Die Geschichte lebt! - Detlefsengymnasium Glückstadt · Diese Band des serbischen Regisseurs Emir...

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Die Geschichte lebt! Ein dalmatinisches Musical Libretto: Regine Borg-Reich Musikauswahl und Arrangements: Wieland Reich Inszenierung: Regine Borg-Reich und Wieland Reich Spielleitung: Regine Borg-Reich Musikalische Leitung: Wieland Reich Detlefsengymnasium Glückstadt 14. Juli, 15. Juli und 16. Juli 2015

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Die Geschichte lebt!

Ein dalmatinisches Musical

Libretto: Regine Borg-Reich

Musikauswahl und Arrangements: Wieland Reich

Inszenierung: Regine Borg-Reich und Wieland Reich

Spielleitung: Regine Borg-Reich

Musikalische Leitung: Wieland Reich

Detlefsengymnasium Glückstadt 14. Juli , 15 . Juli und 16 . Juli 2015

Verehrtes Publikum!

Zunächst möchten wir Sie höflich bitten, Ihr Mobiltelefon rechtzeitig auf dessen Rolle als stummer Begleiter vorzubereiten.

Nach der Veranstaltung haben Sie die Möglichkeit, am Ausgang eine freiwillige Spende zu geben. Hiermit leisten Sie Ihren Beitrag zur Finanzierung des nächsten Musik-Theater-Projekts.

Wie in jedem Jahr wird der Verein der Milchmütter unserer Schule in der Pause zu Gunsten der Arbeitsgemeinschaften Snacks und Getränke anbieten. Ohne diese hoch engagierten ehrenamtlichen Eltern und ihre Organisatorin Tanja Höft sowie den Förderverein unseres Gymnasiums könnten die Musik-Theater-Abende in dieser Form nicht stattfinden. Herzlichen Dank im Namen aller Mitwirkenden für den zeitlichen Einsatz und die finanzielle Unterstützung! Gerne erwähnen wir, dass die Ausstattungskosten der diesjährigen Veranstaltungen auch durch einen Preis des Sparkassen-Projektwettbewerbs »Gut für Schulen« mitfinanziert werden konnten.

Am Mittwoch und am Donnerstag wird ein Filmteam unserer Schule die Aufführungen mit professioneller TV-Ausrüstung aufnehmen, die uns der Bürgersender »Offener Kanal Kiel» kostenlos zur Verfügung stellt. Den Mitschnitt wird zu gegebener Zeit der »Offene Kanal Kiel» über Kabel und als Livestream senden; wir werden den Termin rechtzeitig über unsere Homepage bekannt geben. Aus medienrechtlichem Grund weisen wir darauf hin, dass sich alle Besucher der Veranstaltung durch ihre Anwesenheit mit der Abbildung ihrer Person einverstanden erklären.

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Der barocke britische Komponist Henry Purcell, der spätantike römische Kaiser Diokletian,

die moderne kroatische Stadt Split im Landesteil Dalmatien –

wie soll das zusammenpassen?

Es passt. Ganz einfach: Purcell komponierte 1690 »The Prophetess; or, Dioclesian«, welchselbiger sich ca. 295–305 in seiner Heimat als Altersruhesitz einen Palast errichten ließ, in den über die Jahrhunderte die heutige Stadt Split hineingebaut worden ist.

Und wie wird daraus ein „dalmatinisches Musical“?

Über viele Umwege: Die Handlung von Purcells Bühnenwerk war völlig unbrauchbar – weil auch kaum vorhanden; nicht von ungefähr wird das Werk nur äußerst selten aufgeführt. Aber er schrieb so wunderschöne Musik! Der Protagonist: Historisch interessant, weil er die Tetrarchie (die Herrschaft von vier Kaisern) begründet hat und für Wirtschaftsreformen verantwortlich zeichnete, indessen ein übler Christenverfolger war, der selbst die eigene Familie nicht ungeschoren ließ. Ergo ein ausgesprochener Unsympath, der folglich in Prosa und dramatischer Literatur bislang als Gegenfigur frommer Märtyrer seine Rolle hatte. Dass er es geschafft hat, lebendig abzudanken, möchte man von daher eher der Inkompetenz seiner Feinde zurechnen. Seine historisch verbürgte Pensionärsleidenschaft für den Gemüseanbau war dann immerhin ein Fund für eine putzige Provinzparallele: Diokletian als Kätner. Und mit Split sind wir geographisch und kulturell auf dem Balkan. Den hatten wir hier noch nicht in musiktheatralischer Bearbeitung.

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Ein paar bühnenkompatible Motive bot schließlich ein reichlich angejahrtes Theaterstück über Sankt Crispin (dessen sterbliche Überreste als Reliquien sub specie aeternitatis übrigens in Soissons, Lisdorf und Osnabrück zwischengelagert sind). Kurzum: Da ließ sich was draus machen. Für historisch Interessierte stellen wir im Anhang gerne die Ergebnisse unserer „Jäger-und-Sammler“-Phase zur Verfügung.

Liebe Musik-Theater-Gäste, für einen Abend werden Sie von uns also nach Dalmatien entführt. Sie werden eine kroatische Familie in den Urlaub nach Split begleiten und diese auch in deren Zuhause antreffen – an einem namenlosen Ort auf unserer mobilen Nebenbühne. Im Diokletianpalast (das heutige Altstadtzentrum von Split, bei uns noch in der Rohbauphase) wird der größte Teil der Spielhandlung stattfinden. Unsere Musik kommentiert, schafft unterhaltsame Zeit für Umbauten, verstärkt Emotionales, initiiert Stimmungen, aber die gesprochene Sprache ersetzt sie nicht – ganz wie in Purcells so genannter Semi-Oper, eigentlich ein Schauspiel mit Musik. Gesungen wird in den Sprachen Deutsch (wegen der Verständlichkeit), Englisch (bei Purcells Musik), Latein (als antiker Umgangssprache), Italienisch (quasi die lateinische Nachfolgesprache, die im Norden Kroatiens, dem Landesteil Istrien, bis heute gesprochen wird), Hebräisch (Spuren jüdischer Kultur sind bereits aus der Diokletian-Zeit in Salona bei Split archäologisch nachweisbar), Serbokroatisch und Romanes – dazu mehr bei den betreffenden Liedern. Musikdramaturgisch werden die beiden Zeitebenen, in denen das Stück sich bewegt, durch Purcells Werke und die moderne populäre »Kunst-Folklore« von Goran Bregovic repräsentiert.

Wir wünschen Ihnen einen anregenden Musik-Theater-Abend!

Regine Borg-Reich und Wieland Reich

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Anhang

- Die Historia von den sieben weisen Meistern und dem Kaiser Diocletianus (15. Jhdt.), hg. von Ralf-Henning Steinmetz, Tübingen (Max Niemeyer Verlag) 2001

- Francis Beaumont / J. Fletcher, The prophetess: or, the history of Dioclesian, London 1647 [Textvorlage für die Oper von Henry Purcell], Reprint (Gale ECCO [Eighteen Century Collections Online], Print Editions) Hampshire 2010

- Heinrich Zschokke, Diocletian in Salona, in: Ausgewählte Novellen und Dichtungen, Erster Band, Aarau (Verlag H.R. Sauerländer), 5. Aufl. 1841, S. 489-528

- Friedrich Hebbel, Diokletian [ohne Jahresangabe: zwischen 1842 und 1857] - Paul Ernst, Der heilige Crispin – Lustspiel in fünf Aufzügen, Berlin (Meyer &

Jensen) 1913 - August Faselius, Sprichwörter des alten Rom, Leipzig (Reprint Verlag) 2012

[Originalausgabe Weimar 1859] - Siegfried Trebitsch, Kaiser Diokletian. Ein historisches Drama, Potsdam

(Gustav Kiepenheuer Verlag) 1922 - Ferenc Móra, Der goldene Sarg. Roman aus der Zeit des Kaisers Diokletian,

Budapest (Corvina Verlag) 1977 - Ivan Ivanji, Kaiser Diokletian, Berlin (Verlag Volk und Wissen) 1981 - Alexander Demandt, Das Privatleben der römischen Kaiser, München (Verlag

C.H. Beck) 1996 - Alberto Angela, Ein Tag im alten Rom – Alltägliche, geheimnisvolle und

verblüffende Tatsachen, München (Riemann-Verlag) 2009 - Ingemar König, Die römische Spätantike, Stuttgart (Reclam) 2001 - Ray Laurence, Das alte Rom – Rom und Umgebung im Jahre 300 n. Chr.

(Reihe Reiseführer in die Welt der Antike), Stuttgart (Theiss-Verlag) 2010

Fachliche Beratung Latein: Sonja Meß und Dirk Heyse. Knut Behrens half uns bei der italienischen Aussprache.

Herzlichen Dank!

Dauer: I. Akt ca. 60 Minuten – II. Akt ca. 90 Minuten; Pause nach dem I. Akt.

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Die Rollen und ihre Darsteller

Eine kroatische Familie (in der Gegenwart)

Der Vater: Tom Endemann Die Mutter: Miriam Engelberg Joschko, Anna, Mila – ihre Kinder:

Torge Feldt, Pauline Looft, Luise Evers

Eine Dame von der Antikenverwaltung:

Katharina Thien Zwei Mädchen: Mele Maxime Meyer, Anna-Lena Mühle

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Split [Spalatum /Salonae Palatium /Solin], Anno Domini 303

Kaiser Diokletian: Paul Heinrich Prisca, seine Ehefrau: Godje Roß Valeria , deren Tochter: Marieke Bucher Valerias Hofdamen:

Aurelia : Margaux Wilckens Lucretia : Laura Kenntemich Tusnelda: Lea Goltz Glaucos, Schreiber Diokletians: Jan Haars Crispin, römischer Wachsoldat gallischer Herkunft: Frederik Looft

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Zwei Dienerinnen: Mia Bücking, Jana Schulze Dionysius, ein Lederhändler: Maximilian Thien Fuscianus, sein Buchhalter: Tom Möller Felicia , Tochter des Dionysius: Lorena Peters Quintinus, Schuster: Björn Meß Claudia, seine Ehefrau: Merle Bücking Ein Musicus: Lasse Sörensen Palast-Bauarbeiter: Johanna Bockelmann, Katrina Glockow, Lena Schilling, Merle Zils Sitzstein: Samson [11. Dienstjahr] Mythologische Masque-Tänzerinnen:

Nymphe: Madlen Schöer

Faun: Alina Albers

Najade: Anne-Christin Kaufmann

Okeanos: Anna Kohnagel

F lora: Laura Seefeld

Comus: Kim Lea Tiedemann

S i lene: Özge Cömert

Momos: Lisa Knoblauch

Bacchus und Bacchanten: Emilia Kern, Janne Schicharin, Marie Wilhelm

S i lvanus: Lia Sasse

Ceres: Aleyna Cifci

Tellus: Johanna Lodemann

Zeremonienmeisterin: Lorena Peters

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Die Musikstücke

I . Akt

1. Ouvertüre: Glückstadt ➪ Split

[Musik: Goran Bregovic, Šoferska, 1996; Arr. Stephen Roberts für großes Blasorchester, 2013; dt. Text und Bearb.: WR XII/2014 – II/2015] Ein typisches Beispiel für den Balkan Brass-Band-Stil à la Goran Bregovic: rhythmuslastig (also gut tanzbar), laut, fröhlich und etwas roh und schräg. 1999 nahm der Komponist übrigens eine polnische Version mit der Sängerin Kayah auf (Prawy do lewego). Der Originaltitel wird im Englischen als »Driver´s« oder »Trucker´s Song« wiedergegeben. Es geht also ums Autofahren, und dies passt thematisch zu unserer Ouvertüre. Freilich brauchte es einen direkt verstehbaren und dramaturgisch angepassten deutschen Text. Dass die Anzahl der Jahre, die uns von der Haupthandlung trennt, mit den Streckenkilometern Glückstadt–Split (Spalatum) konvergiert, war ein willkommener Zufall. Großzügig ignoriert haben wir hingegen, dass beim ursprünglichen serbokroatischen Songtext eine recht vulgäre Bedeutungsebene mitklingt. Solches ist bei einem von uns verwendeten Text-Zitat aus einem Kinderlied (bzw. aus dem Leben...) von Jörg Hilbert/Felix Janosa (»Das Grauen von der Rückbank«, 2003: „Wann sind wir endlich da?“) allerdings nicht der Fall. Als Folkloreinstrument hören Sie eine dominante große Trommel mit aufmontiertem Becken, die in Serbien Goc genannt wird.

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2. Bubamara

[Musik/Text: Trad.; Interpretation: Emir Kusturica & The No Smoking Orchestra, 1998ff.; Arr.: WR V/2015] Ein Bubamara ist im Serbokroatischen ein Marienkäfer – ein Glückssymbol dort wie hier. Und Glück hatte der Protagonist in unserer Geschichte gerade – und wird es auch noch brauchen... In der Kultur der Roma, in der die Gastfreundschaft höchste Wertschätzung genießt, ist der Bubamara von besonderer Bedeutung: Er bringe Gäste ins Haus, so heißt es, und animiere alle Roma, zusammenzukommen und gemeinsam zu tanzen. Die Quellenlage ist einigermaßen unübersichtlich: Es sei ursprünglich ein serbokroatischer Text, der ins Romanes übersetzt wurde; es gebe ein serbisches Kinderlied, bei dem man einen Bubamara auf die Handfläche setze und singe: „Marienkäfer, Marienkäfer, bring uns Gäste“; Urheber sei Nenad Jankovic alias Nele Karajlic, der Sänger des No Smoking Orchestras. Diese Band des serbischen Regisseurs Emir Kusturica hat das Lied jedenfalls populär gemacht, nachdem es im Kusturica-Film »Schwarze Katze, weißer Kater« (1998) von einem Roma-Orchester eingespielt worden ist. Der Duktus ist unzweifelhaft traditionell, und da es im Film um die Roma-Kultur geht, tendieren wir zu der Annahme, es hier mit einem traditionellen Gypsie-Song zu tun zu haben – zumal er im Film von einer Legende der Roma-Musik gesungen wird: Šaban Bajramovic.

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3. Chaconne – Two in one upon a Ground

[Musik: Henry Purcell (Dioclesian, Nr. 11), 1690; Arr. WR V/2015]

Purcells Untertitel erklärt die musikalische Form: Über einer durchlaufenden, ständig wiederholten („ostinaten“) Bass-Grundierung sind zwei Stimmen in einer, also ein Kanon zu hören. Die Chaconne [bzw. Passacaglia, aber die feinen Unterschiede sind gegenüber den Gemeinsamkeiten außerhalb der Musikwissenschaft hier nebensächlich] ist eine Lieblingsform Henry Purcells. Bereits 2012 waren hier im Rahmen seiner »Semi-Opera« King Arthur zwei Beispiele zu hören. Wie keine andere musikalische Form versinnbildlicht sie die Relativität der Zeit: Das Immergleiche wird zeitgleich verändert, hier noch durch einen darüber gelegten Kanon, bei dem beide Stimmen dasselbe spielen, indessen unaufholbar nie gleichzeitig. Da Zeit und Raum verknüpft sind, eine ideale „Vorhang-Melodie“ (»Curtain Tune«), um einen Ortswechsel zu untermalen. 4. All our days and our nights

[Musik: Henry Purcell/Text: Thomas Betterton (Dioclesian, Nr. 33), 1690; Arr. WR V/2015] Ein ziemlich direkter und kompakter Kommentar zur Phänomenologie des Alter(n)s und zum Zusammenhang von Liebe, deren anzustrebender Dauer und der Partnerwahl, verpackt in luftige Zeilen – das kann so konzis nur Lyrik – und vom unvergleichlichen Henry Purcell mit einer charmanten, volksliedhaften Melodie veredelt:

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All our days and our nights Shall be spent in delights, ´Tis a tribute that’s due to the young; Let the ugly and old, The sickly and cold, Think the pleasures of love last too long. 5. I. Straßenmusik-Szene: O Fortuna; Omnia Sol temperat; Mox amica Afra; Laila, Laila

[Musik: Carl Orff, 1936/Text: Anonym (MA); Trad., lat. Text: Walter Siewert, 1991; Angelo Branduardi/Luisa Zappa Branduardi, 2003; Arr. WR IV/2015]

In dieser Straßenmusik-Szene wird Lateinisches und Italienisches zu hören sein. Es beginnt und endet mit Musik aus der (auch durch die Verwendung in Werbung und Filmmusiken) hinlänglich bekannten szenischen Kantate »Carmina burana« Carl Orffs (1895-1982): Nach einigen Takten aus dem Rahmenstück O Fortuna folgt das vierte Stück Omnia Sol temperat, das die wärmende Frühlingssonne und ihren Einfluss auf verliebte junge Männer besingt. In der dritten Strophe – bei uns am Ende der Szene – heißt es: Liebe mich mit treuem Sinn! / Sieh auch meine Treue: / mit ganzem Herzen / und mit ganzem Sinn / bin ich bei dir, / auch in der Ferne. / Wer auf diese Weise liebt, / ist auf’s Rad geflochten. Das im Vergleich dazu so gar nicht feinsinnige Mox amica Afra werden Sie musikalisch leicht identifizieren... Erst kunstvolles frühmittelalterliches Latein, dann modern rückübersetztes Vulgärlatein (also das gesprochene des Volkes im Unterschied zum literarischen), schließlich die romanische

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Nachfolgesprache: Angelo Branduardi (*1950), italienischer Sänger und Instrumentalist, Barde, Troubadour, spielt Popsongs, Volkslieder diverser Länder und Sprachen sowie Musik des Mittelalters bis zum Barock. Die besungene Laila ist schön und gefährlich: Ihr Mund verbirgt eine Reihe weißer Perlen und den Duft von Kräutern; ihre Augen sind wie schwarze Diamanten aus Hindustan, wertvolle Seide aus Lahore und glühende Flammen eines Vulkans; in ihrem Herzen verbergen sich die Kobra von Birma, alle Blumen von Bengalen und eine giftige Frucht. Ein Kuss dieser faszinierenden exotischen Dame wird dem Sänger süßes Verderben bescheren – wie der ständig erwähnte Shiraz-(Syrah-) Wein, der diese sinnlichen Vergleiche womöglich erst ausgelöst hat... Auf der Bühne werden zu hören und zu sehen sein die serbische Hirtenflöte Frula und die antike israelische Harfe Kinnor, auch König-Davids-Harfe genannt. 6. So nevo si

[Musik/Text: Goran Bregovic, 1988/2002; Arr.: WR II/2015]

Auch von diesem Bregovic-Song existieren (sehr) unterschiedliche Fassungen; diese hier mit einem Text in der Roma-Sprache Romanes. Bregovic schätzt die Sprache der so genannten Zigeuner, weil sie ihn gewissermaßen an die Anfänge seines Songschreibens führt, als ihn das Wort selbst noch musikalisch zu inspirieren vermochte. [Aus einem Interview mit dem kroatischen Wochenblatt Hrvatska Nacional. Diese Quelle und die Übersetzung verdanke ich unserem ehemaligen Chormitglied Nora Just, Abitur 2013, jetzt Studentin südosteuropäischer Sprachen und Kulturen.] In der Tat ist es ja seit dem Balkankrieg schon schwierig geworden, die ehemals „jugoslawische“ Sprache weiterhin als serbokroatische zu bezeichnen – ganz zu schweigen von der

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Integration des Bosnischen. Und Bregovics kultureller Hintergrund könnte „jugoslawischer“ nicht sein: sein Vater war Kroate, seine Mutter Serbin, seine Ehefrau ist bosnischer Herkunft. So sei die Sprache der Roma in seinen Liedern einerseits unverfänglich und müsse nicht verstanden werden; der Text sei nicht so wichtig, sondern die Poesie des Klanges der Sprache. Andererseits feiert doch die Musik deutlich die vitale Kultur der Sinti und Roma. Das Lied geht zurück auf Bregovics Anfänge als jugoslawischer Rockmusiker. Unter dem Titel »Sta ima novo« („Was gibt’s Neues“) spielte er es 1988 mit seiner Band Bijelo Dugme (dt.: Weißer Knopf) ein, deren anfänglicher Stil als „Hirten-Rock“ apostrophiert wurde – was auf die bereits frühe Bedeutung folkloristischer Musik für ihn verweist. 1999 entstand die polnische Fassung »Spij kochanie, spij« („Schlaf, mein Liebling“) mit der Sängerin Kayah, die ihrerseits auf der englischen Fassung mit dem Titel »Green Thought« (1997, aus dem Album Silence of the Balkans) beruht. Kurzum: Das Hören ist mit keinerlei Entschlüsselungsaufgabe belastet. So nevo si ist bei uns Umbau- und Überleitungsmusik zur Spielhandlung in die post-jugoslawische, kroatische, dalmatinische Balkan-Gegenwart. Sollte der Romanes-Titel eine schlichte Übersetzung des serbokroatischen Sta ima novo sein, passte allerdings zumindest diese Aussage. Als Folkloreinstrument wird hier die in vielen Ländern des Balkans und Nahen Ostens verbreitete Vasentrommel Doumbek zu hören sein.

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7. Hop Hop Hop

[Musik/Text: Goran Bregovic, 2002; Arr./dt. Text: WR III-V/2015]

Der Titel (in deutscher Rechtschreibung) beschreibt die Bühnensituation, die musikalisch zu vermitteln bzw. zu verstärken war. So entstand der deutsche Text, der im Wesentlichen eine Montage sprichwörtlicher Redensarten ist. Was im Original gesungen wird, ist einigermaßen rätselhaft, da wiederum überwiegend auf Romanes – dieses Mal noch mit zwei serbischen Phrasen. Im Großen und Ganzen geht es um die Kategorisierung von Männern. Um dieses Programmheft nicht mit Wiederholungen zu füllen, verweise ich auf die obigen Notizen zu den Überlegungen des Komponisten betreffs seiner speziell „jugoslawischen“ Sichtweise auf Songtexte. Aus Respekt vor der Originalsprache werden wir Ihnen auch einen Abschnitt der Romanes-Fassung zu Gehör bringen. 8. Pausenjingle Hop Hop Hop

[Musik: Goran Bregovic, 2002; Arr.: WR V/2015]

Bei diesem instrumentalen Signal könnten Sie wahrscheinlich bereits die Gesangsstimme übernehmen...

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P a u s e

Liebes Publikum!

Wir bitten um etwas Geduld. Sobald die Choristen ihre Bänke zur Seite getragen haben, steht Ihnen unsere Pausen-Cafeteria zur Verfügung: Getränke in der Mensa; Gebäck in der alten Pausenhalle . Der Rücktransport der Bänke ist dann das Signal für den baldigen Beginn des zweiten Aktes. Versorgt werden wir durch die Fleth-Bäckerei Mertz , für deren Kulanz wir uns bedanken! Für die l iebevoll engagierte Organisation des Verkaufs an den drei Theaterabenden danken wir nochmals sehr herzlich Tanja Höft und den Eltern vom Verein der Milchmütter !

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II . Akt Masque:

Purcells Textdichter Thomas Betterton bearbeitete einen Theatertext des Autorenduos John Fletcher und Philip Massinger von 1647 für sein Libretto mit dem Titel Prophetess, or the History of Dioclesian. Die Uraufführung 1690 war ein großer Erfolg; allerdings musste der Prolog des Hofdichters John Dryden (Sie kennen ihn schon von unserer Purcell-Produktion King Arthur 2012) gestrichen werden, weil dieser eine regierungskritische Tendenz erkennen ließ. Ansonsten geht es eher herrschaftsfreundlich zu – also nicht um historische Genauigkeit bemüht. Erzählt wird die Legende vom Machtgewinn Diokletians, und natürlich geht es um die Liebe. Eine von Purcells so genannten Semi-Operas mit viel Text und vor allem Entertainment (man nannte das damals schon so) in Gestalt einer abschließenden Masque. Hierbei handelt es sich um eine typisch britische höfische Kunstform, bei der Musik, Tanz und Sprache sich mit mythologischem Maskenspiel und Theatereffekten zum Zwecke einer Verherrlichung des Monarchen verbinden. Ein Gesamtkunstwerk mit oftmals exorbitantem, die Staats- oder eine private Kasse arg strapazierenden Aufwand. Kontrastive komische, auch derbe Szenen mit zum Teil dezent verklausulierter Kritik wurden Antimasque1 genannt. Das nahmen wir gerne auf.

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!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!1!Vgl. Gottfried Scholz: Tanzfeste der Könige. Die englische Court Masque im Spiegel der europäischen Kulturgeschichte, Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2005!

9. Masque Nr. 1: Der Kaiser kommt

[Musik: Henry Purcell, »Great Diocles the Boar has kill’d« (Dioclesian, Nr. 5), 1690; dt. Text und Arr. WR IX/2014] In Henry Purcells englischer Originalfassung wird die Tat besungen, der Diocles laut einer Prophezeiung seine kaiserliche Macht verdanken wird: die Tötung des „großen Ebers“, lateinisch Aper. Es hatte einen ganzen Akt – ohne Musik – gedauert, bis der Protagonist es realisierte, dass damit nicht ein echter Eber, sondern jener mörderische Herrscher namens Aper gemeint war, was immerhin den theatralen Vorzug des bühnenwirksamen Vergießens von Tier- und Menschenblut bietet. Der majestätisch-erhabene Gestus dieses „First Song“ passte; sein Text nicht. Unser angepasster: Der Kaiser kommt zu diesem Fest, das er dem Volk geschenkt, weil Baulärm es schon jahrelang gestresst. Nun wird’s abgelenkt. Maskeraden verbreiten Ruhm und Glanz, jedoch auch öffentlich die Diskrepanz zwischen dem Schein und Sein. Hurra! Wir erwarten Mummenschanz als Politikdesign.

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10. Masque Nr. 2: Call the Nymphs and the Fauns

[Musik: H. Purcell/Text: Th. Betterton (Dioclesian, Nr. 20), 1690; Arr. WR IX/2014]

In Purcells Dioclesian ist dieses Stück der eigentliche Beginn der Masque. Folgende Figuren der griechischen bzw. römischen Mythologie treten auf:

- the Nymphs and Fauns from the woods, also weibliche Waldgeister und der Beschützer der Hirten und Bauern;

- the Naiads and Gods of the floods: Najaden, die über Quellen, Seen, Bäche usw. wachen und bei uns Okeanos, der Meeresgott schlechthin;

- Flora, Personifikation der Blüte, insbesondere der Getreideblüte, und Comus, der allerdings schwer zu fassen ist: er gilt als Personifikation des dionysischen Festumzugs und wird auch als geflügeltes Kind dargestellt;

- das Mischwesen Pferd/Mensch Silene und Momos, der für Kritik, Schmähsucht und Tadel steht (unter diesem Pseudonym verfasste der große Rhetoriker Walter Jens ab 1963 Fernsehkritiken für die Wochenzeitung Die Zeit);

- Bacchus and his merry fellows, also der Gott des Weines und Rausches mit seinen fröhlichen Kumpel;

- schließlich Silvanus and Ceres and Tellus: nochmals die Sphäre des Waldes und der Weiden mit dem halb ziegenförmigen Hirtengott, der römischen Göttin des Ackerbaus (und der Fruchtbarkeit und Ehe) sowie der Personifikation der mütterlichen Erde, die auch als Gaia bekannt ist.

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11. Masque Nr. 3: Hornpipe

[Musik: Henry Purcell (Dioclesian, Nr. 4), 1690; Arr. WR IX/2014]

In Purcells Dioclesian ist diese Tanzmusik das Eröffnungsstück des ersten Aktes. Die Hornpipe ist ein traditioneller englischer Volkstanz, ursprünglich − wie bei unserem Beispiel − im 3/2-Takt, später im geradzahligen Metrum. Charakteristisch für die hochbarocken Hornpipes sind Passagen mit rhythmisch-metrischen Konflikten durch wechselnde Betonungen. Purcell ist es zu verdanken, dass der Tanz in die Bühnen- und Kunstmusik Eingang fand. Er wurde und wird als Rund- und Paartanz und als Solotanz getanzt, gilt als typischer Matrosentanz und ist als solcher eine nationale britische Institution. Hierzulande ist seine Variante im populären Irisch Dance vielen bekannt. Wie haben bereits 2012 hier im Rahmen unserer King Arthur-Produktion eine Hornpipe präsentiert. Der Tanz ist benannt nach dem Einfachrohrblattinstrument Hornpfeife, mit dem dieser Tanz ursprünglich begleitet worden ist. Das Instrument ist aus der Kunstmusik verschwunden; es hat sich jedoch in diversen Volksmusikkulturen erhalten. In unserem Zwischenspiel ist neben dem Tamburin wiederum die Kinnor zu hören (siehe Nr. 5). 12. Masque Nr. 4: Make Room

[Musik: H. Purcell/Text: Th. Betterton (Dioclesian, Nr. 27/27a), 1690; Arr. WR IX/2014]

Hier hat nun Bacchus (= Dionysos) seinen Auftritt, der Gott des Weines und des Rausches. Zunächst wird er angekündigt („Make Room – Macht Platz – for the great God of Wine.“), dann tritt er auf mit seiner „jolly crew“, seinen fröhlichen Saufkumpanen, und möchte selbstverständlich mit allen ein Gläschen trinken.

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13. Masque Nr. 5: Dance of Bacchanals

[Musik: Henry Purcell (Dioclesian, Nr. 28), 1690; Arr. WR IX/2014]

Bei den römischen Bacchanalien, also den Festen zu Ehren des Bacchus (= Dionysos), wurde ausgelassen gefeiert – um nicht zu sagen: enthemmt, nach reichlichem Genuss von Alkohol und anderen Drogen. Die Verkleidungen dürften die lockere Stimmung zusätzlich entspannt haben; wie heute beim Karneval. Bei uns geht’s dann doch eher britisch-distanzierter zur Sache...

14. Masque Nr. 6: Butterfly Dance

[Musik: Henry Purcell (Dioclesian, Nr. 15), 1690; Arr. WR IX/2014]

Der Titel lässt durchaus Deutungen zu: Sollen wir tanzende Schmetterlinge sehen? Oder doch eher Tänzer, die sich zwar wie Schmetterlinge bewegen, aber nicht so aussehen müssen? Wir haben hier Interpretationsspielraum für eine individuelle Bühnenidee gesehen. Purcells schöne Musik jedenfalls vermittelt die erwartbare Leichtigkeit, eingeleitet von einer „Soft music before the dance“. 15. Masque Nr. 7: To Mars let ´em raise

[Musik: H. Purcell/Text: Th. Betterton (Dioclesian, Nr. 7b), 1690; Arr. WR IX/2014]

Die bei uns abschließende Eloge auf den Herrscher ist bei Purcell nicht Teil der Masque, sondern hat ihren Platz eigentlich im Anfangsteil der Oper. In dieser Nummer wird auch Diokletians Mitkaiser Maximian (Marcus Aurelius Valerius Maximianus) erwähnt, der jedoch in unserer Handlung keine

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Rolle spielt. Die besungene Erhöhung (let ´em raise) nehmen wir inszenatorisch zwar ernst und nachgerade wörtlich, jedoch nicht die kriegsgöttliche Zielrichtung. Dem Chor schließlich obliegt die monarchistisch-musikalische Abrundung des gesamten Spektakels: »Rejoice with a general voice!« 16. II. Straßenmusik-Szene: Tres Romani ecce veniunt / Vanità di Vanità

[Musik/Text: Trad., lat. Text: Walter Siewert, 1991; Angelo Branduardi/Luisa Zappa Branduardi, 1983; Arr. WR IV/2015]

Unsere zweite Straßenmusik-Szene, wiederum mit lateinischen und italienischen Gesangstexten (siehe Nr. 5). Zunächst ein deutsches scherzhaftes Kinderlied in ziemlich freier lateinischer Neufassung, dessen Wiedererkennungswert dennoch hoch sein dürfte... Dann ein wahrlich großes Thema: die Nichtigkeit der Eitelkeit. Das so genannte Vanitas-Motiv ist seit dem Mittelalter für die europäische Kunst, aber auch die Literatur , Musik und das Theater von großer Bedeutung gewesen: eine Sanduhr für die ablaufende Lebenszeit, der drastische Totenschädel in Kombination mit blühender Jugend, die Ruine, eine verlöschende Kerze und vieles andere mehr. Dass alles Irdische vergänglich wie ein „Windhauch“ und damit nichtig, vergeblich, auch prahlerisch, in Luthers Sprache „eitel“ sei, bezieht sich auf einen biblischen Vers im Buch Kohelet, das diesen Gedanken ausführt. In Angelo Branduardis folkloristischem Lied heißt es: „Du suchst hier, du suchst dort. Aber wenn der Tod dich pflücken wird, was wird dir bleiben von deinen Begierden? Nichtigkeit der Eitelkeit! Wenn du jetzt im Spiegel dein heiteres Antlitz betrachtest, kommt es dir gewiss nicht in den Sinn, was eines Tages aus deiner Eitelkeit geworden sein wird. Alles Vanitas, nur Nichtigkeit.“

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Ganz im Sinne des biblischen Buches wird später auch zum demütigen Gotteslob aufgerufen. In der zweiten Strophe ist die Wendung State buoni se potete („Seid gut, wenn ihr könnt“) zu hören. Es ist der Originaltitel des Filmes, für den dieses Lied geschrieben wurde (deutscher Titel: „Himmel und Hölle“). Die Filmhandlung verbindet die historische Figur des Heiligen Filippo Neri (1515-1595 – nebenbei: dieser hatte mit dem musikgeschichtlich bedeutsamen Komponisten Palestrina zu tun) und Ereignisse seiner Zeit mit einer fiktiven Straßenkinder-Geschichte. Mit ebendiesen musiziert Angelo Branduardi als Schauspieler das Lied. Zugegeben: In dieser wie auch schon in der ersten Straßenmusik-Szene begehen wir mit dem Einsatz der Violine Geschichtsklitterung. Immerhin wird sie in Fiedelhaltung gespielt. Aber auch dieses Instrument war so früh in Europa einfach noch nicht zu finden. Einen notwendig weitschweifigen Exkurs über die Entwicklung verwandter Streichinstrumente möchten wir Ihnen ersparen – nur einige noch heutzutage gebräuchliche Verwandte seien erwähnt: die serbische Gusle, die bulgarische Gadulka, die griechisch-kretische Lyra, die arabische Rebec. Das vermeintlich urspanische Schlaginstrument Kastagnette stammt mit seinem arabischen Namen (von kasat) vermutlich ebenfalls aus dem Orient. Es ist für das Alte Rom ebenso belegt wie die einfache Flöte tibia.

17. Maki, Maki

[Musik/Text: Goran Bregovic, 2002; Arr.: WR III/2015]

Man kann nicht sicher sein, dass dieses Lied nicht doch auf traditionellem Folklore-Material beruht. Es wirkt so. Statt mit Folklore hätten wir es dann halt nur mit „Fakelore“ zu tun, jedoch immerhin mit einem netten Lied und einem hübschen Begriff.

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Auch bei diesem Bregovic-Song war die „Text-Archäologie“ schwierig, da es sich um Romanes handelt (siehe hier die Ausführungen zur Nr. 6 So nevo si). Im weitesten Sinne geht es wohl um die Liebe. Das passt ja eigentlich immer... Kann man dem Autor Glauben schenken, erzählt der Protagonist, dass er einst als Siebenjähriger, der von nichts wusste, seine Lehrerin (bzw. sehr wenige ihrer sichtbaren Eigenschaften) anhimmelte. Nun sei er groß, 70 Jahre alt (und weiß wahrscheinlich diesbezüglich nunmehr einiges, im Großen und Ganzen aber wohl immer noch eher nichts...), und dann hört man ihn stammelnd (und nicht zufällig mit Tango-Anklängen) einer jüngeren Frau hinterher singen: Maki, Maki, Marijana, Marijuska, Marija, ruska, Maruska. Da wir uns stets für Sie um musikalische Authentizität bemühen, braucht es hier natürlich auch die klangliche Zutat einer älteren, nicht mehr unverbrauchten Stimme, mit der die Möglichkeit der Suggestion besteht, zu vermitteln, dass authentische Fakelore nur auf dem Boden des vermeintlich echten Lebens entstehen könne, somit die Stimme bedingt zwischen Bass, Barrique und Bariton changieren müsse. In unserer Handlung ist diese Musik der Auftakt einer romantischen Begegnung. Dass die Schauspielerin im wirklichen Leben einen verwandten Namen trägt, ist reiner Zufall und wäre Ihnen wahrscheinlich ohne diesen Hinweis gar nicht aufgefallen?

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18. Ederlezi

[Musik/Text: Tradition (Roma); Arr. Goran Bregovic, 1989; Bearb.WR XI/2014]

Die Musik der Roma und Sinti und anderer südosteuropäischer Kulturen ist seit der Öffnung der Ostblock-Grenzen Anfang der 90er Jahre hierzulande populär geworden. Allerdings ist es nicht leicht, vor dem Hintergrund zahlreicher regionaler Varianten popularisierte (und damit musikmarktkonforme) Bearbeitungen vom Original zu unterscheiden – wenn diese Kategorie überhaupt Relevanz hat. Ein raueres Klangbild, Verzierungsfreude und individuellere Harmonik können Richtschnur sein. Goran Bregovic hat seine Bearbeitung – unsere Grundlage – für Emir Kusturicas Film Time of the Gypsies geschrieben (vgl. das Schlusslied), verschweigt indessen das Entleihen des traditionellen Materials aus dem Fundus der albanischen Roma aus der Region Korcha. 1999 nahm er eine polnische Version mit der Sängerin Kayah auf (Nie ma nie ma ciebie). Wir singen in der Originalsprache Romanes. Das Lied ist auch unter dem serbischen Titel Djurdjevdan bekannt und bezieht sich auf den Heiligen Georg, der als Märtyrer um das Jahr 303 unter Kaiser Diokletian (!) gestorben (worden) sein soll. Erst im frühen Mittelalter begann man die Drachentöter-Legende mit ihm zu verknüpfen. Für die Roma, die übrigens seit etwa 700 Jahren in Europa ansässig sind, gehört dieses Lied ihres Schutzheiligen zu ihrem traditionellen Frühlingsfest, das alljährlich am 6. Mai gefeiert wird. Alle Roma schlachten ein Lamm. Ich Armer komme von weit her, o Mutter, unser Tag, der St. Georgstag. Alle Roma, Großmutter, schlachten ein Lamm.

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19. La Raccolta

[Musik: Angelo Branduardi/Text: Luisa und Angelo Branduardi, 1979; Arr.: WR VI/2015]

Besungen wird die Zeit der Ernte, und im übertragenen Sinne geht es in unserer Handlung an dieser Stelle genau darum. Angelo Branduardi (siehe Nr. 5 und 16) ist natürlich ein poetischer Metaphoriker durch und durch: Selbstredend lassen nicht nur Cerealien sich ernten, und nicht nur Kernobst lässt sich pflücken... Der charmante folkloristische Gestus der Musik evoziert Breughel-Bilder ländlichen Lebens. Möge der Verzicht auf den Gesang das Interesse am Original wecken!

20. Bella ciao

[Musik/Text: Anonym, Trad.; Arr.: WR V/2015]

Gerechtigkeit, Widerstand, Aufstand und die Folgen davon, schließlich die Hoffnung auf Freiheit und die Liebe. Darum geht es in diesem Lied, und deshalb passt es hier so gut – abgesehen von seiner musikalischen Schönheit. Ursprünglich war es wohl ein Arbeiter-Protestlied, gesungen von norditalienischen Reispflückerinnen. Im Zweiten Weltkrieg wurde daraus ein antifaschistisches Widerstandslied, das den Freiheitskampf und die Erinnerung an die toten Partisanen besingt. Als solches ist es bis heute wie ein Volkslied populär und auch in deutschen Übersetzungen bekannt. Wir singen natürlich in der Originalsprache. Dass die Grußformel »Ciao« sowohl für die Begrüßung als auch beim Abschied genutzt wird, ist für das Lied nicht unwichtig.

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Hier wird eine (unbekannte) »Schöne« angesprochen. Und Interpretationsfeinheiten ergeben sich, bedenkt man, dass der Gruß, ebenso wie »Servus«, sprachlich auf den Sklaven bzw. Knecht verweist im heutigen Sinne von „Ich bin Ihr Diener!“ oder „Stets zu Diensten!“. Eines Morgens bin ich erwacht und fand den eindringenden Feind vor. Oh Partisan, bring mich fort, denn ich fürchte bald zu sterben. Und falls ich als Partisan sterbe, dann musst du mich begraben. Begrabe mich dort oben auf dem Berge unter dem Schatten einer schönen Blume. Und die Leute, die daran vorbeigehen, werden mir sagen: „Welch schöne Blume! Dies ist die Blume des Partisanen, der für die Freiheit starb.“ 21. Let Monarchs fight

[Musik: H. Purcell, Text: Th. Betterton, 1690 (Dioclesian, Nr. 26); Arr.: WR V/2015] Let Monarchs fight for power and fame, With noise and arms mankind alarm. Let daily fears their quiet fright, And cares disturb their rest by night; Greatness shall ne’er my soul enthral, Give me content and I have all.

Hear mighty Love!to thee I call; Give me Astrea and I have all; That soft, that sweet, that charming fair, Fate cannot hurt whilst I have her. She’s wealth and power, and only she, Astrea’s all the world to me.

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Der Text scheint realpolitisches Herrschergehabe hinzunehmen: Lasts Monarchen doch für Macht und Ruhm kämpfen, mit Lärm und Waffen die Menschheit ängstigen. Diese Größe soll niemals meine Seele verzaubern. Gib mir Zufriedenheit und ich habe alles. Musikalisch wird eine deutlichere, nämlich friedliche Botschaft gesendet. Die zweite Strophe setzt – üblich zu jener Zeit – mythologisches Wissen voraus: Astraea ist eine jungfräuliche Figur, die (etwa bei Vergil) die Wiederkehr des legendären Goldenen Zeitalters ankündigt. Vor Purcell personifizierten die Hofpoeten The Virgin Queen Elizabeth I. mit ihr. Von daher ließe sich sogar indirekte Herrschaftskritik herauslesen. Weil jedoch Henry Purcell im Original zunächst nicht einen Menschen, sondern einen Faun singen lässt, ist die Aussage geschützt. Der folgende Chorsatz beschwört dann die Liebe selbst, doch die sanfte, süße, betörende Schönheit Astraeas, ihren Reichtum und ihre Macht zu schicken. Solange man sie habe, könne das Schicksal nicht schmerzen. Ehrgeiz zur Macht versus Machtverzicht zugunsten der Liebe, das ist das eigentliche Thema von Purcells Semi-Oper Dioclesian. (Aber auf ein Goldenes Zeitalter, ob als Wiederkehr des Paradieses oder als nie dagewesene Zeit des Friedens und Fortschritts gedacht, werden wir wohl weiterhin vergeblich warten...) Wir haben dieses schöne Lied in unserer Geschichte als Kommentar nach einer konkreten Machtdemonstration des Kaisers Diokletian platziert.

22. Elo Hi (Canto Nero)

[Musik: Goran Bregovic/Ofra Haza/Text: Ofra Haza/Bezalel Aloni, 1993; Arr. WR XI/XII 2014]

Das Lied entstand für Patrice Chéreaus Film La Reine Margot (dt. Die Bartholomäusnacht, 1994). Dort wie bei uns wird in hebräischer Sprache gesungen. Es ist eine Anrufung Gottes, ein Klagegesang angesichts des Leidens.

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Hier treffen sich der Film (der das Massaker an französischen Protestanten in der Nacht vom 23. zum 24. August 1572 in Verbindung mit einer Liebesgeschichte behandelt) und unsere Handlung: Diokletian war ein übler Christenverfolger; auch seine Tochter Valeria und deren Mutter Prisca mussten den Treueeid auf die römischen Götter in Form öffentlichen Opfers leisten; sie wurden später verbannt und schließlich getötet. Die Sängerin der Originalfassung, Ofra Haza, ist eine Legende in Israel. 1957 in Tel Aviv als Tochter jemenitischer Juden in Tel Aviv geboren, arbeitete sie sich aus der Armut und den Begrenzungen einer benachteiligten Kultur heraus und genoss schließlich höchste Anerkennung. Sie trat 1994 bei der Friedensnobelpreisverleihung an Rabin/Peres/Arafat auf und sang 1995 bei der Begräbniszeremonie für den ermordeten Jitzchak Rabin. Ofra Haza starb im Jahre 2000. Die polnische Sängerin Kayah hat das Lied 1999 zusammen mit Goran Bregovic unter dem Titel »Jesli Bóg Istnieje « in einer musikalisch völlig anderen Interpretation eingespielt.

23. Silenzio d’amuri

[Musik/Text: Alfio Antico, 2001; Arr.: WR VI/2015]

„Ich habe dich schon immer geliebt. Auch wenn ich nicht bei dir sein kann und nur noch die Stille der Liebe zu spüren ist, kann ich dich nicht vergessen.“ Darum geht es in dem wunderschönen Gedicht des sizilianischen Percussionisten und Sängers Alfio Antico (*1956), der sich in einer jahrhundertealten volksmusikalischen Tradition sieht. Wir belassen aus dramaturgischen Gründen auch die Worte in der Stille. Die Melodie beruht auf einer wiederholten Bassfigur; Sie werden also erneut eine Chaconne hören (siehe Nr. 3).

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Dieses anrührende Musikstück verdankt sich Aufnahmesitzungen des Ensembles L’Arpeggiata für eine Schallplatte mit italienischer Barock- und Volksmusik, die sich dadurch auszeichnet, dass man beide Sparten weder auseinanderhalten kann noch will. Alfio Antico wurde in den Aufnahmepausen zu seinem Lied angeregt. Zehn Jahre später entnahm der Regisseur Philippe Claudel dieser CD einige Stücke für seinen Film »Tous les soleils«, in dem Silenzio d’amuri an einer Schlüsselstelle der Handlung live musiziert wird. 24. Aus und Ende (?)

[Musik: Goran Bregovic, Kalashnjikov, 1995; Arr. Stephen Roberts; dt. Text und Bearb.: WR IX-X/2014]

Der Originaltitel und -text waren hier nicht zu gebrauchen: Kalashnjikov. Goran Bregovic schrieb das Lied als Filmsong für die Politgroteske »Underground« von Emir Kusturica: Eine Partisanengruppe im ehemaligen Jugoslawien wird von einem Schwarzmarkthändler im Glauben gelassen, Zweiter Weltkrieg und Besatzung dauerten an. Er lässt sie Jahrzehnte versteckt in einem Bunkerlabyrinth unter Belgrad leben und dort für sich Waffen bauen, während er in der Nachkriegsgesellschaft aufsteigt. Irgendwann kollidieren Unter- und Oberwelt; die Partisanen geraten in Dreharbeiten, die sie für die Wirklichkeit halten. – Der Song ist dank seines vitalen Balkan-Sounds unabhängig vom Film längst zum Bregovic-Klassiker avanciert und passte in unser musikalisches Konzept. Wir brauchten allerdings einen neuen Text, der unsere Handlung abzurunden vermag.

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Orchester Querflöte

Paula Chemnitz Anne Kohstall Carolin Schüßler Lara Westphalen Melodica Wieland Reich Klarinette Friederike Lessau Melanie Reichert Alt-Saxophon, Bariton-Saxophon Paul Heinrich Trompete Annelie Wohlert Kornett Mateo Rathjens Waldhorn, Tamburin Matthias Butz Euphonium Fabian Ononuju Akkordeon, Goc, Doumbek, Tamburin, Xylophon, Effektinstrumente Steffen Peters

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Violine

Irem Helvaci Leonie Reich Ewa Schubarth Zoë Schubarth Paula Schurbohm [+ Maracas] Lasse Sörensen Dorothea Speier [+ Triangel] Violoncello Mia Sörensen Klavier, Chimes

Regine Borg-Reich Ensembleleitung: Wieland Reich

Unterstufenchor Alina Albers, Samira Binder, Neele Brandt, Pia Carstens, Aleyna Cifci, Özge Cömert, Jana Conrad, Lyan Dieck, Amira Dogru, Johannes Eifler, Felix Evers, Swantje Frenz, Lisa Gross, Nele Grube, Inse Gründel, Klara Haltenhoff, Sophie Hergenreder, Martje Janssen, Anne-Christin Kaufmann, Emilia Kern, Lisa Knoblauch, Anna Kohnagel, Nike Kraszewski, Jette Krieger, Laura Kroll, Lara Krüger, Emilie Lange, Torben Larisch, Sophia Lettau, Mare Malin Meyer, Greta Mohrbach, Mateo Rathjens, Lia Marie Sasse, Michelle Schanze, Janne Schicharin, Anna Schilling, Madlen Schöer, Laura Seefeld, Celina Seyfert, Dorothea Speier, Isabel Thoke, Lea Thomsen, Paula Timm, Jule Weidemann, Marie Wilhelm, Camille Wilckens, Mailin Witt, Philine Woyda

Leitung: Regine Borg-Reich und Wieland Reich

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Mittel-/Oberstufenchor Jara Andresen, Frederike Appel, Johanna Bockelmann, Anne Brühs, Marieke Bucher, Merle Bücking, Mia Bücking, Tom Endemann, Miriam Engelberg, Luise Evers, Hannah Feldt, Torge Feldt, Katrina Glockow, Lea Goltz, Jan Haars, Joanna Junge, Laura Kenntemich, Jule Kiesel, Kevin Kloss, Lara Kröhnke, Martje Labuj, Johanna Lodemann, Frederik Looft, Pauline Looft, Mele Maxime Meyer, Björn Meß, Tom Möller, Anna-Lena Mühle, Lorena Peters, Svea Piatkowski, Swantje Rausch, Godje Roß, Finja Rübcke, Lena Schilling, Svantje Schlüter, Jana Schulze, Luca Schwormstede, Hannah Sommer, Franziska Strube, Katharina Thien, Maximilian Thien, Kim Lea Tiedemann, Nele Tiedemann, Kira-Marie Ulrich-Timm, Finja Tippelt, Margaux Wilckens, Charlotte Willuhn, Merle Zils

Leitung: Wieland Reich

»Masque«-Choreographie Lorena Peters Plakatgestaltung

Leonie Reich Licht- und Audiotechniker, Bühnenarbeiter

Steffen Peters Henrik Stünitz Hove Gripp, Henrik Werner Oberbeleuchter, Kabelagenkoordinator Henrik Stünitz Bühnenarbeiterin, Inspizienz, Maske

Carla Reinbold, Ganga Bauer (Assistenz) Majestätsmöbelmanufaktur Marieke Bucher, Miriam Engelberg

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Pappmachéprodukte Marieke Bucher, Miriam Engelberg, Lorena Peters

Portraitmalerei

Merle Bücking Requisitenmalstube Anne Brühs, Marieke Bucher, Miriam Engelberg, Lara Kröhnke, Lorena Peters, Charlotte Willuhn Requisitenregistratur Regine Borg-Reich Schneideratelier

Regine Borg-Reich Schildermanufaktur

Björn Meß, Carla Reinbold Styroporveredelung Anne Kohstall, Lara Kröhnke, Friederike Lessau, Lorena Peters, Melanie Reichert, Margaux Wilckens Tapezierteam Marieke Bucher Miriam Engelberg, Björn Meß, Steffen Peters Tischlerei , Hoch-, Tief- , Unter- und Überbau-Büro Steffen Peters Jobcenter, Handlanger Wieland Reich TV-Team

Koordination: Steffen Peters

Regie und Bildmischung: Thomas Piskorski

Kamera: Svea Haars, Nick Schönbeck, Warin Westphal

Ton: Mathis Först

Assistenz: Mattis Hoppe, Noah Malinowski

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