"Ja?" fragt er leise.

"Hör mal," beginnt Elgar langsam. "Ich weiß, dass Du Dich hier verloren fühlen musst. Ingalf ist Dein Freund, aber wir anderen sind Dir fremd."

Er blickt Edric in die Augen, um zu sehen, ob ihn der Hirte versteht. Dann fährt er fort: "Diese Reise ist für uns alle etwas Neues. Du bist ebenso ein Mitglied un-serer Gruppe, wie wir anderen auch. Du hast Deine eigenen Qualitäten und Fähigkeiten, die Du hier bei-steuern wirst und auch schon beigesteuert hast. Vorhin hast Du mich 'Herr' genannt. Zu jeder anderen Zeit und an jedem anderen Ort wäre das sicher eine kor-rekte Anrede. Aber wir sind hier gemeinsam in der Wildnis. Wir sind aufeinander angewiesen und wir sind … Gefährten. Nenne mich bitte beim Namen, Edric!" fordert er den jungen und unsicheren Mann auf.

"Wirst Du das schaffen?" fragt er freundlich lächelnd.

Edric hört den Ausführungen stumm zu. Schon früh war er alleine auf sich gestellt, und spätestens als er das Hüten der Schafe übernommen hatte, waren diese die meiste Zeit seine Gefährten. Nur selten hat er sich nach Gesellschaft gesehnt, und meistens haben viele Menschen auf einem Fleck ihm Unwohlsein bereitet.

Er schaut sein Gegenüber schweigen an und nickt. "Ja, Herr … Elgar" kommt zögernd über seine Lip-pen. Er nimmt sich vor, sich mehr in die Gruppe ein-zufügen, auch wenn es ihm schwerfällt, ständig neue Überraschungen zu erleben. Mit den Schafen war al-les viel einfacher. Da musste er hauptsächlich aufpas-sen, dass sie nicht zu weit auseinander …

Stumm wartet er, ob Elgar noch etwas hinzufügen will.

Bei Edrics Antwort zieht Elgar zunächst missbilligend die Stirn in Falten, die zusammengezogenen Augen-brauen erahnt Edric mehr, als dass er sie sehen kann. Als schließlich der Name fällt, nickt Elgar ihm auf-

munternd zu: "Siehst Du, ist gar nicht schwer!" und fügt dann hinzu: "Lass' uns beim Aufbau des Lagers helfen." Mit Edric zusammen geht er zu den anderen und tut, was noch zu tun ist.

Rovena atmet tief durch, blickt ihre stumm dasitzen-den Reisegefährten an und überlegt kurz.

"Ich begleite euch, weil auch mir eure Begleitung von Nutzen ist, denn ich wurde nach Thorwal geschickt, einem Gerücht über das Verschwinden einiger Hexen-schwestern nachzugehen. Das Gerücht hat sich be-wahrheitet, es verschwanden Frauen beim Kräuter-sammeln an der Grenze zum Orkland, und nun ver-suche ich herauszubekommen, wer oder was dahinter steckt, um ihnen Hilfe zu bringen, wenn dies noch möglich ist …"

Ihre Augen verengen sich kaum merklich, als sie in Gedanken hinzufügt ' … und wenn Hexenjäger da-hinterstecken, auch Rache zu üben …'

Sie setzt ihre Erzählung fort und lächelt erneut. "Es gibt keinen Mann an meiner Seite, keinen Druiden, der uns heimlich folgen könnte. Ich bin allein und werde zu meiner Mutter zurückkehren, wenn wir die-se Reise durch das Land der Schwarzpelze überstan-den haben."

Sie hält inne, schaut wieder von einem zum anderen. Das Feuer prasselt und knistert, Funken stieben in den nachtschwarzen Himmel und sie wartet, ob noch wei-tere Fragen kommen.

Edric sitzt nahe Ingalf und hört Rovenas Ausführun-gen stumm zu. 'Sie ist also eine Hexe, obwohl sie gar nicht so aussieht.' der junge Mann mustert sie verstoh-len. Die Hexen in den Geschichten sind allesamt alte Frauen mit Hakennasen, Warzen und Kopftuch. Und sie sind immer böse! Zumindest in den Geschichten, die er kennt. Aber er hat in seinem Leben schon so viele Dinge gesehen und erlebt, die er sich niemals er-träumt, oder von denen Geschichten berichtet haben. Er könnte selbst Geschichten schreiben - wenn er denn schreiben könnte!

Er weiß nicht, ob er Rovena - der hübschen Hexe - trauen kann, daher hält er sich einfach nach Ingalf: Wenn der Thorwaler ihr traut, dann tut Edric dies ebenfalls. Fragend sieht er seinen Freund an.

Ingalf hat mit gesenktem Blick zugehört und in die Erde vor seinen Füßen kleine Echsenmenschen ge-malt.

'Echsenmädchen, Elche, Hexen', denkt er sich, 'das al-les an einem Tag, wenn ich das irgendwem erzähle, dann glaubt es mir doch keiner und dabei wäre es mal die Wahrheit.' Ein leichtes Grinsen geht bei diesem Gedanken über sein Gesicht. 'Und sie war ja auch im-mer nett, warum sollten die alten Geschichten über Hexen auch bei ihr stimmen, sie ist viel zu jung und … zu schön. Aber ich hab' ja gleich gedacht, irgend-

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wie sind die Strähne schon komisch … Ach, was soll's, die anderen sehen kein Problem, dann musst du blö-der Seebär nicht auch anfangen, hinter jeder Hexe gleich Hranngar zu sehen!'

Er schaut hoch, und bemerkt den Blick Edrics, also räuspert er sich und sagt zu Rovena: "Wenn Du Hilfe brauchst, meine Axt steht Dir bei!"

Rovena, die mit nachdenklich gesenktem Kopf in das Feuer starrt, hebt den Blick. Sie schaut ihn einen Mo-ment an, dann nickt sie stumm. Sie hat sein Wort, und sie wird es zu schätzen wissen.

Dann fängt er breit an zu Grinsen: "So, jetzt sag, wo ich Dir ein Bild stechen soll!"

Schelmisch huscht ein Lächeln über das Gesicht der jungen Hexe, sie schürzt leicht die Lippen, legt über-legend den Kopf schief. "Ich dachte, hmm, vielleicht fürs erste … von der Fessel seitlich zu Wade hoch?"

Gespannt wartet sie, was er dazu meint.

Ingalf überlegt kurz: "Kein Problem!"

Dann entblößt er seinen rechten Arm: Auf dem Arm ist vom Handgelenk aufwärts bis zur Schulter in farbi-ges Muster zu sehen. Es stellt die typischen thorwal-schen Knoten dar, die aus verschlungenen bunten Li-nien bestehen. In den Knoten sind Walflossen, kleine Drachenschiffe und andere thorwalsche Symbole ein-gemalt. Das ganze ist ein buntes und detailreiches Kunstwerk.

"Das hat mir damals mein Lehrmeister gemacht", sagt Ingalf nicht ganz ohne Stolz, "dachtest Du an so ein Muster oder hast Du andere Vorstellungen von dem Bild?"

"Sehr hübsch!" Bewundernd betrachtet Rovena das Hautbild. "Es passt zu dir, aber ich hatte mir für mich etwas anderes vorgestellt."

Sie zögert kurz, bevor sie weiterspricht.

"Lass mich darüber noch nachdenken, schließlich ist es ja etwas Bleibendes."

Sie streicht leicht über die Ornamente auf seinem Arm, lächelt ihn an und beteiligt sich dann an den Es-sensvorbereitungen.

Ingalf schaut ihr, durch ihre Berührung verlegen grin-send, hinterher. Dann fängt er auch an sich noch ein wenig nützlich zu machen.

Elgar sitzt weiter stumm am Feuer. Schließlich hat er sich mit Rovena bereits ausgesprochen. Versonnen blickt er in die Glut des Feuers und legt hin und wie-der ein Stück Holz nach.

Auch Melachaths Fragen sind beseitigt. Er denkt über seine Heimat nach, wie schön es wäre, jetzt in einem Obsthain zu sitzen und den Duft zu riechen. Als wie-der einmal Funken aus dem Feuer aufsteigen und er aus seinem Traum in die Realität zurückgeholt wird, fragt er: "Wie machen wir das eigentlich mit Wachen?

Ich finde, es sollten immer zwei Leute zusammen wa-chen. Das verringert die Gefahr, dass einer von beiden einschläft. Ich werde jetzt schon mal einen guten Vor-rat an Feuerholz zusammensuchen, damit wir das Nachts nicht mehr machen müssen. Ihr könnt Euch ja schon mal um das Essen kümmern."

Er steht auf und geht mit seinem Rabenschnabel und einem kleinen Beil in den Wald, um ordentlich Holz zu sammeln.

"Warte, ich komme mit." meint Elgar im Aufstehen und lässt seinen Stab Licht verströmen. "Damit wir et-was sehen können." fügt er erklärend hinzu.

Als Melachath mit Elgar im Wald verschwunden ist, wendet er sich an die restlichen Gefährten: "Also Wa-che halten ist hier in der Wildnis schon wichtig und mit Zweiergruppen kommen wir ganz gut zurecht. Um die Kräfte einigermaßen gleichmäßig zu verteilen, sollten Melachath und ich nicht gemeinsam wachen. Aber wie wollen wir die Pärchen bilden und wer möchte wann wachen?"

Dann wartet er auf die Antworten der Gruppe.

"Wenn es geht, würde ich gern zur letzten Wache ein-geteilt werden," lässt sich Rovena vernehmen. "Ich bin recht müde und muss mich erst ausruhen."

Nach ein bisschen Überlegen einigt sich die Gruppe, dass Melachath und Hesander die erste Wache über-nehmen. Dann kann Melachath anschließend durch-schlafen und seine Prellungen auskurieren. Ingalf und Edric, die mit der meisten Erfahrung, übernehmen die Mitternachtswache. Als letzte sind Elgar und Ro-vena dran. Bei der Wache ist dann zwar kein Kämpfer vertreten, aber dafür werden sich die beiden im Zwei-felsfall schon anders ihrer Haut zu wehren wissen.

Als Elgar mit Melachath und einem Arm voller Feuer-holz zu den anderen zurückkehrt und von der Auftei-lung der Wachen erfährt, lächelt er leicht vor sich hin.

'Schön. Das gibt uns die Möglichkeit, ungestört über ein paar Dinge zu reden.' überlegt er.

Gedanken daran, dass man bei einer Wache vielleicht besser still in die Umgebung lauscht und blickt, kom-men ihm gar nicht …

Bevor sich die Gruppe schlafen legt, tritt Hesander in die Mitte und sagt: "Wir wissen alle, dass unser Erfolg und unser Scheitern alleine in den Händen der Götter liegt. Lasset uns also den Göttern huldigen."

Er wird mit den Gefährten, die mit beten möchten, sich hinknien und ein Gebet sprechen, in welchem je-der der Zwölfe vorkommt:

"Oh Herr Praios, segne uns mit Deiner Gerechtigkeit und Deiner Helligkeit, auf dass wir Gerechtigkeit üben und erfahren werden und uns Dein Licht den rechten Weg weisen möge.

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Oh Herrin Rondra, stehe uns in den Kämpfen, die uns bevorstehen werden, bei und mögen wir unsere Klinge Dir stets zur Ehre führen.

Oh Herr Efferd segne uns mit Deiner großen Gabe dem Wasser, auf dass wir keinen Durst erleiden mögen und den durstigen zu trinken geben können.

Oh Herrin Travia, möge uns auf dieser Reise Gast-freundschaft begegnen, wie auch wir Reisenden unse-re Gastfreundschaft zuteil werden lassen.

Oh Herr Boron, mögest Du uns stets einen erholsa-men Schlaf schenken und Deinen Diener Golgari in nicht zu naher Zukunft erst zu uns senden.

Oh Herrin Hesinde, mögest Du uns mit der Weisheit segnen, stets das Richtige zu tun, unsere Magiekundi-gen mit der Gabe Deiner Tochter uns und den Notlei-denden beistehen lassen und uns mit neuem Wissen über diese Lande bedenken.

Oh Herr Firun, mögest Du uns eine sichere Jagd be-scheren, wie auch wir nur das benötigte aus Deinen Hainen erjagen werden und Deine Tochter Ifirn uns vor einem ach zu kalten Winter behüten.

Oh Herrin Tsa, mögen wir stets aufs Neue die Wun-der Deiner Schöpfungskraft erfahren, wenn wir diese Lande bereisen und uns weitgehend der Friedfertig-keit verschreiben.

Oh Herr Phex, mögest Du uns beistehen, auf dass wir auf unserer Reise stets einen gerechten Handel treiben und niemals übervorteilt werden.

Oh Herrin Peraine, mögest Du uns vor Krankheiten und Siechtum bewahren, wie auch wir uns den Kran-ken und Siechenden annehmen werden, die uns be-gegnen.

Oh Herr Ingerimm, mögest Du unsere Waffen schär-fen und mögen wir stets aufs Neue Beispiele Deiner Kunst entdecken und preisen.

Oh Herrin Rahja, lass uns auf unserer Reise Liebe er-fahren und Liebe geben, denn sie ist der Quell der Freude."

Während Hesander seine Litanei herunter rasselt, sucht sich Elgar einen möglichst bequemen Schlaf-platz aus. Dabei nimmt er aber auf die Göttergefällig-keit des betenden Hesander Rücksicht und legt sich erst hin, als dieser fertig ist.

Schon während des einleitenden Gebets von dämmert Rovena ein. Ihr Zauber hat sie viel Kraft gekostet.

'Oh Herr Swafnir, schlage diesen Geweihten mit Stil-le, sonst braucht er irgendwann seine Frau Peraine!' denkt Ingalf als er dem Geweihten zuhört.

Später wird Hesander noch einmal besonders zu "sei-ner" Göttin beten und dann die erste Wache überneh-men.

An Edric gewandt meint er: "Du weckst mich, sobald unsere Wache beginnt, ja?" Dann wickelt er sich in

seine Decke und schläft kurz darauf bereits tief und fest. Eine Hand hat er dabei immer auf dem neben ihm liegenden Stab.

Melachath wird probieren, während seiner Nachtwa-che leise Holz zusammen zu tragen, so dass den ande-ren diese Arbeit erspart bleibt. Wenn auf jeden Fall ge-nug Holz da ist, wird er sich leise mit Hesander unter-halten und vielleicht eine Runde "Rote und Weiße Ka-mele" spielen. Kurz bevor seine Wache aufhört, berei-tet er für Edric und Ingalf noch einen aufweckenden Tee zu.

Er weckt Edric und Ingalf, indem er beide an der Schulter rüttelt. Wenn sie ans Feuer treten, gibt er bei-den einen Tee. "Hier, der macht erstmal wach. Gute weitere Nacht."

"Danke!" murmelt Ingalf noch etwas verschlafen. "Kann's brauchen!"

Dann trinkt er langsam den Idee, wünscht den beiden eine gute Nacht und macht es sich am Feuer bequem.

Während der Zeit der Wache nutzt Ingalf die Gele-genheit und zeichnet erst an der Karte weiter, dann nimmt er ein neues Pergament, das er von Hesander erhalten hatte und versucht die verschiedenen Situa-tionen des Tages zu zeichnen. Er malt ein paar kleine Echsenmenschen, dann versucht er sich an der Toch-ter des Häuptlings - allerdings will ihn die Zeichnung nicht so recht gelingen - und schließlich versucht er noch die Skizze eines Elches.

Auch Edric greift nach dem Tee und nippt vorsichtig daran. Er ist hellwach und hat einen leichten Schlaf, schließlich musste er eine zeitlang alleine die Schafe hüten.

Da Ingalf während der Wache nahe des Feuers sitzt und auf dem Pergament herumkritzelt, will Edric ihn nicht stören. Er entfernt sich einige Schritte von dem Lager und hockt sich mit dem Rücken an einen Baum. Aufmerksam lauscht er in die Dunkelheit, um nicht über die Dinge, die Rovena und Elgar gesagt ha-ben, nachzudenken.

Ab und zu wechselt er leise seinen Platz und hat zum Ende der Wache fast die gesamte Lichtung umrundet.

'Fast wie bei den Schafen.' denkt er. 'Nur dass es dort kein Feuer gab, welches man weithin sieht. Aber im Wald ist das sicher nicht so schlimm und hält die ge-fährlichen Raubtiere ab. Hoffentlich werden wir nicht von einem Trupp Orks entdeckt.'

Für den nächsten Tag nimmt er sich vor, das Feuer während der Nacht nicht so hell brennen zu lassen.

Ein wenig Kraft gewinnt Rovena während ihres Schlafes zurück. Viel zu früh wird sie geweckt.

Als die Zeit kommt, dass die Wache von Ingalf und Edric zu Ende geht, steht der Thorwaler auf, reckt sich und sucht nach Edric, der unter den Bäumen

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sitzt: "Komm, Edric, jetzt ist es Zeit noch ein wenig zu schlafen!"

Dann geht er gähnend zum dem Zelt, in dem Rovena und Elgar schlafen, schüttelt den Magier - vielleicht ein bisschen heftiger als notwendig - und die Hexe - eher etwas zu sanft - wach: "Ihr seid dran!"

Bereits nach der ersten Berührung ist Elgar hellwach und seine linke Hand schnellt zu der von Ingalf und binnen Augenblicken drückt er mit einem schmerz-haften Fingerhebel den Daumen der 'Rüttelhand' des Thorwalers zusammen: "Danke, ich bin wach." kom-mentiert er - nicht unfreundlich - die Situation und lässt Ingalf wieder los.

Ingalf verzieht sein Gesicht kurz vor Schmerz, dann schüttelt er seine Hand und grinst den Magier an: "Ganz schön fix für 'nen Sesselpuper!"

"Ich war nicht immer ein Magier." grinst Elgar zurück. Dann steht er auf, fährt sich mit den Fingern durch die Haare und zieht wieder seinen Mantel über. Da-nach wünscht er Edric und Ingalf eine gute Nacht und setzt sich ans Lagerfeuer.

Ein unwilliges Brummen kommt unter der Decke hervor, in die sich Rovena mit dem Stab im Arm fest eingewickelt hat. Sie dreht sich zu Ingalf um, reibt sich mit einer Hand die Augen.

"Schon …?" Müde erhebt sie sich, schließt den war-men Umhang fest um sich und streckt sich ein wenig. Nein, sehr erholsam war die kurze Ruhe nicht, sie hat einfach zu unruhig geschlafen.

Dann gibt Ingalf Rovena das Pergament, das er bemalt hat: "Nachdem Du noch nichts über Dein Hautbild gesagt hast, vielleicht gefällt Dir hier etwas von."

Die junge Frau betrachtet, noch nicht ganz wach, die Skizzen der Echsenmenschen und des Elches und schüttelt den Kopf.

"Beim Einschlafen hatte ich eine schöne Waldranke vor Augen, wie Efeu oder Spinnendorn, in der sich die Feder eines Nachtvogels verfangen hat. Ich werde es dir heute Abend näher beschreiben. Jetzt schlaf noch ein wenig."

Ein freundliches, noch verschlafenes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie hinaus ans Feuer geht. Sie hält wärmesuchend die Hände darüber. Aufmerksam sieht sie sich in dem ruhigen Lager um, bückt sich und legt noch einen dicken Ast nach. Dann hockt sie sich hin, ihre Hände pressen sich fest auf die kühle, feuchte Erde und sie atmet tief die klare Nachtluft ein. Langsam wachen ihre Sinne auf und sie streckt und dehnt sich in der Wärme des Feuers.

Als Rovena sich ebenfalls ans Feuer gesetzt hat, rückt Elgar etwas näher heran, damit er nicht so laut reden muss und dadurch vielleicht noch jemanden wecken würde.

Nach kurzer Zeit beginnt er: "Irgendwie habe ich es gewusst. Ich kann es nicht erklären, aber bereits seit dem ersten Abend damals in der Taverne spüre ich, dass Dich ein 'Geheimnis' umgibt. Jetzt kenne ich es und es ist nichts dabei." versucht er unsicher, der Hexe zu erklären, dass er selbst keiner der Magier ist, die solchen schlimmen Vorurteile haben, dass es schließ-lich zur Gründung verschiedener 'Orden' führte, die nichts anderes als die Hexenverfolgung zur ihrer urei-gensten Aufgabe bestimmt haben.

Versonnen starrt er eine Zeit ins Feuer und wartet, ob sie darauf etwas erwidert.

"Ich hatte wahrlich Angst, dass du etwas merken wür-dest, Isinha," antwortet sie ihm leise, den Blick noch in die Flammen gerichtet. Seine Nähe, die Wärme sei-nes Körpers in diesen kältesten Stunden der Nacht, empfindet sie als sehr angenehm. Aufmerksam lauscht sie auf die Geräusche der Nacht. Hat da nicht gerade ein Nachtjäger gerufen …?

Dann schaut sie ihn von der Seite an. "Woher sollte ich auch wissen, welcher Gesinnung du bist und ob du mir die Wahrheit über dich erzählst? Wie schnell man für etwas beschuldigt werden kann, dass man nicht getan hat, hast du auf dem Markt bei der Kräuterfrau gesehen. Und ist man erst in den Händen der Wachen … ich habe um Magier und Geweihte aus gutem Grund bisher immer einen Bogen gemacht …"

Sie redet nicht weiter, ihre Augen verengen sich, als sie den Blick von ihm abwendet und in die Dunkelheit des Waldes starrt. Hier in der Wildnis mag nichts da-bei sein, dass ihr Geheimnis nun bekannt ist. Im Mit-telreich wäre es nicht ratsam gewesen, ihre Natur preiszugeben. Sie schaut ihn wieder an.

"Ich vertraue dir," erklingt es nicht lauter als ein Flüs-tern.

Während ihrer Rede wendet Elgar seinen Blick nicht zu ihr. Als der letzte Satz über ihre Lippen kommt, dreht er sich zu ihr um und blickt ihr tief in die Augen und antwortet nicht weniger leise: "So wie ich Dir."

Nähere Erklärungen dieses Bekenntnisses sind seiner Meinung nach nicht erforderlich, so dass er das The-ma wechselt: "Ich habe gesehen, was Du vorhin getan hast. Das ist eine äußerst interessante manifestatio bellorum des objecto gewesen. Sicher ein sehr nützli-cher Zauber. Ich würde gern mehr darüber erfahren."

Rovena zieht sich ein wenig von Elgar zurück, mustert ihn und lacht leise auf. "Vor der Neugier der Magier wurde ich auch gewarnt."

Ihre Augen funkeln im Schein des Feuers, beobachten genau sein Mienenspiel.

"Du meinst bestimmt, wie ich den Elch vertrieben habe, nicht? Ich kann Dir nicht viel dazu sagen, Isin-ha, außer dass ich es geschehen lassen kann, wenn es nötig ist."

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Er lächelt müde, als sie die sprichwörtliche Neugier anspricht. Ja, er ist ziemlich neugierig.

"Wie Du das gemacht hast, habe ich gesehen. Ich meinte eher die Matrices des arkanen Musters. Das 'Geschehen-lassen-können' ist keine hinreichend ge-naue Beschreibung." antwortet er.

Elgars Stimme klingt leicht enttäuscht, aber er fragt nicht weiter nach, da Rovena nicht gewillt scheint, nä-here Angaben zu machen. 'Vielleicht später.' überlegt er.

Die Enttäuschung in Elgars Stimme ist Rovena nicht entgangen und sie legt sanft ihre Hand auf seinen Arm.

"Ich weiß nichts von … wie nennst du es? … arkanen Mustern oder so. Wenn ich mich bedroht fühle oder wütend werde, dann kann ich einen Stecken so etwas tun lassen. Wie sollte ich es dir anders erklären?"

"Ja, vielleicht hast Du Recht und wir können unsere beiden Magieformen nicht so einfach vergleichen." er-widert er.

Das Thema wieder wechselnd fragt er: "Du hast eben meine 'Gesinnung' angesprochen … ist mein Geheim-nis denn auch bei Dir sicher?"

"Du trägst viele Geheimnisse mit dir herum, ich weiß nicht, welches du meinst." Sie lächelt. "Doch ich ver-spreche dir, dass ich niemandem davon erzählen wer-de, was ich über dich weiß. Du hast mein Wort," erwi-dert sie ihm mit festem Blick.

Er nickt und antwortet: "Sicher." Dabei blickt er abwe-send in seine linke Hand und bewegt leicht die Finger. Dann rafft er sich auf und holt Tagebuch und Schreib-zeug hervor: "Ich werde unsere Erlebnisse des letzten

Tages festhalten." Mit diesen Worten macht er sich daran, seine Aufzeichnungen über die Echsen und den Marsch, den Elch und das Lager zu ergänzen.

Als der Morgen graut, kann Rovena sehen, dass Elgar - ohne Robe und Mantel, nur mit seiner Hose beklei-det - eigenartige Bewegungen vollführt: Drehungen auf einem Bein, Sprünge und tief gebeugte Beinhal-tungen, Tritte in die Luft sowie Schwünge und Stöße mit den Händen.

Neugierig und interessiert schaut sie ihm zu. 'Das hat er bestimmt bei seinem Stamm gelernt …' überlegt sie. 'Ob ich das auch lernen kann? Könnte recht nütz-lich sein,' überlegt sie sich.

Nach geraumer Zeit des Übens bemerkt Elgar ihren interessierten Blick und hört auf. Leicht außer Atem wischt er sich schnell den Schweiß ab und nimmt sich kurz Zeit für die Morgentoilette. Obwohl er sich seit Tagen nicht rasiert hat - jedenfalls hat das Rovena nicht bemerkt - wirkt sein Kinn immer noch absolut glatt, nicht so wie bei Ingalf.

Dann wirft er sich wieder Robe und Mantel über und meint: "Ich werde mal die anderen wecken. Setzt Du Tee auf?"

Ohne eine Antwort abzuwarten, weckt er die anderen und hilft dann, das Frühstück zu bereiten.

Rovena nickt zustimmend und beginnt mit den Vorbe-reitungen des Frühstücks für die Gruppe. Später wird noch Zeit sein, Elgar zu fragen, was das für Übungen waren.

Melachath schläft ausgesprochen gut. Seine gute Kon-stitution und Rovenas Behandlung führen dazu, dass die Prellungen gut zu heilen beginnen.

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2. Tag: Hinaus aus dem Waldach einem ordentlichen Frühstück machen sich die sechs wieder Richtung Nordosten auf. Die

ersten drei Stunden verlaufen ohne Zwischenfälle, es ist nur eine Zeitlang Rascheln und seltsame, wohl-klingende Pfiffe zu hören. Als Edric der Sache nach-geht, kann er gerade eben einen Blick auf ein dachs-großes langohriges Pelztier erhaschen, dass sich eiligst im Unterholz verdrückt.

NN

In der fünften Stunde des Weges werden die Helden von vier kleinen Affen begleitet, die ein dunkelgrünes, glattes und dichtes Fell tragen. Sie halten sich immer außerhalb der Reichweite der Helden. Ingalf gibt ih-nen spontan den Namen 'Moosaffen'. Gelegentlich werfen die Affen mit trockenen Ästen, sie sind aber ansonsten harmlos.

Nach fünf Stunden kommt die Gruppe mit ihren Maultieren am Waldrand an, der sich hier von Norden nach Süden erstreckt. Voraus, also Richtung Nordos-ten und Osten liegt Grasland, irgendwo im Hinter-grund wieder Wald.

Richtung Süden und Südosten erheben sich in einiger Entfernung Felsklippen aus dem Wald. Richtung Nor-den ist der Wald anscheinend bald zu Ende. Danach scheint Sumpfgebiet zu kommen.

Edric schaut sich mit kundigem Blick um. 'Wir sollten die Steppe wählen. Durch den Sumpf und über die Berge werden wir es mit den Maultieren und unserer Ausrüstung schwerlich schaffen … doch in der Steppe ist die Gefahr Orks zu begegnen am größten.' Er zieht die Stirn kraus. 'Aber deswegen sind wir wohl auch hier, denn wie können die Gelehrten die Thesis 'verifi-zieren', wenn sie auf keine Orks treffen?'

Auch Hesander schaut sich um und ist von der unbe-kannten Umgebung ganz eingenommen. 'Eigentlich ist es egal, wohin wir ziehen, denn die Götter werden uns führen. Ob Wald, Berge, Steppe, Sumpf', denkt er so bei sich und wartet ab, was die Gefährten tun wol-len.

Ingalf sieht sich um und versucht, sich zu orientieren: "Wenn wir weiter dem Bodir aufwärts folgen wollen, dann müssen wir über die Ebene. Da ist das Laufen ja auch einfacher als durch den Wald.

Andererseits könnten wir natürlich auch von den Klippen einen Blick in die Umgebung wagen und uns dann neu orientieren. Aber dazu müssen wir wohl hochklettern, oder kann jemand fliegen?" Bei der letz-ten Frage wirft Ingalf einen Seitenblick auf Rovena - er hatte während der letzten Frage wieder die Ge-schichten aus der Kindheit von den fliegenden alten Hexen im Sinn.

Mit einem Huster verkneift sich Elgar das Lachen. Aber ernster antwortet er: "Wenn hier jemand fliegen kann, brauchen wir auch nicht bis zu den Klippen laufen, um uns von oben einen Überblick zu verschaf-fen, oder?"

"Das wohl! Das wohl!" murmelt Ingalf sich in den ge-gabelten Bart.

'Fliegen! Endlich wieder …' Rovena horcht auf, ein begehrliches Funkeln zeigt sich in ihren grünen Au-gen, sie drückt den Ebenholzstab zärtlich an sich. Wie herrlich wäre es doch, sich in die Lüfte zu schwingen, das Spiel des Windes an Haut und Haaren zu spüren … Doch sie zieht gleich darauf die Stirn in Falten. Bisher ist sie nur nachts geflogen, im Lichte des Ma-damals, wenn niemand sie sehen konnte und nun soll sie am helllichten Tag …? Sie schaut ihre Gefährten skeptisch an. Wollen sie nur einen weiteren Beweis für ihre Fähigkeiten? Kann sie es sich erlauben, nach die-sem Kampf gegen den prächtigen Elch, der ihr, im Af-fekt gewirkt, mehr Kraft gekostet hat, als sie eigentlich aufwenden wollte? Nach dieser wenig erholsamen Nacht …? Zögernd meldet sie sich zu Wort.

"Wenn es nötig sein sollte … ja, ich könnte mich in die Lüfte schwingen … aber ich habe es bisher noch nie bei Tag gewagt und auch meine Kräfte sind nicht unbegrenzt …"

Edric starrt sie einen Moment lang an. 'Sie kann wirk-lich fliegen?', doch dann scheltet er sich innerlich einen Dummkopf, denn alle Hexen können fliegen. So erzählen es doch die Geschichten!

"Ich glaube, Ingalf hat nur einen unbeabsichtigten Spaß gemacht." lenkt Elgar ein. "Und vor allem sollte man sich nicht ohne Grund auf magische Fähigkeiten verlassen, wo auch Herkömmliches weiterhilft, denn die Kraft ist nicht zur Vergeudung da." zitiert Elgar of-fenbar aus einem Lehrbuch.

"Keine Sorge, du musst nicht fliegen."

'Fliegen? Können das alle Hexen? Bei uns in Aranien reiten die meisten Töchter Madas einfach. Wozu sollte man da denn Dere verlassen?'

"Ich bin dafür, dass wir zu den Klippen gehen und uns dort erst einmal alle zusammen einen Überblick verschaffen."

"Na dann los." fordert Elgar die anderen auf. "Lasst uns sehen, was die Umgebung für uns bereithält. Führe uns, Melachath!"

Edric zuckt mit den Schultern und führt das Maultier hinter dem Kämpfer her. Ihm ist es egal, wohin sich seine Gefährten wenden. Sie werden schon das beste daraus machen. Und die Gelehrten wissen sicher am ehesten, wie das Land erkundet werden kann. Er be-

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müht sich stattdessen darum, dass der 'Schafherde' nichts zustößt.

Während die Gruppe wieder aufbricht, bleibt Ingalf bei Edric und dem Maultier. Er flüstert seinem Freund zu: "Hast Du gehört? Sie kann auch fliegen!"

Edric nickt ehrfürchtig. "Ja. Aber sie sieht doch gar nicht nach einer Hexe aus."

"Das wohl! Das wohl!" antwortet Ingalf. "Aber so ist doch auch besser, oder?" fügt er grinsend hinzu. "Stell' Dir vor, sie wäre auch noch alt und hässlich!"

"Ist sie aber nicht", erwidert Hesander etwas genervt von der Diskussion. "Lasst sie uns doch als das be-trachten, was sie ist - eine wertvolle Gefährtin mit ei-ner besonderen Gabe."

"Wir haben uns gerade unterhalten!" fährt ihn Ingalf an. "Wenn Dir das Thema nicht passt, bitte, die Wiese ist ja groß genug!"

Edric sieht betreten zu Boden, ganz so, als wäre er ge-schlagen worden. 'Warum? Was hat er? Wir haben doch nichts Schlimmes gesagt, oder?' forscht er, ob er irgendwas Unrühmliches über Rovena gesagt hat.

"Komm, Edric, der hohe Herr möchte nicht, dass sich das Volk unterhält!" Ingalf ist immer noch aufgebracht und wird daher ein wenig zynisch. "Lass uns beiseite treten und schweigen!

Heute verbietet er uns sich über Frauen zu unterhal-ten, morgen dürfen wir nicht mehr über Essen und Trinken reden und übermorgen bekommen wir auch einen grünen Kittel!"

'Was mischt der sich eigentlich in unser Gespräch ein?' denkt sich Ingalf. 'Hätte ich eine Diskussion füh-ren wollen, hätte ich nicht geflüstert!'

Hesander beachtet die beiden nicht weiter, kniet sich auf den Boden, holt eine Schlangenstatuette aus sei-nem Rucksack, hält sie fast liebevoll vor sich. Dann steckt er sie wieder weg und versinkt im Gebet.

'Pfaffe!' denkt Ingalf.

Nach einer halben Stunde am Waldrand Richtung Sü-den erreichen die Helden den Fuß der Klippen. Ein erster Überblick zeigt, dass es schon einen geübten Kletterer braucht, um auf eine Höhe oberhalb der Baumwipfel zu kommen, die einen guten Überblick ermöglicht.

Als sie am Fuß der Klippe ankommen, legt Ingalf sei-ne Fellweste, das schwere Schild und die Orknase ab und fragt seine Gefährten: "Hat jemand von euch ein Seil dabei? Dann können wir hoch klettern!"

Rovena schaut prüfend die Klippen hinauf und schüt-telt auf Ingalfs Frage verneinend den Kopf.

"Ich habe auch kein Seil mit. Verdammt."

Edric schüttelt nur stumm den Kopf.

Wortlos holt Elgar die beiden Seile, die er auf die Maultiere verpackt hat, hervor und reicht sie Ingalf. "Hier. Aber wie willst Du sie nutzen, wenn sie nicht oben befestigt sind, nur als 'Absturzsicherung'?" fragt er interessiert nach.

Ingalf schaut dir Klippe hoch, ob er irgend einen Vor-sprung oder Baumstumpf erkennen kann über den er das Seil werfen kann.

Die Klippen sind unbewachsen, reiner Stein. Es gibt auch keinen ausgeprägten Vorsprung, über den man eine Schlinge werfen könnte. Es gibt hier unten aber genügend kleinere Ecken und Kanten, an denen man sich festhalten könnte. Ingalf schätzt, dass er mit et-was Glück über die Baumwipfel kommen sollte. Wenn er allerdings Pech hat, …

Ingalf wickelt sich das Seil um die Hüfte und sucht sich eine geeignete Stelle aus, den Aufstieg zu begin-nen.

Auf Grund der Erfahrungen auf dem Weltenbaum ist Ingalf vorsichtig, als er mit dem Aufstieg beginnt, aber genau diese Erfahrung kommt ihm natürlich auch zu Gute. Er findet mit den Händen und Füßen die Kan-ten, die sein Gewicht tragen und mit ein wenig Mühe und Anstrengung erreicht er nach einiger Zeit eine Stelle an der er über den Bäumen ist und sich auch si-cher hinsetzen kann. Er rollt das Seil ab und wirft es zu seinen Gefährten hinunter - ein Ende hält er selbstverständlich fest.

"Will jemand hochkommen?" ruft er hinunter.

Das Seilende hängt ungefähr 3 Körperlängen über Grund.

Ingalf hat aus seiner Position einen hervorragenden Überblick über das Land.

Der Waldrand verläuft hier wirklich ziemlich exakt Richtung Norden.

Hinter dem großen Wald kommt Sumpf, dahinter glit-zert der Bodir.

Östlich von Bodir und Sumpf ist überwiegend Gras-land, dahinter im Osten Hügelland. Im Grasland ver-streut sind immer wieder einzelne kleine Wälder und auch immer wieder Klippen in der Art, wie sie Ingalf gerade bestiegen hat. Ein richtig großer Wald befindet direkt östlich des Bodirsumpfes etwas weiter weg im Norden. Wenn die Gruppe sich nicht stark nach Nordosten abdrängen lassen will, wird sie, so schätzt Ingalf, nicht daran vorbeikommen, den Wald zu durchqueren.

"Gibt's denn was zu sehen, das die Mühe wert wäre?" fragt Elgar zurück.

"Das wohl! Das wohl!" ruft Ingalf von oben herunter. "Aber entweder Du kommst hoch und siehst es Dir selbst an oder Du wartest bis ich wieder unten bin, dann erzähle ich es euch!"

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Elgar überlegt ernsthaft, ob er sich Mantel und Robe entledigen und dem Thorwaler hinterher klettern soll. Seine letzten aktiven Kletterausflüge im Dschungel sind zwar schon ein paar Jahre her, aber damals hatte er ziemlich viel Erfahrung (für einen 12-Jährigen). 'Na ja, wir werden alle nicht jünger.' seufzt er still und bedeutet Ingalf, dass er jedenfalls nicht hinauf klettern wird.

Mit einem Schulterzucken und einem "Vorsicht! Seil kommt!" wirf er das Seil nach unten und beginnt mit dem Abstieg.

"Ich werde den Aufstieg wagen. Ich will mir ja auch einen Überblick verschaffen. Sobald ich das Seil habe, binde ich mich daran, nur damit du Bescheid weißt, falls es einen starken Ruck nach unten gibt."

Das scheint Ingalf nicht gehört zu haben, denn genau in diesem Moment wirft er das Seil hinunter und be-ginnt mit dem Abstieg.

Als er bei den Gefährten angekommen ist, schildert er ihnen die nähere Umgebung und fügt noch hinzu: "Ich würde vorschlagen, dass wir uns Richtung Nord-osten, parallel zum Bodir, aber weit genug weg vom Sumpf, aufmachen. Wir kommen dann zwar zu ei-nem großen Wald, aber der Fluss ist die beste Naviga-tionsmöglichkeit."

"Ihr Thorwaler fahrt immer zur See, was?" fragt Elgar spöttisch. "Also dann, 'Navigator', navigiere Er uns, wie Er es erzählt hat." fordert Elgar Ingalf mit einer einladenden Handbewegung Richtung Nordosten auf.

Ganz in Gedanken und in dem alten Spiel mit Sephy-ra verhaftet, antwortet Ingalf nur: "Aye, Käpt'n!"

Mit ein wenig Unverständnis sieht er Ingalf an. Dann meint Elgar mit einem Schulterzucken: "Na gut, wenn das so einfach ist, bei euch einen Titel zu be-kommen. Aber da bevorzuge ich doch meinen Na-men." murmelt er schließlich.

"Oh, was?" Ingalf schreckt aus den Gedanken an seine Freunde auf. "Nein, ich meine Dich eigentlich gar nicht. Ich habe an meine Freunde gedacht und da war die Käpt'n …"

'Wo mögen die drei jetzt stecken? Ob es ihnen gut geht?' grübelt er noch ein wenig weiter.

'Ist jetzt Elgar der Anführer?' fragt sich Edric und schaut Ingalf bei dessen Antwort zweifeln an.

Verständnis zeigend nickt Elgar mit dem Kopf und er-widert: "Verstehe."

Bevor die Gruppe aufbricht, wickelt Ingalf das Seil auf und verstaut es wieder auf dem Maultier. 'Wär' ja blöd, wenn wir das hier liegen ließen!' denkt er dabei.

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2. Tag: Im Graslandie Gruppe kommt gut voran. Links kann man immer den Rand des Sumpfes erahnen. Nach

rechts sind immer wieder kleine Wälder in der Steppe zu erkennen. Voraus kommt der Rand des nächsten großen Waldes immer näher.

DD

Nach etwa einer Stunde des Weges ist voraus in einer Entfernung von zwei Tausendschritt eine Herde Tiere zu sehen. Es könnten Pferde sein.

Darüber kreist ein wirklich riesiges geflügeltes Wesen. Sekunden später stößt es herab, die Herde gerät in Pa-nik und rennt los, genau auf die Helden zu. Das We-sen erwischt aber eines der Tiere und trägt es mit sich fort.

Als Ingalf die Staubwolke hinter den fliehenden Tie-ren auf die Gruppe zukommen sieht, schaut er sich erst nach einer Flucht- oder Schutzmöglichkeit um, dann fragt er Edric: "Du kennst Dich doch mit Tieren aus, was können wir tun, um die Viecher gesund zu überleben?"

"Am Besten verstecken wir uns hinter etwas großem wie einem Felsen oder Baum." antwortet Edric und sieht sich um.

In 200 Schritt Entfernung Richtung Osten ist eine Baumgruppe.

"Dort suchen wir Schutz!" bestimmt er und deutet auf die Bäume. Dann spornt er das Maultier an und läuft im Dauerlauf zu der Baumgruppe hinüber.

Ohne zu zögern zeigt Elgar darauf und ruft: "Lauft!" und beginnt selbst unverzüglich, so schnell es geht, auf die Baumgruppe zuzulaufen.

Dabei sieht er sich nach dem 'geflügelten Wesen' um und versucht zu erkennen, ob es sich dabei um den angekündigten 'Drachen' handelt.

Ja, das muss ein Drachen sein!

Leise fluchend rennt er mit dieser Erkenntnis weiter.

'Na wenigstens sind wir im Moment nicht sein Hauptaugenmerk und mit dem Tier wird er eine Wei-le beschäftigt sein!' überlegt Elgar, bis er die Baum-gruppe erreicht hat.

Mit einem "Los Edric, komm!" versucht Ingalf den er-starrten Hirten und das Maultier hinter dem Magier her zu schieben.

Zu den anderen Gefährten ruft er: "Nehmt die Beine in die Hand und folgt Elgar! Wer zuerst am Wald ist, lebt länger!"

Melachath überlegt kurz, ob sie mit den Maultieren dahin kommen.

Melachath überblickt das nicht, aber die anderen lau-fen los.

"Melachath! Lauf doch! Schnell!" Rovena hat sich nach dem Entsetzen über das riesige Flugtier und der herannahenden Herde aus ihrer Starre gelöst, und sich auf Elgars Zuruf dem Wäldchen zugewandt. Me-lachaths Zögern lässt sie anhalten und sie versucht zu helfen, das zweiten Maultier zu einer schnelleren Gangart anzutreiben.

Wie vom Blitz getroffen fängt auch Melachath an zu laufen und treibt das Maultier neben sich her.

Das Maultier ist nicht dumm. Es läuft mit.

Die Maultiere scheinen zu spüren, dass da etwas un-angenehmes auf sie zu kommt, denn sie lassen sich problemlos zu einem Laufschritt bewegen.

Erleichtert atmet Melachath noch während des Lau-fens auf.

Keuchend erreicht die Gruppe das Wäldchen, als die Herde vorbei donnert. Es sind sehr kleine Pferde mit zotteligen Mähne.

"Das müssen Wildpferde sein. Die Ferkinas in den Bergen benutzen manchmal ähnliche Tiere. Mit ih-nen kann man zwar keine großen Manöver durchfüh-ren, aber sie gelten als besonders trittsicher."

Rovena lehnt sich atemlos an eine Baum. Sie schaut den Wildpferden hinterher. "Und schnell sind sie auch …" bemerkt sie darauf.

"Aber wir waren schneller!" erwidert Ingalf noch ein wenig kurzatmig von der Rennerei. "Schließlich sind wir alle ohne Schaden angekommen."

"Aber was war das für eine geflügeltes Wesen, das die Herde angegriffen hat?" fragt sie sich leise, immer noch über dessen Größe entsetzt.

"Ja", fragt auch Ingalf, " was war das? Ist es immern-och da?"

"Ich … würde … sagen …, dass dies … der Drache … war, vor dem uns Azl Azzl … gewarnt hat." stößt Elgar zwischen den einzelnen Atemzügen hervor.

'Hier gibt es wirklich einen Drachen.' Edric ist sicht-bar beeindruckt. 'Und ich habe ihn gesehen. Und er hat ein Pferd gerissen.' Ehrfurchtsvoll blickt er gen Himmel.

'Mögen die Götter uns schützen.'

Ingalf geht zum Waldrand und schaut in den Him-mel.

Das Flugungeheuer ist nicht mehr zu sehen.

Da er das Ungeheuer nicht mehr sieht, kehrt er mit ei-nem "Jetzt isses wohl satt!" zu den Gefährten zurück.

"Kennst Du Dich mit Drachen aus?" fragt Ingalf neu-gierig den Magier. "Ist er satt? Wie lange hält so'n Pferd vor? Können wir in Ruhe weiter oder sind wir die nächsten Opfer?"

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Hesander könnte dem Thorwaler sicherlich einiges zu diesem Thema sagen, jedoch scheint Ingalf ja auf das hesindegefällige Wissen Hesanders verzichten zu wol-len, so dass er schweigend zuhört.

"Ein wenig weiß ich darüber, ja." antwortet Elgar. "Sie sind mit den Lindwürmern verwandt, und wohl auch mit den großen Seeschlangen. Es gibt nach 'Draco specifitatis', dem Standardwerk darüber, mehrere klei-nere Arten, solche, die im Eis leben, solche die Feuer speien können, uralte Magiebegabte, die Westwind-drachen und noch ein paar mehr. Zu den entfernten Verwandten zählen angeblich auch die Tatzelwür-mer." beschließt er seinen kurzen Vortrag. "Ist es nicht so?" fragt Elgar, die weiteren Fragen Ingalfs bewusst an Hesander weitergebend.

"Ganz recht, ganz recht", antwortet Hesander. "Ich halte es jedoch für klug, uns eher in der Nähe des Waldes weiter zu bewegen, solange wir im Jagdrevier des Drachen sind. Selbst wenn er nur ein Maultier greifen wollte, wäre dies gefährlich."

"Exakt formuliert." lobt Elgar den Geweihten. "Schließlich können wir es uns nicht erlauben, Teile unserer wertvollen Ausrüstung zu verlieren. Anderer-seits berichten verschiedene Quellen auch von Dra-chen, die auf Bäumen leben sollen, also 'Baumdra-chen'. Diese dürften aber wesentlich kleiner als dieses fliegende Exemplar dort vorhin sein." ergänzt er die Ausführungen noch.

"Na dann lasst uns am Waldrand weitergehen!" sagt Ingalf und bricht dann auf.

Rovena hält sich an der Seite Elgars. Sie hat seinen und Hesanders Worten nachdenklich zugehört und fragt den Magier nun leise: "Wenn du dir sicher bist, dass es ein Drache war, was für einer, meinst du, könnte denn hier im Orkland leben? Etwa einer, der Feuer speit? Steht darüber etwas in deinen Bücher?"

Darüber denkt Elgar eine ganze Weile nach, ehe er antwortet: "Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber ich glaube nicht, dass es ein feuerspeiendes Ex-emplar war. Die alten Schriften berichten, wenn ich mich richtig erinnere, dass das Feuer auch für die Jagd auf Beute Verwendung finden soll. Dieser Drache hat das Wildpferd aber einfach ergriffen und mit den Klauen getötet. Nein, dieser Drache speit wahrschein-lich kein Feuer." ist die Antwort des Magiers.

Dann geht er schweigend weiter, sein Blick schweift dabei immer wieder über den Himmel.

Auf dem ist nichts besonderes zu sehen.

"Ich hoffe sehr, dass du Recht hast und wir ihm vor al-lem nicht noch einmal begegnen," entgegnet die junge Hexe leise und setzt dann ebenfalls stumm ihren Weg an seiner Seite fort.

Der Wald ist nur klein. Nach 10 Minuten ist die Gruppe an seinem nördlichen Ende angekommen,

aber voraus, so in 1000 Schritt Entfernung, ist schon das nächste Wäldchen zu sehen.

"Tja", sagt Ingalf, "jetzt müssen wir möglichst ungese-hen zum nächsten Wäldchen kommen!"

Während er den Himmel beobachtet, tritt er ins Gras-land.

Kein Flugungeheuer ist zu sehen.

Da er nichts sieht, winkt er den Gefährten ihm zu fol-gen.

Edric tritt dem dem Maultier an der Leine auf das Grasland hinaus. "Ich denke, im Moment droht uns vom Drachen keine Gefahr. Schließlich jagen Raub-tiere nur, wenn sie Hunger leiden."

Auch er wirft sicherheitshalber einen Blick gen Him-mel und macht sich dann in raschem Marschtempo auf zum nächsten Wäldchen.

Während die Gruppe das Grasland überquert, lässt sich der Drache nicht blicken.

Auf diese Art und Weise kommen die Helden bis zum späten Nachmittag immer weiter voran. Schließlich ist nur noch eine letzte Lücke zwischen einem Wäldchen und dem großen Wald zu überbrücken, die ist aber be-stimmt 2000 Schritt groß.

"Wenn wir den Wald erreicht haben, sollten wir unser Lager aufschlagen!" meint Ingalf mit einem Blick auf die Sonne. 'Das Stück ist zwar größer, aber dann ha-ben wir es geschafft!

Nach dem Ausblick müssten wir dann erstmal in Si-cherheit sein, denn die Strecke durch den Wald wird länger dauern.'

"Ja, das sollten wir wohl." meint Elgar mit einem Blick in den Himmel. "Es ist schon ziemlich spät."

"Dann los!" meint Ingalf und betritt die Grasebene.

Zügig überqueren die sechs mit ihren Maultieren die Ebene. Die Strecke ist zu drei Vierteln geschafft, da bemerkt Edric, der sich immer wieder suchend um-schaut, einen dunklen Punkt am Himmel.

Der Punkt kommt näher, es ist eindeutig das Flugun-geheuer, dass vorhin die Wildpferde gejagt hat.

Einen Moment ist er vor Schreck wie gelähmt. "Der Drache kommt", ruft er die Warnung, während er schon losläuft und versucht, mit dem Maultier den schützenden Wald zu erreichen.

"Oh nein!" entfährt es Rovena, als auch sie das heran-nahende Wesen erblickt. Doch ihr Verharren wärt nur kurz, schnell ist sie bei Melachath und dem zweiten Maultier und treibt das Tier erneut zu einer schnelle-ren Gangart an. 'Wir müssen es einfach schaffen …'

"Das ist gar nicht gut!" ruft Elgar aus und verfällt ebenfalls in Laufschritt.

Ingalf versucht abzuschätzen, ob die Gefährten die Strecke schaffen. Er ist sich aber nicht sicher und

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nimmt daher den Schild vom Rücken und schnallt diesen am linken Arm fest. Die Orknase in der Rech-ten wird er die Nachhut der Gruppe bilden.

'Drachen, Drachen.' fieberhaft arbeitet sein Hirn die Möglichkeiten durch, die ihm seine magische Ausbil-dung hier bietet. 'Wenn es ein Großer Alter ist, haben wir hier kaum eine Chance, ihm magisch oder gar mit unseren kleinen und kurzen Waffen beizukommen.' überlegt er beim Laufen. 'Aber einen schnellen "Blitz" werde ich dennoch versuchen müssen!' bereitet er sich innerlich auf den Zauber vor, der der Gruppe ein paar wertvolle Sekunden verschaffen könnte.

Als Hesander mitbekommt, dass Elgar sich konzen-triert, ruft er: "Lauft Elgar, das ist das Einzige, was hilft!" Hesander versucht, den Magier mit sich zu zer-ren.

Mit dem Geweihten am Arm ist es gar nicht einfach, so schnell zu laufen. Daher zerrt er an Hesanders Griff und reißt sich los: "He, was soll denn das?" fragt er ihn im Rennen. "So werden wir es kaum rechtzeitig schaffen!" Dann sieht er sich um, wo sich der Drache befindet und versucht abzuschätzen, wen er sich als 'Ziel' ausgesucht hat.

Das Flugungeheuer steht schon fast über den Helden, als sie im letzten Moment den Waldrand erreichen. Aus der anscheinend sicheren Deckung des Unterhol-zes werfen alle einen Blick auf das Wesen. Unter ei-nem haarlosen, bräunliche Körper, der bestimmt so groß wie 12 Ochsen ist, hängen vier in Klauen enden-de Beine. Getragen wird der Körper von mächtigen, ledrigen Schwingen. Am schrecklichsten ist aber etwas anderes: Das Wesen hat drei lange Hälse mit jeweils einem riesigen Reptilienkopf.

Edric hatte schon fast nicht mehr zu hoffen gewagt, den Schutz des Waldes zu erreichen. Als das mächtige Ungetüm so dicht über ihm schwebt, kann der das Rauschen der Luft, verursacht durch die mächtigen Schwingen, deutlich vernehmen. Der Schreck fährt ihm in die Glieder, als er einen Blick auf das schuppi-ge Untier werfen kann.

"Bei den Zwölfen …" stammelt er, "Es hat drei … Köpfe!" Am liebsten würde er sogleich weiter laufen - nur fort von hier und diesem Untier, das einer kran-ken Phantasie entsprungen zu sein scheint.

Wortlos bedankt sich Elgar mit einem Nicken bei He-sander. Als er wieder zu Atem gekommen ist, meint er: "Ihr hattet Recht, das hätte wohl kaum etwas ausge-richtet, dieses Ungetüm zu blitzen. Es wäre wohl noch wütender geworden. Mir fällt nämlich gerade ein, dass Drachen auch eine äußerst geringe Anfälligkeit gegen magische Angriffe jeder Art haben und Feuer kann ih-nen sowieso kaum etwas anhaben. Danke."

Hesander nickt und meint: "Danken wir den Zwölfen, dass uns das Untier nicht angegriffen hat."

Melachath räuspert sich. Er wirkt nur mäßig außer Atem. "Naja, versucht hat er es aber schon."

Elgar steht, den Rücken an einen Baum gelehnt und die Hände auf die Knie gestützt, da. Er starrt auf den Boden und denkt: 'Versucht hat es das aber.'

Dann beobachtet er gespannt, wohin sich das Flugun-geheuer wendet.

Glücklicherweise scheint das Ungeheuer den Wald zu meiden, denn es dreht ab.

Erschöpft lässt er sich gegen einen Baum sinken und atmet tief durch. Erst jetzt merkt er, dass er während der letzten Minuten die Luft angehalten hat.

"Das war knapp!" schnaubt Ingalf, der langsam wieder zu Atem kommt. "Mit dem ist nicht gut Feuer trinken!" Dann lässt er sich erschöpft auf den Boden fallen.

"Ein dreiköpfiger Lindwurm … Mutter, das kann doch nicht wahr sein …" murmelt Rovena leise, sie kann es nicht fassen. Bebend und nach Atem ringend hockt sie neben Ingalf am Boden, die Finger ihrer Hand in den Boden gekrallt, und starrt durch das Un-terholz dem Untier nach.

"Ein … Lindwurm … Du kennst diese Tiere?" fragt Ingalf die Hexe mit wachsendem Respekt. "Sehr lind sah er nicht aus."

"Nein, wirklich kennen tue ich sie nicht," antwortet Rovena und schaut den Thorwaler mit großen Augen an, "Nur Geschichten über die Lindwürmer, wie Dra-chen auch genannt werden, und die Dreiköpfigen, wie gefährlich und grausam sie sind, dass ihnen sogar Menschen geopfert werden …"

Wieder blickt sie dem fliegenden Ungeheuer nach.

Hesander tritt neben Rovena und wartet, bis Ingalf ausgeredet hat. Dann hockt er sich neben sie und fragt: "Geht es Euch gut?"

"Ein wenig außer Atem bin ich, Hesander, aber sonst geht es, danke." Rovena löst den Blick von dem sich entfernenden Untier und wendet sich dem Geweihten zu. "Habt Ihr die Klauen gesehen und diese riesigen Köpfe? Furchterregend … und wie schnell er fliegt …"

Erschöpft durch den schnellen Lauf zittert sie noch immer leicht.

"Ja, ich habe es gesehen, was für ein Anblick." Hesan-ders Miene verzieht sich. Fast scheint es so, als zwei-felte er an etwas. Dann murmelt er etwas gedanken-verloren: "Und doch ist es ein Geschöpf Tsas …"

"Sumus Geschöpf …" sinniert die junge Hexe leise. '… von ihr geboren wie Satuaria, unsere Mutter …' fügt sie in Gedanken hinzu, dennoch kann sie sich nicht sonderlich für dieses Flugungeheuer erwärmen.

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Dann richtet Elgar sich auf und meint: "Lasst uns weiterziehen. Vielleicht verliert es unsere Spur, wenn wir in diesem Wald bleiben."

"Wir sollten vor allem im Wald rasten. Durch die gan-zen Bäume steigt unser Rausch vom Feuer nicht wie eine Säule auf, sondern verteilt sich in den Blättern und ist von weitem kaum noch zu erkennen."

'Was hat der denn heute Abend noch vor?' denkt sich Ingalf. 'Und vor allem, wo hat es den Schnaps?'

Rovena nickt zustimmend. "Es wird bald dunkel wer-den und auch ich ziehe es vor, hier im Wald zu blei-ben. Wir können ja noch am Rande, in der Deckung

des Waldes, ein Stück unseren Weg fortsetzen, bevor wir ein Lager errichten."

Edric nickt zustimmend.

'Irgendetwas muss hier sein, wenn der Drache ab-dreht. Er könnte sicher mit Leichtigkeit die ersten Dutzend Schritte noch der großen Bäume überwin-den.' überlegt Elgar.

Wenn da draußen der Lindwurm ist", mein Ingalf nachdenklich, "dann sollten wir auf jeden Fall im Wald bleiben!"

Dann beginnt er nach einem Lagerplatz ausschaut zu halten.

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2. Tag: Im Waldn ein paar Stellen sind hier Spinnennetze zwi-schen den Bäumen gespannt - Netze, die so

groß sind, dass sich ein Mensch darin verfangen könn-te.

AAUnd die einzelnen Fäden sind deutlich dicker, als die Spinnenfäden, die Ingalf so kennt.

"Schaut euch das an!" ruft Ingalf den Gefährten zu, als er die Netze sieht. "Wir sind nicht alleine im Wald!"

'Hat vielleicht deshalb der Drache abgedreht? Wenn sich ein Drache fürchtet, was sollten wir dann erst ma-chen? Aber wo sollen wir sonst hin? Wieder zurück zum letzten Wald?' Die Gedanken rasen Ingalf durch den Kopf, aber er kann sich zu keiner Entscheidung hinreißen.

Edric schaut sich die Netze interessiert an, hütet sich aber davor, sie zu berühren. Falls die Netze nicht ver-lassen sind, wird bei einer Berührung sicher unmittel-bar eine Spinne in entsprechender Größe auf Beute-jagd gehen. Und nach dem Drachen hat er heute kei-ne Lust mehr auf große Raubtiere.

Mit großem Interesse betrachtet Elgar die Spinnennet-ze. Leise murmelt er: "Ich habe ja schon Spinnen ge-sehen, bei deren Größe einem das Blut in den Adern gefrieren kann, aber das …!" Lauter fragt er die Ge-fährten: "Könnt und wollt ihr euch vorstellen, wie groß die Spinnen sind, die solche Netze spinnen?! Die müssen so groß wie Marasken sein!" gibt er zu beden-ken.

"Das erinnert mich an die Ameisen …" Ein Schütteln durchläuft Ingalf als er an die Kämpfe gegen die Rie-senameisen denkt.

"Ameisen?" fragt Elgar gedehnt mit einer nach oben gezogenen linken Augenbraue.

"Ja, Ameisen … Riesenameisen fast so groß wie ein Löwe", erwidert Ingalf, "zuerst haben wir sie in der Khom und dann am Fuß des Riesenbaumes gesehen." Dann fügt er noch hinzu: "Wenn Du mir nicht glaubst, dann frag Edric!"

"Das wohl", kommentiert Edric mit einem schüchter-nen Lächeln. Schließlich imitiert er gerade den An-führer.

"Wie auf dem Weltenbaum," sagt er leise. "Alles ist viel größer." Er freut sich, dass Ingalf bei Ihnen ist, der auch dort schon Begegnungen mit übergroßen Ge-schöpfen gemacht hat.

Hesanders Reaktion ist von Staunen und Schrecken eher zwiegespalten, was man an seinem Gesicht able-sen kann. "Wenn diese Spinnen wirklich so groß sind, wie Ihr sagt, dann sollten wir nicht warten, bis sie uns

aus dem Dickicht heraus angreifen sondern einen Bo-gen schlagen und zügig weiterziehen."

"Nur wohin?" fragt Ingalf den Geweihten, der an-scheinend die anderen Netze unter den Bäumen nicht gesehen hat. "Tiefer in diesen Spinnenwald oder zu-rück auf die Drachenwiese?"

Hesander überlegt eine Weile und meint dann: "Wenn ich vor die Wahl gestellt würde, dann würde ich die Wiese nehmen. Der Drache kann nicht überall sein. Und der Waldrand würde uns sicher ausreichend Schutz bieten. Außerdem können wir so die Netze umgehen und Wiese und eventuelle Spinnen aus dem Wald im Blick behalten."

In diesem Moment kommt eine einzelne Spinne in Sicht. Sie ist schwarz, ihr Körper misst ungefähr einen Schritt im Durchmesser, und ihre Beine sind ungefähr einen Schritt lang. Sie hat ein Paar einen Spann lange Beißzangen.

Voller Unbehagen beobachtet der junge Edric die Spinne. Er umfasst seinen Stab fester und zieht sich langsam zum Maultier zurück.

Hesander erinnert sich an einen Aufsatz über 'selbst-erfüllende Prophezeiungen', den er dereinst gelesen und aus dem Bosparano zu übersetzen hatte. Hatte er seinerzeit lediglich den Aufsatz ob seiner komplizier-ten grammatischen Strukturen verwunschen, so er-weitert er dies nun um den Aspekt, dass die dortigen Thesen offenbar spätestens jetzt verifiziert sind. Etwas verunsichert schaut er in Richtung der anderen Ge-fährten.

"Tut, was immer ihr tun wollt!" ruft Elgar aus. "Aber tut es schnell!" Dabei nimmt er seinen Stab in beide Hände, nachdem er den Rucksack zurecht gerückt hat. "Lasst uns sehr schnell zum Waldrand zurück-kehren, damit wir nicht eingekreist werden, sollte die-se da nicht allein sein."

Rovena hat die riesigen Spinnennetze mit Unbehagen betrachtet. Als sie die große schwarze Spinne erblickt, schaut sie sich schnell um. "Das könnte eine Wald-spinne sein, und die sind meist nicht allein …" ruft sie aus. Langsam bewegt sie sich dem Waldrand zu, die schwarze Spinne nicht aus den Augen lassend und auch darauf achtend, nicht mit den Netzen in Berüh-rung zu kommen. "Nehmt euch vor den Beißzangen in acht!" warnt sie ihre Gefährten.

"Nicht allein? Spinnen, die in Gruppen kommen? Oh Phex, was habe ich denn nur getan?"

Melachath zieht schnell seinen Rabenschnabel und zieht sich dann auch langsam zurück. Hoffend, dass ein anderer sein Maultier nimmt. Beunruhigt betrach-tet er die Umgebung, ob noch andere Spinnen erschei-

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nen und dass er sich nicht in einem Netz verfängt. Langsam tastet seine Hand nach seinem Waqqif. Für den Fall, dass er sich verfängt scheint der Rabenschna-bel nicht so praktisch zu sein.

Ingalf, der seit der Flucht vor dem Drachen den Schild am Arm hat, stellt sich vor die Gefährten und ruft den anderen zu: "Zieht euch zurück an den Waldrand! Ich versuche, die Spinne solange aufzuhalten!"

Er schwingt seine Orknase drohend und versucht so die Aufmerksamkeit von den Gefährten wegzulenken.

Damit ist Ingalf erfolgreich. Die Spinne zieht sich ei-lig zurück, als sie Ingalf gewahr wird.

Als die Spinne vor dem Thorwaler flieht, dreht er sich zu den Gefährten um: "Die scheint Angst zu haben! Vielleicht können wir es doch wagen, im Wald weiter zu gehen?!"

Es taucht keine weitere Spinne auf. Melachath denkt nach: Leben eigentlich die Spinnen, die er kennt in Gruppen?

'Also nee, die Ameisen waren da aus anderem Holz geschnitzt!' fügt er in Gedanken hinzu.

Sich kurz besinnend entspannt sich Elgar. Dann ant-wortet er: "Nein. Ich würde den Rand des Waldes be-vorzugen. Diese Netze können nicht alle von einer Spinne stammen. Und wenn sie sich wie Wölfe oder andere Rudeltiere verhalten sollten, stehen wir dumm da." überlegt er laut. Fragend sieht er sich um.

Ingalf zuckt mit den Schulter, dann meint er aber noch: "Dann sollten wir hier am Rand lagern und morgen weiter in den Wald!"

"Na gut. Dann rasten wir eben hier. Ich habe da ein schlechtes Gefühl bei der Sache, aber die Götter wer-den schon ihre Hände schützend über uns halten." In Gedanke fügt Melachath hinzu: 'Hilf dir selbst, dann hilft dir Phex.'

"Dann sollten wir aber heute Nacht besonders wach-sam sein." rät Elgar und sieht sich nach einem geeig-neten Rastplatz um, der ausreichend Freifläche bietet, um etwaige Spinnen rechtzeitig auszumachen, aber auch gedeckt genug ist, damit der Drache nicht lan-den kann.

'Meine alten Dschungel-Instinkte kehren hoffentlich schnell genug zurück!' schießt es ihm durch den Kopf. 'Zwar sind diese Nordwälder etwas anderes als die heißen und feuchten Wälder des Südens, aber Wald bleibt schließlich Wald.'

"Solange wir nicht wehrlos in ihren Netzen hängen, werden sie uns nicht angreifen, hoffe ich doch." Rove-na hält an Elgars Seite ebenfalls nach einem Rastplatz Ausschau. "Waldspinnen sind nicht giftig, soweit ich weiß, aber sie töten ihre Beute mit ihren starken Zan-gen. Wenn wir uns vor ihren Netzen in Acht nehmen, sollten sie uns nicht gefährlich werden …", erzählt sie

ihm und fügt nachdenklich hinzu. "Nicht so sehr wie der Lindwurm …"

Edric hört den Ausführungen zu, entgegnet aber nichts. 'Feuer wird sie sicher abschrecken.' überlegt er. 'Aber ein Feuer wird uns verraten. Sowohl gegenüber den Orks als auch gegenüber dem Drachen und weite-ren Gefahren.'

Etwas östlich findet Elgar eine Schneise, die nach Norden in den Wald hineinführt. Oder ist es ein alter Weg? In jedem Fall kann man hier etwas leichter vor-ankommen, zur Not auch ein Lager aufschlagen.

"Seht, da drüben." weist Elgar den anderen seine Ent-deckung. "Dort sollten wir es versuchen."

"Ja, warum nicht!" meint Ingalf. "Es sind keine Netze zu sehen!"

Bis zur Dämmerung wird es wohl noch eine Stunde sein.

"Wir können kein großes Feuer machen." gibt er nur kurz bekannt.

"Wieso nicht?" fragt Elgar. "Genug trockenes Holz gibt es." begründet er.

"Der Feuerschein wird uns verraten." entgegnet der blonde Junge in seiner typischen, kurz angebundenen Art.

"Aha." macht Elgar. "Du meinst also nicht, dass so-wohl der Drache als auch die Spinnen nicht auch ohne Feuer wissen, dass wir hier sind? Tiere werden doch von Feuer abgeschreckt. Alles, was davon ange-zogen werden könnte, wird bei Nacht wohl kaum durch einen von Riesenspinnen verseuchten Wald streifen."

Rovena schaut Edric verwundert an. Weiß er etwas über weitere Bewohner dieses Waldes? "Elgar hat recht, die wilden Tiere scheuen das Feuer doch eher … an wen sollte es uns denn noch verraten können? Hast du irgendwelche Spuren gesehen?" würde sie gern von ihm wissen.

"Ich dachte nicht an die Tiere." erklärt Edric. "Wir sollten eher an die Orks denken. Und an den Riesen. Ihr wisst selber am besten, was man sich so erzählt …" er bricht ab und blickt zu Boden.

'Und eine Begegnung mit Orks wird sicher nicht so freundlich sein, wie mit den Echsenmenschen.' fügt er in Gedanken hinzu. 'Dazu sind allein die Vorurteile zu groß.'

Er blickt zu den beiden Kämpfern hinüber: 'Sie wer-den sicher einen Konflikt heraufbeschwören, wenn sie ihre Waffen nicht ruhig halten können …'

"Ich habe in meiner Einheit etwas Nützliches gelernt. Wenn man erst eine Grube aushebt und das Feuer da drin anmacht, hat man gleich mehrere Vorteile: ein-mal brennt der Wald nicht so schnell ab oder auch eine Steppe, wie die, auf der wir mit unserer Einheit

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gerastet haben. Und vor allem kann man das Feuer nicht all zu weit sehen. Außerdem kann man ein sol-ches Feuer am nächsten Tag besser wieder verstecken und es brennt kaum aus. Wir sollten ein solches Gru-benfeuer machen." meint Melachath.

"Ein guter Vorschlag." nickt Elgar zustimmend. "Wol-len wir dem Weg dort noch etwas folgen oder lieber gleich hier rasten? Tageslicht haben wir nicht mehr lange." gibt er zu bedenken.

"Ich wäre dafür hier zu rasten. Eine Grube ausheben dauert einen Moment und wir wollen Holz ja auch nicht erst im Dunkeln suchen."

Edric nickt nur. Er hat schließlich nie gesagt, dass es kein Feuer geben sollte.

"Dann lasst uns bleiben!" meint Ingalf kurz. Dann dreht er sich zu Edric und dem Maultier um und hilft ihm beim Abladen und anschließend beim Aufbauen der Zelte.

Melachath hilft erst einmal die beiden Esel abzuladen und fängt dann an, eine Grube zu graben. Sie soll einen halben Schritt tief werden und in etwa auch die-sen Durchmesser haben. Danach wird er mit dem ers-ten Holz ein kleines Feuerchen entzünden.

"Und niemand sollte allein unterwegs sein." ergänzt Elgar. "Wer kommt mit, Holz für das Feuer zu su-chen?" fragt er.

"Ich," antwortet Rovena schnell. Sie wollte sich sowie-so ein wenig in der näheren Umgebung umsehen.

"Hm, gut. Dann lass uns gehen." fordert er sie auf und fängt an, zunächst die nähere Umgebung des Rast-platzes nach trockenem Holz abzusuchen. Den Ruck-sack lässt er bei den Sachen, die die Gefährten von den Maultieren abladen.

Behutsam legt Rovena ihren Tuchbeutel ab und folgt Elgar. Sie bleibt immer in seiner Sichtweite und sieht sich beim Holzauflesen nach bekannten und unbe-kannten Pflanzen um. Auch achtet sie, soweit es das abnehmende Tageslicht zulässt, auf Spuren am Boden und im Unterholz.

Der folgende Abend und die Nacht verläuft ruhig.

Auch diesen Abend versucht Ingalf wieder den zu-rückgelegten Weg und die Umgebung auf seiner Karte einzuzeichnen. Am Rand der Karte skizziert er ein Bild des Lindwurms.

Dann setzt er sich zu Rovena und malt ein paar Pflan-zen, um mit ihr das Hautbild abzustimmen.

Rovena rückt an ihn heran und schaut neugierig zu, wie die Bilder auf dem Papier entstehen. Bei einer be-sonders schönen Ranke mit lanzettförmigen Blättern, die an Federn erinnern, nickt sie. "Ja, so etwa ist meine Vorstellung von dem Bild. Noch etwas verschlungener vielleicht, wie die Ornamente auf deinem Arm, das ge-fällt mir." Freudig strahlt sie ihn an.

Ingalf lächelt zurück und versucht noch einmal, das Muster nach ihren Wünschen zu ändern. Die Zeich-nung geht ihm auch recht gut von der Hand, so dass er nach einiger Zeit der Hexe eine Skizze aus ver-schlungenen Blättern präsentieren kann.

"Wenn Dir das gefällt, dann können wir bei einer et-was längeren Rast mit dem Bildstechen anfangen", meint er dann, "ich würde nämlich gerne die ersten und entscheidenden Punkte bei Tageslicht setzen und nicht bei einem flackernden Lagerfeuer! Außerdem kann es sein, dass Du danach etwas Ruhe brauchst, wenn Du noch nie ein Hautbild bekommen hast." fügt er lächelnd hinzu.

"Einverstanden, es soll ja auch schön werden," ant-wortet Rovena schmunzelnd. 'Ob ich die Ruhe danach brauche … mal sehen,' denkt sie bei sich. Dann wünscht sie eine Gute Nacht und sucht sich einen Schlafplatz.

Melachath wird wohl wieder mit Hesander zusam-men die erste Wache machen. Wieder wird er mit He-sander leise 'Rote und Weiße Kamele' spielen und zwi-schendurch umher gehen.

Während der Wache, die Ingalf wieder wie in der letz-ten Nacht mit Edric zusammen hält, unterhält er sich mit seinem Freund über die Dinge des vergangenen Tages und über seien Meinung zur weiteren Richtung. Ingalf vertritt dabei die Meinung, dass die Spinnen das kleinere Übel sind und der Weg durch den Wald seiner Meinung die bessere Möglichkeit sei.

Elgar übernimmt wieder die letzte Wache.

Wie auch die Nacht davor wacht Rovena zusammen mit dem Magier.

Es gibt keine unliebsamen Überraschungen.

Am Morgen kann man Elgar erneut bei der Abhaltung seiner "Morgengymnastik" beobachten. Was man nicht beobachten kann, ist die Benutzung eines Rasiermes-sers. Gleichwohl sprießt noch immer kein einziges Haar an seinem Kinn.

Sie beobachtet in der Morgendämmerung wieder mit großem Interesse seine Übungen. Als er fertig ist, nä-hert sie sich ihm neugierig und fragt: "Was machst du da eigentlich? Es sieht aus, als ob du mit einem un-sichtbaren Gegner kämpfst."

Während des Anziehens von Hemd und Robe erklärt Elgar der neugierigen jungen Frau: "Ja und nein. Die-se Übungen sind nichts weiter als ein kleiner Teil von Kampftechniken, wie sie meinem Stamm bekannt sind. Sehr viel konnte ich bis zu meiner - äh - Aufnah-me an der Akademie nicht lernen, nur die grundle-genden Bewegungen. Dieser Stil heißt <Hruruzat>. Es verliert in der Übersetzung, aber es bedeutet so viel wie 'Nackter Tod'. Diese morgendlichen Übungen sind für mich zu einer Art Ritual geworden, das mir hilft, meine Herkunft und meine Familie immer prä-

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sent zu halten. Wenn man die Sprünge weglässt und die Bewegungen ganz bewusst und damit sehr lang-sam ausführt, eignet es sich auch als Bewegungsmedi-tation." beendet er seinen Vortrag.

'Er vermisst sie,' denkt die junge Frau, während sie ihm neugierig zuhört. 'Nackter Tod, nette Bezeich-nung.' Ein Mundwinkel zuckt leicht. "Mir gefallen die Bewegungen … ich würde es auch gern lernen …" 'Ob er es mir beibringen mag?' Gespannt erwartet sie seine Antwort.

Erstaunt sieht Elgar sie an: "So, lernen würdest Du es gern?" fragt er. "Es ist sehr viel schwieriger, als es aus-sieht." warnt er sie. "Allein für den reinen Bewegungs-ablauf der Grundmuster wirst Du bei täglichem Üben mindestens ein paar Monate brauchen, bis Du es wirklich anwenden kannst, werden bestimmt mehrere Jahre vergehen. Intensives tägliches Üben vorausge-setzt." fügt er hinzu. "Aber wenn wir uns auf einfache Dinge beschränken, ja, dann kannst Du auf unserer Reise bestimmt etwas aufschnappen." macht er ihr Mut.

Rovena nickt, so leicht lässt sie sich nicht entmutigen. "Ja, und auch wenn es schwer ist, kann ich es doch versuchen, oder? Wenn ich jeden Morgen mit dir nach der Wache übe, anstatt nur zuzusehen … es sieht fast aus wie ein langsamer Tanz. Lass mich gleich morgen anfangen, ja?" drängt sie ihn und freut sich schon auf die körperlichen Übungen.

"Gut." ist seine knappe Antwort. 'Mal sehen, wie lange sie das durchhält.'

"Aber nun genug davon, lass' uns die anderen wecken und frühstücken. Ich bin hungrig!" lächelt er Rovena an.

"Natürlich …", entgegnet die Hexe leise und erwidert sein Lächeln. "Ich schüre das Feuer und setze gleich Wasser auf." Sie steht auf, ordnet ihre Kleider, fährt sich mit den Fingern durch die Haare und wäscht sich mit eine wenig Wasser das Gesicht, bevor sie mit den Frühstücksvorbereitungen beginnt. Das Wecken der Gefährten überlässt sie ihm.

Kurz sieht er ihr nachdenklich hinterher, erhebt sich dann und weckt die anderen.

'Wenn die Schneise wirklich ein alter Pfad sein sollte, wird sie uns sicher zu einem Ort bringen. Vielleicht einer Siedlung oder einem verlassenen Dorf.' überlegt Edric. Er schätzt, dass es besser sein mag, direkt den Kontakt zu den Orks zu suchen, anstatt sich noch län-ger zu verstecken. Das erweckt immer den Eindruck, man habe etwas unehrliches im Sinn.

Nach dem Frühstück blickt Elgar in die Runde: "Wei-ter auf diesem Weg oder am Waldrand entlang?" spricht er die Frage, die in den Gesichtern der anderen zu sehen ist, aus.

"Ich würde lieber am Waldrand entlang gehen. Ich denke, dass wir am Waldrand immer noch gut flüch-ten können, falls der Drache wieder auftaucht und au-ßerdem glaube ich, dass es leichter zu Kartographie-ren ist, wenn man viel sieht, was man in einem Wald nicht kann." Das ihm dieser Wald unangenehm ist, merkt man Melachath ganz leicht beim Sprechen an. Er mag die weiten Ebenen lieber, auf denen man Rei-ten kann.

Nickend antwortet Elgar: "Das wäre mir auch recht lieb. Schließlich wollen wir was von der Gegend se-hen, durch die wir wandern. Ein 'Waldspaziergang' ist zwar auch nett, aber solange wir keine grobe Karte der Umgebung haben, macht es wenig Sinn, Einzelheiten - wie dieses Waldstück - näher zu betrachten."

Auch Edric vertritt die Meinung, der Schneise zu fol-gen. Denn auch ein alter Weg hat ein Ziel.

Rovena hört aufmerksam zu und meint dann nach-denklich: "Ein bisschen neugierig bin ich schon, wo-hin diese Schneise führen mag … doch es wird wohl besser sein, wir sehen uns dieses Waldgebiet erst ein-mal von außen an."

"Das wird wohl nicht besser sein!" meint Ingalf, der sich noch einmal den Ausblick vom Felsen vor Augen führt. "Der Weg östlich um den Wald herum führt uns direkt in die Bodirsümpfe und westlich kommen wir viel zu weit vom Bodir weg, den wir ja als Richtungs-geber haben wollten." Er zeigt es den Gefährten auf der Karte, die er am Abend gemalt hatte. "Der beste Weg in der Richtung zu bleiben ist der durch den Wald!"

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S: Sumpf w: Wald .: Grasland K: Klippen *: Anlegestelle1: Echsenmenschen-Jäger 2: Echsenmenschen 3: Stadt der Echsenmenschen4: Lichtung mit Elch - 1. Nacht 5: Pfeifhasen 6: Moosäffchen7: Drachenangriff / Wildpferde 8: Drachenangriff 9: Spinnenwald - 2.Nacht

Eine Weile betrachtet Elgar stirnrunzelnd die von In-galf gezeichnete Karte. Dann meint er langsam: "Hm. Ich sehe, was Du uns sagen willst. So betrachtet ist der Weg diese Schneise entlang wohl die bessere Wahl."

"Das wohl!" ist Ingalfs kurze Antwort.

"Na dann gehen wir wohl die Schneise entlang." spricht Melachath und fängt an, da er mit dem Essen fertig ist, die Esel wieder zu beladen.

Man merkt es Melachath an, dass er nicht gerne früh-stückt. Ein kleines Stückchen Brot und etwas Tee scheinen ihm morgens zu reichen. Das Abendmahl sieht hingegen anders aus. Da isst er dann deutlich mehr.

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3. Tag: Im Waldie Schneise ins Waldinnere erweist sich für alle als leicht begehbar. Nach kurzer Zeit bleibt das

Gebiet der Spinnweben zurück.DDDafür wird eine Horde Moosaffen auf die Gruppe aufmerksam und begleitet sie ein kleines Stück.

Die Gruppe ist noch keine Viertelstunde unterwegs, da kommt sie an eine Kreuzung. Es geht weiter Rich-tung Norden, aber nach Osten und Westen könnte man auch.

Hesander schaut in alle drei Richtungen, dann über-legt er kurz. Norden oder Osten wären für ihn die sinnvollen Alternativen, weil man ja das Orkland nicht sofort wieder gen Westen verlassen will. Noch hält er sich jedoch mit seiner Meinung zurück und lässt die anderen zunächst zu Wort kommen.

"Hmm", grübelt Ingalf, "der Bodir kommt aus Nord-osten. Wenn wir also nach Westen gehen, kommen wir zurück zum Bodir. Nach Norden nach einiger Zeit auch, nach Osten kommen wir aber zu weit vom Fluss weg. Norden wäre wohl das Beste, oder?"

Edric nickt nur stumm. Er ist mit der Entscheidung Ingalfs einverstanden.

"Norden also." stellt Elgar fest. "Gut, dann weiter."

Die Gruppe zieht weiter. Nach wieder einer Viertel-stunde biegt die Schneise, der die Helden folgen, nach Nordosten ab. Außerdem öffnet sich eine Schneise Richtung Osten.

An der Gabelung liegt ein kleines Blockhaus.

Ingalf geht um das Haus herum und schaut es sich ein wenig genauer an. 'Wer mag hier wohl wohnen? Oder stehst du leer? Viel zu sehen gibt es ja nicht.' denkt er sich dabei.

Auch Edric schaut sich die Hütte genauer an. Da Orks keine Häuser bauen und Holzhütten üblicher-weise mittelreichisch sind, müssen hier wohl Men-schen leben. Er blickt sich an der Gabelung genauer um. Vielleicht lässt sich etwas erkennen, das mehr über den oder die Bewohner verrät. Ein Gemüsegar-ten oder urbar gemachtes Land vielleicht.

"Äh, ich glaube wir haben die Holzfäller gefunden, die hier ihr Holz her kriegen. Im Orkland … Nicht schlecht. Die werden sicherlich auch schon des öfteren Orks getroffen haben. Lasst uns doch mal fragen, wie es ihnen bisher hier ergangen ist." Melachath nimmt seinen Rabenschnabel in die Hand und versucht zu lauschen, ob er irgendwo Geräusche von Holzfällern hört. Dabei guckt er in die beiden Schneisen auch noch mal rein, ob er irgendwo jemanden sieht.

In den Schneisen, die wie schon am Anfang gerade so breit sind, dass man zwischen den Ästen zweier be-

nachbarter Bäume gerade noch bequem durchkommt, ist nichts besonderes zu sehen. Melachath fällt auf, dass die Moosaffen nicht mehr zu sehen und zu hören sind.

Von Holzfällern ist nichts zu hören. Gefällte Bäume und Baumstümpfe sind auch nicht zu sehen. Nur ab und zu ein umgestürzter Baum.

"Holzfäller? Meinst du wirklich? Hier? Ich hätte eher angenommen, sie würden, wenn, dann näher am Strom leben, der die gefällten Bäume zur Flussmün-dung trägt, doch von hier führt kein Pfad nach Wes-ten, zum Bodir," bemerkt Rovena zweifelnd.

Diese Aussage hält Edric nicht für wahrscheinlich, schweigt jedoch. Stattdessen lässt er das Maultier ein wenig grasen.

Sie schaut aus sicherem Abstand zu, wie Ingalf und Melachath die Hütte untersuchen.

"Ich hätte das einfach mal aufgrund der Schneisen vermutet." antwortet ihr Melachath.

"Das werden wir gleich wissen." meint Elgar, tritt vor und klopft mehrfach mit dem Kopfende seines Stabes gegen die Tür. "Öffnet im Namen von Travia Eure Tür, gute Leute." fordert er die Bewohner der Hütte freundlich auf.

Niemand reagiert.

"Ist wohl keiner " 'mehr' " zu Hause!" sagt Ingalf mit breitem Grinsen, als er das Haus umrundet hat. "Wol-len wir weiter oder glaubt jemand, dass das Haus noch Geheimnisse birgt?"

Edric hat mittlerweile auf die Umgebung inspiziert. Falls hier mal ein Garten war, ist davon nichts übrig geblieben.

Bei näherer Untersuchung entpuppt sich die Hütte als baufällig und offensichtlich schon lange verlassen. Die Tür ist morsch und fällt aus den Angeln, als Me-lachath versucht, sie zu öffnen. Das Innere ist leer. Der Boden ist zum größten Teil von Pilzen bedeckt.

Vorsichtig nähert sich nun auch Rovena und wirft einen kurzen Blick durch die offene Tür in die Hütte. Prüfend betrachtet sie die Pilze, ob sie sie wohl kennt.

Die Pilze sind ihr vom Aussehen her unbekannt.

Deshalb lässt die Hexe sie auch stehen. Der Wald birgt viel Nützliches, aber auch Gefährliches …

"Vielleicht war es ein Weghaus." vermutet Edric. Di-rekt an der Kreuzung gelegen, liegt dieser Verdacht nahe. Er glaubt aber nicht, dass sich hier nach all den Jahren noch ein Hinweis findet. So nimmt er sein Maultier wieder am Zügel und wartet auf die weiteren Entscheidungen.

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Ingalf schaut seinem Freund hinterher. 'Manchmal wünschte ich mir, dass er mal 'n Wort mehr sagt! Oder rede ich eh schon für zwei? Naja, seine Meinung steht fest!' fügt er in Gedanken hinzu, während er lächelnd zu Edric und Maultier hinübergeht.

"Was meinst Du Nordost oder nicht?" fragt er leise sei-nen Freund.

Hesander schaut sich die Szenerie an und murmelt: "Ob da am Ende wieder ein anderes Geschöpf Tsas am Werke war?" Er schaut sich etwas verunsichert um, ob da nicht doch am Ende etwas aus dem Dickicht brechen könnte.

Elgar stellt sich neben den Geweihten und klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter: "Na, was meint Ihr?" fragt er. "Folgen wir unserer Hauptrichtung gen Firun weiter?"

Hesander blickt zu Elgar und erwidert: "Dem würde ich mich anschließen. Ich bin gespannt, welch' faszi-nierenden Geschöpfen wir noch begegnen werden …" Er hält einen Moment inne, dann fügt er hinzu, "viel-leicht mit Ausnahme überdimensionierter Carnivoren …"

"Ihr sagt es, Ihr sagt es." stimmt Elgar dem zu.

Die Gruppe folgt der Schneise (oder sollte man lieber "dem alten Weg" sagen?) Richtung Nordosten. Nach einiger Zeit geht ein Weg Richtung Süden ab, das ist wirklich zu weit weg von Firun.

Nach einer halben Stunde kommt wieder ein Block-haus. Von außen sieht es wie das erste aus, aber das Innere ist (erschreckend) anders:

Über einen Tisch gesunken liegt die Leiche eines weißhaarigen Mannes, sein Schädel weist eine tiefe Wunde auf. Auf dem Boden ist der Kadaver einer Hündin ausgestreckt. Edric erkennt, das war mal eine schöne Bornländer-Färse. Ein winselnder Welpe steht über dem Kadaver.

Weitere Möbel wurden zerstört. Zerschlagene Fläsch-chen und Tontiegel, Papierfetzen und Reste von Buchdeckeln liegen verstreut herum.

An der Rückwand hat das Blockhaus einen Kamin.

"Bei Boron! Was ist hier geschehen?" ruft Elgar aus. Er geht vorsichtig in die Hütte und sieht sich schnell um. Dann hockt er sich neben den Welpen und krault ihn hinter den Ohren. "Ist ja gut, ruhig." flüstert er ihm zu, während er ihn von dem Hundekadaver weg und nach draußen zieht.

Der Welpe lässt sich Elgar nach draußen ziehen. Er schnüffelt an ihm herum und stuppst ihn immer wie-der an.

Elgar hört nicht auf, den Hund zu streicheln. Statt dessen untersucht er ihn vorsichtig, ob auch er Wun-den davongetragen hat.

Der Welpe, es ist eindeutig ein Er, ist sehr mager. Ver-letzt scheint er nicht zu sein und er scheint Elgar zu mögen.

Als Ingalf den Magier mit dem Hund aus der Tür kommen sieht, dreht er sich sofort um und geht zum Maulesel. Dort sucht er nach einem Stückchen Tro-ckenfleisch, steckt es ein und geht zu Elgar. Er kniet sich neben dem kleinen Hund nieder, hält ihm das Fleisch vor die Nase, streichelt ebenfalls den Hund fängt an vor sich hin zu reden: "Ein kleiner Bornlän-der Rüde. Eine gute Rasse. Stark, mutig und kräftig. Wenn der erstmal groß ist, dann kann er seinen eigen Rucksack tragen. Und wenn der nachts wacht, dann kommt Dir keiner mehr ins Haus! Was ein stolzes Kerlchen! So einen wollte ich schon immer haben!" Als er merkt, was er da so alles erzählt hat, läuft er knallrot an …

"Dann nimm ihn Dir, wenn er Dich als Herrn akzep-tiert." schlägt Elgar vor. "Ich glaube nicht, dass ich ihm ein guter Herr sein könnte. Ich sitze zu viel in staubigen Bibliotheken." fügt er verschmitzt grinsend hinzu und schiebt den Hund sanft auf Ingalf zu.

Das Schieben ist gar nicht notwendig. Der Welpe riecht das Fleisch, läuft zu Ingalf, schnappt das Fleisch und verschlingt es.

"So ist recht!" sagt Ingalf leise zu dem Hund, dann streichelt er ihm sanft über den kleinen Kopf. "So, möchtest Du jetzt mit mir mitkommen? Da wo ich bin, gibt es immer genug Fleisch!"

Dann geht er ein paar Schritte Richtung Maulesel und dreht sich dann um, geht in die Knie und lockt den Hund: "Komm, Kleiner, komm her!" 'Hmm, irgend-wie ist Hund und Kleiner nicht der richtige Name …'

Der kleine Bornländer folgt Ingalf schwanzwedelnd.

Dann geht er weiter zum Maulesel, überlegend wel-cher Name wohl der richtige ist, nimmt sich einen halben Schritt vom Kletterseil, spleißt es auf und be-ginnt, daraus eine dünne Leine und ein Halsband zu flechten.

Außerdem wirf er dem Welpen noch ein wenig Tro-ckenfleisch hin und wenn der Kleine satt ist, wirft er ihm vorsichtig sein selbst gebautes Halsband um und knotet es - mit vielen beruhigenden Worten und viel Luft am Hals lassend – zu. "Jetzt machen wir einen Spaziergang!"

Der Welpe lässt sich das Halsband nur ungern anle-gen. Beim ersten kleinen Halt fängt er an, mit seiner Pfote zu kratzen. Er will das Halsband offensichtlich loswerden.

"Mach ihn doch wieder los!" fordert Elgar den Thor-waler auf, als der Hund offenbar das Halsband scheut. "Er wird Dir auch so folgen, oder eben nicht. Dann solltest Du ihn auch nicht mit Zwang halten."

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"Wenn Du mir versprichst bei mir zu bleiben, dann mache ich Dich los!" sagt Ingalf zu dem Kleinen und schaut ihn erwartungsvoll an.

Der kleine Bornländer hört gar nicht weiter auf Ingalf, sondern ist weiterhin damit beschäftigt, sein Halsband abzukratzen.

"Ganz ruhig! Ich mach' Dich ja schon los!" sagt er zu dem Kleinen und löst ihm langsam das Halsband.

Das lässt der Bornländer gern mit sich geschehen. Als Ingalf weitergeht, folgt er ihm auf Schritt und Tritt.

Edric hört ein wenig betreten zu wie Elgar und Ingalf über das schöne Tier sprechen und diesen fast wie eine Ware verschachern. Auch er hat sich seit frühster Kindheit einen Begleiter gewünscht. Doch bisher hat er es nur zu Schafen und Maultieren gebracht … Dennoch wird er keinesfalls Ingalf das Tier streitig machen, schließlich ist Ingalf sein Freund und solange Edric in seiner Nähe ist, ist er auch dem Welpen nahe.

Hesander schaut entsetzt auf die Leiche und die Ver-wüstung. Dann schlägt er ein Boronrad und spricht leise ein kurzes Gebet zum Herrn Boron, auf dass er die Seele des armen Toten auf Golgaris Schwingen in sein Reich hole. Danach spricht er in die Runde. "Wir müssen ihn begraben, das sind wir dem Herren Boron und dieser armen Seele schuldig. Ingalf, packst Du bitte mit an?" fragt Hesander den Thorwaler und be-ginnt, den Toten aufzurichten - und zwar so, dass He-sanders Kleidung nicht vom Blut besudelt wird.

Dieser faucht den Geweihten an: "Siehst Du nicht, dass ich beschäftigt bin?! Der läuft nicht mehr weg."

"Das ist ein Argument." meint Elgar trocken.

Noch den Hund streichelnd meint Elgar: "Wir sollten zuerst herausfinden, wer oder was das hier getan hat. Dann können wir die Leiche bestatten."

Stumm hat Rovena die Hütte betreten, als Elgar den Welpen hinaus geschafft hat. Entsetzt schließt sie kurz die Augen beim Anblick des toten Mannes und des Hundekadavers am Boden. Dann schweift ihr Blick durch den verwüsteten Raum, die zerbrochenen Fläschchen und Tiegel fallen ihr sofort auf. Sie geht vor zu Hesander, der den Toten am Tisch aufrecht hält. Prüfend betrachtet sie die Wunde an dessen Kopf und versucht zu erkennen, mit was für einer Waffe dieser Mann anscheinend erschlagen wurde.

Da muss etwas Scharfes mit großer Wucht den Schä-del getroffen haben. Eine Axtklinge könnte so eine tie-fe Wunde erzeugen.

"Der Angreifer hat ihm den Schädel mit einer Axt ge-spalten," stellt Rovena schaudernd fest. "Aber es kann kein Riese gewesen sein," bemerkt sie mit einem Sei-tenblick auf Hesander, "der Mord geschah hier in der Hütte." Sie untersucht auch kurz den Kadaver der Hündin und wirft dann einen Blick in den Kamin, prüft, ob die Asche noch warm ist.

Die Hündin ist auch erschlagen worden. Der Kadaver ist kalt. Ein paar Fliegen summen um ihn herum.

'Was mag hier nur geschehen sein?' fragt sich Edric besorgt. Er mustert Mann und Hündin und versucht abzuschätzen, wie lange die Tat wohl schon her ist. Nach dem Welpen zu urteilen, kann es doch höchs-tens einen Tag her sein, wenn nicht erst ein paar Stun-den, schätzt er.

"Halte die Augen auf", bittet er Ingalf, den großen Thorwaler. 'Diejenigen, die dies angerichtet haben, haben wirklich alles zerschlagen. Vermutlich haben sie nach irgend etwas gesucht.' kommt ihm dabei der Ge-danke.

Dann reißt er sich von der Szene los, da es hier noch eine Menge dringender Probleme gibt. Er verrucht Hinweise auf die Täter zu bekommen. 'Waren es Orks?' überlegt er.

Es gibt keine Spuren, die Edric verwerten kann. Nun ja, mittlerweile sind hier auch schon sechs Leute durch die Gegend getrampelt.

Edric nimmt sich vor, noch aufmerksamer zu sein als bisher. Nicht dass ihnen das gleiche Schicksal bevor-steht.

Melachath, der draußen noch einmal um die Hütte herum gegangen ist, kommt wieder rein. "Ich hole draußen mal die Schaufel, ich fange schon mal an zu graben, wir sollten ihn begraben, denn mehr können wir wohl nicht für ihn tun." Mit diesen Worten geht er raus, holt von dem Esel die Schaufel und fängt an ei-ner Stelle an zu graben, wo er vermutet, dass da nicht so viele Wurzeln sind.

Ein paar Wurzeln gibt es schon.

Daher bittet er Ingalf, mit dem kleinen Beil, das die Gefährten ja auch beim Werkzeug haben, die Wurzeln wegzuschlagen …

… Dank des kleinen Beiles, sind sie kein ernsthaftes Hindernis. Nach einer halben Stunde hat Melachath eine flache Grube ausgehoben.

Ob wohl der Angreifer noch in der Nähe ist? Beunru-higt tritt sie vor die Tür und kontrolliert aufmerksam die Umgebung.

Da ist nichts auffälliges. Nur der schwitzende, schip-pende Melachath …

… der soeben mit der Grube fertig geworden ist. "Kann jetzt mal bitte jemand helfen, den Mann hier hinein zu legen?"

Ingalf würde sicherlich helfen, aber er ist der Welt völ-lig entrückt und tollt mit dem kleinen Hund die Waldwege hoch und runter. Dabei sollte ihn Me-lachath vielleicht nicht stören …

Edric eilt seinem Freund an die Seite. "Geh nicht so weit. Und pass' bitte auf." warnt er ihn vor unüberleg-ten Taten.

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Ingalf schaut ganz verträumt auf den Welpen: "Ist er nicht süß? Was meinst Du, Edric, wie soll unser Klei-ner heißen? Ich weiß es nicht, hast Du keine Idee? Und weißt Du, wie ich unseren Kleinen an die Leine gewöhnen kann?"

Edric muss schmunzeln. "Du hast recht, er ist süß." Da ihm auf Anhieb nur die Namen seiner Schafe ein-fallen, schweigt er hierzu lieber.

"Du musst ihn ganz langsam an die Leine gewöhnen, da er sie offenbar nicht kennt. Und du musst viel mit ihm spielen und loben. Aber er scheint Dir ja auch so zu folgen." lächelt der blonde Junge. Er ist froh, Ingalf einen Rat geben zu können.

"Und in der Welpenzeit keine Zieh- und Zerrspiele, dann wachsen die Zähne verkehrt." gibt er ihm noch einen weiteren Rat.

Ingalf nickt und freut sich, dass Edric sich mit solchen Sachen so gut auskennt.

Melachath flüstert Hesander ins Ohr: "Du kennst die richtigen Riten. Jetzt bist du an der Reihe."

"Nun, ich helfe Euch", meint Hesander und schafft den Toten mit Melachath nach draußen. Nachdem sie ihn in die Grube gelegt haben, bedeckt Hesander den Toten mit der ausgehobenen Erde und legt ein paar Steine in Form eines Boronrad auf das Grab.

Dann hält er inne und konzentriert sich. Dann schaut er gen Himmel und schlägt mit dem rechten Arm ein Boronrad.

"Herr Boron, der Du uns den Schlaf bringst wie über Deinen Diener Golgari den Tod - schicke Deinen Diener zu dieser armen Seele und führe sie in Dein Reich, auf dass sie nicht ruhelos umherirren möge." Dann hebt Hesander etwas Erde vom Grab auf und lässt sie langsam wieder hinabrieseln. "Möge diese arme Seele ihren Frieden finden und der Herr Boron über dieses Grab wachen."

Dann fügt Hesander noch einige eher unverständliche Worte in Bosparano hinzu. Elgar würde sie womög-lich als alte Grabliturgie wiedererkennen können.

Schweigend hört Rovena der Liturgie des Geweihten zu. Ein starkes Unbehagen hat sich ihrer bemächtigt. Wer mochte dieser Mann gewesen sein und wer hat ihn erschlagen? Es ist noch nicht lange her, dass diese Untat verbrochen wurde, der Mörder läuft vermutlich noch hier in dem Wald herum. Sie schaut nach Ingalf und lächelt verstohlen. Der starke Thorwaler freut sich wie ein kleines Kind über den Hundewelpen …

Leise seufzt sie auf und fühlt sich einen Moment lang sehr allein.

Edric lässt Ingalf und den Hund wieder alleine und gesellt sich zu den anderen, die um das Grab stehen und folgt den Worten des Geweihten. Er wünscht der Seele des Toten eine bessere Zukunft, wobei ihm be-

wusst wird, dass er gar nichts über die Vergangenheit des Toten weiß.

So steht er allein, und mit gesenkten Kopf da, bis He-sander seine Gebete beendet hat. Obwohl er es nicht so hat mit Boron und den anderen Göttern, berührt ihn dieses Ereignis zutiefst.

Als Hesander die alten Lobpreisungen auf die Seele des Verstorbenen beendet hat, fragt Elgar in die Run-de: "Können wir jetzt weiter?" Das klingt zwar in An-betracht der besinnlichen Atmosphäre der Beisetzung sicher harsch, aber schließlich ist Elgar - nicht zuletzt durch äußere Umstände - ein recht pragmatischer Zeitgenosse.

Melachath ist nicht ganz so pragmatisch: "Klar kön-nen wir weiter. Hast du es irgendwie eilig? Läuft uns das Orkland sonst weg? Es muss Zeit sein für Besin-nung und Totenruhe. Wenn wir uns diese Zeit nicht nehmen würden, wären wir nicht besser als die, die ihm den Schädel eingeschlagen haben."

Er ist etwas rot angelaufen und seine Stimme wird auch etwas lauter. "Aber ist ja in Ordnung. Du solltest den Glauben vielleicht nicht als Pflicht ansehen, son-dern als Gnade.

Dann lass' uns mal los, bevor das Orkland sich ent-schließt, uns neue Berge in den Weg zu setzen."

"Nun mal ruhig mit den Pferden, mein junger Freund." wiegelt Elgar ab. "Der Glaube soll helfen, gar keine Frage. Aber wem soll er wann helfen? Das ist hier die entscheidende Frage. Wir kennen den Toten nicht, er empfing die ihm gebührende Ehre. Fertig. Aber bewahre Dir den Enthusiasmus, so lange du kannst. Die desillusio wird früh genug über Dich her-einbrechen." Den letzten Satz spricht er mit einem leichten Seufzer aus. Ja er hat eindeutig schon zu viele Tote gesehen, die sinnlos gestorben sind.

Hesander hat den Dialog zwischen den beiden mitbe-kommen und meint besonnen: "Der Glaube ist Pflicht und Gnade zugleich. Ihr solltet ihn weder als nur das eine oder nur das andere ansehen."

Die Unruhe des Magus bemerkend, antwortet Hesan-der auf die ursprüngliche Frage: "Ja, können wir. Und wir sollten jetzt äußerste Wachsamkeit walten lassen. Mögen die Zwölfe uns beschützen!"

Abrupt dreht Melachath sich um, nimmt die Schaufel und packt das Beil wieder ein, nimmt den Esel und stapft vor. Als er noch einmal an dem Grab vorbei kommt, schlägt er in der Luft ein Boronrad und geht mit gesenktem Kopf weiter.

Edric schaut ihn nur verwundert an. Mit seinen jun-gen Jahren hat er schon gelernt, dass Menschen das Andenken der Toten unterschiedlich bewahren. Seiner Meinung nach muss jeder selbst entscheiden, wie viel Zeit er den Toten opfert.

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"Ihr sollte euch nicht wegen eures Glaubens streiten!" Rovena schüttelt verständnislos den Kopf und schaut Melachath hinterher. "Das führt doch zu nichts außer Unrecht."

Wenn sie sterben sollte, wird sich Satuaria schon dar-um kümmern, was mit ihr werden wird. Ihr Körper wird zu Sumu zurückkehren, in den ewigen Kreislauf des Lebens von Liebe und Tod, Gedeihen und Verge-hen. Außer Entsetzen über die Art, wie dieser Mann sterben musste und dass sein Mörder hier noch her-umläuft, empfindet sie nichts, keine Trauer, keinen Verlust. Der Tote ruht nun im Schoss Sumus, sein Le-benskreis hat sich geschlossen, ein neuer beginnt.

Melachath geht in die Schneise nach Nordosten, falls keiner irgendwas hinter ihm her ruft.

"Was ist mit dem Tier? Sollten wir die Hündin nicht neben ihrem Herrn begraben?" fragt er in die Runde. Als sicherlich treue Gefährtin hat sowohl sie als auch ihr Herr dies verdient.

Ingalf, der sich um die Toten (Herr und Hund) bis-lang mit keinem Gedanken geschert hat, blickt erst seinen Freund, dann den Kleinen an und sagt: "Ja, das sollten wir für seine Mutter tun!" Holt die Schaufel, die Melachath gerade auf den Maulesel geschnallt hat zurück und beginnt, neben dem Grab des Mannes eine zweite Grube zu schaufeln.

Rovena geht zurück in die Hütte, um den Hundeka-daver zu holen und um sich nochmals umzusehen.

Wenn sie mit Elgar die morgendlichen Übungen ma-chen will, hat sie sich überlegt, dass dies in ihrem lan-gen Rock wohl nicht so ideal ist und sie hat keine Beinkleider bei sich. Vielleicht hat der alte Mann ja noch Hosen zum Wechseln oder lange Unterhosen hier irgendwo in der Hütte herum liegen, die sie mög-licherweise dazu anziehen kann.

Der alte Mann scheint nur die Kleidung besessen zu haben, die er am Leibe trug. Jedenfalls findet Rovena nichts weiteres. Es gibt weder die Überreste eines Klei-derschrankes noch herumliegende Kleidung.

Bedauernd muss Rovena dies feststellen. Doch sie wird schon eine andere Lösung finden.

Nach ihrer Suche schleift sie die Hündin, da sie diese wohl nicht tragen kann, an den Hinterläufen aus dem Blockhaus zu dem von Ingalf geschaufelten Grab.

Natürlich wartet Melachath in einiger Entfernung und guckt sich das an. Im Stillen bete er zu Rahja, auf das er, wenn er mal stirbt in ihr Reich komme. Und das seine Gefährten, sich dann wenigstens ordentlich zeit nehmen. Er hofft, dass sie, wenn sie ihn einmal begraben werden, kurze Zeit später rasten und sich al-les über ihn erzählen, was sie wissen. Dass sie beten und traurig sind. Das gehört für ihn einfach dazu.

Wenn der Hund begraben ist und die Schaufel auch wieder verstaut ist, wendet er sich weiter dem Weg zu.

Während nun auch noch die Hündin begraben wird, beobachtet Rovena den Aranier, der sich abgesondert hat. Sie kennt seine Kultur und seine Gedanken nicht, verspürt aber den Drang, ihn nach der Auseinander-setzung mit Elgar nicht allein stehen zu lassen.

Langsam, zögernd, nähert sie sich ihm.

"Wenn du jetzt lieber allein sei möchtest, sage es ru-hig, dann gehe ich wieder" spricht sie ihn sanft an, hofft aber, dass er ihre Anwesenheit nicht ablehnt. "Wenn du reden magst, höre ich zu. Ansonsten möch-te ich nur bei dir sein." Ihre smaragdgrünen Augen schimmern leicht, suchen seinen Blick.

Er lächelt ihr zu, als sie auf ihn zu kommt.

"Ich habe wahrlich noch nicht viel gekämpft und ich habe auch noch nicht viele Leute sterben sehen. Aber ich mache mir dann nun mal Gedanken, was das für ein Mensch war. Warum er das tat, was er tat. Mag ja sein, dass der, der da unter der Erde liegt, jetzt alle Zeit Deres hat, aber wir haben diese auch. Man sollte einfach drüber nachdenken, dass man auch sterblich ist. Vielleicht fällt mir das leicht, weil ich das schon gesehen habe, aber Andacht ist die einzige Ehre, die wir dem Toten noch erweisen können. Vielleicht war ich gerade zu barsch, aber jemanden zu begraben und zu beten, ist keine Pflicht. Aber das heißt ja nun nicht, dass man den Mann begräbt, ein Gebet runterleiert und dann schnellstmöglich weiter geht.

Es schadet doch nicht, kurz zu beten. Jeder hat doch irgend einen Wunsch, wie mit ihm nach seinem Tode verfahren sollte. Und ich finde, dass man einfach et-was Zeit für die arme Seele aufbringen sollte, wenn man kann. Lasst mir beim nächsten mal einfach noch einige Minuten Zeit."

Still hört Rovena ihm zu, lässt ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen, ihre Augen verfolgen sein Mienenspiel.

Als er endet, antwortet sie ihm sacht: "Hoffentlich wird es so schnell kein nächstes Mal geben …" Ihr Blick wandert hinüber zu den anderen Gefährten an den Gräbern, bleibt an Elgars Gestalt hängen. "Jeder von uns geht anders mit dem Tod um, hat andere Er-fahrungen damit gemacht. Wenn du diese Zeit brauchst, meine ich, sollst du sie dir nehmen. Doch habe auch Verständnis dafür, dass nicht jeder so denkt wie du. Die Schule des Lebens kann hart sein …"

Für einen kurzen Moment verengen sich ihre Augen. Sie wird vielleicht einmal den Tod dahin tragen, wo er gesät wird … Doch als sie ihn wieder ansieht, wirkt ihr Blick sanft und ernst fährt sie fort: "Ich mag gar nicht daran denken, was dein Wunsch wäre, Me-lachath, auch wenn ich es ahnen kann. Denn so weit soll es nicht kommen müssen, wenn wir es verhindern können." Ihre Hand fährt unwillkürlich zu ihrer Gür-teltasche, in der sich das Beutelchen mit dem Rosen-quarz und der roten Pille befindet.

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Mit Gelassenheit beobachtet Elgar, dass Melachath nun von Rovena sein eigenes "Seelenheil" bekommt. 'Bleibt zu hoffen, dass der Junge sich zusammenreißt, wenn es hart auf hart kommt.' grübelt er, während er ins Leere starrt.

Ingalf, der sich freut wie ein Reifkönig, schaut sich nach den möglichen Wegen um und sagt dann: "So, hier lang!"

Rovena wartet auf die anderen Reisegefährten und schaut dem jungen Aranier dabei mit nachdenklichen Lächeln hinterher. Wenn sie sich so reden hört, muss sie an ihre Mutter denken … ob sie es mal wieder mit einer Prophezeiung versuchen soll? Mit der Zungen-spitze fährt sie sich über die Lippen.

Der Weg geht immer weiter Richtung Nordwesten. Nach einer Viertelstunde kommt eine Abzweigung nach links, aber die Gruppe folgt weiter dem ur-sprünglichen Weg.

Nach einer weiteren Viertelstunde ist die Schneise langsam Richtung Norden geschwenkt - genau die ge-wünschte Richtung. Und wieder kommt eine Abzwei-gung nach links.

An jeder der Schneisen bleibt Elgar kurz stehen und sieht sich um. Vor seinem inneren Auge lässt er Ingalfs Karte, die dieser allabendlich ergänzt, vorbeiziehen.

An der letzten Abzweigung bleibt er stehen. "Hier geht es gen Firun weiter, oder wir biegen nach links - also nach Efferd - ab. Das würde uns zurück führen, wenn ich mich nicht irre. Wie siehst Du das, Naviga-tor?" fragt er Ingalf.

"Wenn das alles so einfach wäre!" gibt Ingalf zurück und schaut - wie schon die ganze Zeit - nach unten, ob er nicht auf den 'Kleinen' tritt, der ihm immer wie-der zwischen die Beine springt. "Wenn der Bodir so weiter geflossen wäre, wie ich ihn von den Klippen aus sehen konnte, dann müssten wir schon längst schwimmen …"

"Oder dieser Weg führt doch nicht so ganz in die Rich-tung, die wir angenommen haben." denkt Elgar laut nach. Mit einem Mal erinnert er sich an den von Het-frau Garhelt für die Reise erbetenen Südweiser und beginnt, in ihrem auf den Maultieren verschnürten Gepäck danach zu suchen. Dabei murmelt er vor sich hin: "Wo ist er nur …?"

"Meint ihr, wir haben uns verlaufen?" Rovena ist dicht an den Magier herangetreten und schaut sich unbe-haglich um. Dieser Axtschwinger, der hier sein Unwe-sen zu treiben scheint, macht ihr Sorgen.

"Nein, nein." meint Elgar abwesend, während er wei-ter sucht. "Man kann sich nur verlaufen, wenn man auf ein bestimmtes Ziel zustrebt. Wir hingegen sollen

hier die Gegend erkunden. Jeder Weg ist damit nicht wirklich falsch." Er hält kurz inne und fügt hinzu: "Es sei denn, man geht im Kreis." Dann sucht er weiter.

'Da hat er recht', pflichtet ihm Edric still bei und schaut sich den Weg nach Westen genauer an.

Der Wald sieht, soweit man schauen kann - so 20, 30 Schritt, Richtung Norden und Richtung Westen gleich aus.

"Nö!" kommt es von Ingalf.

'Wir gehen nicht im Kreis! Und die Richtung stimmt auch!' grummelt Ingalf.

"Die Richtung der Wege ist schon die ganze Zeit klar - immer den Kurs nach Nordwest. Aber der Wald sieht halt von innen anders aus als von schräg oben …" fügt er mit einem etwas verlegenen Grinsen hinzu.

Rovena erwidert sein Grinsen mit einem Schmunzeln, meint dann aber ernster: "Wir müssten dann bald wie-der am Fluss ankommen, wenn wir uns jetzt weiter-hin westlich halten, nicht wahr?" Sie beobachtet Elgar bei seiner Suche in dem Gepäck.

Nach kurzer Suche hat Elgar es gefunden. Den Süd-weiser. Er hält das steinschwere Gerät ruhig und war-tet, bis sich die Anzeigenadel beruhigt hat. Dann gibt er bekannt: "Ja, unser Weg führt uns tatsächlich noch immer in die gewünschte Richtung. Firun."

Dann verpackt er das Gerät wieder sorgfältig und ist abmarschbereit.

Von Ingalf kommt ein "Ach was!" aus dem Hinter-grund.

Da Edric nichts entdecken kann, was ihnen weiterhilft - keinen See, keinen Fluss, keine Lichtung - geht er zurück und nimmt sein Maultier wieder am Strick. Während er darauf wartet, dass es weitergeht, lauscht er den Lauten des Waldes und der Tiere und streichelt das Maultier am Hals.

"Dann also weiter wie bisher?" fragt Elgar und soweit niemand eine bessere Idee vorzuweisen hat, fährt er fort: "Dann los." Und mit einem Seitenblick auf Me-lachath fügt er halb scherzhaft hinzu: "Damit das Or-kland nicht doch noch auf die Idee kommt, vor uns wegzulaufen."

"Weiter wie bisher", sagt Melachath und geht vor. Den anderen ist vielleicht aufgefallen, dass ein Wurfspeer nicht mehr richtig auf den Esel gebunden ist, sondern nur einigermaßen locker auf dem Gepäck liegt. Das macht Melachath so, seit sie bei der Hütte den Mann vergraben haben.

Nach einer halben Stunde kommt eine Abzweigung nach Osten, aber die Gruppe zieht weiter Richtung Norden.

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3. Tag: Begegnungenie Helden sind eine Viertelstunde weiter Rich-tung Norden unterwegs, als aus einem Ge-

büsch- etwa 10 Schritt von den Helden entfernt - plötzlich eine Kreatur mit metallisch glänzendem Leib huscht.

DD

Elgar packt seinen Stab fest mit der linken Hand und blickt der Kreatur nach: "Was war das denn?" fragt er allgemein in die Runde.

Das Tier bleibt stehen, um die Helden zu beobachten. Jetzt ist es deutlich als Spinne zu erkennen. Sein glat-ter Leib und die unbehaarten Beine glänzen dunkel-grün in der Sonne. Die Spinne ist etwa 4 Spannen hoch, Leib und Beine haben zusammen den Durch-messer eines großen Wagenrades.

Als Melachath die Spinne sieht, denkt er unwillkür-lich an die Netze zurück und daran, ob Spinnen jetzt in Gruppen leben oder eben nicht. Die Hand wandert auf dem Esel zum Speer und er guckt beunruhigt in den Wald, ob er noch mehr Spinnen entdecken kann.

"Wenn das Tier keinen Namen hätte, würde ich es Große Silberspinne nennen. Und ich würde es vorzie-hen, dass sie verschwindet."

Edric mustert die Spinne. Ähnelt sie eher einer Fang- oder Jagdspinne? Bei einer Fangspinne bräuchten sie sich nicht zu große Sorgen machen, da diese Tiere Ihre Beute in den gesponnenen Netzen fangen.

Bei einer Jagd- oder Springspinne, die ihre Beute jagt und anspringt, sollten sie aber auf der Hut sein, da solche Tiere auch größere Opfer anfallen und lähmen.

Vorsichtshalber greift er seinen Stab fester und stellt sich ein wenig vor das Maultier, um es zu schützen.

"Guter Name." kommt ein knapper Kommentar von ihm.

"Wie kommst du auf Silberspinne?" Rovenas smaragd-grüne Augen sind auf die Spinne gerichtet. "Schau doch, sie glänzt ganz dunkelgrün und ist gänzlich un-behaart." Sie lässt die Spinne nicht aus den Augen. 'Bist du nur neugierig oder auch hungrig?' fragt sie sich in Gedanken und überlegt, ob diese Spinne wohl giftig sein könnte. 'Hübsch siehst du aus, aber auch gefährlich …'

"Komisch. Vorhin hatte ich das Gefühl, dass die silb-rig-metallisch geglänzt hat."

"Wenn es wirklich ein Tier ist, dürfte es das Gleiche von uns 'denken'." erwidert Elgar. "Ich kenne aus mei-ner Heimat große Spinnen, aber das …" murmelt er.

Dann sieht auch er sich um, ob nicht vielleicht noch andere Exemplare dieser Riesenspinnen am Weges-rand oder auf den Baumästen über der Gruppe lauern. Innerlich wappnet er sich für eine Auseinanderset-

zung. 'Auf die Dauer werden wir den Spinnen nicht ausweichen können.' überlegt er.

Es sind keine weiteren Exemplare zu sehen.

Ingalf und der Kleine waren die letzten der Gruppe, da der Hund nicht immer den geraden Weg einge-schlagen hat und Ingalf ihn dann behutsam hinter den anderen her tragen musste.

So kommt es, dass der Thorwaler fast auf seine Ge-fährten aufläuft und die Spinne auch als letzter wahr-nimmt.

Der Hund wittert die Spinne ,fängt laut an zu kläffen und stürmt knurrend in Richtung auf das Tier los. In-galf schaut ihm hinterher, dann kommt ihm ein guter Einfall: "Ich werde Dich 'Kawi' nennen. Du kläffst gerne und bist mutig, genau wie mein alter Freund der Kawaljere!"

Und lauter ruft er: "Komm! Kawi, komm her!" Der kleine Hund hört Ingalfs Worte, bleibt in einiger Ent-fernung vor der Spinne stehen und kommt anschlie-ßend zu Ingalf zurück getrottet.

Als Kawi wieder bei Ingalf ist, betrachten beide die große Spinne. 'Nein', denkt der Thorwaler, 'das ist kei-ne von der Art wie die andere und Du scheinst auch keine Angst vor uns zu haben …'

Jeder einzelne der Helden verspürt ein Gemisch von Gefühlen – zunächst Erschrecken, dann Neugierde und schließlich ein fast freudiges Wiedererkennen.

"Sie sendet ihre Gefühle aus," stellt die Hexe erstaunt fest. "Es ist eine Smaragdspinne, ein Männchen und ihr Biss ist giftig. Spürt ihr es auch? Erkennt sie uns jetzt als Beute?"

"Es scheint fast so." antwortet ihr Elgar. "Und wenn sie das kann, dann wird sie auch bestimmt Gefühle er-kennen können, die ihr entgegengebracht werden." mutmaßt er. "Wenn wir ihr zeigen, dass wir sie nicht fürchten und wir uns ihr entgegenstellen, wenn sie sich entschließen sollte, uns als Beute zu sehen, wird sie von uns ablassen."

"Es heißt, dass diese Spinnenart Gefühle und viel-leicht auch Gedankenbilder zu empfangen vermag," bestätigt Rovena Elgars Vermutungen. "Wir können ja versuchen, wie du vorschlägst, sie durch unsere Ge-danken von einem Angriff abzuhalten."

Dann blickt er Rovena fest an: "Und giftig ist sie auch noch? Ich mag mir nicht vorstellen, wie stark das Gift eines so großen Arachnoiden sein dürfte."

In Gedanken lässt er eine Unterrichtseinheit Revue passieren, in der den Scholaren damals die Wirkung des Spruchs "Klarum Purum" demonstriert wurde. Der Lehrmeister hatte einen ungehorsamen Mit-

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Scholaren ausgewählt und ihm einen Goldskorpion angesetzt … Unwillkürlich bildet sich auf Elgars Rücken eine Gänsehaut.

Sie behält das Tier fest im Blick. 'Sie ist noch zu weit entfernt … ob sie hungrig ist? Wir sind aber keine leichte Beute …' geht es ihr durch den Kopf.

"Giftig? Na toll. 'Lern mal das Orkland kennen', hat der Botschafter gesagt." seufzt Melachath vor sich hin.

Langsam gleitet seine Hand abwärts, um seinen Ra-benschnabel zu ziehen. 'Wenn das so weitergeht, laufe ich irgendwann immer mit gezogenem Rabenschnabel rum.'

Rovena löst ihre Augen kurz von der Spinne, schaut erst Melachath und dann Elgar an. "Wie stark das Gift ist, weiß ich nicht genau, aber ich glaube, es gibt gifti-gere Tiere." Wieder richtet sie ihren Blick auf die Spinne und hält den Augenkontakt aufrecht.

Hesander schaut sich die Spinne an und ist zunächst erstaunt, dass er diese Gefühle vernimmt. Kommuni-ziert diese Spinne tatsächlich mit ihm?

"Tsas Geschöpfe sind mitunter wirklich sonderbar", murmelt er in seinen Dreitagebart.

Er mustert die Spinne ruhig und denkt folgende Wor-te intensiv, gleichwohl hoffend wie fürchtend, dass die Spinne sie lesen kann. 'Wir wollen Dir nichts tun. Lass uns ziehen und wir werden Dich Deiner Wege ziehen lassen.'

Tatsächlich, die Gefühle sind nicht die eigenen Ge-fühle der Helden, sondern sie müssen von der Spinne kommen.

Edric ist sehr verwundert, als sich fremde Gefühle un-ter seine eigenen mischen. Er weiß nicht, wie er dar-auf reagieren soll. Sein Körper nimmt ihm die Ent-scheidung ab und reagiert instinktiv mit Furcht, so dass er langsam zurückweicht und das Maultier mit sich drängt.

Die Spinne ergreift plötzlich die Flucht und ist im Gebüsch verschwunden.

Erleichtert sieht er, wie die große Spinne verschwin-det. Die Gefahr scheint vorüber. Sichernd blickt er sich um und zu den Baumwipfeln, nicht, dass dort die nächste Gefahr wartet, vor der die Spinne nur Reißaus genommen hat.

Edric fällt nichts weiter auf.

"Bei den Zwölfen", sagt Hesander sichtlich erstaunt. "Ich habe doch nur gedacht, dass wir ihr nichts tun wollen und sie uns ziehen lassen soll und sie dann auch ihrer Wege ziehen kann." Etwas verwundert schaut er Elgar an. "Habt Ihr bereits solch wundersa-me Geschöpfe auf Maraskan erlebt?"

"Nein." erhält er schlicht zur Antwort.

"Was aber daran liegen könnte, dass ich noch nicht auf Maraskan zu verweilen beliebte." fügt er mit einem süffisanten Lächeln nach einer kurzen Pause hinzu.

"Nun, Euren Äußerungen nach nahm ich an, dass Ihr möglicherweise schon einmal dort wart", erwidert He-sander trocken.

"Marasken gibt es nicht nur auf der Insel, ein stadtbe-kannter und wohlhabender Legat aus der Schwarzen Perle des Südens - oder Pestbeule, wie sie einige nen-nen - hält sie sich als 'Wachhunde', die ihr Futter selbst fangen." erklärt er dem Geweihten. "Aber ich würde die Insel und ihre 'Freidenker' gern einmal be-suchen." ergänzt der Magier.

"Ich verstehe", antwortet Hesander. "Nun, ich muss gestehen, die Gegend um Al'Anfa bzw. der Dschungel im Süden war mir tatsächlich entfallen. Vielleicht mögt Ihr mir ja beizeiten einmal über diese Gegend mehr erzählen. Ich bin selbst noch nie dort gewesen."

"Es wird sicher genug lange Abende während unserer Reise geben." ist Elgar überzeugt und nickt dem Ge-weihten zu. Dann sieht er sich wieder um und fragt: "Warten wir noch auf die Rückkehr der Spinne oder ziehen wir weiter?"

"Oh, die gelehrten Herren haben ihren Disput been-det!" kommt es mit stark sarkastischem Unterton von Ingalf. "Da auch die Spinne weg ist, steht dem weite-ren Weg nichts mehr im Wege! Oder willst Du warten, bis sie wiederkommt?"

Rovena verzieht das Gesicht. 'Müssen die Männer im-mer aufeinander herum hacken?' Schnell mischt sie sich ein. "Also ich muss nicht auf ihre Rückkehr war-ten, von mir aus können wir weiter."

Angespannt und aufmerksam sieht sie sich um, rückt ihren Beutel zurecht und ist bereit, weiter zu gehen.

Ohne weiteres Wort geht Elgar langsam los, den Stab als Wanderstecken gebrauchend und bei Bedarf den einen oder anderen im Weg hängenden Zweig beiseite schiebend.

Sein wachsamer Blick schweift dabei unablässig um-her.

Ingalf geht wieder neben Edric her. Er fragt seinen Freund: "Hast Du das auch gemerkt, sie hat was von uns gewollt? Aber was?"

"Ich weiß nicht", antwortet Edric knapp wie immer. "Sie machte mir Angst", gibt er zu und ist froh, dass die Spinne weggelaufen ist.

Kawi läuft um die Beine der beiden Freunde und des Maultiers hin und her. Ein paar Mal bringt er einen der drei fast zum Stolpern, aber der kleine Hund schafft es immer wieder den Füßen auszuweichen.

Nach einiger Zeit wird es Ingalf zu bunt und er nimmt den Hund auf den Arm.

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RastNach einer Viertelstunde kreuzt der Weg ein kleines Rinnsal, das eilig von Ost nach West läuft.

Die Bäume stehen hier etwas weiter auseinander. Der Sonnenstand zeigt an, dass die Mittagszeit überschrit-ten ist. Ein Blick nach links offenbart, dass der Bach nach ein paar Schritt in einen kleinen Teich mündet. Die beiden Maultiere streben dem Wasser zu.

"Lass' uns die Tiere tränken gehen," murmelt Edric zu Ingalf und führt sein Maultier schon zu dem Teich. Er hofft, dort eine Stelle zu finden, wo die Tiere problem-los und gefahrlos trinken können.

"Das wohl!" meint Ingalf, "ich könnte auch einen Schluck vertragen!"

Die Maultiere zerren ziemlich, um endlich ans Wasser zu kommen. Sie suchen sich ihre Stelle ganz von al-lein. Es gibt nichts, was auf eine eventuelle Gefahr hindeutet.

'Es gibt hier ziemlich viele Spinnen', überlegt er sich dabei, denn in der Tat haben sie in letzter Zeit haupt-sächlich Spinnen getroffen.

"Warum machen wir nicht eine kleine Rast hier? Der Platz lädt doch geradezu dazu ein," meint Rovena und schaut sich aufmerksam in dem übersichtlichen Ge-lände um. Beim Anblick des Baches und des kleinen Teiches lächelt sie. Ihre Füße tun ihr weh und sie stellt sich gerade vor, wie angenehm es wäre, sich in dem kühlen Wasser zu erfrischen.

Vielleicht gibt es in dem Teich auch Fische, die man fangen und am Feuer garen könnte.

"Klingt gar nicht so schlecht. Etwas essen und trinken. Flaschen mal wieder auffüllen." Melachath lässt dem Maultier freien Lauf, denn es wird schon wissen, wie es am besten an Wasser kommt.

"He! Was tust Du?" ruft Edric, als Melachath das Maultier frei laufen lässt. "Halt das Tier fest." Schließ-lich will er das Maultier nachher nicht einfangen, falls es sich seinen eigenen Willen an den Tag legt. Außer-dem wissen sie gar nicht, ob eine Gefahr am Teich lauert. Und durstige, störrische Maultiere achten nur auf ihren Durst!

Er selbst betrachtet erst einmal den Waldrand, ob er wieder große Netze oder so etwas sieht.

Es gibt nichts, was auf die Anwesenheit von Spinnen hindeutet. Keinerlei Netze sind zu sehen.

Hesander fühlt sich halbwegs sicher, begibt sich ein paar Schritte abseits und verfällt ins Gebet. Dabei wendet er sich natürlich "seiner" Göttin zu. Im Gebet versunken achtet er nicht auf seine Umgebung, denn er hat seine Pflichten schon zu lange vernachlässigt.

So schön der Nachmittag auch sein mag, Elgar findet keinen Gefallen daran. Er lässt sich im Schatten eines

Baumes am Wasser nieder und nimmt ein leichtes Mahl zu sich. Dabei grübelt er vor sich hin.

Aufmerksam nähert sich auch Rovena dem Wasser, schaut sich sichernd um und setzt sich zu Elgar in den Schatten. Beutel und Stab legt sie neben sich ab und schaut prüfend auf die Wasseroberfläche. "Was macht dich so nachdenklich, Isinha?" fragt sie ihn un-vermittelt und sucht seinen Blick.

Ohne aufzublicken erwidert er: "Die Spinnen. Ich weiß nicht, aber irgendwie kommt mir das alles sehr merkwürdig vor." Er blickt über den Teich und schließlich in Rovenas Augen: "Fühlende Spinnen, die diese Gefühle auch noch projezieren können. Und dann der Tote. Bist Du sicher, dass es eine Axt und nicht vielleicht diese Spinnenbrut war?" fragt er. Dem Ton seiner Stimme kann sie entnehmen, dass er die Antwort eigentlich kennt.

"Die Wunde sah nicht nach einem Spinnenbiss aus," erwidert Rovena nachdenklich. "Und wenn sie auch auf Gefühle reagieren, so sind es doch Tiere, die ihre Beute verspeist oder zumindest mit sich geschleppt hätten, würde ich meinen." Ganz sicher ist sie sich darin aber bei diesen Spinnen auch nicht.

Sie löst sich von seinem Blick und schaut auf die Was-seroberfläche des kleinen Teichs hinaus.

Er liegt still und friedlich da.

"Ich bin mir sicher, dass der Mann mit einer Axt er-schlagen wurde," ergänzt sie nach einer Weile und lauscht auf die Geräusche des Waldes.

"Hmm." nickt Elgar langsam.

Sie blickt Elgar erneut ernst an. "Hier in diesem Wald hält sich noch ein anderes Grauen auf, vor dem wir auf der Hut sein müssen." Dann lächelt sie und zieht ihre schweren Stiefel und den Umhang aus. Barfüßig läuft sie ans Ufer, sucht sich einen Sitzplatz und lässt ihre Füße ins kühle Wasser gleiten. Für den Moment entspannt schaut sie Ingalf beim Fischfang zu.

Kaum ist die junge Hexe von seiner Seite verschwun-den, versinkt er wieder in Grübelei und starrt blicklos auf den kleinen Teich, ohne jedoch seine Umgebung oder die Gefährten wahrzunehmen.

Als Elgar und Rovena sich unter den Bäumen nieder-lassen, schaut sich Ingalf den See an. Er geht ans Ufer blickt ins Wasser und kurz darauf steht er ohne Stiefel, Schild und Waffen mit hochgekrempelter Hose bis zu den Knien im Wasser und versucht mit den Händen ein paar Fische zu fangen.

Nachdem sich Edric vergewissert hat, dass die Maul-tiere nicht weglaufen können, beginnt er damit, ihnen die schwere Last vom Rücken zu laden. Schließlich ist es auch für die Tiere nicht erholsam beladen Pause zu machen. Als er damit fertig ist, beobachtet er, wie In-galf in den Teich geht.

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Er watet ein wenig hin und her, bis er eine gute Stelle gefunden hat. Dann steht er einige Minuten still. Plötzlich zucken seine Hände nach vorne ins Wasser und er hat einen großen Fisch gefangen!

Es ist eine schöne Forelle.

"Toll! Wie hast Du das gemacht?" fragt Edric ihn, der schon dabei ist, die neuen Stiefel abzulegen und die Hosenbeine hochzukrempeln.

"Meine Hochachtung!" ruft Elgar dem Thorwaler zu, als er den zappelnden Fisch in dessen Händen er-blickt. "Wenn du noch einen fangen kannst, reicht es sogar für ein Abendessen." ergänzt er.

"Kein Problem!" meint Ingalf lachend und wirft dem Zauberer den zappelnden Fisch zu.

Dann dreht er sich wieder zum Wasser um, wartet wieder ganz still und unbeweglich im Wasser und auch ein zweites Mal greift er blitzschnell zu und hat einen weiteren - etwas kleineren - Fisch in den Hän-den. Mit "Der ist für Dich!" fliegt auch der zweite Fisch ans Ufer.

Den ersten Fisch kann Elgar trotz der Überraschung noch auffangen und beiseite legen. Der zweite - klei-nere - Fisch schlüpft ihm aber durch die Finger und landet etwas abseits.

"Kannst Du mir das zeigen?" fragt Edric während er zu seinem Freund Ingalf watet. Das Wasser ist ange-nehm kühl und er genießt es, wieder barfuß laufen zu können.

"Klar!" Ingalf freut sich, dass er mit seinem Freund ein paar Minuten der Ruhe und Entspannung verbringen kann.

"Es ist ganz einfach", fährt er fort, "Du musst Dich nur ganz still verhalten, dass der Fisch glaubt, Du seist ein Baum oder so. Dann kommen sie mit der Zeit von ganz alleine. Und dann musst Du nur schnell genug zugreifen …"

Er versucht, während er erklärt, auch gleich die Dinge zu tun. Beim letzten Satz schießt sein Oberkörper wieder vor und er greift einen Fisch. Den schmeißt er Edric zu: "Jetzt Du!"

Edric fängt die zappelnde Forelle auf und lässt sie kurz darauf wieder schwimmen. Schließlich haben sie schon genug für's Abendessen.

"Wie ein Baum?" vergewissert sich Edric ungewöhn-lich redselig. Er wartet gar nicht auf eine Antwort und steht schon ganz ruhig, den Oberkörper leicht vorge-beugt, die Fingerspitzen im Wasser.

Ingalf hat Recht, denn schon nach wenigen Momen-ten kommen einige Forellen neugierig heran ge-schwommen. Er wartet noch einen Moment, und dann … zack … spritzt Wasser auf als er sich mit Wucht nach vorne beugt, um eines der Exemplare zu fangen.

Und tatsächlich: Als er die Hände wieder aus dem Wasser zieht, hält eine zappelnde Forelle gefangen. Glitschig und kühl fühlt sie sich an als sie sich in der Luft windet und viel lieber wieder zurück in ihr Ele-ment möchte.

Ingalf beobachtet seinen Schüler und freut sich mit Edric, als dieser schon beim ersten Anlauf einen Fisch aus dem Wasser holt.

Edric strahlt ob seines ersten Erfolges über das ganze Gesicht. "Das war ja gar nicht schwer!" ruft er freudig, aber mit leicht durchnässtem Hemd aus. Die zappeln-de Forelle entlässt er auch wieder in die Freiheit. "Dank Dir und pass' das nächste Mal etwas besser auf", verabschiedet er sie.

"Sach ich ja!" kommt es wohlwollend von Ingalf zu-rück. Er klopft Edric anerkennend auf die Schulter.

Edric ist froh über die Anerkennung.

Dann fragt er schelmisch seinen Freund: "Du kennst auch die alten Bräuche der thorwalschen Fischer?"

"Nein, die kenne ich nicht." antwortet er wahrheitsge-treu. Er ist auf der Hut, nicht das Ingalf etwas im Schilde führt, denn von einer 'thorwalschen Taufe' hat er schon einmal gehört …

Obwohl Edric auf der Hut ist, hat er nicht gesehen, wie Ingalfs Fuß unter Wasser heranschnellte. Ein schneller Griff auf die Schulter, ein Fußhebel und schon findet sich der Schäfer auf gleicher Höhe mit der Forelle.

Ingalf steht lachend über dem prustenden Edric und reicht ihm die Hand: "So will es bei uns die Tradition. Wer Fische fangen will, muss sie auch besuchen!"

Er hatte es befürchtet. Klatschnass ergreift er Ingalfs Hand. Er verzichtet darauf dem Thorwaler es heim-zuzahlen und ihn ebenfalls im nicht einmal knietiefen Wasser baden zu schicken.

Er watet an Land, wo er sich seiner nassen Klamotten entledigt und diese auswringt und anschließend zum trocknen aufhängt. Nur mit Unterwäsche bekleidet, sucht er sich aus dem Gepäck seinen Mantel heraus, da er schließlich nur mit leichtem Gepäck reist und auf weitere Kleidung verzichtet hat.

Obwohl er sich wie alle anderen in der Gruppe seit Tagen nicht rasiert hat, hat sich - der Jugend sei Dank - erst ein kleiner, kaum nennenswerter Flaum an sei-nem Kinn gebildet. Bis es ein ausgewachsener Bart - so wie der von Ingalf - wird, wird es noch eine oder zwei Ewigkeiten dauern.

Ingalf kommt hinterher, setzt sich zum Trocknen in die Sonne und spielt mit Kawi.

Als Ingalf wieder trocken ist, fängt auch sein Magen an zu knurren. Da sich keiner der Gefährten bisher um die Zubereitung des Essen gekümmert hat, macht

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sich Ingalf daran die Fische am Ufer zu putzen, zu schuppen und auszunehmen.

Dabei fordert er Melachath auf, eines seiner berühm-ten Grubenfeuer zu entfachen.

Melachath spart es sich einfach, eine Grube zu schau-feln, da die Gruppe dort ja nicht übernachten will. Aber er sammelt natürlich Holz und macht ein Feuer.

"Haben wir auch irgendwo Honig?" fragt er in die Runde, während er die Vorräte durchsucht. Dann holt er sich aus den Gepäck einen großen Topf, den er mit Wasser füllt, schneidet den Fisch hinein, fügt noch et-was Trockenfleisch hinzu. Dann einige der getrockne-ten Kräuter und üppig Salz. Das ganze stellt er auf das Feuer und lässt es schön lange kochen.

"Essen ist fertig!" ruft er nach einer Stunde den Ge-fährten zu. Er verteilt die Teller und nimmt sich selbst auch eine große Portion.

Schnüffelnd kommt Kawi vorbei, aber als er in den Teller riecht, läuft der Hund jaulend davon.

"Hmm, der Kleine hat keinen Geschmack, oder?" fragt Ingalf in die Runde während er mit Begeisterung seine erste Fischsuppe isst

Bereits während des "Kochvorgangs" schnüffelt Elgar misstrauisch. Als dann auch noch der Hund davon läuft, lehnt er den ihm angebotenen Teller dankend ab. Zwar hat er früher wesentlich schlechter zubereite-te Dinge essen müssen, aber diese Not besteht heute nicht.

'So schwer kann Kochen doch nicht sein.' überlegt er, während er an einem Stück der Trockenwegzehrung knabbert. 'Ist doch genau wie das Zubereiten alchi-mistischer Gebräue: man nimmt die richtigen Zutaten in der richtigen Menge, füllt alles zu gegebener Zeit in einen Kessel und lässt es die richtige Zeit kochen.'

Melachath findet den Geschmack der Thorwaler sehr merkwürdig. Aber er hat gelernt, dass diese schon ko-misch Sachen essen. "Hmm. Interessant. Wenn ir-gendwer von Euch einmal nach Aranien kommt, soll-te er dort mal in einem ordentlichen Teehaus zu Abend speisen. Wir benutzen irgendwie weniger Salz und bereiten Fisch doch irgendwie anders zu. Wenn wir noch mal Fisch ergattern, bereite ich den zu."

Unverzüglich antwortet Elgar: "Das halte ich für eine sehr gute Idee."

Ingalf zieht die rechte Augenbraue hoch: "Dir hat es wohl nicht geschmeckt?"

"So würde ich das nicht sagen wollen." antwortet El-gar. "Schließlich habe ich gar nicht gekostet."

Die leisen Beschimpfungen, die Ingalf ausstößt sind zum Glück genuschelt und auf Thorwalsch, so dass Elgar vielleicht ihren Sinn ahnen kann, aber ihre Be-deutung nicht versteht.

"Ich fand das Essen auch nicht besonders, wenn ich ehrlich sein darf", mischt sich Rovena ein. Sie hat sich, nachdem sie ihre Füße getrocknet und mit einem stil-len Seufzer die Stiefel wieder übergezogen hat, zum Essen eingefunden. "Beim nächsten Mal sei etwas vor-sichtiger mit dem Salz, Ingalf. Manchmal ist weniger mehr …" Sie zwinkert ihm freundlich zu, rührt in ih-rem Eintopf herum und überlegt, ob sie jetzt noch einen Löffel voll davon essen soll oder lieber nicht.

"Wir haben ja auch den Honig vergessen!" mault In-galf und langt weiter zu. Er findet, dass ihm die Suppe trotzdem gut gelungen ist.

"Mir hat's auch nicht geschmeckt", weist Edric den Koch zurecht. Auch er rührt unschlüssig in der Suppe herum und fischt sich noch zaghaft ein paar Fleisch-stücke heraus.

Das ihm auch noch sein Freund in den Rücken fällt, trifft Ingalf tief und er beschließt, vor sich hin grum-melnd, nicht mehr für seine Gefährten zu kochen.

Überfall der SpinnenFür einen Moment ist es nach dem Essen still, da hört Edric plötzlich eine leises Knacken im Gebüsch. Er spitzt die Ohren. Tatsächlich, da ist etwas. Rascheln, Schlurfen. Rovena sieht auf einmal im sonnenbeschie-nenen Gebüsch etwas aufblitzen.

"Aufgepasst!" ruft die junge Hexe laut aus. "Dort in dem Gebüsch, ein Aufblitzen wie von Metall!" Den Teller schnell aus der Hand gelegt, greift sie flink ih-ren Stab und springt auf. Angespannt ist ihr Blick auf das Gebüsch gerichtet.

Durch den Warnruf Rovenas aufgeschreckt, springt Elgar förmlich auf die Beine. Den Stab lässt er dabei mit beiden Händen einmal kreisen, während er sich in die gewiesene Richtung umdreht. Dann hält er ihn mit der linken Hand fest, den Kopf des Stabs nach un-ten gerichtet, an seinen Rücken gepresst.

Innerlich bereitet er sich darauf vor, sich selbst und seine Gefährten zu verteidigen - auch mit Magie, soll-te es nötig werden. 'Kommt nur, ihr Orks!' denkt er.

Auch Ingalf stellt seinen Teller weg - allerdings deut-lich langsamer als die Hexe, da er den letzten Schluck Suppe erst noch ausschlürft. Dann nimmt er sich Or-knase und Schild und versucht, etwas genaueres zu erkennen.

Die Helden verspüren eine leichte Erregung und Neugierde. Wieder dringen die Gefühle von außen auf sie ein.

"Smaragdspinnen!" vermutet Edric. Es klingt aber eher nach einer Feststellung.

Auch er ist von seinem Platz aufgesprungen. Seinen Stab hat er allerdings bei seiner nassen Wäsche gelas-sen, so dass er gänzlich unbewaffnet ist.

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Jetzt nehmen alle die Geräusche war. Sie kommen von rings umher.

"Spürt ihr das?" fragt Ingalf aufgeregt in die Runde. "Es sind wieder die Spinnen! Aber diesmal sind es vie-le!"

Er versucht zu erkennen, um wieviele Spinnen es sich handeln könnte und ob ein Kampf sinnvoll ist.

Bislang ist sind nur Geräusche zu hören und ab und zu ist mal ein smaragdfarbenes Aufblitzen zu sehen. Die Spinnen scheinen überall rings herum zu sein.

Trotz der Neugierde, die ihn überfallen hat, blickt Ed-ric sich besorgt nach den Maultieren um.

Die Maultiere sind ganz ruhig. Sie knabbern an eini-gen Büschen.

"Die Tiere scheinen sie nicht zu beeinflussen." vermu-tet Edric, da die Maultiere ruhig weiterfressen. 'Das heißt, sie wollen was von uns!' stellt er fest und dieser Gedanke beruhigt ihn ganz und gar nicht.

"Das wundert mich nicht," entgegnet ihm Rovena und versucht, ruhig zu bleiben und keine Angstgefühle auszusenden, "schließlich wollen die Spinnen be-stimmt Beute machen, oder glaubst du, sie wollen uns nur zum Essen einladen? Wir sollten die Maultiere nicht sich selbst überlassen, sie können die Gefühlsäu-ßerungen der Spinnen vermutlich nicht spüren." Auf-merksam beobachtet sie weiter das Gebüsch rundum.

Hesander wiegt den Kopf langsam hin und her und meint: "Oder aber sie lassen sie spüren, dass sie keine Gefahr darstellen."

Erneut konzentriert sich Hesander und denkt sozusa-gen bewusst intensiv: 'Was wollt Ihr von uns? Wenn Ihr ein Begehr habt, dann kommt aus dem Gebüsch hervor und teilt uns mit, was es ist.'

"Können Spinnen schwimmen?" fragt Ingalf in die Runde. "Vielleicht sollten wir uns mit den Maultieren ins Wasser zurückziehen, denn schießen können sie wohl nicht!"

"Das habe ich mir auch gerade überlegt," erwidert Ro-vena. "Ich denke nicht, dass sie schwimmen können. Zumindest sollten wir ans Ufer, damit wir das Wasser im Rücken haben und nicht gänzlich von ihnen um-zingelt sind."

Sie schaut in Richtung des kleinen Teichs und geht, das Gebüsch um sie herum im Auge behaltend lang-sam auf das Wasser zu.

Upps, in den Büschen zwischen dem Lagerplatz und dem Teich sind offensichtlich auch schon Spinnen.

Und dann bricht plötzlich die Hölle los: Aus allen Richtungen krabbeln im ersten Moment unüberblick-bar viele Spinnen aus dem Gebüsch auf die Gruppe los.

Ingalf versucht, die Spinnen - wie er es ja schon ein-mal getan hat - durch einen Scheinangriff zu ver-

scheuchen. Die Spinnen gehen darauf kein bisschen ein, sondern rücken weiter vor.

Ingalf versucht, mit dem Schild eine Gasse zu schie-ben, um ans Wasser zu gelangen. Die ersten Spinne schafft er tatsächlich wegzuschieben, aber dann ist Schluss. Die Viecher stehen zu dicht. Und jetzt wollen ihn tatsächlich zwei beißen! Er weicht aus, und jetzt kennt er kein Halten mehr. Mit seiner Orknase geht er brutal gegen die Übermacht vor. Abgetrennte Spin-nenbeine fliegen.

"Wenn … ihr … mich … nicht … in Ruhe … lasst …" bei jedem Wort hagelt es Schläge mit der Orknase auf die Spinnen, "… dann … lass' … ich … euch … auch … nicht … in Ruhe!"

Die große Axt des Thorwaler singt ein Lied des Ver-derbens und hinterlässt Spinnengulasch.

Als der Angriff der Spinnen losging, hat sich Kawi erst in Richtung Ingalf durchgeschlagen, aber dort wird es dem Welpen eindeutig zu wild und er versucht aus dem Kampfgetümmel zu fliehen.

Die Spinnen ignorieren den Welpen vollkommen.

Wie ein Fels in der Brandung steht Elgar da. Voll kon-zentriert auf sich selbst und sein Umfeld versucht er, den Spinnen keinerlei Gedanken oder Gefühle entge-genzubringen. Insbesondere Angst oder Furcht wären jetzt sicher das Letzte, das ihm helfen könnte.

Sicher fasst er den Stab mit beiden Händen, bereit, ihn sofort über dem Kopf kreisen zu lassen und sich in ein schützendes Feld zu hüllen.

Elgar hat den Überblick: Ingalf wütet mit seiner Or-knase in einem Pulk Spinnen. Edric und Rovena schaffen es ganz gut, sich mit ihren Stäben jeweils zwei Spinnen gleichzeitig vom Leibe zu halten. Me-lachath kämpft gegen drei Spinnen gleichzeitig, eine vierte liegt schon erschlagen da.

Ihm selbst nähern sich gerade zwei Spinnen von vorn, aber was macht eigentlich Hesander? Den sieht er im Moment nicht.

'Der wird wissen, was er tut.' verschwendet Elgar kei-nen weiteren Gedanken an den Geweihten. Fieberhaft überlegt er statt dessen, welche Strategie nun die beste ist. Zaubern, und sich selbst vorübergehend unan-greifbar machen? Einen Angriffszauber wirken und ein oder zwei Spinnen töten - keine Option. Es sind zu viele. So beschränkt er sich zunächst darauf, sich die beiden Angreifer mit dem Stab so lange vom Leibe zu halten, bis ihm eine zündende Idee kommt …

Hesander wird sich mit seinem Stab verteidigen, falls die Spinnen ihn angreifen. Währenddessen wird er versuchen, ein Gefühl von Enttäuschung und Verrat den Spinnen zu übermitteln.

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Die Spinnen greifen trotz seiner ausgesendeten Ge-fühle an, aber Hesander kann es vermeiden, gebissen zu werden.

Edrics erster Gedanke gilt den Maultieren. Sind sie in Gefahr? Nein, eindeutig nicht. Die Spinnen ignorie-ren die Maultiere vollkommen.

Dann: Wo ist sein Stab? Ah, da bei seiner noch nassen Wäsche. Edric schafft es, zwei Spinnen auszuweichen, die es eindeutig darauf abgesehen haben, ihn zu bei-ßen. Dann hat er seinen Stab. Jetzt hat er etwas besse-re Möglichkeiten, die Viecher abzuwehren.

Melachath reagiert sofort, zieht seinen Rabenschnabel, macht ein, zwei Schritte auf die nächste Spinne zu, um die anderen zu verteidigen, denn das ist es, was er am besten kann. Er greift sofort an. Mit einem macht-vollen perfekten Schlag zertrümmert er den Kopf der ersten Spinne, die sofort zusammenbricht.

Rovena überlegt fieberhaft. Wegfliegen? Für Sanftmut sind es wohl zu viele Spinnen, und sie greifen an-scheinend auch schon an. Also bleibt noch die Vertei-digung mit dem Kampfstab. Zwei Spinnen kommen auf sie zu. Die wollen eindeutig beißen! Aber mit ih-rem Kampfstab wehrt sie sie ab - für den Moment.

Sofort wendet er sich der nächsten Spinne zu. Dies-mal ist sein Schlag aber überhastet. Durch sein Vor-stürmen hat er sich ein wenig von den anderen ent-fernt, und jetzt wird er von drei Spinnen gleichzeitig angegriffen. Er kann nicht ausweichen, so dass alle drei mit ihren Zangen zubeißen können. Zwei Bisse durchdringen Melachaths Rüstung.

Die Bisse tun höllisch weh, aber das ist nicht das Schlimme. Melachath merkt es sofort: Gift! Sein Blick trübt sich.

Melachaths EntführungEr blinzelt ein bisschen und versucht, den Schleier wegzublinzeln. "Die sind giftig, lasst Euch nicht bei-ßen", ruft er den anderen zu.

Ingalf schaut, als der Schrei Melachaths ertönt, kurz von seinem Kampf gegen die Spinnen auf und sieht das Problem, das sich vor den Gefährten in Form von Spinnenkörpern aufbaut.

"Das hättet ihr nun wirklich tun sollen!" ruft er der Wand aus Spinnenkörpern zu und beginnt, sich eine Schneise zu dem Aranier zu schlagen.

Immer wieder trifft Ingalf, da die Spinnen aber nicht mehr angreifen, sondern nur noch verteidigen und zu-sätzlich ihr Panzer ziemlich widerstandsfähig ist, wird aus der angestrebten Schneise nichts. Die Spinnen ar-beiten fast militärisch koordiniert zusammen. Da er der stärkste Gegner ist, wechseln sich seine Gegner in kurzen Abständen ab.

Und Ingalf setzt alle Tricks und Finten des Axtkamp-fes ein, um seinen Gefährten zu Hilfe zu kommen.

Dabei merkt er allerdings schon, dass seine Kraft ge-gen die zahlenmäßige Übermacht der Spinnen er-lahmt.

Allerdings schafft er nacheinander noch zwei weitere dieser zähen Biester. Ihre natürlichen Panzerungen sind nur schwer zu knacken.

Verbissen erwehrt sich Rovena der auf sie eindringen-den Spinnentiere. Ihre Gedanken überschlagen sich, es fehlt ihr an einer wirkungsvollen Waffe, um den Angreifern, die auf Töten aus sind, den Garaus zu machen.

Die Krähen zu rufen, dazu reicht die Zeit nicht. Sich doch besser einfach aus der Gefahrenzone in die Luft schwingen, um ihre Kräfte zu schonen …? Wütend funkelnd sie mit ihren smaragdgrünen Augen die im-mer wieder angreifenden Spinnen an. Plötzlich hört sie Melachath rufen, sieht ihn zusammenbrechen und die Spinnen Aufstellung nehmen …

Dann will er sich ganz langsam zu den anderen zu-rückzuziehen und versucht, einen Rundumschlag knapp über dem Boden, da er hofft, dass die Spinnen nicht auch noch gute Springer sind.

Aber daraus wird nichts. Ihm wird schwarz vor Augen. Dass er zusammenbricht, bekommt er gar nicht mehr mit.

Alle anderen haben Melachaths Ruf gehört. Als er zu-sammenbricht, ändern die Spinnen schlagartig die Strategie. Sie ziehen sich von ihren Gegnern zurück und bilden eine dichte, gestaffelte Reihe zwischen dem gestürzten Melachath und anderen, was ihnen durch den Umstand erleichtert wird, dass Melachath sich von den anderen durch seinen Angriff entfernt hat.

Von dem Ruf alarmiert, schaut Edric auf und sieht, wie der Aranier zusammenbricht. Furcht macht sich in ihm breit, so schnell, wie das Gift doch wirkt. Aber er weiß auch, das Spinnengift nicht tötet sondern das Opfer nur betäubt - zumindest bei den kleinen Spin-nen.

So versucht er sich zum einen die Spinnen vom Leib zu halten, damit er nicht gebissen wird, und sucht zum anderen eine Möglichkeit, dem Aranier zu Hilfe zu kommen.

Er hat damit aber keinen Erfolg. Immerhin schafft Edric es, nicht selbst gebissen zu werden.

Und dann ist der Kampf plötzlich vorbei, die Spinnen ziehen sich zurück, aber Melachath ist von den Spin-nen entführt worden.

Mit Erleichterung stellt Elgar fest, dass ihn die beiden Spinnen nicht länger bedrängen. Als er sich umsieht und den Grund dafür in Melachaths misslicher Lage erkennt, ist sein erster Gedanke: Hilfe!

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Sein zweiter Gedanke ist da schon etwas konkreter: 'Wir müssen ihn da heraus holen!' Dazu ruft er: "Wir dürfen sie nicht entkommen lassen!" und nähert sich der Reihe, um eine der zurückweichenden Spinnen mit dem Stab zu erwischen. Kräftig wirbelt er die Waf-fe und lässt im letzten Moment eine Flamme an der Spitze entstehen. Mit dieser schlägt er kräftig zu und - trifft! Den angerichteten Schaden kann er nicht gleich überblicken.

Der Panzer der Spinne ist ordentlich versengt, aber einen Durchbruch durch die Reihe gelingt Elgar durch diesen einen Angriff nicht.

'So schaffen wir das nicht!' fährt es Elgar durch den Kopf, als er das Resultat seines Angriffs erkennt. Erst dann geht ihm auf, dass die Spinnen vielleicht seine Gedanken lesen können und er verflucht sich im Stil-len für seine Unbeherrschtheit.

Hesander hebt seinen Kampfstab gen Himmel und ruft: "Oh Herrin Rondra, leite unsere Klingen, auf dass wir unseren Kameraden retten werden. Oh Her-rin Peraine, bewahre uns davor, Opfer eines Bisses die-ser Spinnen zu werden. Los, lasst ihn uns raushauen!" feuert Hesander die Gruppe an und macht Anstalten, die Spinnen anzugreifen.

Rovena nimmt die Rufe Hesanders und Elgars nur am Rande wahr, so sehr ist sie von ihren Gefühlen über-mannt. Melachath schwebt in Gefahr, keiner ist bei ihm, ungeschützt ist er den Spinnen ausgeliefert!

Entschlossen nimmt sie ihren Stab zwischen die Schenkel, streicht zärtlich über sein glattes Holz, presst ihn an sich. "Jetzt, mein Liebster, mein Bester, jetzt ist es wieder an der Zeit … steige hoch, fliege, trage mich … hinüber zu ihm!" drängt sie ihn. Der ebenholzschwarze Stab zittert, das Holz erbebt unter ihren Händen, sie meint zu spüren, wie er sich erhär-tet, als spanne er seine Muskeln zum Sprung und als sie sich kräftig abstößt, steigt er mit ihr in die Lüfte.

"Lenkt die Spinnen ab, beschäftigt sie irgendwie! Ich versuche, zu ihm zu fliegen, sie von ihm abzuhalten. Hoffentlich kann ich noch helfen …" ruft sie ihren kämpfenden Gefährten zu, als der Wind in ihre schwarzen Haare fährt und die silbernen Strähnen darin aufblitzen lässt.

Aus der Höhe gewinnt Rovena schnell einen Über-blick. Außer der von Melachath erschlagenen Spinne liegen noch zwei mehr bewegungslos da. Die muss In-galf geschafft haben. Noch ein volles Dutzend sind zwischen Melachath und ihren vier Kampfgefährten im Abwehrkampf. Und vier Spinnen sind dabei, Me-lachath wegzuschleppen. Er wird zwischen die Bäume gezerrt.

"Sie entführen ihn!" Ein entsetzter Aufschrei ist aus der Luft zu hören, Rovena fliegt über die Front der Smaragdspinnen und landet einigermaßen passabel

auf der anderen Seite, im angemessenen Abstand zu den vier Spinnen, die Melachath mit sich schleifen. Schnell bückt sie sich und hebt einen kräftigen Ast vom Boden auf. Ihre smaragdgrünen Augen sprühen vor glühender Wut. "Oh nein, ihr werdet ihn nicht so einfach mit euch nehmen, ihr elendes Gezücht!"

Ihren Stab in der linken Armbeuge wirbelt sie den Holzstecken in der rechten Hand und schleudert ihn mit einem lauten, wütenden Schrei auf die vier Spin-nen zu. Und der Stecken findet sein Ziel, will auf die Spinnen einprügeln und sie von ihrem Vorhaben ab-halten.

Eine der Spinnen lässt plötzlich von dem Aranier ab, richtet sich auf zwei ihrer vier Beinpaare auf und stellt sich dem wild schlagenden Stecken entgegen. Sie lenkt die Aufmerksamkeit des Steckens völlig auf sich und macht Rovenas Absichten, die Spinnengruppe aufzuhalten, zunichte.

Wie eine Furie stürzt sich das verhexte Holz auf das aufgerichtete Spinnentier und setzt ihm übel zu, die Spinne kann sich der Schläge und Stöße kaum erweh-ren und bricht nach einiger Zeit schwer geschlagen und ohnmächtig zusammen.

Derweil jedoch zerren die anderen drei den bewusst-losen Aranier immer weiter ins Unterholz des Waldes. Rovena kann nur hilflos zusehen, wie sie ihn in Rich-tung Nordosten mit sich schleifen.

Endlich gelingt es ihr, als die Spinne zusammen-bricht, den Stecken zur Ruhe zu bringen, bevor sie sel-ber völlig erschöpft ist. Sie starrt fassungslos auf die Stelle des Unterholzes, an der die Spinnen mit ihrem Opfer verschwunden sind. Ein verräterischer, feuchter Schimmer tritt in ihre Augen, als diese sich mit Trä-nen füllen und eine nasse Spur auf ihren Wangen hin-terlassen. 'Nun ist er den Spinnen allein ausgeliefert, wenn er noch lebt … und es sah doch so aus, als ob gerade er sich vor ihnen fürchtet …' Erinnerungen an ihr Gespräch mit ihm über den Tod drängen sich in ihre Gedanken … sie fühlt sich elend.

Mühsam schluckt sie ihre Tränen herunter, läuft zu der Stelle, wo Melachath zu Boden stürzte und hebt seinen Rabenschnabel auf. Mit der Waffe in der Hand dreht sie sich nun zu der Spinnenfront und ihren Ge-fährten um und stellt sich drohend neben das nur ohnmächtige, vierte Spinnentier.

Die Spinnenfront löst sich plötzlich auf. Haben die Helden gerade eben noch ein Gefühl großer Ent-schlossenheit gespürt, ist plötzlich freudige Erleichte-rung zu empfinden. Die Spinnen zerstreuen sich in alle Himmelsrichtungen. Nur Rovenas bewusstlos ge-prügelte Spinne und fünf weitere tote Spinnen (bis auf die erste von Melachath erschlagene, gehen die ande-ren alle auf Ingalfs Konto) bleiben vor Ort zurück.

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Trotz aller Bemühungen gelingt es Hesander nicht, an den Spinnen vorbeizukommen. Und dann ist der Kampf plötzlich vorbei, die Spinnen ziehen sich zu-rück. Hesander schaut sich um. Melachath ist ver-schwunden.

Ingalf sieht den fliehenden Spinnen fast ein wenig enttäuscht hinterher, dann dreht er sich zu den Ge-fährten um: "Seid ihr alle in Ordnung? Wir sollten jetzt schleunigst unsere Sachen zusammenpacken und dann nix wie hinter diesem Spinnenviehzeuch hinterher!"

Ohne lange auf Antworten zu warten reinigt er seine Orknase im Gras, dann packt er alles was er findet auf den Maulesel und wartet darauf, dass die Gefährten ebenfalls fertig werden.

Der Weg geht geradeaus nach Norden. Der kleine Bach kommt von rechts, also Osten. Die Spinnen ha-ben sich dazwischen in die Büsche geschlagen, also Richtung Nordosten.

Nachdem sich Ingalf orientiert hat, sagt er zu den Ge-fährten: "Die Spinnen sind diesen Kurs" - er weist nach Nordosten - "gelaufen. Auch wenn es dorthin vom Fluss weg und tiefer in den Wald führt, müssen wir dahin und Melachath rausholen! Also können wir los?"

"Ja!" ist alles, das die Gefährten von Elgar vernehmen können. Er hat innerhalb kürzester Zeit seine Sachen beisammen und ist abmarschbereit. "Holen wir ihn da 'raus!" erwidert er finster.

Fast könnten sogar seine Freunde bei dem Anblick sei-ner Gesichtszüge Angst bekommen. Eins ist klar: Mit Elgar ist jetzt nicht mehr gut Kirschen essen.

Edric zieht seine noch nicht getrocknete Kleidung wieder an und trägt den Mantel darüber. Er wird sich nachher näher ans Feuer setzten und einen aranischen Tee mehr trinken müssen. So kalt, dass er gleich be-fürchten muss eine Rotz zu kriegen, ist es zum Glück noch nicht.

Bei dem Gedanken an den Aranier verziehen sich leicht die Mundwinkel in seinem plötzlich harten Ge-sichtszügen. "Wir können!" bemerkt er knapp, nach-dem er beim beladen der Maultiere geholfen hat.

Langsam gewinnt auch Rovena ihre Fassung zurück. Mit zusammengepressten Lippen geht sie zum Feuer, wo sie gerade gegessen hatten, löscht es und nimmt ihren Beutel auf. Dann hilft sie Edric, die Sachen zu packen und auf die Maultiere zu laden. Wortlos ver-staut sie den Rabenschnabel bei Melachaths Speeren, nimmt an seiner Stelle den Führungszügel des Tieres in die Hand und führt es dorthin, wo die Spinnen mit ihrem Opfer verschwunden sind.

'Warum habe sie nur einen von uns geholt und wo sind sie mit ihm hin?' Diese Gedanken kreisen in ih-rem Kopf. Bei der reglos am Boden liegenden Spinne

bleibt sie kurz stehen. "Was machen wir mit ihr?" fragt sie tonlos ihre Gefährten.

"Nichts!" kommt es kurz und knapp von Ingalf.

"Ich würde sie gern untersuchen, wenn wir Zeit ha-ben." meint Elgar mit einem Seitenblick. "Mein ihr, wir können sie irgendwie mitnehmen? Sicher verstaut - versteht sich, oder die Beine extra auf den zweiten Maulesel verladen." ergänzt er seinen Vorschlag. Ein begieriges Blitzen ist in seine roten Augen getreten.

"Warum willst Du die mitnehmen?" fragt Ingalf. "Da, wo wir hingehen, gibt es genug von den Viechern … Und", fügt er mit einem fast zärtlichen Streicheln über die Orknase hinzu, "wenn wir mit ihnen fertig sind, dann auch in allen möglichen Zuständen!"

"Sie lebt noch," wendet die junge Hexe ein, ihre Miene wirkt noch immer versteinert. "Vielleicht ist es mög-lich, von ihr in Erfahrung zu bringen, warum sie nur einen von uns geholt haben und wohin sie ihn schlep-pen. Kam euch der Überfall nicht auch geplant vor? Als wenn sie einen Auftrag oder Befehl ausgeführt hätten. Sie waren uns zahlenmäßig überlegen und hätten noch mehr Beute machen können," äußert sie nun laut ihre Gedanken, die sie schon die ganze Zeit beschäftigen.

"Bei Swafnir!" entfährt es Ingalf. "Dann befrag' das blöde Viech, aber mitnehmen werden wir sie nicht!" 'Außerdem glaube ich kaum, dass die Esel so etwas tragen werden …' fügt er in Gedanken hinzu.

"Ich kann sie Euch fesseln", bietet sich Edric an. Auch er sieht keinen Sinn darin die Spinne mitzunehmen.

"Ob das bei einer Spinne wirklich funktioniert, be-zweifle ich." antwortet Elgar.

"Ihr könntet sie dann später untersuchen", fügt er noch hinzu.

"Ingalf hat Recht. Wir werden sicher noch genug Spinnen finden, sobald wir Melachath gefunden ha-ben. Es sei denn, jemand von euch versteht sich auf die Kommunikation mit diesem Arachnoiden und kann seine 'Gedanken' lesen." wendet er ein.

Die Spinne fängt wieder an, sich zu regen.

Um kein Risiko einzugehen, stößt ihr Elgar mit aller Kraft den Zauberstab in den Leib. Dabei meint er: "Ingalf, wärst du so freundlich, mir zur Hand zu ge-hen?"

Statt einer Antwort ist nur das Singen des tödlichen Axtblattes in der Luft zu hören …

Das gibt der Spinne endgültig den Rest.

"Das war unklug", meint Hesander trocken. "Wenn wir ihr gegenüber Gnade gezeigt hätten, dann hätten wir vielleicht verhandeln können. Schade."

Mit diesen Worten reiht sich Hesander ein und folgt den anderen.

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Rovena starrt auf die Spinne, schließt kurz die Augen und dreht sich weg. Stumm richtet sie ihren Blick ent-schlossen auf das Unterholz, wo sie die Spur aufneh-men werden. 'Wir werden dich finden …'

GrisbartAus dem Gebüsch, wo die Spinnen mit Melachath verschwunden sind, ist plötzlich ein dumpfes Stöhnen zu hören.

Misstrauisch wendet sich Elgar dem Gebüsch zu und strebt darauf zu. Den Zauberstab hat er vor sich gehal-ten wie einen Fidibus, mit dem er jederzeit ein "wär-mendes Feuer" entfachen kann.

"Heraus da! Wer versteckt sich?" fordert er laut.

Es ist nur ein erneutes Stöhnen zu hören.

Mit einem "Wenn das noch 'ne Spinne ist, dann stöhnt sie nicht mehr lange!" nimmt Ingalf seine Orknase und schiebt mit dem Blatt das Gebüsch auseinander.

Auf alles gefasst, folgt Elgar den vorausgehenden In-galf und Hesander.

Hesander hört genauer hin. Könnte dieses Stöhnen von Melachath stammen?

Das vermag Hesander nicht zu beurteilen.

Dann läuft er Ingalf hinterher, um Melachath zur Hilfe zu kommen.

Unter einem Busch liegt etwas oder jemand. Als In-galf, gefolgt von Hesander genauer nachschaut, sehen die beiden, dass dort ein Zwerg liegt, der wohl gerade aus einer Ohnmacht erwacht. Er ist klein (selbst für einen Zwerg) und korpulent. Er trägt eine graue Filz-kappe und ein langes Kettenhemd. Der graue Bart ist zu vier dicken Zöpfen geflochten und unter den Gür-tel gestopft. Sein Gesicht mit der weit vorspringenden, fleischigen Nase ist wettergegerbt. Waffen sind nicht zu sehen.

Edric beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfer-nung, damit dem Maultier nichts geschieht. "Wen habt ihr da?" fragt er neugierig.

"Es ist ein … Zwerg!" gibt Ingalf seinen Gefährten be-kannt.

"Einen - äh - kurzen Zeitgenossen." antwortet Elgar mit einem Grinsen. Dabei hält er seine ausgestreckte rechte Hand ungefähr in Hüfthöhe, um dem Hirten die Größe zu demonstrieren.

"Entweder er hat einen festen Schlaf oder er ist ver-letzt … Elgar, das ist vielleicht doch eher Dein Gebiet!" Ingalf tritt beiseite, um dem Magier Platz zu machen.

Eigentlich will Elgar sagen: 'Wie kommst Du darauf, dass ich etwas über Zwerge weiß?' Aber dann fällt ihm ein, dass Ingalf möglicherweise den körperlichen Zu-stand des Zwerges meint.

So kniet er sich neben den Zwerg und legt seinen Stab ab. Dann untersucht er ihn schnell und gründlich nach offensichtlichen Verletzungen.

Der Zwerg hat keine offensichtlichen Verletzungen.

Ein weiteres Stöhnen kommentiert er mit den Worten: "Halt still! Wir sind Freunde und werden Dir helfen."

Langsam scheint der Zwerg zu erwachen. Noch ohne die anderen so richtig wahrgenommen zu haben, wandern seine Hände zu seinem Geldbeutel und tas-ten die Arme und Beine ab. Das Abtasten wird zuneh-mend hektischer und der Zwerg erwacht auch schnel-ler. "Alles weg", ist kurz zu vernehmen. Er dreht sich um und tastet, ohne die anderen zu beachten, im na-hen Gebüsch. "Meine Axt, mein Geld, mein Rucksack, meine Falle. Alles weg."

Auf einmal wird ihm gewahr, dass andere anwesend sind. Er richtet sich auf und geht einen Schritt zurück. "Wer seid ihr? Und was wollt ihr hier?" kommt etwas zögerlich über seine Lippen. 'Ob die meine Ausrüs-tung und mein Geld geklaut haben?'

Vorsichtig nähert sich jetzt auch Rovena. Als das Stöh-nen zu vernehmen war, hatte sie noch Hoffnung ge-habt, dass die Spinnen Melachath zurückgelassen ha-ben könnten, aber als Ingalf von einem Zwerg spricht, verengen sich ihre Augen vor Enttäuschung. Sie hält sich mit dem Maultier im Hintergrund und beobach-tet den Zwerg argwöhnisch.

Ingalf kontert mit einem: "Wer bist Du? Und was willst Du hier?"

"Ich bin Grisbart. Hier ist mein Teil des Waldes. Oder zumindest hier in der Nähe. Ich …" er zögert kurz. "… lebe hier. Aber das wird ohne meine Ausrüstung wohl jetzt ziemlich schwierig werden. Und wer seid ihr? Hat euch Horngrimm geschickt?"

"Uns hat Garhelt, die Hetfrau, geschickt." antwortet Ingalf. Dann holt er weiter aus: "Wir sollen das Ork-land kartographieren. Das ist Elgar, der Magier, Rove-na …" - als er sie vorstellen will, zögert er kurz und lässt dann '… die Hexe …' aus - "Edric, mein Freund, ich bin Ingalf und der da ist Hesander. Wir wurden von Spinnen überfallen, die unseren Freund Me-lachath entführt haben, und den wollen wir jetzt wie-derholen! Und wer ist Horngrimm?"

Während Ingalf redet, ist Elgar wieder aufgestanden, hat seinen Stab ergriffen und meint zu den Umste-henden: "Dem fehlt nichts. Nur ein dicker Kopf vom Saufen."

"Spinnst du? Ich habe seit zwei Jahren kein Bier mehr gesehen. Mich haben Spinnen erwischt, als ich meine Trinkwasservorräte aufgefüllt habe."

Auf Ingalfs Frage antwortet er: "Horngrimm ist ein elender Geldeintreiber aus Tiefhusen, dem ich Geld für meine Ausrüstung schulde. Und da ich bisher noch nicht viel Gold hier gefunden habe, obwohl ich

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schon drei Jahre hier lebe, und noch weniger an Horngrimm weitergeleitet habe, hat er schon mal eini-ge Leute losgeschickt. Die haben die Spinnen erwi-scht. Habt ihr meine Ausrüstung?"

Er schaut sich kurz um, ob er irgendwelche seiner Ausrüstungsteile sieht. "Alles weg", murmelt er in sei-nen Bart. "Lasst uns erst einmal weg vom Wasser ge-hen. Die Spinnen sind immer in der Nähe des Was-sers."

"Toll, und wir wollten uns im Wasser verteidigen!" grummelt Elgar zu sich selbst. "Aber wer kommt schon darauf, dass die Spinnen das Wasser als ihren Tummelplatz ansehen!?" stellt er eine rhetorische Fra-ge.

Ingalf zuckt mit den Schultern und wendet sich dann an den Zwerg: "Wenn Du soviel von den Viechern weiß, dann kann Du uns auch helfen, oder? Wo kön-nen sie denn hin sein?"

"Genau. Wohin haben die arachnoiden Wesen mit den transmentalen sensi unseren aranischen Freund hin verschleppt?"

"Klar kann ich Euch helfen. Aber soviel weiß ich nun mal auch nicht über diese Spinnen.

Ich weiß nur, dass sie immer in der Nähe des Wassers lauern. An diesen ganzen kleinen Seen, die sich wie eine Perlenkette durch den Wald ziehen. Man muss vorsichtig sein, wenn man Trinkwasser holen will. Wenn ich mich richtig erinnere, war es eigentlich gut, von den Spinnen gebissen zu werden. Man hatte ein richtig gutes Gefühl."

Aufmerksam lauscht Rovena den Worten des Zwerges. Der Biss und das Gift dieser Spinnen ist also nicht so gefährlich wie sie befürchtet hat? Das beruhigt sie, denn dann wird der Aranier noch am Leben sein, wenn ihn die Spinnen wirklich nur entführt und nicht gefressen haben.

Mit einem Grinsen fährt er fort. "Ach ja. Wir waren noch beim Helfen stehen geblieben. Ich würde Euch ja helfen, wenn ihr mir dafür auch etwas helft. Ich bräuchte zum Beispiel eine Waffe und ein kleines biss-chen Ausrüstung, wenn ich weiter hier leben will. Und das habe ich ja vor, wenn ihr euren Freund ge-funden habt. Ich bin ganz sicher, dass ich hier irgend-wann was finde."

"Wann wurdet Ihr denn von den Spinnen überfallen?" mischt Rovena sich jetzt in die Unterhaltung ein. 'Wer könnte seine Ausrüstung gestohlen haben? Die Spin-nen doch sicherlich nicht … wie lange wirkt dieses Gift?' überlegt sie und muss an den Mann denken, den sie, erschlagen mit einer Axt, gefunden haben.

An den Zwerg gewandt fragt Elgar: "Ich hatte gedacht, Ihr wisst etwas über den gewöhnlichen Aufenthalt der Arachnoiden, nachdem sie jemanden entführt haben, nicht wo sie auf Beute lauern. Gibt es ein antidotum

gegen den Biss der Spinnen oder verflüchtigt sich die Wirkung später von selbst? Beißen die Spinnen er-neut, wenn die Wirkung vergeht?" ein ganzer Schwall Fragen sprudelt aus dem Magier hervor und nur das dringende Bedürfnis zum Luftholen verschafft Gris-bart eine Antwortmöglichkeit.

Nachdem Elgar und Rovena den Zwerg mit Fragen bombardieren, zieht sich Ingalf zu Edric und Kawi zurück.

"Was meinst Du", fragt er seinen - im positiven Ge-gensatz zu dem Zwerg - wenig redseligen Freund, "können wir ihm Melachaths Rabenschnabel leihen und ihm was von der Ausrüstung geben. Wir haben ja ziemlich viel …"

"Das sollten wir tun." antwortet Edric ernst. "Ich glau-be aber nicht das es die richtige Waffe für einen Zwerg ist."

"Das wohl!" meint Ingalf.

Dann fügt er grinsend hinzu: "Aber wenn ich ihm die alte Orknase gebe, die fast so groß ist wie er, ist ihm auch nicht geholfen … Und ganz ohne Waffe, wenn er uns gegen die Spinne hilft?"

"Vielleicht ein Messer", überlegt Edric. "Das ist fast so lang wie sein Unterarm. Oder er bekommt das Beil."

"Das wohl!" Ingalf muss bei der Vorstellung kichern. "Ich hatte erst an einen Schneidzahn gedacht, aber da trifft er sich wohl eher selber mit. Aber das Beil ist 'ne gute Idee. Das wohl!"

"Also. Eins nach dem anderen." geht Grisbart auf El-gar und Rovena ein. "Wir haben ja Zeit. Ich habe kei-ne Ahnung, ob die Spinnen erneut beißen, immerhin war ich nicht bei Bewusstsein. Was sind Arachdinger? Meinst du damit Spinnen? Dann sag doch einfach Spinnen. Das versteht wenigstens jeder! Ich vermute mal dass sie an den Seen leben. Alles andere wäre sinnlos. Vielleicht leben sie sogar unter dem Wasser.

Meinst du mit Antidotum Gegengift? Dann sag doch einfach Gegengift. Es gibt ein gutes Gegengift. Ein-fach weg von den Seen. Die Spinnen leben an den Seen. Sie fangen Fische. Die Seen sind alle wie eine Perlenkette. Sie sind mit Sicherheit nicht natürlich so. Am Rand sind kleine Dämme. Die Spinnen spannen tagsüber ihre Netze dort und fangen Fische. Kleine schmeißen sie wieder rein und große tragen sie fort."

An Rovena gewandt fährt er fort: "Ich weiß nicht, wann ich gefangen wurde. Gestern Abend oder vor-gestern Abend. Aber da ich eigentlich kaum Hunger habe, würde ich sagen gestern Abend."

Als Ingalf die Zurechtweisungen des Zwerges hört, grinst er Edric zu: "Gar nicht so übel, der Kleine!"

Auch Edric nickt grinsend.

Dafür ernten beide von Elgar einen Seitenblick mit kraus gezogener Stirn. Allerdings geht der Magier

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nicht weiter darauf ein und fragt statt dessen: "Eben hieß es noch, wir sollten schnell vom Wasser weg, jetzt sagt Ihr, wir haben alle Zeit. Ich schlage vor, wir verta-gen die Laberstunde und ziehen uns erst einmal zu-rück."

"Das wohl! Das wohl!" kommt es aus dem Hinter-grund.

Rovena schaut Elgar mit großen Augen an. "Wohin sollen wir uns zurückziehen? Wir müssen den Spin-nen folgen, solange die Spur noch frisch ist," erklärt sie mit spürbarer Entrüstung.

"Rückzug vom See beinhaltet nicht die Richtung." be-lehrt er Rovena. "Wir können uns genauso gut vom See in Richtung der flüchtenden Spinnen zurückzie-hen." Über diese offensichtlich klare Tatsache und Ro-venas diesbezügliches Unverständnis schüttelt er nur den Kopf.

'Dann drück' dich gleich deutlich aus,' scheinen Ro-venas Augen zu sagen, die den Magier vorwurfsvoll anfunkeln.

"Außerdem rennt hier noch jemand mit Grisbarts Axt herum …" Sie betrachtet den Zwerg misstrauisch und fragt ihn lauernd: "Wer lebt denn außer Euch noch in diesem Wald? Wir haben vorhin einen mit einer Axt erschlagenen, weißhaarigen Mann in einer Blockhütte gefunden. Wisst Ihr etwas über ihn?"

"Borruk? Der hat hier schon Gold gefunden, aber er hat es versoffen. Und jetzt findet er nichts mehr. Der lebt auch schon eine ganze Weile in dem Wald. Sonst lebt hier kaum einer. Vielleicht eine Hand voll Men-schen, wenn man die mitzählt, die nur ab und zu mal hier sind. Man muss schon große Hoffnung oder große Verzweiflung verspüren, um hier zu leben."

"Er lebte hier im Wald," erwidert Rovena nur kurz, nachdenklich. "Wir haben ihn und seine Hündin be-graben."

"Also los!" fordert er die anderen nachdrücklich auf und winkt Edric mit dem Maultier heran. "Lasst uns gehen, jetzt!"

Ohne weitere Worte nimmt sie das Maultier kürzer an die Leine und setzt hinter Elgar in Bewegung.

Hesander hat sich die Unterhaltung bis jetzt still-schweigend angesehen. In einem Moment, wo der Zwerg nicht mithören kann, fragt er Rovena: "Wäre es nicht auch denkbar, dass ER den alten Mann …", dann fügt er hinzu: "Immerhin wissen wir nicht wirk-lich viel von ihm."

Zweifelnd wiegt Rovena den Kopf, obwohl auch sie ähnliche Gedanken hegt. "Wir wissen nicht, wie lange dieser Borruk schon tot ist, Hesander, und ohne Be-weise können wir dem Zwerg keine Schuld zuweisen," erwidert sie dem Geweihten leise.

"Denkbar wäre es, steht er doch in einer Schuld. Aber genauso ist es möglich, dass auch er ein Opfer eines dieser Wahnsinnigen oder Verzweifelten ist, von denen er sprach. Wir müssen sehr aufpassen und dürfen ihn nicht aus den Augen lassen. Ich traue ihm nicht." Sie schaut Hesander an, ihre Augen wirken müde. Seit dem Kampf gegen die Spinnen fühlt sie sich recht er-schöpft, nur die Sorge um das Schicksal des Reisege-fährten treibt sie unermüdlich vorwärts.

Hesander sieht Rovenas müde Augen und versteht. "Was unserem Gefährten zugestoßen sein mag, das liegt allein in der Hand der Götter. Ich werde jeden Morgen und Abend für sein Seelenheil beten und hof-fe, dass wir ihn lebendig wiederfinden."

"Wenn Ihr zu Euren Göttern betet, dann vor allem auch zu seiner Göttin, dass sie auf ihn achten soll …" Rovena presst kurz die Lippen zusammen. Dann fügt sie noch ruhig, mit gefährlich leiser Stimme hinzu: "Wer oder was auch immer dahinter steckt, wir werden es schon herausfinden." Ihr Blick richtet suchend sich auf den Boden und die Büsche, während sie vorsichtig weiter geht, leicht auf ihren Stab gestützt.

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3. Tag: VerfolgungDie erste Spur

ie Spur der Spinnengruppe ist leicht zu verfol-gen. Nach wenigen Minuten kommen die Ver-

folger an einen weiteren Teich.DDDie Spur führt am Seeufer entlang. Die vorn gehende Rovena wird plötzlich von einem Räuspern Grisbarts gestoppt.

Die Hexe hält sofort inne, bringt das Maultier zum Stehen und dreht sich zu dem Zwerg herum. "Was ist?" fragt sie ihn und schaut sich misstrauisch um.

Rovena fällt nichts auf.

Von Rovenas Verhalten aufmerksam gemacht, sieht auch Elgar sich um: "Was ist? Was hast du?" raunt er Rovena zu. Unablässig mustert er die Umgebung.

Auch Hesander wird nach Rovenas Aufmerken miss-trauisch und behält die Umgebung im Auge. Er wird jedoch versuchen, sich nichts anmerken zu lassen. 'Oh Ihr Götter, was habt Ihr mit uns vor?' fährt es ihm durch den Kopf.

Auch Edric bleibt stehen und schaut sich um, kann je-doch nichts ungewöhnliches entdecken.

"Der Zwerg hat ein Zeichen gegeben," antwortet Ro-vena ihm genauso leise und lässt Grisbart nicht aus den Augen.

Ingalf, der mit Kawi wieder etwas zurückgeblieben war, kommt als letzter zu der stehenden Gruppe und schaut sich ebenfalls - erfolglos - um und wartet die Erklärungen Grisbarts ab.

"Ähm, da vorne ist "Chamäleon-Springkraut". Das Zeug schleudert seine Sporen in die Luft, wenn man zu nahe kommt und das brennt auf der Haut und teil-weise brennt sich das auch durch die Kleidung.

Eigentlich muss man da näher rangehen, um das Zeug zu sehen. Dann sieht man, dass sich das Spring-kraut nicht so richtig in die Umgebung eingefügt hat. Allerdings ist man dann auch zu nahe dran.

Hmmm. Hier im Wald wohnt eine Zauberin. Die hat mir mal gezeigt, dass man die Dinger zu sich nehmen muss, damit man diese schon viel eher sieht. Sie hat dieses Kraut Basilaminen genannt. Ich muss heute morgen die Suppe gegessen haben." Er wird sichtlich nachdenklich. "Aber wenn die Suppe noch wirkt, dann muss ich ja heute morgen entführt worden sein und auch gar nicht so lange. Oh Mann. Hoffentlich finde ich meine Ausrüstung irgendwann wieder."

Der blonde Junge mit dem Maultier hört den Ausfüh-rungen interessiert zu. Ihn interessiert weniger die Zauberin, als dieses Springkraut. Chamäleon heißt es sicher, weil es sich tarnt, denn so hießen doch diese Tiere, die ihre Farbe verändern konnten … 'Und man

soll die essen? Wie soll das geschehen, wenn die so brennen? Oder isst man die Pflanze?' Er nimmt sich vor, später genauer nachzufragen.

Rovena hört dem Zwerg aufmerksam zu. Bei seinen letzten Worten verengt sie leicht die Augen, denn das hieße, dass er doch für den Tod Borruks verantwort-lich sein könnte, wenn er seine Axt heute morgen noch besessen hat.

Doch sie hat einige Fragen an ihn und entgegnet da-her mit ruhiger Stimme: "Basilamine, hm, von diesem Kraut habe ich noch nie gehört, meinen Dank für die Warnung. Doch sagt, wo stehen diese Pflanzen denn, die Ihr durch ihren Genuss wahrnehmen könnt?" In-teressiert schaut sie Grisbart an. "Und verzeiht meine Neugierde, aber diese Zauberin, lebt sie hier in der Nähe?" Sie ist hellhörig geworden, als der Zwerg diese Magiekundige erwähnte. Lebt etwa hier in diesem Wald eine Tochter Satuarias?

Er zeigt mit einem langen Ast auf das Kraut und meint: "Da. Das Kraut da passt nicht so richtig in die Umgebung. Das ist eine Basilamine."

Dann schaut er sich kurz um. "Ähm, wo die Zauberin wohnt, kann ich nicht so genau sagen. Die Seen hier sehen alle ziemlich gleich aus. Und das war etwas ab-seits von den Seen.

Ich hatte damals nach dem Metall gesucht und bin ir-gendwie über eine kleine Kate gestolpert. Da niemand dort war, habe ich da genächtigt, weil es regnete. Na ja. Und nach kurzer Zeit hat eine Stimme zu mir ge-sprochen. Die war unsichtbar, aber ich habe sie ir-gendwie gerochen." Er zeigt auf seine dicke Nase: "Die funktioniert nämlich noch ganz gut. Vielleicht sollte ich einfach vorgehen und wir machen um diese Pflanzen einen großen Bogen.

Wir könnten natürlich auch erst langsam und vorsich-tig ernten. Das dauert allerdings etwas, weil man zwei Handvoll von den Samen zu einer Suppe verkochen muss. Sagt mir, ob ihr mir zutraut, euch daran vorbei zu führen."

Neugierig blitzt es in Rovenas Augen auf, doch gleich wiegt sie zweifelnd den Kopf. "Es würde mich sehr in-teressieren, wie diese Samen gesammelt und der Sud zubereitet wird. Aber haben wir die Zeit dafür? Wir müssen so schnell es geht die Spinnen und unseren Gefährten finden", antwortet Rovena nachdenklich und schaut fragend in die Runde. Dann mustert sie wieder Grisbart Können sie ihm trauen? Zu gerne hätte sie auch mehr über diese Zauberin in Erfahrung gebracht, als der Zwerg zu wissen scheint. "Wie lange wird es denn dauern, bis diese Suppe fertig ist?" fragt sie nach.

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'Könnte man diese brennenden Samen nicht als Waffe gegen die Spinnen nutzen?' überlegt Elgar während der Erklärung. Dann fragt er: "Was denn für Metall?"

"Äh. Naja, dieses goldene. Deswegen lebe ich ja in diesem Wald. Hier gibt's Gold."

"Aha." ist alles, was er dazu meint. 'Zwergische Gold-gier ist also keine Übertreibung gewesen.' stellt er fest.

"Hmm", Ingalf zieht die Augenbrauen zusammen, "ich dachte zum Goldschürfen braucht man immer viel Wasser. Zumindest hab' ich das immer bei uns so gehört. Wie suchst Du denn ohne Wasser nach Gold?"

"Wichtig ist, dass das Wasser fließt, was es bei diesen Teichen ja eher nicht tut. Je nachdem wo ich schlafe, suche ich mir dann auch mal 'ne andere richtige Quel-le und ziehe dann weiter, wenn da kein Metall ist."

'Hmm', grübelt Ingalf, jetzt auch ein wenig von der Skepsis der anderen angesteckt, 'Das klingt so, als wenn sein er Gold in der Regel von 2-Beinern hätte …'

"Dann führe uns um diese Pflanzen herum." fordert er den Zwerg ungeduldig auf und ergänzt: "Gibt es noch mehr Pflanzen, vor denen wir uns hier in Acht neh-men sollten? In meiner Heimat gibt es zum Beispiel wunderschöne Blumen, deren Sporen man tunlichst nicht einatmen sollte, denn sonst lernt man Boron be-reits weit vor der Zeit kennen."

"Nicht nur in Deiner Heimat! Das wohl! Das wohl!" kommt es von Ingalf. Dann wendet sich der Thorwa-ler Kawi zu: "Und Du bleibst jetzt schön bei mir und nicht überall rumschnüffeln, sonst kommst Du auf'n Arm!"

"Hier gibt's mit Sicherheit noch mehr Pflanzen, aber ich kenne mich nicht so sehr damit aus. Esst einfach keine Pilze hier. Ich gehe einfach vor und führe euch um die Pflanzen herum, wenn ihr mir eine Waffe gebt. Ich fühle mich nicht sonderlich wohl unbewaff-net hier 'rum zu rennen."

Ingalf mustert den Zwerg, dann sagt er: "Wir haben da noch ein Beil, das können wir Dir leihen."

Er dreht sich zu Edric und dem Maultier um und holt die Axt, die sie für ihr Feuerholz mitgenommen haben hervor, und reicht sie dem Zwerg.

"Na, das ist ja wenigstens mal ein Anfang", meint er und stapft los.

Elgar folgt ihm, sich aufmerksam umsehend.

Grisbart geht vom Seeufer weg Richtung Westen, bis alle wieder zum nach Norden führenden Weg kom-men, den die Gruppe weitergegangen wäre, wenn es nicht zu den Begegnungen gekommen wäre. Grisbart sieht, dass das ganze Gebiet Richtung Norden von Ba-silaminen bewachsen ist.

Grisbart meint: "Hier ist alles voll von den Dingern. Sollen wir nach Westen und versuchen drum herum

zu gehen oder nach Osten und gucken, dass wir ir-gendwo auf der anderen Seite der kleinen Teiche wei-tergehen?

Oder sollen wir erst einmal langwierig eine Tee brau-en, damit ihr die Dinger auch seht?"

"Würden die Sporen von einem Windstoß davon ge-weht werden können?" fragt Elgar den ortskundigen Grisbart "Damit wäre dann eine Gasse für uns frei."

"Ne. Die Körner sind so groß wie Hirse, da reicht Wind nicht so wirklich", kommt von Grisbart zurück.

"Hm. Dann nicht." meint Elgar enttäuscht. "Lasst uns der Spur der Spinnen folgen, so gut es eben geht. Zur Not schlagen wir uns auch ohne Weg durch das Ge-büsch." Mit einem Kopfnicken bedeutet er Grisbart, voranzugehen.

"Wartet mal, ich habe da noch ne Idee."

Grisbart nimmt einen Stein und wirft ihn, nachdem er sich versichert hat, dass alle weit genug weg stehen, auf eine der Pflanzen. Scheinbar will er gucken, ob die Pflanze vielleicht so aufplatzt und danach entladen ist.

Eine Pflanze schießt ihre Samen durch die Gegend, die daneben nicht.

"Hmm, wenn wir jede Pflanze einzeln auswerfen sol-len, dann wäre den Kurs ändern und ausweichen wohl nicht das Schlechteste." meint Ingalf kopfschüttelnd.

"Denke ich leider auch. Auch wenn Phex meine Hand beim Werfen führt, dauert das wohl doch zu lange. Also: Osten oder Westen?"

"Osten." kommt es sofort von Elgar.

"Die Spinnen hatten Kurs Nordost gesetzt!" meint In-galf und schaut den Zwerg verwundert an. "Was wol-len wir also im Westen? Oder weißt Du doch wo sich die Spinnen aufhalten?"

"Ja, das ist wohl der bessere Weg", meint Hesander. Er hat sich während einer Pause Aufzeichnungen über die Pflanze gemacht, ebenso über die telepathisch be-gabten Spinnen.

"Tsa überrascht mich immer wieder mit ihrer Schöp-ferkraft", murmelt er noch vor sich hin.

"Jo. Schon Ok. Dann gehen wir halt nach Osten. Mir soll es recht sein", meint Grisbart und stapft los.

Die Gruppe macht sich also auf, den östlichen Teich über seine Südseite zu umrunden.

Aber es ist fast phexverflucht. Auch südlich des Sees beginnt östlich des Weges Basilaminengebiet. nach ei-ner halben Stunde weiteren Suchens wird klar: Die Gruppe befindet sich zwischen den beiden Teichen quasi auf einer Insel im Basilaminengebiet.

"Und nun, ihr Suchenden?" kommt von Grisbart die Frage.

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Fluchtweg der Spinnen --> BBBBBBBBBBBBBBT GW TT W T W T W TT W TT W TTFFFFFFFFTT W TT W TT W Tgeplanter Umweg -->G: Position der GruppeB: Beginn des Basilaminen- gebietesT: TeichuferW: Der WegF: Flüsschen

"Wenn wir sowieso durch diese Pflanzen hindurch müssen, sollten wir den kürzesten Weg nehmen - also immer hinter den Spinnen her. Auch wenn das jetzt für uns ein Umweg ist, weil wir zurück gehen müs-sen." unterbreitet Elgar seinen Vorschlag und sieht da-bei in die Runde. Sein Blick bleibt schließlich wieder bei Grisbart hängen. "Vorwärts, wir müssen zurück!" meint er schließlich mit einem müden Lächeln.

Rovena ist der Gruppe still mit dem Maultier gefolgt. Immer wieder beobachtet sie misstrauisch den Zwerg, der nun mit der Axt vor ihnen her stapft. 'Wenn er schon drei Jahre in diesem Wald lebt, müsste er sich da nicht besser auskennen?' wundert sie sich und hält das Maultier an, als die Gruppe nicht weiter geht.

Sie schaut über den See zurück und wendet das Tier. "Sollten die Pflanzen dort, wo die Spinnen mit Me-lachath durchgezogen sind, nicht den Großteil ihrer Samen schon abgeschossen haben? Wir könnten auch versuchen, uns mit unseren Decken vor den Samen zu schützen," schlägt die junge Frau vor. "Wenn wir vor-sichtig der Spur der Spinnen folgen, bekämen wir viel-leicht gar nicht so viele von den Samen ab."

Auch Edric hat sein Maultier angehalten. Da er die Idee gut findet, nickt er bestätigend.

"Das ist eine gute Idee!" meint auch Ingalf. "Wenn wir uns auf den Spuren entlang bewegen, müsste ein Weg frei sein." - 'Schließlich haben sie den armen Me-lachath durch die Büsche gezogen …'

Es ist gar nicht so einfach, der Spur zu folgen. Nur ab und zu haben die Spinnen mal einen Zweig geknickt. Und ihre Beine machen nur kleine Eindrücke im Bo-den. Aber fürs Erste gelingt die Verfolgung.

Entweder hat Rovena Recht mit ihrer Vermutung, oder Phex ist ihnen hold. Keine Basilamine spuckt ihre Samen. Die Büsche und Bäume stehen so weit auseinander, dass eine ganze Gruppe inklusive Maul-tiere ohne größere Problem zwischen ihnen durch-kommt.

Nach einer vorsichtigen halben Stunde nach Nordos-ten parallel zum Seeufer ertönt Grisbart erleichtert: "So wir sind erstmal raus aus dem Gebiet."

Kurz danach knickt das Teichufer Richtung Osten ab. Die Spur geht 20 Schritt weiter Richtung Nordosten und trifft dann auf eine von West nach Ost verlaufen-de Schneise. Dort verliert sie sich.

"Hm." denkt Elgar laut nach. "Es ist unwahrschein-lich, dass die Spinnen sich erst nach Nord-Ost abset-zen, nur um dann am nächst besten Weg nach Westen zu marschieren. Lasst uns dem Weg Richtung Osten folgen." bestimmt er. "Und achtet auf Spuren, die seit-lich vom Weg wegführen."

Ingalf schaut fragend Edric an: "Meinst Du er hat recht? Ich kann zwar den Kurs bestimmen, aber mit Spuren kennst Du Dich besser aus …"

Auch wenn die Frage nicht an ihn gerichtet war, ruht Elgars Blick auf Ingalf und Edric. Sein Gesichtsaus-druck lässt keinen Zweifel und will sagen: 'Natürlich habe ich Recht! Sonst hätte ich das doch nicht gesagt.'

Edric schaut sorgfältig nach Spuren. Dann richtet er sich auf und zuckt leicht verlegen die Achseln: "Ein entlaufenes Schaf kann man immer anhand der Kötel verfolgen. Hier bin ich überfordert. Wir gehen wohl am besten Richtung Osten."

"Ich weiß nicht." antwortet Edric, während er konzen-triert auf den Boden schaut und nach Spuren sucht. "Vielleicht auch nicht. Ich kann jedenfalls keine Spu-ren mehr erkennen."

'Eine Schafherde lässt sich leichter verfolgen' erinnert er sich.

Schließlich fragt Elgar noch: "Oder will jemand lieber Richtung Westen ziehen?"

Sorgfältig sucht Rovena den Rand der Schneise ab, wo die Spinnen, hätten sie ihre Nordostrichtung beibe-halten, wieder ins Gebüsch eingedrungen wären, und versucht zu erkennen, ob die Spinnen hier die Schnei-se verlassen haben könnten.

Das sieht nicht so aus.

Dann schaut sie versonnen die Schneise entlang. "Es sind kaum Spuren zu erkennen," wundert sich die Hexe. "Vielleicht tragen sie Melachath ja, sonst würde man doch deutlichere Schleifspuren sehen." Sie geht langsam die Schneise in Richtung Osten weiter und sucht auf dem Untergrund nach Steinen, die von ih-rem Platz los getreten sind, schaut nach Laub oder Moos, das von seinem Platz verschoben worden sein könnte, und nach niedergedrückten oder geknickten Grashalmen.

Rovena findet den einen oder anderen Hinweis. Wie alt die Spuren sind, ob das von den Spinnen oder von einem anderen Tier stammt, vermag sie nicht zu sa-gen.

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Unzufrieden schüttelt die Hexe den Kopf. "Es lässt sich nichts eindeutiges finden," murmelt sie leise vor sich hin und untersucht sicherheitshalber auch die Schneise Richtung Westen auf Spuren der Spinnen und ihres Opfers.

Rovena sieht keinen Unterschied zur Ostrichtung.

Interessiert verfolgt Elgar ihr Tun. "Nichts?" Es ist mehr Feststellung denn Frage. "Also doch nach Os-ten." stellt er schließlich fest und macht sich daran, der Schneise zu folgen.

Die Hexe wendet sich um und findet sich an Elgars Seite ein. "Weder nach Westen noch nach Osten sind eindeutige Hinweise zu finden, welche Richtung die Spinnen eingeschlagen haben könnten," gibt sie ihren Gefährten bekannt und sieht über dieses Ergebnis ih-rer Suche recht unglücklich aus.

"Dann lass uns nach Osten weiter gehen," schließt sie sich Elgars Vorschlag an. "Irgendwo müssen sie doch mit ihm hin sein …" Aufmerksam den Blick auf die Ränder der Schneise gerichtet, folgt Rovena dem Ma-gier, das Maultier mit Melachaths Waffen hinter sich her führend.

Mit einem verstehenden Nicken bestätigt Elgar ihre Vermutung. "Es sei denn," sagt er nach kurzer Zeit, "dass sie ihn entweder auf einen der Bäume ge-schleppt haben und sich nun von Ast zu Ast hangeln, oder sie haben sich irgendwo versteckt und wollen uns vorbeiziehen lassen."

Einer Eingebung folgend, dreht er sich zu Grisbart um und fragt: "Sagt, Ihr lebt nun bereits seit Jahren hier und seid angeblich auch schon entführt worden. Wohin schleppen die Spinnen ihre Opfer? Ein Erd-loch, ein hohler Baum, eine Höhle?" Funkelnd bli-cken seine roten Augen aus seinem bleichen Gesicht auf den Zwerg. Die Haare des Magiers umwehen sei-nen Kopf wie ein Rauchschleier im leichten Wind.

"Sag mal, rede ich Orkisch und das lernen Magier nicht? Ich war bewusstlos. Dabei kann man nix sehen und nix hören. Ganz einfach. Nichts wahrnehmen. Und sonst haben mich irgendwelche Opfer nicht ge-nug interessiert, als dass ich da hinterher gegangen wäre."

"Aber als Bewusstloser liegt Ihr doch am Boden und das heißt auch näher an den Spuren …" versucht El-gar einen Scherz.

"… die er dann aber trotzdem weder sehen, noch hö-ren noch sonstwie fühlen kann", beendet Hesander den Versuch Elgars, den Zwerg womöglich noch mehr zu verärgern. "Lasst uns lieber heute Abend für ihn beten und die Götter um ein Zeichen bitten", schlägt Hesander alternativ vor.

"Das sind aber Spitzfindigkeiten über zwergische Wahrnehmung." meint Elgar zu Hesander, mit dem es

sich seiner Meinung nach sowie so besser streiten lässt, als mit dem mürrischen Zwerg.

Hesanders Versuch wird aber durch Ingalfs Kommen-tar, der so laut zu Edric geflüstert ist, das es alle verste-hen, untergraben: "Auch wenn er nicht bewusstlos ist, hat er es nicht weit zum Boden!"

"He, wenn du nicht flüstern kannst, dann lass es", kommt von Grisbart "Übrigens: Wer hoch steht, der fällt tief."

"Das wohl!" antwortet Ingalf mit breitem Grinsen. "Anscheinend sind die Ohren ja bei Dir im Verhältnis größer als der Rest! Und kennst Du das Sprichwort: Wer tief steht, der kann nicht fallen!"

"Das erinnert mich an einen Vers, den ich mal gelesen habe." meint Elgar nachdenklich. "Darin ging es um Briefe eines Heiligen, dessen Namen ich vergessen habe. Er zog jedenfalls aus, um Ingerimms Schöpfung die Weisheit der Herrin Hesinde zu bringen und pre-digte schließlich: 'Wer höher springt, kann besser se-hen!'. Jetzt weiß ich auch, was er damit gemeint haben muss."

Solche Aussagen sind natürlich nach Gusto des Thor-walers und so schlägt er ein weiteres Mal in diese Ker-be: "Wer höher springen muss um zu sehen, kann sich keine Leiter leisten!"

Diese Bemerkung lässt Elgar ein Schmunzeln ins Ge-sicht treten.

Bei dieser Diskussion verfinstert sich Edrics Gesicht langsam. Er kann diesem Streit - schließlich ist es schon fast einer - nichts hilfreiches mehr abgewinnen.

Dann erwidert er aber: "Nun, lassen wir's gut sein, Freund Ingalf! Wir müssen Melachath finden, und da-bei sind solche Scherze leider nicht hilfreich."

"Ich vermute, dass die Spinnen irgendwo am Wasser hausen. Bietet sich an, wenn die Fische fangen", fügt Grisbart noch hinzu.

Aus Grisbarts Bart ist noch ein Grummeln zu verneh-men während er weiter stapft.

Die Schneise führt in einem leichten Bogen nach Os-ten. Nach ungefähr einer Stunde kommt eine Abzwei-gung Richtung Süden. Während der ganzen Zeit gibt es keine Hinweise mehr, die zu Melachath führen könnten.

"Na, ob wir hier wirklich auf dem richtigen Weg sind?" denkt Elgar laut nach. Dabei sieht er sich prü-fend um.

Erneut wendet er sich an Grisbart: "Sagt an, nach Eu-rer Entführung in bewusstlosem Zustand, wo seit Ihr dann wieder aufgewacht - in örtlicher Beziehung zu dem Ort, an dem Ihr gefangen wurdet?" - 'Vielleicht lassen sich daraus Rückschlüsse ziehen.' überlegt er.

"Das weiß ich nicht. Normalerweise halte ich mich von den Teichen fern, wegen der Spinnen. Daher ken-

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ne ich die Gegend drum herum auch nicht so gut. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich vor mei-ner Entführung und nach meiner Entführung in der Nähe des Wassers war."

"Da es hier nichts gibt, was auf die Spinnen hindeutet, sollten wir vielleicht doch lieber zu den Seen zurück-kehren." meint Elgar.

"Das wohl!" meint Ingalf wieder ein wenig ernster. "Aber ein guter Scherz macht das Wandern leichter!"

Dann sieht er die Abzweigung: "Lass uns wenigstens da nochmal schauen, ob wir nicht irgendeine Spur finden. Irgendwo muss doch was zu erkennen sein …"

Auch Hesander kann ein Schmunzeln nicht verber-gen, schnell wird dies jedoch wieder durch Ingalfs Hinweis auf den Ernst der Lage vertrieben.

"Also ich sehe nichts, was nach einer Spur aussieht", meint Hesander.

Auch Rovena schaut sich den Boden und die umlie-genden Sträucher bei der nach Süden führenden Ab-zweigung an. "Führt diese Abzweigung nicht viel-leicht wieder zu dem Teich zurück, zur gegenüberlie-gende Seite? Vielleicht ist dort ihr Nest … ein paar Schritte würde ich schon gern in diese Abzweigung hinein gehen," überlegt sie und drückt Edric die Leine des Maultiers in die Hand, um nur mit ihrem Eben-holzstab in der Hand auf den Pfad zu treten.

"Niemand sollte hier allein gehen." teilt Elgar den an-deren mit und folgt Rovena. Dabei ist er darauf be-dacht, keine der möglichen Spuren zu verwischen.

'Hoffentlich findet sie irgendwas!' denkt sich Ingalf und schaut der Hexe hinterher, wie sie die Schneise entlang geht und nach Spuren sucht.

Aufmerksam beobachtet er, wie sie eine Spur von den Spinnen und Melachath zu finden versucht. Dann be-trachtet er intensiv die Umgebung und fragt sie immer wieder: 'Wo leben so viele so große Spinnen? Es kann nur eine Höhle oder ein unterirdischer Bau sein!'

'Wenn wir nicht bald etwas finden, wird der Vorsprung der Spinnen immer größer. Wer weiß, wo sie den ar-men Melachath hinbringen …'

Dann blickt er auf den kleine Welpen, der sich gerade auf seine Stiefelspitze gesetzt hat und sich ausgiebig hinterm Ohr kratzt: 'Wenn du doch schon größer wärst, dann hätten wir ihn schon längst aufgestöbert. Aber solange du kaum größer bis als deine Flöhe …'

"Spinnen haben nur ein Nest, um Eier zu legen. Nachdem die Jungtiere geschlüpft sind, sind sie bald flügge." erklärt Edric. "Spinnen leben nicht in Nestern als Gemeinschaft zusammen."

"Spinnen jagen doch normalerweise auch nicht ge-meinsam," erwidert Rovena und schaut Edric an. "Hast du jemals solche Spinnen wie diese erlebt? Ich

glaube nicht, dass man sie mit denen vergleichen kann, die wir kennen."

Sie konzentriert sich wieder auf den Pfad.

Edric schüttelt nur den Kopf und wendet den Blick ab. Rovena ist ihm immer noch unheimlich.

"Äh, Vorsicht. Da sind einige Basilaminen", ruft Gris-bart schnell hinterher.

"Vielleicht sollten wir uns doch die Zeit nehmen, eine Suppe aus dem Zeug zu machen. Das würde Tage dauern, aber manchmal denke ich, dass das besser wäre", murmelt er in seinen Bart.

"Wir können doch nicht Tage warten bis wir unseren Freund befreien!" meint Ingalf mürrisch. 'Bis dahin haben ihn die Spinnen höchstwahrscheinlich verdaut.'

Sofort bleibt Rovena stehen und wendet sich um. Sie schenkt Elgar schnell ein warmes Lächeln für seine Begleitung und schaut Grisbart misstrauisch und fra-gend an. "Tage also dauert es, diesen Sud zu kochen, sagt Ihr?" Irgendwie kann sie das nicht so recht glau-ben, ist aber froh, doch endlich eine Antwort auf ihre vor einer Weile gestellte Frage zu erhalten. "So viel Zeit haben wir nicht. Wenn die Spinnen hier durch gekommen sind, sollten die Basilaminen ihre Samen wieder verschossen haben. Wenn nicht, brauchen wir nicht weiter zu suchen. Wo stehen die Pflanzen?" will sie wissen und hebt einen Ast auf, um ihn dorthin zu werfen, wo der Zwerg das Chamäleon-Springkraut zu sehen glaubt.

Er zeigt auf eine Basilamine.

Ausnahmsweise steht hier nur ein einzelner Busch des Chamäleon-Springkrautes, den Rovena durch ihren Wurf zum Verstreuen seiner Samen bringen kann.

"Ich weiß nicht, ob das Tage dauert eine Suppe daraus zu machen. Man braucht 2 Handvoll Samen auf einen Kessel und muss das ganze eine Stunde sanft köcheln lassen. Das Problem ist nicht das Kochen, sondern das Ernten. Die Zauberin hatte damals schon Samen da. Ich vermute aber, dass das ohne Magie lan-ge dauert, die Dinger zu sammeln."

"Wenn wir jetzt mit ein paar Ästen genug Pflanzen zum Platzen bringen, dann könnten wir doch die Sa-men vom Boden auslesen und die Suppe kochen?" stellt sich Ingalf vor. 'Manche müssen sich ja nicht mal bücken …' fügt er in Gedanken hinzu.

Da platzt Elgar mit seiner Idee heraus: "Was wäre, wenn wir die Samen mit einer Decke oder so zum Springen veranlassen? In eine Ansammlung der Sträucher geworfen, müsste sie wie eine Art Netz wir-ken, die Samen fallen dann einfach mit der Decke nach unten und wir können sie einsammeln. Das kann nicht so lange dauern!" Er ist davon überzeugt. Wirklich überzeugt.

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"Eine nur, das ist gut." Damit meint Rovena sowohl die annehmbare Kochzeit als auch, dass nur eine Pflanze zu sehen ist. Sie achtet auf einen sicheren Ab-stand und antwortet Grisbart: "Dann sollten wir viel-leicht anfangen, die Samen, die die Pflanzen verstreu-en, aufzusammeln, wo immer wir sie finden," überlegt Rovena. "Elgars Idee ist gut, das sollten wir ausprobie-ren, wenn wir auf die nächste größere Pflanzenan-sammlung treffen. Aber jetzt schauen wir mal, ob an dieser Pflanze jemand vorbei gekommen ist." Sie schleudert den Ast auf die Basilamine.

Der Busch verstreut prompt seine Samen.

Rovena überlegt: 'Lassen sich die Samen gefahrlos aufsammeln oder braucht man dazu einen Schutz für die Hände?'

Als sie sich die Frage stellt, wird ihr sofort klar: Sie weiß es nicht.

"Hier brauchen wir wohl nicht weiter suchen," meint die Hexe daraufhin und kehrt zu den Gefährten zu-rück. "Lasst uns der Schneise weiter nach Osten fol-gen, würde ich vorschlagen."

"Gut, je weniger Zeit wir verlieren, desto besser!" treibt Elgar die anderen zur Eile an. Er wendet sich dem Ausgangspfad zu und winkt den anderen, ihm zu fol-gen.

"Hmm!" Von Ingalf kommt ein tiefes unwilliges Grummeln. "Wir haben hier auf dem Weg irgendwie keine Spur gefunden. In der Schneise auch nicht. Was ist, wenn die Spinnen gar nicht so weit gekommen sind? Sondern irgendwo in dem komischen Spring-kraut stecken! Und wir laufen immer weiter weg! Also ich wäre dafür ganz fix dieses Zeug zu brauen und dann lieber noch mal die Strecke vom See her direkt auf dem Kurs der Spinnen zu verfolgen! Zumal der Kurze ja sagt, dass sie immer am Wasser sind und hier is kein Wasser!"

Er schaut sich in der Runde um und wartet auf andere Vorschläge. Aber er ist nicht bereit einfach so weiterzu-gehen.

Elgar bleibt stehen. "Nehmt's mir nicht krumm, aber als ich diesen Vorschlag - ohne diese Krautsuppe na-türlich - vor ungefähr einer Stunde gemacht habe, ist mir der 'Kurze' fast an den Hals gesprungen. Von we-gen Spinnen, Wasser und laufen - und das alles gleichzeitig." Er schüttelt den Kopf.

"Ich wäre den Spinnen gleich gefolgt." murmelt er noch kaum verständlich.

"Meinungen sind dazu da, sie zu ändern!" kommt es vom Thorwaler als Antwort. "Also wollen wir die Sup-pe brauen und dann weitersehen?"

Er kloppt dem Magier freundschaftlich auf die Schul-ter.

"Meinungen, so so." macht Elgar mit einem schiefen Lächeln und fügt dann mit gespielt ernstem Gesichts-ausdruck hinzu: "Aber nur, wenn Du sie nicht kochst!"

"Wenn's nicht mehr ist!" antwortet Ingalf. "Das kannst Du haben!"

"Bis zur Schneise sind wir den Spuren gefolgt" be-hauptet Edric und deutet auf den Weg. "Das bedeutet, sie müssen hier in der Nähe sein. Fliegen können sie nicht."

Er macht eine Pause um sich die weiteren Worte zu-rechtzulegen.

"Grisbart meinte, die Teiche wären nicht natürlich. Falls die Spinnen sie angelegt haben müssen sie sehr intelligent sein. Vielleicht hausen sie unter der Erde wie Ameisen oder Termiten." vermutet er.

Ingalf zuckt mit den Schultern. "Dann müssen wir die Stelle finden, wo sie den Weg verlassen haben … Aber dann geht es in die komischen Blumen … Also brau-chen wir die Suppe!"

"Wollen wir das hier mitten auf dem Weg veranstalten?" fragt Elgar ein wenig ungläubig.

"Ich habe keine Küche auf dem Weg hierher gesehen …" antwortet Ingalf.

Er beginnt, Äste zu sammeln. Als er einen Arm voll hat, fragt er den Zwerg: "So, wo sind die Blumen?"

"Während Ihr die Samen besorgt, werde ich die Vorbe-reitungen für den Sud der Samen treffen. Das erfor-dert alles mehr eine alchimistische Herangehensweise als Kochkünste." konstatiert er. "Und Alchimie war ei-nes meiner Hauptfächer an der Akademie." verkündet er stolz.

"Du darfst gerne Kochen …" grinst der Thorwaler. "Vielleicht schmeckt es Dir besser als meine Suppe."

"Das ist keine 'Kochen', sondern der Sud wird gebraut. Das müsste Dir doch entgegen kommen!" grinst er den Thorwaler an.

"Wenn Du etwas braust, dann wird es wohl eher ein Gebräu!" gibt Ingalf grinsend zurück.

"Richtig, denn ein zu siedender Sud muss hinterher geseiht werden. Abgeseiht, um genau zu sein." führt Elgar fort. "Aber egal was es wird. Wir müssen es schnell machen."

"Vielleicht können wir so viel machen, dass wir etwas aufheben und mitnehmen können, falls die Wirkung nachlässt, und wir noch nicht aus dem Gebiet heraus sind."

"Ich weiß ja nicht, was ein Sud ist, aber das, was ich hatte, war eine Suppe! Ob wir hier genug Samen fin-den?" Grisbart geht zu dem entladenen Busch, guckt kurz und meint dann: "Da liegt vielleicht 'ne Hand-voll Samen 'rum, aber ich fasse die Dinger nicht an. Ich sammle Feuerholz. Keine Samen. Ich kann natür-

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lich irgendwem die Büsche zeigen, aber Anfassen? Nein, Danke."

So beginnt Elgar, sich eine geeignete Stelle neben dem Weg oder an der Abzweigung zur Schneise zu suchen und einen Lagerplatz zu errichten.

Alle Stellen sind eigentlich gleich gut geeignet.

"Um die 'Kleinigkeit' des Holzes können sich ja Gris-bart und Hesander kümmern, wenn Du mir bei den Vorbereitungen hilfst und Edric auf die Maultiere ach-tet, während Ingalf Holz sammelt, sind wir im Nu fer-tig und es kann weiter gehen." antwortet Elgar.

"Das wohl!" antwortet Ingalf und wirft den ersten Arm voll Äste, mit dem er die Pflanzen zum Platzen brin-gen wollte, zu Boden und beginnt noch mehr Holz zusammenzutragen.

Rovena schaut ungläubig und fragend von einem zum anderen. "Ihr wollt jetzt und hier anfangen, diesen Sud zu kochen? Finden wir hier denn überhaupt ge-nügend Samen dafür?" fragt sie zweifelnd.

Auch Edric schaut ungläubig auf das Geschehen. Hier geht es darum, einem Kameraden zu helfen und jetzt soll dieser ominöse Sud gekocht werden.

'Hätte das nicht Zeit bis später?' fragt er sich und er-forscht seine Gefühle, ob er nicht ein Anzeichen der Spinnen bemerkt. Immer wenn die Spinne in der Nähe waren hatte er dieses seltsame Gefühl … 'Warum sollten sich die Spinnen so nicht auch aufspü-ren lassen?'

"Was spricht gegen jetzt und hier?" fragt der Thorwaler zurück.

"Eine Hand voll sind doch zu wenig." Rovena schüt-telt den Kopf. "Und wenn es noch dazu gefährlich ist, die Samen zu sammeln, wozu sollte es gut sein, wenn Ihr, Grisbart, sie doch sehen und uns darauf hinwei-sen könnt." Die Hexe schaut den Zwerg prüfend an. "Wir finden die Spinnen an der perlschnurartig aufge-reihten Seenkette, habt Ihr gesagt, die sich hier durch den Wald zieht, richtig? Sie leben dort, bauen Dämme und sie machen Beute. Ihr wisst allerdings nicht, wo-hin sie ihre Beute tragen."

Rovena schaut sich um. "Diese Teiche scheinen an dem kleinen Flüsschen, das von Ost nach West zum Fluss fließt, von ihnen durch die Dämme angelegt worden sein. Wir wurden zwischen zwei Teichen überfallen und sie sind nach Nordost verschwunden. Wenn wir jetzt weiter nach Osten gehen, sollten wir doch wieder auf das Rinnsal und den nächsten Teich treffen." Rovena schaut in die Runde. "Wir sollten uns nicht mit dem Gebräu aufhalten, solange Grisbart uns begleitet. Dort, wo die Spinnen durch die Basilaminen gezogen sind, werden uns die Pflanzen auch nicht ge-fährlich. Lasst uns weiter gehen und das Flüsschen und den nächsten Teich suchen."

Ingalf ist von der energischen Ansprache der Hexe ein wenig eingeschüchtert und zuckt nur mit den Ach-seln.

Edric beginnt, ganz langsam den Weg zurück zu ge-hen, ganz intensiv auf seine Gefühlswelt horchend.

Spinnen sind nicht zu erspüren, aber wer weiß, wie weit weg von den Teichen die Gruppe mittlerweile ist.

"Hey, Edric, warte!" ruft ihm Ingalf hinterher. "Du solltest nicht alleine gehen, hier nimm Kawi mit!" Er schiebt dem blonden Jungen den kleinen Hund zu.

Enttäuscht bricht Edric den Versuch ab und kehrt zur Gruppe zurück.

"Vielleicht brauchen wir gar keine Fährten. Wenn wir sie fühlen können, finden wir sie." schlägt er vor.

"Aber auch dann brauchen wir dieses Gebräu, um uns vor den Pflanzen zu schützen." gibt Ingalf zu beden-ken.

"Dieses Gebräu lässt uns die Pflanzen nur erkennen, aber es schützt uns nicht vor den schädlichen Auswir-kungen, wenn wir von den Samen getroffen werden," antwortet Rovena. Nein, sie ist nicht davon überzeugt, jetzt noch Zeit dafür zu verschwenden, diese Suppe zu brauen.

"Wenn ich meinen Feind sehe, dann kann ich mir auch vor ihm schützen", meint Ingalf.

"Damit hast du schon Recht," gibt Rovena zu. "Doch wenn wir Grisbart vertrauen, kann er uns warnen, wie er es eben gerade getan hat. Und uns diese Suppe zu kochen, haben wir auch noch Zeit, wenn wir wieder auf eine größere Gruppe dieser Pflanzen stoßen und Melachath gefunden haben." Die Hexe schaut den Thorwaler mit ungeduldig funkelnden Augen an.

"Woher willst Du das denn wissen?" fragt Elgar. "Wenn wir erst einmal diese 'Suppe' haben, dann kann ich sie analysieren. Dabei wird sich die Wirkung der Samen enthüllen und es wird dann möglich sein, eine Wirktransformation zu erreichen." Bei diesem Vortrag wird Elgar immer aufgeregter. Endlich kann er in sei-nem Fachgebiet glänzen.

"Warum, glaubst du, hält Grisbart sich von ihnen fern und will sie nicht aufsammeln?" hält Rovena dagegen. Sanft fügt sie jedoch noch hinzu: "Auch mich interes-siert dieses Kraut und das Gebräu, doch finden wir hier nicht genügend von den Samen und das Zuberei-ten hält uns noch weiter auf. Was hilft es uns, wenn wir die Basilaminen sehen können, aber Melachath ist mittlerweile von den Spinnen verdaut worden?"

'Oh, Mädel, du bist ja ganz schön aufgekratzt …' denkt sich der Thorwaler, 'hat Papa Ingalf wieder nicht aufgepasst. Naja, auf jeden Fall sollte man ihr in dem Zustand besser nicht widersprechen. Die Finger kann sich wer anders verbrennen.'

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'Ich halte es für sinnvoller, nach den Spinnen zu su-chen, als hier Suppe oder Sud zu brauen.' denkt Edric und schaut sich um, wen er auffordern könnte:

Ingalf will ohne Suppe nicht weiter, Elgar will den Sud analysieren, Grisbart traut er nicht so weit.

Hesander? Könnte ihm der Geweihte eine Hilfe sein? Rovena - doch die junge Frau ist ihm suspekt. So schön und jung sie ist genauso gefährlich wirkt sie auf ihn.

Sein Blick ruht einen Augenblick auf seinen Gefähr-ten, dann entschließt er sich, alleine zu gehen.

"Ich versuche, eine Spur der Spinnen zu finden." er-klärt er, bevor er sich zum Gehen abwendet. "Keine Sorge, ich bleibe in der Nähe."

Doch das letzte sagt er nur, um Ingalf zu beruhigen. Er möchte versuchen, die Spinnen über ihre Gefühle ausfindig zu machen.

"Dann nimm' Kawi mit!" ruft ihm Ingalf nach und schuppst den Welpen in seine Richtung. "Pass' schön auf Edric auf!"

"Gut gut." ruft ihm Elgar hinterher, während er sich geschäftig weiter mit dem Lageraufbau beschäftigt und eine Feuerstelle errichtet. Der Forscherdrang scheint ihn gepackt zu haben.

Rovena, Edric und GrisbartRovena kann nicht ruhig zusehen. Sie überlegt einen kurzen Moment, dann folgt sie Edric. "Niemand sollte hier allein gehen," murmelt sie vor sich hin und fragt Grisbart im Vorbeigehen: "Kommt Ihr mit? Wegen der Basilaminen?"

Grisbart geht mit.

Sie schließt unabhängig von der Antwort des Zwerges zu dem Hirten auf. "Suchen wir Richtung Osten nach dem nächsten Teich?" will sie von Edric wissen, wäh-rend sie aufmerksam die Umgebung beobachtet und nach Spuren der Spinnen sucht.

Edric nickt stumm als Bestätigung. Ihm ist irgendwie unwohl bei dem Gedanken, die Hexe und den Zwerg als Begleiter zu haben, findet aber nicht den Mut, Ein-wände zu erheben. So kniet er sich neben Ingalfs Wel-penfreund und krault ihn kurz am Hals. "Ab zu Herr-chen." befiehlt er ihm und weist mit der Hand auf In-galf.

Kawi setzt sich hin, schaut erst Edric mit den großen braunen Welpenaugen an, dann blickt in die Richtung in die Edric deutet, ein kurzes unentschiedenes Kläf-fen und ein weiterer Hundeblick auf Edric.

"Ich gehe voran." sagt Edric, während der junge Hirte Richtung Osten geht. Er sieht sich um und horcht an-gestrengt auf seine Gefühle. Dann wählt er die Rich-tung, in der er den nächsten Teich vermutet.

Außerhalb der Hörweite Elgars sagt er zu Rovena: "Gerne. Dieser Zauberer ist mir irgendwie nicht ge-heuer. Der sollte mal bei 'nem Boron-Tempel vorbei-schauen. Vielleicht können diese ihm Vergessen schenken. Magier."

Rovena schaut von der Seite im Gehen auf den Zwerg hinunter. "Ihr solltet ihn nicht vorschnell beurteilen, Grisbart," entgegnet sie ihm ernst, doch nicht un-freundlich. "Sicherlich ist sein Aussehen außerge-wöhnlich und ja, er ist Magier, und noch mehr als das …"

Edric, Grisbart und Rovena sind eine Viertelstunde nach Osten dem Weg gefolgt, als der nach Norden ab-biegt. Weder sind Spinnenspuren zu sehen noch sind Spinnen zu erspüren. Basilaminen gibt es auch keine, wie Grisbart bestätigt.

Missmutig stößt Rovena ihren Stab auf und hält an. "Und nun, zurück zu den anderen?" fragt sie Edric und Grisbart niedergeschlagen. Ihre Hoffnung, Me-lachath noch zu finden, schwindet nach ihrer weiter-hin erfolglosen Suche nach Anhaltspunkten immer mehr. "So kommen wir einfach nicht weiter. Wo sind die Teiche, wo das Flüsschen? Sie sollten doch nicht zu übersehen sein." Unruhig und besorgt blickt sie sich um, versucht, aus den Geräuschen und Gerüchen des Waldes einen Hinweis auf das Vorkommen von Wasser zu erhalten.

'Was ist dies nur für ein verfluchter Wald … vielleicht sollte ich mir das Gelände doch mal von oben anse-hen?' geht es ihr durch den Kopf, doch fühlt sie sich unbehaglich bei dem Gedanken, sich bei Tage in der Luft zu zeigen.

"Also zu dem Flüsschen würden wir schon zurück-kommen. Allerdings wundert mich auch, dass wir nir-gendwo Spuren gefunden haben. Vielleicht suchen wir an den falschen Stellen. Nur wüsste ich nicht, wo man besser suchen sollte."

"Vielleicht doch im Westen? Wenn Ihr Euch hier doch nur besser auskennen würdet …" Rovena lässt den Kopf sinken, kaut nervös auf ihrer Unterlippe herum, schaut dann plötzlich hoch und wieder den Zwerg an.

"Bewegen sich diese Spinnen auch in den Bäume vor-wärts? Bisher habe ich sie nur am Boden gesehen, aber vielleicht wäre das eine Erklärung, warum wir hier am Boden keine Spuren von ihnen finden."

"Also die Teiche machen so einen kleinen Schlenker. Wenn wir immer nach Osten gehen, treffen wir auf je-den Fall auf einen Teich. Und wenn wir von Eurem Magier aus nach Süden gehen auch. Ich selbst war ei-gentlich eher auf der ganz anderen Seite der Teiche unterwegs", versucht er zu erklären.

Nach kurzem Nachdenken fährt er fort: "Ich habe die Spinnen nie in den Bäumen gesehen. Die waren im-mer auf dem Boden oder im seichten Wasser. Im Was-

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ser waren die meistens an dem Ende, wo das Wasser abgeflossen ist und haben da gefischt. Aber da habe ich mich dann immer aus dem Staub gemacht, bevor die mich entdecken."

"Dann lasst uns noch etwas weiter gehen." Diese er-folglose Suche nach Spinnen und Teichen und ihrem entführten Kameraden lässt ihn langsam verzweifeln.

Rovena zieht bei Grisbarts Rede eine Augenbraue hoch, spart sich jedoch eine Bemerkung zu ihrem El-gar. Sie richtet ihren Blick prüfend auf das Gebüsch und murmelt leise: "Nach Osten geht es ab hier ins Unterholz."

Sie schaut sich nach Edric um. "Lass uns zurück ge-hen, Edric," ruft sie ihm zu. "Den Weg sollten wir nicht ohne die anderen verlassen, zu groß ist die Ge-fahr, sich zu verlaufen." Sie dreht sich um, um zurück zu gehen. "Dann sollten wir vielleicht doch den Pfad nach Süden nehmen und versuchen, einen Weg ent-lang der Teiche zu finden, denn irgendwo dort sollten die Spinnen doch zu finden sein. Wie konnten sie nur so spurlos verschwinden?"

"Warum?" fragt Edric. "Lasst uns noch etwas weiter gehen, vielleicht ist Phex uns hold." klammert er sich an die Hoffnung. Bei den Tatsachen hat die Hexe na-türlich vollkommen Recht.

"Jo. Und wieder zurück", kommt ein Gegrummel aus Grisbarts Bart. Er geht mit ihr zurück und achtet dar-auf, dass auch Edric mitkommt.

Der ist zwar nicht begeistert, kommt aber leicht unzu-frieden mit.

Als Rovena, Grisbart und Edric wieder an der Abzwei-gung ankommen, sind dort die drei anderen tatsäch-lich dabei, über einem Feuer eine Suppe zu kochen.

Elgar, Hesander und IngalfHesander hat während der Konversation zwischen den Gefährten wieder gebetet. Als er fertig ist, geht er auf Elgar zu und meint: "Ich könnte Euch sicherlich zur Hand gehen."

"Da bin ich mir sicher!" ist die freudige Antwort.

"Leider muss ich feststellen, dass die notwendige Aus-rüstung für eine eingehende Analyse wohl noch - ähm - in der Akademie in Thorwal steht." fügt Elgar etwas betreten nach Suche in den mitgeführten Gegenstän-den hinzu. "Es wird also wohl oder übel bei der Suppe für die optische Wahrnehmung bleiben." Man merkt ihm die Verlegenheit an, nicht an eine vollständige Laborausrüstung gedacht zu haben …

Ingalf ist sich beim Holz suchen etwas unschlüssig. Folgt er seinem Freund, seinem Hund und den ande-ren oder hilft er Elgar und dem Geweihten beim Her-stellen des Gebräus.

Da er aber zulange überlegt hat, bleibt er zurück. Und muss sich schon wieder das gelehrte Geschwätz der beiden anhören.

"Nun, meint Ihr nicht, dass es etwas übertrieben ge-wesen wäre, eine ganze Laborausrüstung mit sich zu schleppen? Es war alles andere als abzusehen, dass wir hier in dieser Wildnis auf einmal alchimistische Studien vornehmen müssen. Warten wir ab, was wir herausfinden."

"Ganz und gar nicht!" ist die überzeugte Antwort des Magiers. "Schließlich kann man nie wissen, wo und wann das dringende Bedürfnis zu analytischen Studi-en besteht. Außerdem ist es gar nicht so viel, was man für eine 'Feldausrüstung' benötigen würde: Ein paar Reagenzgläser, irdene Schalen, Mörser in verschiede-nen Größen, Drudenfüße, Kohlenbecken samt Brenn-stoff, diverse Becher und Verdampferspulen, Konden-sationsbecken, Trichter und einige weitere Dinge. Nur das Nötigste eben. Wie Ihr seht, alles recht einfach auf ein bis zwei Maultieren zu transportieren."

Nachdem Rovena mit Edric und Grisbart im Schlepp-tau verschwunden ist, fährt Elgar mit den Vorberei-tungen fort. In seinem Kopf baut er bereits aus Koch-geschirr und Steinen eine behelfsmäßige Laboraus-stattung zusammen, als er inne hält. An Hesander ge-wandt fragt er: "Die drei sind schon eine ganze Weile weg. Langsam mache ich mir Sorgen, den unerfahre-nen Edric und die zierliche Rovena mit dem Kurzen allein ziehen lassen zu haben."

Nachdenklich sieht er dem Weg nach, den die anderen genommen haben.

"Das ist wohl wahr. Andererseits würde ich den Zwerg und Rovena nicht unterschätzen - und auch Edric wird seinen Weg gehen. Wenn uns die Götter nicht zürnen, werden sie zurückkehren."

Darauf hin sieht Elgar den Geweihten kurz an. Seine roten Augen suchen den Blick des Gegenübers. Ein einfaches Nicken bestätigt Hesander, dass Elgar ähn-lich denkt.

Ingalf, der froh ist, dass ihn die beiden nicht mit in ihre höchst wichtigen Gespräche einbeziehen, macht sich auch langsam Sorgen und schaut immer wieder auf den Weg.

Statt weiter ein Lager aufzubauen, das dem Brauen ei-nes Basilaminen-Samen-Suds dienen kann, räumt er wieder auf und packt ein. "Wir sollten ihnen folgen." gibt er bekannt.

"Wartet", meint Hesander. "Wir sollten hier auf sie wa-ren. Falls sie sich verlaufen oder getrennt haben, ist es sicherer, hier auf sie zu warten. Am Ende gehen wir sonst noch alle verloren oder werden leichte Beute die-ser Spinnen. Immerhin gehen unsere Gefährten da-von aus, dass sie uns hier wiederfinden. Lasst uns die-sen Sud brauen, damit tun wir etwas sinnvolles und

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dann lassen wir unsere Gefährten zurückkehren und gehen dann mit ihnen. Außerdem sind wir beide im Spurenlesen wohl nicht ganz so bewandert."

"Wie viel des Spurenlesens bedarf es wohl, um einem Weg zu folgen?" entgegnet Elgar. "Oder glaubt Ihr, die drei haben sich in die Büsche geschlagen?" Seine Stimme klingt, als könne er sich nichts Abwegigeres vorstellen.

"Ich glaube", kommt es jetzt von Ingalf, der inzwi-schen ein Feuer entfacht hat und belustigt dem Streit-gespräch der beiden folgt, "ihr habt beider Recht. Die drei werden es wohl vermeiden den Weg zu verlassen, das wohl!

Aber wenn etwas passiert werden sie versuchen hier-her zurück zu kommen und daher sollten wir mit dem Sud weitermachen!

Los, Magier, mach' zu!"

Mit einem Grinsen, das Dank Elgars Äußerem fast dämonische Züge hat, erwidert dieser: "Nur zu gern. Leider fehlt mir eine äußerst wichtige Ingredienz, Meister Ingalf. Sei so gut und besorge mir zwei Hände voll dieser 'brennenden' Samen!" fordert er den Thor-waler auf.

"Nun, werter Magister, hol' Du die eine Hand voll, ich hole die andere!" erwidert Ingalf, der sich von Elgar nicht einschüchtern lässt. Er geht zu der Stelle, an der Rovena eine Pflanze zum Platzen gebracht hat und beginnt, vorsichtig mit einem Sacktuch die Samen vom Boden aufzulesen.

Das Sacktuch fängt an den Stellen zu rauchen an, wo es von den Samen berührt wird.

"Vermaledeites Kraut, elendes!" flucht Ingalf und ver-sucht die Samen im Tuch zu behalten und sie nicht direkt mit den Fingern zu berühren. Dann geht er vor-sichtig zurück zum Feuer und gibt Elgar das Tuch. "So, das ist mein Anteil!" sagt er zu den beiden, als er zurück kommt. "Der Rest kommt von euch!"

Hesander nimmt wortlos ein Sacktuch und begibt sich an die gleiche Stelle.

Er hat etwas anderes vor. Er will vorsichtig eine Pflan-ze mittels des Tuchs zum Platzen, bringen.

Grundsätzlich ist das auch möglich, denn wenn man sich ungefähr zwei Schritt einer Basilamine genähert hat, kann man sie auch erkennen. Diese Pflanze hier hat aber alle ihre Samen abgeworfen. Aber es liegen noch einige herum.

Also kniet er sich hin und sammelt ebenso vorsichtig mit dem Sacktuch die Samen ein.

"Da will ich in nichts nachstehen", meint Hesander trocken.

"Erstaunlich!" Das ist alles, was man von Elgar ver-nehmen kann, als ihm Ingalf das Tuch mit den Samen überreicht. Vorsichtig schüttet er, das Tuch nur an den

Enden haltend, die Samen in einen Topf und wartet dann auf Hesanders Anteil, während er sich überlegt, wie sich daraus die von Grisbart erwähnte 'Suppe' ma-chen lässt.

Noch erstaunlicher ist, dass aus dem Topf ein leises Brutzeln zu hören ist, obwohl der Topf noch nicht über dem Feuer steht.

Als Elgar genau hinschaut, sieht er, dass die Samen tatsächlich den Topf alchimistisch angreifen.

"Höchst interessant!" lässt sich Elgar daraufhin ver-nehmen und schüttet schnell etwas Wasser in den Topf.

Wasser löscht, die alte Erfahrung wird aufs neue be-stätigt.

Die BasilaminensuppeGrisbart wirft einen prüfenden Blick in den Kessel, schöpft ein wenig von dem Sud und erklärt dann: "Zu dünn! Wie lange kocht sie schon?"

"Offenbar nicht lange genug." antwortet Elgar.

"Also die Zauberin hat damals gesagt, dass das ganze zwei Stunden kochen soll. Das war dann so etwa wie Öl. Und vom Geschmack her ging's auch", versucht Grisbart zur Suppe beizusteuern.

Ingalf schaut vom Kessel hoch, zieht die Augenbrauen zusammen und meint zu dem Zwerg: "Wenn es Dir zu wenig Samen sind, dann hol' doch welche. Du siehst die Büsche schließlich!"

Rovena setzt sich neben Elgar am Feuer nieder und wirft interessiert einen Blick in den Kessel. Vorsichtig schnuppert sie an den aufsteigenden Dämpfen. "Wird sie denn überhaupt etwas, wenn man keine ausrei-chende Menge an Samen verwendet?" stellt sie leise in Frage und starrt mit verschlossener Miene auf den Pfad nach Süden.

"Was ist die ausreichende Menge?" fragt Elgar. "Nicht einmal Grisbart weiß das sicher zu sagen. Er meinte, es seien zwei Hände voll notwendig. Verwendet man aber bei diesen zwei Händen Samen zu viel Wasser, wird die Suppe auch nicht gelingen können. Nimmt man weniger Samen, muss man eben auch weniger Wasser einsetzen. Da das Verhältnis offenbar noch nicht stimmt, lassen wir einfach etwas mehr Wasser einkochen und reduzieren die Menge, bis … bis die Suppe eben fertig ist. Und dann: Guten Appetit!" er-gänzt er mit einem Lächeln.

"Ist dann auch genug für uns alle da?" entgegnet Ro-vena und betrachtet skeptisch das köchelnde Gebräu. Sie seufzt leise, das untätige Herumsitzen ist genauso schrecklich wie die bisher hoffnungslose Sucherei.

Edric wirft einen missmutigen Blick auf die blubbern-de Flüssigkeit und wendet sich wieder ab. Er kann

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gerne darauf verzichten, davon zu essen, vor allem, weil alle Köche sich über das Rezept nicht einig sind.

"Erst sagtet Ihr eine Stunde und nun doch wieder zwei?" Rovena schüttelt unmutig den Kopf und schaut Edric hinterher.

Er schaut nach den Maultieren, um die Zeit zu über-brücken, doch auch dies lenkt ihn nicht genügend ab.

Und bevor er ruhelos im 'Lager' herumgeht, ent-schließt er sich, den Weg nach Süden ein wenig zu er-kunden. "Ich werde mal sehen, wohin der Weg führt", deutet er nach Süden und marschiert vorsichtig los. Auf die Gesellschaft der anderen kann er im Moment verzichten, außerdem sind die mit dem Abendessen beschäftigt.

Ingalf schaut seinem Freund hinterher und überlegt, ob er ihm besser folgen sollte, dann bleibt er aber sit-zen. 'Er will alleine sein, also soll er gehen. Es wird ihm schon nix passieren.'

Sie erhebt sich, stützt sich dabei auf ihren Stock. "Ich begleite Edric, hier zu warten habe ich einfach keine Ruhe." Aufmerksam und vorsichtig folgt sie dem Hir-ten auf den Pfad nach Süden.

Sie hält ungefähr 5 Schritt Abstand zu ihm und deckt ihm so den Rücken.

Elgar blickt ihr ohne aufzustehen hinterher. 'Na toll! Jetzt trennen wir uns also schon wieder!' ist seine erste Reaktion. Aber er lässt sich nichts anmerken.

Statt dessen rührt er lieblos in der kochenden Suppe herum und prüft die Konsistenz auf 'Öligkeit' der Masse. Dabei überlegt er angestrengt, wie das Problem der 'brennenden Samen' zu lösen wäre.

Schließlich spricht er Hesander an: "Als verwandte Forscherseele habe ich eine Frage." beginnt er lang-sam. "Wir wollen uns vor den Feuersamen schützen. Gut. Aber wie?" er blickt den Geweihten an.

"Die Pflanzen selbst scheinen von den Samen nicht angegriffen zu werden, könnte uns das nicht von Vor-teil sein?" fragt er weiter. "Ich dachte da an so etwas wie einen Schild oder etwas Ähnliches, das sich aus den Blättern oder Stängeln der Pflanzen machen lässt."

Hesander überlegt kurz, dann meint er: "Das ist eine ausgezeichnete Idee, jedoch bin ich nicht wirklich ge-schickt im Weben oder Rüstungsbau. Andererseits wäre es denkbar, dass ein längeres Kochen dieser Sa-men ihnen ihre Gefährlichkeit nimmt. Wir sollten bei-des ausprobieren.

Was wir jedoch noch nicht wissen, ist, ob der Pflan-zensaft möglicherweise giftig oder auf andere Art ge-fährlich ist."

"Falls Ihr derzeit nichts Besseres zu tun habt, wäre das doch eine ideale Möglichkeit, Euch nützlich zu ma-chen!" antwortet Elgar. "Findet es heraus!"

Hesander überhört die erneute Respektlosigkeit Elgars und meint trocken: "Nicht mehr oder weniger als Ihr. Der Saft kocht auch ein, ohne dass Ihr dabei zuseht."

Den Löffel wie einen Taktstock benutzend, antwortet Elgar: "Es bedarf fachmännischer Überwachung, dass die Reduktion gelingt." Er blickt ernst und schließlich schleicht sich ein schiefes Grinsen auf seine Züge, das Hesander zeigt, dass er es nicht wirklich ernst gemeint hat.

Er steckt den Löffel zurück in den Topf und meint im Aufstehen: "So, dann lasst uns mal 'ernten' gehen. Habt Ihr ein Messer dabei?"

"Sicher doch", erwidert Hesander. Er zückt seine Basi-liskenzunge und schaut sie einen Augenblick lang an. 'Eigentlich ist es eine Schande, diesen geweihten Stahl für eine solche Arbeit zu verwenden. Doch der Wis-senschaft Willen und dem hesindegefälligen Wissen zuliebe soll es sein.'

"Dies sollte wohl ausreichen."

Leise pfeift Elgar durch die Zähne: "Das nennt Ihr ein Messer!?" ist er erstaunt. "Eigentlich dachte ich - nun ja - an ein Messer. Das da ist ein halbes Schwert!" meint er.

"Nun, vielleicht wollt Ihr mir ja mit einem Messer aus-helfen", antwortet Hesander und hebt dabei eine Au-genbraue.

Ingalf steht auf seine Orknase gebeugt am Feuer und muss über die Spielzeugmesser der Herren Wissen-schaftler lächeln. 'Wenn die sich bloß nicht schneiden …'

"Wenn ich ein Messer hätte, hätte ich Euch nicht zu fragen gebraucht." Elgar wirkt sehr geduldig. "Und mein Federmesser dürfte kaum geeignet sein." ergänzt er.

"Vielleicht sollten wir unseren Freund Ingalf bitten, ein paar der Basilaminen für uns mit seinem stattli-chen Beil zu 'fällen'?!" zwinkert er Hesander zu, so dass Ingalf es nicht bemerkt.

Am Kochtopf hat nun Grisbart den Löffel übernom-men. Immerhin hat er die Suppe ja schon einmal ge-kocht. Als er merkt, dass Hesander ein geweihtes Mes-ser benutzen will, ruft er ihm zu: "Nehmt doch lieber ein normales Messer, da wäre es nicht so schade, wenn es bei der Ernte kaputt geht. Ich hatte nur einmal Kontakt mit dem Zeug und das brennt sich auch durch Metall."

Bei dieser Bemerkung horcht Elgar auf. 'So, also auch Metall wird allgemein angegriffen, nicht nur das Eisen unseres Topfs.' überlegt er.

Laut sagt er: "Nun, dann macht es auch wenig Sinn, frische Pflanzenteile zu ernten. Denn ehe diese ge-trocknet sind, und dann vielleicht auch anfällig wer-den, ist es zu spät. Offenbar müssen wir uns mit der

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Fähigkeit, die Pflanzen zu erkennen, die vom Genuss dieser Suppe herrühren soll, zufrieden geben." stellt er fest. Begeistert ist er darüber wahrlich nicht.

"Nun, erkennen tun wir die Pflanzen doch auch so. Wenn Ihr so argumentiert, sehe ich keinen Sinn darin, die Samen weiter einzukochen."

"Tja, wir aber erst dann, wenn wir uns bereits in der Schussentfernung der Pflanzen befinden. Das ist für meinen Geschmack zu spät. Außerdem wissen wir nicht, wie lange das frühe Erkennen bei Grisbart noch anhält." hält Elgar dagegen. Er steht mit vor der Brust verschränkten Armen da und macht sich offenbar auf eine längere Debatte mit dem Geweihten gefasst. An die "Ernte" des Krautes denkt er nicht mehr.

"Wo Ihr das gerade erwähnt: Ich frage mich gerade, wie die Spinnen Melachath unbehelligt durch diese Pflanzen gebracht haben. Sollte das nämlich nicht der Fall sein, möge Boron seiner Seele gnädig sein."

Nachdenklich wiegt Elgar den Kopf: "Hm. Guter Ein-wand." bestätigt er.

"Wenn die Spinnen die Fähigkeit der Gedanken- und Gefühlsübertragung haben, sind sie vielleicht auch in der Lage, durch telekinetische oder sonstige arkane Formen transversalierter Movimentation die Pflanzen-samen am Platzen zu hindern." denkt Elgar laut. "Da sie sich so viel Mühe mit dem Fangen gegeben haben, glaube ich nicht, dass sie Melachaths Leben durch eine Flucht durch ein Basilaminenfeld gefährden."

'Warum müssen die beiden immer so schwafeln, kön-nen sie nicht reden wie normale Menschen?' Ingalf wird noch wahnsinnig bei dem Geschwätz der beiden.

Nervös schaut er in die Richtung, in der Rovena und Edric verschwunden sind …

Dann wendet er sich dem Welpen zu und streichelt den kleinen Hund gedankenverloren.

"Heißt es nicht in der Theoretica Artis Magicae, dass derartige Kräfte eine ebensolch' mächtige Quelle vor-aussetzen? Was müssten das für mächtige Wesen sein, wenn sie mit solchen Kräften ausgestattet wären.

Was jedoch von größerer Bedeutung wäre: Was wollen die Arachnoiden mit Melachath? Er wäre für diese große Zahl an Spinnen doch als Jagdbeute gar nicht ausreichend. Und wie sollen wir ihn wieder aus ihren Fängen befreien, wenn sie sozusagen jeden Schritt von uns in unseren Gedanken lesen können?"

"Da habt Ihr wohl Recht. Aber andererseits bedeutet das Vorhandensein einer Quelle nicht, dass sie damit umzugehen verstehen, wie wir es tun. Dieses Rätsel muss erst noch gelöst werden."

Elgar überlegt kurz und fährt dann fort: "In der Tat dürfte die derzeit wichtigste Frage das 'Wieso' der Ent-führung betreffen, abgesehen von dem 'Wohin' natür-lich. Über den Rest sollten wir uns Gedanken machen,

sobald es soweit ist. Dann können wir unser Vorgehen besser an den tatsächlichen Gegebenheiten orientie-ren. Einer meiner Lehrmeister sagte immer 'Webe den Spruch erst, wenn du das Ziel ergreifen kannst, sei es mit den Gedanken oder mit den Händen.' Das dürfte auch hier zutreffen." fügt er hinzu. "Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass sie unsere Gedanken in ihrer abstrakten Form erfassen können. Viel eher dürften sie unsere Gefühle erspüren und daraus mögliche Reak-tionen 'vorhersehen' können. 'Angst' bedeutet 'Flucht' und so weiter."

"Also wird uns zunächst nichts anderes übrig bleiben, als Melachath zu finden. Ich stimme in dem Punkt zu, dass sie unsere Gedanken nicht wirklich lesen oder verstehen können, wobei die Gefühle vermutlich aber je nachdem die wahreren Regungen sind. Das macht es aus meiner Sicht schwieriger."

Edric und RovenaWährend Edric dem Weg nach Süden folgt, denkt er über diese seltsamen Spinnen nach. Je mehr er über sie erfährt, desto mehr scheinen sie einer der Ge-schichten Ingalfs entsprungen zu sein. 'Spinnen, die fischen?' Er schüttelt den Kopf. 'Mit Netzen!' fast hät-te er aufgelacht. 'Spinnen, die sich wie Ameisen ver-halten und Menschen entführen?' das wird ihm keiner glauben.

Nach ungefähr einer Viertelstunde kommt Edric an einen von Südost nach Nordwest verlaufenden Was-serlauf. Im Westen ist hinter ein paar Büschen wieder ein Teich zu sehen. Es ist fast wie an der Stelle, wo sie die Spinnen getroffen haben.

Der junge Mann bleibt stehen und beobachtet auf-merksam den Wasserlauf.

'Spinnen, die Kanäle und Teichen bauen', setzt er sei-ne Liste in Gedanken fort, während er seinen Blick auf den Teich richtet.

Er schaut zu Rovena zurück, die ihm gefolgt ist und bedeutet ihr, stehen zu bleiben.

Sofort hält Rovena inne, ihre Augen wandern auf-merksam über die Umgebung. Tonlos formen ihre Lippen eine Warnung. 'Pass bloß auf das Springkraut auf, Edric …' Mit verengten Augen beobachtet die Hexe angespannt, wie Edric sich den Büschen nähert.

Vorsichtig pirscht er zu den Büschen, um den Teich näher zu beobachten. Sieht er Spinnen? Fühlt er sie?

Edric kommt zur Stelle, wo der kleine Wasserlauf in den nächsten Teich mündet. Es gibt keinerlei Hinwei-se auf Spinnen, nicht einmal alte Netze.

Edric lässt seinen Blick noch einmal über Ufer, Teich und Wasserlauf schweifen, dann geht er zu Rovena zurück, wobei er sich nicht übertrieben vorsichtig be-wegt.

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"Da sind keine Spinnen." teilt er ihr seine Beobach-tung mit. "Wollen wir ans Wasser gehen? Vielleicht finden wir da einen Hinweis." schlägt er vor.

Rovena nickt zustimmend. "Ja, gehen wir ans Wasser. Aber Vorsicht mit dem Gebüsch, wir sehen die Basila-minen nicht." Sie hebt einen herabgefallenen Ast auf, schätzt den Abstand zu den Büschen ab und wirft, wenn sie sich außerhalb der Reichweite der Samen wähnt, diesen auf die Pflanzen, dorthin, wo sie an den Teich wollen.

Dort scheint kein Springkraut zu wachsen.

"Lass uns am Wasserlauf entlang zu Teich gehen", schlägt er vor.

"Und die Basilaminen können wir sehen, nur nicht früh genug", kommentiert er. "Aber da vorne scheint es nirgends welche zu geben." fährt er fort.

"Gut, geh du vor." Rovena schaut zu den Wasserlauf entlang zum Teich hin. "Das müsste doch der Teich sein, an dessen gegenüberliegenden Ufer uns die Spinnen überfallen haben, oder?" fragt sie nach. "Den nächsten Teich sollten wir finden, wenn wir dem Was-serlauf stromaufwärts folgen."

Sie blickt dem Flüsschen in die andere Richtung nach, bis es wieder aus ihrem Blickfeld verschwindet.

So geht er aufmerksam, aber nicht übervorsichtig, zum Wasserlauf. Dort kniet er sich kurz nieder und schöpft eine handvoll Wasser mit der hohlen Hand, um dieses langsam zu trinken und sich anschließend mit der feuchten Hand Hals und Nacken zu erfri-schen.

Nachdenklich beobachtet die junge Hexe das Tun des Hirten und wartet ungeduldig ab, bis er mit seiner Er-frischung fertig ist.

Auch ein zweites etwas ausführlicheres Umschauen führt an dieser Stelle zu keinen neuen Erkenntnissen.

"Hier scheinen wir nichts zu finden. Auch keine Spin-nen." verkündet Edric, nachdem er sich aufgerichtet und erneut umgeschaut hat.

"Lass und da lang gehen." er deutet auf den Wasser-lauf in Richtung des vermeintlich nächsten Teiches und marschiert voran.

'Es muss doch Spuren von Spinnen geben' überlegt er düster. 'Wo sind die Netze, mit denen sie fischen? Oder hat sich der Zwerg einen Scherz mit uns erlaubt?'

Stumm folgt Rovena dem Hirten den Wasserlauf ent-lang. Seit Grisbart erzählt hat, die Spinnen ernähren sich vom Fischfang, grübelt sie darüber nach, warum sie gemeinschaftlich einen Menschen entführt haben. Ernähren sich die Spinnen auch von anderen Tieren, oder arbeiten diese halb intelligenten Spinnen viel-leicht sogar mit jemandem zusammen? Steckt viel-leicht diese mysteriöse Zauberin dahinter? So viele

Fragen und keine Antworten, keine Spur von ihrem Gefährten, es ist zum Verzweifeln …

Trotz dieser Gedanken, die in ihrem Kopf kreisen, ver-sucht sie, sich äußerst aufmerksam durch das Gelände zu bewegen, damit ihr ja nicht der kleinste Anhalts-punkt entgeht.

Nach ungefähr fünf Minuten erreichen die beiden den Abfluss des nächsten Teiches. Tatsächlich ist dort das Wasser durch einen künstlichen Damm gestaut. In der Öffnung des Dammes finden sich die Reste eines eng-maschigen Spinnennetzes.

"Er scheint die Wahrheit gesagt zu haben …" murmelt Edric vor sich hin, während er das alte Netz betrach-tet. Anschließend mustert er den Teich und die Umge-bung.

Es fällt ihm nichts besonderes auf.

"Wo können die Spinnen nur hin sein?" fragt er Rove-na und überlegt, wo so viele Spinnen, die sogar Fi-schen und Teich bauen, leben könnten. Als logische Erklärung kommt ihm nur in den Sinn, dass sie wie in einem Ameisenstaat unter der Erde hausen, denn andere Bauwerke hätte die Gruppe sicher schon gese-hen!

"Wenn sie, wie Grisbart meint, nicht auf den Bäumen leben, dann kann ich mir nur vorstellen, dass sie unter dem Waldboden verschwunden sind", antwortet Rove-na nachdenklich. "Es ist schon seltsam, dass so viele Spinnen so schnell spurlos verschwinden können."

Die junge Frau schaut sich aufmerksam um, ob ir-gendwelche Spuren zu entdecken sind, die von dem Damm mit dem alten Spinnennetz wegführen.

Spinnenspuren und normale Ungleichmäßigkeiten des Erdbodens scheinen so ähnlich zu sein, dass je-mand mit Rovenas oder Edrics Fähigkeiten im Spu-renlesen sie nicht auseinanderhalten kann.

Edric nickt bei ihren Worten zustimmend. "Dann soll-ten wir nach einem Eingang suchen." schlägt er vor.

"Doch wo sollen wir anfangen, zu suchen?" Rovena schaut sich verzweifelt um. "Nirgends ist ein Hinweis zu sehen, wohin sie sich nach ihrem Fischfang mit der Beute zurückziehen. Gehen wir am Ufer entlang bis vor zum Zulauf? Grisbart meinte ja, sie würden sich immer in der Nähe des Wassers aufhalten, dann muss es doch hier irgendwo eine Spur von ihnen geben." Fest hält sie ihren Stab in der Hand und geht ein paar Schritte am Ufer entlang, sorgfältig auf die Büsche achtend.

Es gibt außer den Netzen am Ablauf des Teiches nichts, was Rovena und Edric auffällt.

"Ich weiß es nicht", antwortet der blonde Hirte. "Ich kann hier nirgends eine Fährte entdecken." Er deutet auf den Boden, auf dem alle Unebenheiten nicht nach einer Spinnenspur aussehen. Vielleicht weiß er auch

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nur nicht, auf die entsprechenden Anzeichen zu ach-ten.

Dann schaut er auf und Rovena ins Gesicht: "Ein Tunnel wird sicher nicht in unmittelbarer Nähe zum See liegen, sicher etwas abseits und gut getarnt." Er schaut sich die fernere Umgebung etwas genauer an, und hofft, einen möglichen Hinweis zu erkennen.

Er sieht aber nichts.

'So kommen wir nicht weiter.' überlegt Edric.

"Was hältst Du davon, den Spinnen aufzulauern? Frü-her oder später müssen sie wieder an den Teich kom-men." schlägt er vor.

"Das können wir versuchen," kommt von der jungen Hexe die Antwort, wenn auch mit Zweifel in der Stimme, den sie gleich zum Ausdruck bringt.

"Könnten sie uns nicht auch durch unsere Gedanken aufspüren und gewarnt sein?" Rovena kehrt zu Edric zurück und sieht sich nach einem passenden Versteck um.

"Möglich", überlegt Edric und sieht sich ebenfalls um. Wie soll er der jungen Frau nur erklären, dass er es für besser hält, den Spinnen alleine aufzulauern? Außer-dem ist er sich nicht sicher, ob er sie alleine durch den Wald zu den anderen zurückschicken kann.

Es gibt da ein Gebüsch zehn Schritt vom Durchfluss entfernt aber mit gutem Blick, wo sich eine einzelne Person wohl gut verstecken kann.

"Da wäre ein guter Platz" meint Edric und deutet auf das Gebüsch.

Rovena nickt und schaut sich das Versteck genauer an.

Sieht wirklich gut aus: Ein freier Blick auf den Durch-lass im Damm, aber rundherum Büsche. Und hierhin würde man nur gehen, wenn man ein Versteck sucht.

"Allerdings nur für einen von uns." fügt er nachdenk-lich hinzu und schaut sich nochmals um, ohne ein zweites entsprechendes Versteck zu finden.

"Sieht so aus, ja," erwidert die Hexe unzufrieden.

"Wir sollten Ingalf und den anderen Bescheid geben, was wir vorhaben." schlägt er vor, in der Hoffnung, dass sich Rovena anbietet dies zu tun.

"Meinst Du wirklich es ist gut, wenn wir uns trennen?" Zweifelnd blickt sie den jungen Mann an, mustert eingehend seine Miene. Dann schaut sie den Weg zurück, den sie gekommen sind und wieder zu dem Versteck in dem Gebüsch. Sie seufzt leise. "Du wirst deine Gefühle vielleicht besser verbergen können als ich, also bleibst besser du hier und legst dich auf die Lauer. Ich gehe zurück und hole die anderen."

"Wie du meinst." stimmt Edric ihr zu, ohne zu zeigen dass er erfreut über diese Entscheidung ist.

Sie schaut ihm fest in die Augen. "Aber du musst mir versprechen, vorsichtig zu sein, ja?" bittet sie ihn.

"Und wenn die Spinnen kommen und du folgst ih-nen, lege eine deutliche Spur, damit wir dich nicht auch noch verlieren …"

Die Angst um ihre Gefährten steht ihr ins Gesicht ge-schrieben.

Er weicht ihrem direkten Blick in seiner schüchternen Art aus, nickt aber bestätigend.

Zögernd, fast widerwillig, wendet Rovena sich um und geht langsam auf den Weg zurück, den sie ge-kommen sind. Abrupt bleibt sie noch mal stehen und dreht sich zu Edric um. "Versprochen!" ruft sie ihm zu.

Dann verschwindet sie zwischen den Bäumen und lässt Edric allein an dem Teich zurück.

Als die junge Hexe geht, wendet sich Edric dem Platz hinter dem Busch, auf dem er sich auf die Lauer legen will.

Als sie ihn nochmal ruft, zuckt er unmerklich zusam-men. Auch wenn er es anderen gegenüber niemals eingestehen würde, hat ihre laute Stimme ihn er-schreckt.

Er blickt auf und nickt ihr bestätigend zu. Als Rovena endlich endlich zwischen den Bäumen verschwunden ist, atmet er auf. In den vergangenen Stunden hatte er keine Möglichkeit sich über seine Gefühle ihr gegen-über klar zu werden.

'Sie scheint umgänglich zu sein. Ganz anders als an-dere Mädchen, die nie etwas von mir wissen wollten.' überlegt er, während er sich den Platz ein wenig be-quemer herrichtet. Schließlich weiß er nicht, wie lan-ge er hier warten muss.

'Dennoch ist sie eine Hexe!' Dieses Argument scheint alles zu erdrücken, obwohl die junge Hirte nur Ge-schichten über Hexen kennt. Doch diese waren nie-mals nett - und falls doch, dann führten sie etwas Bö-ses im Schilde.

So legt er sich flach auf den Bauch, bedeckt die Beine mit etwas herumliegendem Laub, damit sie sich noch weniger vom Boden abheben. Seine naturverbundene Kleidung sorgt ohnehin schon für eine gute Tarnung. Sein eisenbeschlagener Stab aus dem Wüsten-Kloster liegt griffbereit neben ihm.

So liegt er bequem und entspannt auf dem Bauch, be-obachtet den Teich und die Umgebung, während er die Geräusche des Waldes in sich aufnimmt.

Eilig sucht Rovena sich ihren Weg zurück zu Elgar und ihren restlichen Gefährten.

Plötzlich wird ihr klar, dass sie ganz allein im Wald ist.

Edrics EntdeckungFür Edric ist es fast so wie früher, als er Wache bei den Schafen hielt. Er ist endlich wieder einmal eins mit der Natur.

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Der junge Hirte genießt den Augenblick und die Ge-danken an Dinge, die sich scheinbar in einem anderen Leben ereignet haben. Dennoch ist er sich der Unter-schiede zu früher bewusst - vor allem der fremden Umgebung und den Gefahren die hier lauern. Er hü-tet halt keine Schafe mehr …

Eine Stunde ist vergangen, da bemerkt Edric Bewe-gung am Damm. Seine Erwartung hat sich erfüllt, da kommt eine Spinne aus Richtung Südwesten durch das Gebüsch. Edric verspürt Konzentration.

Zuerst ist Edric versucht, sich etwas weiter zurückzu-ziehen, doch das Gefühl der Konzentration beruhigt ihn. 'Da müssen wir also suchen', stellt er fest und be-obachtet konzentriert das weitere Geschehen.

Die Spinne webt ein Netz über die Öffnung. Sie scheint keine Angst vor nassen Füßen zu haben, aber sie taucht nicht einmal mit ihrem ganzen Körper un-ter.

Nach 10 Minuten ist das Netz fertig, und die Spinne lässt sich nieder. Nach noch einmal 10 Minuten löst die Spinne das Netz und holt es ein. Darin haben sich 3 Fische verfangen. Ruhig macht sich die Spinne auf, ihren Fang wegzutragen.

'Vielleicht bietet Wasser doch einen Schutz', vermutet er, als er sieht, dass die Spinne immer nur mit den Fü-ßen im Wasser steht.

Als die Spinne schon fast wieder im Gebüsch ver-schwunden ist, erhebt sich der junge Hirte nahezu ge-räuschlos und nimmt die Verfolgung der Spinne auf. In seiner Rechten trägt er seinen Stab, während er sich in gebückter Haltung an die Büsche heranpirscht, durch die die Spinne gerade verschwunden ist. Seine Sinne sind geschärft.

Die Spinne kreuzt den Pfad, der Richtung Süden führt und bewegt sich dann weiter zielstrebig Rich-tung Westen.

Sie scheint nicht zu bemerken, dass sie verfolgt wird. Nach wenigen Minuten wird klar, was das Ziel der Spinne ist. Am südlichen Ufer eines Teiches erhebt sich ein kleiner kuppelförmiger, mit Gras bewachsener Hügel. Im Südhang dieses Hügels klafft ein halbrun-des Loch, das knapp menschenhoch ist. In diesem Loch verschwindet die Spinne.

Edric folgt der Spinne in sicherem Abstand. Als er den bewachsenen Hügel sieht, in dem die Spinne mit ih-rem Fang verschwindet, bleibt er stehen und wartet ab.

'Also doch unter der Erde', überlegt er und hält nach möglichen Wachen am Eingang Ausschau. Er bleibt noch einen Moment stehen, um abzuwarten, ob wei-tere Spinnen hinein- oder herauslaufen.

Edric sieht keine Wachen.

Während der nächsten Minute ist keine Spinne zu se-hen.

Dann wendet er sich ab und macht sich auf den Rück-weg.

Edric hat schätzungsweise die halbe Strecke zu seinen Gefährten zurückgelegt, da prasselt plötzlich von allen Seiten ein Hagel von seltsamen Geschossen auf ihn nieder. Die linsengroßen Kügelchen brennen höllisch auf der Haut und fressen kleine Löcher in die Kleider.

"Au, verdammt!" flucht er erschrocken und versucht mit schnellen, großen Schritten, aus dem Gefahrenbe-reich dieser vermaledeiten Pflanze zu kommen. Hätte er doch nur besser aufgepasst!

Edric bleibt stehen und begutachtet den Schaden an seiner Kleidung. Etliche Löcher haben die Samen in seine Kleider gebrannt. Er wird wohl bei Gelegenheit zu Nadel und Faden greifen müssen um sie zu stop-fen.

'Nur gut, dass ich mir keine neue Kleidung schnei-dern ließ', überlegt er während des weiteren Weges. 'Vielleicht steht das Angebot der Hetfrau ja noch nach unserer Rückkehr.'

Während seines weiteren Rückweges zur Gruppe ge-schieht nichts weiter aufregendes.

Elgar und IngalfIn der Zwischenzeit …

Ingalf, der mit Kawi spielt und sich sonst ziemliche Sorgen über das Ausbleiben der beiden Gefährten macht, fragt Grisbart: "Wann ist denn dieser Sud fer-tig? Nicht dass wir 3 Vermisste suchen müssen …"

"Na so zwei Stunden müsste das auf jeden Fall dau-ern. Und mach dir wegen der beiden anderen keine Sorgen. Vielleicht wollten die nur einfach mal alleine sein. Danach können wir ja weitergehen."

'Hmm', denkt sich Ingalf, 'der Kleine hat aber 'ne ko-mische Art von Humor …'

"Auch wenn Du mich aufforderst", antwortet der Thorwaler grinsend, "ich gehe nicht mit Dir in den Wald!"

"Keine Sorge," antwortet er mit gerunzelter Stirn. "Ich meine natürlich, wenn der Sud fertig ist und nicht, wenn die beiden fertig sind."

Innerlich lächelnd stellt sich Elgar vor, was Edric und Rovena wohl zu dieser Unterhaltung sagen würden. Ein Schmunzeln stiehlt sich auf sein Gesicht.

Eine halbe Stunde ist vergangen, seit Rovena und Ed-ric zur Erkundung aufgebrochen sind. Ein Blick in den Topf zeigt, dass der Sud noch nicht wirklich dick-flüssig ist.

"Meister Zwerg, offenbar versteht Ihr Euch auf das Kochen dieser Suppe. Beaufsichtigt die Reduktion doch bitte."

An Ingalf gewandt, meint Elgar: "Langsam mache ich mir Sorgen wegen unserer beiden Freunde. Würdest

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Du denn mit mir in den Wald gehen, um die beiden zu suchen?" spielt er auf die vorangegangene Unter-haltung mit einem Grinsen an.

"Das wohl!" antwortet Ingalf, ebenfalls grinsend - 'Manchmal ist der Zauberer ja fast normal!' fügt er in Gedanken hinzu, dann antwortet er aber laut: "Nur wenn der Geweihte uns beide nicht segnet!"

Zu Hesander sagt er nur kurz: "Beiß mir den Hund nicht und pass … bitte" - das Wort kommt ihm etwas zäh über die Lippen - "auf den kleinen Kawi auf."

Dann schultert er Schild und Orknase und ist bereit, mit Elgar loszuziehen.

"Ich könnte Euch segnen, während Ihr unterwegs seid, damit Ihr zurückkommt", grinst Hesander leicht. Dann hockt er sich zu Kawi hinunter und meint, "na, Du Geschöpf Tsas, was machen wir beide jetzt?"

Als Antwort leckt Kawi Hesander erst einmal die Hand.

"Warten", kommt trocken die Antwort von Grisbart, der es sich schon am Feuer bequem gemacht hat.

Hesander schaut kurz auf, während Kawi Hesanders Hand leckt, und sieht in Richtung des Zwerges. 'Ihn hatte ich zwar nicht gemeint, aber er hat wohl Recht', fährt es Hesander durch den Kopf.

"Wenn Ihr ein Auge auf den Sud haben würdet, An-groschim, dann werde ich mich ins Gebet versenken", sagt Hesander in Richtung Grisbarts.

"Aber klar," kommt gemurmelt aus Grisbarts Bart. Das restliche gemurmelte bleibt in Grisbarts Bart hängen und ist nicht zu verstehen.

Trotz allem nimmt Elgar seinen Rucksack auf, den Stab hält er in der linken Hand und mit einem kurzen Kopfnicken bedeutet er Ingalf, dass auch er bereit zum Aufbruch ist.

So verlassen die beiden den Zwerg und Hesander auf dem Pfad in Richtung Süden, den zuvor Rovena und Edric beschritten haben. Dabei sieht sich Elgar inter-essiert um, lauscht auf die Stimmen des Waldes und erforscht seine Gefühle, ob nicht von außen die Stim-mungen anderer - wie die der Spinnen - auf ihn ein-strömen.

Da der Magier endlich mal nicht redet, bleibt auch In-galf stumm und geht neben Elgar her.

Die beiden sind vielleicht 10 Minuten unterwegs, da prasselt plötzlich von allen Seiten ein Hagel von selt-samen Geschossen auf die beiden nieder. Die linsen-großen Kügelchen brennen höllisch auf der Haut und fressen kleine Löcher in die Kleider.

"Verdammich!" ruft Ingalf. "Dieses blöde Kraut! Ver-steckt sich vor und bewirft einen dann! Bei Swafnir, man sollte den Wald hier abholzen!"

Er versucht, sich hinter seinem Schild zu ducken und mit langen Schritt aus der Zone des Beschusses zu ge-langen.

Ohne das Gesicht zu verziehen nimmt Elgar den Be-schuss und die durch Treffer entstehenden Schmerzen hin. 'Das ist nicht so schlimm wie die Neunschwänzi-ge.' denkt er dabei.

Neben Ingalf läuft er weiter auf dem Weg und meint dabei: "Die hatte ich ganz vergessen! Hoffentlich ver-läuft der Weg nicht durch ein Feld davon!"

Nach dem ersten Schwarm kommt nichts weiteres mehr.

Erst als der Beschuss aufhört, bleibt er stehen und wischt schnell mit dem Ärmel des Mantels alle Samen fort, die sich irgendwo verfangen haben könnten.

"Das wohl! Das wohl!" kommt von Ingalf, der es dem Magier gleichtut und sich die Reste aus der Kleidung schüttelt.

Es war offensichtlich ein einmaliger Beschuss.

"Alles in Ordnung?" fragt Elgar nach, sieht aber gleich, das Ingalf auch nicht viel passiert ist. "Alles in Ordnung." wiederholt er daher feststellend.

"Jetzt haben wir das gleiche Problem, wie vorher auch." stellt er mit gerunzelter Stirn fest. "Vorschläge?"

"Augen auf und durch!" kommt es von Ingalf. "Was soll das Zaudern und Zögern? Wir erkennen die blö-den Pflanzen sowieso nicht - zumindest nicht außer-halb der Wurfweite! Wenn wir also zu den beiden wol-len, haben nur diesen Weg und den müssen wir ge-hen!"

Zur Antwort erhält er lediglich ein zustimmendes Ni-cken, das Elgar mit grimmigem Gesicht in seine Rich-tung gibt.

Dann setzt er sich wieder in Bewegung.

Es kommt zu keinem weiteren Basilaminen-"Angriff".

Die beiden Gefährten sind fünf weitere Minuten un-terwegs, da kommt ihnen Rovena entgegen - allein.

Ingalf zieht die Brauen hoch: "Was ist los? Wo ist Ed-ric? Ist etwas passiert? Die Spinnen …?"

Da Ingalf in seiner spontanen Art bereits alle relevan-ten Fragen gestellt hat, fragt Elgar selbst nichts weiter. Allerdings ist er erleichtert, zumindest Rovena unver-sehrt wiederzusehen.

Aufmerksam sieht er sich - auf seinen Stab gestützt stehend - um und wartet gespannt auf Rovenas Ant-worten.

"Isinha! Ingalf!" ruft Rovena erfreut aus, als sie ihre Gefährten sieht und beschleunigt ihre Schritte. Ein Stein fällt ihr vom Herzen, jetzt nicht mehr allein hier im Wald zu sein. Der einsame Rückweg durch das ihr fremde, bedrohlich wirkende Waldgebiet hat ihre Furcht geschürt und die Zweifel daran, ob es richtig

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war, Edric allein zu lassen, genährt. Besorgt hat sie ih-ren Stab fest umklammert und nach den Spinnen und dem Axtmörder Ausschau gehalten, jederzeit bereit, mit seiner Hilfe die Flucht zu ergreifen.

Bei den beiden angekommen, unterdrückt sie gerade noch ihr Bedürfnis, ihren Gefährten vor Freude um den Hals zu fallen. "Satuaria sei Dank, es geht euch gut!" Sie schaut beide abwechselnd an und runzelt die Stirn, als sie die kleinen Löcher in ihrer Bekleidung sieht. Schnell beantwortet sie Ingalfs Fragen. "Es ist nichts passiert, Edric und ich haben den nächsten Teich und ein altes Spinnennetz in einem Dammab-lauf gefunden, mehr nicht, keine weiteren Spuren die-ser vermaledeiten Spinnen. Edric hat sich dort auf die Lauer gelegt, es war nur ein Versteck für einen von uns zu finden gewesen, und er will dort auf die Spinnen warten. Ich soll euch davon berichten." Sie unterbricht kurz ihren Redefluss, um zu Atem zu kommen, und fügt hinzu: "Bin ich froh, dass ihr da seid, ich habe Edric ungern allein zurück gelassen. Ich weiß nicht, ob die Spinnen uns nicht durch ihre Gefühlswahrneh-mungen aufspüren können …" Besorgt dreht sie sich um und schaut den Weg zurück, den sie gekommen ist.

Dort ist aber nichts besonders zu sehen.

"Immer mit der Ruhe." meint Elgar mit wohl modu-lierter Stimme und legt ihr besänftigend die freie rech-te Hand auf die Schulter und sieht Rovena in die Au-gen. "Tief durchatmen!" fordert er sie ruhig auf. "Und jetzt im Zusammenhang …" sistiert er.

"Wie im Zusammenhang?" Irritiert schaut Rovena den Magier an und weiß nicht so recht, ob sie seine Berührung jetzt als angenehm empfinden oder sich davon bedroht fühlen soll.

"Edric hat sich am nächsten Teich versteckt und lauert dort den Spinnen auf. Wir haben keine Spuren von Melachath finden können. Ich nehme an, Edric wird, wenn die Spinnen auftauchen, versuchen zu beobach-ten, wohin sie sich wieder zurückziehen, damit wir ih-ren Unterschlupf finden."

Elgar zieht die Hand wieder zurück. Ob er ihr Unbe-hagen gespürt hat, vermag Rovena nicht zu beurteilen, jedenfalls geht er nicht darauf ein, als er die Hand mit an den Stab nimmt und sich schwer darauf stützt. "Er will was?" fragt er mit leichtem Entsetzen in der Stim-me. Und nur für sich selbst fügt er hinzu: "Man darf hier niemanden auch nur eine Minute aus den Augen lassen. Gleich werden sie alle größenwahnsinnig! Al-lein! Die Spinnen beobachten und verfolgen!?" Dabei schüttelt er den Kopf.

Dann ergreift er (wieder einmal) die Initiative: "Los, lasst uns diesen vorwitzigen Jungen abholen!" fordert er die beiden anderen auf.

"Nein!" meint Ingalf ruhig, aber bestimmend. "Wenn er alleine sein will, dann will er alleine sein! Ihm wird schon nix passieren und den Weg zurück wird es auch schon alleine finden! Wir sollten zurück zu den ande-ren."

Er bleibt stehen.

Mit sich verengenden Augen nimmt Elgar den wider-spenstigen Thorwaler kurz aber intensiv in Augen-schein und mustert sein Gesicht. Keine Regung ent-hüllt seine eigenen Gedanken. 'Offenbar meint er es so, wie er es sagt.' kommt Elgar schließlich zu einem Ergebnis und antwortet: "Gut. Wenn du meinst. Aber kommt mir nachher nicht angelaufen mit der Num-mer: 'Aahhrg, Edric ist weg! Es ist von einer Spinne gebissen worden!' oder etwas in der Art." Ohne ein weiteres Wort zu verlieren dreht er sich um und schließt sich Ingalf für den Rückweg zu Hesander und Grisbart an.

"Und wenn es so wäre", murmelt Ingalf, "dann holen wir zwei" - er streicht über die Klinge der Orknase - "meinen Freund auch wieder raus! Bei Swafnir!" kommt es etwas lauter und bekräftigend hinterher. "Das wohl!"

'Edric ist schließlich kein kleines Kind mehr, und die Spinnen haben ihre Beute schon gemacht.' denkt er noch und geht vorsichtig auf dem Weg zurück.

Rovena hat mit leicht gesenktem Kopf neben Elgar und Ingalf gestanden.

Sie fühlt sich nicht wohl dabei, Edric allein zurückge-lassen zu haben und macht sich Vorwürfe deswegen.

'Wenn ihm nun auch etwas zustößt … wer von uns wird der nächste sein, der hier in diesem Wald verlo-ren geht?' fragt sie sich bei Ingalfs Worten und blickt auf, als die beiden den Rückweg zu ihrem provisori-schen Lager antreten. Stumm schließt sie sich ihnen an.

Auf dem Rückweg gibt es keine unliebsamen Überra-schungen mit Basilaminen.

Das EinhornNach einiger Zeit kommen Ingalf und Elgar wieder. Sie haben Rovena dabei. Edric fehlt.

Die Hexe geht zum Feuer und lässt sich neben Gris-bart nieder, der beharrlich in dem Kessel rührt. Neu-gierig wirft sie einen Blick hinein. "Ist der Sud immer noch nicht fertig? Wie lange wird es denn noch dau-ern, bis wir davon essen können?" will sie von dem Zwerg wissen und hofft, dass sie bald aufbrechen kön-nen, um zu Edric zurückzugehen und weiter nach den Spinnen und Melachath zu suchen.

Der Sud kocht jetzt seit einer Stunde.

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Hesander "erwacht" wieder aus seinem Gebet, als er die anderen wahrnimmt. "Nun, was habt Ihr heraus-gefunden", fragt er neugierig.

"Das diese blöden Pflanzen brennen!" meint Ingalf trocken. "Wir brauchen diesen Sud, sonst prickelt Dir der Hut!"

"Wenn es nur der Hut wäre …" ergänzt Elgar und steckt von innen her einen Finger durch eines der ge-brannten Löcher in seinem Mantel und macht damit eine winkende Bewegung.

Erst jetzt bemerkt Hesander die Brandlöcher und die roten Stellen an den offenen Hautpartien der Gefähr-ten. "Bei Peraine, das sind also diese aufgesprungenen Kapseln mit den Samen? Nun gut, kochen wir den Sud weiter!" Und mit diesen Worten geht Hesander zum Topf und rührt den Sud wieder ein wenig um.

Plötzlich tritt aus der nach Osten führenden Schneise ein Einhorn.

Elgar dreht sich langsam um und blickt das Tier an. "Kau-pe tisamotu! Also gibt es sie wirklich!" haucht er. "Ich hätte nie gedacht, dass an den 'Geschichten' et-was 'dran sein könnte!" Ehrfürchtig senkt er den Kopf und verneigt sich leicht vor dem Einhorn. "Erschreckt es nicht!" fordert er die anderen schnell auf. "Verhaltet euch ruhig."

Er lässt es nicht aus den Augen.

Auch ohne Elgars Aufforderung hätte sich Rovena völ-lig ruhig verhalten, als sie das Einhorn erblickt. Ehr-furchtsvoll neigt sie das Haupt, die silbernen Strähnen ihres Haares blitzen auf. Dann blickt sie wieder auf und mustert das geheimnisvolle Tier aufmerksam.

Ingalf bleibt ebenfalls ruhig stehen, dann flüstert er leise: "Rovena, geht doch mal hin, ich habe mal gehört die mögen Frauen!"

'Ob es das war, was Garhelt im Sinn hatte, als sie sagte wir sollen eine Frau mitnehmen? Aber von Jungfrau hatte sie nix gesagt, oder?' fügt er in Gedanken hinzu.

"Das habe ich auch gehört," erwidert die Hexe leise, ' … und noch andere Erzählungen,' denkt sie bei sich. Sie macht einen zögernden Schritt auf das Einhorn zu, hält dann aber wieder inne und beobachtet die Re-aktion des machtvollen Zauberwesens gespannt. "Du wunderschönes, geheimnisvolles Geschöpf, kommst du zu uns, um uns zu helfen?" erklingt es leise aus ih-rem Mund, ihre smaragdgrünen Augen sind unabläs-sig auf das Einhorn gerichtet.

Rovena hat das Gefühl, das Einhorn zwinkert ihr zu, bevor es sich umdreht und wieder im Wald verschwin-det.

Ein Schauer läuft der jungen Frau über den Rücken und sie atmet erst einmal tief durch. "Es scheint nichts von uns zu wollen," meint sie an ihre Gefährten ge-richtet. "Noch nie habe ich eines dieser Geschöpfe ge-

sehen, obwohl man sich erzählt, dass bei uns in Wei-den im Bärnwalde Mandavar leben soll …" Sie ver-stummt und starrt auf die Stelle, an der das herrliche Zauberwesen verschwunden ist.

Mit offenem Mund erstarrt Grisbart. Die Hand, die bisher rührte verharrt still über dem Topf. Er sieht nicht so aus, als hätte er schon ein Einhorn gesehen.

"Bei allen Zwölfen! Ein Zeichen", entfährt es Hesan-der. "Die Götter sind uns wohl gesonnen - und wir werden Melachath finden", sagt er mit überzeugter Stimme.

Als das Einhorn wieder verschwunden ist, schüttelt Elgar über diese Bemerkung nur den Kopf: "Natürlich werden wir Melachath finden! Nur ob das Einhorn et-was damit zu tun hat, wage ich zu bezweifeln!" führt er - mal wieder - ein Selbstgespräch.

"Das wohl! Das wohl!" murmelt Ingalf zustimmend.

Die Gruppe ist noch damit beschäftigt, sich über das Einhorn auszutauschen, als Edric endlich auftaucht.

"Mensch Edric!" ruft der Thorwaler seinem Freund entgegen. "Hast Du das gesehen? Ein Einhorn! Ich dachte immer, die gibt es nur im Märchen."

Dann fragt er besorgt weiter: "Wo hast Du solange ge-steckt? Geht es Dir gut? Hast Du was gefunden? Nun erzähl' schon!"

'Ein Einhorn?' Edric runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf. Nein, er hat es nicht gesehen. Oder will In-galf ihm wieder einen Bären aufbinden? Aber alle be-nehmen sich so, als wäre hier etwas geschehen. "Wo denn?" fragt er nach.

"Gerade eben war es noch hier," antworte Rovena ver-sonnen und löst ihren Blick von der Stelle, an der das Einhorn wieder im Wald verschwunden ist. Sie schaut den Hirten freudig an. "Ein Glück, du bist wieder bei uns …"

"Wirklich?" fragt Edric ungläubig. "Ein Einhorn?"

"Hab' ich doch gesagt!" Ingalf wirkt leicht einge-schnappt wegen der zweifelnden Nachfrage seines Freundes.

"Es war unverkennbar ein Einhorn," entgegnet Rove-na beharrlich. "Was kann das bedeuten? Wir haben uns nicht bemüht, leise zu sein, es hätte uns hören müssen und doch hat es sich uns gezeigt. Das kann doch kein Zufall sein, oder?"

Mit einem Seitenblick auf Hesander antwortet Elgar auf diese allgemein gehaltene Frage: "Nein. Denn wie unser Freund hier sagen würde: 'Es gibt keine Zufälle. Alles ist Wille der Götter.' - auch wenn ich mit ihm da nur im Ergebnis konform gehe."

Hesander schaut Elgar kurz an und meint: "Ich gehe davon aus, dass der gelehrte Herr keine fundamental-theologische Diskussion an dieser Stelle führen möch-

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te. Einhorn ist Einhorn. Und wenn mehrere von uns es gesehen haben, dann war dort auch ein Einhorn."

"Nein, das wohl nicht!" lacht Elgar und hebt abweh-rend die Hände. "Es ging mir nur um den Zufall." be-kräftigt er.

Dann schaut Hesander in den Topf mit dem Sud. "Hmmm, ob er schon fertig ist?"

"Ich weiß wo die Spinnen unter die Erde gehen. Und sie fangen tatsächlich Fische." erklärt Edric eifrig. "Ich hab's gesehen!"

"Also hausen sie tatsächlich unter der Erde, wie wir vermutet haben," sinniert die Hexe. "Doch frage ich mich immer noch, warum sie einen Menschen gefan-gen haben, wenn sie sich doch offensichtlich von Fi-schen ernähren. Was haben sie mit ihm vor?" Sie schaut ihre Gefährten nachdenklich an.

"Immerhin wollen sie ihn lebend", meint Ingalf, "er is' ja kein Fisch. Und daher haben wir auch die Zeit den Sud zu Ende zu kochen. Ich will nicht nochmal von diesen blöden Pflanzen beschossen werden."

'Tja', fügt er in Gedanken hinzu, 'ich habe es ja gleich gesagt, Edric macht das schon!'

"Wie lange dauert das denn noch?" fragt der Hirte un-ruhig.

"Lange kann es nicht mehr dauern", meint Ingalf und wendet sich an Grisbart: "Oder?"

Die Suppe ist noch nicht ganz so dickflüssig, wie Gris-bart sie in Erinnerung hat. Insgesamt ist sie aber schon ziemlich eingedampft. Grisbart vermutet, dass es genug für eine Person sein wird.

Rovena starrt etwas missmutig in den Topf. "Und wer von uns soll sie nun essen?" fragt sie kopfschüttelnd und schaut reihum ihre Gefährten an.

'Habe ich es doch geahnt, es wird nie und nimmer für uns alle genug sein, es waren zu wenig Samen. Zeit-verschwendung, haben wir doch eh Grisbart bei uns …', denkt sie sich im Stillen.

Edric reißt sich nicht darum, diese Suppe zu kosten. Auch wenn er einfaches Essen gewohnt ist, muss ein Mahl aus solch komischen Zutaten nicht sein.

"Falls sich niemand freiwillig erbietet," beginnt Elgar zögerlich, "schlimmer als Ingalfs Eintopf kann das auch nicht sein, wäre ich unter Umständen bereit, die-se 'Suppe' zu kosten." erklärt er schließlich.

"Nun", unterbricht ihn Hesander, "Eure Kräfte könn-ten wir womöglich noch gebrauchen. Wer weiß, was für sonstige Wirkungen der Sud hat. Wenn es sein muss, stelle ich mich ebenfalls zur Verfügung - im Dienste Hesindes."

"Einigt euch!" knurrt der Thorwaler etwas erbost über die sich wiederholenden Anspielungen auf seine Kochkünste, "sonst kriegt es Kawi!"

"Oh, das würde uns weiterhelfen!" meint Elgar bissig und fährt fort: "Dann wünsche ich Euch einen guten Appetit, Hesander." und macht eine einladende Bewe-gung auf den Topf zu.

"Ruhig Blut, Ingalf. Es geht rein um die Wirkung des Suds - und derer muss man sich wohl erst überzeu-gen." Hesander ignoriert die letzte Bemerkung von El-gar und geht zum Topf. "Soll man den Sud heiß zu sich nehmen, Grisbart, oder soll er vorher abkühlen?"

"Du überzeugst Dich aber nicht davon, wenn Du um den Topf stehst und redest!"

"Ich habe ihn getrunken, als ich mir nicht mehr das M…, den Mund verbrannt habe. Du solltest alles trin-ken, damit es wirkt", empfiehlt Grisbart

Hesander nickt kurz, nimmt den Topf vom Feuer, lässt den Sud auf "Trinktemperatur" herunter kühlen, riecht kurz daran, rümpft die Nase und dreht angewi-dert das Gesicht weg, reißt sich zusammen und trinkt den Sud aus dem Topf.

Neugierig beobachtet Rovena, wie der Geweihte mu-tig die Suppe zu sich nimmt. Sie wartet einen Mo-ment und fragt dann zögernd: "Und, verspürt Ihr schon eine Wirkung, Hesander?"

Der Sud schmeckt widerlich. Fast muss sich Hesander übergeben, aber erschafft es, den Brechreiz zu unter-drücken. In den Fingern und Zehen entsteht ein leicht taubes Gefühl.

Hesander verzieht nach dem Leeren des Topfs noch-mals angewidert das Gesicht. "Was für ein ekelhaftes Gebräu!" Dann schaut er zu Elgar. "Das nächste Mal lasse ich Euch den Vortritt."

Als er das leichte Taubheitsgefühl verspürt, sagt He-sander: "Seltsam. Meine Finger und Zehen werden ein wenig taub." Dann wendet er sich an Grisbart: "War das bei Euch genauso, Angroschim?"

"Wohl kaum", kommt die Bemerkung vom Thorwaler, "seine Arme hören ja eher auf!"

'Und an meiner Suppe rumstänkern! Pah!'

"Taubheit? Nö. Ihr Menschen haltet wohl gar nix aus. Höchstens ein bisschen schlapp habe ich mich ge-fühlt."

Hesander lächelt milde. "Es war mir schon klar, dass Ihr Euch keine Blöße geben würdet, Angroschim." Dann spricht er wieder in die Gruppe: "Dann lasst uns losziehen und Melachath retten."

"Es wird auch Zeit …" murmelt Rovena leise und dann schlägt sie vor: "Ihr geht am besten zusammen mit Edric vor." Sie scharrt mit dem Fuß Sand über das Feuer, um es zu löschen und begibt sich zu dem Maultier mit Melachaths Waffen. Es dauert nicht lan-ge und sie ist bereit zum Weiterziehen.

"Hmm." brummt Elgar nur und hilft Rovena dabei, das Lager abzubrechen. Schließlich hat er es errichtet.

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Edric nickt zustimmend und hilft dabei, das Lager ab-zubrechen. Da sie nur wenige Utensilien benötigten und die Maultiere nicht abgeladen hatten, geht dies zügig.

Dann fragt Elgar: "Hesander und Grisbart gehen vor-an? Dann können wir uns sicherer fühlen." Mit einem Lächeln überlässt er dem zurückgekehrten Edric die Zügel des zweiten Maultiers - so er sie nehmen will. Ansonsten führt er es. 'Irgendwann muss ich das auch lernen.' denkt er bei sich.

Mit seinem Maultier am Zügel geht er voraus in Rich-tung des 'Spinnenhügels'. Auch wenn Hesander ne-ben ihm geht, achtet er wachsam auf die Umgebung.

Als Ingalf seine Sachen zusammengekramt hat, ruft er Kawi zu sich und gesellt sich dann zu Edric. Unter-wegs wird er seinen Freund nach den Einzelheiten des Spinnenbaus ausfragen. Schließlich will er nicht völlig ins Ungewisse tappen.

"Es ist ein Hügel mit einer Öffnung, knapp manns-hoch." antwortet der junge Mann. "Ab und zu kamen Spinnen heraus oder krochen hinein." berichtet er knapp.

"Gab es irgendwelche Wachen? Oder halt Spinnen, die aufgepasst haben?" will Ingalf wissen.

"Ich hab' keine gesehen. Allerdings habe ich mich auch nicht sehr lange beobachtet, sondern bin zurück gekommen, um Euch zu holen." berichtet der junge Hirte.

"Hmm", murmelt Ingalf, "darauf sollten wir auf jeden Fall achten, sonst kommen wir in den Bau rein, aber vielleicht nicht wieder raus. Und das will mir nicht ge-fallen."

Nachdem er die Zügel an Edric übergeben hat, geht Elgar neben Rovena her. Während des Marsches zum Spinnenhügel sagt er nichts zu ihr. Offenbar ist er wieder in seine üblichen Grübeleien verfallen. Hin und wieder kann sie jedoch gemurmelte Worte ver-nehmen und es hat den Anschein, als würde Elgar sich Notizen im Geiste machen. Deren Inhalt bleibt ihr aber verborgen.

Angespannt stapft Rovena mit dem Maultier am Zü-gel hinter den Führenden her. Sie ist entschlossen, auch unter die Erde zu gehen, um Melachath zu be-freien, doch ist ihr unwohl bei dem Gedanken an die bedrückende Enge im Leib Sumus. Stumm hört sie Elgars Gemurmel zu, ist aber viel zu sehr mit ihren Gedanken und der Umgebung beschäftigt, um ihn nach dem Sinn zu fragen.

Nach kurzer Zeit hält Hesander die Gruppe an. "Ab hier ist Basilaminengebiet", erklärt er. Ein Blick nach rechts und links zeigt ihm, dass es keine offensichtli-che Möglichkeit gibt, das Gebiet zu umgehen. Gris-bart nickt.

Bei diesen Worten "erwacht" Elgar und sieht sich um. Er selbst kann die Pflanzen nicht erkennen, aber er glaubt den beiden Suppenkasp… äh -essern natürlich.

"Seid bloß vorsichtig!" ermahnt er die anderen. "Die brennenden Samen sind keine tolle Erfahrung gewe-sen." fügt er noch leise hinzu. 'Jedenfalls keine, die ich so schnell wiederholen möchte.'

"Das wohl! Das wohl!" fügt Ingalf hinzu. Bei dem Ge-danken an die Samen kratzt er sich an den immer noch leicht brennenden Stellen.

Hesander schaut etwas skeptisch in Richtung der Ba-silaminenpflanzen und hält inne. 'Dies wird also die nächste Prüfung sein, die Du mir auferlegst, oh weise Herrin!' Dann atmet er tief ein und geht steten Schrit-tes den Weg zwischen den Pflanzen hindurch.

Eine Zeitlang geht es gut. Obwohl die Gruppe mitten im Basilaminengebiet ist, bleiben die Pflanzen ruhig.

Doch dann, Hesander will schon erleichtert aufatmen, explodieren die Pflanzen rund um die Gruppe. Alle werden getroffen.

Edric versucht, sich ein wenig zu ducken, als die Sa-men wie ein Schwarm Insekten über ihn herfallen. Schmerzhaft brennen die Körperstellen, die getroffen wurden und die, wo sich die Samen durch die Klei-dung fraßen.

Äußerst unangenehm aber keineswegs übermäßig schmerzhaft sind die Treffer. Elgar erträgt Schmerz und Brandlöcher in den Sachen, ohne sich zu be-schweren. Das hilft auch nicht. Er bleibt stehen und fordert auch die anderen dazu auf: "Jetzt bloß nicht überstürzt losrennen! Unsere Umgebung dürfte jetzt die sicherste sein."

Kawi jault auf, als ihm die Samen ins Fell brennen.

Ingalf flucht - zum Glück für die Ohren der anderen - einige Zeit laut auf Thorwalsch. Als er sich wieder eingekriegt hat, meint der zu den Gefährten, während er sich die Samen aus der Kleidung schüttelt: "Das wohl! Das wohl! Die Samen sind jetzt alle hier. Aber wozu haben wir unsere weitsichtigen Freunde?"

Grisbart stößt einen kurzen Fluch in Rogolan aus. Als er dann Ingalfs Worte hört, faucht er ihn an: "Sag mal, hörst du deinen Freunden nicht zu? Hat nicht Euer Geweihter vorhin gesagt, dass da ein Basilaminenge-biet ist und ist dann grade drauf los gestapft?"

"Klar!" antwortet Ingalf. "Du bist ja auch reingestapft. Aber wozu habt ihr den Trank getrunken, wenn ihr doch nix ändern könnt?" - 'Da hätten wir auch genau-so ohne den Sud gehen können …' fügt er in Gedan-ken hinzu.

"Wir könnten was ändern! Wir hätten einen Weg drum herum suchen können!"

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"Gut, das Du uns diese Weisheit verkündest", antwor-tet ihm der Thorwaler ärgerlich, "nachdem wir alle - auch Du selbst - in die Falle getappt sind!"

Hesander ist gerade noch am Begutachten des 'Scha-dens', dann erwidert er: "Wieso ist es dann eine Weile gut gegangen? Erst passiert gar nichts und dann auf einmal doch? Erkannt haben wir die Pflanzen doch auch schon vorher."

"Sag mal, hast du sie noch alle? Haben wir vielleicht heute schon mal versucht, um Basilaminenfelder her-um zu laufen? Meinst du nicht, dass selbst du darauf hättest kommen können? Dafür muss man nicht übermäßig viele Bücher gelesen haben!"

"Du siehst das Zeug, du wohnst hier im Wald und wenn du deinen Mund nicht aufmachst, sondern ein-fach weitergehst, dann sollte doch alles in Ordnung sein, oder?"

Von Rovena ist ein leises Aufkeuchen zu hören gewe-sen, als sie im Gesicht und an den Händen von den brennenden Samen getroffen wurde. Sie hat ihren Umhang Schutz suchend hoch gerissen, ihn dann wieder langsam und vorsichtig sinken lassen, als der Beschuss durch die Basilaminen aufhört.

Die junge Frau schüttelt ihre Bekleidung ab, um die dranhängenden Samen los zu werden.

Nachdem der 'Angriff' vorüber ist und die anderen sich wieder einmal streiten, kümmert er sich um das Maultier, streichelt es beruhigend am Hals, und kon-trolliert schnell die Gurte die die Ausrüstung halten.

'Warum müssen die sich immer streiten' überlegt er missgestimmt. 'Eine Herde Schafe ist mir da doch viel angenehmer.' Er tätschelt das Maultier weiterhin am Hals und wartet darauf, dass es weiter gehen kann.

"Hatte ich es doch vermutet, dass uns dieser Sud nicht vor Schaden bewahren wird, ob wir das Springkraut nun sehen können oder nicht," murmelt sie verärgert und wiegt nachdenklich den Kopf. "Irgend etwas ist seltsam mit diesen Pflanzen, mir ist es schon aufgefal-len, als ich mit Edric unterwegs war. Wir sind die sel-ben Wege gegangen, Edric, Ingalf und Isinha wurden bombardiert, ich jedoch nicht. Und auch hier, erst sind die Pflanzen ruhig und plötzlich schießen sie ihre Sa-men ab. Was ist der Auslöser dafür?" fragt sie sich lei-se, doch für die anderen vernehmlich.

Nachdenklich wiegt Elgar den Kopf. Plötzlich zeigt er mit dem Finger auf Rovena: "Natürlich!" Wie Schup-pen aus den Haaren fällt ihm die Erklärung ein. Dann wird ihm seine Haltung bewusst, mit einem Grinsen nimmt er den Finger herunter und erklärt: "Du gehst allein - Du wirst nicht beschossen. Ingalf und ich gehen zusammen. Wir werden beschossen."

Auffordernd sieht er in die Runde. "Ist euch nicht klar, was das heißt?" fragt er herausfordernd. "Es ist doch ganz einfach. Wer allein geht und noch dazu so klein

und leicht wie Rovena ist, verursacht keine oder nur ganz geringe Erschütterungen auf dem Boden. Diese bringen die Pflanzen zum Platzen. Nicht etwa unsere Anwesenheit - diese Pflanzen können uns weder se-hen noch riechen!"

"Das ist eine interessante Theorie, Adeptus", antwortet Hesander auf diesen Geistesblitz. "Aber wäret Ihr auch bereit, ein drittes Mal einen Beschuss zu riskie-ren, falls Ihr falsch liegen solltet?"

"Nein, ich riskiere keinen neuen Beschuss. Denn mei-ne Schlussfolgerung enthält keinen Fehler!" ist Elgar überzeugt.

"Allerdings sehe ich derzeit nicht, wie diese Erkennt-nis in einen nutzbringenden Schutz vor erneutem Be-schuss umzusetzen ist. Außer natürlich," er zögert kurz, "wir bleiben hier stehen …" fügt er etwas leiser hinzu.

"Oder aber wir bewegen uns einer nach dem anderen so vorsichtig wie möglich durch diese niederhöllischen Pflanzen hindurch - das wäre doch die Quintessenz Eurer Theorie, nicht wahr?"

"Und die Maultiere?" seufzt Elgar. "Die muss jemand führen. Damit ist die Wahrscheinlichkeit mindestens 4 Mal so hoch, dass die Pflanzen Samen verschießen, als wenn jemand allein geht."

Die Maultier werden unruhig. Eines der Tiere fängt an zu schreien.

"Redet nicht soviel, geht!" knurrt Ingalf. "Ich nehme ein Maultier oder auch beide! Das wohl! Erst geht der Kurze, dann Rovena, dann Edric, dann Hesander, dann Du und ich mache mit den Maultieren und Kawi den Schluss!"

Er dreht sich zu seinen Gefährten um: "Soll ich euch anschieben? Der Plan von Elgar ist doch klar!"

Die Maultiere werden immer unruhiger, die drehen und wenden sich und versuchen, sich selbst ins Fell zu beißen. Jetzt fängt auch das andere Tier an zu schrei-en.

Elgar wird aufmerksam und plötzlich ist es ihm klar: "Schnell, helft mir!" fordert er die anderen auf. "Haltet sie ruhig!" presst er zwischen den Zähnen hervor, während er so schnell es geht mit dem vom Ärmel des Mantels geschützten Arm über die Flanke des ihm am nächsten stehenden Maultiers streift und versucht, dort vorhandene Samen zu entfernen.

Es ist wohl so, dass die Samen eine Zeitlang gebraucht haben, bis sie sich durch das Fell gefressen haben. Nach einer schier endlos erscheinenden Zeit hat Elgar wohl alle Samen entfernt, denn das Maultier wird wieder ruhiger.

"Braves Tier." tätschelt Elgar den Hals des Maultiers. Dann prüft er, ob sich in seinen Sachen noch Samen verfangen haben.

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Mit Mühe nur hat Rovena das Maultier halten kön-nen, als die Tiere anfingen zu schreien und sich zu winden. Nun ist sie erleichtert, dass das Tier wieder ruhig wird, nachdem Elgar es von den beißenden Sa-men befreit hat.

Ingalf, der sich schon Edrics Maultier geholt hatte, fängt ebenfalls an das Fell zu säubern. Um nicht von den Samen verletzt zu werden, zieht es sich die Ärmel über die Hände.

Edric hilft ihm dabei, die Samen vom Fell zu entfer-nen.

Als er mit dem Fell fertig ist, schaut er noch nach ob sich eventuell Samen unter dem Packsattel verfangen haben.

Danach kniet er sich hin und reinigt auf noch Kawi das Fell.

Edric nimmt den Zügel des einen Tiere wieder entge-gen. "Lass mich das Tier führen." sagt er schlicht.

Ingalf lächelt seinen Freund an. 'Wenigstens ist er nicht so eine Labertasche wie die Herren Gelehrten! Ein Mann ein Wort! Das wohl!'

Sobald beide Tiere wieder ruhig sind, meint er: "Lasst uns Ingalfs Vorschlag folgen. Gehen wir einzeln wei-ter, bis unsere Seh-bären das Ende des Gefahrenge-biets erkennen können oder wir die Höhle erreichen."

Die junge Hexe nickt nur und folgt Grisbart und Ed-ric mit dem Maultier am Zügel. Angespannt beobach-tet sie die Pflanzen rechts und links am Rand des Pfa-des, darauf gefasst, erneut beschossen zu werden.

"Können wir dann? Los Grisbart, geh' voran!"

"Wir können los", bestätigt Hesander und reiht sich ein.

Der SpinnenhügelOhne weitere Zwischenfälle kommt die Gruppe, ge-führt von Edric, bei dem Hügel an. Keine Spinne ist zu sehen.

Rovena hält das Maultier an und betrachtet den mit Gras bewachsenen Hügel am Seeufer prüfend. 'Also leben sie doch direkt am Wasser, Edric hat sich geirrt,' denkt sie sich und mustert das halbrunden Loch, das unter die Erde führt. "Da hinein also," murmelt sie und klingt nicht sehr glücklich. "Und was machen wir mit den Maultieren, können wir sie unbewacht zurück lassen?" überlegt sie laut und schaut unschlüssig ihre Reisegefährten an. "Bei dem Überfall haben die Spin-nen kein Interesse an den Tieren gezeigt, vielleicht sind sie ihnen ja zu groß."

"Stimmt und der Zwerg war ihnen zu klein!" kommt es prompt von Ingalf.

'Oder er ist, wie die Maultiere, zu stur oder zu blöd', diesen Gedanken spricht er allerdings lieber nicht aus.

Schließlich will er es sich ja nicht mit den Maultieren verscherzen.

Mit einem Fingerzeig auf den Zwerg meint Elgar: "Das schon, aber die Spinnen sind nicht die einzigen Bewohner dieses Waldes." gibt er zu bedenken. "Au-ßerdem glaube ich nicht, dass wir da alle hineintappen sollten. Besser wäre eine 'unauffällige' infiltratio."

Er sieht sich prüfend um. "Jedenfalls sollten wir nicht direkt vor dem Eingang stehen bleiben und uns we-nigstens für die Tiere eine ruhige Ecke suchen." schlägt er vor.

"Das wohl!" meint auch Ingalf. Dann sieht er sich nach einem Platz um, an dem die Maultiere etwas vor Sicht geschützt stehen.

"Dort hinten", sagt er, als er ein lauschiges Örtchen ge-funden hat, "sollten wir sie abstellen. Und dann soll-ten wir die Sachen, die wir für die Untersuchung des Spinnenbaus brauchen zusammen tragen und den Rest bei den Maultieren lassen. Und dann holen wir unseren Freund! Das wohl!"

Der Ort, den Ingalf ausgesucht hat, wirkt einladend. Hier kann man die Maultiere gut festmachen, und sie haben genug zu fressen.

Ingalf fängt an, das eine Maultier abzuladen und lässt es dann angebunden grasen. Kawi bindet er ebenfalls mit einer langen Leine fest. Denn den jungen Welpen möchte er nicht mit unter die Erde nehmen. Kawi wehrt sich gegen die Leine und versucht immer wie-der jaulend, die Leine durchzubeißen. Erst als ihn In-galf beruhigend streichelt und mit einigen Streifen Trockenfleisch belohnt, wird der Hund ruhiger.

Edric führt sein Maultier zu dem anderen und bindet es lose an, so dass sich der Knoten löst, falls das Maul-tier stärker daran zieht. So ermöglicht er dem Tier im Notfall die Flucht.

Anschließend nimmt er dem Tier die Last vom Rücken, schließlich muss es hier nicht schwer beladen auf die Rückkehr der Gruppe warten.

Dann ergreift er wieder seinen Stab und stellt sich ne-ben Ingalf. "Fertig", gibt er seinen Bereitschaft be-kannt.

Ingalf grinst seinen Freund an, nickt ihm kurz zu und weiß, dass dieser mit dem einen Wort mehr sagt als, andere mit vielen Sätzen.

Während Ingalf und Edric die Maultiere versorgen, betrachtet Rovena, auf ihren Stab gestützt, das Erd-loch, in das sie gleich eintreten werden.

Besorgt hält sie Ausschau nach den Spinnen, die hier leben sollen.

Glücklicherweise haben die Helden sich ein Stück vom Eingang zum Spinnenbau entfernt, so stolpert die aus Richtung Westen gerade am Bau ankommende

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Spinne nicht über die Gruppe. Auch sie trägt Fische mit sich. Sie scheint die Helden nicht zu bemerken.

Edric fragt sich erneut, warum die Spinnen Fische fangen. So seltsam das gesamte Verhalten der Spinnen auch ist, findet er doch keine Erklärung dafür. "Warum?" fragt er sich leise.

"Ruhe ihr Narren!" zischt Elgar möglichst emotionslos die anderen an. Den Gedanken, die einzelne Spinne zu erledigen, verwirft er aus Angst vor ihren telepathi-schen Fähigkeiten.

Er versucht, die Spinne - ohne sich ihr unnötig zu nä-hern - auf Spuren ihres letzten Kampfes zu mustern, um zu erkennen, ob das gute Dutzend Spinnen, wel-ches Melachath entführt hat, etwa noch größer ist.

Kampfspuren sind an der Spinne nicht zu erkennen.

'Es sind also noch genug Spinnen übrig, die in aller "Seelenruhe" fischen gehen können. Aber sie sind noch vom Kampf geschwächt, selbst wenn sie Me-lachath als Nahrung betrachten müssen sie ihn zu-nächst verdauen. Und diesmal tragen wir den Kampf zu ihnen, wenn sie nicht von einer höheren Macht …' Elgar erschaudert bei dem Gedanken an ein Wesen mit der Macht, so viele Spinnen zu kontrollieren. Er wird bei kommenden Begegnungen besser darauf ach-ten, ob die Gedanken einer Gemeinschaft oder von ei-ner Macht kontrolliert werden. 'Sollte es ein Gehirn geben, sollten wir am besten gegen dieses vorgehen.' schließt er seine Betrachtungen ab.

Als die Spinne im Bau verschwunden ist, wendet er sich zu den Gefährten. "Wir haben mindestens ein gu-tes Dutzend Spinnen gegen uns. Sich zu trennen, wäre bestenfalls töricht.

Wenn alle Gänge dieses Baus so schmal sind, können wir zwar immer nur einzeln kämpfen, uns kann aber auch nie mehr als eine Spinne angreifen."

Er lässt nur eine kurze Atempause, bevor er sagt: "Wir sollten die Sturmlaternen mitnehmen und außer un-seren Waffen nichts Unnützes mit hineinnehmen, was uns belasten oder behindern könnte. Ingalf kann ohne weiteres zwei unserer vielbeinigen Widersacher nie-derstrecken, also sollte er voran gehen. Ich werde mit meinen Stab hinter ihm Licht spenden. Als letzter sollte der Zwerg gehen." 'Wenn wir ihm vertrauen.' Aber dieses Urteil überlässt er wohlweislich der Grup-pe.

'Hey, was dem den in die Hose gerutscht?' überlegt sich Ingalf, als der Magier plötzlich in seinen Pla-nungskoller verfällt. "Mensch, Elgar, hol mal Luft! Wir schaffen das Ganze nur, wenn wir alle ruhig blei-ben und nicht unüberlegt handeln!"

'Hoffen wir, dass es die richtige Höhle ist', spricht er sich Mut zu.

Elgar erwartet keine ernstzunehmenden Einwände und macht sich daran, zwei Sturmlampen von den

Maultieren abzuladen und mit seinem zur Fackel ver-wandelten Stab zu entzünden. Er drückt diese Edric und Hesander in die Hände. Er versucht, sich unauf-fällig einen Überblick über den Eingang zu verschaf-fen, erklimmt noch einmal vorsichtig den Hügel, in dem sich der Eingang befindet und prägt sich die Um-gebung genau ein. 'Ich will hier keine hässlichen Überraschungen erleben, wenn ich hier wieder her-auskomme.' Und schließlich erleuchtet er Ingalf den Höhleneingang. "Wir sollten uns beeilen, hier scheint mir ein zu reger Verkehr, als dass wir unbesehen in al-ler Seelenruhe" 'nach der Kasse für den Besichti-gungsrundgang suchen könnten.' - amüsiert über den vortrefflichen Witz zur unpassendsten Zeit schleicht sich für Sekundenbruchteile ein Schmunzeln in sein Gesicht - "warten sollten. Und jeder Fisch, den die Spinnen in den Bau bringen, stärkt unseren Feind."

Als die beiden Freunde fertig sind, schaut sie sich um, ihre Miene wirkt angespannt. "Dann können wir also? Wer bleibt nun hier und achtet auf die Ausrüstung und die Maultiere?" fragt sie in die Runde.

Ingalf zieht eine Augenbraue hoch und fragt Rovena vorsichtig: "Du willst mit, Mädel?"

"Ja, warum nicht?" Rovena schaut den Thorwaler mit verengten Augen verständnislos an. "Was spricht dage-gen?"

Als Rovena ihn so anschaut, schluckt er kurz, kreuzt die Finger der linken Hand - die im Schild steckt - zum Schutz gegen das Böse: "Ooch, eigentlich nix!"

'Erzürne nie ein Hexe! hat Ohm Tungmar immer ge-sagt.'

Rovena sieht Ingalf schlucken und grinst innerlich. Ihre smaragdgrünen Augen blitzen auf, als sie ihm mit einem Augenaufschlag und einem Lächeln antwortet: "Das will ich doch meinen. Habt ihr auch eine Lampe für mich? Und vergesst nicht, Seile mitzunehmen. Wer weiß, wo uns die Gänge hinführen."

Sie befestigt ihre gefüllte Feldflasche wieder am Hüft-gürtel, kontrolliert, ob sich auch alles Wichtige, wie ein bisschen Proviant und die Kerze samt Zündmate-rial, im Tuchbeutel befindet, packt noch einen Teil ih-rer Heilkräuter und Tränke mit hinein und tastet mit einem tiefen Seufzer nach dem Beutelchen, in dem sich ihr Rosenquarz und die rote Pille befinden.

"Ich wäre dann auch soweit," spricht sie leise und schaut mit einem unwohlen Gefühl in der Magengru-be zu dem Eingang in den Spinnenbau hinüber.

"Dann gehen wir alle." beschließt Edric. Den Tieren und der Ausrüstung lauert seitens der Spinnen keine Gefahr auf, da die Spinnen die Maultiere bisher nicht beachtet haben. 'Und warum sollte gerade jetzt ein Trupp Orks über unsere Ausrüstung stolpern?'

"Den Tieren droht keine Gefahr, notfalls können sie fliehen."

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Edric überprüft noch einmal die Knoten.

Ingalf durchsucht seinen Seesack nach notwendigen Sachen.

'Hmm, … Lebensmittel - Quark … Weinschlauch - brauch' ich wohl auch nich' … Karte - nicht für'ne Höhle …'

Nach ein paar Minuten taucht er mit dem Kopf aus dem Seesack wieder auf. In der einen Hand seine Feldflasche, die er sich an den Gürtel hängt, in der an-deren Hand seine gute Sturmlaterne und eine Kerze.

Er dreht sich zu Edric um: "Willst Du die haben?"

Edric schüttelt den Kopf und hält die Sturmlaterne hoch, die ihm Elgar vor wenigen Augenblicken in die Hand gedrückt hat.

Noch ein vorsichtiger Griff in die Gürteltasche, ob das zweite Leben noch da ist … ja, alles da wo es hinge-hört. Abschließend schnallt er den Rundschild am lin-ken Arm fest, und nimmt die Orknase in die Rechte.

Wenn man ihn jetzt so rondrianisch gerüstet vor sich sieht, möchte man keine Spinne sein …

Während er die anderen zur Eile treibt, überprüft er noch kurz, ob er alles Wichtige bei sich hat. Rucksack und Wettermantel hatte er ja schon bei den Maultieren gelassen. Den zur Fackel verwandelten Stab in der Rechten versucht er sich vorzustellen, welche Art Si-

cherheitsmaßnahmen solche Geschöpfe für ihre Bau-ten verwenden.

Es gibt keinerlei sichtbare Sicherheitsmaßnahmen.

Dann fragt er Ingalf, der schon fertig zu sein scheint: "Was meinst du, können wir das Portal", er merkt, dass er zu philosophisch wird. "Siehst du etwas, mit dem wir den Eingang sicher hinter uns versperren können? Ich meine, so dass wir ihn im Notfall auch schnell wieder aufbekommen."

"Nö", meint Ingalf, "das wär' nicht gut. Wenn es gut zum versperren ist, dann kriegen wir es auch nicht auf, wenn wir auf der Flucht sind …"

"Ein Mann ein Wort!", lobt Elgar den Thorwaler für seine kurze aber hilfreiche Antwort.

Er erinnert sich an einige Lehrbücher, die sich mit Bauernschläue und einfachen Menschenschläge be-schäftigten und selten die Prägnanz und Bestimmtheit derselben vernachlässigten. Wenn mal wieder etwas mehr Zeit zur Muße bleibt, wird er damit dem Eiferer einen hübschen Denkbrocken hinwerfen.

Er beginnt, ins Dunkel des Eingangs zu starren, auf dass sich sein Augen schon an die Dunkelheit gewöh-nen und er möglicherweise gefährliche Schemen schneller erkennen kann.

Da es hier draußen hell ist, können sich Elgars Augen natürlich nicht an die Dunkelheit gewöhnen, und so ist auch nichts zu erkennen.

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3. Tag: Im Spinnenbaungalf betritt vorsichtig den Höhleneingang; nach ein, zwei Schritt bleibt er stehen und versucht, sich

im Dämmerlicht einen Überblick über die Umgebung zu verschaffen.

II

Ingalf muss sich bücken, so wie alle anderen auch - natürlich bis auf den Zwerg Grisbart Der Eingang und auch der Gang sind nämlich nur eineinhalb Schritt hoch. Die Breite des Ganges im Erdreich be-trägt ungefähr einen Schritt. Der Gangboden ist leicht geneigt, es geht in die Tiefe. An den Gangwänden wachsen Pilze, die grünlich schimmern und für eine dämmrige Beleuchtung sorgen.

Solche Pilze hat Edric noch nie gesehen und streckt neugierig die Hand aus, um mit den Fingerspitzen einen dieser Pilze zu berühren. 'Ob er warm ist', über-legt er dabei, doch erscheint ihm dies in in diesem Gang unwahrscheinlich.

Als Ingalf sieht, dass Edric die Pilze anfassen will, raunt er: "Vorsicht! Vielleicht sind die giftig oder plat-zen oder sonst was …"

Es is nur eine dünne Schicht, leicht glitschig. Die wand scheint aus Lehm zu bestehen.

"Schon gut", raunt Edric zurück. "Ist nur glitschig." Er wischt sich die Finger am Hosenbein ab und folgt In-galf.

Ihm geht das vermaledeite Springkraut nicht aus dem Kopf. Dann fragt er Rovena: "Kennst Du Dich nicht mit Pflanzen aus?"

Rovena schaut sich die Pilze im Vorbeigehen etwas näher an und überlegt, ob sie diese Art schon einmal gesehen oder von ihr gehört haben könnte.

Nein, diese Art ist für sie völlig neu.

"Vermaledeiter Murks!" murmelt Ingalf. "Ganz schön eng hier, da haben die Spinnen es schon besser. Hey, Grisbart, willst Du nicht nach vorne kommen?"

'Der hat die meiste Bewegungsfreiheit und mit meiner Orknase grabe ich hier wohl eher nur einen neuen Tunnel', denkt sich Ingalf.

"Klar. Wenn du mir deinen Schild für innerhalb des Baus überlässt, dann gehe ich nach vorn. Mit 'nem Schild fühle ich mich auch vorne einigermaßen si-cher." raunt Grisbart zurück.

"Willst Du Dich verstecken?" fragt Ingalf skeptisch, aber dann reicht er dem Zwerg grinsend den dreivier-tel Schritt großen Rundschild.

"Klar. Das ist doch der Sinn eines Schildes. Vor allem in solchen Gängen. Draußen kann man auch gut ohne kämpfen, da kommt ein Gegner leicht an einem Schild vorbei. Aber hier unten …" beendet Grisbart

seinen kurzen Vortrag. Diesmal wirkte er sogar gar nicht unfreundlich.

Dann geht er mit dem Schild in der einen und dem Beil in der anderen Hand vor. 'Falls es hier Fallgruben gibt, was bei Spinnen durchaus angemessen wäre, könnte man sich auch anbinden.' denkt er sich und geht sehr vorsichtig immer jeden Schritt vorher mit dem Fuß vorher abtastend.

Edric wartet, bis die neue Marschordnung eingenom-men ist und folgt dann wie geplant in den Gang, wo er sich neugierig umschaut.

Rovena hat hinter Elgar leicht gebückt den Tunnel be-treten. Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen, um nicht auf dem abwärts geneigten Gangboden, der ihr feucht zu sein scheint, auszurutschen. Mit ihrem Stab versucht sie, sich zusätzlich Halt zu geben. Auch ohne ein Lampe kann sie im Lichtschein der Lampen ihrer Gefährten und dem unheimlichen Schimmern der Pilze genügend sehen. Beklommen drückt sie sich nun etwas auf die Seite, um den kräftigen Zwerg hin-ter ihr vorbei zu lassen.

Hesander schaut immer wieder nach hinten, schließ-lich will er nicht hinterrücks von einer der Spinnen angegriffen werden. Während des Marsches durch den Spinnenbau ist er teils fasziniert, teils sendet er still kleine Stoßgebete an die Zwölfe.

Es ist eine richtige kleine Prozession, die sich ergibt: Grisbart vorn, dann Ingalf, anschließend Edric, Elgar und Rovena. Hesander bildet den Abschluss.

Die Wände sind durchgehend mit den grünlich leuch-tenden Pilzen bewachsen.

"Hey Großer, halt mal die Lampe nach hinten, so dass nur wenig Licht in den Gang weiter strahlt. Möcht' doch mal wissen, ob man auch ohne Lampen hier se-hen kann", murmelt Grisbart Ingalf zu.

Ingalf gibt die Aufforderung an den hinter ihm gehen-den Edric weiter, da er selber keine Lampe bei sich trägt.

Elgar verwandelt seinen Stab zurück und folgt den Vorausgehenden. Er schaut häufiger nach hinten als nach vorne, läuft den anderen aber nicht so dicht auf, dass er sie aus Versehen umrempeln könnte.

Als auch die anderen ihre Lampen abblenden, braucht es nur einen kurzen Moment, bis sich Grisbarts Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben. Der vor ihm lie-gende Gang ist gut zu erkennen. In drei Schritt Ent-fernung vor ihm ist eine Abzweigung nach rechts.

"Kannst du denn noch anständig kämpfen, wenn wir dich 'anbinden'?" Er beschließt, sich nicht für einen Gang zu entscheiden, bevor man nicht sieht, wo er

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hinführt. "Sucht nicht zu lange nach dem richtigen Weg, die nächste Spinne kommt bestimmt bald.", raunt er nach vorne.

"Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, nur eine Abzweigung!" murrt Ingalf, dem es unter der Erde nicht so richtig gefallen will.

'Das blöde Bücken geht mir ja schon nach ein paar Schritt auf den Geist!'

Langsam steigt die Deckenhöhe etwas an, aber Ingalf muss den Kopf immer noch einziehen.

Da Edric noch ein Stück größer ist wie der Thorwaler, muss auch er noch den Kopf einziehen, um sich nicht eine Beule zu holen.

Als sie an der Abzweigung sind, schaut er, ob der Weg dort vielleicht höher ist.

Hinter der Abzweigung ist es dunkel.

Langsam aber sicher beschleicht ihn ein Unwohlsein; er hat den Eindruck, dass ihn die Wände immer mehr einengen. Er ist nie gerne in Häusern gewesen, zu lange hat er dafür im Freien mit den Schafen gelebt. Ihm ist es egal, welcher Weg gewählt wird, Hauptsa-che es gibt hier keine große Diskussion. Seiner Mei-nung nach wählt der den Weg, der vorne geht.

"Kurzer!" Ingalf stuppst den Zwerg an. "Grad zu oder Steuerbord?"

Er verwandelt (noch bevor Grisbart den Seitengang erreicht) erneut den Stab in eine Fackel und leuchtet im Vorbeigehen vorsichtig und gründlich den Seiten-gang aus.

"Grisbart, sei besonders vorsichtig, ein beleuchteter Gang für Opfer in die Falle ist bei Spinnen nicht un-üblich." 'Ob die Pilze magisch oder aus einem inneren Feuer leuchten?'

Doch für einen Odem möchte er seine Kraft jetzt noch nicht verschwenden.

"Geradeaus!", meint Elgar, dessen rote Augen in der Dunkelheit gefährlich glitzern. Er macht an der Kreu-zung mit dem Fußende des Stabes einen Pfeil in den glitzernden Schleim, der vom Weg, von dem sie ka-men, in die Richtung weist, die sie nehmen werden. So wird er es auch an allen anderen Kreuzungen hal-ten.

"Mach nicht so viel Licht. Hier kann man auch ohne Fackel ganz gut sehen. Wir gehen geradeaus."

Dann schaut Grisbart aber trotzdem in die Richtung des Lichtes und überblickt die Höhle.

Hinter der Abzweigung ist eine Höhle von wohl vier Schritt Durchmesser. Die Decke erhebt sich auf eine Höhe von über 2 Schritt. Auf dem Höhlenboden liegt eine starre Spinne, von der keine Gefühlsimpulse aus-gehen, und ein von Kleiderresten bedecktes menschli-ches Gerippe. Auf den bleichen Knochen liegt ein Dolch mit goldenem Griff, neben dem Skelett sind die

Reste eines Tuchbeutels zu sehen, aus dem eine halb gefüllte Glasflasche hervorschaut.

Edrics Blick schweift durch die Höhle und bleibt an dem Skelett hängen. 'Nein! Das kann er nicht sein.' beruhigt er sich selbst. Dann richtet er seine Blick wie-der auf die Spinne, die sich noch immer nicht bewegt hat. Seine Finger krampfen sich um den Stab.

Die Höhle kann er nicht betreten, da Ingalf und Gris-bart vor ihm stehen und den Weg versperren.

Der goldene Griff weckt kurz das Interesse Grisbarts, aber er kann sich beherrschen. Rovena und Hesander drängen nach vorn, um die die Höhle zu schauen.

Entsetzt hält sich Rovena eine Hand vor den Mund, um eine Aufschrei zu unterdrücken. "Nein …" haucht sie leise und macht impulsiv ein paar Schritte auf das Gerippe zu, die reglose Spinne lässt sie dabei nicht aus den Augen.

Vorsichtig geht sie neben den menschlichen Überres-ten in die Hocke und betrachtet zuerst einmal die Kleidungsreste und Gegenstände, die der Tote bei sich hat. 'Das kann doch nicht Melachath sein,' redet sie sich hoffnungssuchend zu, 'dieser Mensch muss schon länger tot sein …'

Und das ist auch nicht Melachaths Kleidung.

Neugierig zieht sie die Glasflasche aus dem Tuchbeu-tel und untersucht, ob sich noch mehr in diesem Beu-tel befindet.

Nein. Im Tuchbeutel ist ist nur diese Flasche, sie ist mit einer grünen Flüssigkeit halb gefüllt.

Hesander kommt an den Anfang der Höhle und be-trachtet sie eine Weile gebannt. Etwas nervös dreht er sich immer wieder um, ob nicht doch von hinten noch eine Spinne ankommt.

Als Hesander die Glasflasche sieht, wundert er sich. Er kann sich nicht daran erinnern, dass Melachath eine solche dabei hatte. "Sagt mal, hatte Melachath eine Glasflasche bei sich, als er entführt wurde", flüs-tert er den anderen zu.

In diesem Moment spüren die Helden es: Von voraus kommt eine Spinne an. Sie sendet zufriedene Gefühle aus, so wie jemand, der weiß, was er zu tun hat.

Elgar zieht Edric und Hesander in die Höhle und drückt sie gegen die Wand, dann löscht er seinen Stab. Zu Ingalf und Grisbart ruft er "Schnell! hier rein!" Er hofft, dass die Spinne noch weit genug weg ist, um ungehört zu flüstern. "Bis jetzt haben sie uns nicht be-merkt, sorgen wir dafür, dass es so bleibt!"

Ingalf folgt den anderen in die Höhle. Dabei sichert er vorsichtig den Zugang - ohne sich natürlich mitten rein zu stellen. Es scheint, als wenn es die Orknase in seinen Händen kaum erwarten kann, Spinnenpanzer zu spalten.

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Als Rovena, neben dem Skelett hockend, die Gefühle der sich ihnen nähernden Spinne spürt, hält sie kurz inne und versucht auszumachen, von woher diese Ge-fühle auf sie eindringen. Aufmerksam gleiten ihre Au-gen an den Höhlenwänden entlang, während sie eilig die Glasflasche mit der unbekannten Flüssigkeit in ih-ren eigenen Tuchbeutel gleiten lässt. Schnell erhebt sie sich dann und eilt zu ihren Gefährten zurück. Ihren Stab fest umklammernd starrt sie gebannt in die Rich-tung, aus der sie meint, die Gefühle der Spinne wahr-zunehmen. Dabei schweift ihr Blick immer wieder kurz hinüber zu der starr daliegenden Spinne.

Angespannt erwarten die Helden die Spinne. Alles Licht ist gelöscht, die Nerven zum Zerreißen ge-spannt. Ingalf merkt, wie er die Luft anhält.

Ganz leise sind die Trippelschritte der Spinne zu hö-ren. Sie passieren den Höhleneingang. Von der Spin-ne, die in der Höhle liegt ist nichts zu spüren.

Die Augenblicke, in denen die Spinne den Eingang passiert, dehnen sich scheinbar bis zu Unendlichkeit. Edric wagt es nicht zu atmen.

Als er sich sicher ist, dass die Spinne sie nicht bemerkt hat, atmet er tief durch und beobachtet, was die ande-ren in der Höhle tun.

Elgar macht wieder Licht, nachdem die Spinne die Höhle passiert hat und keine weitere Spinne zu folgen scheint.

Jetzt beantwortet er auch die Frage Hesanders nach der Glasflasche:

"Unser Freund des Tees führte meines Wissens keine solche mit sich."

Als Elgar bemerkt, dass Rovena schon in die Höhle gegangen ist, erstarrt der Schreck kurz auf seinem Ge-sicht und warnt sie: "Vorsicht Rovena, sie schläft viel-leicht nur!" Er betrachtet kurz den Boden und ver-sucht zu erkennen, ob er mit 'Wachfäden' gesichert ist. Sollte er keine solchen sehen, wird er hineintreten, um Ingalf und Grisbart Platz zu lassen und ihnen das "Ziel" zu beleuchten.

Währenddessen versucht er, Rovena mit den Worten zu beruhigen: "Keine Angst Rovena. Sie haben Me-lachath gerade erst gefangen, Spinnen fressen nicht so schnell." Zwar ist er sich selbst nicht ganz sicher, aber das bemerken die anderen nicht.

Das Skelett wird er erst untersuchen, wenn er sich si-cher ist, dabei nicht plötzlich gebissen zu werden.

Dann wendet Elgar sich der starr daliegenden Spinne zu.

"Die Spinne bewegt sich nicht, was nicht heißt, dass sie auch tot ist", meint er in Richtung Ingalf und Gris-bart. "Wenn ihr sie bitte Boron übereignen könntet?"

"Töte du es, Langer", meint Grisbart Er grummelt ir-gendwas Unverständliches vor sich hin. Nur schwer ist das Wort 'wehrlos' zu verstehen.

"Ich bin kein Scharfrichter!" antwortet Ingalf. "Warum soll ich eine wer weiß wie tote Spinne umbringen?!" Trotz seiner Einwände stößt er den Spinnenkörper mit der Orknase an. 'Vielleicht is' sie ja schon tot.'

Sie ist nicht tot, denn sie fängt an, sich zu bewegen. Und es kommt schlimmer. Bevor Ingalf irgendetwas machen kann, hat sie ihn tief ins Bein gebissen. Ingalf spürt noch den Schmerz, kurz danach bricht er ohn-mächtig zusammen.

Sofort, als sein Freund zusammenbricht, lässt Edric die gelöschte Lampe fallen und greift die Spinne mit seinem Stab an, um sie von Ingalf abzulenken. Dabei setzt er zuerst den Stab wie einen Speer ein und ver-sucht, die Spinne zurückzutreiben. Er ist bedacht dar-auf, sich nicht beißen zu lassen …

Und auch Grisbart greift die Spinne an. Und zwar von der komplett anderen Seite. Wie es aussieht, vertraut er sehr auf den Schutz des Schildes und seines Ketten-hemdes.

Der erfolgreiche erste Biss der Spinne scheint reines Glück gewesen zu sein, denn die Helden merken so-fort, dass die Spinne nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte ist. Sie ist viel langsamer als ihre Artgenossen, mit denen die Gruppe draußen zu kämpfen hatte. Und nachdem nur zwei mittelprächtige Schläge Gris-barts den Panzer der Spinne durchbrochen haben, bricht sie endgültig zusammen.

Sofort, nachdem die Spinne zusammengebrochen ist und sich nicht mehr regt, legt Edric des Stab beiseite und untersucht seinen Freund, welcher fast zu seinen Füßen liegt.

"Soviel zum Thema wehrlos.", meint Elgar gekränkt.

"Hey, Magus. Leg dich mal schlafen. Dann kann ich dir zeigen, wie wehrlos man ist, wenn man schläft."

Seine roten Augen blitzen gefährlich im wiederauf-flammenden Licht seines Zauberstabs. "Edric, wenn du keine Erfahrungen mit Spinnengift hast, achte bit-te draußen darauf, dass wir nicht unnötig überrascht werden."

"Das werde ich nicht tun!" antwortet ihm Edric barsch, während er sich schon um Ingalf bemüht.

Der Atem Ingalfs geht flach, sein Herz schlägt regel-mäßig.

"Bitte schön, dann versucht Deine Heilkunst, aber zünde Deine Sturmlaterne vorher wieder an."

"Rovena schaust du dir mal bitte den Biss an? Und was ist eigentlich in der Flasche, die der Glücklose dort …", er bemerkt dass die Flasche nicht mehr beim Toten liegt, "… gerade eben noch hatte?"

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Er beginnt fieberhaft nachzudenken. "Ingalf, spürst du etwas? Leg doch bitte mal dein Bein frei!"

Während er sich das Bein anschaut, murmelt er Un-verständliches. Man versteht "Zirkulation reduzieren … … antidotum … … amputatio …"

Von Ingalf kommt keine Reaktion. Er ist bewusstlos.

"Ingalf? Du stinkender Fisch!", als Ingalf keine Reak-tion zeigt: "Ich hoffe, ihr begreift jetzt, dass diesen Spinnen diplomatisch oder ehrenvoll nicht beizukom-men ist, wenn ihr scheinbar tote Spinnen nicht töten wollt, muss ich es wohl tun!"

"Hesander, währt Ihr so freundlich, mit Eurem Wis-sen die Beißwerkzeuge der Spinne zu analysieren und mir zum Gift sagen, was Ihr herausbekommen könnt. Wenn wir die Höhle wieder verlassen, gedenke ich ihre Giftblase zu entfernen, wenn Ihr also tiefdringen-de Neugier verspürt, haltet euch nicht unnötig zurück!"

Rovena blickt den Magier nur kurz an, entsetzt durch den Angriff der Spinne und fassungslos wegen Elgars Verhalten.

Grisbart geht zu Ingalf, nimmt dessen Feldflasche, schüttet einen Spritzer Wasser über das Gesicht des Thorwalers und versucht, ihn dann mit einigen sanf-ten Ohrfeigen wieder zu wecken.

Jetzt ist das Gesicht Ingalfs nass und die Wangen leicht gerötet. Das ist alles, was Grisbart erreicht.

"He, was soll das!" faucht Edric den Zwerg an. Er selbst hat zwar keine große Kenntnis von Vergiftun-gen, doch scheint er dennoch mehr Erfahrung zu ha-ben, als manch anderer hier! Dazu verfügt er über einen gesunden Menschenverstand, der nicht zwi-schen Büchern vertrocknet oder in irgendwelchen Erdlöchern vergraben ist!

Sie eilt ebenfalls zu dem am Boden liegenden Thor-waler, neben dem bereits Edric hockt und diesen un-tersucht. Erleichtert bemerkt sie, dass sich Ingalfs Brust schwach hebt und senkt, als sie sich neben dem Hirten niederkniet und sich die tiefe Bisswunde an-sieht. "Ein Gift, das sehr schnell eine Ohnmacht aus-löst …" murmelt sie leise vor sich hin, doch laut ge-nug, dass Edric sie versteht. "Grisbart hat davon er-zählt … die Wirkung ist nicht tödlich …" Fieberhaft überlegt sie, was sie jetzt tun kann, um Ingalf zu hel-fen.

Da Ingalfs Herz regelmäßig schlägt, droht ihm keine Lebensgefahr, das Gift hat ihn nur betäubt. Jetzt kommt es darauf an, die Wirkung zu verkürzen.

'Bei Insektenstichen soll man Zwiebeln oder Kartof-feln auflegen', erinnert sich der Hirte. 'Das entgiftet den Stich.' Doch er hat weder eine Zwiebel noch eine Kartoffel. Außerdem hat sich das Gift schon im Kör-per verbreitet, sonst wäre Ingalf noch bei Bewusstsein. Somit hat es auch keinen Sinn, das Bein abzubinden

und die Wunde auszusaugen, in der Hoffnung mög-lichst viel Gift dem Körper zu entziehen.

So nimmt er dem Zwerg die Wasserflasche aus der Hand und flößt seinem Freund langsam vom Inhalt ein, um durch die zusätzliche Flüssigkeit das Gift im Körper zu verdünnen. Weiterhin achtet er auf Herz-schlag und Atmung.

Elgar löscht seinen Stab, woraufhin die Höhle wieder stockdunkel ist und geht in den Gang nach Spinnen Ausschau halten. Im Gehen meint er zu den grünen Augen die im Dunkeln glitzern: "Tut mir leid, Rovena, ich bin hier drinnen nicht erwünscht und mit Schä-fern will ich mich nicht streiten. Falls Du mich hier noch brauchst, schick Edric. Ich bin draußen auf Wa-che." 'Soll ihm jemand anderes die Ohren waschen. Jetzt ist nicht die Zeit, den Kopf zu verlieren, je eher Edric das lernt umso besser!'

Hesander tritt neben den Adeptus und sagt: "Nun, Adeptus, ich denke, das ist nicht die Zeit, sich in sei-ner Ehre angegriffen zu fühlen oder gar Standesdün-kel zu hegen. Wir sind eine auserwählte Gemein-schaft - und wir schaffen unsere Aufgabe gemeinsam, mit der Gnade der Zwölfe - oder wir schaffen es nicht. Nebenbei habe ich bislang Euren Mangel an Respekt mir gegenüber geflissentlich ignoriert. So, und jetzt - bei Peraine - bitte ich Euch, dort wieder hinein zu ge-hen, Licht zu machen und Euch gemeinsam mit Edric um Ingalf zu kümmern!" Hesander blickt ernst - mit ihm ist im Moment offenbar nicht zu scherzen oder zu diskutieren.

"Isinha, bitte! Wir brauchen Licht!" Die junge Hexe schaut dem Magier verständnislos hinterher.

Schon will sie aufspringen und ihm nacheilen, doch als Hesander Elgar hinterhergeht, entscheidet sie sich, lieber nicht von Ingalfs Seite zu weichen.

"So wacht denn ihr hier!" erwidert Elgar Hesander. 'Und führt auch Ihr uns ins Verderben' "Zeit zum Re-den ist, wenn wir alle wieder draußen sind." Er betritt die Höhle erneut und verschafft sich zunächst einen Überblick: 'Eine tote Spinne, ein bewusstloser Thor-waler, ein Zwerg, ein Hirte, eine Hexe und ein Gerip-pe in einem vier Schritt großen Raum, das klingt ge-mütlich!''

Zwischendurch schaut Edric Rovena an, der er am ehesten in der Gruppe entsprechendes Wissen zu-traut. Hexe oder nicht – Hauptsache, Ingalf kann ge-holfen werden.

Rovena erwidert Edrics Blick und beginnt, in ihrem Tuchbeutel nach der Flasche mit dem Einbeerensaft zu suchen. Dabei fällt ihr auch die bei dem Skelett ge-fundene Flasche mit der grünen Flüssigkeit in die Hände.

'Ich werde sie mir später näher ansehen …' denkt sie dabei, stellt die Flasche neben sich und hält endlich

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ihren Einbeerensaft in den Händen. Nun holt sie noch ihrem Löffeln heraus. Leise sagt sie: "Ich weiß nicht, ob ihn der Saft sofort wieder zu Bewusstsein bringen wird, Edric. Doch kann er den Schaden, der Ingalf zugefügt wurde, lindern und die Wunde hei-len."

Sie gibt etwas von dem Saft, entsprechend einer Ein-beere, auf ihren Löffel und träufelt den Saft langsam in Ingalfs Mund, wobei sie darauf achtet, dass er ihn auch schlucken kann.

Mit viel Mühe und Geduld gelingt es Rovena, dem be-wusstlosen Ingalf Tropfen für Tropfen etwas Einbee-rensaft einzuflößen. Die Blutung, die der schwerwie-gende Biss der Spinne hervorgerufen hat, wird lang-sam gestillt, aber Ingalf wacht nicht wieder auf.

Sanft streicht die junge Hexe dem ohnmächtigen Thorwaler ein paar blonde Haarsträhnen aus der Stirn, fühlt seinen Puls an der Schlagader am Hals.

Sie blickt Edric an und wiegt betrübt den Kopf. "Jetzt können wir nur abwarten, bis er wieder aufwacht." Ihre smaragdgrünen Augen schimmern leicht, als sie weiter spricht: "Doch wir müssen weiter und werden Ingalf tragen müssen."

Sorgfältig packt sie ihren Heiltrank zurück in den Tuchbeutel und als sie die Flasche mit dem grünli-chen Inhalt hoch hebt, betrachtet sie nachdenklich den Inhalt. Auch ihr Einbeerensaft ist von grünlicher Farbe. "Vielleicht ist dies ebenfalls ein Heiltrank, er sieht fast aus wie mein Sud von den Einbeeren," mur-melt sie leise, ihr Blick schweift hinüber zu der er-schlagenen Spinne und dem menschlichen Gerippe.

Elgar untersucht scheinbar unbeteiligt weiterhin das Skelett und den goldenen Dolch.

Unter dem Skelett findet sich noch eine mit Halbedel-steinen besetzte lederne Dolchscheide. Der Dolch ist ein wirklich schönes Stück. Das sieht auch Grisbart.

Grisbart, der ja bei Ingalf nichts tun konnte, hat sich ein bisschen zurückgezogen. 'Die Frau wird wissen was sie tut', denkt er sich.

Als er dann etwas abseits steht und auf die Gänge ach-tet, bemerkt er den Dolch und die Dolchscheide, die Elgar unter dem Skelett hervorzieht. 'Nicht schlecht. Was die wohl kostet? Ob man die überhaupt verkau-fen sollte? Vielleicht sollte man die behalten. Scheint doch sehr wertvoll zu sein. Könnte ich mir eine neue Ausrüstung von kaufen', rasen die Gedanken in sei-nem Kopf. Er schluckt einmal, dreht sehr abrupt den Kopf weg und murmelt den anderen zu: "Ich achte auf den Gang!" Er geht ein wenig in Richtung des Ganges und stellt sich dann mit dem Rücken zu Gruppe hin, um nicht das teure Stück zu sehen.

'Wär schade um das Geld.' denkt sich Elgar und mon-tiert die Dolchscheide neben seinen eigenen Dolch am Gürtel fest.

"Möglicherweise hat dieser Fremde gedacht, er würde ihn vor dem Gift der Spinnen bewahren. Ob er noch von ihm getrunken hat, bevor er sterben musste? Und warum schlief diese Spinne neben ihm? Hielt sie bei ihm Wache? Wie lange mag er schon tot sein?" So vie-le Fragen gehen ihr durch den Kopf, auf die sie keine Antwort weiß.

"Vielleicht war die Spinne alt oder krank?" vermutet Edric leise, ohne den Blick von Ingalf zu nehmen.

"Etwas viele Unwägbarkeiten für meinen Geschmack, aber sei's drum. Ich würde nur ungern einen Trank ausprobieren dessen Wirkung ich nicht kenne." - 'und sei's nur an dem vorlauten Thorwaler'

"Die Spinne war offensichtlich geschwächt, sie hat sich ihre Beute wohl hart erkämpfen müssen. Spinnen fressen ihre Opfer sehr langsam, da hier nur noch ein Gerippe übrig ist, die Spinne aber noch nicht ganz er-holt war, sollte er schon einige Tage tot sein."

Rovena schüttelt zweifelnd den Kopf, beobachtet, wie der Magier das Skelett untersucht. "Wovon meinst du, sollte sie sich erholt haben müssen? Vom Fressen? Da-durch hätte sie doch eher wieder gestärkt sein müssen, wenn sie ihn über Tage abgenagt hat, oder?" So ganz kann sie sich nicht erklären, warum diese Spinne langsamer und schwächer war als die, von denen sie angegriffen wurden. Sie betrachtet das tote Tier ge-nauer, ob es vielleicht kleiner ist als die anderen.

"Nun zu Ingalf …",beginnt er verheißungsvoll. "Edric, möchtest du ihn gleich schultern oder darf ich zu-nächst versuchen, ihn mit meiner Heilkunst aufzuwe-cken?"

Auf Edrics Gesicht erscheint plötzlich ein breites Grinsen. 'Hätte Ingalf dies gehört, würde nun der Ma-gier bewusstlos am Boden liegen.' ist er sich sicher. Schließlich kennt er seinen thorwalschen Freund schon lange genug, um zu wissen, wie impulsiv dieser sein kann.

Dennoch erscheint ihm der gelehrte Herr seltsamer als zu Beginn dieser Reise. Und im Wald klangen sei-ne Worte so, als begreife er, wie wichtig der Zusam-menhalt dieser Gruppe für den Auftrag ist. 'Und nun? Unser Anführer ist bewusstlos und er spielt sich auf, als wüsste er alles besser.' Edric ist über Elgars - so sollte er ihn ja nennen - Verhalten durchaus erstaunt. Wenn er ganz ehrlich ist, ist er deswegen auch ver-stimmt.

"Wenn Ihr es für sinnvoll erachtet, werde ich Euch nicht davon abhalten." erwidert Edric, der breit ist, sei-nen Freund Huckepack zu nehmen. Allerdings wird er mit ihm nicht weiter in den Spinnenbau vordrin-gen, sondern ihn zurück zu den Maultieren bringen.

Zu Rovena meint er: "Ich kenne einen Spruch, der ihm helfen sollte, nur leider beherrsche ich ihn noch nicht allzu gut. Wenn ihr bitte einen Schritt zurückge-

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hen könntet." Er konzentriert sich auf alles, was den 'Klarum Purum Kräutersud' ausmacht. Er nimmt sich doppelt soviel Zeit wie sonst …

Mit dem Zauberstab in der rechten Hand legt er die linke Hand auf Ingalfs Herz. Er atmet noch einmal tief durch und beginnt, Unverständliches auf Bospara-no zu murmeln …

"Das könnte dann bedeuten, dass die Spinnen solchen Tieren einen Menschen als Nahrung bringen, anstatt Fische, die sie doch sonst zu fressen scheinen. Ob Me-lachath deshalb gefangen wurde, damit er einer kran-ken oder alten Spinnen zum letzten Mahl vorgesetzt wird?" Rovena schüttelt sich bei dem Gedanken. Auch sie beobachtet Ingalf und wartet gespannt, ob Elgars Magie ihn wecken kann.

"Eine fürwahr grauenvolle Vorstellung. Ich wäre froh, wenn Ihr Euch irrtet", kommentiert Hesander die Äu-ßerung Rovenas. "Wie geht es Ingalf?" fragt er dann in Richtung Edrics und Elgars.

Wie gut, dass Elgar die Grundkenntnisse dieses Zau-bers gelernt hat. Er ist erfolgreich!

In diesem Moment zeitigt Elgars Zauber Wirkung. In-galf wacht auf.

Gerade eben ist Ingalf von der Spinne gebissen wor-den. Nun findet er sich auf dem Boden liegend wie-der, als er die Augen aufschlägt. Die Bisswunde tut weh - aber nicht übermäßig.

Ingalf schaut überrascht seine Gefährten an, die um ihn rumstehen: "Was guckt ihr so, als hätte ich hier Stunden lang tot am Boden gelegen? Hat euch noch nie 'ne Spinne gebissen?"

Ehrliche Erleichterung ist Edric ins Gesicht geschrie-ben, als er seinen Freund anlächelt. Er tritt näher und streckt ihm die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen.

'Ihm scheint nichts zu fehlen. Ich hatte mir schon große Sorgen gemacht.'

"Noch keine, von der ich mich hab überraschen las-sen, mein unvorsichtiger Freund. Ihr schuldet mir eine Nachtwache.", meint Elgar lapidar und dreht sich um.

Ingalf, der noch etwas verdattert von Elgars Rede ist, lässt sich gerne aushelfen und schaut Edric an und fragt ihn leise: "Was'n hier eigentlich los? Elgar redet ein wenig wirr …"

"Du warst eine ganze Zeit bewusstlos", antwortet der Hirte leise mit ernstem Blick. "Wie geht es Dir?"

"Bewusstlos?" Ingalf steht der Unglauben ins Gesichts geschrieben. "Die Spinne hat mich ins Bein gebissen und ich bin umgefallen. Augenblicke später steh' ich auf und ihr starrt mich an als wäre ich von den Toten auferstanden …"

Dann holt er tief Luft und meint beruhigend zu Ed-ric: "Natürlich geht es gut. Nur die kleine Wunde am Bein …"

Erleichtert, Ingalf wieder bei Bewusstsein zu sehen, erhebt sich auch Rovena, die noch an der Seite des Thorwalers hockte. Stumm schultert sie ihren Beutel und nimmt ihren Stab fest in die Hand.

"Wie angenehm zu wissen, wofür man seine forca ma-gae eingesetzt hat.", er zwinkert im Dunkeln Rovena zu.

Elgar betrachtet den Dolch sicherheitshalber noch einmal genau, ob er Zeichen einer Verzauberung oder eines Fluchs aufweist, bevor er ihn in die vorhin mon-tierte Scheide gleiten lässt und sich überlegt, ob es nicht klüger wäre, einen von beiden abzulegen.

Der Dolch sieht absolut harmlos aus.

Er beschließt, seinen eigentlichen Dolch in der Höhle liegen zu lassen und auf dem Rückweg wieder einzu-sammeln.

Insbesondere Grisbart sieht also, wie Elgar den golde-nen Dolch an sich nimmt und seinen alten, einfachen Dolch ablegt.

Elgar betrachtet die Stoffreste am Gerippe und ver-sucht, daraus - so weit wie möglich - Rückschlüsse auf Stand, Beruf und Vorhaben des Toten zu erkennen.

Die Kleidung ist ziemlich vermodert. Elgar findet nichts Aufschlussreiches.

Zu Grisbart: "Meister des Erzes, könnt Ihr mir etwas über diesen Glücklosen erzählen? Kanntet Ihr ihn womöglich? Was wird er wohl in diesem Wald getrie-ben haben?"

"Nein. Den kenne ich nicht. Aber es kann sein, dass ich ihn mit Fleisch auf den Knochen vielleicht sogar gekannt hätte."

"Sag mal, willst du mir nicht einen Dolch geben, da-mit ich auch noch 'ne Waffe habe?" kommt es von Grisbart.

Mit unruhigem Blick in Richtung des Ganges, durch den sie die Höhle nun wohl wieder verlassen werden, verfolgt Rovena die Gespräche ihrer Gefährten und wartet, dass es weiter gehen kann. In ihrer Vorstellung sieht sie den Aranier bewusstlos neben einer Spinne liegen, die sich mit ihren gierig triefenden Mundwerk-zeugen seinem Körper nähert …

Es kommt gerade wieder eine Zufriedenheit ausstrah-lende Spinne von draußen an. Nach einer kurzen Warnung Rovenas und dem Verlöschen des Lichtes, passiert die Spinne den Gang, ohne etwas zu bemer-ken.

Zuerst stockt Edric der Atem, doch als auch diese Spinne vorüber geht, atmet er unwillkürlich auf.

Ingalf streckt sich kurz, schüttelt noch einmal die Be-nommenheit aus dem Kopf, dreht sich um: "Können wir?"

Dann geht er zum Höhlenausgang und folgt der ent-schwindenden Spinne in gebührendem Abstand - im-

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mer darauf bedacht, dass die Gruppe sich in eine Höhle oder Spalte im Fels vor den scheinbar uninter-essierten Fischerspinnen zurückziehen zu können.

Edric nickt ihm zu, obwohl er dies in der Dunkelheit nicht sehen kann, und folgt seinem Freund hinaus. Dort nimmt er wieder seine Position in der Marschfol-ge ein.

"Los, Freund Zwerg, wenn schon solch halbedler Schmuck hier so nah am Eingang liegt, welche Reich-tümer mögen diese Spinnen noch so aus Versehen an-gehäuft haben!", er schiebt den Zwerg vor sich in den Gang. Den alten Dolch hebt er dort wieder auf und drückt ihn dem Zwerg in die Hand. "Los, Gefährten, Melachath wartet auf uns." An Hesander gewandt fügt er hinzu: "Wenn Ihr mit Phex und Hesinde wiederum auf unsere Rücken achten mögt?"

Der Gang macht einen leichten Bogen nach rechts, so dass man trotz der dämmrigen Beleuchtung durch die grün schimmernden Pilze nicht all zu weit nach vorn sehen kann. Andererseits gibt es in den Gangwänden immer wieder dunkle Nischen, in die die Gruppe sich zurückziehen kann. Und eine nähernde Spinne wird immer erspürt, bevor sie in Sichtweite kommt.

Ingalf folgt als zweiter in der Reihe wieder dem Zwerg und versucht, im Vorübergehen einen Blick in die Ni-schen zu werfen, denn einen Hinterhalt können die Gefährten nicht gebrauchen.

Bislang gibt es keine unangenehmen Überraschungen. Ein bisschen kitzelig ist die Sache aber schon, denn die Nischen sind nicht immer mit Pilzen bewachsen, so dass nicht ganz klar ist, ob eine Nische nicht Ein-gang in eine weitere Höhle ist.

"Hier vorne ist's ja mit wenig Licht ganz nett, aber leuchtet Ihr doch zwischendurch mal in die Nischen, Magier. Es sei denn, Ihr habt Angst, dann eine Spinne aufzuschrecken."

"Grisbart hat Recht", raunt Rovena Elgar zu. "Lass die Nischen nicht unbeachtet, wenn dort Brut- oder Wohnhöhlen sein sollten, könnte sich Melachath dort befinden." Angespannt bewegt sich die junge Hexe durch den schwach erhellten Gang, ständig darauf ge-fasst, diese zufriedenen Gefühle der Smaragdspinnen zu erfühlen.

Immer wieder versucht sie, beklommen einen Blick in die dunklen Nischen zu werfen und hadert mit sich, keine abblendbare Lampe dabei zu haben, mit der sie dort hinein leuchten könnte.

"Magie ist kein Spielzeug! Edric, deine Sturmlaterne ist nur abgeblendet, blende sie doch einfach auf, wenn wir an eine Nische kommen.

Es mag für mich nicht anstrengend sein, aber ein Zauberstab ist keine Sturmlaterne."

"Ihr irrt, hoher Herr", erwidert Edric freundlich mit dem entsprechenden Respekt bezüglich Elgars Stan-

des, "die Laterne habe ich gelöscht, als die erste Spin-ne an der Höhle vorbeizog."

"So lasst Euch denn geholfen sein." Sprach's und spendet der Laterne des Gefährten Feuer. 'Wenn er denn schon mal entzündet ist, wollen wir doch mal er-gründen, wo wir uns grad versteckt hatten.' und schaut vorsichtig und kurz in die nächste Nische.

Es ist wirklich eine Nische - und die nächste auch. Dann kommt auf einmal eine Kreuzung. Geradeaus, links, rechts - jede der drei Richtungen erscheint gleichwertig.

'Das letzte mal, das wir rechts abbogen, fiel der Thor-waler in Ohnmacht.' die Entscheidung überlässt er Zwerg und Thorwaler.

"Jeder Weg ist gleich und Satinav uns womöglich nicht mehr lange wohlgesonnen!" treibt der Magier die Gruppe mit einem leichten Funkeln in den rubinroten Augen an. Er vergisst jedoch nicht, seinen Pfeil in den Gang zu ritzen.

"In der Tat, da habt Ihr Recht. Ich würde ungerne von den Bewohnern dieses Baus begrüßt werden."

Ingalf dreht sich zu Edric um: "Du bist besser im Spu-rensuchen als ich. Meinst Du nicht, dass die Spinne von eben eine Spur auf diesem Boden hinterlassen ha-ben müsste. Leuchte doch mal nach unten …"

"Wenn ich mich nicht irre, sind wir in einem Spinnen-bau, was bedeutet, dass hier überall mehr oder weniger frische Spinnenspuren sind. Wir sollten den meist be-nutzten Gang nehmen, so etwas zu erkennen ist." El-gar bemüht sich, seine Worte nicht allzu verletzend klingen zu lassen, ohne jedoch den nötigen Nach-druck vermissen zu lassen.

"Ja, sach' ma'" kommt die skeptische Antwort von In-galf, "bist Du mit dem Kopf anner Decke lang ge-schrappt? Lass den Jungen in Ruhe schauen, der weiß wo der beste Weg ist! Klar ist das ein Spinnenbau - in-ner Schenke gib's auch mehrere Tische!"

Während Edric den Boden untersucht fragt er den Thorwaler: "Der Gang bog bereits nach rechts ab, wie-viele Vierteldrehungen werden wir schon gemacht ha-ben?", von Ingalf unbemerkt hat Elgar bereits den Südweiser konsultiert, um die Orientierungsfähigkeit des Thorwalers überprüfen zu können und weil er be-fürchtet, in der Nähe von Erzadern den Südweiser nicht sinnvoll benutzen zu können.

"Na so zwölf bis 'n Dutzend", Ingalf wundert sich, was diese Frage wieder soll. "Damit Du Dich nicht ver-läufst: Das waren bislang höchstens vier Strich nach Steuerbord."

"Möglicherweise bin ich das sogar.", entgegnet ihm der Magier, der sich ob der ungewollt komischen Situation den folgenden Seitenhieb nicht verkneifen kann: "Je-denfalls habe ich mich nicht von einer Riesentarantel beißen lassen." - 'Welch köstliches Bild für die privaten

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Reiseaufzeichnungen!' Elgar erstarrt. Er schaut den Thorwaler lange und ernst an. 'Wenn wir lange genug leben, um davon Aufzeichnungen zu machen.'

"Klar!" kommt es von Ingalf ebenso sarkastisch zu-rück. "Du hättest Dich mit Hesander hingestellt und die Spinne tot geredet."

'Und ohne in Schweiß auszubrechen oder uns gar von ihr beißen zu lassen, aber das darfst du gerne in deine nächste Erzählung einfließen lassen.' Ein leichter Luftzug lässt das Licht seines Stabes und dessen Re-flektionen in Elgars glutroten Augen für einen Mo-ment flackern. Während sein Haar wie farblose Schlangen um sein Gesicht tanzt. Alles wird wieder ruhig. "Nur damit wir uns recht verstehen, wir haben also höchstens einen Achtelkreis gedreht?" Er erwartet nicht, dass er den Thorwaler falsch verstanden haben könnte. Warum auch?

Ingalf nickt nur.

"Also Edric, in welcher Richtung werden wir Me-lachath suchen?"

Edric macht sich daran, die Spuren auf dem Boden zu untersuchen. Wie angenehm ist es doch, von einem um etwas gebeten zu werden.

Die Spinnenfüße machen kleine Eindrücke in den lehmigen Boden. Es hat den Anschein, dass der Gang nach links häufiger benutzt wird als die Gänge gera-deaus und rechts.

Edric erhebt sich nach einem Augenblick wieder und deutet in den linken Gang: "Geht dort entlang, wenn ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Spinnen treffen wollt. Ansonsten wählt einen der anderen Gänge."

Hesander schaut sich die Spuren an und meint: "Me-lachath könnte an mehreren Stellen zu suchen sein. Entweder in einem seltener benutzten Gang, der als Lager dient, oder vielleicht an einer Art Versamm-lungsstelle, die häufig benutzt wird. Dennoch sollten wir gerade aus oder rechts zuerst versuchen."

Abwartend guckt Grisbart die Gruppe an, in welchen Gang sie gehen sollen.

"Prima!" antwortet Ingalf und mit einem kleinen Sei-tenhieb zu Elgar: "Man muss nur den Richtigen fra-gen, dann bekommt man auch eine gute Antwort! Ich denke, den Weg Backbord mit den vielen Spinnen sollten wir als letztes gehen, oder? Also auf Kurs blei-ben oder nach Steuerbord?" Er blickt abwartend in die Runde.

Rovena achtet angespannt auf Anzeichen, die wieder Spinnen ankündigen könnten. Unschlüssig wandert ihr Blick zwischen den Gängen hin und her. "Dann lasst uns in dem rechten Gang weiter suchen," schlägt sie vor. "Einer ist so gut wie der andere, solange wir nicht wissen, wo die Spinnen Melachath hinge-schleppt haben."

"Also Steuerbord!" bestätigt Ingalf. "Los, Grisbart, wir folgen Dir!" Ingalf nimmt seine Orknase in die Hände und folgt gebückt dem Zwerg.

Und Grisbart schreitet weiter vorsichtig voran.

Jeder Gang ist Edric recht. Früher oder später werden sie bestimmt auf weitere Spinnen stoßen. Vor einer solch großen Zahl an Tieren, wie beim Überfall am See, kann man sich nicht dauerhaft verbergen.

Ein 10 Schritt langer Gang öffnet sich in eine unregel-mäßig geformte Höhle. In der Höhle liegen vier er-starrte Spinnenmännchen. Sonst ist nichts Auffälliges zu sehen - insbesondere kein weiterer Ausgang.

"Interessant", murmelt Hesander. "Ich habe einmal gelesen, dass es Spinnenarten gibt, in denen Männ-chen nach dem Paarungsakt von den Weibchen getötet oder gar verspeist werden."

Falls möglich, wird Hesander genauer hinsehen, um herauszufinden, ob diese Männchen noch leben oder nicht. Näher als anderthalb Schritt wird er nicht her-angehen und er wird sie auch nicht anfassen.

"Seid vorsichtig, Hesander, stört sie ja nicht in ihrer Ruhe!" warnt die junge Hexe den Geweihten. Sie würde jetzt viel lieber sofort umdrehen und den nächsten Gang untersuchen.

Die Spinnen scheinen unverletzt zu sein. Andererseits sind keine Lebenszeichen zu erkennen.

Grisbart will auch nicht offensichtlich sofort die vier Spinnen angreifen. Er guckt sich im Raum um, ob dort noch irgendwas Interessantes liegt oder gar irgend etwas, womit man einen Gang versperren könnte.

Er sieht aber nichts - weder etwas Interessantes noch etwas zum Versperren.

"Freundin Rovena, hättet Ihr die Güte, in der Nähe der Kreuzung Wache zu halten?"

"Herr Wedmannsson, Grisbart, Edric, Euer Gnaden. Wenn wir wirklich gegen diese Spinnen kämpfen müssen, bietet sich dieser Raum doch an oder? Aller-dings ist mein Bedarf an Überraschungen durch 'schlafende' Spinnen gedeckt. Wer es mit seinem Ge-wissen vereinbaren kann, die aggressiven Kreaturen, die uns ohne Warnung anzugreifen trachten und ohne Not unseren Gefährten entführt haben, Boron anzu-vertrauen, möge mir bitte zur Hand gehen." Elgar stellt sich mit erhobenen Stab hinter eine der Spinnen und konzentriert sich auf sein Ziel. Er wartet, ob es ihm einer der Angesprochenen gleichtut.

Edric schüttelt nur den Kopf und sieht Ingalf fragend an. 'Er verfehlt unser Ziel. Wir sind hier um unseren Kameraden zu retten und nicht, um sinnlos Spinnen zu töten.' Edric ist sich sicher, dass dies nur Ver-schwendung von Zeit und Kraft ist. Mit Ingalf alleine, vielleicht mit Rovena zusammen, kämen sie viel schneller ans Ziel!

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"Nee, Elgar, den Spaß kannste alleine haben!" antwor-tet Ingalf und bleibt in weiter Entfernung stehen. "Wenn die Viecher schlafen, dann lass sie schlafen. Sind sie schon tot, dann bleiben sie es auch."

Dann wendet er sich an seinen Freund: "Komm Edric, gehen wir mit Rovena zurück zur Kreuzung!"

Elgar schaut Grisbart fragend an. "Und du?" Vom Ge-weihten erwartet er nichts. 'Wenigstens lässt sich der Sturkopf nicht sofort wieder beißen …'

"Isinha, bitte! Weck sie nicht auf!" Rovenas Stimme klingt beschwörend.

Mit geweiteten Augen starrt sie den Magier an, sucht seinen Blick. "Was, wenn diese Tiere nicht so langsam sind wie das eine, welches Ingalf biss? Was, wenn sie den anderen ihre Gedanken senden, sie warnen und zur Hilfe rufen?" Besorgt, beinahe ängstlich, versucht sie, Elgar von seinem Vorhaben abzubringen und nur zögernd wendet sie sich dem Ausgang zu, um Ingalf und Edric zu folgen, ohne den Magier dabei jedoch aus den Augen zu lassen.

"Wer eine Waffe zieht, ohne Blut zu vergießen, dem werden die Götter jeweils ein Jahr lang Pech bringen. Zwölf Jahre Pech. Und wer Wehrlose tötet, ist nicht besser. Nur dass sich dann Rondra um dein Glück und dein Pech sorgt. Lass die Spinnen einfach liegen", kommt von Grisbart die Antwort.

Nach einer ganz kurzen Überlegungspause tritt Elgar schnell 2 Schritt von der Spinne zurück, dreht den Stab gekonnt und hält in hinter dem linken Arm ge-gen den Rücken. Dabei deutet er mit dem Kopf eine Verbeugung an und schließt sich den anderen auf dem Weg aus der Höhle an. Am Ausgang dreht er sich noch einmal um und versichert sich, dass die Spinnen ihre "Lage" nicht verändert haben.

Sie liegt genauso starr da wie vorher.

"So eine kluge Entscheidung hätte ich Dir gar nicht mehr zugetraut!" höhnt Ingalf, als der Magier die Höhle verlässt. "Kommt, ab in den nächsten Gang!"

Ingalf schiebt den Zwerg voraus in die jetzt rechts lie-gende Abzweigung.

Stumm wartet Rovena, bis Elgar an ihrer Seite ist. Sie kann verstehen, dass der Thorwaler den Magier mit dieser höhnischen Bemerkung bedacht hat. Mit großen Augen schaut sie Elgar an, mustert ihn auf-merksam und berührt ihn sanft am Arm. "Wie fühlst du dich, Isinha?" fragt sie ihn leise, die Besorgnis in ihrer Stimme kann sie nicht verbergen.

"Ging mir schon schlechter." erwidert Elgar leise mit einem Anflug von Resignation in der Stimme. "Er hat ja auch Recht." fügt er mit dem Kopf in Richtung In-galf gewandt hinzu.

Seit sie hier in den unterirdischen Gängen unterwegs ist, fühlt sie sich bedrückt, gefangen in der Enge, ein Gefühl, das sie als Kind des Waldes und der Lüfte nicht kennt. Vielleicht ergeht es dem Magier auch nicht anders als ihr.

"Seit wir hier unter der Erde sind, fühle ich mich nicht sehr wohl. Das hat sich irgendwie … ausgewirkt." Das kurze Zögern zeigt Rovena überdeutlich, dass es Elgar nicht leicht fällt, darüber zu sprechen. "Ich werde mich bessern!" fügt er flüsternd mit einem Zwinkern hinzu und versucht, sich das Bedrückende der Gänge nicht mehr anmerken zu lassen.

Zart streicht Rovena beruhigend über Elgars Hand. "Mir geht es ähnlich," gesteht sie ihm leise. "Diese Enge … bedrückt mich … ich hoffe so sehr, dass wir Melachath bald finden und hier wieder raus können." Ein leiser Seufzer erklingt von ihren Lippen und sie schließt, für einen kurzen Moment nur, die Augen.

Hesander geht schweigend hinter den anderen her. Er wiegt die Argumente der Gefährten in seinem Kopf ab. 'Eigentlich haben beide Seiten Recht', kommt er zu einem Ergebnis. "Ärgert Euch nicht, Elgar", meint Hesander dann zum Magus beschwichtigend.

"Nein, tue ich nicht." antwortet der Angesprochene. "Einsicht ist das Unvermeidliche ist eine der wichtigs-ten Überlebensstrategien." fährt er fort. "Dies habe ich früh genug lernen müssen."

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3. Tag: Tiefer in den Spinnenbauon der Höhle mit den vier erstarrten Spinnen aus geht es wieder nach rechts, also in den zwei-

ten, anscheinend nicht ganz so stark benutzten Gang.VVNach etwas mehr als zehn Schritt kommt wieder eine Kreuzung, die sich in einem Punkt von der ersten Kreuzung unterscheidet: Im nach links führenden Gang steht Wasser.

"Na, Grisbart", kommt es von Ingalf, als er das Wasser sieht, " der linke ist bestimmt der richtige Gang!" Er grinst.

"Nee, im Ernst, damit wir uns nicht verirren, sollten wir systematisch vorgehen. Also würde ich sagen, erst-mal wieder nach rechts, oder?"

"Okay. Rechts", sagt Grisbart und stapft - weiterhin vorsichtig - los. 'Ob die Spinnen wohl hier ihre Fische lagern? Vielleicht können die gar schwimmen.'

Der Gang endet wie zuvor in einer Höhle, und auch diese ist mit vier erstarrten Spinnen belegt.

Grisbart guckt sich kurz in der Höhle vom Eingang aus um und flüstert Ingalf, der sich ja eh etwas bücken muss, zu: "Sind auch nur vier leblose Spinnen. Lass uns einfach umkehren. Hier liegt kein Mensch."

"Das wohl!" kommt es mit einem Nicken von Ingalf. "Ab zum nächsten Gang. Irgendwo müssen wir ja Me-lachath finden!"

Rovena hält an, als die Führenden vorne flüstern und drückt sich an die Wand des Ganges, um Ingalf und Grisbart vorbei zu lassen, die zurückkommen. Fra-gend schaut sie die beiden an. "Was ist, warum geht es nicht weiter?" will sie wissen. "Müssen wir nun in den überfluteten Gang?"

Grisbart reckt sich etwas, um Rovena etwas zu zuflüs-tern: "Da sind nur vier leblose Spinnen in dem Raum. Von 'nem Menschen ist da nichts zu sehen. Von dem überfluteten Gang halte ich so gar nichts."

"Lasst uns doch erst noch den letzten Gang ausprobie-ren!" meint Ingalf. "Und dann können wir immer noch zurück, bevor wir durch das Wasser stapfen …"

Rovena nickt nur und folgt den beiden, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, um nicht auf dem feuchten Lehmboden des Ganges auszugleiten. Ihre Sinne sind angespannt, und ständig rechnet sie damit, wieder die Gefühle der Spinnen zu empfangen.

Stumm folgt Elgar den anderen. Er hat nicht mehr das Bedürfnis, "zur Sicherheit" für die leblosen Spin-nen Golgari herbei zurufen. Statt dessen grübelt er vor sich hin, was der Grund für die Anwesenheit des To-ten hier gewesen sein mag. Dabei streicht seine freie rechte Hand abwesend über den juwelenbesetzten Dolch am Gürtel.

Dieser Gang, macht in 20 Schritten einen Bogen nach rechts. Ingalf schätzt einen Achtelkreis. Dann endet er vor einer dunklen Höhle. Der Gang ist bis zum Höh-leneingang dicht mit den schimmernden Pilzen be-wachsen, in der Höhle wächst offensichtlich kein ein-ziger.

Edric folgt Ingalf schweigend und ist froh, dass dieser noch nicht den Weg durchs Wasser gewählt hat. Diese Enge, hier unter der Erde bedrückt ihn, verursacht eine Enge in seiner Brust, die er vorher nicht kannte. Auf den Weiden, unter dem Himmel ist die Welt so weit …

'Wie können die Zwerge hier nur ihr ganzes Leben verbringen?' fragt er sich, während er dem niedrigen Gang folgt.

Ihm fällt auf, dass die Pilze urplötzlich nicht mehr in der Höhle weiter wachsen. Prüfend hebt er die Hand, fühlt die Luft in der Höhle, vielleicht ist es zu kalt oder zu trocken für Pilze. Oder es hat einen anderen Grund …

Aber viel wichtiger ist, dass sie bald das verlorene Schaf wiederfinden. Fragend schaut er Ingalf an, war-tet auf ein stummes Zeichen, ob sie weitergehen sol-len.

"Das ist hier ja dunkler als in Großmutters Tasche!" murmelt der Thorwaler.

Dann dreht er sich zu Elgar um: "Mach' doch mal Licht, man sieht ja nichts!" Ein fast geflüstertes "Bitte" weht leise hinterher.

"Schaut einmal", bemerkt Hesander. "Der Gang ist mit Pilzen bewachsen, die Höhle hingegen nicht. War das nicht bei einigen anderen Gängen und Höhlen genauso?"

Ja, sie leuchten grünlich.

"Hm, eigenartig." murmelt Elgar vor sich hin und be-trachtet den Höhleneingang genauer. "Glaubst du, die Spinnen können das Wachstum der Pilze beeinflus-sen? Vielleicht züchten sie sie genau so, wie sie Fische und Menschen fangen." mutmaßt er.

'Egal wie', denkt sich die junge Hexe, 'nur schnell Me-lachath finden und wieder raus hier.' Sie schluckt leicht und wartet, dass endlich jemand Licht in die düstere Höhle bringt.

"Warum legen die Spinnen überhaupt so hohe Gänge an - oder ist dieser Bau vielleicht gar nicht von den Spinnen angelegt worden und sie sind hier nur der 'Zweitbezug'?" fragt er.

Allerdings gleitet das Gespräch schon wieder in Rich-tung eines Monologs ab.

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"Weil's noch größere gibt!?" kommt es das Schlimmste ahnend von Ingalf.

Rovena wird bei Ingalfs Worten blass, so dass ihre Ge-sichtsfarbe bei dem grünlichen Lichtschimmer, den die Pilze in dem Gang verbreiten, einen ungesunden Ton annimmt. Bei den ihr bekannten Spinnenarten waren meist die Weibchen größer als die Männchen, und wenn in diesem Bau ein Weibchen sitzt … sie beißt die Zähne zusammen und starrt in die Dunkel-heit der Höhle vor ihnen.

Auf Ingalfs Bitte hin sieht Elgar ihn nachdenklich an: "Glaubst du denn, dass es klug wäre, auf uns durch ein Licht aufmerksam zu machen, sollte in der vor uns liegenden Höhle ein Spinnenweibchen sitzen, dessen Größe die der Männchen - so die bisherigen Spinnen solche sind - noch bei weitem übertrifft?" Wohl wis-send, dass diese Frage rein rhetorisch bleibt, sollte dem so sein. Denn dann dürfte diese Spinne auch im Dun-keln sehen können. Also geht er an den anderen vor-bei und nach vorn, macht eine theatralische, aber völ-lig überflüssige Geste über der Spitze seines Stabes und bringt ihn zum Leuchten.

'Blöde Frage!' denkt sich Ingalf. 'Wie soll ich sehen, ob das 'ne Spinne ist, wenn es dunkel ist? Seh' ich aus wie 'ne Fledermaus?' Ingalf stellt sich kampfbereit ne-ben den Magier und schaut in die Höhle.

Die Höhle ist ähnlich groß wie die vorigen, wieder gibt es keinen weiteren Ausgang. Hier gibt es keine Spinnen.

Die Gruppe will sich schon zurückziehen, da gerät plötzlich der Boden in der Mitte der Höhle in einem Bereich von ungefähr einem Schritt Durchmesser in Bewegung. Nach und nach türmt sich ein Erdhaufen auf.

"Uh oh!" macht Elgar leise. Er betrachtet den Haufen genau. Sieht es eher wie ein Maulwurfshügel aus, den etwas aufwirft, das aus der Erde kommt, oder wächst der "Turm" zu einer Art Golem heran?

Drei Spannen hoch ist der Erdhaufen, als er aufhört zu wachsen.

"Bei Tsa", entfährt es Hesander. "Was mag das wohl sein? Ein Erdelementar? Ein Golem? Oder Schlim-meres?"

"Komm, lass es uns ansehen." stupst Elgar dem Thor-waler den Ellenbogen sanft in die Seite. Langsam macht er 2 Schritte auf den Hügel zu und schwenkt langsam den Stab zur Beleuchtung hin und her. Da der Fackelschein die Szenerie nur dürftig erhellt, meint er nach hinten über die Schulter: "Bring doch mal einer seine Sturmlaterne mit her. Man sieht ja nichts!"

Ingalf folgt dem Magier vorsichtig. Er versucht dabei im Flackerlicht den Boden zu erkennen, nicht, dass sich unter seinen Füßen ein weiterer Hügel auftut.

Wie gebannt starrt Rovena den Erdhaufen an. Sie ist nach Elgar und Ingalf in die Höhle eingetreten und hat sich sofort seitlich an die Wand gedrückt, als sich der Erdhügel aufgeworfen hat. Angespannt beobachtet sie, wie sich ihre Gefährten dem Hügel nähern.

Mit dem Rücken an die Wand gepresst geht Grisbart um das Gebilde. Als er es so etwa um ein Drittel um-rundet hat, bleibt er erst einmal stehen.

"Wo bleibt die Lampe?!" zischt Elgar nach hinten. 'Wenn ich mich hier verteidigen muss, wird es zappen-duster!' überlegt er fieberhaft. 'Was gräbt sich hier nur an die Oberfläche?' sinniert er.

Edric bleibt abwartend stehen und sieht wie gebannt auf den Erdhügel. Zu imposant ist dieser Erdhügel in der kurzen Zeit gewachsen, als dass er sich ihm nä-hern würde. Dennoch blendet er seine Sturmlaterne weiter auf, um für zusätzliches Licht zu sorgen.

Etwas Weißes stößt von unten durch den Erdhaufen. Es sieht wie ein Maulwurfskopf aus, aber achtfach ver-größert. Und der Kopf ist weiß.

'Ein Maulwurf als Riese, riesige Spinnen!' schießt es Ingalf durch den Kopf. 'O nein, nicht schon wieder!' Er dreht sich zu Edric um und fragt ein wenig furcht-sam: "Ob es hier auch ein Weltentor gibt? Und wieder dämonische Mönche?"

Bei dem leisen Geräusch von Ingalfs Stimme ver-schwindet der Kopf wieder im Untergrund.

'Bei allen Zwölfen, ich hoffe doch nicht!' fleht Edric bei den Worten seines Freundes. Er muss schaudern, als er sich an die Mönche, den Weltenbaum und die Gefahren, die dort lauerten zurückdenkt. Diese gigan-tischen Tiere dort haben ihm wahrhaft Angst eingeflö-ßt! Wie sehr hat er sich doch gefreut, Ingalf und seine Gruppe zu treffen, die ihn mit zurück nach Dere ge-nommen haben! Aber Ingalf hat Recht: Wo könnten diese riesigen Tiere herstammen, wenn nicht vom Weltenbaum?

"Sschht!" macht Elgar und nähert sich dem Hügel weiter. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, lauscht er an dem Erdhügel, ob Bewegungen hörbar sind.

Der Weißmaulwurf hat sich offensichtlich in die Tiefe seiner Gänge zurückgezogen, denn von ihm ist weder etwas zu sehen noch zu hören.

"Alles ruhig." meint Elgar gelassen. "Unsere Anwesen-heit hat es erschreckt. Davon ", er macht eine Geste zum Hügel hin, "droht uns wohl keine Gefahr. Es dürfte wohl auch die Antwort auf die Frage hinsicht-lich der Größe der Gänge sein." überlegt er laut. "Se-hen wir uns hier schnell um und suchen weiter nach Melachath."

Rovena löst sich von der Höhlenwand und tritt vor-sichtig an den Erdhügel heran. "Es sieht ganz danach aus, als ob dieser Riesenwühler die Gänge hier gegra-ben haben könnte. Was wird er wohl fressen? Ob er

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Jagd auf die Spinnen macht?" fragt sie sich leise ver-nehmbar und schaut sich suchend in der Höhle um.

Ingalf schaut sehr skeptisch zu den beiden hinüber. Er glaubt nicht, dass ein Maulwurf, der so kleine Haufen aufwirft, die großen Gänge gegraben hat, aber er will seine Gefährten mit seinem Unken nicht weiter ver-

unsichern … Aber er wird auf der Hut sein - ein Spin-nenbiss ist ihn mehr als genug.

Es gibt ganz sicher keine weiteren Gänge, die aus der Höhle führen - und sonst auch nichts weiter Auffälli-ges.

Ingalf fängt an in den festgestampften Lehmboden ein paar Linien zu malen.

| | __________| |_______|W|___________ / _________ _______ __________ \_ ____ / / | | | | \_ \_/ \ / \__ | | | | \_ x | / /\ \ | | | | \_____//E/ | | _| |_ _| |_ \___/ / \ / \ | | | | \_____/ \_____/E: EingangW: Wasserx: Standort

Nach einiger Zeit guckt er hoch und meint zu den Gefährten: "Wir sind hier," - er deutet auf das x - "da an Backbord sind wir 'reingekommen. In den drei Höhlen auf der Steuerbordseite des Weges waren bis-her Spinnen, und hier ist Sackgasse. Es bleibt jetzt nur der Rückweg zu dem Weg mit dem Wasser oder ganz zurück zu den Weg auf dem die vielen Fußabdrücke waren. Aber wenn hier schon so viele Spinnen liegen, wie viele werden uns da begegnen … Aber für einen Weg müssen wir uns entscheiden!"

Rovena schaut sich die Zeichnung genau an. "Wir sollten beim Zurückgehen die noch nicht untersuch-ten Abzweigungen der Reihe nach untersuchen. Als nächstes also den Gang mit dem Wasser. Wenn er, wie die anderen auch, gleich wieder in eine Höhle führt, müssen wir vielleicht nicht zu weit im Wasser waten." Fragend blickt sie in die Runde.

Nachdem Elgar den von Ingalf gezeichneten Plan eingehend betrachtet hat, meint er: "Lasst uns einen kurzen Blick in den Gang mit Wasser werfen. Wenn wir sicher sein können, dass uns von dort zunächst keine Gefahr droht, können wir den Gang für eine spätere Erkundung aufsparen.

Andererseits verhindert das Wasser auch wirksam, dass man dort Spuren finden kann. Also können sie Me-lachath auch genau dort entlang gebracht haben."

Die weiteren Gedanken spricht er nicht aus: 'Ist Me-lachath überhaupt hier? Edric hat nur Spinnen hier herein kommen sehen. Melachath kann auch in ei-nem anderen Hügel gleicher Art sein.'

"Und wenn wir Grisbart vor schicken, wissen wir auch gleich wie tief das Wasser ist!" murmelt Ingalf als die Hexe ihren Plan erläutert. Obwohl der Wasser liebt ist ihm bei diesem schwarzen, trüben Pfuhl nicht wohl.

"So sei es." erwidert Elgar und stapft in Richtung des mit Wasser gefüllten Gangs aus der Höhle. Am Ein-gang angekommen wirft er noch einmal einen prüfen-den Blick zurück und führt die Gefährten dann mit leuchtendem Stab zur entsprechenden Abzweigung.

Der Gang ist genauso mit Pilzen bewachsen, und der Boden ist mit Wasser bedeckt. Wie tief das Wasser ist, ist nicht zu erkennen.

Edric drängt sich nach vorne, damit es endlich weiter geht. Er bleibt am Rande des Wasser stehen und lotet mit seinem eisenbeschlagenen Stab die Tiefe des Was-sers im vorderen Bereich aus. Sollte es ihm sicher er-scheinen, wird er sich weiter vorantasten.

Der Gangboden scheint sich nur ganz schwach abzu-senken. Hier am Anfang ist das Wasser nur wenige Finger tief.

"Sei vorsichtig!" Ingalf steht hinter seinem Freund und blickt in die dunkle Brühe. "Vor so einem Wasser hat mich mein Ohm immer gewarnt. 'Das schwarze Was-ser gehört den Seeschlangen. Hüte Dich davor!' hat er immer gesagt."

Elgar besieht sich die Gangwände und bedeutet dann den anderen, still zu sein. Ist da das Rauschen fließen-den Wassers zu hören? Sollte es hell genug sein, lässt er seinen Stab erlöschen und nutzt dessen unteres Ende - wie schon Edric vor ihm, um den im Wasser nicht zu sehenden Boden vor ihm abzutasten.

"Geht ihr vor, ich übernehme die Rückendeckung. In dunkles Wasser in einer Höhle gehe ich nicht voran. Schlimm genug, dass ich überhaupt ins Wasser gehe. Ich kann ja nicht mal schwimmen", spricht Grisbart und zieht sich an das Ende der Gruppe zurück.

"Das kann auch an Deinem Blechmantel liegen!" kommt es lakonisch von Ingalf.

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"Ja. Das kann schon sein. Aber wer in diesem Wald lebt, der braucht einen Blechmantel."

Mit angehaltenem Atem lauscht auch Rovena in den Gang hinein. Ihre Sinne sind angespannt, während sie sich dicht hinter dem Magier hält. Sie wird ihm lang-sam folgen und gleichermaßen den Boden vor ihren Füßen mit ihrem Stab überprüfen, um nicht vielleicht in einem unsichtbaren Loch unter der Wasseroberflä-che einzusinken.

Es ist ganz still. Nichts zu hören.

Elgar und Rovena sind leicht versetzt direkt hinter Edric. Die drei Stäbe rühren im Wasser und ertasten die Tiefe des Wassers und die Stabilität des Unter-grundes. Maximal einen Spann ist das Wasser tief und der Untergrund scheint stabil zu sein. Kleine Tierchen werden aufgestöbert, die sich unter Wasser schnell von der Gruppe entfernen, wie an Kräuselspuren auf der Wasseroberfläche zu sehen ist.

'Was mag sich hier im Wasser nur wohlfühlen?' fragt sich Ingalf, der den drei Stabträgern vorsichtig gefolgt ist. Er ist sich aber sicher, dass er die Antwort eigent-lich gar nicht wissen möchte. Als er sieht, dass das Wasser relativ flach ist, dreht er sich zu Grisbart um: "Komm, Kurzer, in dem Wasser kannst auch Du nicht ertrinken!"

"Da wär' ich mir nicht so sicher. Ich habe von einem Zwerg gehört, der in einer Kneipe ertrunken sein soll, weil sein Bierhumpen mit Wasser statt dem bestellten guten Ferdoker gefüllt war!" feixt Elgar.

Nach acht Schritt kommt wieder eine Kreuzung: Rechts und geradeaus ist Wasser, links kommt wieder trockener Gangboden. Alle Gänge sind mit Pilzen be-wachsen.

Edric bleibt einen Moment in dem kalten Wasser ste-hen und leuchtet mit der aufgeblendeten Sturmlaterne in beide Gänge hinein. Sollte er nichts interessantes sehen, geht er geradeaus weiter.

'Vielleicht hätte ich doch lieber die Stiefel ausziehen sollen', er denkt an die neuen Lederstiefel und dieses dunkel Wasser. 'Seeschlangen wird es in diesem Was-ser sicher nicht geben, doch es ist wohl besser, dass ich nicht barfuß gehe.'

Mit dem Kopf bedeutet Elgar dem vorangehenden Edric, sich links zu halten und das Wasser zu verlas-sen. Er folgt ihm, nicht jedoch, ohne die beiden ande-ren Gänge einer kurzen Inspektion zu unterziehen.

Edric scheint Elgars Wink nicht mitzukriegen. Dann macht Ingalf den Vorschlag, nach rechts zu gehen.

"Hmm", meint Ingalf, "Backbord könnten wir viel-leicht zurück zu dem Gang mit den vielen Spuren kommen. Wie wär's mit dem bewährten System: Im-mer erst Steuerbord? Nasse Füße haben wir ja schon!"

Ingalf merkt, dass Elgar nach links strebt.

Edric verharrt einen Moment, als er Ingalfs Vorschlag hört.

Ein Blick in alle drei Gänge und die Erinnerung an Ingalfs gezeichnete Karte veranlassen Elgar, seinen Entschluss zu überdenken. "Gut, versuchen wir das zuerst." antwortet er und begibt sich in den Gang nach rechts. Wieder setzt er die bewährte Stab-Suchmetho-de ein.

Der Gang endet nach wenigen Schritten in einer mit Pilzen bewachsenen Höhle. Der ganze Höhlenboden ist mit Wasser bedeckt.

Ein wenig ratlos blickt Elgar sich um: 'Und nun?' An seine Gefährten gewandt meint er: "Endstation. Falls jemand den Höhlenboden absuchen will, bitte. Ich habe keinen Bedarf."

"Das wohl!" meint Ingalf. "Irgendwo muss das Kropp-zeug auch herkommen, da ihr aufgescheucht habt!"

Er will gerade seine Meinung zu dem nächsten Weg-stück verkünden, als Rovena weiter in die Höhle geht.

Rovena bemerkt die Pilze, die hier auch an den Wän-den der Höhle wachsen.

"Sieh an, diese Höhle wird, anders als einige andere, die wir bisher gefunden haben, von den Pilzen er-hellt." Sie macht ein paar vorsichtige Schritte, die je-weils von vorherigem Absuchen des Bodens mit ihrem Stab begleitet werden, in die Höhle hinein. Aufmerk-sam schaut sie auf die Wasseroberfläche, jederzeit be-reit, zurückzuweichen, wenn sie etwas Merkwürdiges sehen sollte.

Plötzlich beißt sie etwas in den Schuh.

Die junge Frau stößt einen unterdrückten Schrei aus und macht eine Satz rückwärts zum Höhleneingang. "Etwas hat mich in den Schuh gebissen!" verkündet sie mit leichtem Entsetzen in der Stimme. "Lasst uns hier verschwinden! Hoffentlich folgt es uns nicht!"

Sie weicht weiter aus der Höhle zurück und dankt der Hetfrau für die derben Stiefel, die den Biss abgehalten haben. 'Nur gut, dass ich sie nicht ausgezogen habe, als wir ins Wasser gingen …'

Als Edric den leisen Schrei hört ist er sofort wachsam und beobachtet vor allem die Wasseroberfläche.

Er teilt Rovenas Meinung, hier schnell zu verschwin-den, und ist froh, die Stiefel nicht abgelegt zu haben.

'Ich hab's doch geahnt.' schießt es Ingalf durch den Kopf. Mit einer fließenden Bewegung hat er die Or-knase in die Linke genommen und seinen Schneid-zahn wurfbereit gemacht.

Er versucht, im Wasser zu Rovenas Füßen Bewegun-gen zu erkennen.

Es war nur kurz wieder ein Kräuseln der Wasserober-fläche zu sehen. Schon vorbei.

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"He, Ingalf. Kann das ein Grottenolm gewesen sein? Ich habe von derlei Getier gelesen, dass sich in den nördlichen Gefilden an dunklen und feuchten Orten aufhalten soll." fragt er den aufrüstenden Thorwaler.

"Gewesen sein, kann es alles." kommt es knapp von Ingalf zurück, der immer noch angestrengt die Was-seroberfläche beobachtet und sich nicht umdreht. "Aber ich möchte es nicht wirklich wissen, was es war! Vielleicht hat es ja nur gekostet und ist jetzt auf den Geschmack gekommen, oder es holt jetzt seine Ver-wandtschaft und da gibt es immer einen, der größer und stärker ist!"

Edric runzelt kurz die Stirn, sagt jedoch nichts weiter. Als die anderen in eine andere Richtung streben, als die von ihm eingeschlagene, hält er sich zurück und wartet ab.

Hesander überlegt kurz, dann geht er ein paar Schritte vor und meint: "Gebt mir eine Fackel oder Laterne und ich gehe voran."

"Tja, meint Ihr nicht, dass der Pilzbewuchs genug Licht spendet?" fragt Elgar den Geweihten. "Oder wollt Ihr unbedingt die Erleuchtung vor Euch hertra-gen?" grinst er.

Trotz der unübersichtlichen Lage kann sich Ingalf ein Prusten nicht verkneifen.

Rovena achtet nicht auf die Sticheleien ihrer Gefähr-ten. Diese feuchte, beklemmende Umgebung mit dem schummrigen, unheimlichen Licht der Pilze schlägt ihr langsam aufs Gemüt. Unruhig sucht sie die Was-seroberfläche nach verdächtigem Kräuseln ab, wäh-rend sie vorsichtig den Boden mit ihrem Stab abtastet, bevor sie den nächsten Schritt macht.

Edric, der kein Verständnis für dieses wortreiche Ge-tue der feinen Herren hat, hebt seine Lampe und geht voran, um schnellstmöglich wieder aus dem Wasser herauszukommen. Er wählt nicht den Weg zurück, sondern watet weiter durch das Wasser, da Ingalf die-sen Weg eingeschlagen hatte.

'Hoffentlich hat Ingalf nicht Recht damit, dass es hier einen größeren Was-auch-immer gibt.' hofft er und schreitet mutig voran.

"Seht Ihr, so geht das!" meint Elgar mit leicht humori-gem Anflug zu Hesander. Dann dreht er sich um und folgt langsam Edric, noch immer den Boden vor ihm prüfend.

Nach dem kurzen Rückweg durch den wasserbedeck-ten Gang geht Edric also an der Kreuzung nach rechts und nicht nach geradeaus. Auch hier ist der Gangbo-den von Wasser bedeckt. Entsprechend vorsichtig geht Edric vor.

Nach acht Schritt kommt schon wieder eine Kreu-zung. Geradeaus und links steigt der Gangboden wie-der an, so dass direkt hinter der Kreuzung der Gang-

boden wieder trocken wird. Nach rechts ist Wasser. Die Gangwände sind wie üblich pilzbewachsen.

Nur um systematisch und konsequent vorzugehen, meint Ingalf zu dem vorangehenden Edric: "Schau mal erst nach rechts. Wenn wir wieder nur 'ne Höhle finden, gehen wir den Gang weiter, oder?"

Elgar nickt nur stumm und folgt Edric in die angege-bene Richtung.

Wie von Ingalf empfohlen, wendet sich Edric zuerst nach rechts obwohl es ihm nicht zusagt, weiter im Wasser herumzulaufen, während die anderen Wege ins Trockene führen.

Edric merkt sofort, dass der Gangboden geneigt ist. Es geht leicht abwärts.

Edric hält einen Moment inne und leuchtet weiter in den Gang hinein.

"Hier fällt der Boden ab", informiert er Ingalf, welcher an der Abzweigung wartet. Edric ist so weit in den Gang hinein gegangen, dass ihm das Wasser noch nicht in die Stiefel hinein läuft.

Edric hat nur einen Schritt in den Gang hinein ge-macht.

"Nicht schön das! Bei Swafnir!" meint Ingalf nach-denklich. "Sei vorsichtig! Kannst Du sehen, wie weit der Gang noch geht oder ob es eine Höhle gibt?"

"Ich kann von hier aus nicht erkennen, wie es weiter geht!" antwortet ihm Edric mürrisch. Hat Ingalf etwa Fisch in den Ohren? Er hat ihm doch gesagt, was er weiß!

Damit dreht er sich um und stapft wieder zu den an-deren zurück, da ihm seine Beobachtung am Teich eingefallen ist: Die Spinnen gehen zwar ins Wasser, aber nur mit den Beinen, niemals mit dem Körper.

Auch Elgar merkt, dass das Wasser tiefer wird und wartet, was Edric den andere berichtet.

Weiter in den wasserüberfluteten Gang zu gehen, macht wahrscheinlich keinen Sinn, solange es tro-ckene Gänge gibt.

"Wollen wir nicht erst die trockenen Gänge untersu-chen?" fragt er.

"Das gefällt mir nich'!" grummelt Ingalf. "Das gefällt mir gar nich'. Bisher kamen nach ein paar Schritt ent-weder Höhlen oder Kreuzungen. Jetzt sehen wir nix und das Wasser wird tiefer. Nee, das gefällt mir nich'!"

Dann wendet er sich zu den Gefährten um: "Ach was, da werden sie ihn nicht hingebracht haben, ist ja kein Fisch … Lasst uns gradzu weiter!"

Und leise an Edric: "Haste Dir nasse Füße geholt? Dann solltest Du schleunigst aus den Stiefeln raus, is' nich' gut!"

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"Ne, hab' ich nicht. So weit bin ich nicht reingegan-gen." antwortet Edric ebenso leise und ist froh, wieder aus dem Wasser herauszukommen.

Ingalf grinst seinen Freund an und klopft ihm auf die Schulter: "Gut, dann lass uns weiter!"

Man bemerkt schon etwas die Erleichterung von Gris-bart in der Stimme, als er sagt: "Gehen wir jetzt weiter nach rechts? Ich will endlich aus dem Wasser raus. Im Trockenen kann ich auch vorgehen."

Ingalf schaut den Zwerg skeptisch an: "Rechts? Ins Wasser? Was jetzt? Ich dachte immer ihr kurzen könnt euch unter der Erde nicht verlaufen … Wir wollten doch gradzu ins Trockene!"

Rovena schaut sich im gespenstischen Licht der Pilze an den Gangwänden um. "Natürlich von hieraus wo ich stehe, gerade aus, so wie wir es bisher immer ge-halten haben", pflichtet sie Grisbart bei. "Sollten wir nichts finden, suchen wir im dritten und letzten Gang an dieser Kreuzung, dem nach links abgehenden. Bei-de Gänge steigen an und ich bin auch froh, wieder aus dem Wasser herauszukommen." Bei dem Gedanken an das, was sie ihn den Stiefel gebissen haben könnte, schüttelt es die junge Frau leicht. Sie wird sich ihren Stiefel ansehen, wenn sie wieder aus dem Wasser draußen sind.

Da hat eine kleine Zange zugebissen. Ein Krebs könnte es gewesen sein.

"Mir deucht," mischt sich Elgar ein, "ihr beide meint den gleichen Gang." und zeigt mit dem Stab hinein. "Nun denn, Zwerg, gehe voran." fordert er Grisbart auf und schickt sich an, diesem zu folgen.

"Das wohl!" meint Ingalf zustimmend und über die Verwirrung der Gefährten etwas befremdet.

Diesmal - ohne irgendwelche Worte - geht Grisbart voran, sichtlich froh, das Wasser zu verlassen.

Nach sechs Schritt kommt schon wieder eine Kreu-zung. Keine führt Wasser, dafür huscht gerade in dem Moment, als die Gruppe an der Ecke ankommt, eine Ratte von links nach rechts. Und kurz danach noch eine.

'Ratte von Back nach Stüer, da warn' ick dir für! hat der Ohm immer gesagt. Ach was, wir bleiben bei dem Kurs!' denkt sich Ingalf als er die großen Nager sieht und verächtlich hinter ihnen her spuckt.

"Tja, also nach rechts! Oder?" fragt er in die Runde.

"Ja, denke auch." Gesagt, getan. Grisbart geht vor.

Ingalf folgt dem Zwerg.

Da der Zwerg vorangeht und Ingalf wieder den Weg bestimmt, nickt Edric und folgt ihnen in seiner stillen Art und leuchtet mit der Sturmlaterne.

Nachdem sie das Wasser verlassen haben, hat er seine Stiefel gemustert und der Mume still für die gute Qualität gedankt.

'Je länger ich durch dieses Loch kriechen muss, um so schlimmer wird meine Laune!' denkt sich Ingalf. 'Es wird Zeit wieder ans Licht zu kommen, bevor wir uns alle gegenseitig verrückt machen!'

Angespannt folgt Rovena den Führenden und leise flüstert sie Elgar zu: "Vergiss bitte nicht die Zeichen an die Gangwände zu machen, Isinha." Ihre Stimme hat an Festigkeit verloren, die Angst, sich hier unten zu verirren, wird immer größer in ihr, je tiefer sie in den Spinnenbau eindringen und je mehr Gänge sich vor ihnen auftun.

"Nein, keine Sorge." wispert er zurück und - wie schon an den anderen Ecken - markiert den Weg mit dem Stabende.

Dann fügt er, da Rovenas Anspannung ihm nicht ent-geht, beruhigend hinzu: "Wir werden keinesfalls hier unten bleiben. Solange ich genügend Zeit habe, finde ich immer einen Weg heraus. Und wenn ich alle Wän-de dieser Höhle durchbrechen muss." ergänzt er. Ganz wohl ist ihm selbst nicht, aber die Moral der Gruppe ist wichtig.

'Desintegratus, desintegratus.' überlegt er. 'Ob ich da-mit wirklich einen Ausgang von hier unten schaffen könnte?'

Der Gang endet diesmal nicht in einer Höhle, son-dern knickt nach acht Schritt schräg rechts ab. Gris-bart auf die Ecke zugeht, wird eines deutlich: Hier le-ben nicht nur die zwei eben gesehenen Ratten son-dern eine ganze Horde. Und sie scheinen überhaupt keine Angst vor der Gruppe zu haben. Sie wuseln um-her, ohne sich um die Zweibeiner zu kümmern.

"Oh Schreck, oh Schreck." murmelt Elgar, als er der Ratten ansichtig wird. "Rattus rattus, eine in dieser Menge vorkommende nicht ungefährliche Spezies." meint er, ohne sich speziell an einen der Gefährten zu wenden. Offenbar kehrt sein Drang zum Führen von Selbstgesprächen zurück.

Dann fragt er: "Wollen wir nicht lieber die anderen Gänge erkunden? Sollte Melachath dort sein," er zeigt auf das Rattennest, "dürfte er bereits in Borons Hallen schlummern. Wir könnten sie aber auch ausräuchern." meint er dann nachdenklich. "Eine große Rattenflucht könnte die Spinnen beschäftigen, während wir unse-ren Gefährten befreien. Das sollten wir im Hinterkopf behalten." schlägt er vor.

"Ratten mag ich auch nich' und wenn es nur 'ne Höh-le wär, würde ich auch umdrehen", antwortet Ingalf, obwohl keiner der Gefährten direkt angesprochen war, "aber es ist ein Gang und solange uns die Viecher in Ruhe lassen, sollten wir schauen wo er hinführt."

'Irgendwas muss da sein die blöden Ratten sind nicht dumm, Futter, Licht, Luft und zwar genug von allem. War auf den Schiffen auch immer so, wenn es mehr

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als 'ne Handvoll war!' fügt er für sich zur Beruhigung noch an.

Skeptisch beobachtet Rovena die Rattenhorde und ver-sucht abzuschätzen, um wie viele Tiere es sich han-deln mag. Wenn sie angreifen sollten …

Rovena schüttelt sich, weiß doch jedes Kind, dass durch Rattenbisse Krankheiten übertragen werden können.

"Ingalf, ich finde, Elgar hat recht, wir sollten es ver-meiden, mitten durch sie hindurch zu gehen, wenn wir nicht müssen. Bedenke vor allem, wir müssen sie vielleicht zweimal passieren, um wieder zum Ausgang zu kommen." Nein, ihr ist gar nicht wohl bei dem Ge-danken, mitten durch diese Horde hindurch zu müs-sen, zeigen sie doch nicht einmal Angst vor der An-zahl der Menschen, die ihnen gegenüber steht.

Edric nickt zustimmend zu diesen Worten, teilt er doch die Meinung der jungen Frau.

"Ich mag die Viecher auch nich'!" antwortet Ingalf, fügt aber sofort hinzu: "Aber ich will mich durch hin und her nich' verlaufen. Wenn wir immer rechts ab-biegen kommen wir durch die ganze Höhle und fin-den Melachath sicher. Außerdem geht der Gang vom Eingang weg und die anderen wieder zurück …"

Obwohl Edric nicht viel Erfahrung im Erkunden von Höhlen hat, kommen ihm bei dieser Aussage Zweifel. 'Wenn wir immer nur rechts herum gehen, heißt das doch, dass wir die Höhle umrunden und wieder zum Eingang kommen.' Überlegt er. 'Die Mitte der Höhle würden wir eventuell gar nicht sehen.' Er nimmt sich vor auch mal einen der linken Gänge zu erkunden.

"Na ja, das stimmt so nicht ganz. Immer rechts abbie-gen führt wohl zum Ausgang zurück, aber die ganze Höhle erkunden wir damit nicht zwangsläufig." mur-melt Elgar an Rovena gewandt.

"Das ist richtig", sekundiert Hesander. "Aber wir be-kommen dadurch einen perfekten Überblick über die Größe des Spinnenbaus, insbesondere dank des her-vorragenden Orientierungs- und Zeichenvermögens unseres Steuermannes." Er blickt zu Ingalf, der tat-sächlich so etwas wie Respekt ins Hesanders Blick er-kennt.

"Und Wissen ist bekanntlich Macht", schließt Hesan-der.

"Aber wir sind doch gar nicht immer nach rechts abge-bogen, sondern oft genug in Sackgassen gelandet, die uns zwangen, umzukehren und einen anderen Weg zu wählen, oder?" Die junge Frau beäugt weiter miss-trauisch die Ratten, deren Anzahl ihr immer noch ver-borgen geblieben ist, so viele müssen es sein. "Was hilft uns das Wissen, wenn wir durch Unachtsamkeit hier drinnen ums Leben kommen?" murmelt sie vor sich hin.

Doch dann blickt sie auf und seufzt leise, bevor sie re-signierend weiterspricht: "Aber wenn ihr meint, wir könnten Melachath tatsächlich hier bei den Ratten le-bend finden … dann seid vorsichtig und bedrängt sie nicht oder treibt sie in die Enge, wenn wir uns zwi-schen ihnen hindurch bewegen."

Ingalf, der Hesanders Aussage noch gar nicht richtig verkraftet hat, seufzt bei Rovenas Aussage auf: "Wir sind immer rechts abgebogen. Wenn wir in eine Sack-gasse kamen, dann sind wir nämlich wieder rechts ab-gebogen.

Du musst Dir einfach vorstellen Du gehst in einem Raum immer mit der rechten Hand an der Wand lang, dann kommst Du genau wieder an dem Eingang raus - oder an einem anderen Ausgang."

Und an Elgar gewandt fügt er noch hinzu: "Und Du hast recht, alles was 'ne Insel bildet finden wir so nicht, aber dann können wir uns anders entscheiden, wenn wir wieder am Ausgang stehen und Melachath nicht gefunden haben! Aber ich will hier wieder raus! Und das ohne mich zu verirren!"

Er holt nochmal Luft: "Und jetzt sollten wir durch die blöden Ratten! Aber vorsichtig Kurzer!"

Grisbart will gerade vorangehen, da spürt er, dass von vor ein, nein zwei Spinnen kommen. Glücklicherwei-se ist gerade hier wieder eine von den Nischen, in die sich die Gruppe drücken kann. Tatsächlich gehen auch hier die Spinnen vorbei, ohne die Eindringlinge zu bemerken.

Äußerst vorsichtig aber aufmerksam sieht Elgar den Spinnen hinterher. 'Führen die mit den Ratten hier etwa eine symbiosa minima?' fragt er sich.

Grisbart guckt sich noch mal die Ratten an und meint dann zu Ingalf: "Mir egal, ob wir immer rechts gegan-gen sind. Mach ein großes Zeichen an den Gang, dann kehren wir hier hin zurück, wenn wir euren Ge-fährten nicht wo anders gefunden haben. Wenn die Ratten auf eurem Freund hängen, könnte man jetzt eh nichts mehr für ihn tun."

"Vorwärts, lasst uns zurück gehen und einen anderen Gang versuchen!" schlägt Elgar bestimmt vor.

Ingalf zuckt mit den Schultern und folgt den anderen. 'Wenn ich an den Schlosskeller mit dem verrückten Magier zurückdenke, war da auch die arme Seline - war 'n hübsches Ding - erst im letzten Raum weit weg vom Ausgang zu finden. Aber was soll's, wenn die alle meinen! Sie werden an meine Worte denken, wenn wir wieder zurückkommen!'

Die Helden kommen problemlos wieder an die letzte Kreuzung. Hier stellt sich die Frage: Nach rechts oder geradeaus? Von links sind sie ja ursprünglich gekom-men.

Grisbart stapft sofort nach rechts. Er murmelt irgend-was von "Zwerge … Erde … Erbe … Pfft."

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Ingalf folgt dem grummelnden Zwerg.

Da hier bereits eine deutliche Markierung vorhanden ist, die Elgar um ein "R" wie Ratte ergänzt, folgt er zü-gig dem Zwerg.

Zur Abwechslung kommt hier nach wenigen Schritten keine weitere Kreuzung, sondern der Gang der Hel-den stößt auf einen quer verlaufenden Gang. Ohne zu zögern geht Grisbart nach rechts, und nach wenigen weiteren Schritten endet der von Pilzen erleuchtete Gang vor einer dunklen Höhle.

Starke Gefühle empfinden die Helden aus der Höhle - Fressgier.

Elgar bedeutet den ihm folgenden Gefährten unmiss-verständlich, Ruhe zu bewahren.

Dann wispert er Ingalf direkt ins Ohr: "Wir scheinen auf die Vorratskammer der Spinnen gestoßen zu sein. Demnach müssen die hier ihren Fisch lagern, riechst Du etwas?"

Elgar riecht nämlich nichts - und die anderen auch nicht.

"Ich rieche nichts!" antwortet der Thorwaler leise. "Und wenn das die Vorratskammer ist, dann ist der Koch wohl zu Hause und er scheint Hunger zu ha-ben!"

Dann fügt er noch leiser hinzu: "Und wenn Du nach-sehen willst, kannst Du gerne Licht machen …"

Für einen ganz kurzen Moment hätte Ingalf - bei ent-sprechender Beleuchtung - ein Aufblitzen der roten Augen des Magiers sehen können. Das einzige Zei-chen seines kurzen Ärgers sind ein paar schnellere Atemzüge, bevor er sich wieder beruhigt.

Dann winkt er den anderen, sich etwas in den Gang zurück zu ziehen.

Ingalf folgt dem Magier mit einem breiten Grinsen.

'Fressgier …' Rovena zieht sich mit ihren Gefährten möglichst lautlos zurück. Erst als sie sich weit genug von der dunklen Höhle entfernt weiß, flüstert sie leise: "Glaubt ihr auch, dass dort in der Höhle eine hungri-ge Spinne sitzt? Rufen sie so vielleicht die anderen dazu auf, sie zu füttern?" Sie horcht und versucht wahrzunehmen, ob sich nicht wieder eine weitere Spinne mit Beute nähert.

"Da sie noch Hunger hat, scheint sie unseren Freund ja wohl noch nicht gegessen zu haben …" meint In-galf halbleise und mehr zu sich selbst.

Dann schreckt er auf: "Aber kann eine Spinne so ein starkes Gefühl auslösen, vielleicht sind es mehrere? Und vielleicht merken wir die satten gar nicht …" er möchte sich am liebsten auf die Zunge beißen, für die-se vorschnelle Äußerung.

Im trüben Licht ist nur ansatzweise zu erkennen, wie Elgar die Stirn runzelt und die farblosen Augenbrauen hebt. Dann schüttelt er mit dem Kopf und meint leise:

"Starke Gefühle - viele Spinnen. Den Zusammenhang hatten wir bisher nicht. Wir konnten immer unter-scheiden, ob die Gefühle von einer oder mehreren Spinnen ausgingen. Ich fürchte, dass die da vorn sit-zende Spinne entweder sehr sehr lange nichts gefres-sen hat oder, " er macht eine kurze Pause um sich zu sammeln, "die Spinne ist noch größer als die anderen und sie hat sehr lange nichts gefressen."

Dann kommt ihm plötzlich eine Idee: "Könnten die Spinnen die Ratten hier nicht als lebende Nahrungs-reserve halten? Na ja, falls sie mal keinen Fisch fan-gen …" wirft er die Überlegung in die Runde. "Dann könnten wir doch mit ein paar Sack voll erschlagener Ratten die Spinne füttern."

"Hast Du schon mal Ratten gejagt?" fragt Ingalf den Magier. "Also wenn Du eine getötet hast, dann wissen das die anderen. Die zweite kriegst Du vielleicht noch, aber die anderen nicht mehr … Und so wie die da auf dem Gang 'rumlaufen, hat die eher wer gefüttert als getötet."

"Eine scharfsinnige Beobachtung", lobt Hesander. "Doch wie gehen wir nun vor? Wir werden ja wohl nicht als Spinnenfutter herhalten wollen."

Edric schaut Hesander verwundert an. 'Er will nicht als Futter herhalten?' sinniert er erstaunt. 'Nein, das will er ganz sicher nicht.'

"Vielleicht ist diese Spinne eine Art Königin" wirft der Hirte ein, den Spinnenbau mit einem Bienenstock oder einem Ameisennest vergleichend.

Elgar nickt zustimmend und tippt dem jungen Mann abwesend mit dem Finger auf die Schulter: "Guter Einwand." murmelt er.

Als ihm Elgar auf die Schulter tippt zuckt Edric er-schrocken zusammen und blickt den Magier fragend-furchtsam an.

Gedanken rasen durch seinen Kopf. "Wenn das so ist, dann sind Arbeiter-Spinnen, die die Königin umsor-gen, sicher nicht weit. Lasst uns schnell den nächsten Gang wählen." fordert er die anderen auf.

Ingalf schaut den Geweihten an: "Viele Möglichkeiten haben wir nicht:

Den Rattengang wolltet ihr nicht, in die Höhle sollten wir besser nicht, also gehen wir zurück zur Kreuzung und dann gradzu weiter und erkunden die restliche Höhle. Vielleicht finden wir was was uns weiterhilft."

"Dann geh' voran. Wir folgen Dir unauffällig!" grinst Elgar den Thorwaler an.

"Haste gehört, Kurzer!" meint Ingalf ebenfalls grin-send zu dem Zwerg. "Der Magier redet mit Dir!"

Mit leicht irritiertem Blick schaut Elgar von Ingalf zu Grisbart und zurück und meint dann: "Äh, genau."

Verwundert blickt sich Edric um. 'Haben sie alle den Verstand verloren? Machen dumme Witze, während

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wir hier sind um unseren Gefährten zu retten!' Der junge Hirte hat für solche Späße kein Verständnis.

Bevor das totale Chaos ausbricht, wendet sich Grisbart einfach um und geht zurück. Die anderen folgen ihm vorbei an der Abzweigung, wo es zu Ratten- und Was-sergang geht.

Die Gruppe kommt gerade an eine neue Abzweigung nach rechts, da kommen von vorn die Gefühle zweier sich nähernder Spinnen. Es ist gerade keine Nische in

der Nähe. Jetzt heißt es schnell entscheiden: Zurück oder nach rechts?

Grisbart bleibt sofort stehen, als er die Gefühle auf-schnappt. Er murmelt den anderen zu: "Zurück. Spin-nen." Er muss ja nicht ins Wasser, wenn es noch einen anderen sinnvollen Weg gibt.

Die Spinnen sind soweit weg, dass sie noch nicht zu sehen sind.

___________| |__________________Spinnen-> Gruppe Freß-____________________ _________gefühle | | | | | | ______| |_____ Ratten Ratten ______ _____ | | | | | | hier geht's zum Wasser

Ingalf raunt den anderen zu: "Bei den Ratten war eine Nische! Da können wir hin. Los!"

Er geht zurück bis zur nächsten Kreuzung, dann wie-der bis einer Kreuzung, dort aber links und mir-nicht-dir-nichts sind die Gefährten im Gang mit den Ratten und der Nische.

Edric schließt sich Ingalf an. Sein Ärger über dessen Witze ist sofort verraucht, als Ingalf wieder das Kom-mando übernimmt.

Rovena eilt mit den anderen zurück. Sie achtet nicht auf die Kreuzungen und Abzweigungen und ist froh, in die Nische schlüpfen zu können. Mit angehaltenem Atem drückt sie sich an die Wand und versucht ihre Gefühle vor den Spinnen zu verbergen.

Jetzt ist eindeutig nicht die Zeit für Diskussionen. El-gar sputet sich, nicht den Anschluss zu verlieren. Stets hält er seine Gefühle im Zaum, um den Spinnen möglichst keinen Anhaltspunkt für ihr Eindringen in den Bau zu geben.

Die Helden sind schneller als die Spinnen und kom-men wohlbehalten in der wieder in der Nische im Rat-tengang an. Angespannt warten die sechs, ob die bei-den Spinnen hier auch lang kommen. Nach einer Mi-nute angespannten Wartens nähern sich noch immer noch keine Spinnengefühle. Ratten sind immer noch da.

"Was machen die blöden Viecher?" fragt Ingalf leise. "Irgendwann müssen doch diese Spinnen vorbeikom-men … oder sind die abgebogen? Sollte einer mal schauen gehen?"

"Psst!" macht Elgar. Dann wispert er Ingalf direkt ins Ohr. "Die Spinnengefühle nähern sich noch. Sie sind nur langsam unterwegs. Vielleicht tragen sie etwas

Schweres, Melachath möglicherweise. Aber in dem schwachen Licht können wir nicht allzu weit sehen."

Da Elgar ziemlich weit vorn in der Nische steht, nickt er Ingalf bestätigend zu.

Dann sammelt er sich, verdrängt alle Gedanken und zieht den strahlend blanken Dolch. Die glänzende Klinge schiebt er vorsichtig und langsam in Augenhö-he aus der Nische und versucht, ein Spiegelbild des Gangs einzufangen und zu erkennen, ob sich irgend etwas auf die Nische zu bewegt.

Da keine Spinnen zu sehen sind, steckt Elgar den Dolch wieder weg und schaut ganz vorsichtig mit ei-nem Auge um die Ecke.

Es sind wirklich keine Spinnen zu sehen.

"Nichts zu sehen." gibt Elgar Entwarnung und kommt aus der Nische hervor. "Alles klar, lasst uns zu-rück zur Kreuzung gehen."

"Besser is' das!" kommentiert Ingalf. "Ich wollte ja nich' Wurzeln schlagen."

Sofort ist Rovena an Elgars Seite und bereit, weiter zu gehen.

Dann wendet sich Ingalf an seinen Freund: "Meinst Du, Du würdest an der Kreuzung eine Spur im Boden erkennen? Du hast ja auch die Lampe!"

"Ich weiß nicht." Edric wirkt ein wenig verloren. Bis-her konnte er nur sehr selten die Spuren der Spinnen erkennen. Eigentlich hinterlassen sie auch keine 'rich-tigen' Spuren, sondern nur so kleine Mulden, die kaum auffallen …

"Aber ich kann's versuchen", er schaut seinen Freund selbstsicher an.

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"Na, denn man tau!" sagt Ingalf. "Lasst mal Edric nach vorne, vielleicht findet er 'ne Spur - bevor ihr drüberlatscht!"

Ingalf schiebt Edric durch die Gefährten nach vorne zur Kreuzung.

Edric findet nichts, was er als 'frische' Spuren identifi-zieren könnte - außer den Spuren der Gruppe natür-lich. Die herumlaufenden Ratten sind friedlich. Fast wäre Edric aber einer auf den Schwanz getreten …

Edric schüttelt nach einem Moment der intensiven Suche den Kopf.

"Ich kann hier keine frische Fährte erkennen", gesteht er mit hängen gelassenen Schultern.

"Macht nichts." tröstet ihn Elgar.

"Naja, nicht so schlimm!" meint auch Ingalf tröstend.

"In unsere Richtung sind sie nicht gekommen, bleiben nur noch zwei andere. Nehmen wir den Gang, aus dem die Spinnen kamen?" fragt er.

"Dann lasst uns mal überlegen, wo sie hin sind: Rich-tung Wasser werden sie wohl nicht, da sind ja diese komischen Viecher, die Rovena gebissen haben.

Geradeaus wohl auch nicht, denn da müsste es ja zu-rückgehen.

Also sind sie nicht an der T-Kreuzung abgebogen. Hmm, wir sollten mal vorsichtig zu der Höhle mit dem Fressgefühl zurück, ob sich das jetzt anders an-fühlt! Was meint ihr?"

"Glaubst Du etwa, die waren schwer mit Futter bela-den und haben das Was-auch-immer da drin gefüttert?" fragt Elgar zurück. "Dann könnte Was-auch-immer satt sein und wir könnten die Höhle ge-fahrlos erforschen." wenig Begeisterung schwingt bei der Erkenntnis mit.

Ingalf blickt den Magier an und mit einem "Genau das wollte ich sagen!" gibt er ihm einen freundschaftli-chen Klapps auf die Schultern und stiefelt in Richtung der Höhle los. Dabei achtet er besonders auf die Ge-fühle und Impulse der Spinnen.

"Eben, genau das hatte ich befürchtet." spricht Elgar, obwohl Ingalf sich bereits in Bewegung gesetzt hat. Mit kraus gezogener Stirn und einem Kopfschütteln folgt er dem Thorwaler. "Wir müssen unbedingt mal über einige grundsätzliche Dinge sprechen, sobald wir hier heraus sind." sagt er leise zu sich selbst.

Rovena zeigt zwar wenig Begeisterung, Was-auch-im-mer- hoffentlich! -satt-ist unbedingt kennenzulernen, die Erinnerung an die Gefühle der Fressgier dieses Wesens dort in der Dunkelheit der Höhle bereitet ihr Unbehagen. Aber sie müssen weiter suchen, vielleicht finden sie in dieser Höhle ja einen Hinweis oder eine Spur des Araniers.

Dass die Spinne mit etwas anderem als Fische gefüt-tert worden sein könnte, mag sie sich gar nicht vorstel-

len. Und so folgt sie angespannt dem Thorwaler und Magier den Gang entlang.

Die Hoffnungen der Helden erfüllen sich nicht. Es sind immer noch die Gefühle der Fressgier aus der dunklen Höhle zu verspüren.

"Und nun?" fragt Hesander.

"Nun? Nun gehen wir da weiter, wo uns die Spinnen vorhin überrascht haben - den Weg wolltet ihr euch ja alle ansehen!" antwortet Ingalf.

Er dreht sich um, verlässt den Höhleneingang und geht vorsichtig weiter bis rechts die Abzweigung kommt. Dort wartet er, sollte er keine Spinne fühlen, wird er in den Gang gehen.

Edric ist erleichtert, dass er nicht in die Höhle mit dem vermutlich gefräßigen Muttertier muss, doch kann er sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie hier in den Gängen planlos im Zick-Zack laufen.

So seufzt er nur und folgt Ingalf. 'Wie es dem Maultie-ren und Kawi wohl geht?' sorgt er sich um die zurück-gelassenen Tiere.

Dann fällt ihm ein, dass die Gruppe bestimmt noch keine Stunde im Spinnenbau ist. Viel kann also drau-ßen noch nicht passiert sein.

"Soweit ich weiß, heißt das hier in der Gegend: 'Rin inne Stockfische, raus ausse Stockfische.' oder so ähn-lich." meint Elgar. "Aber nun denn. Folgen wir dem Navigator." konstatiert er und schließt sich Ingalf wie-der an, der die kleine Prozession kreuz und quer durch die Gänge führt.

"Ja, suchen wir weiter", lässt sich auch Rovena verneh-men, die aufmerksam und vorsichtig ihren Gefährten durch die Gänge folgt.

Es geht also zurück zu der Abzweigung, wo sich vor-hin die Gefährten aus dem Staub machen mussten.

Der unbekannte Gang öffnet sich nach wenigen Schritten in eine pilzbewachsene und damit grünlich erleuchtete Höhle. Auf dem Boden liegen Menschen. Verwesungsgestank liegt in der Luft.

"Bei allen Niederhöllen!" entfährt es Ingalf, als er er-kennt, was in der Höhle liegt. Er schluckt trocken und schaut sich dann die Toten näher an. Nicht das doch der arme Melachath darunter ist.

Elgar hält sich den freien Arm vor das Gesicht, um die Verwesungsdämpfe nicht direkt einzuatmen. Er warnt die anderen: "Wir sollten hier schnell heraus, dieser Gestank ist nicht gerade förderlich für die Gesundheit. Wir könnten uns mit irgend einer Seuche anstecken!"

Als Grisbart den Raum betritt, guckt er sich als erstes einmal um. "Oh je, da könnte der eine oder andere Holzfäller bei sein, den ich mal gekannt habe", meint er zu den anderen. Unter leisem Gebetsgemurmel fängt er an, die Leichen zu durchsuchen.

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Edric bleibt am Eingang der Höhle angewidert ste-hen. So etwas hat er noch nie gesehen!

In seinem Magen macht sich urplötzlich ein mulmi-ges Gefühle breit und der blonde Hirte unterdrückt noch erfolgreich einen Würgereiz, während sich seine schweißnassen Hände um seinen Stab und die Later-ne klammern.

Bei der Untersuchung werden mehrere Dinge klar: Zuerst einmal können alle erleichtert aufatmen, denn Melachath liegt hier nicht. Und dann sind alle schon längere Zeit tot. Es ist alles von einem fast nackten Gerippe bis zu einer Leiche, wo die Kleidung noch weitgehend intakt ist, zu finden. Bei der Leiche krab-beln allerdings Würmer in den Augenöffnungen.

Waffen findet Grisbart keine, der sich nicht die Bohne vom Aussehen und Gestank der Leichen stören lässt. Und da ist Gold bei den Leichen! Ein Gerippe trägt eine goldene Kette um den Hals.

Grisbart kennt kein Halten mehr. Er reißt die Kette vom Skelett, dass der Schädel vom Rumpf getrennt wird und durch die Gegend fliegt - Rovena direkt vor die Füße. Wie rasend beginnt Grisbart, die Leichen auszuplündern.

'Nun hat es ihn erwischt!' denkt sich Ingalf.

Laut ruft er dem Zwerg zu: "Nu' is' aber gut! Wir soll-ten die Toten ruhen lassen! Bei Swafnir!"

Grisbart scheint ihn nicht zu hören.

Angewidert durch die abstoßende Leichenfledderei und Gier des Zwerges tritt die junge Hexe einen Schritt zurück, als ihr der Schädel vor die Füße rollt. Entrüstet beobachtet sie das Tun Grisbarts. "Muss das jetzt wirklich sein?" zischt sie leise, in ihren Augen schimmert es verdächtig.

Ein Grauen breitet sich in ihr aus über diesen Fund und sie ist dankbar, dass der Aranier nicht unter den Toten auszumachen ist. Wo mag er nur sein? Sie stutzt und wird nachdenklich. Warum liegt hier der Tote, dem die Maden und Würmer aus den Augen-höhlen krabbeln, während nicht weit entfernt eine Spinne zu hocken scheint, die hungrig ist? Fressen die Spinnen vielleicht gar keine Menschen? Doch warum schaffen sie sie hier herein?

Leise teilt sie ihre Gedanken mit ihren Gefährten. "Kommt es euch auch eigenartig vor, dass hier noch Fressbares für die Spinnen liegt und nicht weit ent-fernt scheint eine hungrig zu sein?"

"Das wohl! Das wohl!" Ingalf stimmt ihr nachdenk-lich zu. "Wenn da so wäre, müssten wir dann vielleicht gar nichts von den Spinnen befürchten?"

Mit vor den Mund gehaltenem Ärmel ihrer Bluse nä-hert Rovena sich den Gerippen und Leichen. Kann man überhaupt Fraßspuren an den noch einigerma-

ßen erhaltenen Leichen ausmachen, außer den Spu-ren der Zersetzung durch die Würmer, fragt sie sich.

Keine der Leichen sieht auch nur angenagt aus. Die Untersuchung ist allerdings schwierig, da durch Gris-barts Fledderei die Leichen teilweise auseinander fal-len.

Elgars Blick zeigt deutlich, was er von den möglichen Antworten auf diese Fragen hält. "Nein, die Spinnen sollten wir schon fürchten. Nur von ihnen gefressen zu werden, erscheint nun unwahrscheinlich."

Mit einem Seitenblick auf den noch immer plündern-den Grisbart meint er dann: "Auch wenn unser Freund sich in Zurückhaltung üben sollte, werden diese armen Seelen das deresche Gut nicht mehr be-nötigen. Lasst ihn. Wenigstens ist Melachath nicht un-ter ihnen. Vielleicht ist da hier so eine Art Endlager für die Eindringlinge, die nicht von selbst aus dem Schlaf des Spinnengiftes erwachen und dann hier ver-hungern." überlegt er laut.

"Das wäre möglich", stimmt Hesander nachdenklich zu.

Als Elgar das sagt, läuft Ingalf ein Schauer über den Rücken. 'Wenn ich alleine gewesen wäre, würde ich jetzt wohl auch hier liegen!' schießt ihm der schreckli-che Gedanke durch den Kopf.

Rovena schüttelt den Kopf. "Wir waren keine Ein-dringlinge, das sind wir erst jetzt. Melachath wurde entführt, auch Grisbart wurde angegriffen, doch mit ihm schienen sie nicht anfangen zu können", wider-spricht sie Elgar mit einem Seitenblick auf den Zwerg. "Wenn sie uns Zweibeiner nicht zum Verfüttern hier herein schleppen, wozu dann? Zur Unterhaltung? Im Auftrag von irgend jemandem, der hier in den Höhlen mit ihnen haust? Sie haben Gefühle der freudigen Er-leichterung ausgesendet, als sie mit Melachath abzo-gen."

Irgendwann scheint Grisbart auch zu ruhen. Das Beil hat er an die Schulter gehangen. Auf dem Schild lie-gen einige Schmuckstücke, die er eilig in die eine oder andere Tasche reinstopft. Er hält sich sehr abseits der Gruppe und ist vertieft in Gedanken.

Krampfhaft versucht die junge Frau, einen Grund zu finden, warum die Spinnen nur einen aus ihrer Mitte geholt haben, hätten sie doch alle haben können. Ver-sonnen, mit gesenktem Kopf, steht die junge Hexe da, betrachtet die Toten. Diese Frau, die Zauberin, geht ihr nicht aus dem Sinn.

"Wenn wir die Götter nicht verärgern wollen, dann müssen wir diese armen Seelen wenigstens boronge-fällig bestatten", meint Hesander. Mit einem verärger-ten Blick in Richtung des Zwerges fügt er hinzu, "wenn man sie schon fleddern muss." Dann schaut er in die Runde. "Was ist? Wollt Ihr tatenlos hier herum-stehen?" fragt Hesander ungeduldig.

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"Wie willst Du sie den begraben? Schaufeln sind bei den Maultieren und Steine gibt es hier in der Höhle nicht." meint Ingalf. "Sprich ein Gebet für sie, unter der Erde liegen sie auch schon so!"

Unvermittelt hebt sie den Kopf. "Melachath lebt be-stimmt noch und er dient ihnen gewiss nicht als Fut-ter. Er muss hier irgendwo sein, lasst uns schnell wei-ter nach ihm suchen", fordert ihre Gefährten auf und macht sie bereit, die Höhle wieder zu verlassen.

Am Ausgang lauscht und 'fühlt' sie aufmerksam nach eventuell vorbeikommenden Tieren.

Edric ist froh, diese Höhle hinter sich zu lassen und folgt ihr mit bleichem Gesicht.

"Ich denke wir sollten das Mädel nich' alleine gehen lassen!" Ingalf schaut die Gefährten an, dann folgt er Rovena zurück bis zur Abzweigung.

Elgar nimmt Hesander bei den Schultern: "Wir kön-nen nichts für sie tun.

Bete für sie. Sumu wird sie zu sich nehmen, wie sie es schon begonnen hat."

"Dann lasst mich wenigstens auch eine Weile hier für die Toten beten", entgegnet Hesander der Gruppe, die sich teilweise schon wieder auf den Weg gemacht hat. Hesander stellt sich neben die Leichname und schlägt pro erkennbares Skelett ein Boronrad. Dann murmelt er auf Bosparano eine Begräbnisliturgie. "Dominus Boron dona eis requiem aeternam et lux alveraniensis luceat eis …"

Dann folgt er Ingalf und Rovena, nicht ohne wieder die entsprechenden Markierungen an der Abzweigung zu fertigen.

Der Zwerg Grisbart ist der einzige, der noch da ist. Und langsam kommt er wieder zu Sinnen.

Als Hesander nach ein paar Minuten fertig ist und Grisbart als einzigen noch anwesenden Gefährten sieht, sagt er: "So, habt Ihr jetzt Eure Gier gestillt, An-groschim? Möge Angrosch Nachsicht mit Euch üben. Und jetzt kommt. Die anderen sind bereits weiterge-zogen." Als die beiden die anderen erreichen, reiht er sich wieder ein und meint trocken: "Wir können wei-ter."

"Und jetzt wieder rechts?" fragt Ingalf die Hexe.

Rovena schaut ihn einen Moment lang an, während sie auf die anderen warten, dann nickt sie langsam. "Du weißt Dich hier unter der Erde besser zu orientie-ren, ich wüsste nicht zu sagen, wo ich nun bin, Ingalf, wenn nicht Elgar die Markierungen anbringen würde. Führe Du uns weiter, ja?" Ihre smaragdgrünen Augen schimmern immer noch feucht in dem gespenstischen grünen Licht der Pilze an den Gangwänden.

"Das geht auch über der Erde", antwortet Ingalf verle-gen grinsend. "Du musst Dir nur merken wo Du wie den Kurs geändert hast. Wenn wir wieder zurück in

Thorwal sind, kann ich Dir das mal auf dem Wasser zeigen. Und eigentlich sollte sich ja der Zwerg unter der Erde besser auskennen, aber der is' ja nur nach dem Gold hinterher."

Die junge Hexe erwidert sein Lächeln, entgegnet aber nichts zu seiner Einladung zu einer Schifffahrt auf der See. Wie soll sie ihm auch erklären, dass das Betreten eines Schiffes für sie nicht ohne Folgen für ihre Fähig-keiten ist, schlimmer noch, als wenn sie sich auf Ebe-nen über Sumus Leib befindet, und ihr daher Un-wohlsein beschert?

Bei der Erwähnung von Grisbarts Goldgier verengen sich ihre Augen, ihr Misstrauen dem Zwerg gegenüber hat nicht sehr nachgelassen. "Er hat sich auch im Wald kaum ausgekannt, irgend etwas an ihm ist mir nicht geheuer", raunt sie dem Thorwaler zu, während sie ungeduldig wartet und hofft, dass Hesander doch bald seine Liturgie beendet hat, damit sie nach dem bestimmt noch lebenden Aranier suchen und einen weiteren Tod verhindern können.

"Das wohl! Das wohl!" antwortet der Thorwaler eben-so leise und fügt mit einem bitteren Auflachen hinzu. "Aber eins scheint wenigstens zu stimmen er ist Gold-sucher."

"Ingalf, " raunt Elgar ihm zu, "wie soll's jetzt weiter gehen?" fragt er. "Folgen wir diesem Gang weiter?" Mit fortschreitender Zeit unter der Erde geht es Elgar nicht besser, seine Stimme klingt angespannt.

Da weder Rovena noch ein anderer der Gefährten die Fragen nach der nun kommenden Richtung beant-wortet haben, geht Ingalf am Ende des Ganges nach rechts - die Richtung aus der die 2 Spinnen kamen.

'Da wir noch nirgends die Spinnen in größerer Zahl hier unten gefunden haben, müssen sie doch irgend-wo sein.' überlegt Elgar, während er Ingalf dicht auf folgt. Dann konzentriert er sich wieder auf das Hier und Jetzt.

Nach kurzem Weg kommt schon wieder eine Kreu-zung. Von vorn und von rechts kommen ruhige Spin-nengefühle.

Wortlos deutet Elgar mit dem Daumen nach links und eilt möglichst leise in diesen Gang. "Spinnen!" zischt er den anderen zu.

"Isinha, vergiss die Markierung nicht!" raunt Rovena dem Magier zu, dem sie auf dem Fuß in den linken Gang folgt.

"Keine Zeit!" raunt er ihr zu. "Das machen wir nach-her." - 'Wenn wir noch dazu kommen.' denkt er im Stillen und macht sich im Geiste eine Notiz über die-se Kreuzung ohne Markierung.

'Hmm, wenn das alles so gerade ist, wie bisher kom-men wir hier zum Ausgang zurück!' schießt es Ingalf durch den Kopf, der zwar auch nicht gerne in die

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Spinnenhöhle möchte, aber der auch nicht glaubt, dass sie auf diesem Weg Melachath finden werden.

In der Hoffnung, dass ihm die Gefährten auch folgen, führt Elgar sie in den - hoffentlich spinnenfreien - Gang hinein. Tief in sich seine Gefühle verbergend, "lauscht" er auf Spinnen vor ihm und die möglicher-weise ihnen folgenden Spinnen aus den anderen bei-den Gängen.

Vorsichtig tastet er sich weiter und hofft inständig, dass die doch recht große Gruppe weiter unerkannt bleibt.

Ingalf, der hinter dem Magier hertrottet, fragt ihn lei-se: "Du weißt, dass wir auf diesem Weg - wenn meine Kursberechnungen stimmen - wieder zum Ausgang kommen?"

"Aber was sollen wir sonst tun?" flüstert dieser zurück. "Den Spinnen in die Arme - äh - Beißzangen laufen?"

"Wenn wir Melachath hier nicht finden, …", meint In-galf zögernd, "… dann wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben."

Rovena, die dicht hinter Elgar geht, hat der geflüsterte Unterredung zugehört und stimmt dem Thorwaler stumm nickend zu. Sie können ihre Suche nicht ab-brechen und den Gefährten im Stich lassen …

Mit seinen roten Augen durchdringt er das dämmrige Zwielicht der Pilze und sieht …

… erstmal wieder eine Kreuzung. In den Gängen nach links und rechts sind Ratten zu sehen.

"Hier waren wir offenbar schon." meint Elgar mit ei-nem Seitenblick auf die Ratten und sucht seine Mar-kierungen an den Gangwänden.

Dann sieht er Ingalf an und fragt: "Also kämpfen wir?" Dem Klang seiner Stimme ist nicht zu entneh-men, ob die Frage rein rhetorisch gemeint ist.

"Nein!" widerspricht Ingalf und dieses Nein umfasst nicht nur die Frage, sondern auch die erste Behaup-tung. "Wir waren noch nicht hier! Aber der Gang scheint sich nach links fortzusetzen und an einer der nächsten Kreuzungen waren wir schon. Daher kön-nen wir noch ein wenig suchen bevor wir gegen ir-gendwen kämpfen müssen!"

"Soll mir auch recht sein." erwidert Elgar gelassen. "Lieber sogar, als einen offenen Kampf zu suchen." fügt er hinzu.

"Das würde ich doch auch meinen", stimmt Rovena den beiden leise zu.

"Solange wir nicht gezwungen sind, zu kämpfen, soll-ten wir dem ausweichen und lieber erst alle Ecken dieses Höhlensystems durchsuchen."

Während sie den beiden in den geradeaus weiterfüh-renden Gang folgt, beobachtet sie vorher aufmerksam die Ratten in den beiden anderen Gängen, versucht vor allem, deren Anzahl abzuschätzen. "Wie sollen wir

auch gegen die Ratten kämpfen?'"murmelt sie leise, denn mit ihrem Stab wird sie hier in den engen Gän-gen wenig ausrichten können. Suchend fährt ihre Hand zu ihrem Dolch in dem breiten Gürtel und be-ruhigt stellt sie fest, dass dieser noch an seinem Platz ist.

Ingalf geht geradeaus weiter.

Er stoppt aber sofort, als von vorne Spinnengefühle entgegenkommen.

"Vorsicht!" meint Ingalf, "Spinnen voraus! Jetzt wird es lustig. Entweder wir laufen ganz zurück bis zur To-tenhöhle oder wir nehmen den Rattengang! Egal was, wir sollten uns beeilen!"

Grimmig nickend stimmt Elgar dem ohne ein weite-res Wort zu.

Er dreht sich um und schiebt seine Gefährten vor sich her.

Bereits nach einem Schritt ist er so schnell, dass Ingalf nicht mehr schieben muss. Den weiter hinten stehen-den Gefährten bedeutet er, sich zur Höhle der Lei-chen zurückzuziehen.

Ingalf, der hinter den Gefährten herkommt, dirigiert sie an den entsprechenden Stellen mit einem geflüs-terten "Steuerbord – Backbord", nicht das einer falsch abbiegt.

Dort - ohne Zwischenfall - angekommen, meint er: "Vielleicht solltet ihr hier warten, während Ingalf und ich die Höhle weiter erkunden. Zu zweit sind wir viel beweglicher und schneller unterwegs, ohne gleichzei-tig den Spinnen und der Entdeckung übermäßig aus-gesetzt zu sein. In diesen Gängen ist ohnehin nur we-nig Platz."

"Das wohl! Das wohl!" meint Ingalf nur nickend. Dann wendet er sich an Grisbart: "Hey, Kurzer, wenn Du hier in der Höhle bleibst, dann gib mir meinen Schild zurück."

"Aber klar. Dann bewach' ich einfach eure Freunde hier."

Grisbart gibt Ingalf das Schild zurück und sucht dann in der Höhle nach Lederresten von irgendwelchen Skeletten.

Elgar und Ingalf erkundenNachdem Ingalf seinen Schild zurück hat, winkt El-gar ihm zu: "Lass uns die Sache schnell und leise erle-digen!" fordert er den Thorwaler auf und folgt diesem zurück in die Gänge.

'Mit unseren beiden vereinten Kräften werden wir Me-lachath sicher finden.' macht er sich selbst Mut.

"Hey, nicht so schnell!" raunt ihm Ingalf zu bevor sie wieder auf die Abzweigung treffen. "Lass uns erst nach den Spinnen fühlen!"

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"Dann fühl' mal vor!" fordert ihn der Magier ver-schmitzt lächelnd auf. Offenbar hat er trotz der ihm nicht behagenden Enge seinen Humor nicht ganz ver-loren.

Wieder das gewohnte Spiel: Die eigenen Gefühle ver-bergen, den Geist für von außen hereinströmende Ge-fühle öffnen und ihnen aus dem Weg gehen.

Elgar ist bereit und signalisiert Ingalf dies durch ein aufmunterndes Nicken.

Elgar und Ingalf erkunden gemeinsam schnell den Gang, von dem Ingalf meint, es könnte der Haupt-gang sein. Er hat recht. Zwei weitere Kreuzungen gibt es noch, dann sind die beiden wieder an der ersten Kreuzung des Höhlensystems. An Elgars Markierung ist es eindeutig zu erkennen.

Auf dem Rückweg schauen die beiden in die erste Ab-zweigung nach links. Dort ist eine unbeleuchtete Höhle, die sich als leer erweist, als Elgar kurz seinen Zauberstab entflammt.

Nach rechts, meint Ingalf, müsste der Weg in das Was-ser führen.

Der nächste Quergang führt in eine weitere unbe-leuchtete Höhle. Elgars Lichtschein zeigt zwei erstarrt liegende Spinnen.

Ingalf zieht Elgar schnell aus der Höhle raus, von schlafenden Spinnen hat der Thorwaler genug.

Jetzt bleiben nur noch die beiden Enden des quer ver-laufenden Rattenganges zur Untersuchung übrig.

"Nach rechts kommen wir wohl in den anderen Rat-tengang, also Freund Zauberer, auf nach links!" meint Ingalf und macht sich vorsichtig nach links auf.

Elgar nickt, hat aber keine wirklich genaue Vorstel-lung der Beziehungen der Gänge zueinander und ver-traut dem Thorwaler. Vorsichtig folgt er ihm auf dem Fuße.

Elgar sieht, wie Ingalf fast auf eine Ratte tritt. Das Tier huscht gerade eben noch weg, als sich Ingalfs Fuß absenkt.

Wie zu erwarten war, endet der Gang wieder in einer Höhle, die diesmal wieder pilzbewachsen und deswe-gen erleuchtet ist. Die Höhle ist bis auf einige Ratten leer, aber in einer Ecke ist ein faustgroßes Loch, in dem gerade eine Ratte verschwindet.

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"Tja, jetzt haben wir 'nen zweiten Ausgang gefunden", meint Ingalf trocken und dreht sich dann zu Elgar um, "aber da kommt nich' mal der Kurze durch! Was meinste, gehen wir zurück und berichten den ande-ren? Weil mehr gibt's hier nich' zu sehen! Es sei denn Du möchtest noch die beiden Spinnenhöhlen erfor-schen!"

"Hm." überlegt Elgar. "Sollte es notwendig werden, könnte ich vielleicht diesen 'Ausgang' für uns erwei-tern. Allerdings bräuchte ich vorher noch ein oder zwei Nächte erholsamen Schlaf." murmelt er.

Dann antwortet er auf Ingalfs Frage: "Ich habe etwas die Übersicht verloren, welchen Teil des Systems wir noch nicht erkundet haben. Aber durch das Wasser sind wir noch nicht. Da sollten wir vielleicht noch mal einen Blick in diese Gänge werfen." schlägt er vor.

"Kein Problem", grinst Ingalf, "wenn Dein Südweiser Dir nicht geholfen hat, dann will ich es tun."

Er malt die folgende Skizze auf den Boden.

"Und wenn mich nit alles täuscht, dann passen die Gänge sogar voreinander. Bei dem Rattengang scheint's ja schon zu stimmen. Trotzdem können wir noch'n Blick reinwerfen. Wollen wir dann?"

"Ja, dann lass uns aber auch den Weg durch die Ratten hindurch versuchen. Vielleicht finden wir noch etwas dort. Ansonsten bleiben nur noch die Gänge mit den Spinnengefühlen." Dabei unterstreicht er seine Worte jeweils mit Gesten des Zauberstabs auf Ingalfs Zeich-nung.

"Viel mehr Möglichkeiten sind nich' da, das wohl!" meint Ingalf zustimmend. "Aber wollen wir nicht auf dem Weg den anderen Bescheid sagen?"

"Aber erst auf dem Rückweg vom Wasser- und Ratten-bereich. Dann kommen wir da sowieso vorbei." meint Elgar und bedeutet dem Thorwaler mit einem Kopf-nicken, vorweg zu gehen.

"Aye, dann erst die drei Gänge bis zu den Kreuzun-gen, aber bevor wir den Rattengang weiter gehen, hol' ich die andern!"

Ingalf geht aus der Höhle raus und dann an der Kreu-zung nach rechts und dann an der 2. Kreuzung wie-der nach links in den unbekannten Gang.

Elgar folgt auf dem Fuße. An den neuen Kreuzungen macht er jeweils die bekannten Zeichen zur Orientie-rung.

'Na ja, wenn nun an jeder Kreuzung, die wir besu-chen, die Zeichen sind, finden wir uns, wenn wir alle Gänge besucht haben, auch nicht besser zurecht.' fällt ihm ein, tut es aber mit einem inneren Schulterzucken ab und verändert statt dessen die jetzt neuen Zeichen ein wenig.

Wie von Ingalf erwartet, führt der Gang genau auf die weitestgehend unter Wasser stehende Kreuzung. Es

gibt keine weitere Abzweigung. Das gleiche gilt für den Parallelgang.

Ein Grinsen macht sich auf Ingalfs Gesicht breit, als er merkt, dass seine Skizzen richtig waren.

"So jetzt zu unseren Gefährten und dann durch den Rattengang …" meint er zu Elgar und geht an der nächsten Kreuzung vorbei.

Der Magier folgt ihm, ohne ein weiteres Wort zu ver-lieren. Schließlich hat der Thorwaler Recht behalten.

TotenwächterGrisbart guck,t ob man aus irgendwas, was die Leute dabei haben, einen Lederschild oder einen Lederhelm machen könnte. Von Lederbearbeitung hat er ja we-nigstens ein bisschen Ahnung.

Eine der Leichen hat eine Lederjacke an. Die ist aller-dings ziemlich angegammelt.

"Was hast Du denn vor?" erkundigt sich Edric.

"Ich hatte überlegt, ein Schild zu improvisieren. Ich hätte gerne einen möglichst großen Schutz gegen die-se Spinnen. Mein Kettenhemd bedeckt ja viel vom Körper, aber der Kopf und die Hände sind noch viel zu gut zu erreichen. Aber so wie ich das sehe, wird das hier wohl nichts. Möge Boron den Seelen gnädig sein."

Ob das die richtige Entscheidung war, sich hier unten in dem Spinnenbau zu trennen? Rovena zweifelt sehr an der Entscheidung von Ingalf und Elgar, doch sie fügt sich den Anführern der Gruppe und hockt sich am Eingang, in angemessenem Abstand zu den Toten, auf den Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, ihren Stab fest an sich gedrückt. Sie hat Angst, das sieht man ihr an, Angst davor, dass die Spinnen hier herein kommen und sie nicht mehr aus der Höhle flüchten könnten. Und wenn, wüsste sie nicht, wohin sie sich wenden sollte, weiß sie doch nicht, wo sie sich jetzt in diesem Labyrinth befindet. Sie schluckt schwer und beobachtet stumm Grisbart, Hesander und Edric, die mit ihr zurückgeblieben sind.

Edric ist bei Grisbart, der noch einmal bei den Lei-chen zu Gange ist.

Schon wieder Leichenfledderung, denkt Hesander bei sich, während er sich niederkniet um ein Gebet an die weise Göttin und ein weiteres an den Herrn der Toten zu schicken: "Herrin Hesinde, gebe Grisbart die Weis-heit, die Toten zu ehren, wie er geehrt werden möch-te." murmelt er vor sich hin, die Augen geschlossen haltend und den Kopf demütig gesenkt. "Herr des großen und des kleinen Schlafes, gebiete über die See-len dieser armen Geschöpfe und weise ihnen den Weg in der Dunkelheit."

"Am besten wird es wohl sein, wenn wir gar nicht kämpfen müssen. Aber erst einmal müssen wir Me-lachath gefunden haben." Edric schaut zum Eingang

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der Höhle, ob die beiden Erkunder schon wieder zu-rück sind.

"Du wirst es nicht glauben, aber ich ziehe den friedli-chen Weg auch vor. Im Wald nimmt man sich ja auch nur gerade so viel, wie man zum Leben braucht, aber diese Höhle ist so merkwürdig und da will ich doch lieber ein bisschen vorsorgen. Die Spinnen sind ja auch nicht so ganz normal."

Wieder vereintOhne Zwischenfälle kommen die beiden wieder in der "Leichenhöhle" bei den anderen an. Ingalf sieht sofort des Gefühl der Erleichterung auf Edrics Gesicht.

Rovena erhebt sich rasch und geht auf die beiden An-kommenden zu. "Und, habt ihr etwas finden können, das uns weiter bringt?" fragt sie hoffnungsvoll und schaut von Ingalf zu Elgar. "Wo sollen wir nun unsere Suche fortsetzen?" Sie steht ungeduldig abwartend da, nur froh, endlich diese Leichenhalle verlassen zu kön-nen.

"Erzählt, was habt ihr gesehen, gibt es eine Spur des Araniers?" Neugierig und auffordernd sieht der Dra-coniter den beiden Ankömmlingen entgegen.

"Wir sind wieder da!" meint Ingalf kurz und nickt kurz Edric zu. "Also, die Höhle - die wir bis jetzt ken-nen", fährt er fort und beginnt erneut mit der Skizze der Höhle, "sieht so aus."

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Den kleinen Rattengang fügt er schon hinzu, obwohl sie ihn nicht gegangen sind, aber wo Ratten reinlaufen und wieder rauskommen, muss ja auch ein Gang sein.

Dann setzt er wieder an: "Wir haben jetzt noch fol-gende Möglichkeit, wo wir nach Melachath suchen können: Hier in der linken Ecke (9) sind noch 2 Gän-ge oder Höhlen in denen wir Spinnen gefühlt haben, dann die Nachbarhöhle mit den Fressgefühlen (7), den einen Gang mit dem Wasser haben wir noch nicht

zu Ende verfolgt und den Rattengang" - hier kann er sich gerade ein "Hab' ich doch gleich gesagt!" verknei-fen.

"Meiner Meinung würde ich nicht in die Fressgierhöh-le wollen, in den Gängen mit dem Wasser sind uns keine Spinnen begegnet, daher könnte man die Lö-sung auch nach hinten stellen und die beiden Gänge mit den Spinnengefühlen würde ich auch erst unter-suchen, wenn sich kein andere Möglichkeit mehr bie-

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tet. Also kommen wir zur conclusio - wie unseren ge-lehrten Freunde sagen würden" - 'Ich bin zwar nur Thorwaler, aber ich bin nicht blöd!' fügt er in Gedan-ken und mit breitem Grinsen hinzu - "Wir müssen wohl oder übel in den Rattengang!"

Zustimmung heischend blickt er sich um.

"Oder zu den Spinnengefühlen." ergänzt Elgar. "Die Wahrscheinlichkeit, Melachath dort zu finden, dürfte ungleich größer sein." wirft er seine Ansicht in die Waagschale.

"Ich denke auch, dass du recht hast, Isinha", stimmt die junge Hexe ihm zu. "Würden die Spinnen die ge-fangenen Menschen den Ratten überlassen, würden die hier versammelten Toten anders aussehen." Schau-dernd dreht sie sich kurz zu den Leichen um, die alle-samt keine Spuren der Nager aufgewiesen haben. "Nur bitte, lasst uns endlich diese Höhle verlassen, ich ertrage den Verwesungsgestank nicht mehr länger." Es

drängt sie, diese Höhle zu verlassen, in der sie für ih-ren Geschmack schon zu lange ausgeharrt hat.

"Recht habt ihr zwei, die Wahrscheinlichkeit, unseren Freund dort zu finden ist ungleich größer. Außerdem ist die Gefahr, in der er schwebt, in den Höhlen ohne Spinnen auch deutlich geringer, so dass wir mehr Zeit haben, um dort nachzusehen. Verehrter Freund Thor-waler, würdet Ihr die Güte haben, uns zu führen?" Ein leichtes Grinsen kann sich Hesander nicht ver-kneifen.

Ingalf zuckt mit den Schultern, gibt dem Zwerg den Schild mit "Ich hab' 'n nich' gebraucht!" zurück und geht dann voraus zur Abzweigung und dann, wie sei-ne Gefährten wollten, nach rechts auf die beiden Gän-ge mit den Spinnen zu. An der Kreuzung biegt er nach rechts in den ersten der beiden Gänge ab.

Zügig folgt der Draconiter Ingalf und bedeutet den restlichen Freunden mit einer Geste, ihnen zu folgen.

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3. Tag: Kampf im SpinnenbauDie beiden ersten Spinnen

ngalf erwartet die Spinnen, er spürt sie ja. Deshalb ist er nicht überrascht, als der Gang sich nach we-

nigen Schritten zu einer Höhle öffnet, in der sich zwei Spinnen befinden. Die sind wach. Als sie die Helden gewahr werden, gehen sie sofort zum Angriff über.

II

Entschlossenheit ist zu spüren.

'Gut, wenn sie einen Kampf wollen, sollen sie ihren Kampf haben!' denkt Elgar grimmig und sendet mit maximaler Entschlossenheit ein Gefühl der Überle-genheit und Bedrohung gegenüber den Spinnen aus.

In einem günstigen Moment wird er versuchen, beide Spinnen zu blitzen, um den Gefährten die größtmög-liche Überlegenheit zu geben und die Spinnen schnell zu treffen - und zu töten.

Diesen Gedanken teilt er den anderen mit: "Sobald ihr in Reichweite seit, versuche ich, die Viecher mit einem arkanen Blitz im Geiste erblinden zu lassen. Ihr habt dann wenige Herzschläge freie Bahn!"

Edric umfasst seinen Stab mit festem Griff und erwar-tet den Angriff der Spinnen an der Seite seines Freun-des.

Auch Ingalf versucht der Entschlossenheit der Spin-nen seine eigene Entschlossenheit entgegenzudenken. Er greift die Orknase mit beiden Händen und tritt schnell in die Höhle, um den Gefährten nicht den Weg zu versperren.

"Die müssen wir auch ausnutzen, denn die Gefühle aus der anderen Höhle waren genauso und vermutlich werden dann noch mehr Spinnen sein - und wenn die uns Kämpfen hören …"

Dann greift er auch schon an - immer daran denkend nicht von den blöden Spinnen gebissen zu werden.

Und Ingalf trifft sofort - ohne von der blöden Spinne gebissen zu werden.

Beim übernächsten Angriff trifft Ingalf wieder - im-mer noch, ohne gebissen zu werden.

Im Geiste ein kurzes Stoßgebet an die weise Göttin schickend, packt der Draconiter seinen Stab fester mit beiden Händen. Er spürt eine leichte Nervosität, ver-traut aber auf die Kampferfahrungen seiner Begleiter.

Rovena drückt sich an die Gangwand und lässt ihre kampferprobten Gefährten vor sich in die Höhle ein-treten. Sie hat den Spinnen nicht mehr viel entgegen-zusetzen, außer ihren Dolch im Gürtel und ihren Stab, den sie fest in der rechten Hand hält. Entschlos-sen zupft sie sich ein Haar aus, in das sie mit beben-den Fingern einen Knoten knüpft und es sich um einen Finger der linken Hand wickelt.

Elgar sucht sich Ingalfs Gegnerspinne als erstes Opfer aus. Und er versagt. Einen Zauber zu üben oder ihn im wirklich Kampf zu sprechen, das sind zwei ver-schiedene Dinge. Aber ihn verlässt nicht der Mut, gleich noch einmal versucht er es, diesmal bei Edrics Gegnerspinne. Es ist hesindeverflucht, der Zauber will einfach nicht gelingen!

Bevor sich Edric versieht, ist er ins Bein gebissen. Er spürt, wie ihn das Gift zu betäuben droht, kann sich aber zusammenreißen. Verzweifelt stößt er mit dem Ende seine Hirtenstabes zu - und erwischt genau ein Spinnenauge. Eine Handbreit tief dringt der Stab in den Spinnenkörper ein. Die Spinne sendet starke Schmerzgefühle aus, sie scheint geschwächt zu sein.

Den Schmerz des Bisses kann Edric ertragen, doch merkt er wie sich langsam ein Taubheitsgefühl von dem Bein ausbreitet.

Angespannt beobachtet die Hexe den Gang hinter sich. Ingalf hat recht, aus der Nachbarhöhle kommen die gleichen Spinnengefühle, auch dort halten sich demnach Spinnen auf, die nicht wie die bisher gefun-denen in Schlaf gefallen sind. Rovena versucht durch ihre Aufmerksamkeit zu vermeiden, dass diese ihr und ihren Gefährten plötzlich und unbemerkt im Kampf-getümmel in den Rücken fallen könnten.

Sobald Grisbart, der ja ganz hinten lief, nach vorne durchgehen kann, wird er dies natürlich so schnell wie möglich tun. Immerhin fühlt er sich ausgeruht, hat ein Schild und ein Kettenhemd und eine etwas kleine Axt. Vorher wird er sich natürlich umdrehen und nach hinten gucken, um abzusehen, dass von dort keine Spinnen kommen.

Und jetzt ist Grisbart da. Mit seiner ganzen Kraft schlägt er zu, während Edric noch überlegt, was er machen soll. Die Spinne erschlafft.

Der junge Hirte ist froh, als ihm der Zwerg zu Hilfe kommt.

Er fürchtet, gleich bewusstlos umzufallen.

Und dann ist Grisbart bei ihm. Gemeinsam machen sie die Spinne nieder.

Sofort wendet sich Grisbart der zweiten Spinne, In-galfs Gegner zu. Gegen die wuchtigen Schläge der beiden gleichzeitig nützt auch der beste Panzer der Spinne nichts.

Hesander muss nicht in den Kampf eingreifen. Edric und Ingalf übernehmen die beiden Spinnen, dann kommt Grisbart von hinten. Er kann Edric aus der Patsche helfen.

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Obwohl er keinen Erfolg mit seinen Zaubern hatte, ist Elgar glücklich, dass dieser Kampf ohne größere Ver-letzungen ausgegangen ist.

Da Edric gebissen wurde, lässt er sofort alles stehen und liegen und fordert den jungen Hirten auf, sich ru-hig zu verhalten, sich auf den Boden zu setzen und die Wunde zu entblößen.

Edric setzt sich erleichtert hin, schließlich weiß er nicht, wie lange er überhaupt noch stehen kann. In-galf ist schließlich sofort umgefallen.

Diese sieht er sich an und wir mit geschultem Blick seine Heilkunst versuchen: 'Immer die Wunde aus-saugen, Blut- und Giftgemisch ausspucken, und von vorn.'

Die Untersuchung und Behandlung lässt er über sich ergehen, obwohl das Taubheitsgefühl schon langsam vergeht.

Es ist ein gutes Gefühl, etwas nützliches tun zu kön-nen.

Nach ungefähr 10 Durchgängen fragt Elgar den ver-wundeten Edric: "Und, spürst Du schon etwas?"

"Ja, das tue ich." bestätigt Edric. "Du kannst aufhören, glaube ich. Das Gift scheint nicht mehr zu wirken.

Gleich nach dem Biss hatte ich das Gift gemerkt. Es breitete sich Taubheit im Bein aus. Doch mein Körper scheint dem Gift zu widerstehen, ich merke jetzt gar nichts mehr davon." erklärt er.

"Vielen Dank für die Hilfe", bedankt er sich bei Elgar und Grisbart

Ingalf, der nach dem Tod der Spinne zu den beiden getreten, schaut besorgt zu seinem Freund und meint dann vorsichtig zu dem Magier: "Nu, willste ihn denn ganz aussaugen? Er wird schon blass!"

"Es geht schon." Edric grinst seinen Freund an uns er-hebt sich wieder.

"Achtet bitte auf den Gang und die anderen Spinnen, Hesander", bittet Rovena den Geweihten und verlässt ihren Platz im Gang. Als sie in die Höhle blickt, sieht sie Elgar und Ingalf bei dem am Boden liegenden Ed-ric und eilt sofort zu ihnen. Besorgt betrachtet sie den jungen Hirten und fragt Elgar leise, während sie in ih-rem Tuchbeutel nach Verbandszeug und der Flasche mit ihrem Heiltrank sucht: "Ich denke, es ist besser, wir geben ihm noch von dem Einbeerensaft, damit der Biss besser verheilt." Sie reicht Elgar ihre mit frischem Wasser gefüllte Feldflasche, damit er die Wunde noch ein wenig ausspülen kann.

Hesander geht bis zum Eingang der Höhle um von hier aus alle Richtungen überblicken zu können.

"Dank an die Leuin und die Weise", gibt Hesander er-leichtert von sich. Seine Anspannung fällt ab. Er dreht sich um und behält den Eingang im Auge, damit die

Gruppe bei Ihren Untersuchungen und der Pflege des Verletzten nicht von hinten überrascht wird.

Im Moment ist alles ruhig.

"Wollen wir jetzt auch noch etwa in den anderen Gang und wieder auf unser Glück hoffen oder viel-leicht doch erst in den Rattengang?" fragt Ingalf - jetzt schon ein wenig ärgerlicher, da sein Freund gebissen wurde.

"Es war kein Glück, die Götter waren auf unserer Sei-te, das solltet sogar Ihr wissen" erwidert der Draconiter mit einem Grinsen, das eine Mischung aus Erleichte-rung und Spott darstellt, "lasst uns den anderen Gang nehmen, ich möchte nicht das Gefühl haben, dass von hinten noch eine Gefahr lauert."

"So?! Die Götter?" fragt Ingalf spöttisch zurück. "Wo waren denn dann die Götter als die Spinne mich ge-bissen hat?"

"Wohl auf Seiten der Spinnen." meint Elgar nach-denklich. 'Woher kommt nur der plötzliche Taten-drang des Pfaffen?' wundert er sich im Stillen.

"Selbst dann hat es der Spinne nicht geholfen", ant-wortet Ingalf grinsend.

"Hast Du einen ernsthaften Schaden davon getragen?" Streitlust blitzt kurz aus den Augen des Geweihten, bis er ruhiger hinzufügt: "So lasst uns jetzt nicht streiten, es harrt der Aranier auf unsere Hil-fe."

"Was hilft der Gott, wenn er nicht hilft?" fragt Ingalf in typisch thorwalscher Manier.

"Also erst die Spinnen oder erst die Ratten. Eine Mei-nung hatten wir schon, bleiben noch 4 - meine Mei-nung hatte ich ja vorhin schon gesagt."

"Das ist doch gleich, auf wessen Seite sie standen", faucht Rovena leise, sie findet die spöttischen Bemer-kungen ihrer Gefährten hier und jetzt einfach nur un-passend.

"Nun", meint Ingalf, der sich so schnell nicht von dem Thema lösen will, "unserem Freund ist es wohl nicht egal, auf wessen Seite die Götter stehen, sonst würde er nicht zu jeder Gelegenheit mit ihnen sprechen wol-len!"

Edric, der sich wieder zu Ingalf gestellt hat, legt sei-nem Freund beschwichtigend eine Hand auf den Arm.

'Bleib ruhig mein thorwalscher Freund' bittet er ihn stumm. Genauso wie die junge Hexe ist er der Mei-nung dass es für diese Diskussion weder der richtige Ort noch die richtige Zeit ist.

"Wenn es ihm hilft und uns nicht schadet, dann lass ihn doch", erwidert die Hexe ungehalten, mit einem Seitenblick auf den Geweihten. "Deine Hetfrau wird ihre Gründe gehabt haben, Hesander mit uns gehen zu lassen. Macht eure Glaubensfragen untereinander aus, wenn wir hier heil wieder raus sind."

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'Hilf dir selbst, dann hilft die Phex. Vielleicht ist es bei den anderen Elf auch so?' Edric behält seinen Gedan-ken aber lieber für sich.

"Der fängt doch immer wieder an!" antwortet Ingalf. "Und das die Alte sich dabei gedacht hat, tja, wer weiß - sie hat manchmal 'nen komischen Humor …"

"Kinderkram" zischt die junge Hexe leise und schüt-telt vorwurfsvoll den Kopf.

'Wenn sie sich ärgert, wird sie noch hübscher!' denkt sich Ingalf und schmunzelt in sich hinein.

"Jetzt ist aber Schluss!" faucht Elgar dazwischen. "Alle beide!" setzt er mit einem Blick nach, der allen, die ihn nicht kennen, bestimmt die Eingeweide im Leib gefrieren lassen kann. Den Gefährten jagt er höchs-tens eine Gänsehaut auf den Rücken.

"Schluss?! Aber wir waren doch noch nicht mal richtig beim Beleidigen!" murrt der Thorwaler halblaut.

Der Magier ist wirklich wütend, als er sich zu Hesan-der umdreht und diesen ebenso unwirsch anredet: "Und Du …" überlässt er den Rest der Phantasie des Geweihten.

Sie dreht sich zu den erschlagenen Arachnoiden in der Höhle um. "Vielleicht sollte sich nur einer von uns lei-se an die Höhle anschleichen, um die Spinnentiere nicht aufzuschrecken. Wir müssen doch nur wissen, ob der Aranier dort ist." Einen Moment schaut sie In-galf eindringlich an und fügt leise hinzu: "Die Ratten sind nicht minder schlimm, sollten sie uns angreifen …"

"Die Ratten haben uns nicht angegriffen, die Spinnen schon!" antwortet der Thorwaler ebenso eindringlich. "Und wenn Du schleichen möchtest, dann tue es!"

Gerade wollte der junge Hirte zu der Erwiderung an-setzten, dass er gehen wird, da das Spinnengift bei ihm kaum Wirkung gezeigt hat, doch Rovena kommt ihm zuvor.

Rovena funkelt Ingalf mit ihren smaragdgrünen Au-gen entschlossen an. "Das werde ich auch, wenn nie-mand etwas dagegen einzuwenden hat." Sie spielt mit ihrem langen schwarzen Haar, das noch immer, mit einem Knoten versehen, um ihren Finger gewickelt ist. 'Sie sind intelligent, es muss sie einfach im Gang aufhalten, wenn sie mich angreifen …' redet sie sich zu. Ängstlich horcht sie in sich hinein, ob ihre Kraft für ihren Schutz noch ausreichen wird. 'Mutter, lass es gelingen …'

"Mensch, Mädel, hol 'mal tief Luft!" lenkt der Thor-waler ein als er merkt, das Rovena es ernst meint, al-leine loszuziehen. "Uns allen macht das hier unter der Erde keinen Spaß!" 'Höchstens dem Kurzen!'

"Und?" Die junge Frau fasst ihren Stab fester. "Dann lass uns weiter suchen …" Sie schnaubt leicht, der Verwesungsgeruch hängt ihr immer noch in der Nase.

Auffordernd blitzt es in ihren Augen auf, als sie kurz in die Runde ihrer Gefährten schaut und ihr Blick an Elgar hängen bleibt.

"Das sag' ich ja, aber unsere Freunde können sich ja nicht entscheiden!" Ingalf sieht sich ebenfalls in den Gesichtern der Gefährten nach deren Entschluss um.

Da sich die Situation entspannt hat, dreht Edric sich um und geht in Richtung Öffnung voraus. Er blickt sich nicht weiter um.

Die junge Frau hat sich wieder zum Ausgang der Höhle begeben, nachdem es Edric zum Glück so schnell wieder besser ging, und lauscht in den Gang.

"Wir müssen nachsehen, ob nicht dort in der Höhle Melachath von den Spinnen bewacht wird. Erinnert euch an den Toten, den wir neben der einen Spinne fanden."

Elgar hat sich von den anderen abgewandt, begibt sich zum Höhleneingang, schließt die Augen und konzen-triert sich auf die einströmenden Spinnengefühle. Wie viele sind es? Was 'denken' sie?

Es scheint sich wieder um zwei Spinnen zu handeln. Sie sind beide entspannt. Elgar empfängt ruhige Ge-fühle.

Ingalf geht hinter seinem Freund und Elgar hinterher, als er Elgars Konzentration bemerkt, lauscht ebenfalls auf seine Gefühle. Dann fragt er leise: "Kannst Du spüren, wie viele es sind? Für mich fühlt es sich ge-nauso an wie eben!"

"Zwei." antwortet Elgar knapp.

Hesander möchte da nicht nachstehen, nachdem er tief durchgeatmet hat und seinen Ärger mit einem un-wirschen Gedanken beiseite schob, folgt er den ande-ren.

Rovena seufzt leise und bleibt etwas hinter ihren Ge-fährten zurück.

Eigentlich hatte sie sich ja vorgestellt, dass sich einer leise an die Höhle heranschleicht, um hineinzuspä-hen, und nicht wieder alle mit Waffengerassel auf die Spinnen eindringen, aber nun ist es zu spät.

'Hoffentlich bleiben die Gefühle der Spinnen fried-lich' denkt sie zweifelnd und versucht, ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken, während sie angespannt auf die Spinnengefühle achtet.

Zwei weitere SpinnenDie Spinnen, die sich ja noch außer Sichtweite befin-den, scheinen bislang noch nichts bemerkt zu haben. Jedenfalls ist in ihren Gefühlen keine Änderung zu verspüren.

Grisbart, der ja ganz hinten läuft, raunt den anderen zu: "Lasst mich mal vorgehen. Ich habe ja immerhin die Rüstung und das Schild. Und so laut bin ich auch nicht, wenn ich das nicht will." Langsam geht er an

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der Gruppe vorbei und setzt sich an die vorderste Stel-le.

Ingalf murmelt er nun zu: "Hey, gibt schöneres als un-ter Tage herumzulaufen. Lass uns das schnell hinter uns bringen. Wir schleichen uns an, dann geh ich vor und du kannst mir dann direkt folgen. An meinen Ketten werden sich die Spinnen die Zähne ausbei-ßen."

Und dann setzt sich Grisbart in Gang. Er ist deutlich leiser als bisher. Scheinbar fällt es ihm gar nicht so schwer sich ruhig zu bewegen.

Ingalf schaut dem Zwerg ungläubig hinterher, dann murmelt er kopfschüttelnd: "Der is' echt komisch, ein Zwerg, der ans Tageslicht will!"

Das der Zwerg alleine gegen die zwei Spinnen kämp-fen will, findet Ingalf irgendwie nicht fair - für die Spinnen. Daher nimmt er seine Orknase in die Hand und folgt leise dem Zwerg in die Höhle.

Elgar traut weder sich noch einem der anderen zu - mit Ausnahme von Edric vielleicht - den beiden leise genug zu folgen. Er "blockiert" daher das Nachrücken der anderen am Eingang zur Höhle mit seinem Stab und deutet den anderen an, sich leise zu verhalten.

Er beobachtet aus der sicheren Position das weitere Vorgehen, um im Notfall mit einem combativen Zau-ber zu Hilfe eilen zu können.

Ruhig verhält Rovena im Gang hinter Elgar, sie atmet flach und lauscht angestrengt nach dem, was sich für sie nicht ersichtlich vor ihr in der Höhle ereignet.

Es ist tatsächlich wie vermutet eine pilzbewachsene Höhle. Und die beiden Kämpfer bewegen sich auch so vorsichtig, dass sie von den beiden Spinnen, die in der Mitte der Höhle damit beschäftigt sind, sich gegensei-tig zu putzen, nicht bemerkt werden.

Da auch in dieser Höhle keine Spur von Melachath zu sehen ist, versucht Ingalf, sich mit dem Zwerg durch Handzeichen zu verständigen. 'Willst Du sie töten oder gehen wir weiter?' versucht er anzudeuten.

Mit Handzeichen versucht Grisbart, Ingalf zu vermit-teln, dass die beiden einfach wieder zurück gehen soll-ten und hier keinen Kampf vom Zaun brechen soll-ten. Vorsichtig testet er auch einmal an, ob Ingalf viel-leicht des Atak mächtig ist.

Auf die ersten Handzeichen hin nickt Ingalf und will sich schon zurückziehen, wird aber von den Gauner-zeichen verwirrt und wartet ab.

"Was treiben die beiden da!?" wispert Elgar an Rovena gewandt mit einem drängenden Unterton in der Stim-me. Offenbar ist nicht nur der Thorwaler verwirrt. 'Haut drauf!' will er rufen, hält sich aber zurück. Viel-leicht hat Grisbart ja einen Plan, den er bislang nur nicht erkannt hat.

"Ich weiß es nicht, da ich fast nichts sehen kann", raunt die junge Hexe kaum hörbar zurück. Sie ist un-ruhig und fragt sich besorgt, was sich dort in der Höh-le ereignet.

Auch Edric kann nicht erkennen, was sich in der Höhle abspielt und wartet ab. 'Ingalf weiß was er tut.' Da ist er sich sicher.

Als Grisbart merkt, dass der Thorwaler die Handzei-chen der Streuner nicht beherrscht, zeigt er noch mal, dass sie sich zurückziehen sollen und zieht sich schon mal selbst langsam zurück.

Ingalf nickt, als der Zwerg sich zurückzieht und folgt ihm aus der Höhle hinaus zu den Gefährten.

"Was ist?" raunt Hesander leise. "Wenn wir jetzt nicht eingreifen, haben wir sie irgendwann im Rücken. Die Weise Göttin kann nicht wollen, dass solche Kreatu-ren Deres Antlitz verschandeln."

"Tsa hat diese Wesen erschaffen und sie hat sie so ge-wollt. Warum sie töten, wenn sie uns nichts getan ha-ben? Bevor wir sie töten, würde ich sie lieber einsper-ren, aber da wir das nicht können, lassen wir sie ein-fach in Ruhe und kümmern uns um den Raum, wo Euer Gefährte liegen sollte! Und zwar schnell, ich will den Himmel wiedersehen."

Grisbart murmelt noch irgendwas in den Bart, dass er kein Boronsdiener sei und auch kein Assassine und geht leise zum nächsten unerkundeten Raum vor.

"Da hat er recht! Das wohl!" stimmt Ingalf dem Zwerg zu.

Erschrocken sieht Edric den Geweihten an. Solche Worte ist er von Hesander gar nicht gewohnt! Viel-leicht schlägt ihm die dunkle Enge wie auch allen an-deren aufs Gemüt und er reagiert überreizt.

Der Hirte entschließt sich, dem keine weitere Bedeu-tung beizumessen und gesellt sich wieder zu Ingalf, der wohlbehalten zurückgekommen ist.

Auch Rovena funkelt den Hesinde-Geweihten böse an. 'Es sind doch keine Kreaturen eines üblen Schwarzmagiers … sondern Sumus Kinder …' denkt sie erzürnt. Sie weicht Elgar nicht von der Seite. Doch wohin nun? In die Höhle, aus der die Gefühle der Fressgier kommen, zieht es sie nicht, welches Tier lässt sich schon gern beim Fressen stören?

"Ich vermute dämoniden Einfluss, aber das kann spä-ter untersucht werden." Die halten mich wohl für einen völligen Idioten, denkt sich der Draconiter, sie werden schon sehen, was sie davon haben nicht auf ihn gehört zu haben.

So bleiben noch der Gang mit den Ratten … beklom-men schaut sie dem Zwerg hinterher. Wo will er hin?

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Die RiesenspinneAls einziges war die Gruppe noch nicht in der Höhle, wo Fressgefühle zu verspüren waren, und in dem Gang, wo die Ratten zum ersten Mal wahrgenommen wurden.

Leise bewegt er sich in Richtung des Raums mit den Fressgefühlen. Hier hätte er am ehesten ein Opfer ver-mutet. Wenn der Aranier in dem Rattengang liegt, wird wohl eh nicht mehr viel von ihm übrig bleiben.

Falls irgend jemand ihm vorher klar macht, dass die anderen erst die Ratten untersuchen möchten, dann wartet er natürlich so lange. Falls nicht, wird er in den Gang mit den Fressgefühlen schleichen und den an-deren bedeuten, dass diese erst einmal zurück bleiben.

Ingalf murmelt mehrmals etwas von "… hab ich doch gleich gesagt … immer rechts rum … jetzt haben wir den Salat …" und bleibt dem Zwerg auf den Fersen.

Als sie in den Gang der Höhle kommen, nimmt er sei-ne Orknase fester in die Hände und versucht ebenfalls leise zu sein.

Diesmal sind keine Fressgefühle mehr zu verspüren. Stattdessen empfangen die beiden Erkunder Zufrie-denheit und Sättigung. Als Grisbart und Ingalf voran-schleichen, öffnet sich vor ihnen wieder eine Höhle, in der sich auf den ersten Blick diesmal nur eine Spinne aufzuhalten scheint. Diese Spinne ist aber fast doppelt so groß wie alle bisher gesehenen Spinnen.

Grisbart und Ingalf sind sich ganz sicher, dass sie kei-nerlei Geräusche beim Schleichen von sich gegeben haben. Trotzdem wendet die Spinne sich ihnen plötz-lich zu, und die Helden verspüren auf einmal einen Gedanken: "Ihr wollt mich töten, Zweibeiner!"

Dann greift die Spinne an, und den beiden brandet eine Woge von Wut-, Schreck- und Hassgefühlen ent-gegen. Der vorn stehende Grisbart kommt kaum dazu, sein Beil zu heben, als die Spinne auf ihn Hel-den zugestürmt kommt. Glücklicherweise geht der erste Biss der gewaltigen Zangen ins Leere. Und dem zweiten Angriff kann Grisbart nur mit Mühe auswei-chen.

Ingalf versucht, alle Gedanken an die Tötung der Spinne zu unterdrücken, er ruft laut: "Nein, wir wol-len keinen töten, wir wollen nur unseren Freund! Wenn wir ihn gefunden haben, dann lassen wir euch in Ruhe!"

Edric ist von den Gefühlen der Spinne für einen Mo-ment wie gelähmt. So intensiv hat er die Spinnen bis-her nicht gefühlt. Und dann war da noch der klare Gedanke der Spinne: "Ihr wollt mich töten"!

Aus Ingalf Ausruf und den Geräuschen aus der Höhle interpretiert er, dass sich die Spinne nicht nur mit Denken begnügt, sondern sein Freund in Gefahr ist. Er hebt seinen Stab an und eilt seinem thorwalschen

Freund zu Hilfe. Dabei lässt er sich von niemandem aufhalten.

Rovena fühlt den Gedanken und die Hassgefühle der Spinne, bevor sie diese sehen kann. Sie schreit auf, drückt sich an die Gangwand, um niemandem im Weg zu stehen, und versucht ihrerseits, der Spinne ihre Gedanken verbal und empathisch zu vermitteln. "Halte ein, Vielbeiner, wir kommen nicht zu töten. Ei-nes unserer Männchen wurde von euch verschleppt, lasst ihn frei und wir kämpfen nicht!"

Sie weiß nicht, ob ihre Gefühle zu der Spinne vor ih-nen durchdringt, sie hält tapfer ihrer Stab abwehrbe-reit in der Hand und fühlt nach dem Haar um ihren Finger …

Der Draconiter drängt hinter her, um seinen Gefähr-ten ggf. zur Hilfe eilen zu können, sei es medizini-scher oder kämpferischer Art.

'Ich sagte es doch,' denkt er still, 'Was wenn sie jetzt mit Gedankenkraft die anderen beiden Spinnen zu Hilfe ruft, dann sitzen wir in der Falle. Ein wenig ängstlich schaut er in den Gang zurück.

Elgar folgt durch den Höhleneingang und sieht den Angriff der Spinne unmittelbar, nachdem sie ihre Ge-danken mitgeteilt hat.

Mit völliger Ruhe aber deutlicher Willenskraft denkt Elgar in Richtung der Spinne und wiederholt die Wor-te laut, damit alle sie hören können: "Wenn wir Dich töten wollten, wärst Du schon tot!" Drohend hebt er seinen Stab, lässt das Ende hell leuchten und schwenkt ihn einmal über dem Kopf. "Haltet ein!" ruft er mit dröhnender Stimme.

Nachdem Grisbart von der Schnelligkeit der Spinne doch sehr überrascht wurde, versucht er, sich links herum in den Raum zu bewegen, um Platz für andere Kämpfer zu machen.

Auch wenn er nicht daran glaubt, dass die Spinne die Gefühle der Gefährten aufnehmen kann, sondern nur ihre eigenen abgeben kann, wird er erst einmal versu-chen, nur die Angriffe abzuwehren. Erst wenn ein an-derer draufhaut oder mehrere Angriffsversuche hinter sich hat, wird er keine Zurückhaltung mehr kennen.

Aber erst einmal defensiv kämpfen, um zu sehen, wie die Spinne auf die Worte des merkwürdigen Zauber-schleuderers reagiert.

Die Spinne reagiert nicht wahrnehmbar auf die Frie-denssignale der anderen. Die mörderischen Gefühle werden sogar noch stärker, als die Spinne immer wie-der zubeißt, Grisbart ihren Angriffen aber gekonnt ausweicht.

Und es kommt ihm niemand anderes zu Hilfe!

Edric, der ursprünglich seinem Freund Ingalf beiste-hen wollte, bemerkt, dass sich die Spinne nicht be-sänftigen lässt und es auf Grisbart abgesehen hat.

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Ohne Furcht zu zeigen, versucht er, die Spinne abzu-lenken, indem er sie von der Seite her angreift. Er hofft, den Zwerg zu unterstützen, denn ewig kann er mit seinen kurzen Beinen und dem ganzen Rüstzeug den wütenden Attacken Spinne nicht ausweichen können.

Als Ingalf den Tanz Spinne-Zwerg sieht, kommt er seinem Gefährten umgehend zur Hilfe. Er wird die Spinne mit der Orknase angreifen und den Kampf ge-gen die große Spinne aufnehmen.

Und jetzt geht es rund! Ingalf behält einen kühlen Kopf und schätzt, dass er und Grisbart zusammen überhaupt keine Chance gegen die Spinne hätten, wenn diese mit weniger Wut kämpfen würde.

Ingalf greift an, verfehlt aber die Spinne. Die wendet sich ihm zu und trifft sofort. Ingalf bereitet sich auf die Wirkung des Giftes vor, aber außer dem Schmerz des Bisses, der seine Kleidung durchdringt, ist nichts zu spüren.

Ingalf fühlt den Schmerz deutlich, aber er wird nicht schwächer noch werden seine Arme schwerer oder der Blick undeutlicher. Der Schmerz pulst ihm aber durch das Bein, daher ist sein Angriff nicht optimal.

Jetzt schlägt aber Grisbart zum ersten Mal richtig zu. Eigentlich müsste er treffen, aber im letzten Moment weicht die Spinne aus. Beim nächsten Angriff ist es genauso.

Und dann beißt die Spinne Ingalf zum zweiten Mal. Ingalfs Gegenangriff wird fast schulmäßig von den Spinnenzangen pariert. Dafür landet Grisbart, der gleichzeitig mit Ingalf angreift, seinen ersten Treffer. Als der sein Beil zurückzieht, schimmert Spinnenblut an der Schneide. Das Tier ist nicht unverwundbar. In der nächsten Kampfrunde ist es genau umgekehrt: Grisbart und die Spinne parieren ihre gegenseitigen Angriffe, aber Ingalf lässt die Spinne seine Orknase schmecken.

Zu der rasenden Wut kommen jetzt Schmerzgefühle der großen Spinne hinzu.

Als Ingalf von der Spinne gebissen wird, durchzuckt der Schrecken Edric sichtbar. Er hebt schon seinen Stab zum Angriff und macht einen Schritt auf Ingalf zu, um diesen zu schützen, doch der große Thorwaler fällt nicht in Ohnmacht wie beim ersten Mal. Erleich-tert, dass sein Freund nun auch gegen das Gift immun scheint, bricht der junge Hirte seinen Angriff ab, da er mit seinem Stab vermutlich keinen großen Einfluss auf den Verlauf des Kampfes nehmen könnte.

Die Äxte der Beiden haben gerade bewiesen, dass sie besser geeignet sind, um den Panzer zu knacken.

So wartet er ab und ist breit, den Kämpfern im Notfall beizustehen.

Die Gefühle der Spinne verdrängt er aus seinen Ge-danken, sie selbst ist Schuld an ihrem Tod, schließlich

scheint sie intelligenter und begabter zu sein, als alle übrigen Spinnen, denen sie bisher begegnet sind.

Die Gefühle decken sich mit denen Ingalfs, der zweite Biss hat ihm nicht wirklich gepasst und auch seine Wut - und sein Schmerz - steigen. Hatte er es zu An-fang nur auf die Rettung des Zwerges angelegt, will er jetzt den Tod der Spinne.

Und nun greift auch Elgar ein: Mit einem lauten und deutlichen "Oculis orbatis sis!" schleudert er der Rie-senspinne einen Geist-Blitz entgegen, der sie für eini-ge Augenblicke erblinden lassen sollte.

Ohne etwas tun zu können, steht die Hexe am Höh-leneingang und muss zusehen, wie Ingalf durch die große Spinne gebissen und verletzt wird, doch zu ihrer großen Erleichterung fällt der Thorwaler diesmal, wie auch Edric zuvor, nicht ohnmächtig um. 'Warum hast du nicht auf uns gehört und den Angriff abgebrochen?' wirft sie der Spinne stumm in Gedan-ken vor, als sie die Schmerzen des Tieres spürt. Sie versucht, dem Tier die Gedanken an eine sich zurück-ziehenden Spinne zu schicken, die nicht mehr ange-griffen wird. Aber sie zweifelt, ob die Spinne diese auch in der Art wahrnehmen kann, wie sie selber die Gefühle der Spinne empfindet.

Es ist heute anscheinend nicht Elgars Tag - schon wieder scheitert er mit dem elementaren Blitz-Zauber. Vielleicht sollte er beim nächsten Mal doch lieber die korrekte Formel benutzen.

'Eigenartig!' überlegt Elgar schnell. 'In der Ausbildung hieß es immer, die Bosparano-Formel sei sicherer … egal!' So hebt er erneut an, ohne sich einschüchtern zu lassen: "Blitz dich find, werde blind!"

Schon wieder kein Erfolg! Die Götter scheinen Elgar einen erfolgreichen Zauber nicht zu gönnen.

Hesander stößt ein murmelndes Stoßgebet aus. 'Weise Herrin, lass diese Kreatur erkennen, dass meine Freunde Ihr nicht feindlich gesinnt sind, und Herrin, gebe unseren Freunden die Weisheit das richtige zu tun.'

Die Wege der Götter sind unergründlich. Der Kampf geht jedenfalls mit unerbittlicher Härte weiter.

Grisbart versucht langsam, sich weiter zur Seite vor-zuarbeiten, damit die Spinne richtig in die Zange ge-nommen ist. Er greift mit mehr Kraft an und vernach-lässigt etwas seine Verteidigung.

Laut genug ruft er zu Ingalf: "Hey, Großer, lass uns das Vieh mal richtig in die Zangen nehmen. So lang-sam wirds lustig."

Die Wunden Ingalfs scheint er nicht wahrgenommen zu haben.

Mit einem gefährlichen knurrenden Unterton in der Stimme antwortet Ingalf: "Das wohl! Bei Swafnir,

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nehmen wir das Vieh in die Zangen und treiben das Leben aus ihr raus!"

Die nächste Attacke der Spinne gilt Grisbart Und jetzt spürt er, wie es ist, von den mächtigen Zangen gebis-sen zu werden. Sein Kettenhemd schützt ihn aber vor stärkeren Verletzungen.

Grisbarts Angriff hätte jedes andere Lebewesen getrof-fen, aber die Spinne scheint zu spüren, wann und wo-hin Grisbart genau schlagen will. Aber zwei Angriffen gleichzeitig kann sie nicht ausweichen, so kann er we-nigstens einen Treffer landen.

Es geht noch ein paar Mal hin und her. Grisbart wird auch noch einmal gebissen, aber mit einem letzten ge-waltigen Schlag wird die große Spinne endlich nieder-gestreckt. Urplötzlich erlöschen ihre bis zum Schluss hasserfüllten Gefühle.

Ingalf atmet tief durch. Er spürt, dass die Wut, die er fühlt nur noch seine eigene ist. Aber das Ziel seiner Wut existiert nicht mehr, daher beruhigt er sich auch relativ schnell wieder und mit dem Abbau der Wut und der einsetzenden Entspannung machen sich die Schmerzen der beiden Zangenbisse wieder bemerkbar.

Edric sieht wie die beiden Kämpfer mit gewaltigen Hieben die Spinne zu Strecke bringen. Das urplötzli-che Fehlen ihrer Gefühle ist ein sicherer Indiz dafür, dass sie besiegt wurde. Allerdings ist die auftretende Leere, die diesen hasserfüllten Empfindungen so plötzlich gefolgt ist für den jungen Hirten sehr unan-genehm. Es ist als verberge sich eine neue Gefahr da-hinter.

Er sinkt einige Flüche ausstoßend neben der Spinne nieder. "Verdammt! Au! Warum müssen den diese doofen Ameisen und Spinnen einem immer inne Bei-ne beißen? Bei Swafnir, das ist doch zum verrückt werden! … Heiliger Klabautermann! … Argh, wenn das Vieh nicht schon tot wäre! …"

Schnell eilt der Junge zu seinem Freund und stützt ihn. "Komm setz' Dich, und zeig mir die Beine." Er untersucht die Bisswunden während er weiter spricht. "Merkst Du etwas von dem Gift? Werden die Beine taub?"

"Nö", meint Ingalf etwas verlegen, "es ist kein Gift zu spüren, soweit alles okay, aber die beiden Bisse hatten es auch schon in sich. 'N kleiner Verband und ein paar Minuten Pause, dann sollte es wieder gehen!"

Ingalf versucht, seine Hose bis über die Bisswunde zu ziehen und lässt sich dann weiter untersuchen.

Nachdem die große Spinne zusammengebrochen ist und ihre Gefühle erloschen sind, betritt Rovena vor-sichtig die Höhle und schaut sich um, wem der beiden verletzten Kämpfer sie nun als erstes helfen sollte. Da Ingalf am Boden sitzt, geht sie sofort zu ihm. "Lass mich mal sehen", bittet sie den Thorwaler, der die Bisswunden freilegt. Beide Verletzungen sehen nicht

schön aus, die Zangen der Spinne haben blutende Wunden geschlagen.

Die junge Hexe überlegt, wie sie Ingalf nun am besten behandeln soll, damit die Blutung gestillt wird und sich seinen Verletzungen ohne Entzündungen schlie-ßen können. Ihnen stehen noch die Gänge mit dem Wasser und den Ratten bevor, also müssen Ingalf Ver-letzungen ordentlich versorgt sein, möglichst so, dass die Blutungen gestillt werden und die Wunden sich schließen. Sie sucht in ihrem Tuchbeutel nach ihre Flasche mit dem Heiltrank. Die fremde Flasche mit der grünen Flüssigkeit lässt sie lieber erst mal unbe-achtet, jetzt ist nicht die Zeit für Experimente, nicht bei Ingalf, dessen Stärke und Kampfeskunst für die Gruppe im Moment so wichtig sind.

Vorsichtig öffnet sie ihre Flasche und gibt eine Portion auf ihren Löffel. "Nimm das ein, Ingalf, es stillt die Blutungen und wenn du dich ein bisschen schonst, können wir dann gleich weiter", weist sie ihn an, ver-packt die Flasche wieder sorgfältig und beginnt die Wunden zu reinigen und Verbände anzulegen, um sie vor weiterem Schmutz zu schützen.

Ingalf grinst die Hexe an und nimmt mit einem "Dan-ke" den Löffel mit dem Heiltrank entgegen und schluckt auch artig.

Als Rovena sich um Ingalf kümmert, macht ihr Edric nur unwillig Platz. Schließlich hat er doch schon mit der Untersuchung angefangen! Außerdem ist er sich sicher, seinen Freund ebenfalls behandeln zu können. So steht er betreten daneben und sieht dem Treiben zu.

Der Draconiter sichert wieder nach hinten in die Gän-ge, um nicht von den beiden verbleibenden Spinnen überrascht zu werden. Er fühlt sich darin bestätigt, dass die Spinnen dämonischen Ursprungs sind und nicht Geschöpfe Tsas, woher sonst 'menschliche' Ge-danken/Emotionen. Sie hätten die anderen beiden Spinnen töten sollen.

Im Gang ist alles ruhig.

Ingalf sieht - immer wieder fasziniert von der Magie eines Heiltranks - zu, wie sich seine Wunden schlie-ßen und die Blutungen aufhören. Die Spinnenbisse waren allerdings kräftiger als der Heiltrank, so dass nicht schon sofort alle Narben verschwinden.

Aber er fühlt sich wieder soweit gestärkt, da er auf-steht, seine Hose wieder herunterkrempelt, die Orkna-se in die Hand nimmt und seine Gefährten anblickt: "Hier sind wir fertig! Suchen wir weiter!"

Er geht - mit leichtem Humpeln - aus der Höhle hin-aus und in Richtung des Rattenganges.

Ohne sich näher dafür zu interessieren, nimmt Elgar seine Umgebung und die Versorgung der beiden Ver-letzten wahr.

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Dabei fällt ihm auf, dass in der Mitte der Höhle noch etwas liegt. Er schaut genauer hin und sieht drei Spin-nenbeine und den angefressenen Rest eines Spinnen-körpers. Das war wohl eine normale, kleine Spinne.

Er selbst stützt sich schwer auf seinen - wieder erlo-schenen - Stab und murmelt unverständliche Worte vor sich hin. Ein interessierter und "kundiger" Gefähr-te, der ihm länger zuhört, mag erkennen, dass er ver-sucht, sich die Unfähigkeit zu erklären, hier unten den Blitz-Zauber zu wirken, der doch schon funktio-niert hatte.

Für den Magier scheint das ein schwerer Schlag zu sein.

"Seht mal!" ruft er schließlich überrascht aus. "Entwe-der sind das Kannibalen, oder die große Spinne gehört zu den 'Feinden' der kleinen Spinnen. Erstaunlich!" Er tritt näher heran, um sich die getötete Spinne ge-nauer ansehen zu können.

Es sieht so aus, als ob die Einzelteile der getöteten Spinne auseinander gerissen worden sind.

"Manchmal ist es bei den Tieren doch so, dass die Weibchen erheblich größer sind als die Männchen. Und nach der Paarung töten die Weibchen ihren Part-ner." wirft Edric nachdenklich ein. Einen Schluss dar-aus zu ziehen, überlässt er den anderen.

"Meinst Du, dass dies ihre Königin war?" fragt Elgar direkt nach.

Leise tritt Rovena an Elgar heran. "Ob Königin, wie bei Ameisen und Bienen, wer weiß; er scheint jeden-falls nicht flink genug gewesen zu sein …" murmelt sie leise und betrachtet die Überreste der kleineren Spinne mit einem kurzen Aufblitzen in ihren vereng-ten, smaragdgrünen Augen. "Vielleicht konnte sie die Männchen hier in dem Bau mit ihren Gefühlen steu-ern …" Sie schaut sich um und sieht Hesander am Höhleneingang wachen. "Doch es ist ruhig geblieben, trotz ihrer ausgesandten Hass- und Schmerzgefühle. Seltsam … ich hätte erwartet, dass sie ihr zur Hilfe ei-len." Irgendwie traut sie der Ruhe nicht.

Edric nickt bestätigend zu den Worten. "Das war kei-ne Königin. Die sind besser bewacht." erklärt er. "Habt Ihr …", er senkt den Blick und verstummt, "Hast Du nie mit einem Ameisenhaufen gespielt? Ich kann Dir sagen: Da ist was los, wenn mal ein Schaf unachtsam genug war und dort hinein getreten ist."

Der Draconiter hat vom Höhleneingang die Unterhal-tung von Rovena und Edric verfolgt: "Mal im Ernst,"

wirft er ein:"Glaubt Ihr wirklich, dass dies natürliche Geschöpfe sind? Ich glaube nicht, dass wir hier nach Tsas Lehren vorgehen können. Vielleicht ist eine ma-gische Aura fühlbar?" Sein Blick geht Richtung der Hexe und des Magiers. "Auch ist es nicht natürlich, dass Spinnen telekinetische Kräfte haben, oder sollten sich die Weisen in all den Jahrhunderten geirrt haben? Ich vermute, dass wir es hier mit übernatürlichen Kräften zu tun haben."

Auf Edrics Stirn bilden sich kleine Falten, da die Het-frau sie doch ausgeschickt hat, um dieses Land zu er-kunden und zu zeichnen.

'Waren die >Weisen< schon vor hunderten von Jah-ren hier? Falls dem so ist, bräuchten wir uns hier doch nicht abrackern. Falls nicht, muss doch nicht alles Un-bekannte dämonischen Ursprungs sein.' Edric behält seine, für ihn ungemein weltoffenen Gedanken, für sich. Auf eine Diskussion mit dem Draconiter wird er sich nicht einlassen. Weder jetzt noch später.

"Eure Haltung ist mir unverständlich." erklärt er He-sander leicht gereizt. "Die Astrale Kraft, in welcher Form sie sich auch immer manifestiert, ist nichts Un-natürliches. Obwohl ich zugebe, dass sie ungewöhn-lich zu sein scheint, schließlich stellt sie eine Verbin-dung der sphärischen Ebenen über deren Grenzen hinweg … aber ich schweife ab." kürzt er seinen Vor-trag rechtzeitig.

"Glaubt mir, Dämonen und widernatürliche Wesen-heiten sehen anders aus. Diese Spinnen sind 'begabt'. Anders vermag ich es nicht zu sagen." Der Klang der Worte stellt klar, dass Widerspruch hiergegen keinen Zweck hat und Elgar die Diskussion für beendet hält.

Schweigend und leicht den Kopf schüttelnd hört Ro-vena dem Disput der beiden Gelehrten zu und verzieht nur spöttisch den Mund. Der Geweihte scheint nichts von den Vertrautentieren der Töchter Satuarias zu wissen, die über eine schwache Magie verfügen und mit den Hexen in übersinnlichem Kontakt stehen, ohne Geschöpfe von Dämonen zu sein. Und nicht nur Katzen und Raben gehören dazu, sondern man er-zählt sich auch von Schwesternschaften, deren Ver-traute unten den Spinnen zu suchen sind. Aber wenn er davon nichts ahnt … wer weiß, wozu das gut ist …

"Kommt, lasst uns Ingalf folgen, wir sollten weiter nach Melachath suchen, solange alles ruhig ist", for-dert sie die beiden auf und folgt Ingalf, der sich schon auf den Weg macht, in dem noch nicht von ihnen er-forschten Gang mit den Ratten weiter zu suchen.

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3. Tag: Der Rattengangorsichtig machen sich die Helden auf den Weg zum bislang letzten unbekannten Gang, den

Rattengang.VVIngalf will gerade nach links in ihn einbiegen, da spürt er, wie sich von rechts eine Spinne nähert. Die Gruppe verharrt, und die Spinne geht vorbei - in den Ratten-gang hinein.

"Hab' ich's nicht gesagt?" fragt Ingalf. "Ich wollte gleich hier hin, und wenn die Spinnen das auch wol-len, dann sind wir wohl auf dem richtigen Weg!"

Dann geht es weiter. Ingalf führt, dahinter sind Gris-bart, Edric und Rovena. Elgar und Hesander machen den Abschluss.

Ingalf nähert sich gerade dem leichten Knick nach rechts, bis zu dem die Helden schon bei der ersten Er-kundung vorgedrungen waren, da ertönt von hinten erst ein Quieken und dann ein Pfiff. Nur einem der Helden ist sofort klar, was es damit auf sich hat, bei den anderen braucht es etwas länger. Elgar ist einer der Ratten auf den Schwanz getreten, und diese Ratte hat den Pfiff ausgestoßen. Die ehemals friedlichen Tiere greifen die Helden sofort an.

'Klar! Ich komm aus dem Urwald! Ich kann mich lautlos bewegen! Aber die Ratten unter meinen Füßen nicht!' denkt sich Ingalf mit leichter Schadenfreude.

Elgar und Hesander werden von je zwei Ratten ange-fallen, die anderen nur jeweils von einer.

"Beeilt euch mit den Viechern!" raunt Ingalf seinen Gefährten zu. "Hier kommen die Spinnen durch und die sind schlimmer als die Ratten! Und versucht, leise zu sein!"

Er versucht, sich der angreifenden Ratte durch einen gezielten Tritt zu entledigen. Die Orknase ist nicht angebracht.

Nach dem dritten Tritt hat er das Biest endlich erwi-scht, ohne selbst gebissen zu werden. Elgar ist gleich-zeitig mit ihm mit seinen zwei kleinen Gegnern fertig.

Grisbart lässt sein Beil fallen, zieht einen Dolch aus seinem rechten Stiefelschaft und spießt "seine" Ratte gekonnt auf. Er schaut sich um, ob einer seiner Ge-fährten ihn braucht, und sieht gerade noch, wie Rove-na ihrer Ratte mit dem Stiefelabsatz den Kopf zer-quetscht.

Hesander erwischt beide Ratten nacheinander mit ei-nem Schlag gegen den Körper das reicht schon.

Edric macht es genauso.

Nach wenigen Sekunden mit minimaler Geräusch-entwicklung liegen acht tote Ratten auf dem Gangbo-den. Und für den Moment sind keine weiteren Ratten zu sehen.

"So, das waren die Viecher!" meint Ingalf halblaut. "Wenn die so sind,wie die auf den Schiffen, dann soll-ten die anderen sich jetzt 'ne Zeit lang nicht mehr bli-cken lassen! Aber wir sollten die noch beiseite schie-ben, die Spinnen müssen ja nich' drüber stolpern …"

Während er denn letzten Satz sagt, kickt er eine tote Ratte in eine dunklere Ecke des Ganges.

Als seine "Gegner" besiegt sind und die anderen auch gewonnen haben, raunt Elgar den Gefährten zu: "Lasst uns vorsichtig weitergehen. Ingalf, du voran." fordert er den Thorwaler auf.

Er selbst bildet mit Hesander wieder den Schluss.

Rovena schleudert noch die von ihr erlegte Ratte mit einem Fußtritt an die Seite des Ganges, bevor sie El-gars Aufforderung Folge leistet und sich hinter Edric einreiht. Angespannt lauscht sie, ob sich noch weitere Ratten oder gar Spinnen bemerkbar machen.

Hesander starrt verächtlich auf die toten Nagetiere und murmelt kaum hörbar etwas gedankenverloren: "Mögen uns die Götter vor noch Schlimmerem als Spinnen und ein paar Ratten bewahren. Rattenkin-dern möchte ich hier nicht begegnen …"

Hier im hinteren Bereich haben sich die Ratten erst einmal verzogen. Und von Spinnen ist momentan auch nichts zu spüren.

Ingalf geht vorsichtig vorweg. Irgendwo muss dieser Gang ja hinführen und da sind die Spinnen und hof-fentlich auch der Aranier.

Hinter dem Rechtsknick geht der Gang geradeaus weiter, soweit das Auge reicht (also wohl so fünf Schritt weit). Da sind auch wieder Ratten zu sehen. Genau in der Mitte der Sichtweite gibt es noch eine Abzweigung nach links.

"Und nu'?" fragt Ingalf in die Runde. "Tasten wir uns an der rechten Wand entlang oder gehen wir nach links?"

Misstrauisch beäugt die junge Hexe die Ratten voraus. Sie hat immer noch das hässliche Knirschen des unter ihrem Stiefel zerquetschten Rattenschädels in den Ohren.

"Werfen wir einen Blick in den nach links abbiegen-den Gang, wenn dort keine Ratten herum rennen. An-sonsten halten wir uns lieber an deine Vorgehenswei-se, um den Ausgang wiederzufinden, oder?" bemerkt sie leise auf Ingalfs Frage. Ihr ist es gleich, welchen Weg sie als erstes geht, doch so langsam möchte sie hier schleunigst wieder raus, und das möglichst mit Melachath.

Edric nickt Ingalf zu, als würde er sagen wollen: "Geh Du voraus, ich werde Dir folgen."

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Hesander schaut kurz in Richtung der beiden alterna-tiven Wege und meint dann: "Da niemand von uns weiß, wohin diese Gänge führen, müssen wir sie wohl einzeln ausprobieren. Wählen wir also den rechten Weg."

"Der war gut." meint Elgar trocken und schließt sich der Gruppe an, welchen Weg sie auch wählen werden.

Ingalf, der ebenfalls über den Humor des Geweihten erstaunt ist, geht einfach den Weg geradeaus weiter.

'Geht doch', denkt sich Hesander und folgt Ingalf an dritter Position.

Ein Blick nach links zeigt, dass es sich wirklich um einen Gang handelt.

Nach wenigen Schritten kommt wieder eine Abzwei-gung nach links. Wie vorher verabredet, geht Ingalf erst einmal weiter. Grisbart folgt ihm, aber Hesander bleibt unvermittelt stehen.

"Was ist los? Warum bleibt Ihr stehen?" raunt Rovena dem Geweihten zu. Sie ist durch seinen plötzlichen Halt beunruhigt und schaut nach vorn, um zu sehen, ob Ingalf und Grisbart ebenfalls anhalten.

Ingalf hört die Stimme von hinten, bleibt stehen und dreht sich um: "Was is' los? Is' dir jetzt rechts nicht mehr recht?"

Grisbart verdreht entnervt die Augen, dreht sich um um und fragt einfach nur: "Was?"

"Unser göttlicher Beistand steht!" antwortet ihm der Thorwaler.

Auch Edric hält inne. Hesander wird einen Grund ha-ben, stehen zu bleiben. Deshalb schaut er sich auf-merksam um.

Es ist aber nichts besonderes zu sehen.

Hesander hebt die Hand und macht mit dem vor den Mund gehaltenen Finger die allseits bekannte Geste, ruhig zu bleiben.

Dann konzentriert er sich auf das Gemurmel. Hat er sich getäuscht oder war da wirklich etwas?

"Ich glaube hier in der Nähe sind Stimmen", flüstert er demjenigen zu, der ihm am nächsten steht.

Dann konzentriert sich Hesander wieder auf die Ge-räusche, die er meint vernommen zu haben.

Ja, eindeutig! Aus diesem nach links abzweigenden Gang ist ganz leise eine menschliche Stimme zu hö-ren.

"Stimmen?" haucht Rovena nur und lauscht ange-strengt. 'Melachath …?' ist ihr einziger Gedanke und sie versucht, wie Hesander, die Quelle der Stimmen, die er gehört haben will, auszumachen.

Jetzt, wo alle mucksmäuschenstill sind, ist eine Stim-me (oder sind es mehrere?) zu hören. Es ist nicht zu verstehen, was gesagt wird. Nur ein fast monotones Murmeln ist wahrnehmbar.

Hesander flüstert den anderen zu: "Es kommt von dort. Vielleicht ist hier dunkle Magie oder sonst ein Frevel am Werk. Lasst uns leise nachsehen."

"Wieso 'dunkle Magie'?" fragt Elgar mit einem Stirn-runzeln zurück. "Magie ist nicht 'dunkel', sondern höchstens die Absichten ihrer Anwender können es sein. Aber Ihr habt Recht. Folgen wir den Stimmen." und schon macht er sich auf den Weg in den Gang.

Hesander schaut den Magier an und hebt eine Augen-braue, dann flüstert er: "Lasst uns ideologische Dis-kussionen auf später verschieben."

Aber das scheint Elgar nicht mehr gehört zu haben, jedenfalls geht er mit keiner Silbe darauf ein, sondern setzt seinen Weg fort.

Vorsichtig und langsam geht er voran, immer darauf bedacht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen und nach Möglichkeit rechtzeitig anzuhalten, um dem Ge-murmel zu lauschen.

Rovena versucht, dem Magier möglichst lautlos zu fol-gen, ihren Stab hält sie abwehrbereit in der Hand. Sie ist aufs äußerte angespannt, dieses monotone Gemur-mel lässt sie nichts Gutes erwarten, es klingt für sie nach einer Beschwörung … hoffentlich ist dem Ara-nier nicht noch schlimmeres geschehen als von den Spinnen gebissen worden zu sein …

'Oh es gibt wohl Magie, die nicht gut sein können. Das wohl.' denkt sich Ingalf, als plötzlich vor seinem inneren Auge die Erlebnisse mit Sephyra und Frumol in der alten Schlossruine im Sumpf ablaufen.

Er sieht den kleinen Alrik, wie ihm der Lütte die Lampe hält; Alriks Schwester, wie sie nackt im Penta-gramm diesem Vampir geopfert werden soll.

Er sieht Sephyra den ganzen jungen Körper mit Ver-brennungen übersät. Plötzlich schmerzt eine alte, schon lang verheilte Narbe an seinem Brustkorb wie-der. Er versucht, den Zauberer, bevor er in den Gang verschwinden kann, zu halten und flüstert ihm zu: "Pass man bloß auf, dass du nicht in eine Falle tappst beim Ranschleichen!"

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3. Tag: MelachathEntdeckung

eim Voranschleichen wird klar, dass nur das Sprechgeräusch einer Person zu vernehmen ist.

Dann ist auch schon der kurze Gang zu Ende. Im grünen Licht der Pilze erscheint eine riesige mehrere Schritt hohe Höhle, deren Decke von Felsensäulen ge-tragen wird.

BB

In 10 Schritt Entfernung sitzt Melachath am Ufer ei-nes kleinen Teiches. Er liest stockend sechs der großen (vermutlich weiblichen) Spinnen aus einem lederge-bundenen Büchlein vor. Die Spinnen wenden den Be-obachtern den Rücken zu, Melachath blickt in das Buch.

Still gebietet Elgar den anderen durch unmissver-ständliche Zeichen, absolute Ruhe zu bewahren und führt die Gruppe danach ein paar Schritte in den Gang zurück.

Dort angekommen flüstert er: "Melachath ist dort. Er liest sechs Spinnen etwas vor, ganz so, als würden sie ihn verstehen." Neugierige Verwunderung ist aus sei-ner Stimmer herauszuhören. Dann fügt er hinzu: "Es dürfte schwer werden, ihn unbemerkt dort heraus zu holen." Mit in Falten gelegter Stirn fragt er: "Vorschlä-ge?"

"Gegen so viele Spinnen können wir nicht kämpfen", behauptet Edric, bevor Ingalf einen heroischen Plan fassen kann, in dem es darum geht, sich den Spinnen zu erst mit Gebrüll entgegenzustellen.

Grisbart guckt den Magier etwas verwundert an. "Äh, Ihr reist mit einem Menschen herum, der mit Spinnen spricht? Und den wollt ihr aus einem Spinnenbau heraus retten? Ist das Euer Ernst? Lasst ihn doch ein-fach hier, er müsste doch glücklich sein …"

Bei Grisbarts Worten runzelt Rovena verärgert die Stirn. Sie hat, bevor die Gruppe sich nun beratschlagt, versucht, durch angestrengtes Horchen zu erfahren, ob sie etwas von dem, was Melachath den Spinnen vorliest, verstehen kann.

So genau hat sie aber nicht zugehört. Um herauszu-kriegen, was Melachath vorgelesen hat, müsste Rove-na noch einmal zum Höhleneingang gehen.

"Wir nehmen sogar goldgierige Zwerge, die genau in dem Moment auftauchen, in dem dieser komische Kauz von den Spinnen entführt wird, in unsere Grup-pe auf, obwohl wir ja eigentlich nur zum Erkunden und nicht zum Kämpfen hier sind."

'Fänd die Hetfrau bestimmt nich allzu toll: "Ach Me-lachath, der sitzt bestimmt noch im Spinnenbau und liest ihnen Märchen vor. Was du jetzt dem Botschafter sagen solltest?"'

"Außerdem mag ich die kunstfertige Art, mit der er sich jeden Tag anmalt. Jedenfalls werd' ich ihn nich' hierlassen, ohne mit ihm geredet zu haben."

"Angroschim, das kann nicht Euer Ernst sein", inter-veniert Hesander flüsternd. "Hört Ihr nicht, wie er liest? So liest niemand, der freiwillig Geschichten er-zählt. Vermutlich zwingen sie ihn dazu - und nur des-wegen bleibt er am Leben."

Dann überlegt Hesander kurz. "Melachath wird nicht ewig weiter lesen", flüstert er. "Lasst uns warten, bis er fertig ist. Vielleicht verlassen ihn dann die Spinnen oder begeben sich zur Ruhe. Dann können wir ihn retten."

"Nur werden die dann nicht allzu glücklich sein, wenn sie merken, dass einige andere Spinnen schon bei Boron sind."

"Und wohin, glaubt Ihr, begeben sich die Spinnen zur Ruhe? Jedenfalls müssen sie hier bei uns vorbei, denn einen anderen Ausgang aus der Höhle habe ich nicht gesehen." berichtet Elgar.

"Also ich kenn hier unten mindestens 3 Höhlen in de-nen grade keine lebendige Spinne ist. In denen könnte man warten, wenn man glauben will, dass die Spin-nen von dem vielen anstrengenden Zuhören nicht doch hungrig geworden sind …

Aber Hesander, du kennst dich doch bestimmt mit so Büchern und Geschichten aus ,oder? Kannst du 'raus-finden, wie weit er schon vorgelesen hat und wie lange er noch lesen müsste, um fertig zu werden?"

Hesander lauscht der Geschichte einen Moment lang und versucht herauszuhören, um welche Geschichte bzw. um welches Buch es sich handelt. Dann riskiert er einen erneuten Blick auf Melachath und versucht, die Dicke des Buches in Erfahrung zu bringen sowie die Stelle (wieviele Seiten rechts und links des Rückens sind), an der Melachath gerade liest.

Nun versucht sie sich nochmals die Höhle, in der ihr hinter Elgar nur ein flüchtiger Blick gewährt war, vor Augen zu halten. "Ich gehe hier nicht mehr ohne Me-lachath weg", murmelt sie leise und starrt den Gang entlang Richtung der riesigen Höhle. "Diese Höhle ist weitaus größer als die vorherigen, die wir gesehen ha-ben. Und es sind Felssäulen zu sehen gewesen. Könn-ten wir uns nicht hinter diesen verstecken, bis die Spinnen genug haben und den Aranier verlassen? Sie haben ihre Aufmerksamkeit auf Melachath gerichtet, vielleicht bekommen sie gar nicht mit, wenn wir uns leise in die Höhle hineinschleichen", schlägt sie zö-gernd, mit einem Blick auf Ingalf und Grisbart, vor.

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Es scheint sich um eine Geschichte mit einem tapfe-ren Helden zu handeln, der gerade ungerechterweise gefangen ist. Melachath ist mitten in dem Buch. Er kann unmöglich seit seiner Gefangennahme schon ganz bis hierher vorgelesen haben.

In diesem Moment steht eine der großen Spinnen auf. Sie trägt einen Fischrest zwischen zwei ihrer Beine und trägt in zur rechten Höhlenwand. Dort schiebt sie eine Steinplatte beiseite, hinter der ein dunkles Loch sichtbar wird. Die Spinne wirft die Reste hindurch und verschließt das Loch wieder.

"Beherrscht jemand von euch mentale Gedankenpro-jektion?" fragt er dann. "Wir könnten den Spinnen ein Illusion erschaffen, die dann statt Melachath liest, während wir ihn mit uns nehmen." überlegt er leise.

'Oder wir setzen ihnen zum Ausgleich den Zwerg hin.'grinst Ingalf in sich hinein.

"Monale Astingsda? Wenn ich wüsste was das ist, dann könnte ich dir auch verraten ob ich das kann oder nicht. Würde eine Melachath Puppe zu basteln nicht ein bissl lange dauern?"

Rovena schüttelt auf Elgars Frage den Kopf. Nein, den Spinnen etwas vorgaukeln kann sie nicht. "Wir müs-sen wohl warten, bis sie ihn allein lassen", vermutet sie leise.

Hesander reflektiert das Gesehene und das Gehörte. Konnte er anhand Melachaths Stimme erschließen, ob er vorliest oder improvisiert?

Hat Hesander den Eindruck, dass Melachath im Grunde seine "eigene Geschichte" mit der Gefangen-nahme berichtet?

Es klingt genau so wie jemand, der vorliest, aber nicht wirklich gut lesen kann. Melachath ist völlig auf das Buch vor ihm konzentriert.

'Seine Unterlippe zitterte, als er sehnsüchtig durch das vergitterte Zellenfenster auf das weite Meer hinaus-schaute.' klingt irgendwie nicht nach Melachaths eige-ner Geschichte.

Wie groß war das Loch? Würden dort auch Menschen und gegebenenfalls Zwerge hindurch passen?

Das Loch könnte groß genug sein.

Hesander kehrt zu den anderen zurück und resümiert flüsternd: "Er liest eine Heldengeschichte vor, jedoch allenfalls ein Kapitel daraus - das ganze Buch kann er unmöglich schon vorgelesen haben - vor allem bei der Geschwindigkeit, in der er liest.

Da ist ein Loch in der Wand, durch das die Spinnen offenbar ihren Abfall entsorgen - vermutlich ein Gang, der möglicherweise zum Wasser führt.

Wir könnten Melachath im Sturm packen und versu-chen durch das Loch zu verschwinden - vielleicht kommen wir da schneller hinaus.

Oder aber wir schauen uns zuerst die anderen Gänge an und überlegen uns dann einen geeigneten Plan."

"Wir müssen die Spinnen da irgendwie fortlocken." überlegt Edric laut, während er darüber nachdenkt, warum Melachath den Spinnen etwas vorliest. 'Und warum hören diese ihm überhaupt zu? Woher hat er denn das Buch?'

"Wie willst du sie aber von Melachath ablenken, ohne dass wir selber in Gefahr geraten?" fragt Rovena nach, die von einem Kampf gegen sechs Spinnen genauso wenig hält wie Edric. "Ich denke eher, wir müssen warten, bis sie eine Ruhepause einlegen, Melachath wird auch nicht ununterbrochen vorlesen können. Mich wundert sowieso, dass sie ihm zuzuhören schei-nen, hatte ich doch den Eindruck, die große Spinne würde gar nicht auf unsere Worte und Gefühle reagie-ren …", fügt sie noch leise in Gedanken hinzu. Diese Spinnen kommen ihr immer seltsamer vor.

"Also lütter Freund der Berge", meint Ingalf sicher-heitshalber zu Grisbart. "Wenn Melachath hier bleiben will, kann er ja in Ruhe wieder zu den Spinnen zu-rück wenn er das wirklich will, nur so wie's aussieht will er das nicht - und ich für meinen Teil hab heute genug 'Zärtlichkeiten' von Spinnen abgekriegt bei Swafnir!"

"Was is eigentlich in dem anderen Gang? Wir wollen doch jetzt hier nicht die ganze Zeit 'rumstehen oder?"

Ingalf glaubt nicht, dass aus einer Diskussion noch sonderlich fruchtbare Ergebnisse entstehen und schubst Grisbart vorwärts in Richtung des unerforsch-ten Rattenganges. Falls Grisbart keine ernsthafte An-stalten macht, wird Ingalf selbst vorgehen. Er achtet diesmal besonders darauf nicht auf Ratten oder Auslö-ser für Fallen/Spinnennetze zu treten.

Edric weiß nicht, wie sich die Spinnen ablenken las-sen könnten, ohne dass sie selbst auf dem Plan er-scheinen. Er nickt zu den Worten der jungen Hexe, denn auch ihm erscheinen die Spinnen immer seltsa-mer.

"Ich weiß es nicht", gibt er zu. "Aber lass uns Ingalf folgen."

"Ja, lasst uns erst mal den Rest der Höhle erkunden." ist Elgar einverstanden. "Aber vielleicht nicht mit der ganzen Gruppe. Jemand sollte hier bleiben und darauf achten, das Melachath auch schön hier bleibt, nicht dass ihn die Spinnen nach der Lesestunde von hier fortschaffen." flüstert er weiter.

"Dann mach mer halt ein paar Knoten schneller und quatschen uns nicht alle 2 Schritt zu Tode, dann sind wir auch rechtzeitig wieder hier. Wir sollten uns hier unten nicht trennen. Wenn Jemand bleiben will, soll er sich melden und bleiben, wir sind aber eh schnell genug wieder hier.", kommt kurz angebunden von In-galf zurück.

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"Ich würde hier bleiben und aufpassen", meldet sich Rovena leise. Jetzt, da sie den Aranier endlich gefun-den haben, möchte sie ihn nicht wieder aus den Au-gen verlieren.

So ganz wohl ist Ingalf bei dem Gedanken daran, das hübsche Hexenmädchen allein zurückzulassen, nicht.

"Sei vorsichtig wir bleiben nicht länger als 'ne halbe Stunde weg. Wenn hier was passiert, renn' uns hinter-her und folg' Isinhas Markierungen. Mach keine Dummheiten." meint er nur kurz, allerdings recht ver-legen.

Mit einem warmen freundlichen Blick nickt er Rovena verstehend zu.

Sodann wendet sich Elgar an Ingalf und schiebt ihn mit einer Hand an der Schulter in Richtung Gang: "Dann los." meint er wortkarg. 'Als ob ich hier lamen-tieren würde.' denkt er sich dabei. 'Dieser Pfaffe macht doch um alles so ein Gewese.'

Rovenas Mundwinkel verzieht sich flüchtig zu einem feinen Grinsen, dann nickt sie gehorsam. "Keine Sor-ge, Ingalf, ich bin vorsichtig", erwidert sie ihm beruhi-gend mit leiser Stimme. "Ich weiß, ihr seid bald zu-rück." Ihr Blick schweift zu Elgar, der neben ihr steht; sie schaut ihn einen Moment vertrauensvoll an.

"Auch ich werde hier bleiben", flüstert Hesander. "Wir sollten hier unten nicht alleine herumlaufen."

"Gut", antwortet die junge Hexe leise, und man merkt ihrer Stimme an, dass sie froh ist, hier in der Nähe der sechs großen Spinnen nicht alleine ausharren zu müs-sen. Wie erst muss Melachath sich fühlen …

Das Rovena soeben geschenkte Lächeln verwandelt sich in einen grimmigen Gesichtsausdruck, als Elgar sich abwendet und mit Ingalf davon stapft.

Weiter im Rattengang"Hey Großer, bleib mal ruhig. Die Spinnen laufen uns schon nicht weg. Ich geh schon." Und Grisbart geht einigermaßen schnell vor, denn eigentlich will er sich den Rest des Ganges nicht so sehr angucken. Vorsicht lässt er natürlich trotzdem walten. Es schadet ja nicht, wenn man versucht ein bisschen leise zu sein.

Er denkt darüber nach, was wohl hinter diesem Loch sein könnte. Er vermutet eher, dass da ein anderer Mensch gefangen ist, der auch vorlesen soll. Dass sich die Spinnen von diesen beiden Menschen vorlesen las-sen und sie wie Vieh halten. Aber die Menschen wer-den schon wissen, was für ihren Freund das Beste ist.

"Und warum fangen Sie dann frischen Fisch?" entgeg-net Edric leicht ungehalten. "Lasst uns weitergehen, anstatt hier herumzuraten."

"Nun, höchstwahrscheinlich gibt es in den Teichen hier keinen 'alten' Fisch zu fangen." entgegnet Elgar

trotz der Situation belustigt. "Aber du hast Recht, lasst uns weiter." treibt er ebenfalls zur Eile.

Edric nickt und wendet sich ab, um dem Gang weiter zu folgen.

"Nach dir Angroschim." und verleiht seinen Worten sanften physischen Nachdruck um dann dem Zwerg in den noch unerforschten Gang zu folgen.

Grisbart, Ingalf, Elgar und Edric folgen also dem wei-teren Verlauf des Rattenganges. Die Ratten scheinen mittlerweile gelernt zu haben, dass sie sich von den Zweibeinern fernhalten müssen.

Nach kurzer Zeit kommt wieder eine Abzweigung nach links, und wieder ist das Murmeln Melachaths zu hören. Als Grisbart vorsichtig um die Ecke schaut, kann er durch den hier nur zwei Schritt langen Ver-bindungsgang direkt in die riesige Höhle blicken. An der Szene hat sich nichts geändert.

Der Rattengang macht einen leichten Bogen nach links, so als ob er um die große Höhle herum führt. Der Geruch nach verfaultem Fisch wird immer stär-ker, je weiter die Gruppe vorankommt.

Elgar bleibt ebenfalls stehen und rümpft die Nase: "Puh!" macht er leise. "Riecht ihr das auch? Das stinkt hier nach Fisch wie in einem thorwaler Räucherhaus - nichts für ungut." meint er entschuldigend mit einem Seitenblick auf Ingalf.

Jetzt, wo Elgar darauf hinweist und die anderen sich darauf konzentrieren, riechen sie es auch: Aus dem Rattengang kommt dringt der Geruch von vergam-meltem Fisch.

"Vielleicht kann euer Freund ja kaum noch lesen, weil er vergammelten Fisch zu Essen bekommt. Vielleicht halten diese Spinnen ihn als Sklaven."

Den Thorwaler haut so schnell nix aus den Socken. erst recht kein Fisch in keiner Form.

Allerdings rechnet er schon damit, dass die Flachland-segler hinter und vor ihm ihrer Übelkeit nachgeben müssen und hält den gehörigen Sicherheitsabstand so-wie ein paar "aufmunternde" Thorwalesprüche bereit.

Zur Not wird er sich den vergammelten Fisch auch al-leine näher anschauen. Ist schließlich wie damals, als er mit den Nachbarsjungen den Beifang …

"Boah! Stinkt das hier vielleicht!" pustet Elgar schwer die Luft aus der Lunge und hält sich den Ärmel vor's Gesicht. "Wir scheinen uns der Abfallgrube zu nä-hern, daher auch die Ratten." vermutet er. Seine Stim-me klingt hinter dem Ärmel irgendwie dumpf …

Edric dachte, ihm könnte der Geruch nichts ausma-chen, doch plötzlich überkommt ihn ob dieses Ge-stankes Übelkeit und ein Würgereiz. Er hält sich die Hand vor den Mund und wendet sich um. Nach ei-nem Moment der Konzentration kann der den Wür-gereiz unterdrücken.

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Ingalf versucht, seinen Freund nicht noch zusätzlich zu belasten, er weiß wie schrecklich Fischgestank auf einige Leute wirkt, er hat schließlich schon genug Leute in der Umgebung von verdorbenen Fisch erlebt.

Mit Schweißperlen auf der Stirn und blassem Gesicht fragt er sich, ob es wirklich Not tut, weiterzugehen, doch stapft er tapfer seinen Kameraden hinterher.

Grisbart scheint völlig unbeeindruckt von dem Ge-stank. Er geht wieder vor. Der Gestank nimmt immer weiter zu, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran, oder die Sinne stumpfen ab. Schließlich - Ingalf hat das Empfinden, dass sie einen Achtelkreisbogen ge-gangen sind - endet der Gang vor einer dunklen Öff-nung. Spinnen sind nicht zu spüren. Das Licht aus dem Gang deutet darauf hin, dass hier eine weitere Höhle kommt.

"Schau mal vorsichtig in die Höhle da vorne, wenn dir der Fisch nicht zu intensiv duftet", meint Ingalf mög-lichst leise zu Grisbart. Er erwartet eigentlich keine Überraschungen, aber so nahe an den 6 großen Spin-nen möchte er keine unnötigen Risiken eingehen.

Noch während Elgar darauf wartet, dass Grisbart der Bitte Ingalfs nachkommt, sieht er sich nachdenklich um. Schließlich wispert er Ingalf zu: "Ich finde nicht, dass dieser Gang uns noch zu interessanten Orten - höchstens einer Müllhalde - führt. Lasst uns umkeh-ren."

"Wenn du einen guten Plan hast, wie wir Melachath da rausholen, mach' ich gerne mit. Bis dahin müssen wir leider erstmal schauen, wie wir ihn da rausholen können und außer die große Höhle irgendwie zum Einsturz zu bringen, indem wir die Säulen einreißen, schwebt mir nix vor. Also schau ich mir noch die gan-ze Umgebung der Höhle an. Wie wir hier nämlich mit Melachath und ungeschoren rauskommen, ist mir nämlich auch noch nicht klar."

Stumm schleicht Grisbart voran und guckt, was in der Höhle ist.

Ohne weiteres Licht ist aber fast nichts zu sehen. "Kann mal jemand Licht machen?"

All seine Selbstbeherrschung zusammen nehmend zwängt sich Elgar an Ingalf vorbei und meint zu Gris-bart: "Hier." während er - ohne irgendwelche Schnör-kelbewegungen mit der freien Hand auszuführen - das Ende seines Stabs erleuchten lässt.

Das Licht von Elgars Zauberstab erleuchtet eine ge-spenstische Szenerie: Der gesamte Boden der sechs Schritt durchmessenden Höhle ist mit Fischabfällen bedeckt. Überall wimmelt es von dicken weißlichen Maden und Ratten. Das Ungeziefer beachtet die Hel-den nicht, es konzentriert sich ganz aufs Fressen.

In der linken Höhlenwand, also in Richtung auf Me-lachaths Vorlesungshöhle, befindet sich eine Gangöff-nung.

Leise flüstert Grisbart den anderen zu: "So so, da kommen wir also auch wieder zu der Höhle. Müssen wir noch irgendeinen Gang erst erkunden oder kön-nen wir wieder zu den anderen zurück?"

Er guckt noch mal zurück und schaut sich die Gang-öffnung noch mal an. Passen da wohl die großen Spinnen durch?

Das müsste wohl gehen. Als die eine große Spinne aber ihren Fischabfall entsorgt hat, ist sie nicht in den Gang hineingegangen, sondern hat den Abfall nur hineingeworfen.

Und wie war das allgemein in Melachaths Höhle: Gab es da noch mehr Gänge?

Grisbart überlegt: Die Gruppe hatte aufgrund ihrer Position, der Größe der Höhle und der tragenden Ste-insäulen nicht die ganze Höhle überblicken können. es ist also nicht klar, ob es noch weitere Gänge gibt.

"Also Höhleneingänge unauffällig verrammeln, Meli rausholen und den Höhlenausgang ganz schnell hin-ter uns lassen oder verschütten. Klingt wie ein guter Notfallplan."

"Interessanter Vorschlag." merkt Elgar an. "Mich stört da nur ein kleines Detail: Wie willst Du so schnell die Höhleneingänge einstürzen lassen, ohne dass wir bei entsprechenden Vorbereitungen gestört und/oder un-terbrochen werden?" zweifelt er.

"Und wenn keiner von euch den Fischgeruch braucht wie Säufer das Premer Feuer können wir Rovena und Hesander erstmal wieder aufsammeln. Passt man auf, wenn wir an dem kurzen Eingang vorbei müssen, dass die uns nicht noch aus Versehen bemerken."

Mit einem knappen Nicken bestätigt Elgar und wen-det sich um. Vorsichtig und ohne eine Ratte zu zertre-ten geht er den Weg zu Rovena und Hesander zurück. Ganz besondere Vorsicht lässt er an dem kurzen Ver-bindungsgang zu der Haupthöhle mit Melachath und den Spinnen walten, damit sie nicht bemerkt werden.

Rovena und HesanderDie anderen vier sind gerade außer Sichtweite, da spü-ren Hesander und Rovena, wie durch den Rattengang eine Spinne kommt. Die Spinne ist offenbar zufrie-den.

Rovena erstarrt und schaut den Geweihten besorgt an. Leise, mit bebender Stimme, flüstert sie ihm zu: "Was nun? Bestimmt hat diese Spinne Beute bei sich. Ge-hen wir zurück und versuchen uns in dem noch nicht untersuchten Gang zu verbergen oder gehen wir wei-ter in diesen Gang hinein bis vor zur Höhle, in der Hoffnung, dass die Spinne hier vorbeiläuft?"

Sie horcht angespannt auf die Gefühle der Spinne, um festzustellen, wie schnell sie sich nähert. Fieberhaft überlegt sie, ob sie sich in der Höhle verstecken kön-

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nen, sollte die Spinne hier hinein kommen wollen, um die großen Spinnen mit Futter zu versorgen …

Ein paar Sekunden sind es noch, dann wird die Spin-ne in Sichtweite sein.

"Wir wissen nicht, ob sie hierhin will oder in den Gang, wo wir uns verstecken wollen."

Hesander überlegt kurz und rechnet sich die Chancen aus entdeckt zu werden. Dann meint er: "Lasst uns in dem anderen Gang verbergen."

"Dann schnell … hoffentlich reicht uns die Zeit …" Eilig wendet sich Rovena dem Rattengang zu, um zu versuchen, den anderen Gang noch rechtzeitig vor der näher kommenden Spinne zu erreichen.

Als die beiden sich umdrehen, sehen sie, wie eine Spinne um die Ecke kommt.

Rovena keucht auf, fasst Hesander am Ärmel und ver-sucht, ihn dazu zu bewegen, mit ihr zu der Spinnen-höhle zu gehen. "Kommt!" zischt sie ihm zu. "Bettet zu Euren Göttern, dass sie uns nicht entdecken …" Sie eilt so leise, schnell und vorsichtig es geht, zu der großen Höhle und wirft hastig einen Blick hinein, auf der Suche nach einem passenden Versteck.

Hesander folgt ihr ohne weitere Worte und Zeit zu verschwenden und schickt in der Tat im Geiste ein Stoßgebet an die Zwölfe.

Der einzig passende Weg ist links entlang an der Wand. Da bleibt man am weitesten von den großen Spinnen entfernt, und sie scheinen völlig auf Me-lachath konzentriert.

Mit angehaltenem Atem drücken sich die beiden an der Wand entlang - so weit weg vom Eingang, dass sie von einer eventuell eintretenden Spinne nicht gespürt werden können. Sie sind tatsächlich so leise, dass sie von niemandem bemerkt werden. Nur Melachath hebt plötzlich den Kopf und schaut genau zu den bei-den.

Erschrocken reißt Rovena die Augen auf, schüttelt den Kopf, als wenn sie dem Aranier sagen will 'schau nicht her, lies weiter …' und legt den Finger auf den Mund. Ihr Herz pocht so heftig, dass sie Angst hat, die Spin-nen könnten es hören. 'Ruhig, ganz ruhig, es wird al-les ein gutes Ende nehmen …' versucht sie sich selber zu beruhigen.

Hesanders Blick ist für einen Augenblick vor Schreck wie versteinert. Dann schaut er Melachath in die Au-gen, legt den Zeigefinger vor den Mund und bedeutet Melachath damit, sich nichts anmerken zu lassen.

Wie gebannt schaut Hesander auf Melachath, um zu erfahren, ob er Rovena und ihn verraten wird oder nicht.

Melachath reagiert sofort, senkt wieder den Kopf und liest mit verstärkter Intensität weiter. Bei den Spinnen

entsteht eine kurze Unruhe, die sich glücklicherweise aber sofort wieder legt.

Dann kommt einer der kleineren Spinnen herein und bringt einer der großen einen Fisch. Die nimmt ihn so achtlos an, worauf die kleine Spinne sich wieder zu-rückzieht.

Mit immer noch klopfendem Herzen drückt sich die Hexe dicht neben Hesander an die Wand, reglos, sie wagt kaum zu Atmen, ihr Körper bebt leicht. Ange-spannt beobachtet sie die Spinnen und Melachath. Er weiß nun, dass sie hier sind, um ihn zu befreien. Doch sie und der Geweihte müssen hier schleunigst raus, so leise es nur geht, möglichst unbemerkt.

Still hofft sie, dass der Aranier alles dran setzen wird, die volle Aufmerksamkeit der Spinnen auf sich zu len-ken, um diese von ihrer Anwesenheit abzulenken und ihnen so einen unbemerkten Rückzug zu ermögli-chen.

Aufmerksam schaut sie sich in der Höhle um, und während die kleine Spinne die Höhle wieder verlässt, stößt sie Hesander leicht an und gibt ihm ein Zeichen mit den Augen, sich so leise wie möglich wieder zu-rück zum Ausgang zu bewegen.

Es gibt einen weiteren Ausgang aus dieser Höhle zur Linken von Rovena, welcher aber deutlich weiter von den beiden Helden entfernt ist als der Eingang, durch den die beiden gekommen sind.

Rovena versucht, sich die Lage des zweiten Zugangs genau einzuprägen. Dieser kann sicher hilfreich sein, wenn sie die Spinnen von ihrem Gefangenen ablen-ken müssen, also sollten sie versuchen, ihn von den Gängen aus zu finden. Doch jetzt heißt es, auf dem schnellsten Weg diese Höhle zu verlassen.

Hesander nickt Rovena bestätigend zu und folgt ihr schweigend.

Heil kommen die beiden wieder aus der Spinnenhöh-le. Melachath scheint den Rückzug der beiden zu be-merken, der er liest für einen Moment lauter, wahr-scheinlich, um die Spinnen noch stärker zu fesseln. Und das ist auch bitter nötig, den einmal kommt Ro-vena ins stolpern (über ihre eigenen Füße) und fängt sich nur mit letzter Kraft. Hesander hat das Gefühl, dass Rovenas Schritte in dem Moment so laut wie stampfende Oger sind.

Dafür, dass sich Rovena und er gerade aus dem Staube machen, legt Hesander ungewöhnlich sanft seine Hand auf die Schulter Rovenas und flüstert: "Ruhig, Rovena, die Götter stehen uns bei."

Einen Moment lehnt sich Rovena an Hesander an, sucht seinen Halt, um ihr Gleichgewicht wieder zu er-langen. Still schimpft sie über sich selbst, flucht stumm vor sich hin. Und bei den Worten des Geweih-ten rollt sie innerlich mit den Augen. Die Götter wer-den gerade ihr beistehen, haben sie doch schon genug

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mit Hesander und den anderen zu tun … verflixte Ungeschicklichkeit … unruhig späht die Hexe in den Rattengang, horcht auf Melachaths monotones Ge-murmel. Wo bleiben ihre Gefährten? Sie schaut He-sander an. "Wir warten, nicht wahr? Wie abgespro-chen …", flüstert sie ihm zu.

"Wie abgesprochen", bestätigt Hesander in beruhigen-dem Ton und schaut ihr dabei mit einem sanften Lä-cheln tief in die Augen.

Rovenas smaragdgrüne Augen verengen sich kurz, leicht misstrauisch erwidert sie Hesanders Blick. 'Was ist denn nun in ihn gefahren?' denkt sie etwas besorgt, lässt jedoch ein Lächeln über ihr Gesicht huschen, nickt und löst sich mühsam von seinem fesselnden Blick. Hastig schaut sie wieder in den Rattengang hin-ein.

Im Moment ist es ruhig. Nur ein paar Ratten laufen hin und her.

Die Zeit verrinnt endlos langsam, scheint es der jun-gen Hexe. Rovenas Unruhe nimmt zu. "Wieviel Zeit wird schon vergangen sein?" murmelt sie leise und wagt einen Seitenblick hin zu Hesander. Schaut er sie immer noch immer so seltsam an? Angespannt hört sie auf das Gemurmel, das aus der Spinnenhöhle zu ihr dringt. "Wo bleiben sie nur? Müssten sie nicht längst zurück sein?" fragt sie sich beklommen. Hof-fentlich ist den anderen nichts zugestoßen … man hätte den Kampflärm hören müssen … so weit kön-nen sie doch nicht gegangen sein …

Hesander schaut sie mit sanftem Blick an und erkennt ihren zweifelnden, fast fragenden Blick. "Hab keine Angst, wenn ihnen was zugestoßen wäre, hätten wir etwas gehört. Sie werden gleich bei uns sein."

Aber nichts passiert.

"Langsam sorge ich mich auch." Der sanfte Blick an Rovena wird zu einem besorgten, sein Mund wirkt zerknittert.

Beunruhigt nimmt sie den Wechsel im Mienenspiel des Geweihten wahr. Beginnt er zu zweifeln? Rovena atmet hörbar ein, berührt ihn leicht am Arm. Sie fühlt sich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, nach den anderen zu suchen und ihren Posten hier nicht zu verlassen. "Wir warten noch einen Moment, ja? Und wenn sie dann nicht kommen, suchen wir nach ihnen. Melachath können wir jetzt auch nicht helfen, im Moment scheint er auch nicht in Gefahr, so lange er noch die Kraft hat, den Spinnen vorzulesen …", flüstert sie Hesander leise zu. Auch wenn die Hexe von den Geweihten der Zwölfgötter keine hohe Meinung hat, im Augenblick ist sie froh um seine An-wesenheit.

"Du hast Recht, warten wir noch ein wenig."

Hesander schließt seine Augen. Bevor er ein stilles Gebet an die Allwissende schickt schaut er noch mal

kurz nachdenklich zu der Hexe auf: "Auch Du solltest Deiner Großen Mutter ein Gebet schenken ,auf dass sie milde auf Dich schaut."

Nun versinkt Hesander im stillen Zwiegespräch mit seiner Göttin.

Unmerklich schüttelt Rovena den Kopf, äußert sich aber nicht. Soll er zu seinen Göttern beten, sie vertraut auf ihre Kräfte, die ihr von Satuaria, der Ersten Toch-ter, gegen wurden. Angespannt lauscht sie wieder auf die Geräusche aus der großen Höhle und schaut den Gang entlang, in dem ihre Gefährten verschwunden sind.

Wieder vereintOhne Zwischenfälle kommt die Gruppe bei Hesander und Rovena an. Die beiden sind sichtlich erleichtert, als die den vorn gehenden Elgar gewahr werden.

"Na endlich, den Zwölfen sei Dank!" stößt der Draco-niter hervor, eine Steineslast scheint ihm vom Herzen zu fallen.

Freudig leuchten auch Rovenas Augen auf, als sie El-gar und dahinter ihre anderen Gefährten sieht. Sie macht ein paar Schritte auf den Magier zu und fragt ihn leise: "Und, habt ihr etwas entdecken können, dass uns hilft, ihn hier herauszuholen?"

Auch wenn Ingalf nicht direkt angesprochen wurde, kommt er dem Magier zuvor: "Wir haben herausge-funden, dass es noch 'nen Gang in die Höhle gibt und das hinter Platte - wo die Spinne den toten Fisch rein-geworfen hat - noch 'ne Höhle gibt.

Jetzt haben wir 3 Möglichkeiten in die Höhle zu Me-lachath rein oder raus zu kommen …

Nur das Problem ist: Selbst wenn wir ihn aus der Höhle raus kriegen - der Weg zum Ausgang ist ganz schön weit. Und wir haben die großen Spinnen hinter uns und die kleinen vor uns. Und wir wissen nicht wie es Meli geht …"

Während Ingalf berichtet, mal er wieder das Höhlen-system in den Boden vor die Gefährten. Er schaut die Skizze immer wieder an - wo ist der beste Weg heile wieder rauszukommen? Haben sie etwas übersehen? Oder nicht richtig bedacht?

Als Ingalf ihm das Wort abschneidet, verfinstern sich Elgars Gesichtszüge dermaßen, dass er im fahlen Licht der Pilze - den Zauberstab hat er wieder erlö-schen lassen - mit seinen weißen Haaren und der wei-ten Robe wie ein wütender Geist wirkt. Aber er bleibt stumm.

Auf die Ausführungen Ingalfs zu den Möglichkeiten des weiteren Vorgehens sagt er ebenfalls nichts. 'Wenn er schon auf an mich gestellte Fragen antwortet, kann er sich auch die Gedanken selbst machen! Pah, wie soll es Melachath schon gehen? Er muss 6 großen Spinnen vorlesen, bekommt allenfalls rohen Fisch zu

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essen und weiß nicht, was vorgeht! Wenn er man bloß keine Arachnophobie davonträgt. Dann können wir nur hoffen, dass Hesander mehr vom Seelenheil ver-steht, als dafür zu beten.'

All diese Gedanken gehen ihm durch den Kopf, bis er sich schließlich dabei ertappt, doch auf Ingalfs Karte zu starren und einen guten Fluchtweg zu suchen.

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Ein Gefühl des Unbehagens bezüglich der Zeichnung macht sich in Elgar breit. Irgendetwas stimmt da nicht. Fehlt da nicht etwas?

Obwohl er immer noch etwas ungehalten ist, wirft El-gar schließlich ein: "Ich weiß nicht genau, aber irgend etwas fehlt da in dieser Zeichnung. Hm. Wo ist denn diese Klappe oder Luke, durch die die Riesenspinne die Fischabfälle geworfen hat? Und ging der Gang in der Fischhöhle nicht noch weiter?" fragt er.

"Die Klappe müsste hinter dem Stück Gang liegen, dass nach Norden abgeht", meint Ingalf. "Aber in dem Gang waren wir nicht, das wohl! Und aus der Höhle

raus gab es - soweit wir das erkennen konnten - kei-nen weiteren Gang, oder?"

"Aber das sollten wir an einem ruhigen Ort bespre-chen. Schließlich ist das hier praktisch ein 'Durch-gangskorridor'. Eine der ruhigen Höhlen weiter dort " - er weist den Weg zurück zu einer der leeren Höhlen - "ist wohl besser geeignet."

"Das wohl!" nickt Ingalf und schiebt den Zwerg vor sich her den Rattengang entlang. "Los, Kurzer, es geht weiter!"

Rovena schaut sich Ingalfs Zeichnung genau an, vor allem die ihr unbekannten Gänge und die eingezeich-

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nete Höhle. Plötzlich meint sie: "Einen Gang vor der Höhle der sechs Spinnen haben wir noch nicht unter-sucht, und er ist hier auch nicht eingezeichnet. He-sander und ich wollten uns darin verstecken, als eine der kleinen Spinnen auftauchte, doch blieb uns keine Zeit, so dass wir uns in die große Höhle flüchten mussten …"

Es schüttelt sie leicht bei der Erinnerung an die sechs großen Spinnen, die Melachath in ihrer Gewalt hal-ten.

Hesander taucht aus seinem Gebet wieder auf, in das er eine Weile versunken war, dann wird er den ande-ren folgen.

Ingalf versucht auf dem Weg noch einmal seine Ge-danken zu ordnen und ist auf den ersten Meter fast so versunken wie Hesander, doch dann fällt ihm etwas ein: "Ihr habt recht die Karte ist falsch! Es müssen drei Gänge in die Höhle führen: Am ersten sind wir auf dem Hinweg vorbei gelaufen, im zweiten haben wir Melachath gehört und im dritten dann noch einmal. Dann passt das auch wieder zu dem was Rovena ge-sagt hat! Das wohl!"

"Denn Gang musst Du dann noch mal einzeichnen!" fordert sie Ingalf auf.

Dann geht er noch einen Schritt und bliebt wieder ste-hen: "Sacht ma', hab' ihr Angst vor Fischen? Wenn wir jetzt wieder in den Rattengang Richtung Ausgang ge-hen, dann kommen wir wieder in das Gebiet, wo die Spinnen ihr Futter schleppen … Gehen wir aber an das andere Ende, dann haben sie den großen Spinne doch schon ihre Beute gebracht!

Also kehrt, Marsch!"

Er schaut seine Gefährten abwartend an.

Hesander versucht, den Ausführungen des Thorwa-lers zu folgen. Er überlegt kurz und meint dann: "Ich habe keine Angst vor Efferds Geschöpfen, also kehrt."

"Wo willst du denn jetzt hin, Ingalf?" flüstert Rovena, ihr fragender Blick bleibt an dem Thorwaler hängen. "In die Höhle, wo die großen Spinnen ihre Futterreste hineinwerfen?" Damit beantwortet sie wahrscheinlich ihre Frage schon selber. Sie wirkt nachdenklich. "Ja, dort tauchen die kleinen Spinnen vielleicht nicht so häufig auf wie hier in den Gängen." Unruhig horcht sie wieder nach möglichen Spinnengefühlen.

Im Moment nähert sich keine Spinne.

"Genau, eigentlich müssen wir ja nur bis vor die Höh-le, denn da macht der Gang 'nen Knick und die Spin-nen, die den frischen Fisch liefern sehen uns nicht. Da können wir dann überlegen und planen. Und viel-

leicht noch einen Blick in die Fischhöhle werfen, wer weiß ob wir nicht irgendwas Nützliches zwischen den Fischen finden können! Das wohl!"

Rovena nickt nur und folgt ihm in den Rattengang.

Dennoch bleibt die junge Hexe wachsam, während sie Ingalf und Hesander den Gang entlang, nun in die andere Richtung, folgt. Der Geruch nach faulendem Fisch wird mit jedem Schritt intensiver.

Rovena wird blass, verzögert ihre Schritte und ringt nach Luft, was sie besser hätte sein lassen, denn da-durch wird der Würgereiz nur noch schlimmer. Ihr Magen scheint sich umzudrehen, rebelliert gegen die-sen Gestank, der auf sie eindringt und ihre Geruchs-nerven mehr als überstrapaziert. Noch ein paar muti-ge Schritte, mit zusammengepressten Lippen und fla-chem Atem, dann bleibt sie mit gequälter Miene ste-hen, ihre Beine werden schwach. Schweißperlen bil-den sich auf ihrer Stirn und sie presst hilflos die Hand vor den Mund.

Doch es nützt nichts, sie fühlt den Brechreiz aufstei-gen, wendet und stützt sich an der Gangwand ab, und lässt der Natur ihren Lauf. Würgend entleert sich ihr Magen, der zum Glück durch das schon eine Weile zurückliegenden Morgenmahls nicht sehr gefüllt ist, bittere Galle brennt ihr im Hals. Auch als es nichts mehr gibt, was ihren Magen verlassen könnte, würgt es sie weiter, bis sie sich, nach Atem ringend, langsam wieder beruhigt, ihre Blässe scheint sich noch ver-stärkt zu haben. Zittrig tastet sie nach der Feldflasche an ihrem Hüftgürtel und nimmt einen großen Schluck Wasser, spült ihren Mund und spuckt angewi-dert aus. Dann trinkt sie noch einen Schluck, den sie mühsam herunterwürgt. Mit einem bedrückten, ent-schuldigenden Blick streift sie die Gesichter ihrer Ge-fährten und setzt stumm ihren Weg fort. Nein, sie hält es hier in dem Spinnenbau nicht mehr lange aus, sie muss hier raus, so schnell wie möglich …

Gäbe es hier unten Tageslicht, würde man erkennen, dass Hesanders Gesicht annähernd die Farbe seines Gewandes bekommt. Der Gestank widert ihn an und er hält sich den Ärmel seiner Kutte vor die Nase. Of-fenbar scheint dies den Gestank nur unwesentlich zu mildern.

Man hört ein Würgen, Hesanders Magen ist kurz da-vor sich umzudrehen, doch mit der gewohnten Diszi-plin schafft es Hesander, den Brechreiz zu überwin-den.

"Ich bleibe hier nicht allzu lange", sagt Hesander sichtlich angestrengt. "Los, weiter", mahnt er seine Gefährten zur Eile.

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3. Tag: Was nun?hne weitere Zwischenfälle kommt die Gruppe am Eingang der Abfallhöhle an. Hier sollten

die sechs Abenteurer ohne größere Störungen die Be-freiung Melachaths planen können.

OOIngalf, der merkt, dass seine Gefährten Probleme mit dem Duft haben, bleibt vor der Höhle stehen: "So, wie kriegen wir den Ärmsten jetzt aus der Höhle? Wir ha-ben 4 Eingänge: 3 zum Rattengang und einen zur Fischhöhle …"

Dann blickt er seine Gefährten der Reihe nach an und fährt dann fort: "Ich würde noch mal in die Fischhöh-le schauen, wie und ob sich der Stein von hier bewe-gen lässt. Vielleicht gibt es ja auch noch etwas in der Höhle oder dem Gang, das wir übersehen haben …"

"Hm, ja," nickt Elgar zustimmend, "bestimmt den einen oder anderen toten Fisch."

"Das ist selbst Dir aufgefallen", feixt der Thorwaler zu-rück.

Die Abfallhöhle ist wie schon vorhin dunkel.

"Und selbst wenn die Fische tot sind", fährt der Thor-waler fort, "leuchten tun sie nicht, kommste mit und machste Licht oder willste Wurzeln schlagen?"

"Wollt ihr das Elend sehen?" fragt Elgar und ohne eine Antwort abzuwarten flammt das obere Ende des Zauberstabs hell auf und erleuchtet die Abfälle. "Der Geruch wird dadurch nicht besser."

"Geht doch!" murmelt Ingalf und betritt unbeein-druckt von dem Geruch die Höhle. Er versucht sich einen Weg durch den Fischberg in Richtung des Durchgangs links zu bahnen.

Dabei geht er möglichst vorsichtig, denn auch wenn ihm der Gestank nichts ausmacht, möchte er nicht auf den Fischen ausrutschen und sich die Gräten brechen.

An der Wand entlang lässt es sich einigermaßen ge-hen. So kommt Ingalf zum Gang, der vermutlich zur Spinnenhöhle führt und mit einem Stein verschlossen sein sollte. Und genau so ist es. Der Gang ist nur zwei Schritt lang und von einer Steinplatte grob verschlos-sen. Es gibt aber ein paar Stellen in den Ecken, wo es möglich sein sollte, in die Spinnenhöhle zu schauen. Ingalf vermeint sogar, Melachaths Stimme zu hören.

Ingalf tritt vorsichtig an den Stein heran und versucht durch die Lücken in die Höhle zu blicken.

Der Gang ist etwas weniger hoch als seine eigene Kör-pergröße. Deshalb muss Ingalf sich etwas bücken. Da-für ist es für ihn ein Leichtes, durch einen Spalt oben rechts in die große Höhle zu schauen.

Wenn er sieht, dass sich die Spinnen gerade auf Me-lachath Vorlesen konzentrieren, versucht er vorsichtig

von dieser Seite gegen den Stein zu drücken. Kann er ihn alleine bewegen? Sind die Spinnen soviel stärker?

Da der Stein fast lotrecht steht, ist es überhaupt kein Problem, den Stein in Bewegung zu setzen.

Ingalf schiebt nur kurz an dem Stein, um das Gewicht zu prüfen und versucht nicht die Spinnen auf sich aufmerksam zu machen. Da sich der Stein als beweg-bar herausgestellt hat, geht er vorsichtig durch den Gang zurück und versucht sich dann noch im Däm-merlicht in der Höhle umzusehen, bevor er zu den Gefährten zurückkehrt.

Er hat vor, einfach eine Runde entlang der Höhlen-wand zu machen. Als er ein Viertel des Höhlenum-fangs zurückgelegt hat und damit genau gegenüber dem ursprünglichen Eingang zur Höhle, spürt er einen leichten Luftzug.

'Hmm, irgendwie hab' ich's mir fast gedacht', denkt sich Ingalf, 'soviel Fisch hätte mehr stinken müssen!'

Er untersucht die Höhlenwände. 'Wo kommt die Luft her? Und wenn irgendwo Luft herkommt, dann kön-nen wir da auch vielleicht hin!'

Nahe des Bodens ist eine schmale Erdspalte. Dadurch zieht es - eindeutig.

Ingalf ruft leise nach dem Zwerg: "Hey, Grisbart, alter Buddler, komm mal her ich habe hier was gefunden!"

Langsam schreitet Grisbart zu Ingalf. "Zeig mal her." Er guckt sich den Spalt an, tastet kurz mit seinen Händen an dem Spalt herum und fängt dann an, langsam zu graben.

"Das ist nur Erde, kein Gestein" Er bröckelt noch ein bisschen Erde ab und guckt dann fragend die anderen an.

Als Elgar mit dem Licht seines Zauberstab das Höh-leninnere ausleuchtet, hält sich Rovena eilig wieder die Hand vor den Mund. Zu dem Gestank gesellt sich der Anblick der dicken, weißlichen Maden, die zwi-schen den Fischabfällen herum wimmeln, vereint mit den allgegenwärtigen Ratten.

Mühsam ringt sie um ihre Selbstbeherrschung, um dem Gefühl der Übelkeit nicht noch mal nachgeben zu müssen. "Wie widerlich!" presst sie hervor und ver-harrt am Höhleneingang, ihr Blick folgt Ingalf, der sich vorsichtig auf den Durchgang zu bewegt.

"Das stimmt. Angenehm ist es nicht. Aber ein Grund, gleich das tolle Frühstück hier mit abzuladen, ist es auch nicht." mit einem leichten Lächeln zwinkert El-gar Rovena zu, will ihr Mut machen. "Wir werden das üben, sobald wir hier heraus sind, abgemacht?" fragt er ablenkend.

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"Glaubst du wirklich, es macht mir Spaß?" faucht Ro-vena ihn leise an. Ein Paar smaragdgrüne Augen fun-keln wütend im Schein seines Magierstabs.

'Es gibt ein paar Dinge, die kann man nicht so einfach üben', denkt sie zornig und nagt an ihrer Unterlippe. Sie merkt aber doch, dass sie dabei ist, ihm wohl un-recht zu tun und runzelt mürrisch die Stirn.

"Entschuldige", murmelt sie leise und starrt in Rich-tung des Ganges, in dem Ingalf verschwunden ist.

"Ist schon gut." beruhigt er sie. "So war das nicht ge-meint. Aber man kann tatsächlich die Beherrschung des eigenen Körpers durch pure Willensanstrengung üben oder auch erst erlernen." erwidert Elgar.

Rovena schaut dem Magier prüfend in die Augen, die im Licht rötlich leuchten. Sie ruft sich seinen Anblick in Erinnerung, wie er am Lagerfeuer seine morgendli-chen Übungen machte. "Am besten fangen wir damit an, dass du mir deinen Übungen zeigst, ja?" schlägt sie ihm leise vor. Diese Körperbeherrschung scheint ihr eine gute Ausgangsbasis für weitere Übungen zu sein, ein starker Wille in einem gestählten Körper.

Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Das kann für sie sehr nützlich sein.

"Nun, genau genommen sind es nicht meine Übun-gen." erwidert Elgar.

"Diese Techniken wurden von Generation zu Genera-tion in meinem Stamm weitergegeben und sind so-wohl für die Stärkung von Körper und Geist als auch zur Verteidigung und zum Angriff im Kampf geeig-net. Ihre Anzahl ist begrenzt, ihre Kombinationsmög-lichkeiten aber schier unendlich."

"Dann ist es doch genau das Richtige für mich", be-merkt die junge Hexe noch leise und funkelt den Ma-gier erfreut an.

Nach dieser Antwort sieht er sich um: "Wo ist denn Ingalf abgeblieben?" fragt er mit leicht besorgter Stim-me.

Ingalf steht auf der anderen Seite des Abfallraumes. Irgend etwas lässt ihn dort innehalten.

Leise ruft Elgar ihm zu: "Was ist? Hast du etwas ent-deckt?" So recht mag er sich selbst nicht durch den Abfall - oder um den Berg herum - zu dem Thorwaler begeben.

"Hier kommt irgendwo Luft her", ruft Ingalf ebenso leise zurück, "deshalb stinkt es in der Höhle nicht so doll!"

Im Hinblick auf Rovenas und Hesanders "Missge-schick" verkneift Elgar sich ein Schmunzeln und meint statt dessen so leise, dass Ingalf es nicht hören kann: "Das kann man so und so sehen." An den Thor-waler gerichtet fährt er leise fort: "Woher? Belüftungs-schächte oder ein Gang?"

"Ich suche noch!" kommt es zurück.

Hesander ist trotz des Gestanks, den er tapfer auszu-halten versucht, neugierig geworden und geht zu der Stelle, wo der Thorwaler den Luftzug verspürt hat.

Hesander versucht, sich an die Oberfläche, das heißt die Umgebung des Spinnenbaus von Außen, zu erin-nern. Woher könnte ein Luftzug kommen? Gibt es hier einen weiteren Ausgang bzw. Eingang - oder einen 'Luftschacht'?

Hesander kriegt die Topographie draußen und das Höhlensystem hier drin nicht richtig gedanklich über-einander gelegt. Und draußen war es nicht so über-sichtlich, dass nicht noch irgendwo eine weitere Erd-höhle oder auch nur ein Loch sein könnte.

Hesander beginnt, sich umzusehen, wenn er die Posi-tion des Thorwalers erreicht hat.

Ingalf kniet sich gerade hin. Da scheint etwas inter-essantes zu sein.

Als Ingalf den Geweihten sieht, kann er sich das Fei-xen nicht verkneifen: "Dein Gesicht passt heute aber gut zu der Kutte!"

Rovena zupft Elgar am Ärmel. "Wenn wir mit deinem Licht etwas näher zu ihm hin gehen, sieht er vielleicht besser", schlägt sie zögernd vor und macht ein paar Schritte vorwärts in die Höhle hinein, darauf bedacht, keiner der Ratten zu nahe zu kommen. Sie bemüht sich immer noch, möglichst flach zu atmen, denn sie hat sich immer noch nicht an den Gestank gewöhnen können.

"Wollen wir uns etwa hier heraus graben?" fragt Elgar ungläubig. "Vielen Dank, dann mach mal." Damit ist das Thema für ihn durch.

"Komm, Grisbart, hör' nicht auf ihn!" meint Ingalf unwillig. "Findest Du nicht auch, dass es in dem Spalt heller wird?"

"Es könnte doch eine verschüttete Verbindung zu ei-nem anderen Gang sein, der uns hier raus bringt", raunt Rovena Elgar zu. "Ein deutlicher Luftzug weist doch auf einen weiteren Zugang hin, oder nicht?" Sie beobachtet gespannt, was der Zwerg dort ausgräbt.

"Einen Ausgang haben wir bereits. Der liegt nur un-günstig." antwortet ihr Elgar. "Wenn dort tatsächlich nur Erde und kein Gestein vorhanden ist, wäre Gra-ben wohl gefährlich. Wer weiß, ob wir nicht das ge-samte Höhlensystem damit instabil machen. Freund Zwerg soll entscheiden. Schließlich hat er die meiste Erfahrung im 'Stollentollen'." grinst er.

Die Entgegnung des Zwerges geht in seinem Bart un-ter. Vorsichtig guckt er noch mal in das Loch und fängt dann an vorsichtig noch etwas Erde aus dem Loch zu buddeln. Es sieht so aus, als wolle er ein Loch machen, durch das er kriechen kann.

Plötzlich bricht die Erde über Grisbart ein.

'Was hab ich gesagt?!' fährt es Elgar durch den Kopf.

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Da aber lamentieren nun nichts mehr nutzt, ist er so-fort dabei: "Los, wir müssen ihn da raus holen!" und hält seinen Stab so, dass die anderen genug Licht ha-ben.

Ingalf, der ja neben dem Loch gestanden hat, greift die Füße des Zwerges, die noch aus der Erde schauen, und beginnt kräftig zu ziehen.

"Ingalf, Edric, schnell, helft ihm!" ist von Rovena in unterdrückter Lautstärke zu vernehmen. Sie ist zu weit von dem Zwerg entfernt und auch nicht so stark wie der Thorwaler und der Hirte, um Grisbart unter der heruntergebrochenen Erde wieder hervorzuzie-hen.

Edric, der bislang nur bei Rovena gestanden hat, läuft sofort los. Als er bei den anderen ankommt, haben die schon Grisbart befreit. Nach dem ersten Schreck war das gar nicht weiter schwierig. Im Licht von Elgars Fackel wird deutlich, dass nur eine dünne Lehmwand eingebrochen ist.

Dahinter ist eine weitere Höhle, in die im Hinter-grund von rechts Tageslicht eindringt. Ein weiterer Ausgang ist gefunden!

"Gut gemacht, Freund Zwerg", Ingalf klopft dem Erde spuckenden Zwerg kräftig auf den Rücken. "Da merkt man, dass ihr euch unter der Erde gut auskennt!"

"Wenn dem so wäre, hätte wir ihn gar nicht aus dem Haufen ziehen müssen …" spöttelt Elgar erleichtert und mit der freien Hand wischt er Grisbart Erde von der Kleidung.

"Sieh an, sieh an." mustert er anschließend interessiert die neue Höhle. "Wir sollten zunächst den Ausgang prüfen und den Fluchtweg erkunden, bevor wir Me-lachath da 'raus holen." meint er.

"Das wohl! Das wohl!" stimmt Ingalf dem Magier zu und betritt vorsichtig die Höhle. "Ein Ausgang ist gut, aber nur wenn uns hier nicht noch 'n paar Überra-schungen erwarten."

Elgar folgt dem Thorwaler auf dem Fuße und lässt - um möglichst keine Vorankündigung mit sich herum-zutragen - den Zauberstab erlöschen. 'Wo wir da wohl herauskommen?' überlegt er und stellt sich die Umge-bung des Spinnenhügels vor. 'Entweder ist das die an-dere Seite oder ein anderer Hügel. Eigentlich sind wir doch auf gleicher Höhe, oder?' überlegt er weiter.

Ingalf und Elgar durchqueren vorsichtig die Höhle. Da hinten ist wirklich ein Loch von fast ein Schritt Durchmesser, welches in Freie führt. Es wird vollstän-dig von einem Busch verdeckt.

Ingalf geht bis zu dem Busch vor und blickt durch das Geäst. Dahinter erstreckt sich eine kleine Wiese am Ufer eines der vielen Seen.

Ingalf tritt vorsichtig durch den Busch ins Freie. Als sich seine Augen an das Tageslicht gewöhnt haben,

schaut er sich in der Umgebung um und sieht, dass der Ausgang der Höhle an dem gleichen kuppelförmi-gen Hügel liegt, die sie vor Monaten - Tage - nein, es waren nur ein paar Stunden - betreten haben.

Der Eingang liegt seiner Meinung an der anderen Sei-te des Hügels und hier ist der Hügel mit Gebüsch und Gestrüpp überwachsen und es sind keine weiteren Lö-cher zu sehen (das Loch aus dem er ins Freie getreten ist, ist auch nur aus der Entfernung zu erkennen, wenn man weiß, dass dort ein Loch ist).

Und das Beste an der ganzen Sache ist, es sind keine Spinnen zu sehen.

Er geht zurück durch den Busch und berichtet Elgar von seiner Entdeckung. "So jetzt wissen wir, wie wir hier schnell rauskommen, jetzt zu den anderen und dann Meli befreien!" schließt er seinen Bericht.

Elgar nickt zufrieden: "Ja, das Fluchtproblem haben wir gelöst."

Er überlegt, ob die großen Spinnen durch diesen Durchgang passen könnten.

Mit ein wenig Mühe sollte auch eine große Spinne hier durchkommen. Zur Not müssten sie sich kurz "Hochkant" stellen.

"Warten wir nun ab, bis Melachath die Spinnen einge-schläfert hat oder wollen wir eine Rettungsaktion dar-aus machen?" fragt er. "Schließlich kann Melachath nicht ewig vorlesen. Auf der anderen Seite wissen wir nicht, ob er danach in der großen Höhle bleibt oder ob sie ihn woanders hin bringen."

"Ich denke, da sollen sich alle 'n Kopp zu machen!" meint Ingalf und geht zurück zum Eingang der Fisch-höhle, wo die Gefährten schon warten.

Nachdem Ingalf und Elgar von ihrer Entdeckung und ihren Überlegungen berichtet haben, meint Rovena: "Wir sollten Melachath so schnell wie möglich hier heraus holen." Sie ist sichtlich erfreut darüber, nicht noch einmal durch die ganzen Gänge zu müssen, um hier heraus zu kommen.

"Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir die großen Spinnen von ihm ablenken können, so dass sie ihre Aufmerksamkeit auf den entferntesten Gang rich-ten. Melachath weiß, dass wir hier sind, um ihn zu be-freien."

Angestrengt denkt sie darüber nach, wie man die Spinnen aus der Höhle locken könnte. "Wir könnten vielleicht in den beiden Nachbargängen Feuer legen, so dass sie zu dem vordersten Gang flüchten müssen, und gleichzeitig kann Melachath durch den mit dem Stein verschlossenen Loch hierher entkommen", schlägt sie zögernd vor und wartet, was ihre Gefährten von ihrer Idee halten.

"Hm. Ja. Das könnte funktionieren." meint Elgar nachdenklich.

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"Andererseits ist es doch möglich, dass die Spinnen ih-ren "Märchenonkel" nicht einfach zurücklassen, son-dern ihn mit sich nehmen. Aber oft ist die instinktive Angst eines Lebewesens größer, als der 'Verstand'. Es kommt auf einen Versuch an."

"Ich weiß nicht so recht … Ihr wollt hier ein Feuer machen, womit? Und wenn es sich in den Tunnels anders ausbreitet … Vielleicht können wir die Spin-nen ja anders weglocken …" denkt Ingalf laut über den Plan der Gefährten nach.

Plötzlich fällt ihm ein, wie sie den Zwerg gefunden haben: "Sach' ma', Grisbart, kannst Du eigentlich le-sen?"

"Und", fragt Hesander den Thorwaler, "hast Du einen Plan?"

'Er will ihn austauschen!' schießt Elgar ein Gedanke durch den Kopf.

'Gar nicht nett, aber offensichtlich will der Kurze so-wie so nicht aus dem Wald weg, ohne den Schatz ge-funden zu haben, nach dem er so lange sucht. Ein paar Tage Lesen können da nicht schaden. Schließlich bildet Lesen auch ungemein.' findet sich Elgar mit In-galfs Plan schon innerlich ab.

"Ne, aber muss man ja wohl auch nicht können, oder?"

Lediglich ein leichtes Stirnrunzeln zeigt, dass Elgar mit dieser Antwort nicht gerechnet hat. Bis auf ein: "Na wenn das so ist …" ist von ihm nichts zu hören.

Kurzes Nachdenken und dann: "Ich bin nach wie vor für die Rauch- und Feuermethode." überspielt er seine Verwirrung.

"Ach, Papperlapapp Schnickschnack!" meint Ingalf, sein Grinsen wir breiter und sein Plan konkreter. "Ich finde es klasse, dass Du nicht lesen kannst!"

Er winkt seine Gefährten zusammen und beginnt mit der Erklärung: "Die Geschichte mit dem Ausräuchern kann nach hinten los gehen und dann sehen wir alle aus wie Räucherarelen. Nee, das gefällt mir nich'.

Aber wir können die Spinnen auf eine andere Art und Weise ablenken …" - er zeigt auf den Zwerg - "… un-ser kurzer Freund hier! Ihr erinnert euch doch, dass wir ihn in einem Gebüsch gefunden haben nachdem die Spinnen sich Melachath gespannt hatten. Die konnten nämlich nichts mit ihm anfangen und haben ihn dort abgeladen!

Und warum: Weil Grisbart eben nicht lesen kann und damit ist er für die Spinnen uninteressant.

Da wir anderen alle Lesen können - oder nicht? - sind wir potenzielle Opfer und sollten uns tunlichst von den Spinnen fernhalten. So, jetzt meine Idee: Grisbart läuft in den nördlichsten Eingang und beginnt wie wild zu schreien. Die Spinnen werden abgelenkt. Wir holen Mali durch die Steintür und die Fischhöhle

nach draußen. Und wenn Grisbart sieht, dass wir den Vorleser haben, bückst er aus und folgt uns. Sollte er im schlimmsten Fall von den Spinnen erwischt wer-den, dann schläft er kurz und wacht morgen wieder hinter irgendeinem Busch auf."

Er atmet tief aus, als er mit seiner Idee durch ist und schaut seine Gefährten erwartungsvoll an.

"Ingalf hat Recht", kommentiert Hesander trocken, "allerdings nur, wenn die Spinnen Melachath auf-grund seiner Lesefähigkeiten geholt haben."

"Ich glaube nicht, dass die Spinnen wissen, ob ich le-sen kann oder nicht. Und eigentlich möchte ich auch nicht ausprobieren, was sie tun, wenn sie merken, dass ihr Vorleser weg ist und jemand anderes, der nicht le-sen kann da ist", meint Grisbart etwas skeptisch.

Hesander macht eine Pause, um sich der Aufmerk-samkeit seiner Zuhörer zu versichern.

"Allerdings stellt sich die Frage, woher die Spinnen das wussten. Sie müssten es ausprobiert haben. Und falls sie das getan haben, müsste Grisbart das wissen. Falls nicht, müssten die Spinnen unseren Gefühlen ablesen können, dass einige von uns lesen können."

Stumm folgt Rovena den Ausführungen des Geweih-ten. Sie hat sich auch schon gefragt, warum die Spin-nen den Zwerg nicht in ihren Bau geschleppt hatten, aber dass es nur daran liegen könnte, dass er nicht le-sen kann, daran zweifelt sie auch ein bisschen, bei den vielen Toten, die sie bisher gefunden haben. Wie soll-ten die Spinnen feststellen, ob ihr Opfer lesen kann oder nicht, wenn sie es nicht ausprobieren?

Als sie Melachath entführten, haben sie bestimmt nicht vorher seine Lesefertigkeiten überprüft. Sie be-obachtet Grisbart, ob er dazu etwas zu sagen hat.

Hesander schaut wieder in die Runde. "Damit könnte der Plan aufgehen, jedoch können wir nicht sicher sein, dass die Spinnen mit dem Angroschim nicht doch etwas anderes anstellen. Bei den Zwölfen, wir werden Grisbart den Spinnen sicherlich nicht zum Fraß vorwerfen - auch wenn das einigen hier offenbar durch den Kopf geht …"

In letzterem ist die Hexe mit Hesander einer Mei-nung. Nein, den Zwerg zu opfern ist ebenfalls nicht in ihrem Sinn, schließlich hat er ihnen mehr als einmal geholfen, ob auf der Suche nach dem Aranier oder im Kampf gegen die Spinnen, und sie ist sich auch sicher, dass die Spinnen ihn gewiss nicht schonen werden, wenn sie ihn als Ursache dafür ansehen, dass ihr Vor-leser entkommen kann, und zwischen die Zangen be-kommen. Nach wie vor beobachtet Rovena aufmerk-sam Grisbarts Reaktion auf die Pläne der Gruppe.

'Stimmt, wenn es um Sympathie ginge', denkt sich In-galf und kichert in sich hinein, 'dann würde ich wen anders vor die Spinnen jagen!'

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"Gut", meint er dann laut, "mein Plan gefällt Dir nicht, das wohl! Aber eine eigene bessere Lösung hast Du nicht, oder?"

"Nun, die Idee mit dem Feuer ist nicht schlecht, je-doch wäre die Überlegung, das Feuer auf der anderen Seite der Spinnenhöhle zu legen. Das sollte die Spin-nen ablenken, während wir gefahrlos Melachath von hier aus herausholen und durch den gerade gefunde-nen Ausgang in Sicherheit bringen können."

"Legen wir das Feuer auf der anderen Seite, treiben wir die Spinnen vielleicht auf uns zu", gibt Rovena zu bedenken. "Sie werden eher vor dem Feuer zu fliehen versuchen, oder nicht?" Die Hexe überlegt, was sie verwenden könnten, um ein Feuer zu entfachen, und schaut sich suchend um. Vielleicht trockenes Strauch-werk von draußen und dazu von den Abfällen, die hier in der Höhle herum liegen. Das sollte zumindest einen ziemlich dicken Rauch verursachen.

"Nun, das mit dem Feuer ist überhaupt kein Pro-blem." mein Elgar gelassen und reibt demonstrativ die Finger der linken Hand aneinander. "Ich bekomme alles zum Brennen. Am besten wäre nasses oder zu-mindest feuchtes Holz und bestimmte Blätter, die einen 'aromatischen' Qualm erzeugen." fährt er fort.

Hesander überlegt kurz.

"Nun, wir könnten das Feuer auch von beiden Seiten legen - das sollte die Spinnen vollends verwirren. Wenn wir den Rauch in die Höhle mit Melachath lei-ten, sollte das genug Deckung geben, um ihn da her-aus zu holen. Wir brauchen nur feuchte Tücher."

'Kein Problem!' denkt sich Ingalf hämisch. 'Nebenan ist ein Kleiderladen und ein Wald!'

Der Thorwaler wartet ab, was seine Gefährten den so zum Verbrennen finden.

"Frisches grünes Holz sollten wir draußen," Elgar deutet mit dem Daumen über die Schulter in Rich-tung der Höhlenöffnung, "finden. Frisches grünes Tuch gibt es hier auch und nass machen wir das ganze mit … äh … Wasser. Wer geht grünes Holz holen und wer spendet grünes Tuch?" fragt er in die Runde.

Hesander schaut unbeeindruckt in Richtung des Ma-giers und erwidert: "Nun, ich habe mir sagen lassen, Magierroben sollen mitunter auch recht gut gegen Rauch schützen, wenn man sie nass macht."

"Ich gehe und hole feuchtes Holz", bietet sich Rovena an. "Trockenes zum Entzünden sollten wir auch noch mitbringen. Und in dem Teich können wir ja die Um-hänge nass machen."

Dann schaut sie sich in der Abfallhöhle um und ver-zieht das Gesicht. "Können wir nicht auch diese Ab-fälle hier zum Verbrennen benutzen?" überlegt sie lei-se. "Das wird bestimmt auch einen ordentlichen Qualm verursachen."

"Das bestimmt, aber dieser Qualm würde uns sicher in die letzten Niederhöllen treiben. Verwesung und Brandrauch sind eher ungesund, allein die alchemisti-schen Verbindungen, die sowohl ätzend als auch giftig sind, kann man kaum an einer Hand abzählen." erwi-dert Elgar diesen Vorschlag. "Wir müssten uns selbst feuchte Tücher vor das Gesicht binden, das sollte den Qualm einige Zeit fernhalten. Mit Kräutern, wie zum Beispiel Minze, getränkt, hält es noch besser vor." gibt er Teile seines Wissens preis.

Ingalf steht die ganze Zeit nur leise und kopfschüt-telnd daneben. Die Sache mit dem Feuer behagt ihm überhaupt nicht, aber da keiner auf seine Idee hören will, wartet er erstmal ab.

"Warum sagst Du nichts dazu und schüttelst nur den Kopf?" fragt Elgar interessiert den scheinbar desinter-essierten Thorwaler. "Was würdest Du denn unterneh-men, abwarten und hoffen, dass Melachath von den Spinnen eine Pause gewährt wird und sie sich trollen?" Nun ist er es, der den Kopf schüttelt. Sein weißes Haar wallt dabei bereits wie ein Vorbote des Rauchs um seinen Kopf herum.

"Ich halte es für mehr als gefährlich in diesen Höhlen mit Feuer zu spielen", gibt er zu bedenken, "aber wenn ihr wollt!" Ingalf zuckt mit den Schultern.

"Und meine Idee hatte ich doch schon erzählt", fügt er hinzu.

"Können wir mit Melachath irgendwie kommunizie-ren? Dann könnten wir ihm bedeuten, er soll sich müde und dann schlafend stellen. Vielleicht hilft das." kommt Elgar die vielleicht rettende Idee.

Je mehr er darüber nachdenkt, um so sicherer ist sich Elgar. Schließlich formuliert er seine Gedanken für die anderen: "Was ist denn, wenn nicht nur Me-lachath, sondern auch die Spinnen einschlafen wür-den? Jedes Tier und jeder Mensch hat doch Ruhezei-ten nötig."

Rovena sieht ihn skeptisch an und schüttelt den Kopf. "Es ist gefährlich, mit ihm in Verbindung zu treten, solange die Spinnen um ihn sind, denke an ihre Fä-higkeiten. Wir könnten uns verraten. Doch Melachath weiß, dass wir hier sind, und er wird bestimmt darauf warten und auch damit rechnen, von uns ein Zeichen zu erhalten. Wir müssen nur die Spinnen irgendwie von ihm ablenken." Sie wirft Grisbart einen Seiten-blick zu, denn der Zwerg hat sich bisher noch nicht zu Ingalfs Plan geäußert. "Oder wir warten ab, bis die Spinnen sich und Melachath eine Ruhepause gönnen. Ingalf, kann man die Spinnen durch den Gang hier in der Höhle beobachten, ohne selber gesehen zu wer-den?"

"In der Steinplatte waren ein paar Löcher drin", meint der Thorwaler, "aber damit konntest Du nur besser hören, viel sehen kannste durch die Löcher nich'.

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Aber wenn er aufhört zu lesen, hörstes auf jeden Fall.

Blöd is' nur, wenn 'ne Spinne den Stein wegdreht, während Du dahinter stehst."

"Deshalb wäre es ja gut, wenn man sie beobachten könnte", gibt Rovena kurz zurück. "Ich wusste ja nicht, dass du nicht in die Höhle hineinschauen konntest." Sie schüttelt den Kopf über den Thorwaler, der keine Anstalten macht, eine andere als seine Idee weiter zu verfolgen.

Sie verschränkt die Arme vor der Brust. 'Dann soll er doch den Zwerg dazu bringen, die Spinnen abzulen-ken', denkt sie, zweifelt jedoch daran, dass Grisbart sich dafür zur Verfügung stellen wird.

"Na, viel gesehen hab' ich nicht", meint Ingalf, "aber ich kann da noch mal schauen, ob ich 'n Loch finde durch das ich besser sehen kann."

Er dreht sich um und geht in den kurzen Gang. Dort versucht er eine Stelle hinter der Steinplatte zu finden, von wo aus er in Höhle schauen kann und Melachath und die Spinnen beobachten kann.

Unten in der Ecke ist ein etwas größeres Loch. Ingalf legt sich davor auf den Boden und tatsächlich hat er von hier einen perfekten Überblick über die Spinnen-gruppe samt Melachath. Gerade werden wieder ein paar Fische hereingebracht. Melachath bekommt auch einen angeboten, aber er weist ihn zurück. Kurz da-nach erhebt sich eine Spinne und macht sich in Rich-tung auf Ingalf auf. Sie hat einen Fischrest in ihren Zangen.

Als Ingalf die Spinne auf sich zukommen sieht, zieht er sich möglichst leise zu den Gefährten zurück und gibt ihnen durch Handzeichen zu verstehen, dass sie leise sein sollen.

Dann hört er das Rumpeln des Steins, kurz darauf noch einmal.

Er atmet tief durch und erzählt: "Ich habe doch 'n Platz gefunden, um die Spinnen zu beobachten! Aber in dem Moment kann eine zum Stein. Meli geht es gut, aber wollte den Fisch nicht essen. Ich gehe jetzt wieder auf den Ausguck!"

Nach diesen Worten macht er sich wieder zu seinem Beobachtungsposten auf.

Nicht mal ein paar Minuten hält Elgar das Warten aus: "Komm, Rovena, lass uns etwas Holz sammeln gehen. Auch wenn wir es dann doch nicht brauchen sollten … Falls wir es brauchen, sollten wir es hier ha-ben."

Damit verlässt er den Rest der Gruppe und begibt sich mit Rovena nach draußen.

Wortlos folgt Rovena dem Magier durch das Loch und die Höhle hinaus an die frische Luft. Sie blinzelt in dem hellen Tageslicht und atmet tief die frische Luft ein. "Welch ein Glück, dass wir diesen Ausgang gefun-

den haben, so sollte es uns doch gelingen, schnell zu fliehen, sobald wir Melachath aus den Klauen der Spinnentiere befreit haben", meint sie, während sie sich, nachdem sich ihre Augen an das Tageslicht ge-wöhnt haben, aufmerksam umsieht und gleich an-fängt, zusammen mit Elgar Holz und Reisig zu sam-meln.

"Was glaubst Du, werden die großen Spinnen sich, wie die kleineren, die wir in den Höhlen gesehen haben, auch zur Ruhe legen?" fragt sie ihn dabei.

Wobei ihr auffällt, dass Elgar gar nicht richtig zuge-hört zu haben scheint, als er mit einem gebrummten: "Hmmm." antwortet. Ein paar Äste auf dem Arm steht er da und blickt scheinbar in die Ferne, ohne etwas an-zusehen.

Kopfschüttelnd betrachtet Rovena den Magier von der Seite und sammelt weiter Holz auf. 'Wo er wieder mit seinen Gedanken ist …' fragt sie sich.

Dann dreht er sich zu Rovena und fragt: "Werden uns die Spinnen wohl verfolgen, wenn wir Melachath be-freien und hier wegbringen? Dann sollten wir dafür Sorge tragen, dass sie diesen Ausgang nicht benutzen können."

"Das ist anzunehmen, wenn sie uns entdecken und er sich nicht heimlich aus dem Staub machen kann", vermutet die junge Hexe und schaut ihn fragend an. "Hast du schon eine Idee, wie wir diesen Ausgang ver-schließen können, wenn wir hindurch sind?"

"Hmmm, in der Tat, die habe ich." antwortet er lang-sam. "Aber der Aufwand dürfte recht groß sein und ist nicht in kurzer Zeit zu bewerkstelligen. Aber vielleicht wäre es besser, wir lassen nicht den Eingang, sondern den Zugangstunnel, dort wo Grisbart gelegen hat, ein-stürzen. Das Resultat bleibt gleich, aber der Aufwand müsste geringer sein. Das sollten wir gleich mit unse-rem 'Baumeister' besprechen." gibt er zurück.

Sobald die beiden die Arme für ein rauchendes Feuer voll Holz haben, geht es zu den Gefährten zurück. Das Holz lädt Elgar in der Höhle mit dem Ausgang, dicht am Tunnel, ab.

Die Zeit vergeht quälend langsam. Die einzigen Un-terbrechungen im Warten finden statt, wenn Ingalf wieder einmal aufstehen muss, weil eine Spinne Ab-fall in die Höhle werfen will.

Ingalf liegt auf dem Bauch und träumt immer wieder von seiner Kindheit.

Wenn er gerade wieder wegdämmert, hört er eine Spinne kommen und begibt sich in Deckung.

Selbst durch die paar Meter in die Nachbarhöhle kommt sein Kreislauf wieder in Schwung und er kann sich wieder auf die Beobachtung konzentrieren.

Aber anscheinend werden die Spinnen nicht müde.

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Nun ja, es ist ja draußen auch noch hell. Also ist noch Tag.

Elgar sitzt mit dem Rücken an eine Wand gelehnt, den Stab quer auf den Knien, auf ein paar untergeleg-ten Holzstücken, um nicht im Schmutz der Gänge zu hocken.

Seine Gedanken kreisen unablässig um verschiedene Probleme:

Wie bekommen wir Melachath hinaus, ohne die Spin-nen darauf aufmerksam zu machen?

Wie kann der Eingang versiegelt werden?

Was tun, wenn wir verfolgt werden?

Wie verhindern wir einen erneuten Angriff?

Wie geht es dann weiter?

Darüber bekommt er gar nicht mit, was seine Gefähr-ten so treiben.

Um ebenfalls nicht in dem stinkenden Unrat zu sit-zen, hockt sich Rovena dicht neben Elgar auf die von ihm zurecht gelegten Holzstücke, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Ihren Stab an den Körper gedrückt, den Tuchbeutel vor sich auf dem Schoß, starrt sie vor sich hin, lauscht dem Gemurmel, das aus der Spin-nenhöhle zu ihnen dringt. Ein oder zwei mal unter-drückt sie ein Gähnen, reißt immer wieder die Augen auf, doch das angespannte Warten und Nichtstun lässt sie rasch ermüden. Langsam sinkt sie immer mehr in sich zusammen und plötzlich spürt Elgar, wie sich ihr Kopf an seine Schulter anlehnt. Gleichmäßige, leise Atemzüge zeigen an, dass sie in einen leichten, wenn auch unruhigen Schlaf gesunken ist.

Erst auf die Berührung hin bemerkt Elgar, dass Rove-na neben ihm eingeschlafen ist. Ein leichtes Lächeln huscht über sein Gesicht.

Vorsichtig gibt er Acht, dass sie nicht im Schlafen vom Holzstapel sinkt und auf dem kalten Boden landet.

Grisbart steht an die Wand gelehnt und beobachtet seine Umgebung. Er hat es ja nicht eilig und sehr be-drohlich scheint die Höhle auch nicht zu sein, in der sie gerade sind.

Als er merkt, dass er müde wird, geht er nach draußen atmet einige Male tief durch und kommt dann mit et-was frischem Holz wieder rein. Aber das Warten geht im auch auf die Nerven.

Leise schleicht er zu Ingalf und flüstert diesem zu: "Sagt mal, wie lange warten wir eigentlich noch? Bis die Spinnen schlafen, falls sie überhaupt schlafen? Sollten wir dann nicht draußen vielleicht 'ne Kleinig-keit essen? Das könnte ja noch dauern."

"Hmm", flüstert Ingalf zurück, "vorhin als ich mit El-gar draußen war, war es Nachmittag … Wenn Du hier aufpasst, dann schau ich mal nach wie spät es jetzt ist - aber vermutlich werden sie der armen Melachath erst schlafen lassen, wenn es dunkel ist. Außerdem muss ich mal für kleine Ottaführer."

Er steht auf streckt sich und geht durch den Ausgang ins Freie. Es ist kaum zu glauben, aber sie sind kurz nach Mittag in das Labyrinth gegangen und jetzt geht man gerade die Sonne unter. Ungläubig schüttelt er den Kopf, dann sucht er sich eine Stelle um sein Ge-schäft zu verrichten.

Auf dem Rückweg findet er an einem Busch noch ein paar Beeren, die er dem Zwerg mit "Hier fürs warten!" gibt.

"Wenn Du mehr willst", meint er mit breitem Grinsen, "hier gibt es Fisch in allen Variationen. Draußen geht gerade die Sonne unter, dann wird ja wohl bald was passieren."

Dann legt er sich wieder hin und beobachtet weiter.

Dankbar isst Grisbart die Beeren. "Wie sagt ihr in Eu-rer Heimat immer? Das wohl?"

"Ja, das wohl!" antwortet der Thorwaler grinsend. "Aber nu' könnten sie mal irgendwas tun …"

Von Edric hat Ingalf schon länger nichts mehr gehört. Als sich Ingalf nach ihm umsieht, findet er ihn schließlich an der Wand stehend auf seinen Stab ge-stützt - und schlafend.

Hesander ist ins Gebet versunken - man hört ihn leise vor sich hin murmeln, außer vereinzelten Silben ist nicht viel zu verstehen (er übt gerade wieder Bospara-no). Wer nicht gerade aufmerksam hinsieht, wird kaum bemerken, dass sein Kopf immer wieder einmal kurz nach vorne fällt, dann langsam wieder aufgerich-tet wird, dann wieder nach vorne fällt, bis er dort 'ruht'. Und in Schlafe sinkt alsbald Hesanders schwei-gende Gestalt …

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Melachaths Befreiungelachaths Stimme, das kriegt Ingalf bei sei-nen Beobachtungen mit, wird immer rauer,

und sein Vorlesen immer stockender. Die Spinnen er-scheinen aber gnadenlos.

MMEndlich, draußen ist es schon dunkel geworden, pas-siert etwas: Melachath hört auf, vorzulesen und fünf der großen Spinnen stehen auf, um die große Höhle durch den ersten Eingang zu verlassen. Nur eine Spinne bleibt bei Melachath zurück, der sich nun auf dem Boden ausstreckt.

Als Ingalf sieht, dass nur noch eine Spinne in der Höhle bleibt, steht er auf, geht zu den Gefährten zu-rück.

Er weckt den schlafenden Hirten und erklärt grin-send: "Das Warten hat sich gelohnt. Meli hat mit Le-sen aufgehört, die Spinnen sind bis auf eine aus der Höhle verschwunden. Jetzt können wir ran!"

Edric ist sofort wach. "Und was machen wir?" fragt er nur.

Elgar hört mit seinen Grübeleien auf und erhebt sich vorsichtig. Erst als er steht, berührt er Rovena vorsich-tig an der Schulter und weckt sie behutsam: "Aufwa-chen." flüstert er erst und wird dann leicht lauter, bis die Hexe wach ist.

Sofort ist Rovena wach und schaut, ein wenig ver-schlafen, um sich. Sie sieht Elgar zu Ingalf gehen und erhebt sich, um Hesander zu wecken, der immer noch zusammengesunken dasitzt.

"Den lass mal schlafen, bis wir hier soweit sind." meint Elgar über die Schulter zur Rovena. "Der wird noch früh genug seine Kommentare zu allem abge-ben."

Etwas erstaunt schaut die Hexe den Magier an, dann schüttelt sie den Kopf. "Wir sollten ihn wecken, viel-leicht fällt ihm ja auch noch etwas Hilfreiches ein", antwortet sie leise und weckt den Geweihten. "Hesan-der, wacht auf, es ist so weit …" Sie schüttelt ihn noch leicht an der Schulter und gesellt sich anschließend zu Elgar und den anderen.

Hesander schreckt hoch, erstaunt darüber, dass er ein-genickt ist, reibt sich die Augen, schaut sich kurz um, erhebt sich dann langsam, reckt und streckt sich, zupft seine Robe zurecht und begibt sich dann zu den ande-ren. "Hat sich zwischenzeitlich etwas ergeben?" fragt er.

"Fünf der Spinnen haben die Höhle verlassen, Me-lachath wird nur noch von einer bewacht", erzählt Ro-vena ihm kurz. "Wir werden ihn jetzt dort raus holen." Sie richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf Ingalf.

Mit dem Stab in der Hand begibt Elgar sich zu Ingalf und fragt: "Wie sieht es aus?"

"Wir haben nur eine Spinne vor uns - da sind doch alle Möglichkeiten offen - wenn es ganz schlimm kommt, dann wird die Spinne verprügelt."

Ingalf hat auch keine rechte Idee, aber mit nur einer Spinne …

Elgar nickt erkennend: "Ich sehe das Wort 'Sturman-griff' über deinem Kopf erscheinen." meint er. "Aber gut. Eine Spinne haben wir schon mal geschafft, warum nicht noch einmal?" fragt er. "Nur sollte unser schneller Rückzug gut gedeckt sein, falls wir verfolgt werden." gibt er zu bedenken.

Bei sich denkt er darüber nach, welche Zauber bei ei-nem Sturmangriff und beim Rückzug wohl maximal nützlich sind. 'Wenn es drauf ankommt, nicht kle-ckern, sondern klotzen' - dieser Spruch seines alten Lehrmeisters fällt ihm plötzlich ein.

"Nee", antwortet der Thorwaler, "eigentlich habe ich vom Angreifen im Moment genug. Ich dachte, wir verwirren die Spinne. Ihre Kumpels sind durch den nördlichen Gang verschwunden. Wenn wir also jetzt durch die anderen Gänge in die Höhle kommen, dann läuft sie vielleicht weg."

'Um die anderen zu holen …'

"Und wir holen Meli und dann nix wie raus … Dann zu den Ponys und Kawi und weg aus diesem ver-dammten Wald."

"Ich bin auch dafür, das Kämpfen zu umgehen. Das können wir immer noch, wenn das alles so nicht funk-tioniert. Können wir den Stein, der das Loch zumacht, durch das wir abhauen, so fixieren, dass die Spinnen nicht rauskommen? Können wir Ausgänge einstürzen lassen? Dann wären wir draußen ja einigermaßen si-cher." meint Grisbart dazu.

"Sach ma', Kurzer" meint Ingalf skeptisch, "bist Du nicht der Zwerg? Du hast doch vorhin schon bewie-sen, wie Du Gänge zum Einsturz bringen kannst …"

"Aber danach aus dem Wald abhauen? Ne. Ich bleibe wohl hier, ich begleite Euch noch bis zum Waldrand und das war's. Vielleicht trifft man sich ja mal in Thorwal oder irgendwo anders."

"Das wohl!" Ingalf wirkt ein wenig betrübt. "Überleg' Dir das nochmal, wir hatten doch jede Menge Spaß!"

Elgar grübelt noch weiter, aber der einzig wirkliche Spruch, der dafür in Frage käme, ist Dank einiger Zauber am heutigen Tag in weite Ferne gerückt. Selbst unter idealen Bedingungen würde er all seine astrale Kraft für einen Versuch des 'Desintegratus' benötigen. Nein, es muss anders gehen.

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Sodann nickt er Ingalf und Grisbart zu: "So machen wir es: Ihr beide stürmt durch den mittleren Gang in den Raum und schreckt die Spinne auf.

Wir kommen durch den Stein-Gang und holen Me-lachath und ihr folgt uns, schließt den Stein und ver-riegelt ihn. Das sollte uns genug Vorsprung verschaf-fen."

"Hmm", grübelt Ingalf, "ich wäre dafür durch alle drei Gänge gleichzeitig in die Höhle zu stürmen. Dann weiß die Spinne gar nicht mehr, wo sie hin soll und flieht durch den Nordgang …

Ich nehme den mittleren Gang, Grisbart den nächsten - er läuft ja nicht so schnell.

Du und Rovena kommen durch den Stein und Edric deckt den Rückzug. Wenn wir alle durch den Gang sind, dann reißt er mit dem Stock den Tunnel ein und wir helfen ihm!"

Ingalf findet seinen Plan gut und schaut die Gefähr-ten fragend an.

"Klingt sehr gut." meint Grisbart und versucht, einige dickere Äste zu holen, die gut zum Graben geeignet sind. mit diesen will er dann später Tunnel einstürzen lassen. Also in die Decke des Tunnels stechen und dann kräftig dran wackeln …

Vorher geht er aber erst noch mal rum und guckt sich die Decke in ihrem Fluchtweg an, nicht, dass die De-cke nur aus Steinen besteht oder von Wurzeln durch-setzt ist.

Die Decke ist - wie fast befürchtet - von Wurzeln durchsetzt. Eine Falle zu bauen, die man schnell und sicher einstürzen lassen könnte, würde bestimmt min-destens einen Tag dauern.

Etwas niedergeschlagen kommt Grisbart von seinem Rundgang zurück. "Ähm, das wird nicht leicht sein, hier die Decke einstürzen zu lassen. Die ist von Wur-zeln durchzogen. Wir könnten höchstens an beiden Eingängen Feuerholz aufschichten und wenn die wir euren Freund haben und aus der Höhle geflohen sind beide Eingänge zustopfen und unter Umständen das Holz anzünden."

"Auch nicht schlecht", Ingalf zuckt mit den Schultern. "Edric, bereitest Du das Feuer vor, wir machen uns für die Überraschung bereit." Er prüft noch einmal seine Orknase, dann wartet er das die anderen ebenfalls fer-tig werden.

Edric ist ein wenig verlegen als er erwidert: "Ähm, welche beiden Eingänge meint ihr denn?"

"Als erstes den schmalen Durchbruch, den Grisbart so tapfer vergrößert hat …" leitet Ingalf seinen Freund an.

"Gut. Ein Holzstoß in den Durchbruch, wo man noch drüberspringen kann. Und als zweites?" Edric schaut fragend.

"Frag den Kurzen", meint Ingalf schulterzuckend, "er wollte zwei Feuer! Mir würde das eine ja reichen."

Edric schaut zu Grisbart

"Grisbart meint bestimmt das Loch ins Freie, das von dem Busch verdeckt wird", mischt sich Rovena ein. "Wenn die Spinnen es tatsächlich irgendwie schaffen sollten, uns an dem ersten Feuer vorbei zu folgen, können wir auch noch versuchen, den Busch in Brand zu stecken", schlägt sie vor.

"Ja genau. Es gibt doch einmal den Eingang, durch den wir alle reingegangen sind, und den Ausgang, den wir gerade vorhin geöffnet haben. Ich dachte halt, dass man beide Öffnungen zu machen kann, aber der Busch sollte es auch tun …"

"So, wenn das geklärt ist …", Ingalf wird langsam un-ruhig - eine Spinne ist in Ordnung, wenn es aber wie-der mehr werden - und treibt die Gefährten an: "Wol-len wir dann unser Plätze einnehmen … Upps, He-sander, Dich hab' ich vergessen. Wo willst Du hin? Mit Edric das Feuer vorbereiten? Oder Meli raustra-gen?"

Hesander schaut noch etwas verschlafen den Thorwa-ler an. "Ich werde mit Edric das Feuer vorbereiten."

"Und die Vorbereitung des Feuers wird länger dauern, als bis 20 zu zählen. Ein wenig Geduld noch." Edric fängt an, ruhig und systematisch im Durchbruch ganz dünne Zweige aufzuschichten. "Hat noch jemand et-was Öl?" fragt er. "Dann kann Elgar den Haufen ganz leicht mit seiner Zauberfackel entzünden, nachdem wir alle durch sind."

Dann fällt ihm noch etwas ein: "Wir sollten alle gleichzeitig losstürmen, denn dann ist die Verwirrung am Größten! Nur wie können wir das erreichen?"

"Ganz einfach!" mischt Elgar sich ein. "Wir fangen alle gleichzeitig an, langsam zu zählen. Eins, zwei, drei … Und bei - sagen wir 20, was alle schaffen müssten - geht es dann von den eingenommenen Po-sitionen los." erklärt er seinen Plan. "Ihr könnt doch alle bis 20 zählen?" blickt er kritisch in die Runde. "Wenigstens einer in jeder Gruppe?"

Als Edric fertig ist, fasst Ingalf noch einmal zusam-men: "Ich gehe zum 2. Durchgang im Rattengang, Grisbart zum nächsten.

Elgar und Rovena holen Meli durch den Stein-Gang und ihr beiden seht zu, dass hinter uns alles brennt!"

Er holt noch einmal tief Luft:" Also los, das wohl! Eins … zwei … drei …"

Er rennt zählend den Rattengang hinunter und wartet vor dem 2.Durchgang bis auf die "… 20"

Grisbart wartet noch, bis Ingalf bis drei gezählt hat, damit er in einem ähnlichen Tempo weiterzählen kann. Dann läuft er los zu seinem Gang, wobei er ver-

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sucht, die letzten Meter möglichst leise zu sein. Dafür hört er dann auch auf zu Laufen.

Währenddessen ist Hesander in Position gegangen, um das Feuer zum richtigen Zeitpunkt zu entzünden und den Rückzug zu decken. "Heilige Mutter der Weisheit, gib uns Deinen Segen, auf dass unser Plan gelingen möge. Oh ewige Leuin, führe die Klingen Deiner Diener, auf dass wir unsere Feinde überwin-den mögen. Oh Herr Phex, segne unsere List, auf dass wir erfolgreich sein mögen", flüstert er noch mit einem flammenden Blick.

Ohne zu zögern beginnt Rovena mit Ingalf zu zählen, schaut Elgar auffordernd an und läuft an der Wand der Höhle zu dem Gang, in dem der Höhleneingang mit einem Stein versperrt ist. Hier zählt sie leise weiter und macht sich bereit, zusammen mit dem Magier den Stein aus dem Weg zu räumen.

Als Erwiderung erhält sie ein freundliches: "Wenn Du zählst, reicht das doch." und damit folgt Elgar der jun-gen Hexe durch den Gang zum Stein.

Dort angekommen bereitet er sich kurz auf den Blitz-Zauber vor. 'Irgendwann muss es ja klappen!' sagt er sich zuversichtlich.

Während die Hexe am Zählen ist, überlegt sie noch, ob es ihr möglich sein könnte, die Spinne einfach mit ihrer Magie zu besänftigen. Doch ein warnendes Ge-fühl rät ihr, es zu lassen, diese Spinne ist ihr mit ihrer verbliebenen Kraft vermutlich weit überlegen.

Sobald Rovena bei "20" angekommen ist, atmet er tief durch und schiebt mit ihr gemeinsam den Stein zur Seite …

Als Ingalf bei 20 angekommen ist, springt er aus dem dunklen Durchgang zur Spinnenhöhle ins Licht. Rechts neben sich sieht er, wie Grisbart durch den Nachbartunnel in die Höhle kommt und am Rande seines Blickfeldes bekommt er noch mit, wie der Stein zur Fischhöhle umfällt.

'Wunderbar!' denkt er sich. 'Das hat bis hierher gut ge-klappt!'

Er nimmt die Orknase fest in beide Hände und be-wegt, sich auf die Spinne zu. Dabei ist er darauf be-dacht ihr nicht die Fluchtmöglichkeit durch den nörd-lichen Ausgang zu verstellen, sondern sich eher in ei-nem Bogen Richtung Grisbart zu nähern.

Ingalf ist etwas dichter bei der Spinne als Grisbart Als Ingalf sich der Spinne auf fünf Schritt genähert hat, wird sie seiner gewahr. Sie springt hoch und dreht sich dabei zu ihm. Eine Woge des Hasses schlägt Ingalf entgegen. Grisbart spürt den Hass auch, Rovena und Elgar merken nichts davon.

Hesander hält sich bereit, um das Feuer zu entzünden wie es abgesprochen war. Sein Herz klopft aufgeregt - werden die Götter mit ihm und den Gefährten sein?

Rovena sieht, dass sich die große Spinne Ingalf zu-wendet und anscheinend nur auf ihn konzentriert ist. Was soll sie nun tun? Sollte Melachath vor Erschöp-fung eingeschlafen sein, muss sie sehr laut rufen, ihn zu wecken und würde damit vielleicht wieder die Konzentration der Spinne auf sich und Melachath lenken, und sie beide sind unbewaffnet. Läuft sie jetzt zu ihm hin, um ihm den Weg zu weisen, könnten ihre Bewegungen die Spinne aufmerken lassen - oder auch nicht, wenn sie leise genug ist.

Sie sucht Elgars Blick. Nein, besser sie wartet, bis die Spinne flieht oder sich zum Kampf entschließt. Dann wird sie Melachath hierher holen. Ihre Hand, die sich an den ebenholzschwarzen Stab klammert, zittert leicht vor Anspannung.

Als Ingalf den Hass der Spinne spürt, die aber nur ihn und nicht die Gefährten sieht, dreht er noch etwas mehr in Richtung Grisbart ab. Der Weg zum nördli-chen Durchgang aus der Halle wird dadurch verlo-ckend einfach für die Spinne.

Da sie aber nicht reagiert, beginnt Ingalf laut zu schreien: "Hau ab, du blödes Vieh! Nutz deine Chan-ce bevor es zu spät ist! Bei Swafnir, verzieh dich!"

Irgend etwas dringt in den Traum des schlafenden Melachath. Ingalf schreit ihn an. Wieso soll er sich verziehen?

Er nähert sich der Spinne nicht weiter, sondern schwingt seine Orknase mit beiden Händen bedroh-lich hin und her.

"Wenn wir dir nicht den Panzer knacken sollen, dann lauf!" schreit er die Spinne an.

Es hat den Anschein, dass das die Spinne sich nicht zweimal sagen lässt. Sie stürmt auf Ingalf zu, der die Worte 'Du verlässt meinen Bau nicht lebend!' in sei-nen Gedanken hört.

"Da wäre ich mir an Deiner Stelle nicht so sicher!" knurrt der Thorwaler die Spinne laut an.

"Los, Elgar, Rovena schnappt euch Meli! Und Gris-bart, komm', die Spinne will sterben!" ruft er den an-deren zu.

Die Zangen der großen Spinne verfehlen Ingalf, als sie ihn erreicht.

Ingalf hat keine Lust mehr auf Spinnenbisse, daher schlägt er mit der Orknase zurück.

Oho! Spinnenzangen können auch zum Parieren be-nutzt werden! Ingalf hat einen blitzsauberen Schlag gelandet, aber die Spinne pariert genau so sauber. Nachdem die Spinne Ingalf in ihrem eigenen Angriff verfehlt, findet dessen Schlag beim nächsten Angriff sein Ziel.

'Wenn sie nicht fliehen will, dann stirbt sie eben.' denkt sich Grisbart und versucht, langsam und vor-sichtig in den Rücken der Spinne zu kommen. Dabei

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nutzt er natürlich jede Lücke, die er irgendwo in der Verteidigung der Spinne sieht. Und seien es die Beine …

Die Spinne spürt offensichtlich Grisbarts Annähe-rung, denn sie weicht sofort zur Seite aus, so dass sie Ingalf schräg rechts und Grisbart schräg links von sich hat. 'So nicht, ihr Nesträuber!' empfangen die beiden.

Elgar, der zusammen mit Rovena den Stein vollstän-dig zur Seite geschoben hat, überblickt die Szene und stellt fest, dass die Spinne für einen Blitz und für einen Fulminictus zu weit entfernt ist. Aber einen Kampfzauber für größere Entfernungen hat er noch - nun ja, so richtig beherrscht er ihn noch nicht.

Rovena lässt sich nicht lange bitten und läuft auf In-galfs Zuruf eilig zu dem am Boden liegenden, schla-fenden Aranier, dabei lässt sie die große Spinne, die durch den Thorwaler in einen Kampf verwickelt ist, nicht aus den Augen.

Elgar folgt ihr, nur einen Schritt dahinter und deckt ihr den Rücken.

Heftig schüttelt die Hexe Melachath an der Schulter. "Wach auf, Melachath, los, steh auf, wir müssen weg hier!" Hastig ruft sie ihm die Worte ins Ohr und lässt nicht nach, an ihm zu zerren, um ihn aus Borons Ar-men zu reißen.

Schlagartig ist Melachath wach. "Was ist …?" sind sei-ne ersten Worte.

"Hoch mit dir und raus hier", zischt Rovena ihn an und versucht, ihn schnellstmöglich auf die Beine zu bringen und in Richtung des Ausgangs in die Abfall-höhle zu bugsieren. Nervös schaut sie immer wieder hinüber zu der kämpfenden Spinne und den anderen Höhleneingängen.

"Oh, gedankt sei den Göttern, dass ihr hier seid." flüs-tert Melachath leise, als er versucht, aufzustehen. Im Dunkeln ist es nicht so genau zu erkennen, aber Rove-na meint eine Träne in einem Lichtstrahl blitzen zu sehen.

"Alle für einen … ist doch klar ", murmelt die Hexe leise und hält ihm ihre Hand hin, um ihm auf die Beine zu helfen.

Als er versucht, wieder auf seinen wackeligen Beinen zu stehen, wirkt er etwas schlapp. Aber als er sieht, dass Elgar und Rovena ihm den Ausgang deuten, wankt er natürlich los.

So gut Rovena vermag, stützt sie den geschwächt wir-kenden Aranier und bleibt an seiner Seite, bis er die Spinnenhöhle durch das Loch verlässt, um ihm dann schnell zu folgen und Platz für Elgar zu machen. In der Abfallhöhle sammelt sie noch eines der Hölzer auf, auf dem sie und Elgar sitzend gewartet haben. 'Man kann ja nie wissen …' denkt sie und wiegt das Aststück in der Hand, während sie Melachath zu dem Loch in der Wand zur anderen Höhle führt.

Derweil tobt der Kampf zwischen der Riesenspinne und den Gefährten.

Gemeinsam rücken die beiden vor, und Ingalf kann seinen zweiten Treffer landen. In der nächsten Runde ist Grisbart erfolgreich, aber der harte Panzer der Spinne verhindert größeren Schaden. Anschließend geht es ein paar Mal hin und her. Die Spinnen kämpft phänomenal. Sie hält beide Angreifer in Schach. Bis auf einen weiteren leichten Treffer durch Grisbart sind die beiden Angreifer erfolglos. Allerdings gelingt es der Spinne auch nicht, einen der beiden zu verletzen.

"Das solltest aufhören dich zu wehren", knurrt Ingalf die Spinne an. "Dann ist das Sterben für dich kürzer! Bei Swafnir!"

Ingalf wird langsam wütend, und dann passiert es. In-galf versucht mit einem wuchtigen Überhandschlag, die Spinne zu zerschmettern, da stolpert er. Um nicht zu fallen, verwandelt er die Abwärts- in eine Drehbe-wegung, und dann ist Rondra bei ihm: Nach einer vollen Drehung erwischt er die Spinne in der Seite. Das Knacken des Panzers wird sogar von Elgar und Rovena gehört.

'Jetzt stirbst Du!' ist die mentale Antwort der Spinne, aber ihr Angriff geht ins Leere.

Ingalf zieht er die Orknase aus dem Panzer und dann sich wieder aus der Reichweite der Spinne zurück. Er bleibt aber angriffsbereit.

"Hui, sah zwar aus wie ein Versehen, aber gewirkt hat das trotzdem."

Grisbart achtet jetzt darauf, wie die Spinne weiter rea-giert. Wenn sie zusammenbricht, dann hilft er natür-lich den anderen, da das leider nicht passiert, bewegt sich Grisbart um die Spinne herum, damit diese in die Zange genommen ist.

Bewundernd sieht Elgar, wie Ingalf der Spinne einen ordentlichen Treffer verpasst. 'Na, die beiden kommen schon klar.' denkt er und deckt den Rückzug von Ro-vena und Melachath aus der Höhle zum Gang mit dem Verschlussstein.

Sobald die beiden anderen hindurch sind, ruft er Gris-bart und Ingalf zu: "Macht Schluss, der Bote hat das Paket abgeholt!" und verschwindet dann selbst in den Gang.

Die Spinne ist zwar schwer angeschlagen, aber noch nicht besiegt. Da die beiden Kämpfer nicht wieder an-greifen, greift sie selbst an – Ingalf. Der kontert sofort, aber die Spinne weicht im letzten Moment aus. Dem nächsten Biss kann Ingalf nicht ausweichen. Seine Gegenangriff geht fehl, aber Grisbart schafft es von hinten, eines der Spinnenbeine zu verletzen. Sie fährt herum, und in dem Moment kommt das Rückzugssi-gnal von Elgar.

Ingalf beißt die Zähne zusammen als der Schmerz seinen Körper durchfährt. Er wartet auf das Gift, aber

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dann fällt ihm ein das beim letzten Kampf mit der großen Spinne auch kein Gift mit im Spiel war.

Im Gang zur Fischhöhle richtet Elgar den Stein wie-der so auf, dass er den Gang verschließt. Um ein Nachkommen der Spinne zu verhindern, versenkt er sich kurz in Konzentration und berührt den Stein mit der linken Hand und murmelt: "Hartes schmelze …" und unter seiner Hand wird ein Randstück des Steins sowie die Höhlenwand weich und geschmeidig. Diese formbare Masse verdreht Elgar ineinander, so dass nur wenige Augenblicke, als der Stein wieder seine ur-sprüngliche Härte annimmt, alles sicher verriegelt ist.

"So, hier kommt nichts mehr durch." stellt er fest und folgt den anderen Richtung Ausgang.

Als Ingalf hört, dass die Aktion geklappt hat, zieht er sich vorsichtig rückwärts zum Ausgang zurück.

Und auch Grisbart zieht sich vorsichtig zurück.

Die Spinne setzt nach, aber trifft nicht.

Ingalf weicht den Angriffen der geschwächten Spinne immer wieder aus.

Schritt für Schritt weicht er hinter den drei Gefährten Richtung Fischhöhle zurück.

Als Grisbart bemerkt, dass der Stein wieder steht, meint er: "Hey Großer, die haben den Stein wieder aufgerichtet. Wir müssen durch einen Gang wieder raus. Lass uns den nächsten Gang nehmen."

Und dann weicht er neben Ingalf weiter zurück. Er geht etwas vor Ingalf, denn Ingalf ist ja einigermaßen ungeschützt, während er ja ein Kettenhemd und ein Schild trägt.

"Das wohl!" meint Ingalf, und führt ein Kurskorrektur durch. "Schönen Schild hast Du!" fügt er noch grin-send hinzu.

Schritt für Schritt weichen die beiden zurück, ganz aufs Verteidigen konzentriert. Die Spinne springt im-mer wieder vor, will Grisbart beißen. Und irgend-wann, Ingalf und Grisbart sind noch drei Schritt vor der Abfallhöhle, hat sie Glück und kommt an Gris-barts Deckung vorbei.

Tief bohren sich ihre Zangen in seinen Unterleib. Fast wird ihm vor Schmerz schwarz vor Augen, aber unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung gelingt es ihm, nicht das Bewusstsein zu verlieren.

Mit zusammengebissenen Zähnen zieht sich Grisbart weiter zurück. "Beweg dich schneller, damit wir end-lich draußen sind", ruft er Ingalf zu.

"Red' nicht so viel komm!" meint Ingalf darauf be-dacht den Zwerg mit sich aus der Höhle zu bekom-men. "Und kipp mir jetzt nicht aus den Latschen!"

Die letzten Schritte übernimmt Ingalf die Deckung. Dann sind die beiden in der Abfallhalle, wo schon die anderen warten. Ingalf ist so aufs Verteidigen konzen-triert, dass er gar nicht richtig mitbekommt, dass ih-

nen die große Spinne nicht in die Höhle folgt. 'Verfau-len sollt ihr hier!' schleudert ihnen die Spinne hinter-her. Dann macht sie kehrt.

'Hm. Offenbar weiß die Spinne nicht, dass es hier einen weiteren Ausgang gibt.' überlegt Elgar. Dann drängt er leise: "Los, alles raus hier! Aber ein Feuer machen wir nicht, das würde uns nur verraten."

Dann eilt er hinaus.

'Das würde dir so gefallen …' denkt Rovena grimmig über die guten Wünsche der großen Spinne. Sie wartet, bis Melachath Elgar gefolgt ist und schließt sich ihnen sofort an. 'Bloß schnell raus hier …'

Als Ingalf mit Grisbart in Sicherheit hinter dem Stein-tor sind, holt er erstmal tief Luft. Dann geht er auf Melachath zu und drückt sich den Aranier an die - nach faulem Fisch, Blut und Schweiß riechende - Brust: "Mensch, Meli, schön das wir Dich endlich wiederhaben! War ganz schön langweilig mit den den doofen Spinnen, oder? Naja, Du kannst es uns ja draußen erzählen. Nun los, raus!"

Er schiebt den Aranier vor sich her und passt auch auf, dass der Zwerg nicht zurückbleibt. Wenn sie an den Holzstößen vorbei sind, fordert er Edric und Hesan-der auf ihnen zu folgen.

Da offensichtlich ein Ablenkungsfeuer nicht mehr vonnöten ist (so beurteilt Hesander die Lage), schaut er kurz Edric an und versichert sich seiner Zustim-mung. Dann wird er mit Edric zusammen die Höhle verlassen.

Edric nickt ihm zu und wird dem Geweihten folgen und als Letzter die Höhle verlassen.

Als Melachath das Tageslicht erblickt, atmet er erst einmal tief durch und umarmt alle Gefährten. Man sieht ihm an, dass er sehr froh ist, nicht mehr in der Höhle zu sein.

Auch er wird darauf drängen, schnell erst einmal Ab-stand zwischen die Gruppe und die Höhle zu brin-gen. Abends wird er das wenige, was er zu erzählen hat, erzählen.

Sobald alle aus dem Spinnenbau entkommen sind und ein wenig Distanz zu selbigem gewonnen haben, wird Hesander die Gruppe bitten, gemeinsam mit ihm den Göttern für die geglückte Flucht zu danken in Form eines Gebets.

Als Ingalf das Anliegen des Geweihten erkennt, meint er nur: "Hast ja Recht, aber hier ist weder der Ort noch die Zeit für sowas. Lasst uns erst die Maultiere bela-den und ein großes Stück Weg zwischen uns und den Spinnenbau bringen, dann erst werden wir Ruhe ha-ben. Und dann kannst Du danken, wem Du willst! Das wohl!"

Diesem Einwand schließt sich Elgar mit den Worten an: "Wir wollen doch nicht, dass das Abenteuer gleich

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von vorn beginnt, oder? Und wer weiß, wen die Spin-nen sich diesmal als 'Gast' aussuchen."

Edric ist erst nach dem Verlassen des unterirdischen Baus aufgefallen, dass Grisbart der Zwerg, offensicht-lich schwer verletzt wurde.

"Was ist mit Dir, Grisbart?" fragt er besorgt. 'Einen Moment Rast sollten wir einlegen um ihn zu versor-gen.'

"Lass uns das verbinden, wenn wir nicht mehr in dem Gebiet der Spinnen sind. Das sollte reichen. Blut sieht viel spektakulärer aus, als es ist. Und so weh tut es gar nicht", meint Grisbart mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen. "Allerdings könnt ihr das Schild jetzt gerne wieder haben. Das ist mir jetzt doch etwas schwer."

Edric nickt zustimmend. Froh darüber, dass der Zwerg nicht ernstlich verletzt scheint, nimmt er die-sem erstmal das Schild ab.

"Komm her, lass das mal ansehen." fordert Elgar den Zwerg auf. Als dieser sein Kettenhemd mit erheblicher Hilfe des Magiers endlich soweit gelöst hat, dass die Wunde frei liegt, erkennt Elgar einen tiefen Biss.

"Das müssen wir fachmännisch versorgen." meint er und legt seine rechte Hand auf die Wunde, schließt die Augen und konzentriert sich: "Balsam Salabunde …" ist sein Gemurmel leise zu hören.

Nach kurzer Zeit beginnt die Wunde, sich zu schlie-ßen. Jedoch nicht ganz. "Den Rest müssen wir kon-ventionell regeln." meint er lakonisch und verbindet

mit ein paar von Rovenas sauberen Stoffstreifen, die extra für diese Zwecke aus Thorwal mitgenommen worden sind, Grisbarts Wunde. "So fertig." ist nach kurzer Zeit zu hören.

Aufmerksam schaut Rovena dem Magier zu und als Elgar soweit ist, die fast geheilte Wunde zu verbinden, reicht sie ihm wortlos das Verbandsmaterial. "Wir wer-den auf dich Rücksicht nehmen, Grisbart, und lang-sam gehen", meint sie und nickt dem Zwerg aufmun-tern zu. "Wenn wir einen sicheren Rastplatz erreicht haben, trage ich noch Tarnelensalbe auf die Wunde auf, damit du bald wieder genesen bist."

"Danke ihr beiden. So wie das aussieht, muss ich wohl doch noch nicht unbedingt wieder in die Stadt zu ei-nem Heiler und kann noch weiter hier bleiben. Wir können ja ruhig den Tag über rasten und noch eine Nacht gemeinsam verbringen. Dann trennen sich un-sere Wege wieder", meint Grisbart.

"Mensch, Kurzer", meint Ingalf, "überleg' Dir das gut. Wenn die Spinnen Deinen Anteil an der Aktion spitz kriegen, hast Du hier im Wald keine Ruhe mehr!"

Elgar nimmt danach all seine Sachen auf und mar-schiert dann gemeinsam mit Rovena und dem von ihr geführten Maultier.

Ingalf, der neben Edric geht, sagt zu ihm: "Soll ich meinen alten Schild wieder nehmen oder willst Du ihn tragen?"

"Nimm ihn ruhig. Ich kann damit ohnehin nichts an-fangen." Edric ist ein wenig erleichtert, den Schild wieder abgeben zu können.

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Spinnenwald Nachspielie Helden finden in der sternhellen Nacht schnell ihre beiden - glücklicherweise unver-

sehrten - Maultiere.DDFast hätten die Helden wirklich nur noch die beiden Maultiere angetroffen, denn Kawi, der sich den gan-zen Tag gelangweilt hatte, hatte seinen Strick schon fast durchgebissen.

Als er die Gefährten in das Versteck kommen sieht, läuft er auf Ingalf zu und - zwusch - reißt die Leine vollständig durch und der kleine Hund kugelt auf In-galf zu.

Der Thorwaler bückt sich und nimmt freudestrahlend den Welpen auf den Arm.

"Wir sind alle wieder da!" meint er leise zu dem Hund. "Und den Onkel Melachath haben wir auch wieder mitgebracht." Dann setzt er ihn sanft ab und meint - etwas lauter und nicht mehr so säuselnd: "Wir sollten jetzt los! Komm Edric, hilf mir bei den Maul-tieren."

Edric ist erleichtert, die Maultiere und den kleinen Hund unversehrt vorzufinden. Schnell hilft er Ingalf, die Tiere marschfertig zu machen.

Ganz schnell macht sich die Gruppe Richtung Nor-den davon bis sie kurz vor Morgengrauen an den Nor-drand des Waldes kommt, den alle in Zukunft nur noch "Spinnenwald" nennen werden. Ein erstes Aben-teuer liegt hiermit hinter den Helden, weitere werden folgen.

Erschöpft nutzt Hirte die nächste Gelegenheit, um sich auszuruhen.

Hingebungsvoll kümmert er sich um die Tiere, die Menschen werden schließlich von anderen besser um-sorgt.

Die bisherige Reise war alles andere als er erwartet hatte. Das Land ist unbekannt und birgt Gefahren, die sie nicht kennen.

'Es ist wie auf dem Weltenbaum …' Auch dort trafen sie ihnen unbekannte Wesen. 'Und hier im Orkland? Echsen, Drachen, Spinnen … nur keine Orks.' Ein wenig beunruhigt ihn dieser Gedanke.

Auf dem Marsch kontrolliert Elgar hin und wieder Grisbarts Verbände und wechselt sie bei Bedarf. An-sonsten hält er sich an Rovenas Seite und ist eher wortkarg, um nicht zu sagen schweigsam.

Die junge Hexe geht Elgar bei der Versorgung der Wunden der Verletzten zur Hand. Seine Schweigsam-keit fällt ihr auf, doch sie akzeptiert, dass er anschei-nend seinen Gedanken nachzugehen wünscht und drängt ihn nicht, darüber zu reden. Wenn die Zeit ge-kommen ist, wird er erzählen, was ihn so beschäftigt.

Als die Gruppe im frühen Morgengrauen den Wald-rand erreicht, fällt Grisbart etwas zurück. Offensicht-lich erschöpft schlägt er vor, hier am Waldrand einen Tag und eine Nacht zu rasten, da alle Gefährten schon lange nicht mehr geschlafen haben und man den meisten die Müdigkeit deutlich ansieht.

Ingalf nickt nur müde und fällt in einen tiefen Schlaf in dem er unruhig von Spinnen träumt. Kawi ku-schelt sich an seine Seite und schläft ebenfalls.

Rovena hat überhaupt nichts dagegen einzuwenden, nach dem anstrengenden Marsch endlich eine Rast einzulegen. Ihre Füße tun ihr weh, der Gestank nach den vergammelten Fischabfällen hängt in ihrer Klei-dung und sie ist mehr als erschöpft nach ihrer kräfte-zehrenden Flucht vor den Spinnen.

Da sich keiner dagegen ausspricht, fängt er an, mit Rovena ein kleines Feuer zu entfachen.

Nachdem das Lagerfeuer brennt, schaut sich die Hexe suchend um. Ein kleiner Bach, der sich durch das Un-terholz schlängelt, kommt ihr gelegen und sie gibt ih-ren Gefährten zu verstehen, dass sie sich dort von dem Schmutz und Geruch des Spinnenbaus befreien will. Geschützt durch das Unterholz, doch in relativer Sichtweite zu ihren Gefährten, entledigt sich ihrer Kleidung und beginnt sich gründlich zu waschen.

Anschließend reinigt sie auch Rock und Bluse, die sie zum Trocken in die Sonne legt. Eingewickelt in ihren Kapuzenumhang legt sie sich hin, ihren Stab fest an sich gedrückt, vertraut darauf, dass ihre Gefährten wachsam sind und döst ein wenig vor sich hin, bis sie ihre trockenen Sachen wieder anlegen kann.

Den Tag über unterhält er sich mit den Gefährten, die wach bleiben und zeigt ihnen einige kleine Tricks, um im Wald an Nahrung zu kommen. So gibt es abends sogar Spiegeleier und ein bisschen Fleisch.

Rovena begleitet den Zwerg durch den Wald und ach-tet darauf, keinen seiner Ratschläge zu verpassen. Sie lässt sich von ihm zeigen, welche Vögel wo ihre Nester versteckt haben und wie man hier kleinere Tiere als Beute findet und zur Strecke bringt.

Zurück im Lager kümmert sie sich wieder um die Ver-letzungen ihrer Gefährten, die mit frischen Verbänden versehen werden. Die gebrauchten Stoffe reinigt sie in kochendem Wasser, denn wer weiß, wann sie diese wieder benötigt werden.

Als es Abend wird und die Gruppe um das Feuer her-um sitzt, steht er irgendwann sehr ruckartig auf. "Hmmm. Ich werde Euch jetzt verlassen. Ich bin si-cher, dass ich in diesem Wald noch mein ersehntes Gold finde. Es war mir eine Freude Euch alle kennen gelernt zu haben und ich wünsche Euch noch eine

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schöne weitere Reise. Vielleicht sieht man sich ja ir-gendwann einmal in Thorwal oder Lowangen oder so." Langsam geht er reihum und schüttelt jedem die Hand.

Edric ist betrübt über die Entscheidung des Zwerges, sie zu verlassen. Er hat sich als echter Freund ent-puppt, obwohl er zu Beginn doch Zweifel gegenüber dem Zwergen gehegt hatte.

Hesander sagt während des Händedrucks: "Geh mit dem Segen Angroschs, der Dich auf Deinem Weg be-hüten möge und Dich leiten möge."

Elgar erhebt sich förmlich und erwidert den Hände-druck mit einer angedeuteten Verbeugung. "Es ist viel-leicht etwas spät," beginnt er, "aber wir alle haben ziemlich viel zusammen erlebt und auch durchgestan-den. Bitte, Freunde," betont er besonders, "nennt mich von jetzt an nur noch 'Isinha'. Das ist die Kurzform meines wahren Namens."

Der Geweihte hebt kurz eine Augenbraue und über-legt, wie der Name wohl in seiner vollständigen Form lauten mag. "So hat Euch Rovena bereits die ganze Zeit über genannt. Adeptus Isinha …"

"Gut aufgemerkt." stellt der Angesprochene fest. "Aber den Adeptus hebt Euch für offizielle Anlässe auf. Und er gehört in keiner Weise zu meinem Namen. Den Ti-tel habe ich unter dem mir 'gegebenen' Namen Elgar Arres erworben. Aber ich bin Isinha." Er hält inne, studiert den verblüfften Gesichtsausdruck des Ge-weihten. "Irgendwann werdet Ihr verstehen." fährt er mit hoffnungsvoller Stimme fort. "Irgendwann …"

Edric schaut den Magier irritiert an und schüttelt ver-ständnislos das Haupt. Er wird Menschen von hohem Rang wohl nie verstehen … und diesen komplizierten Reisegefährten schon gar nicht.

'Namen, die gegeben werden? Und trotzdem ist er ein anderer?' er wundert sich über Titel, die zu dem einen gehören und dennoch ist er jemand ganz anderes?

'Am sichersten wird auch in Zukunft "Herr Arres" bleiben', entscheidet sich er junge Hirte. Auch wenn er dafür wieder Tadel bekommt.

"Und ihr dürft weiter Du zu mir sagen", meint Ingalf.

Edric traut seinen Ohren nicht. Was hat Ingalf da ge-sagt?Unwillkürlich muss er lauthals loslachen.

Hesanders Miene wechselt zu einem eher unbeein-druckten Blick. "Ich verstehe Euch sicherlich mehr als Ihr denkt. Wenngleich Ihr mein Verständnis mit Eurer unterschwellig herablassenden Art immer wieder auf die Probe stellt." Letzteres sagt er mit sehr finalem Tonfall. Dann wendet sich Hesander an die Gruppe.

"Mensch, Kurzer", meint Ingalf als ihm der Zwerg die Hand schüttelt, "was ist schon Gold gegen Freunde, bleib doch! Trink wenigstens noch einen Krug mit uns."

Auch Rovena verabschiedet sich mit leichtem Bedau-ern von ihrem unverhofften Begleiter, der ihnen bei der Suche nach dem Aranier doch eine Hilfe war, auch wenn sie ihm anfangs misstrauisch gegenüber stand.

Einen letzten Krug trinkt er noch auf die Gruppe und geh dann nach Süden in den Wald. Schon nach weni-gen Schritten ist er im Dunkel nicht mehr zu sehen.

Als der Zwerg weg ist, wendet sich Ingalf kopfschüt-telnd an Edric: "Was ein komisches Kerlchen. Ver-stehst Du den denn?"

"Ja, irgendwie schon …" antwortet Edric. Auch er selbst hatte damals ein Ziel vor Augen. Auch wenn es ein anderes war, als Gold zu schürfen …

Eine Weile schaut die Hexe dem Zwerg hinterher.

"Es ist an der Zeit, dass wir den Göttern für ihren Bei-stand danken. Lasst uns niederknien."

Edric kniet mit dem Geweihten nieder. Obwohl He-sander bisweilen etwas seltsam ist - aber von wem in der Gruppe könnte man das nicht behaupten, außer Ingalf vielleicht - sind es schließlich die Götter, die über ihnen wachen. Der Mensch kann zwar seinen Weg einschlagen, doch die Götter lenken eben diesen.

"Knie Du man nieder", meint Ingalf und dreht sich zu dem Welpen um, "ich kann grad nicht, Kawi muss mal!"

Er wendet sich dem kleinen Bornländer zu und geht mit ihm in die zu Hesander entgegengesetzte Rich-tung davon.

"Armer Mann." So leise, dass es eigentlich niemand der Gefährten verstehen kann, fährt er mit einem leichten Kopfschütteln fort: "Siehst du, Tonku? Er versteht eben nicht. Wie sollte er auch." murmelt der Magier vor sich hin.

Rovena schüttelt ungläubig den Kopf, tritt einen Schritt zurück. "Das könnt Ihr von mir nicht erwar-ten, Hesander", antwortet sie ihm und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. "Dankt Ihr Euren Göttern auf Eure, ich der meinen auf mein Art." Sie lehnt sich ge-gen einen Baum, sieht Ingalf nach und beobachtet kommentarlos, wie Edric sich niederkniet.

Mit unbewegter Miene hört sie sich Hesanders Lita-neien an, ab und zu wirft sie Elgar und Melachath einen Blick zu, starr jedoch die meiste Zeit gedanken-verloren in den Wald.

"Was meinst Du, Kleiner?" fragt er den Hund, als er außer Hörweite des Geweihten ist. "Gibt er denn nie-mals auf? Mit seinen ewigen Litaneien und Gebeten … Bei Swafnir, er geht mir damit mächtig auf die Nerven. Kann er nicht einfach nur still und für sich beten …"

Der Welpe hört sich das Geschimpfe leise kläffend an.

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Dann wickelt sie sich fröstelnd in ihren Umhang. Ihre Suche in den Wipfeln der Bäume hat wieder zu kei-nem Erfolg geführt und still bleibt ihr Blick in dem flackernden Feuer hängen, dessen Prasseln und Knacken sich mit den Geräuschen der Nacht ver-mischt.

Am Lagerfeuer sitzend vervollständigt Isinha sein Ta-gebuch und schreibt eifrig an einem Bericht über die Erlebnisse und vor allem die magischen Fähigkeiten der Riesenspinnen. Gleich bei nächster Gelegenheit wird er diesen Bericht kopieren und an seine alma mater schicken.

Später sitzt er dann da und scheint zu meditieren. Je-denfalls nimmt er nicht an den Gesprächen teil, die die Gefährten führen mögen. Er scheint nicht einmal deren Gegenwart zu bemerken.

Die Nacht verbringt er mit einem guten und tiefen Schlaf. Die Regeneration hat er bitter nötig. Zu an-strengend waren die letzten Stunden im Spinnenbau.

In den nächsten Tagen wird irgendwer aus der Grup-pe bemerken, dass das Beil, dass Grisbart in der Höhle mit hatte nicht mehr auf den Maultieren ist. Schein-bar muss es übersehen worden sein, aber irgendwie hatte Grisbart das Beil an dem Abend auch nicht an seinem Gürtel …

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