Die Hebräische Bibel - Lesen Juden und Christen dieselbe Bibel?

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Peter Bingel Lesen Juden und Christen dieselbe Bibel ? Vom unterschiedlichen Gebrauch der Bibel und seinen politischen Folgen im Nahostkonflikt Erstellt von Peter Bingel, ev. Theologe, Schulleiter i. R., in enger Zusammenarbeit mit Winfried Belz, kath. Dipl.-Theologe und Klinikseelsorger i. R., in Heidelberg. 5. Fassung N o v e m b e r 2010

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Lesen Juden und Christen dieselbe Bibel? - "Vom unterschiedlichen Gebrauch der Bibel und seinen politischen Folgen im Nahostkonflikt" - Erstellt von Peter Bingel, ev. Theologe, Schulleiter i. R., in enger Zusammenarbeit mit Winfried Belz, kath. Dipl.-Theologe und Klinikseelsorger i. R.; Im Bund mit Gott Jahwe macht sich sein "Auserwähltes Volk" Israel Land und Güter anderer Völker zu Eigen. Wie Landraub, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen im Alten Testament legitimiert werden und warum die Christenheit dazu schweigt.

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  • Peter Bingel

    Lesen Juden und Christen dieselbe Bibel ?

    Vom unterschiedlichen Gebrauch der Bibel und seinen politischen Folgen im Nahostkonflikt

    Erstellt von Peter Bingel, ev. Theologe, Schulleiter i. R., in enger Zusammenarbeit mit Winfried Belz, kath. Dipl.-Theologe

    und Klinikseelsorger i. R., in Heidelberg.

    5. Fassung

    N o v e m b e r 2010

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    Ein weiser Rabbi stellte seinen Schlern einmal die folgende Frage:

    Wie bestimmt man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt?

    Einer der Schler antwortete:

    Vielleicht ist es der Moment, in dem man einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?

    Der Rabbi schttelte den Kopf.

    Oder vielleicht dann, wenn man von weitem einen Dattel- von einem Feigenbaum unterscheiden kann?

    Der Rabbi schttelte wieder den Kopf.

    Aber wann ist es dann?

    Der Rabbi antwortete:

    Es ist dann, wenn Ihr in das Gesicht eines beliebigen Menschen schaut und dort Eure Schwester oder Euren Bruder erkennt.

    Bis dahin ist die Nacht noch bei uns.

    Aus: Martin Buber, Die Erzhlungen der Chassidim

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    Lesen Juden und Christen dieselbe Bibel?

    Vom unterschiedlichen Gebrauch der Bibel und seinen politischen Folgen im Nahostkonflikt

    Stellen wir uns vor, es gbe die Bibel nicht, speziell das Alte Testament bzw. die Hebrische Bibel (AT = HB):

    Gbe es dann die jdische Kolonisation Palstinas seit dem Ende des 19. Jahrhunderts? Gbe es dann die zionistische Bewegung, die politisch auf den jdischen Besitz von ganz Palstina abzielt? Wren dann Millionen arabische Palstinenser, die in Palstina dasselbe Heimatrecht haben wie wir Deutschen in Deutschland und wie berhaupt jeder Mensch in seinem Land, vertrieben, teils gettet, ins Elend getrieben, in Flchtlingslager oder in kleinen Inseln unter israelischer Militrbesatzung im Westjordanland eingesperrt oder ins Freiluftgefngnis Gazastreifen gepresst? Wrde dann seit Jahrzehnten diese tiefe Wunde zwischen der westlich-christlichen Welt und der arabisch-muslimischen Welt schwren?

    Nun, es gibt diese Bibel, das meistverbreitete Buch auf unserem Globus, das Buch der Juden und der Christen, ihre Heilige Schrift, die sie gemeinsam haben, abgesehen davon, dass die Christen im Neuen Testament die fr sie zentrale Urkunde haben, nmlich die Zeugnisse von Jesus Christus und von der frhen Kirche Jesu Christi.

    Wer liest was in der Bibel?

    Dass die meisten Menschen kaum wissen, was im muslimischen Koran steht, ist bekannt. Viel weniger bewusst ist, dass den meisten nur sehr partiell klar ist, was christlich gesprochen im Alten Testament steht. Das ist deshalb so entscheidend, weil Christen vllig andere Dinge in diesem riesigen Schriftenkomplex lesen bzw. gelehrt bekommen als Juden. Selbst christliche Theologen nehmen kaum wahr, was Juden hauptschlich in dieser Bibel lesen und was das fr sie praktisch-politisch bedeutet.

    Fr Christen ist diese Bibel ein rein religises Buch.

    Dagegen ist sie fr die meisten Juden ein national-geschichtliches Buch, zumal die Mehrheit der Juden (75 80%) keine religise Orientierung hat. Fr die Minderheit der religisen Juden ist sie primr ein religises, aber sie ist zugleich auch ein politisches Buch, weil wesentliche Glaubensfragen fr Juden, z. B. die Landfrage, zugleich auch politische Fragen sind. Die Gesprchspartner der christlichen Theologen sind religise Juden, Rabbiner, also keine Vertreter des nichtreligisen Mehrheitsjudentums.

    Diese Rabbiner pflegen fr das gesamte Judentum zu sprechen, als wrden alle Juden ihr Judentum religis verstehen. Dadurch lassen sich die christlichen Gesprchspartner in die Irre fhren.

    Wichtig fr Christen sind die Urgeschichten von Schpfung und Sndenfall, vom Turmbau zu Babel und der Arche Noah etc. Sie hren von Abrahams Gottesbegegnung und Berufung, von Joseph in gypten, vom Auszug des Volkes Israel aus gypten, von den am Berg Sinai gegebenen Geboten und vom Einzug in das sog. gelobte, also das von Gott versprochene Land. Auch die Propheten und die Psalmen spielen fr sie eine groe Rolle. Dem gegenber hat die Bibel fr Juden eine ganz andere Betonung und Bedeutung, weil sie vorwiegend andere Texte in dieser groen Schriftensammlung lesen.

    Juden lesen ihre Bibel als geschichtliches, als nationales, als politisches Buch.

    Es enthlt fr sie die identitts- und gemeinschaftsstiftenden Volksgrndungsmythen. Diese liegen fr die Frhgeschichte in mythologisch-legendren Formen vor. Spter sind diese Schriften geschichtlich zuverlssiger, tradiert mit religis-theologischen Kommentaren. Immer steht dabei die Ethnie Israel im Mittelpunkt, mit Jahwe, dem Gott Israels. Im Judentum waren Religionsgemeinschaft und Volksgemeinschaft ungewhnlich lange identisch, weit ber die Zeitenwende hinaus, bis ins 18. Jahrhundert hinein.

    Fr das religise Judentum ist die Torah, das sind die fnf Bcher Mose, der zentrale Teil der Hebrischen Bibel. In der wissenschaftlichen Exegese und in der kath. Tradition heien sie: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium [im Judentum heien sie: Bereschit, Schemot, Wajikra, Bemidbar, und Devarim]. Neben vielen Gesetzesvorschriften enthlt die Torah bereits viel Politisches, von der Landverheiung an Abraham bis zur befohlenen Art und Weise, wie gegen die in Palstina einheimischen Vlker vorzugehen sei, z.B. 5. Mose/Dtn 20 [Kriegsgesetze]. Fr den berwiegenden Teil des Judentums, der skular ist, sind folgende Bcher innerhalb der Hebrischen Bibel von hoher, nmlich nationaler Bedeutung: Teile aus den Mosebchern, Josua und Richter, 1. und 2. Samuel, sowie 1. und 2. Knige, 1. und 2. Chronik, Esra und Nehemia, und spter dann auch die nur in griechischer Sprache vorliegenden Makkaberbcher.

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    Dasselbe Buch in vllig verschiedener Nutzung

    Wir haben also zwischen zwei Buchdeckeln sehr verschiedenartige Literaturen, die auch vllig unterschiedlich genutzt werden. Das Christentum hat nach dem Zeugnis des Neuen Testaments nicht das geringste Interesse an der geschichtlich-politischen Bedeutung von alttestamentarischen Texten, wie sie heute der Zionismus fr seine Begrndungen benutzt. Entsprechend werden solche Texte im Gegensatz zu vielen anderen alttestamentarischen Schriftstellen im NT nicht zitiert. Fr das zionistische Judentum dagegen sind die geschichtlich-politischen Teile der Hebrischen Bibel ein wichtiger Teil der ethnisch-nationalen Selbstfindung und Selbstgestaltung, die seit ber 100 Jahren im Gange ist. Mit anderen Worten:

    Faktisch haben Christen und Juden sehr unterschiedliche Bibeln, weil das Mammutwerk Bibel je nach Interessenlage sehr Unterschiedliches hergibt.

    Das Judentum als religise und als ethnisch-nationale Gemeinschaft

    Die unterschiedliche Nutzung hngt damit zusammen, dass Christentum und Judentum derart verschieden sind, dass man diese Gren nicht direkt parallelisieren kann.

    Denn das Christentum ist eine reine Religionsgemeinschaft. Das Judentum dagegen ist zugleich eine religise und eine ethnische Gemeinschaft. Es gibt Judentum als Religion und Judentum als Nation, als Ethnie, als Volk.

    Im Laufe der Geschichte hat sich das Zueinander dieser beiden Elemente stark gewandelt. Im Altertum und bis in die beginnende Neuzeit hinein gab es das Judentum nur in der Zusammengehrigkeit von Religionsgemeinschaft und Volksgemeinschaft, wobei das Element Religionsgemeinschaft bei Juden und Nichtjuden im Vordergrund des Bewusstseins stand. Die genannte Verbindung zerbrach in der Aufklrungszeit, zunchst in der westlichen Welt. Das fhrte zu einer groen Identittsunsicherheit bzw. auch zu Identittsverlust im Judentum. Ende des 19. Jhdts gab es dann eine im Judentum bis dahin noch nie da gewesene Erscheinung: eine neue, nicht religise, sondern rein nationale Identitt des Judentums, die vor allem Theodor Herzl propagierte und frderte. Das ist die weitgehend erfolgreiche und auch heute noch hochwirksame Zionistische Bewegung, deren Ziel, einen eigenen Nationalstaat im historischen Palstina zu grnden, inzwischen weitgehend erreicht ist.

    Etwa 50 Jahre nach der Begrndung des Zionismus ergab sich mit der jdisch-israelischen Staatsgrndung von 1948 und erst recht mit dem Zugang zur Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt und mit der Okkupation des gesamten Restpalstina 1967 eine grundlegende Wandlung bei Teilen der jdischen Religion: Bis dahin, konkret seit dem Sieg der Rmer gegen die jdischen Aufstnde zwischen 67 und 132 n. Chr., war die jdische Religion weitgehend unpolitisch gewesen. Nun aber wandelte sich mit der militrischen Eroberung des sog. Eretz Israel, des Landes Israel, das jdische Religionsverstndnis radikal: Der Landesanspruch trat wieder in den Mittelpunkt religisen Glaubens, und zwar das Land in seiner ursprnglichen politischen Bedeutung.

    Nach den tief verstrenden Holocaustgeschehnissen schloss sich die jdische Religion gewissermaen dem von seiner Grndung her rein skularen und inzwischen grundlegend erfolgreichen Zionismus an: Nach der jdischen Staatsgrndung im Jahr 1948 wurden die national-zionistischen Ziele rasch auch als religis-jdische Ziele und als Selbstverstndlichkeiten definiert. Der Vorgang dieser tiefgreifenden Wandlung in der jdischen Religion seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist noch kaum ins allgemeine Bewusstsein getreten. Im Ergebnis haben wir im heutigen Judentum, vor allem im israelischen, ein neues Amalgam von Nation und Religion vor uns. Es ist vergleichbar mit dem Judentum der alten Zeit vor der aufstandsbedingten Diaspora. Allerdings haben wir es in einer anderen Gewichtung vor uns: Im Vordergrund steht heute nach jdischem Selbstverstndnis eindeutig das Judentum als Ethnie, als Volk, als Nation.

    Innerhalb dieser jdischen Nation spielt die jdische Religion eine eigene, eine begrenzte, aber durchaus bedeutende Rolle. Die Verbindung von Nation und Religion, die es in der Weltgeschichte schon oft gab, fhrt im heutigen Judentum vielfach zu einem spezifischen Fundamentalismus und Fanatismus.

    Christlicher Irrtum: das Judentum nur als Religion [Ignoranz der vlkisch-politischen Dimension]

    Auf christlicher Seite werden die Wandlungen weitgehend bersehen, die auf jdischer Seite stattgefunden haben. Theologen und Kirchenfhrer pflegen nur mit Rabbinern umzugehen, um Genaueres ber das Judentum zu erfahren und mit der jdischen Seite das Verhltnis Christen - Juden zu reflektieren. Von Rabbinern werden alle Juden als religise Juden betrachtet und deshalb verstehen sie auch Israel grundlegend religis. Das ist eine Verzerrung der Wirklichkeit. Christen ihrerseits denken und argumentieren immer noch so, als lebten wir in biblischen Zeiten. Ihr Bild vom Judentum ist von den biblischen Texten geprgt. Dadurch wird verhindert, dass im Christentum und entsprechend in der westlichen Welt das Judentum in seiner ethnisch-nationalen und somit politischen Realitt sachgem in den Blick genommen wird.

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    Das Judentum, speziell das israelische, kann aber in seiner politisch-nationalen Existenz gar kein Gegenber zum Christentum als Religionsgemeinschaft sein, denn der christliche Glaube hat keine spezifische Beziehung zu irgendeiner Nation, auch nicht zur jdischen. Dass sich der Staat Israel selbst in unklarer Begriffsbestimmung auch im Sinne der Religion als jdisch bezeichnet, hat keinen Einfluss auf das Christentum, denn es ist neutral.

    Die politische Zentralbotschaft der Hebrischen Bibel

    100te Male steht es im Alten Testament, dass Gott den Juden Palstina, damals Kanaan genannt, zuspricht, am hufigsten in den oben genannten Geschichtsbchern, aber es beginnt bereits mit Abraham, der mythologischen Symbolfigur fr Juden, Christen und Muslime. Da wird Gott zitiert: Das ganze Land, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen fr immer geben (1. Mose/Genesis 13,15, vgl. Abrahams Berufung 12,7). Das setzt sich fort bei Gottes Bund mit Abraham (15, 18): An diesem Tag schloss der Herr mit Abraham folgenden Bund: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Grenzbach gyptens bis zum groen Strom Euphrat, also einem zuknftig riesigen Volk ein riesiges Land, und dann werden in Vers 19 zehn Vlker aufgezhlt, deren Land Gott im Rahmen seines Abraham-Bundes dem jdischen Volk gelobt/verspricht. Und in 1. Mose/Gen 17,8 heit es: Und ich will dir und deinem Geschlecht nach dir das Land geben, darin du ein Fremdling bist, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz, und will ihr Gott sein.

    In den Geschichtsbchern, die im 6. Jahrhundert v. Chr. ihre endgltige literarische Form gefunden haben, finden sich vielfach aus dem Munde Gottes oder in Beziehung auf Gottesworte Wendungen folgender Art: Zieh ber den Jordan hier mit diesem ganzen Volk in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, geben werde. Jeden Ort, den euer Fu betreten wird, gebe ich euch. Du sollst diesem Volk das Land zum Besitz geben, von dem du weit: Ich habe ihren Vtern geschworen, es ihnen zu geben. (Ihr werdet) in das Land hineinziehen und es in Besitz nehmen, das der Herr, euer Gott, euch zu eigen gibt (Josua 1, 2-3, 6, 11). So gab der Herr Israel das ganze Land, das er ihren Vtern mit einem Eid zugesichert hatte. Sie nahmen es in Besitz und wohnten darin (Josua 21,43).

    Im Zusammenhang mit der Wegfhrung eines groen Teils der israelitischen Bevlkerung nach Babylon hatte es in diesem 6. Jahrhundert besondere Grnde gegeben, den Umgesiedelten klar zu machen, dass nach wie vor Palstina ihr Land, ihr von Gott zugesichertes Land, bleibt. Die betreffenden Schriften sind im Laufe der Zeit zu heiligem Wort Gottes geronnen und letztlich zum Mittelpunkt jdischen Glaubens geworden. Dadurch bekam das jdische Haften an diesem Land eine ber alle Maen gewichtige gttliche Legitimation und noch viel mehr: Einen Auftragscharakter.

    Einst hatte das Judentum die Wegfhrung nach Babylon und die dortige Diasporaexistenz berlebt. In unseren Zeiten glaubt das religise Judentum, dass die jetzige Neubesiedlung und dazu die Neubeherrschung Palstinas weiterhin auf einer Linie mit den einstigen Gottesversprechungen zu sehen ist. Das nationale Judentum seinerseits betrachtet, - ebenfalls auf dem Boden der Bibel, die zionistische Kolonisation als sein geschichtliches Recht. Das politische Judentum unserer Tage wird nicht mde, von den historischen und natrlichen Rechten der Juden auf das Land Palstina zu sprechen. So formulierte es bereits Ben Gurion bei der Ausrufung des jdischen Staates im Jahre 1948 und so vertritt es auch heute die israelische Botschaft in Berlin.

    Das sind vermeintliche Rechte, die es sonst nirgends auf der Welt gibt. Die Legitimation fr den jdischen Staat beruht einzig und allein auf dem UNO-Teilungsbeschluss vom 29. 11.1947. Alles andere ist Mystifizierung und ideologischer Nationalismus.

    Die biblische Praxis des befohlenen Genozids

    Im Blick auf die nationale und die religise Wirksamkeit der Hebrischen Bibel, wie sie im Judentum den Umgang mit der Landfrage prgt, ist es entscheidend, welche Mastbe fr die Eroberung des palstinensischen Landes darin vorgegeben sind. Ein zentrales Muster ist der Genozid, der im Alten Orient bliche Praxis war. Er bedeutete: In einer eroberten Stadt werden alle Menschen gettet. Manchmal kommt hinzu, alles Lebende zu tten, also auch alle Tiere (z.B. 5.Mose/Dtn 3,6; 13,13ff; Josua 10,28 40; 11,11 -14; Richter 21,10 +11 und 1 Sam 15,3 und 8).

    In 5. Mose/Dtn 13,17 wird ein solcher Genozid Ganzopfer genannt, was im Hebrischen Shoa und im Griechischen Holocaust (!) heit. Diese Praxis hat nach biblischem Zeugnis beim Volk Israel ihren selbstverstndlichen Platz und nimmt breiten Raum ein. [* siehe Anmerkung zum Schluss]

    Das sind natrlich Dinge, die im christlichen Bibelunterricht nicht vorkommen und die in der westlich-christlichen Gesellschaft kaum bekannt sind, obwohl man sie Schwarz auf Wei nachlesen kann. Deshalb wird nun von denjenigen, die diesen Text lesen, einige Geduld gefordert, um unvoreingenommen wahrzunehmen, was durchaus zum heute in Israel/Palstina virulenten jdischen Erbe gehrt, wobei es nicht auf die Zahl oder die Gesamtheit der Ttungen ankommt, sondern darauf, dass die Schwelle zum Tten bzw. zur frappierenden Missachtung von Menschenwrde und Menschenrechten uerst niedrig ist.

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    Der heiligste Teil der heiligen Schriften ist fr Juden die Torah, die fnf Bcher Mose am Anfang der Bibel. Die gesamte Torah wird im Laufe eines jeden Jahres im jdischen Gottesdienst verlesen. Im letzten Torah-Teil wird die Praxis des Genozids, die untrennbar eine religise und eine ethnische Praxis ist, genauer beschrieben. Es handelte sich um eine zweistufige Anweisung im Namen Gottes. Bei der ersten Stufe geht es um eroberte Stdte, die entfernt vom vorgesehenen Siedlungsgebiet liegen. In 5. Mose/Dtn 20,10-15 heit es:

    Wenn du vor eine Stadt ziehst, um sie anzugreifen, dann sollst du ihr zunchst eine friedliche Einigung vorschlagen. Nimmt sie die friedliche Einigung an und ffnet dir ihre Tore, dann soll die gesamte Bevlkerung, die du vorfindest, zum Frondienst verpflichtet und dir untertan sein. Lehnt sie eine friedliche Einigung mit dir ab und will sich mit dir im Kampf messen, dann darfst du sie belagern. Wenn der Herr, dein Gott, sie in deine Gewalt gibt, sollst du alles, was Mnnlich ist, mit scharfem Schwert erschlagen. Die Frauen aber, die Kinder und Greise, das Vieh und alles, was sich darin plndern lsst, darfst du dir als Beute nehmen. Was du bei deinen Feinden geplndert hast, darfst du verzehren; denn der Herr, dein Gott, hat es dir geschenkt. So sollst du mit allen Stdten verfahren, die sehr weit von dir entfernt liegen und nicht zu den Stdten dieser Vlker hier gehren.

    Die zweite Stufe, die Ausfhrung des vollen Vernichtungsbanns (oder auch Vernichtungsweihe genannt), wird dann mit den folgenden Versen angeordnet: V16-17: Aus den Stdten dieser Vlker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat.

    Was bei dieser vollen Vernichtungsweihe geschieht, ist bereits im 2. Kapitel des 5. Mosebuches/Dtn beschrieben, wo es um die Eroberung des Ostjordanlandes geht (V 31 -34): Und der Herr sprach zu mir (Mose): Siehe, ich fange damit an, dir Sihon und sein Land auszuliefern. Fangt ihr an, sein Land in Besitz zu nehmen! Und Sihon rckte mit seinem Kriegsvolk gegen uns aus, um bei Jahza zu kmpfen. Der Herr, unser Gott, lieferte ihn uns aus. Wir schlugen ihn, seine Shne und sein ganzes Volk. Damals eroberten wir alle seine Stdte. Wir weihten die ganze mnnliche Bevlkerung, die Frauen, die Kinder und die Greise, der Vernichtung; keinen lieen wir brig. Das Gleiche wird im Folgekapitel beim Sieg ber einen anderen Knig und sein Volk berichtet.

    Ein anderes Beispiel, diesmal aus dem Josuabuch Kap 6: Viele kennen die eindrucksvolle Geschichte von der Eroberung Jerichos, wie die israelitischen Priester und die bewaffneten Mnner tglich unter stndigem Hrnerblasen die Stadt umrunden und am siebten Tage bei lautestem Kriegsgeschrei der Israeliten die Mauern Jerichos einstrzen und das Volk Israel die Stadt erobert. Weniger bekannt oder weniger bekannt gemacht - sind die Umstnde dieser sagenhaften Eroberung: Vor dem Ereignis erklrt der Mose-Nachfolger Josua (V17):

    Die Stadt mit allem, was in ihr ist, soll zu Ehren des Herrn dem Untergang geweiht sein. Und das sieht dann so aus (V21): Mit scharfem Schwert weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Mnner und Frauen, Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel.

    Es wre interessant zu erfahren, wie viele Menschen in der westlich-christlichen Welt hiervon etwas wissen. Gibt es im christlichen Bereich berhaupt ein Interesse daran, solche Texte ernsthaft wahrzunehmen?

    In der Hebrischen Bibel finden sich Dutzende Beispiele fr diese alte orientalische Praxis der Vernichtungsweihe, die als jdisch-israelitische Praxis im Namen Jahwes, des Gottes Israels, erscheint. EIN solches Beispiel soll noch genannt werden, weil es im heutigen Israel immer wieder eine Rolle spielt.

    Es geht dabei um die Bekmpfung der Amalekiter, die im Alten Testament als die grten Feinde Israels gelten, weil sie sich den Israeliten bei ihrem Zug durch die Wste entgegen gestellt hatten. Nach 1. Samuel 15 bekommt Knig Saul vom Propheten Samuel im Namen Gottes folgenden Auftrag: Gehorche jetzt den Worten des Herrn! So spricht der Herr der Heere: Ich habe beobachtet, was Amalek Israel angetan hat: Es hat sich ihm in den Weg gestellt, als Israel aus gypten heraufzog. Darum zieh jetzt in den Kampf und schlag Amalek! Weihe alles, was ihm gehrt, dem Untergang! Schone es nicht, sondern tte Mnner und Frauen, Kinder und Suglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel!

    Dieses Schone es nicht!, anderen Orts in der Formulierung Du sollst in dir kein Mitleid aufsteigen lassen! (5. Mose/Dtn 7,16 und 19,21) hat seine Entsprechung in der israelischen Militraktion gegen die Menschen im Gazastreifen im Dezember 2008/Januar 2009, die der Verteidigungsminister Barak, der sich selbst einen alttestamentarischen Namen gewhlt hat, einen Krieg ohne Gnade nennt. Amalek erscheint auch am Ausgang der Jerusalemer Holocaustgedenksttte als Mahnung: Gedenke an Amalek! [** siehe Anmerkung zum Schluss]

    Die Bezeichnung Amalek fr die grten Feinde der Juden wird im heutigen Israel immer wieder auf die Palstinenser angewandt, dagegen kaum noch auf die Deutschen und ihre Vernichtungspolitik gegenber den Juden in der Zeit des Nationalsozialismus.

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    Die Vernichtungsweihe: Menschenbild und Gottesbild

    Die Vernichtungsweihe, der Genozid, war eine Praxis, die in Israel wie bei anderen altorientalischen Staaten zur ethnisch-religisen Existenz gehrte.

    Gelegentlich wird sie in der Hebrischen Bibel genau begrndet: damit sie (die anderen Vlker) euch nicht lehren, ihre (religisen) Gruel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Gttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sndigt (5. Mose/Dtn 20,18). Das heit: Der Genozid diente der religisen Reinerhaltung, und zwar mittels der Religion der Reinhaltung des Volkes berhaupt.

    Man knnte nun sagen, das sei lngst alles grundstzlich berwunden. Aber in der aktuellen Verehrung der heiligen Schriften als Gotteswort ist bis heute das zugehrige Menschenbild virulent, nmlich dass man durchaus Menschen kollektiv und massenhaft umbringen darf, wenn es eine einleuchtende Begrndung dafr gibt, und genau das ist heute im Nahostkonflikt aktuell. Vor allem die israelischen Siedler-Rabbis und das Militr-Rabbinat arbeiten in dieser Richtung. Der Auschwitzberlebende Hajo G. Meyer kommt in seinem Buch Das Ende des Judentums zu dem Ergebnis, dass ein Teil der jdischen Geistlichkeit eine Auffassung von zentralen Lehrstzen des Judentums vertritt, die offensichtlich auch Elemente, die zu barbarischen Taten anstiften, enthalten. Gerade aus den Tagen der oben genannten israelischen Militraktion gegen die Menschen im Gazastreifen gibt es bedrckende Zeugnisse hierfr.

    Die Hebrische Bibel bietet in erheblichen Teilen ein Gottesbild, bei dem es der Gott Israels selbst ist, der vertreibt. Das beginnt bereits mit der Berufung des Abraham. Gott gibt Abraham und seinen Nachkommen das Land anderer Vlker (1. Mose/Dtn 15,18-21), womit es als gerechtfertigt gilt, sich das (versprochene) Land anderer einfach zu nehmen. Gott selbst ist es, der diese Vlker verschwinden lsst, der alle Feinde Israels die Flucht ergreifen lsst (2. Mose/Ex 23,23-27). Gott vertreibt die betreffenden Vlker (V 28), er gibt die Einwohner in die Hand Israels, damit Israel sie vertreiben (V31) und das Land in Besitz nehmen kann (V 30). Auch in 2. Mose/Ex 34,11 verspricht Gott Jahwe, die Vlker vor Israel her zu vertreiben (vgl. 33,2 und 3. Mose/Lev 18,24 und 20,23), damit Israel deren Boden in Besitz nehmen kann. Gott ist es, der diesen Boden zum Besitz gibt. Er selbst ist der Eroberer (siehe 4. Mose/Num 32,4). Gott selbst kmpft fr Israel (5. Mose/Dtn 1,30). Aus Liebe zu diesem einen, seinem Volk, vertreibt er bei Israels Angriff die Vlker, um deren Land Israel als Erbbesitz zu geben (5. Mose/Dtn 4,37-38).

    In 2. Mose/Ex 15,3 heit es wrtlich: Der Herr ist ein Krieger, Jahwe ist sein Name. Eine solche gewaltpolitische Gottesvorstellung ist im Neuen Testament undenkbar.

    Gott hatte den Stammvtern Israels, Abraham, Isaak und Jakob, geschworen, ihnen das Land zu geben, im Ergebnis groe und schne Stdte, die Du nicht gebaut hast, mit Husern voll von Gtern, die Du nicht gefllt hast, in den Felsen gehauene Zisternen, die du nicht gehauen hast, Weinberge und lbume, die du nicht gepflanzt hast (siehe 5. Mose/Dtn 6,10-11, vgl. Josua 24,13). All solcher Raub ist also legitimiert im Namen Gottes. Was hier in der Bibel, in der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes, vorgegeben ist, hat natrlich seine erschreckenden faktischen Auswirkungen heute, da eine verwandte politische Situation in Palstina gegeben ist. Die genannten und ihnen verwandte Bibeltexte sind den meisten Christen nicht bekannt. Wenn TheologInnen und ExegetInnen sie auslegen, versuchen sie den Texten ihre Anstigkeit zu nehmen, indem sie darauf hinweisen, dass die Vorgnge historisch sich so nicht zugetragen htten.

    Doch damit ist das Problem, welche Wirkung solche Texte haben, nicht vom Tisch. Im jdisch-israelischen Staat werden sie wahrgenommen und umgesetzt, und zwar bei den Nationalen bzw. Nationalisten (Zionisten), bei den fundamentalistisch Religisen und bei den in der Knesset gegenwrtig stark vertretenen National-Religisen. Wen muss es da noch wundern, dass fr das heutige Israel UNO-Beschlsse sowie Vlker- und Menschenrechte keinerlei Bedeutung haben? Wie sollte fr ein Volk, das unter dem Einfluss dieser Bibelpartien steht, ein Rauben, Tten und Vertreiben, das der Nation dienlich erscheint, als verwerflich gelten, wo doch Gott selbst bzw. die biblische berlieferung ein Vorbild fr solches Handeln liefern? Nachdem das Judentum eine machtpolitische Gre geworden ist, bietet die Bibel fr alles, was der Staat Israel mit seinen Institutionen, Organisationen und Gruppen, einschlielich seines Militrs und seiner Kolonisten (Siedler), an Raub und Gewalttat ausbt, - leider - eine absolute Rechtfertigung.

    Es ist also festzuhalten: Als Hebrische Bibel, traditionell-christlich gesprochen, als Altes Testament, hat die Bibel gegenwrtig im Nahen Osten eine verheerende Wirkung. Sie predigt, in entsprechenden Partien gelesen, gerade in der heutigen Situation jede Form von Menschenverachtung, Raub und Unterdrckung gegenber nichtjdischen Vlkern. Wenn es einen Weltindex der verbotenen Texte gbe, mssten Teile dieser Bibel wegen Volksverhetzung auf diesen gesetzt werden.

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    Es sei hier noch einmal eigens betont: Es geht um die Wirkungsgeschichte von biblischen Texten! Wenn auch die professionellen Bibelausleger heute die Auffassung vertreten, das Eindringen israelitischer Stmme ins kanaanische Land habe in Wirklichkeit als ein langsamer und weitgehend friedlicher Vorgang stattgefunden und die gewaltverherrlichenden Texte seien interessensgeleitete Konstruktionen aus viel spterer Zeit, vor allem aus den Jahrzehnten der babylonischen Diaspora im 6. vorchristlichen Jahrhundert, so entschrft das keineswegs die Problematik, welche Wirkung diese Texte haben.

    Auf jdischer Seite ist die historisch-kritische Forschung nicht nennenswert entwickelt. Von jdisch-religiser und jdisch-nationaler Seite werden die betreffenden Bibeltexte als Mitteilung von Fakten gelesen, ebenso von den zum Teil einflussreichen christlich-evangelikalen Glaubensgruppierungen in der westlichen Welt.

    Die Hebrische Bibel, das Alte Testament und das Ethische Versagen der Christenheit

    Im Unterschied zum Judentum in seiner doppelten Gestalt als Religions- und Volksgemeinschaft ist eben das Christentum als reine Religionsgemeinschaft vom Wesen her keine politische Gre. Zumindest heutzutage verstehen sich die meisten Kirchen des Westens als eigenstndige religise, nicht staatsabhngige Gemeinschaften. Dabei berufen sie sich zu Recht auf das Evangelium und die frhe Kirche.

    Seit der konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert waren die Kirchen jedoch ber viele Jahrhunderte hinweg Machtinstitutionen, die dem christlichen Ethos zutiefst zuwider gehandelt haben. Dabei ist vor allem an religise Unterdrckung zu denken, an Ketzer- und Judenverfolgungen, an Hexenverbrennungen etc. Doch mit der langsamen Reduktion dieser Verbindung mit der weltlichen Macht seit der Aufklrung - oft gegen den Widerstand der Kirchen - hat sich das christliche Menschenbild geklrt in Richtung auf die Gottesebenbildlichkeit und Menschenwrde eines jeden Menschen, unabhngig von Volk, Rasse, Klasse, Religion und staatlicher Zugehrigkeit. Im christlich-abendlndischen Raum wurden schlielich verbindliche Grundvorstellungen von Menschenrechten und Vlkerrecht entwickelt.

    Eine neue Situation ist nach dem 2. Weltkrieg entstanden. Betroffenheit ber die NS-Verbrechen an den Juden, der Wunsch nach Wiedergutmachung und Vershnung mit dem Judentum bzw. mit Israel sind die eine Sache. Hierdurch wird aber eine angemessene Kritik an der jdisch-israelischen vlkerrechtswidrigen Besatzungs-, Landraub- und Kolonisierungspolitik, sowie jegliche Kritik an den massenhaften Menschenrechtsverletzungen aufs uerste erschwert. Kein deutscher Politiker kann zusammen mit israelischen Kollegen ein ehemaliges KZ in Europa oder Yad Vashem in Jerusalem besuchen und gleichzeitig, also im Rahmen dieser Begegnung, die schreckliche Menschenverachtung der israelischen Politik gegenber der einheimischen palstinensischen Bevlkerung und die jahrzehntelangen katastrophalen Folgen dieser Politik zur Sprache bringen.

    Die gemeinsamen Besuche der Horrorsttten gehren aber grundstzlich zum Ritus aller solcher Begegnungen. Hier mischen sich moralische Verpflichtungen und politische Interessen. Dies hat zur Folge, dass von westlicher Seite das christlich-abendlndische Menschenbild und Ethos, wenn es um den Staat Israel und sein Handeln in Palstina geht, fast immer verraten wird.

    Eine andere Sache ist es, dass im Christentum trotz zeitweiliger Verachtung und wellenartiger Verfolgung des Judentums Israel als geistliche Gre immer hoch im Kurs stand. Dabei wurde bis vor etwa fnfzig Jahren dieses Israel nur als das alte, vergangene, gotterwhlte Volk der Juden verstanden, das mit dem Erscheinen Jesu Christi vom Neuen Israel, der Kirche, abgelst worden ist.

    In einer radikalen Neuorientierung, nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg, hat die Christenheit in radikaler Selbstkritik weithin die berzeugung angenommen, dass die Erwhlung des jdischen Volkes als nicht gekndigt zu betrachten ist. Damit gilt das jdische Volk auch in der Gegenwart und weiterhin als das speziell mit dem Gottesbund beschenkte, bevorzugte, auserwhlte Volk Gottes. Fr die meisten Christen, vor allem fr die offizielle Theologie, befindet sich somit das aktuelle Israel, das heutige Judentum, vielfach auch identifiziert mit dem jdischen Staat, in einem spezifischen Status der Besonderheit und Unberhrbarkeit, unantastbar auch in ethischer Hinsicht. Dies potenziert sich mit dem speziell deutschen Schuldbewusstsein aufgrund der Holocaustereignisse.

    Durch das Zusammenwirken der Schuld-Opfer-Problematik mit dem christlichen Glauben an eine gttliche Erwhlung des heute lebenden jdischen Volkes und des aktuellen Israels kommt es zu einer verhngnisvollen Gelhmtheit des christlich-ethischen Denkens, wenn es um den Staat Israel geht.

    Wie bereits erwhnt, werden die politischen Inhalte der Hebrischen Bibel, des Alten Testaments der Schrift, von Christen weitgehend als Wort Gottes gelesen. Whrend berall brutale Besatzungsherrschaft, fortgesetzter Land- und Wasserraub, Unterdrckung, Schikanierung und Erniedrigung von Menschen, massives Unrecht, Willkr und Zerstrung von Lebensgrundlagen etc. als absolute Verbrechen gelten, gilt dies aber nicht,

  • 11

    wenn es um Israel und seine Politik geht. Auch aufgrund der entsprechenden oben z. T. aufgefhrten Bibeltexte werden solche Taten als unangreifbar angesehen, schweigend hingenommen und zugelassen. Der Staat Israel handelt nach biblisch vorgezeichneter Theorie und Praxis: wie im alten Kanaan, so im heutigen Palstina. Warum soll Israel keine Moscheen bombardieren, wenn ihm in der Bibel geboten ist, die Altre anderer Vlker und Religionen zu vernichten? Warum soll Israel nicht die Menschen ins Elend fhren und vertreiben, die sich sozusagen flschlicher Weise noch auf dem Israel zugesprochenen Boden befinden?

    Warum soll Israel nicht auf seinem Landanspruch bestehen, ihn rcksichtslos durchsetzen und darin untersttzt werden, wenn dieser biblisch-alttestamentarisch von Gott hunderte Male zugesprochen und mit Gottes Hilfe rigoros durchgesetzt wurde?

    berall auf der Welt ist es ohne weiteres mglich, wenigstens in Forderungen das christliche Menschenbild und die christliche Ethik als Mastab einzubringen, nicht aber im Nahost-Konflikt:

    Die israelische Macht-, Unterdrckungs- und Raubpolitik, die grundlegend dem neutestamentlich begrndeten christlichen Ethos wie brigens auch einem humanistisch begrndeten Ethos - widerspricht, ist durch die Bibel, genauer: durch wesentliche Teile des Alten Testaments, gerechtfertigt und gedeckt. Insofern ist sie bibelgem, und aufgrund des weit verbreiteten christlichen Glaubens, dass die gesamte Bibel Gottes Wort ist, wirkt diese Politik fr eine Vielzahl von Christen auch glaubens- und gottgem. Deshalb wird im Nahostkonflikt von christlicher Seite eine an der Menschenwrde und an den Menschenrechten ausgerichtete Politik vom Staat Israel nicht ernsthaft eingeklagt. Tagtgliche Unmenschlichkeit im Rahmen der vlkerrechtswidrigen Besetzung palstinensischer Gebiete wird ohne wirkliche Kritik zugelassen.

    Die politischen biblisch-alttestamentarischen Botschaften lhmen die westlich-christliche Welt, die gegen Vlker- und Menschenrechte gerichtete Politik Israels berhaupt realistisch wahrzunehmen, geschweige denn, gem der christlichen bzw. humanistischen Ethik darauf zu reagieren. Dies ist der Hauptgrund fr die doppelte Moral, mit der der christliche Westen auf das Handeln Israels reagiert, des Staates, der die politische Konkretisierung des gotterwhlten Judentums darstellt. Dass im reformierten, calvinistischen Protestantismus, der in den USA vorherrscht, das Alte Testament eine besonders hervorgehobene Rolle spielt, kommt verstrkend hinzu.

    Jedenfalls ldt das Christentum durch seine ethische Inkonsequenz schwere Schuld auf sich.

    Durch die immer noch verbreitete und immer noch nicht aufgeklrte Bibelglubigkeit luft die Christenheit Gefahr, ihr Menschenbild und ihre gesamte Ethik zu verraten. Dadurch wird das Christentum und damit weitgehend auch die westliche Welt korrumpiert. Sie werden zu Komplizen des israelischen Rechtsextremismus und unsglicher Unmenschlichkeiten. Mit der blinden Untersttzung des jdischen/israelischen Staates ist an die Stelle eines frheren Antijudaismus im Christentum weithin ein pro-jdischer, anti-palstinensischer Rassismus getreten.

    Dies hat kurz- und langfristig tragische und dramatische Folgen: Die arabisch-muslimische Welt beobachtet das israelische Handeln natrlich nicht mit hnlich verbundenen Augen. Sie ist mit Recht emprt ber die doppelten Mastbe, die seitens des Westens angewendet werden, wenn es um Israel geht. Diese doppelten Standards machen den Westen vllig unglaubwrdig. Die jahrzehntelange Vertiefung der Spaltung der Welt zwischen westlich-christlicher und arabisch-muslimischer Welt, die in der Dauerwunde Nahostkonflikt eine Hauptursache hat, ist wesentlich durch den verfehlten Umgang mit dem Alten Testament verursacht: Einerseits durch eine fundamentalistisch-nationalistische Auslegung auf jdischer Seite und andererseits durch einen unreflektierten christlichen Bibelglauben.

    Es ist zu befrchten, dass das zu vielen weiteren Kriegen fhrt.

    Es gibt nur eine Lsung: Das Christentum und mit ihm die westliche Welt mssen sich aus einer Blindheit lsen, die von mangelnder Kritik an erheblichen Teilen des Alten Testaments verursacht ist. Die Christen bzw. Kirchen mssen authentisch christlich werden, das heit: sich an Jesus Christus und seiner Botschaft orientieren. Jesus hat mit seiner Botschaft von der radikalen Nchstenliebe, die auch den Feind einbezieht, an prophetischen Texten der Bibel angeknpft, die Recht und Gerechtigkeit gerade dem Schwachen und Unterdrckten gegenber fordern (vgl. Amos 5,21-24; Jesaja 1,11-17 u.a.). Das Christentum und die westliche Welt mssen sich energisch von unvertretbaren altorientalisch-israelitischen Bedingtheiten lsen, von denen Teile der Bibel bestimmt sind, die in Israels aktuelle Politik hinein wirken und die Christenheit dazu verfhren, ihrem Ethos substantiell untreu zu sein.

    Bei dem Bemhen um eine konsequente christliche Ethik und um entsprechende politisch-ethische Mastbe haben Christen alle jene als Verbndete, die sich den humanen Werten Recht und Gerechtigkeit verpflichtet wissen nicht zuletzt auch diejenigen Juden, welche die nationalistisch-zionistische Politik des Staates Israel massiv kritisieren, und zwar in Israel selbst, bei uns in Deutschland, in Europa und weltweit.

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    Es gibt im Judentum auch eine universalistische, humanistische Tradition, die in Texten der Hebrischen Bibel zum Ausdruck kommt, wie z. B. Amos 3,9-10; 4,1b; Micha 4,2c-3; 6,8; Jesaja 32,17; Sacharja 4,6. Heute sind es Gruppierungen wie die Rabbiner fr Menschenrechte und Juden fr einen gerechten Frieden, die sich an dieser Tradition ausrichten. Auerdem gibt es im Staat Israel mehrere hochengagierte Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die bisher einen nur sehr geringen politischen Einfluss haben, vielmehr auf dem allgemeinen nationalistischen Hintergrund oft als Verrter am Judentum betrachtet werden. Aber gerade sie sind es, die die geistig-ethische Substanz des Judentums bewahren.

    Ihnen ist wachsender Einfluss zu wnschen!

    * Anmerkung H. Ostermann: Im Begriff Ganzopfer (= Holocaust) kulminiert die jdische Doppelmoral und Auserwhltendnkelei; whrend die Verfolgung der Juden im 2. Weltkrieg fortlaufend - im Kino, in Fernsehdokus, in Bchern, Artikeln, Schulen, Museen, in Form von Holocaustdenkmlern und Holocaustgesetzen, ja neuerdings sogar in Form von politischen Zwischenschaltungen (Spots!) und noch ber mehrere von unschuldigen Generationen zu berappende Reparationszahlungen - gerne auch in Form von milliardenteuren mit Atomwaffen bestckbaren U-Booten aus Deutschland -, immer und immer wieder, medial und ffentlich, in einer schier unertrglichen Endlosschleife aufgekocht und aller Welt serviert wird, kommt die eigene genozidale Tradition des Judentums berhaupt nicht zur Sprache und die Menschenrechtsverbrechen an den Palstinensern sowieso nicht es herrscht praktisch Nachrichtensperre in den deutschen Medien, ber die schndlichen Vorflle bei der Besiedelung Palstinas und wer es wagen sollte all dies zur Sprache zu bringen Der ist ein Antisemit!

    Diese Landkarten veranschaulichen die territorialen Vernderungen in Palstina durch den Staat Israel, nicht zuletzt aufgrund der im Text behandelten Bibelstellen.

    ** Anmerkung H. Ostermann: 5. Mose/Dtn 7,16-17-18: Du wirst alle Vlker vertilgen, die der Herr, dein Gott, dir geben wird. Und du sollst sie nicht schonen und ihren Gttern nicht dienen; denn das wrde dir zum Fallstrick werden. Wirst du aber im Herzen sagen: diese Vlker sind grer als ich, wie kann ich sie vertreiben?, so frchte dich nicht vor ihnen. Denke daran, was der Herr, dein Gott, dem Pharao und allen gyptern getan hat. V19-21: [] So wird der Herr, dein Gott allen Vlkern tun, vor denen du dich frchtest. Dazu wird der Herr, dein Gott, Angst und Schrecken unter sie senden, bis UMGEBRACHT SEIN WIRD, WAS BRIG IST ... La dir nicht grauen vor ihnen; denn der Herr,

    DEIN GOTT IST IN DEINER MITTE DER GROSSE UND SCHRECKLICHE GOTT.

    [bersetzung aus der Lutherbibel]

    Die meisten biblischen Zitate wurden der Einheitsbersetzung entnommen, manche aus der Lutherbibel.