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4/2013 60 Simulation & Visualisierung 50 Jahre MSC Software A lles begann mit einem Auftrag der NASA, ein Programm zur Lösung fi- niter Elemente (FE) zu entwickeln. Dessen Name – Nastran – ist eines der Synonyme für den Siegeszug der nume- rischen Simulation. Heute gehört MSC Software mit einer deutlich umfangrei- cheren Angebotspalette nach wie vor zur Spitzengruppe der CAE-Anbieter, an der kein CAE-Interessent bei seiner Entschei- dungsfindung vorbeikommt. Rechenschieber, mechanischer Tisch- rechner und Zeichenbrett waren die wich- tigsten Werkzeuge, mit denen Ingenieure in den 60er Jahren Autos, Flugzeuge oder andere komplexe Investitionsgüter ent- wickelten. Es herrschte eine heute kaum noch nachvollziehbare Technik-Eupho- rie, die 1961 in dem Versprechen von J. F. Kennedy gipfelte, noch in den 60er Jahren Amerikaner zum Mond zu bringen. Intensiv wurde nach Möglichkeiten ge- sucht, die dazu benötigten neuen Tech- niken besser und effizienter entwickeln und analysieren zu können. Numerische Verfahren wie die Finite-Elemente-Me- thode (FEM) zur computergestützten Strukturanalyse waren in ihrem Prinzip zwar schon bekannt, aber kommerzielle Anwendungen gab es noch keine. Das änderte sich erst, als die Raumfahrtbe- hörde NASA die Entwicklung eines FE- Programms ausschrieb, das statische und dynamischen Analysen mit mindestens 2.000 Freiheitsgraden ermöglichen und damit bislang verfügbare Programme deutlich übertreffen sollte. Den Zuschlag erhielt die 1963 von Ri- chard H. MacNeal und seinem Freund Ro- bert Schwendler neu gegründete Mac- Neal-Schwendler Corporation (MSC). Ursprünglich mit dem Ziel angetreten, der Luft- und Raumfahrtindustrie Consul- ting-Leistungen im Bereich der compu- tergestützten Strukturanalyse anzubie- ten, hatte man für die Entwicklung eine Projektgruppe initiiert, der auch CSC und Martin Marietta angehörten. 1967 erhielt das Programm den Namen Nastran (Nasa Structural Analysis Program) und wurde 1969 am Goddard Space Flight Center zum ersten Mal installiert. Wie groß die erzielten Fortschritte waren, verdeutlichen Zahlen des Flugzeugher- stellers Bell Helicopter: Benötigte man mit herkömmlichen Methoden für die Analyse von fünf Lastfällen 4.550 Mann- stunden, so konnten mit Nastran in „le- diglich“ 1.675 Mannstunden 36 Lastfälle berechnet werden. Start der kommerziellen Vermarktung Als öffentliche Institution musste die NASA das Programm allgemein verfüg- bar machen und so konnte jeder Inte- ressierte Nastran für 1.750 US-Dollar kaufen. Bis in die jüngere Vergangen- heit waren deshalb unterschiedliche Nastran-Versionen auf dem Markt, und auch MSC stellte 1971 eine eigene Ver- sion vor. MSC/NASTRAN war zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich besser als das ursprüngliche Programm, da MSC zirka ein Drittel der 150.000 Fortran-State- ments verbessert beziehungsweise neu geschrieben hatte. In der Vermarktung beschritt MSC neue Wege: Kunden konn- ten MSC/NASTRAN erstmals gegen eine geringe Gebühr mieten und hatten da- durch Anspruch auf telefonische Unter- stützung. Im ersten Jahr der NASTRAN- Einführung hatte MSC so 15 Neukunden gewonnen. DIE GESCHICHTE DER COMPUTERGESTÜTZTEN NUMERISCHEN SIMULATION Am Anfang war die Raumfahrt VON ULRICH FELDHAUS Wenn man fünfzig wird, gehört man längst nicht zum alten Eisen und hat doch einiges zu erzählen vom Weg, der hinter einem liegt. Das zeigt in diesen Tagen der CAE-Anbieter MSC Software, der sein 50. Firmenjubilä- um begeht. Ein Streifzug durch die Historie der numerischen Simulation. 1963: Richard H. MacNeal und Robert Schwendler gründen die McNeal Schwendler Corporation (MSC), ein Auftrag der NASA mün- dete im Simulations- programm Nastran.

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Alles begann mit einem Auftrag der NASA, ein Programm zur Lösung fi-niter Elemente (FE) zu entwickeln.

Dessen Name – Nastran – ist eines der Synonyme für den Siegeszug der nume-rischen Simulation. Heute gehört MSC Software mit einer deutlich umfangrei-cheren Angebotspalette nach wie vor zur Spitzengruppe der CAE-Anbieter, an der kein CAE-Interessent bei seiner Entschei-dungsfindung vorbeikommt.

Rechenschieber, mechanischer Tisch-rechner und Zeichenbrett waren die wich-tigsten Werkzeuge, mit denen Ingenieure in den 60er Jahren Autos, Flugzeuge oder andere komplexe Investitionsgüter ent-wickelten. Es herrschte eine heute kaum noch nachvollziehbare Technik-Eupho-rie, die 1961 in dem Versprechen von J. F. Kennedy gipfelte, noch in den 60er Jahren Amerikaner zum Mond zu bringen.

Intensiv wurde nach Möglichkeiten ge-sucht, die dazu benötigten neuen Tech-niken besser und effizienter entwickeln und analysieren zu können. Numerische Verfahren wie die Finite-Elemente-Me-thode (FEM) zur computergestützten Strukturanalyse waren in ihrem Prinzip zwar schon bekannt, aber kommerzielle Anwendungen gab es noch keine. Das änderte sich erst, als die Raumfahrtbe-

hörde NASA die Entwicklung eines FE-Programms ausschrieb, das statische und dynamischen Analysen mit mindestens 2.000 Freiheitsgraden ermöglichen und damit bislang verfügbare Programme deutlich übertreffen sollte.

Den Zuschlag erhielt die 1963 von Ri-chard H. MacNeal und seinem Freund Ro-bert Schwendler neu gegründete Mac-Neal-Schwendler Corporation (MSC). Ursprünglich mit dem Ziel angetreten, der Luft- und Raumfahrtindustrie Consul-ting-Leistungen im Bereich der compu-tergestützten Strukturanalyse anzubie-ten, hatte man für die Entwicklung eine Projektgruppe initiiert, der auch CSC und Martin Marietta angehörten. 1967 erhielt das Programm den Namen Nastran (Nasa Structural Analysis Program) und wurde 1969 am Goddard Space Flight Center zum ersten Mal installiert.

Wie groß die erzielten Fortschritte waren, verdeutlichen Zahlen des Flugzeugher-stellers Bell Helicopter: Benötigte man mit herkömmlichen Methoden für die Analyse von fünf Lastfällen 4.550 Mann-stunden, so konnten mit Nastran in „le-diglich“ 1.675 Mannstunden 36 Lastfälle berechnet werden.

Start der kommerziellen VermarktungAls öffentliche Institution musste die NASA das Programm allgemein verfüg-bar machen und so konnte jeder Inte-ressierte Nastran für 1.750 US-Dollar kaufen. Bis in die jüngere Vergangen-heit waren deshalb unterschiedliche Nastran-Versionen auf dem Markt, und auch MSC stellte 1971 eine eigene Ver-sion vor. MSC/NASTRAN war zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich besser als das ursprüngliche Programm, da MSC zirka ein Drittel der 150.000 Fortran-State-ments verbessert beziehungsweise neu geschrieben hatte. In der Vermarktung beschritt MSC neue Wege: Kunden konn-ten MSC/NASTRAN erstmals gegen eine geringe Gebühr mieten und hatten da-durch Anspruch auf telefonische Unter-stützung. Im ersten Jahr der NASTRAN-Einführung hatte MSC so 15 Neukunden gewonnen.

D i e G e S c h i c h t e D e r c o m p u t e r G e S t ü t z t e n n u m e r i S c h e n S i m u l a t i o n

Am Anfang war die Raumfahrtv o n U l r i c h F e l d h a U s

Wenn man fünfzig wird, gehört man längst nicht zum alten eisen und hat doch einiges zu erzählen vom Weg,

der hinter einem liegt. Das zeigt in diesen tagen der cae-anbieter mSc Software, der sein 50. Firmenjubilä-

um begeht. ein Streifzug durch die historie der numerischen Simulation.

1963: richard h. Macneal und robert schwendler gründen die Mcneal schwendler corporation (Msc), ein auftrag der nasa mün-dete im simulations-programm nastran.

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Fem-pioniere und -GoldgräberDie FEM-Methode war dem Experimen-tierstadium entwachsen, der Funktions-umfang allerdings nach wie vor auf li-neare Statik und Dynamik mit einfachen Elementtypen begrenzt. Auch wenn sich in den 1970ern allmählich Unternehmen außerhalb der Luft- und Raumfahrt für die FEM interessierten und viele noch heute bekannte CAE-Anbieter gegründet wurden – beispielsweise ANSYS (1970), MARC (1971), MDI (1977) und Abaqus (1978) – konnte von einem Simulations-boom kaum die Rede sein.

Viele standen den neuen Möglichkeiten nach wie vor skeptisch gegenüber, nicht zuletzt wegen der enorm hohen Anfangs-investitionen. Allein die Hardwarekosten waren immens: Ein VAX-750-Computer von Digital Equipment, damaliger Stan-dard in der technischen Berechnung, kos-tete mehr als eine halbe Million Deutsche Mark, und für grafische Arbeitsplätze, meist mit monochromen Tektronix-4014--Bildschirmen bestückt, wurden bis zu 100.000 DM in Rechnung gestellt.

Die Arbeit mit FEM-Programmen war aufwändig und wenig anwenderori-entiert. Geometriedaten mussten aus technischen Zeichnungen abgegriffen werden, und Geometrieaufbereitung, Vernetzung und Auswertung erfolgten größtenteils manuell. Selbst die Bearbei-tung kleinerer Projekte nahm so Wochen bis Monate in Anspruch.

80er und 90er: ab in die masseDie in den 80er Jahren einsetzende Ent-wicklung preiswerterer Workstations und Personal Computer erleichterte den Einstieg in die Simulation und die zu-nehmend populären 2D- und 3D-CAD-Systeme ermöglichten durch die direk-te Übernahme von Konstruktionsdaten eine engere Integration der Simulation in den Entwicklungsprozess.

Programme zur Strömungssimulati-on, Temperatur- und Magnetfeldberech-nung und zur Analyse nichtlinearer und zeitabhängiger Vorgänge erweiterten die Bandbreite der Anwendungsmög-lichkeiten zusehends. Für die inzwischen börsennotierte MSC endeten 1989 mit der Übernahme von Pisces/Gouda die Jahre der Nastran-Monokultur und 1991 wurde das Programm Dytran zur Analy-se hochgradig nichtlinearer transienter Aufgabenstellungen vorgestellt. 1994 übernimmt MSC mit PDA Engineering

den Entwickler des Pre-/Postprozessors Patran und wird so der weltweit größte Anbieter von CAE-Lösungen.

Der Weg zum lösungsanbieterIm Gegensatz zu vielen Mitbewerbern hat MSC schon früh erkannt, dass die Indus-trie Partner benötigt, die nicht nur Pro-gramme liefert, sondern Lösungen bietet, die alle Aspekte des Simulationsprozesses abdecken. Nach außen sichtbar wird dies zum einen durch zahlreiche Neuentwick-lungen, die vor allem unternehmensüber-greifende und prozessorientierte Lösun-gen bieten, beispielsweise die Programme SimDesigner oder SimXpert. Darüber hin-aus beginnt das Unternehmen, das seit 1999 den Namen MSC Software trägt, sein Lösungsportfolio durch Übernahmen zu-sätzlich zu vergrößern (beispielsweise MARC, MDI, CAE Partner, STC, Knowledge Revolution, Pioneer Solutions, Network Analysis). Mit dem Erwerb der CAE-Bench von SGI wurde die Basis für eine Simula-tion-Data-Management-Lösung (SDM) ge legt, die heute unter dem Namen Sim-Manager firmiert.

Simulation ersetzt physisches trial and errorSeit den 90er Jahren beginnen Unterneh-men, die inzwischen einfach verfügbaren Simulationsmöglichkeiten zur Gestaltung kürzerer und kosteneffizienterer Ent-wicklungsprozesse einzusetzen. Product Lifecycle Management (PLM) und die vir-tuelle Produktentwicklung sind Ansätze, die auf der massiven und durchgängigen Nutzung von CAX-Werkzeugen basieren.

Konventionelle Entwicklungsprozes-se, die nach der Trial-and-Error-Methode auf Basis physischer Prototypen abliefen, werden zugunsten eines simulationsba-sierenden Frontloading-Ansatzes refor-miert, bei dem schon in der Konzeptphase und über den gesamten Entwicklungs-prozess hinweg unterschiedlichste CAE-

Lösungen, oftmals in multi-disziplinären Anwendungen, eingesetzt werden.

Wie sehr sich die Leistungsgrenze von Nastran in den vergangenen Jah-ren erweitert hat, spiegelt auch ein 2007 zusammen mit BMW und IBM durch-geführter Benchmark-Test wider. Das Berechnungsmodell des Body in White eines BMW X5 verfügt über 151 Millio-nen Knoten und besteht aus 95 Millionen Hexaeder-Elementen mit 911 Millionen Freiheitsgraden. Damals aktuelle Stan-dard-Hard- und Software benötigte für die Berechnung eines linear statischen Lastfalls 22 Stunden Rechenzeit und dürfte mit heutiger Technologie noch-mals deutlich schneller sein.

Gerüstet für die zukunftSeit 2009 ist das Unternehmen MSC Soft-ware, das inzwischen rund 1.000 Mitarbei-ter beschäftigt, Teil der in Privathand be-findlichen Symphony Technology Group. Aus einer durchlaufenen Konsolidierungs-phase ist das Unternehmen gestärkt und neu fokussiert hervorgegangen. Mit MSC Nastran Desktop und seinen weiteren Pro-dukten ist MSC Software bestens gerüstet, durch multidisziplinäre Anwendungen das Produktverhalten simulationstech-nisch möglichst realistisch abzubilden und Unternehmen dabei zu unterstützen, Wertschöpfung durch Simulation weiter zu verbessern. Die Erfahrung aus 50 Jah-ren CAE und ein ausgereiftes und innova-tives Produktportfolio sind dazu passende Zutaten. jbi

Zu ihrer Zeit ein supercomputer: die cdc 6600 hatte einen hauptspeicher von 128 KByte und Plattenspeicher im Kühlschrankformat, die ei-nige hundert MByte speichern konnten.

Mit der Mehrkörper-simulation adams lassen sich komplexe kinematische aufga-benstellungen bear-beiten.Bilder: MSC Software

Auszug aus dem DIGITAL ENGINEERING Magazin 4/2013. Das komplette Magazin erhalten Sie als Printausgabe unter www.digital-engineering-magazin.de bzw. Tel. 07131/2707283. Copyright 2013,

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