Die Geschichte der Finanzwissenschaft · 2 Die Geschichte der Finanzwissenschaft? •Der Staat aus...

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1 Die Geschichte der Finanzwissenschaft Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2007 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München FiWi I

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Die Geschichte der Finanzwissenschaft

Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

SS 2007

Prof. Dr. Lars P. FeldRuprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen

(SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifoMünchen

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Die Geschichte der Finanzwissenschaft?

• Der Staat aus finanzwissenschaftlicher Sicht• Kameralisten und Klassiker• Neoklassik und Finanzwissenschaft• Knut Wicksell• Keynesianische Revolution• Die Theorie der optimalen Besteuerung• Die ökonomische Theorie der Politik• Zusammenfassung

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Literatur

• Blankart, Ch.B. (2005), ÖffentlicheFinanzen in der Demokratie, Vahlen,München, 6. Auflage, Kap 2.

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Der Staat aus finanzwissenschaftlicherSicht

• Gegensatz zwischen einem finanzwissen-schaftlichen Standpunkt, der vomökonomischen Verhaltensmodellausgeht, und einem, der staatlicheEntscheidungsprozesse ausklammert.– Beide Ansichten laufen historisch parallel und

haben sich gegenseitig beeinflusst.

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Kameralisten und Klassiker I

• Deutsche Kameralisten des 17. und 18.Jh. liefern die erste systematischeAnalyse der Staatswirtschaft.– Von Justi, Becher, von Sonnenfels.– Der Staat als Planungsobjekt.– Staat und seine Einwohner stehen unter der

uneingeschränkten Befehlsgewaltabsolutistischer Herrscher.

– Auswanderung setzt Grenzen.

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Kameralisten und Klassiker II

• Beratungsfunktion der Kameralisten– Finanzpolitische Vorschläge zur Förderung des

Wohlstands der Landesfürsten.– Maximierung der Steuererträge unter der

Nebenbedingung hinreichenden Wachstums.– Erweiterung der Steuerbasis.– Staatsausgaben zur Wirtschaftsförderung, z.B.

Infrastrukturzwecke.

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Kameralisten und Klassiker III

• Klassiker der Nationalökonomie– Erkämpfung parlamentarischer Mitsprache-

rechte in Frankreich und England prägen dasklassische Denken.

– Französische Physiokraten: Freihandelstheorie.– Keine besondere Theorie des Staates.– Adam Smith: Theorie des Marktes.

• Ablehnung von Protektionismus.• Landesverteidigung, Rechtsprechung, Infrastruktur,

Bildung als wohlfahrtssteigernde Maßnahmen.• Ausgaben wie Transfers sollten unterbleiben.

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Kameralisten und Klassiker IV

• Klassiker der Nationalökonomie– Adam Smith: Theorie des Marktes.

• Steuerseite: Möglichst marktkonforme Erhebung derAbgaben.

• Kosten für allgemeine Dienste sollten den Bürgernentsprechend ihrer Leistungsfähigkeit angelastetwerden.

– David Ricardo: Steuer- und Schuldentheorie.• Steuerinzidenz: Steuern werden letztlich von Nicht-

Lohneinkommensbeziehern getragen.• Unelastisches Arbeitsangebot: Höhere Steuern

führen zu einer gleich hohen Reduktion desArbeitsangebots (Existenzminimum).

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Neoklassik und Finanzwissenschaft I

• Neoklassik unterscheidet sich von derKlassik v.a. durch– Subjektivismus– Marginalbetrachtung (Grenznutzenlehre)– Mathematische Darstellung.

• J.S. Mill (1848) und Edgeworth (1897)– Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit:

Opfertheorien.– Gleiches marginales Opfer.

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Neoklassik und Finanzwissenschaft II

• J.S. Mill (1848) und Edgeworth (1897)– Abstraktion von der Ausgabenseite des

Haushalts.• A. Marshall (1890)

– Preis- und Mengenwirkungen vonSteuersatzänderungen werden in Angebots-/Nachfragemodellen abgeleitet.

– Beitrag zur wohlfahrtsökonomischen Theorieder Besteuerung und zur Steuerüberwälzung.

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Neoklassik und Finanzwissenschaft III

• A.C. Pigou (1920, 1928)– Konzept der externen Effekte als positive oder

negative Nebenwirkungen von Produktionoder Konsum auf nebenstehende Dritte.

– Weiterentwicklung der Analyse positiver ex-terner Effekte zur Theorie öffentlicher Güter.

• Italienische Schule (Mazzola)– Unteilbarkeit öffentlicher Güter.

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Knut Wicksell I

• Italienische Schule– Unteilbarkeit: Jeder Bürger konsumiert die gleiche

Menge öffentlicher Güter.– Der zu entrichtende Preis muss individuell

verschieden sein.– Gleichheit von Steuerpreis und jeweiligem

Grenznutzen.– Hoffnung, dass sich diese Preisdifferenzierung von

selbst einstellen würde.

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Knut Wicksell II

• Wicksell glaubte dies nicht.• Finanztheoretische Untersuchungen (1896)• Keine freiwillige Offenbarung der indivi-

duellen Präferenzen für öffentliche Güter.– Freifahrerproblem.

• Zentralisierte staatliche Beschlüsseerforderlich.

• Diese sollten einstimmig erfolgen.

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Knut Wicksell III

• Einstimmigkeit zeigt freiwillige Zustim-mung und damit ein Interesse an derBereitstellung des öffentlichen Gutes an.

• Äquivalenzprinzip der Besteuerung:– Gleichheit von Leistung und Gegenleistung.– Unterlegenheit des Leistungsfähigkeitsprinzips, da

damit keine Aussage über die Höhe der Gesamtbe-steuerung möglich ist.

• Einstimmigkeit lädt zu strategischem Ver-halten ein.– Quasi-Einstimmigkeit bei > 80 Prozent.

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Knut Wicksell IV

• Betroffene Individuen sollen entscheiden– Prinzip der institutionellen Kongruenz.– Nutznießer staatlicher Leistungen, Entscheidungs-

träger und Steuerzahler müssen übereinstimmen.– Keine Außenstehenden, die am Nutzen teilhaben,

zu den Kosten beitragen oder ohne Teilhabe anNutzen oder Kosten entscheiden.

– Anwendung auf das schwedische Zensuswahlrecht

• Richard Musgrave (1939) und James Bu-chanan (1954) nahmen Wicksell wieder auf.

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Keynesianische Revolution I

• John Maynard Keynes (1936)– Begründer der makroökonomischen Theorie– Rezept gegen die Arbeitslosigkeit war eine

Ausdehnung der Staatsausgaben (expansiveFiskalpolitik).

– Budgetausgleich nach dem Äquivalenzprinzipist danach sogar schädlich (Deficit Spending).

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Keynesianische Revolution II

• Finanzwissenschaft im Dienste derVollbeschäftigungspolitik.– Lerner (1944): Steuern und Staatsausgaben

sollten im Sinne der ‚functional finance‘ in denDienst der Beschäftigungspolitik gestelltwerden.

– Budgetdefizite sollten über Bonds oder dieNotenpresse gedeckt werden.

– Diese Politik kam seit den siebziger Jahrenauch in Deutschland verstärkt zur Anwendungund wurde diskreditiert.

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Die Theorie der optimalen Besteuerung I

• Abstraktion von der Ausgabenseite– Ähnlich wie bei den Kameralisten wird gefragt, wie die

Steuergesetze ausgestaltet sein sollten, um möglichstviele Steuereinnahmen zu erzielen.

– Annahme eines vorgegebenen Ausgabenbetrages.• Optimale Aufteilung eines Steuerbetrages auf

Güter, Produktionsfaktoren bzw. Individuen.• Optimale Steuer ist eine Pauschalsteuer

– Relative Preise bleiben unberührt.– Praktisch nicht realisierbar.

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Die Theorie der optimalen Besteuerung II

• Zusatzlast der Besteuerung– Über die Zahllast hinausgehende Wohlfahrtseinbuße, die

selbst bei einer erhebungs- und entrichtungskostenfreienSteuer auftritt.

– Ausweichreaktionen und Substitutionsmöglichkeiten derIndividuen sollen minimiert werden.

• Politische Dimension bleibt unberücksichtigt– Besteuerungsregeln haben Rückwirkungen auf das

Ausgabenverhalten der Politiker.– An wen richten sich die Ratschläge dieser Ökonomen?

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Die ökonomische Theorie der Politik I

• Ökonomische Theorie der Verfassungund der Entscheidungsregeln– James Buchanan und Gordon Tullock (1962)– Weiterentwicklung der Wicksell‘schen Ideen– Zweistufiger Entscheidungsprozess– Einstimmigkeit auf Verfassungsebene (Ebene

des Grundkonsenses)• Festlegung der Regeln nach denen im täglichen

politischen Geschäft entschieden wird.

– Mehrheitsregeln für die nachkonstitutionelleEbene.

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Die ökonomische Theorie der Politik II

• Ökonomische Theorie der Demokratie– Anthony Downs (1957).– Politiker wollen Regierungsmacht erlangen.– Stimmenmaximierung.– Medianwählermodell.

• Theorie politischer Konjunkturzyklen– Finanzpolitiker erzeugen Konjunkturzyklen,

um ihre Wiederwahl zu erlangen.– Expansive Fiskalpolitik vor der Wahl.– Restriktive Fiskalpolitik nach der Wahl.

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Rationale Erwartungen in derFinanzpolitik

• Gegenbewegung zur keynesianischenPolitik– Bei flexiblen Preisen und rationalen Erwartun-

gen hat die Budgetpolitik des Staates mit demZiel der Konjunkturstabilisierung keinerleireale Wirkungen.

– Rationale Erwartungen: Individuendurchschauen und antizipieren staatlichesHandeln.

– Nur unerwartete Maßnahmen haben realeWirkungen.

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Zusammenfassung

• Finanzwissenschaft ist heute im wesentli-chen nicht mehr mit makroökonomischenPhänomenen befasst.

• Makroökonomie als eigene Fachrichtung.• Optimalsteuertheorie und Steuerinzidenz-

theorie mit klassischen und neoklassischenVorläufern sowie

• Ökonomische Theorie der Politik mit ihrenVorläufern der italienischen Schule sowieWicksell bestimmen die moderneFinanzwissenschaft.

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