Die Legitimation von supranationalen...

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ZÖR 62 (2007), 323–370 DOI 10.1007/s00708-007-0182-5 © Springer-Verlag 2007 Printed in The Netherlands Zeitschrift für öffentliches Recht Die Legitimation von supranationalen Organisationen Klemens H. Fischer, Brüssel I. Einführung II. Supranationale und internationale Organisationen III. Legitimität und Legalität A. Begrifflichkeiten B. Legitimationsarten 1. Input-Legitimation 2. Output-Legitimation 3. Throughput-Legitimation 4. Zusammenfassung IV. Ein Defizit der Europäischen Union hinsichtlich Demokratie und Identität? A. Grundsätzliche Überlegungen B. Mögliche Ursachen für ein Demokratiedefizit der Europäischen Union 1. Die Entwicklung der Europäischen Union bis zum Verfassungsvertrag 2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union in ihrem aktuellen Zustand 3. Zusammenfassung C. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung 1. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zur Entwicklung der Demokra- tie in den Mitgliedstaaten und in der Europäischen Union 2. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu den EU-Gesetzgebungsorganen 3. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu EU-Mitgliedschaft und zum allgemeinen Bild der EU 4. Zusammenfassung D. Die Frage nach einer europäischen Identität und nach dem Vorhandensein eines europäischen Demos E. Zusammenfassung V. Résumé und mögliche Lösungsansätze A. Neugründung? B. Änderung der Strukturen? C. Besinnung auf die Kernaufgaben, klare Kompetenzregelungen und konsequente Umsetzung der Prinzipien der Subsidiarität und Proportionalität?

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ZÖR 62 (2007), 323–370DOI 10.1007/s00708-007-0182-5© Springer-Verlag 2007Printed in The Netherlands

Zeitschrift für öffentliches Recht

Die Legitimation von supranationalen Organisationen

Klemens H. Fischer, Brüssel

I. Einführung II. Supranationale und internationale Organisationen III. Legitimität und Legalität

A. BegrifflichkeitenB. Legitimationsarten

1. Input-Legitimation2. Output-Legitimation3. Throughput-Legitimation4. Zusammenfassung

IV. Ein Defizit der Europäischen Union hinsichtlich Demokratie und Identität?A. Grundsätzliche ÜberlegungenB. Mögliche Ursachen für ein Demokratiedefizit der Europäischen Union

1. Die Entwicklung der Europäischen Union bis zum Verfassungsvertrag2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union in ihrem aktuellen Zustand3. Zusammenfassung

C. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung1. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zur Entwicklung der Demokra-

tie in den Mitgliedstaaten und in der Europäischen Union 2. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu den EU-Gesetzgebungsorganen3. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu EU-Mitgliedschaft und zum

allgemeinen Bild der EU4. Zusammenfassung

D. Die Frage nach einer europäischen Identität und nach dem Vorhandensein eines europäischen Demos

E. Zusammenfassung V. Résumé und mögliche Lösungsansätze

A. Neugründung?B. Änderung der Strukturen?C. Besinnung auf die Kernaufgaben, klare Kompetenzregelungen und konsequente

Umsetzung der Prinzipien der Subsidiarität und Proportionalität?

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D. Verstärkte Einbindung der europäischen Bevölkerung in den Integrationsprozess? VI. Schlussbemerkungen

Deskriptoren: Demokratie; EU; Gesetzgebungsorgan; Legalität; Legitimität; Organisationen, internationale; Organisationen, supranationale; Verfassungsvertrag.

I. Einführung

Durch den Zusammenschluss von Staaten in internationalen Organisationen und der damit verbundenen Teilübertragung von souveränen Rechten wird zugleich auch die Frage virulent, inwieweit die Autonomie des nationalstaat-lichen Regierens in seiner Geltung und Reichweite eingeschränkt wird, in-dem es sich immer mehr mit dem Regieren jenseits des Nationalstaates überschneidet. Diese Frage stellt sich umso mehr bei einem Zusammen-schluss von Nationalstaaten in einer supranationalen Organisation, die in der Lage ist, ihre Mitglieder auch ohne deren Zustimmung an Entscheidungen dieser Organisation zu binden.

Durch eine supranationale Regierungsform (= Regierungsorganisation) wird eine neuartige hoheitliche Struktur geschaffen, die den als unauflöslich erachteten Zusammenhang zwischen nationalstaatlichem Territorium, poli-tischer Herrschaft und dem damit zusammenhängenden Organisations-prinzip des Nationalstaats überwunden hat.1 Die Europäische Union als Regierungsform jenseits des Staates – die wohl die klassische Ausformung einer supranationalen Organisation darstellt – übernimmt damit in den ihr von den Mitgliedstaaten zugestandenen Bereichen die Aufgaben eines Nati-onalstaates, sie übt damit öffentliche Herrschaft aus.

Gerade aus dieser Überlegung ist es gerechtfertigt, die Legitimation einer derartigen Organisation kritisch zu hinterfragen.

Es ist zu klären, ob sie denselben Legitimationsanspruch erfüllt wie ein Nationalstaat, oder ob sie möglicherweise Defizite aufweist.

Abschließend wird darauf einzugehen sein, wie gegebenenfalls auf mög-liche Defizite reagiert werden könnte, um eine Balance hinsichtlich der Le-gitimation sicherzustellen.

II. Supranationale und internationale Organisationen

Die Kooperation von Staaten in Verbünden ist kein Phänomen des 20. Jahr-hunderts, sondern reicht weit in die Antike zurück. Betrachtet man Zusam-menschlüsse von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit, so sind

1 Bogdandy, Supranationale Union als neuer Herrschaftstypus: Entstaatlichung und Ver-gemeinschaftung in staatstheoretischer Perspektive, in integration 16/1993, 210.

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derartige Zusammenschlüsse regelmäßig zu Handels- oder militärischen Zwecken geschlossen worden. Einheitliche Organisationsschemata entwi-ckelten sich zwar erst über die Jahrhunderte, ein Merkmal so genannter klassischer Organisationen war aber von Anfang an der Grundsatz, dass die Staaten die „Herren des Vertrages“ sind, das heißt, der Abgabe an Souverä-nitätsrechten wurde insoferne eine Grenze gesetzt, als derartige Organisa-tionen auf dem Prinzip der Kooperation beruhen.

Der Zusammenschluss von Staaten in internationalen Organisationen (IO) ist somit eng verbunden mit der Frage, ob und in welchem Umfang sie souveräne Rechte an derartige Organisationen abgeben. Die Abgabe respek-tive Übertragung derartiger Rechte erfolgt regelmäßig im Gründungsver-trag der betreffenden Organisation.2 Die Übertragung von Rechten bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die Mitgliedstaaten unmittelbar an die Ent-scheidungen der Organisation gebunden sind oder nicht sogar die Möglich-keit haben, eine Rückübertragung der Rechte von der Organisation zu den Mitgliedstaaten vorzunehmen.3

Gerade die Frage der Bindungswirkung von Entscheidungen einer IO gegenüber den Mitgliedstaaten ist grundlegend für die Frage, ob es sich um eine IO im klassischen Sinne, also eine Intergouvernementale Organisation (IGO), oder aber eine supranationale Organisation (SO) handelt.

Die Prüfung, welche Art der Organisation vorliegt, ist anhand des fol-genden Schemas (Tabelle 1) zu klären.4

Zwei wesentliche gemeinsame Merkmale weisen beide Ausformungen in jedem Falle auf. Zum einen erfolgt der Zusammenschluss zu einer derartigen Organisation freiwillig, zum anderen verbleiben die Mitgliedstaaten in je-dem Fall „Herren der Verträge“. Insbesondere das zweite Merkmal ist in weiterer Folge von entscheidender Bedeutung, denn es besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass der Kompetenzrahmen der Organisation von den Mitgliedstaaten abgesteckt wird. Bei diesem Merkmal spricht man vom Fehlen der Kompetenz-Kompetenz, die es der Organisation erlauben würde, sich zu verselbständigen und Kompetenzen der Mitgliedstaaten ohne deren Zustimmung an sich zu ziehen.

Das wohl beste Beispiel für eine IO sind die Vereinten Nationen (VN).5 Sie funktionieren auf dem Prinzip der Kooperation, also der gleichberech-tigten Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Beachtet man den oben darge-legten Prüfmaßstab, so sind die VN eindeutig als IGO zu qualifizieren. Zum

2 Überdies gibt es auch die Möglichkeit, dass die Übertragung von souveränen Rechten in Form eines einfachen – ad hoc – Vertrages erfolgt.

3 Sarooshi, Preliminary Remarks, 5.4 Archer, International Organizations, 3rd Edition, London 2003, 103; Köck/Fischer, Das

Recht der internationalen Organisationen3, Wien 1997, 522.5 M. Shaw, International Law, 4th Edition, Cambridge 1997, 824ff und 892; Wolf, Die

UNO (2005); Linda Fasulo, An Insider’s Guide to the UNO (2004).

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einen ermangelt es dem Internationalen Gerichtshof der obligatorischen Zuständigkeit, zum anderen verfügen die VN über kein unabhängiges Or-gan, dessen Entscheidungen die Mitgliedstaaten ohne deren Zustimmung binden. Überdies haben die Beschlüsse der Vollversammlung lediglich Emp-fehlungscharakter. Allenfalls können dem Weltsicherheitsrat supranational-ähnliche Elemente unterstellt werden, als er mehrstimmig Entscheidungen treffen kann. Die Supranationalität wird jedoch durch zwei Elemente durch-brochen. Einerseits hat jede der fünf Vetomächte die Möglichkeit eine Entscheidung zu blockieren, zum anderen setzt sich der Sicherheitsrat aus

Tabelle 1

InternatIonale organIsatIonen

Intergouvernementale organIsatIon supranatIonale organIsatIon

Kriterium der Mehrstimmigkeit

Der Gründungsvertrag kann vorsehen, dass mehrheitlich gefasste Beschlüsse in bestimm-ten Fällen Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten entfalten

Der Gründungsvertrag sieht expressis verbis vor, dass mehrheitlich gefasste Beschlüsse Bindungswirkung gegenüber den Mitglied-staaten entfalten

Kriterium des Organs

Klassische IO sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Organe nur auf Weisung der Mit-gliedstaaten agieren können

Der Gründungsvertrag sieht expressis verbis ein Organ vor, das berechtigt ist, Beschlüsse zu fassen, die Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten entfalten

Kriterium der Unmittelbarkeit

Klassische IO sind dadurch gekennzeichnet, dass Beschlüsse der Organisation vor ihrer Anwendung in nationales Recht umgesetzt werden müssen (Ratifikation, Beschluss des nationalen Parlaments, Beschluss der natio-nalen Regierung)

Sämtliche oder bestimmte Beschlüsse der Or-ganisation sind in den Mitgliedstaaten un-mittelbar anwendbares Recht, ohne dass die nationalstaatliche Legislative einen Umset-zungsbeschluss trifft

Kriterium der Direktwirkung

Klassische IO sind dadurch gekennzeichnet, dass Beschlüsse der Organisation keine Di-rektwirkung auf einzelne Rechtssubjekte entfalten

Erlässt die Organisation einen unmittelbar anwendbaren Beschluss, so erwachsen den einzelnen Rechtssubjekten direkt Rechte und Pflichten

Kriterium der obligatorischen Gerichtsbarkeit

Klassische IO können, müssen aber keine ob-ligatorische Gerichtsbarkeit vorsehen, im Regelfall ist eine separate Streitunterwer-fungserklärung notwendig

Zur Beilegung von Konflikten zwischen den Mitgliedstaaten, Organen der Gemeinschaft, diesen wechselseitig und – gegebenenfalls eingeschränkt – zwischen diesen und einzel-nen Rechtssubjekten ist eine obligatorische Gerichtsbarkeit durch einen Gemeinschafts-gerichtshof vorgesehen

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weisungsgebundenen Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen und ist kein unabhängiges Organ der Organisation.6

Die erste Gemeinschaft, die unter den Begriff Europäische Gemeinschaft subsumiert werden kann, war die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) aus dem Jahre 1951.7 Diese IO ist gleichsam als „Mutter der supranationalen Organisationen“ zu bezeichnen, da sie von einem beispiel-losen Übergang von nationalstaatlichen Souveränitätsrechten an eine IO geprägt ist. Die EGKS erfüllte bereits sämtliche oben dargestellten Voraus-setzungen, um als supranational bezeichnet zu werden. Nicht zuletzt auf Grund dieser völligen Abkehr vom üblichen System einer IO kann die EGKS als Organisation sui generis bezeichnet werden. Der Zuständigkeitsbereich der EGKS war jedoch extrem eng abgesteckt und beschränkte sich letztlich auf die Bewirtschaftung von Kohle und Stahl. Erst in weiterer Folge wurde im Jahre 1957 der Gründungsvertrag über die Europäische Wirtschaftsge-meinschaft (EWG) und über die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) abgeschlossen.8 Bei ihrer Gründung stellten diese drei Organisationen drei selbständige Organisationen mit jeweils eigenen Organen dar.9 Erst durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) aus dem Jahre 1986 wurden der EWG zusätzliche Kompetenzen von den Mitgliedstaaten zugewiesen10 und die Organisation in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt.11 Allen drei Organisationen blieb jedoch über die Zeit gemein, dass sie ausschließlich supranational und nicht intergouvernemental ausgerichtet waren.

Erst durch den Unionsvertrag – oder auch Maastrichtvertrag – aus dem Jahre 199212 trat zu diesem ausschließlich supranationalen Element ein in-tergouvernementales hinzu. Die neue Organisation Europäische Union (EU) besteht aus drei Säulen, der supranationalen EG, sowie den beiden inter-gouvernementalen Elementen der GASP und der ZBJI. Der EU wurden als wesentlichste Kompetenz die Sicherstellung der Kohärenz aller von ihr er-griffenen außenpolitischen Maßnahmen im Rahmen ihrer Außen-, Sicher-heits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zugewiesen, wobei die kon-krete Durchführung dieser Kompetenz dem Rat und der Kommission ob-liegt.

6 Köck/Fischer, Das Recht der internationalen Organisationen3 (1997) 522.7 Der Vertrag über die Gründung der EGKS wurde am 18. April 1951 von den sechs

Gründerstaaten angenommen und trat am 23. Juli 1952 in Kraft.8 Die beiden Verträge wurden am 25. März 1957 abgeschlossen und traten am 1. Jänner

1958 in Kraft.9 Erst im Jahre 1965 wurden die jeweils drei Organe der Organisationen im so genann-Erst im Jahre 1965 wurden die jeweils drei Organe der Organisationen im so genann-

ten Fusionsvertrag zusammengeführt.10 Beispielsweise Umweltpolitik, Verkehrspolitik, Gesundheit, Kultur, Bildung.11 Die EEA wurde am 27. Jänner 1986 unterzeichnet und trat am 1. Juli 1987 in

Kraft.12 Der Unionsvertrag (EUV) wurde am 7. Februar 1992 unterzeichnet und trat am

1. November 1993 in Kraft.

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Legt man den Prüfmaßstab für SO an die EU/EG an, so kommt man zum Ergebnis, dass das Kriterium

– der Mehrstimmigkeit erfüllt ist, da die EG ihre Mitgliedstaaten gemäß Artikel 205 Absatz 1 EGV durch mehrheitlich gefasste Beschlüsse binden kann;

– des Organs erfüllt ist, da die Kommission berechtigt ist, beispielsweise durch Kommissionsverordnungen oder -richtlinien, Teile von Ratsver-ordnungen zu ändern;

– der Unmittelbarkeit und der Grundsatz der Direktwirkung erfüllt sind, da ein EG-Rechtsakt, so er in Form einer Verordnung erlassen wird, ein in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht ist, das keiner weiteren Transformation bedarf und aus dem den Rechtsunterworfenen direkt Rechte und Pflichten erwachsen;

– der obligatorischen Gerichtsbarkeit erfüllt ist, da der Europäische Ge-richtshof (EuGH) ohne besondere Streitunterwerfungserklärung kraft Vertrag zuständig ist.

Es ist daher von besonderer Bedeutung festzuhalten, dass

– die EU als Dach über den drei Säulen EG, GASP und ZBJI fungiert;– die EU/EG eine SO darstellt, deren Arbeitsweise auf dem Prinzip der

Integration beruht;– die EU/EG über keine Kompetenz-Kompetenz verfügt, es also ausschließ-

lich in der Macht der Mitgliedstaaten liegt, welche Kompetenzen ihr zukommen;

– GASP und ZBJI das intergouvernementale Element der EU bilden, deren Arbeitsweise auf dem Prinzip der Kooperation beruht.

Betrachtet man die Summe der Kompetenzen, die der EU über die mittler-weile über fünfzig Jahre hindurch sukzessive übertragen wurden, so ist festzustellen, dass es nur mehr wenige Bereiche gibt, in denen die Mitglied-staaten über ausschließliche Kompetenzen verfügen, so beispielsweise den innerstaatlichen Aufbau, das innerstaatliche Wahlrecht, oder aber die Frage der Wehrverfassung.

Die der EU übertragenen Kompetenzen sind ihrem Charakter nach in ausschließliche EU-Kompetenzen und gemeinsame EU-Mitgliedstaat-Kom-petenzen einzuteilen. Innerhalb der EU gibt es daher ausschließliche EU-Kompetenzen, ausschließliche Mitgliedstaatskompetenzen und gemischte Kompetenzen. Das Kompetenzengefüge und somit die Entscheidungsgewalt im System der EU ist auf ein multi-level-System verteilt, das über kein ein-deutiges politisches Zentrum verfügt, sondern vielmehr ein polyzentrisches Machtgefüge kreiert, das zu einer Fragmentierung des politischen Prozesses führt.

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Durch die Abgabe von Souveränitätsrechten durch die Mitgliedstaaten an die EU kommt es aber zwangsweise zu einer Regierung jenseits des Na-tionalstaates, da diese, der Regierung der Mitgliedstaaten durch freiwilligen Eigenbeschluss entzogenen, Kompetenzen von der supranationalen Entität EU wahrgenommen werden.

III. Legitimität und Legalität

A. Begrifflichkeiten

Legitimität kann in generalis als Maßstab dessen betrachtet werden, was von den Betroffenen als rechtens und anerkennungswürdig eingestuft wird. Le-gitimität ist die innere Rechtfertigung staatlicher Gewalt. Legitimität stellt somit einerseits die Billigungswürdigkeit der Staatsgewalt – im Sinne der normativen Legitimation –, andererseits die tatsächliche Billigung der Staatsgewalt – im Sinne soziologischer Legitimation – dar.

Bereits Weber13 stellt fest, dass einer Ordnung von den Handelnden unter bestimmten Umständen legitime Geltung zugeschrieben werden kann. Er lässt diese Geltung zu:

– kraft Tradition– kraft affektuellen, insbesondere emotionalen, Glaubens– kraft wertrationalen Glaubens– kraft positiver Satzung, an deren Legalität geglaubt wird (entweder kraft

Vereinbarung der Interessenten für diese oder kraft Oktroyierung auf Grund einer als legitim geltenden Herrschaft von Menschen über Men-schen und Fügsamkeit).

Weber postuliert,14 dass letztlich nur drei Typen legitimer Herrschaft exis-tieren: die legale respektive rationale Herrschaft, die ihre Legitimation aus einer Satzung schöpft, die traditionelle Herrschaft, die über Legitimation kraft Glauben an die Heiligkeit der vorhandenen Ordnung verfügt, und die charismatische Herrschaft, die kraft affektueller Hingabe legitimiert ist. Von besonderem Interesse für die weiteren Überlegungen ist, dass Weber der legalen Herrschaft als reinste Form die Bürokratie zuweist, ihr die Entste-hung neuen Rechts zubilligt, und überdies feststellt, dass nicht einer Person, sondern der Regel gehorcht wird, die somit keines Patriarchen oder eines (charismatischen) Führers bedarf, um auf Dauer existieren zu können.

Insbesondere die Frage der Dauerhaftigkeit der Herrschaft scheint von Bedeutung zu sein. Grundsätzlich bedarf jegliche Herrschaft zum lang-

13 Weber, Macht und Gesellschaft, Teil 1, Kapitel 1, § 7.14 Weber, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in Weber/Winckelmann (Hrsg),

Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre (1973) 475ff.

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fristigen Überleben der Anerkennung durch diejenigen Menschen, die ihr unterworfen sind, auch wenn diese Anerkennung nur marginal sein sollte.15 Die Überlebensfähigkeit basiert somit auf der Anerkennung, also Legitimi-tät, die durch das politische System generiert werden muss. Aus theoretischer Sicht ist es grundsätzlich unerheblich, ob die betreffende Bevölkerung den Anweisungen der Obrigkeit aus Angst vor Sanktionen folgt, oder weil sie diese als rechtmäßig anerkennt und dadurch eine Verpflichtung empfindet, die Anweisungen zu befolgen. In heutigen, rechtsstaatlich und demokratisch organisierten Staaten ist die legal-rationale Legitimation der Herrschaft die vorherrschende, die den so genannten Angstfaktor jedenfalls in den Hinter-grund treten lässt; nicht zuletzt deshalb, weil im Rechtsstaat in seiner reinen Form willkürliches Obrigkeitsverhalten ausgeschlossen ist. Die legale Herr-schaft gründet sich schlicht auf den Glauben an die Rechtmäßigkeit formal korrekt gesatzten Rechts. Damit wird der Legitimitätsglaube – also die Anerkennung der Herrschaft im Bewusstsein der ihr Unterworfenen – zum materialen Bestandteil der Herrschaftsordnung.

In der Weber’schen Konstruktion wird Legitimität zu einer zweifach zentralen Größe. Einerseits ist Legitimität die unabdingbare Voraussetzung für Herrschaft, zum anderen definiert Legitimität das Strukturprinzip von Herrschaft, da die Form der Herrschaft von der Art der Legitimitätsbegrün-dung direkt abgeleitet wird.16

Schafft Weber somit die Grundlagen für eine legitime Ordnung, so geht Schmitt einen anderen Weg. Schmitt sieht zwei Grundtypen der Legitimität, die dynastische, die auf der Autorität des Monarchen beruht, und die demo-kratische, die auf dem freien Willen des Volkes beruht. Für ihn sind Lega-lität und Legitimität das Verhältnis von Gesetzlichkeit und Gesetzgeblich-keit (= Maßgeblichkeit). Jedes gesatzte Gesetz ist das Gegebene eines Ge-setzgebers. Dessen Legitimation im Sinne von Rechtfertigung seiner Tat ist, dass er das Recht hat, das ihn dazu berechtigt. Letztendlich ist die ultimative Rechtfertigung ein vorhandenes Recht. Dieses System wird durch den Ge-

15 Zoltàn Tibor Pàllinger, Problemlöser oder Problemerzeuger – Über die Leistungsfähig-keit politischer Systeme, Beiträge Liechtenstein-Institut Nr 26/2005.

16 Webers Akzent liegt jedoch mehr auf der Typologie als auf der Soziologie der Herr-schaft (Breuer, Max Webers Herrschaftssoziologie, Zeitschrift für Soziologie 17, 318ff). In der Tat ist es schwerlich rational nachzuvollziehen, dass Menschen Gesetzen ausschließlich des-halb Gehorsam leisten, weil sie formal korrekt zustande kommen. Dieser rein rationale Ansatz muss daher um eine ideologische Komponente erweitert werden, die den Glauben an die Legitimität einführt. Gerade diesen Mangel am Weberschen System kritisiert Luhmann zu Recht, wenn er festhält, dass „Weber seinen Begriff der Legitimität im Hinblick auf die so-zialen Prozesse, die Legitimität schaffen, und im Hinblick auf die gesellschaftsstrukturellen Bedingungen, die das ermöglichen, nicht hinreichend ausgearbeitet hat“ [Luhmann, Legiti-mität durch Verfahren (1983) 29], wiewohl Luhmann Weber jedoch zugesteht, dass zu dessen Zeit weder Soziologie noch Sozialpsychologie ausreichende Grundlagen geboten hätten (s ebenda, 31).

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setzgebungsstaat verkörpert. Für Schmitt ist ein Gesetzgebungsstaat ein von unpersönlichen, daher generellen, und vorbestimmten, daher für die Dauer gedachten, Normierungen mess- und bestimmbaren Inhalts beherrschtes Staatswesen.17 Schmitt erklärt den Reichspräsidenten zum idealen Hüter der Verfassung,18 die die Grundlage für den ihm vor Augen befindlichen Gesetz-gebungsstaat ist. Er zieht dieses Organ als Verfassungshüter einer umfas-senden Verfassungsgerichtsbarkeit vor, da ein allzu großes Gewicht der Ju-dikative die Balance der drei Staatsgewalten stören würde; Gleiches spricht nach Schmitt auch gegen die Hüterrolle der Legislative und der Exekutive. Die Weimarer Verfassung, der Gegenstand seiner Betrachtungen, wird dabei um eine so genannte vierte Gewalt erweitert, die gleichsam unabhängig und vermittelnd zwischen den drei etablierten Staatsgewalten steht, wobei Schmitt als Argument die Prärogativen und Befugnisse des Reichspräsi-denten, wie sie in der Weimarer Verfassung niedergelegt sind, heranzieht.

Gerade daran setzt aber die Kritik von Kelsen ein, der darin nahezu einen Rückfall in das System der konstitutionellen Monarchie erkennt.19 Für Schmitt ist der Hüter der Verfassung – zugleich – der Wahrer der Einheit, für Kelsen stellt der Schutz der Verfassung aber nur sicher, dass eine Über-prüfung von hoheitlichen Akten auf deren Verfassungsmäßigkeit hin garan-tiert wird. Dementsprechend verlangt Kelsen, dass es die politische Funktion der Verfassung sei, der Macht rechtliche Schranken zu setzen. Verfassungs-garantie bedeute demnach Sicherheit dafür zu schaffen, dass diese Schranken nicht überschritten werden.20 Kelsen sieht in der Kompetenzenzuweisung an den Reichspräsidenten geradezu das Gegenargument zu Schmitt: eine Instanz die derart viel Macht übertragen erhält, kann nicht der neutrale Mittler sein. Schmitt wiederum argumentiert, dass der Reichspräsident für sieben Jahre direkt vom Volk gewählt wird und damit Kontinuität und Stabilität verkörpere.

Die Divergenz zwischen diesen beiden Ansichten lässt sich im Wesent-lichen auf die unterschiedliche Betrachtung von Demokratie zurückführen. Steht für Schmitt die Staatseinheit im Mittelpunkt des Verfassungsschutzes, so ist bei Kelsen die vornehmlichste Aufgabe des Verfassungsschutzes, die Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Handelns zu gewährleisten.

Kelsens Ordnungs- und Rechtsbegriff greifen insoferne ineinander, als Recht schlicht die Ordnung menschlichen Verhaltens ist. Diese Ordnung wird erst dadurch hergestellt, dass ein System von Normen erkannt wird, deren Einheit dadurch konstituiert wird, dass sie alle denselben Geltungs-grund haben.21 Kelsen bezeichnet diesen Geltungsgrund als Grundnorm.

17 Schmitt, Legalität und Legitimität6 (1998) 8.18 Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1931).19 Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in Justiz Bd 6 (1930/31), 577.20 Ebenda, 577.21 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960 Nachdruck 2000) 32.

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Recht nach Kelsen ist stets eine Zwangsordnung, die für unerwünscht ange-sehene menschliche Verhaltensweisen Sanktionen respektive Zwangsmaß-nahmen vorsieht.22

Luhmann greift die Frage der Legitimität und das sie konstituierende System von einem anderen Winkel her auf, als er fordert, dass beim Begriff der Legitimität zwischen dem Akzeptieren von Entscheidungsprämissen und dem Akzeptieren der eigentlichen Entscheidungen unterschieden wer-den müsse.23 Überhaupt hat Luhmann als einer der Hauptvertreter der Sys-temtheorie wesentlich zu einer neuen Betrachtungsweise gesellschaftlicher Strukturprinzipien beigetragen. In der Systemtheorie gelten nicht länger die sozialen Divergenzen als determinierende Strukturprinzipien der Gesell-schaft, sondern vielmehr die unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbe-reiche. Unter System versteht Luhmann einen Sinnzusammenhang von sozi-alen Handlungen,24 die aufeinander verweisen und sich von einer Umwelt nicht dazugehöriger Systeme abgrenzen lassen. Das System besteht somit aus Kommunikationen, und kann daher als Zusammenhang von Elementen beschrieben werden, deren Beziehungen untereinander quantitativ inten-siver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderen Ele-menten. Alle Elemente des Systems, die das System in Eigenkreation produ-ziert, sind in weiterer Folge spezifische Elemente eben dieses Systems und nicht der Umwelt.25 Damit werden aber auch die handelnden – kommuni-zierenden – Personen außerhalb des Systems gestellt, sie bilden nur dessen Umwelt. Das System wird somit zu einem autopoietischen Gebilde, das sich selbst schafft und selbst erhält. Luhmanns Legitimitätsbegriff stellt sich dar als eine generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch nicht determinierte Ent-scheidungen innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen hinzunehmen. Ursache für diese Bereitschaft ist aber nicht die schlichte Anerkennung oder Zwang, sondern es ist überdies der Lernprozess, dem die Betroffenen im Verfahren unterworfen sind. Anerkennen die Betroffenen am Ende des Lernprozesses die Entscheidung als Prämisse ihres zukünftigen Handelns, so ist die zweite Komponente der Legitimität sichergestellt. Letzten Endes zählt der äußere Erfolg. Dieser Erfolg muss jedoch abgesichert werden. Die Absicherung oder Sicherstellung wird dann erreicht, wenn die Akzeptanz der Entschei-dungen institutionalisiert wird. Nach Luhmann kann die Institutionalisie-rung am Besten durch Verfahren sichergestellt werden. Das Verfahren setzt keine individuellen oder persönlichen Überzeugungen voraus, es konstruiert die Erwartungen der Betroffenen jedoch so weit, als diese zur Conclusio

22 S ebenda, 34.23 Luhmann, Legitimität, 31.24 Bei Luhmann: soziale Kommunikationen.25 Henze, Lernen durch Verfahren – Niklas Luhmanns Konzept der Legitimation, in Fo-

rum Recht, Heft 3/2000, Billig und Gerecht? Verfahren zwischen Rechtsstaatlichkeit und Effizienz, Online-Ausgabe, www.forum-recht-online.de/2000/300/300henze.htm.

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kommen, dass sie keine Wahlmöglichkeit haben, außer die Entscheidung anzuerkennen. Ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren muss, kann nach Luhmann26 nicht zugleich die Rich-tigkeit der Entscheidungen garantieren; Verfahren sind demnach soziale Systeme, die eine spezifische Funktion erfüllen, nämlich eine einmalige ver-bindliche Entscheidung zu erarbeiten, und dadurch von vorneherein be-grenzt in ihrer Dauer sind.27 Das System kreiert damit die Rahmenbedin-gung für die nächstfolgende Entscheidung, es ist nicht statisch und verharrt nicht im selben Zustand, es ist allenfalls in der Lage zu vergleichen. Der Ansatz der Legitimation durch Verfahren schaltet somit den Gewinn von Wahrheit oder das Erlangen eines richtigen, sprich gerechten Ergebnisses aus, die relevante Verfahrensfunktion ist der exekutierte Lernprozess und die Metamorphose der Erwartungshaltungen. Was bleibt ist, wie oben festge-halten, die Bereitschaft, Entscheidungen innerhalb von Toleranzgrenzen zu akzeptieren, es zählt eben nur der äußere Erfolg, die Suche nach Wahrheit oder Gerechtigkeit bleibt außen vor. Die Frage, ob eine Legitimation ohne Bezug auf Inhalte möglich ist, scheint gerechtfertigt zu sein. Vielmehr ist die Frage zulässig, ob nicht das Verfahren erst dann die Legitimation sicher-stellt, wenn es sich inhaltlich innerhalb des Grundkonsensbogens der Be-troffenen bewegt.

Habermas setzt dem entgegen, dass das einwandfreie Verfahren des Zu-standekommens einer Norm, also die Rechtsförmigkeit eines Vorgangs als solche nur garantiert, dass die im politischen System jeweils vorgesehenen, mit Kompetenzen ausgestatteten und als kompetent anerkannten Instanzen die Verantwortung für geltendes Recht tragen. Luhmann gesteht zwar zu, dass Selektionsleistungen, die nur auf Entscheidungen beruhen, besonderer Gründe bedürfen, um übernommen zu werden, er geht jedoch davon aus, dass durch eine institutionalisierte Rechtsförmigkeit der Prozedur solche zusätzlichen Gründe für die Anerkennung von Entscheidungen erzeugt wer-den und in diesem Sinne Macht zur Entscheidung erzeugt und legitimiert wird – also durch Verfahren. Habermas hält dagegen, da seiner Ansicht nach Verfahren stets nur indirekt, durch Verweisung auf Instanzen, die ihrerseits anerkannt sein müssen, legitimieren.28 Damit nimmt Habermas Bezug auf den konventionellen Legitimitätsbegriff, der jedenfalls auf Richtigkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit der Entscheidung abstellt, Dimensionen, die außerhalb des Rechts angesiedelt sind. Letztendlich kommt es damit zu einer Legitimation durch ein gerechtes Verfahren, insoweit Gerechtigkeit als Grundkonsens der Betroffenen über die Frage der Fairness eines Verfahrens verstanden wird.

26 Luhmann, Legitimität, 21.27 Luhmann, Legitimität, 41.28 Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie (1971) 243f in

Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973) 138f.

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Habermas unterscheidet zwischen der dogmatischen Legitimität und der prozeduralen Legitimität. Legitimität sei nicht bloße Anerkennung einer Ordnung durch die Gesellschaft, sondern ein Wahrheitsbezug, dessen Be-hauptung im Diskurs überprüfbar ist, falls er bestritten wird. Legitimation ist demnach ein gleichsam streitbarer Geltungsanspruch, wobei das Niveau der Rechtfertigung reflexiv verläuft, das bedeutet, dass die Prozeduren und Voraussetzungen zu einer vernünftigen Einigung selber eine legitimierende Kraft entfalten. Als Lösung sieht Habermas den herrschaftsfreien Diskurs, einen Prozess an dem potentiell jeder die Möglichkeit hat, sich zu beteiligen und bei dem es keinen anderen Zwang als das bessere Argument gibt. Diese diskursive Willensbildung führe zu einem – täuschungsfrei – zur Geltung gebrachten gemeinsamen Interesse.29,30

B. Legitimationsarten

Die geltende Differenzierung von Legitimation in Input- und Output-Legi-timation geht auf die Rede des US-Präsidenten Lincoln vom 19. November 1863 zurück, in der er ausführte, dass „[…] government of the people, by the people, for the people, shall not perish from the earth“.31

29 Habermas sieht als Erfordernis überdies eine rechtliche Institutionalisierung einer staatsbürgerlichen Praxis des öffentlichen Gebrauchs kommunikativer Freiheiten [s Habermas, Die Einbindung des Anderen (1999) 300].

30 An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Diskussion über die Legitimation der EU zu diesem Zeitpunkt nicht nur von politikwissenschaftlicher Seite geführt wurde. Bereits 1987 publizierte von der Groeben (Jurist und Volkswirt; Leiter der Unterabteilung „Schumann-Plan“ unter Erhard im Bundeswirtschaftsministerium; zweites deutsches Mitglied in der ersten EWG-Kommission 1958) über Legitimationsprobleme der Europäischen Gemein-schaften. Er stellte dazu fest, dass die Anerkennung von Verfassungssystemen und der for-mellen Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidungen als Legitimationsbasis nicht ausrei-chten. Es sei zwar die erste Voraussetzung der Legitimität eines Staates und seiner Verfas-sung, diese innere Anerkennung zu genießen, unter den Bedingungen des modernen (!) Verfassungsstaates beruhe sie auf der Überzeugung, dass Staat und Staatsverfassung im Großen und Ganzen vernünftig begründbar seien, weil sie verhältnismäßig günstige Voraus-setzungen für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit böten. Legitimationsprobleme entstün-den, wenn Zweifel daran aufträten. Auch von der Groeben ist überzeugt, dass die Bereitschaft, ein Verfassungssystem und die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anzuerkennen, mit den politischen Erfolgen bei der Lösung der großen Probleme wachse [s von der Groeben, Le-gitimationsprobleme der Europäischen Gemeinschaften (1987) 24f]. In seinen Schlussbe-trachtungen (s ebenda, 149) resümiert von der Groeben, dass sich – auch wenn man eine Föde-ration oder einen europäischen Bundesstaat nicht als Ziel an sich betrachte – bei der Verfol-gung der bereits beschlossenen Ziele, die gemeinsame Anstrengungen erforderlich machten und große Anforderungen an die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaften stellten, Pro-bleme ergäben, da dies eine weitere Kompetenzübertragung von den Mitgliedstaaten an die Gemeinschaften voraussetze, gerade dies aber früher oder später die Legitimationsfrage auf-werfen würde.

31 Lincoln, Great Speeches (with historical notes by John Grafton [1991]) 104.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 335

Demokratische Legitimität entsteht aus und ruht auf zwei Grundsäulen: der effektiven Politikrealisierung einerseits, und der politischen Repräsenta-tion und Beteiligung andererseits.32 Diese beiden Grundelemente, also Re-gieren (= governance) und Repräsentation (= representation) stehen in einer idealen Demokratie in einem Gleichgewicht zueinander. Betrachtet man die beiden Lincoln’schen Elemente government for the people und government by the people, so ist ein Zielkonflikt zwischen diesen beiden Elementen in-soferne absehbar, steht doch der Maximierung der Legitimität durch effek-tives Regieren (= Output-Legitimität) die Legitimität durch demokratische Verfahren und Beteiligung (= Input-Legitimität) gegenüber.33

Gerät das Verhältnis von governance (= Output-Legitimität) und repre-sentation (= Input-Legitimität) aus der Balance, entsteht unvermeidlich ein Defizit auf der einen oder anderen Seite. Scharpf stellt dazu fest,34 dass die Legitimität sowohl auf der Input- als auch auf der Output-Seite ge-wonnen oder verloren werden kann. Die Ausgewogenheit ist nur dann zu erzielen, wenn ein Gleichgewicht zwischen (a) zumindest der demokra-tischen Auswahl der Amtsinhaber, dem Wählervotum für die Programme und der öffentlichen Konsultation auf der Input-Seite und (b) zumindest der Erfüllung der öffentlichen Bedürfnisse und Werte sowie der Sicher-stellung, dass die Politik der öffentlichen Meinung folgt, auf der Output-Seite, herrscht.

Den wohl breitesten Ansatz zur Legitimitätsfrage – ohne dabei näher auf Input und Output einzugehen – bietet Beetham35 an, der drei Komponenten beschreibt, die konstitutiv für das Vorhandensein von Legitimität sind:

– Performanz der Institutionen– Konformität der Institutionen mit den demokratischen Werten von Kon-

sens, Repräsentation und Zurechenbarkeit– Politische Identität.

Beetham geht davon aus, dass ohne das Vorliegen dieser drei Komponenten die Bürger das Recht eines bestimmten Kollektivs, Entscheidungen für sie zu treffen, hinterfragen würden, unbesehen des Umstandes wie nützlich diese Politiken für sie sind, oder wie korrekt die Verfahren sind, nach denen die Entscheidungen zustande kommen.

32 Wessels, Parlamentarier in Europa und Europäische Integration: Einstellungen zur zukünftigen politischen Ordnung und zum institutionellen Wandel der EU, Konferenzpapier für die Tagung des Arbeitskreises „Wahlen und politische Einstellungen der DVPW, Augs-burg, 6.–7. Juni 2002, 2.

33 S ebenda, 2f.34 S Scharpf, Economic Integration, Democracy and the Welfare State, European Public

Policy, 4 (1), 18–36.35 S Beetham, The Legitimation of Power, Basingstoke 1991.

K. H. Fischer336

1. Input-Legitimation

Die Input-Legitimation lässt sich, wie bereits ausgeführt, durch das Schlag-wort „government by the people“ beschreiben. Die Herrschaft wird durch das Volk ausgeübt, politische Entscheidungen sind deshalb als legitim an-zusehen, weil sie den Willen des Volkes widerspiegeln. Die Voraussetzungen dafür sind Partizipation und Konsens. Dazu bedarf es einer geringen Distanz zwischen den Direktbetroffenen und ihren Vertretern (partizipatives Ele-ment) und der Möglichkeit von Lösungen zum Nutzen aller (konsensuales Element). Letztendlich beruht die Input-Legitimation auf dem – normativen – Prinzip der Zustimmung der Beherrschten.

Als Komponenten der Input-Legitimation können identifiziert wer-den:36

– Ein kontrollierbarer, nachvollziehbarer und transparenter Entscheidungs-prozess

– Partizipation der Betroffenen– Vermittlung der in Frage stehenden Interessen– Egalität– Als Gestaltungsprinzipien liegen Demokratie und Rechtsstaat zugrunde.

Komplexe Gesellschaften – und somit Staaten oder gar Staatenverbunde – können jedoch nicht jede Frage basisdemokratisch und/oder konsensual ent-scheiden, vielmehr ist es unabdingbar notwendig, Mehrheitsentscheidungen zuzulassen. Gerade daraus ergibt sich aber eine zentrale Herausforderung für eine input-orientierte Legitimität, da es jedenfalls des Vertrauens der Min-derheit in die Mehrheit bedarf. Dieses Vertrauen der Minderheit muss darauf basieren, dass (a) in der Bevölkerung die Überzeugung herrscht, dass die Wohlfahrt aller Bevölkerungsteile Berücksichtung findet, und (b) eine starke kollektive Identität vorhanden ist.

Scharpf37 stellt dazu jedoch die Frage, ob sich die Herrschaft durch das Volk auf kollektive Organismen oder aber Individuen begründet. Sollte diese Herrschaft auf Individuen beruhen, würde sowohl die Konsensformel als auch die Partizipationsformel der gleichen Teilnahme am politischen Entschei-dungsprozess zu kurz greifen. Laut Scharpf muss es daher zusätzliche Argu-mente geben, um eine rein input-orientierte Gehorsamspflicht zu begründen. Als derartiges Zusatzargument verlangt er die begründete Unterstellung, dass die Präferenzfunktion jedes einzelnen Mitglieds des Gemeinwesens die Wohlfahrt aller Mitglieder als ein Argument enthält. Es wird also ein Ver-trauen auf den guten Willen aller Mitbürger als Voraussetzung postuliert. Scharpf greift damit auf den Weberschen Gemeinsamkeitsglauben zurück, der sich auf präexistente geschichtliche, sprachliche, kulturelle oder eth-

36 S Pállinger, aaO, 5.37 S Scharpf, Regieren in Europa (1999) 17ff.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 337

nische Gemeinsamkeiten gründet. Nur wenn dieser Gemeinsamkeitsglaube vorhanden ist, verliert die Majoritätsherrschaft den ihr immanenten bedroh-lichen Charakter, die Minderheit wird in die Lage versetzt, vertrauensvoll die Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren.

In diesem Sinne muss auch das Konzept der deliberativen Demokratie verstanden werden, die die Berücksichtigung verallgemeinerungsfähiger In-teressen zulässt. Auch beim Konzept der deliberativen Demokratie hängt letztlich alles von der vorausgesetzten Identität der Solidargemeinschaft ab, auf die sich die Verallgemeinerung beziehen soll.

2. Output-Legitimation

Die Output-Legitimation, beschrieben durch das Schlagwort „government for the people“, basiert darauf, dass die Herrschaft für das Volk ausgeübt wird. Politische Entscheidungen sind dann legitim, wenn sie auf wirksame Art und Weise das Allgemeinwohl fördern respektive sicherstellen und Lösungen für diejenigen Probleme anbieten, die einer kollektiven Lösung bedürfen. Voraussetzung dafür sind gemeinsame Interessen an Problem-lösungen und akzeptierte Institutionen und Prozeduren. Hier ist festzuhal-ten, dass das gemeinsame Interesse an Problemlösungen nicht mit einer gemeinsamen Identität gleichgesetzt werden darf.

Als Komponenten der Output-Legitimation können identifiziert wer-den:38

– Effektive Problemlösung– Akzeptanz durch die Betroffenen– Als Gestaltungsprinzipien liegen Sozialstaatlichkeit, Marktwirtschaft

und Wohlfahrtstaatlichkeit zu Grunde.

Die Frage der Mehrheitsentscheidung, die bereits bei der Input-Legitimation angesprochen wurde, stellt sich bei der Output-Legitimation in verstärktem Maße, da hier das Element der Partizipation – im Gegensatz zur Input-Le-gitimation – wegfällt. Bei der outputorientierten Legitimation mehrheitlich getroffener Entscheidungen ist die Sicherstellung der Akzeptanz durch die Minderheit noch viel entscheidender. Die Minderheit muss jedenfalls über-zeugt davon sein respektive überzeugt werden, dass das Machtpotential kollektiv verbindlicher Entscheidungen nur gemeinwohl-orientiert einge-setzt wird.39 Diese Akzeptanz begründet sich nicht zuletzt im Glauben an die Problemlösungsfähigkeit, wobei diese Problemlösung dem allgemeinen Interesse – der Wohlfahrt – dienlich sein muss.

38 S Pállinger, aaO, 5.39 S Scharpf, Demokratie in der transnationalen Politik, Max-Planck-Institut für Gesell-

schaftsforschung, Working Paper 96/3, November 1996, 10.

K. H. Fischer338

Gegenstand dieser Problemlösungsfähigkeit sind diejenigen Themen, die gerade deshalb kollektiver Lösungen bedürfen, da sie weder durch (a) indi-viduelles Handeln, (b) noch durch die Marktkräfte, oder (c) freiwillig-ge-meinsames Handeln bearbeitet werden können.40

Dadurch wird aber auch – zumindest indirekt – unterstellt, dass es eine Koexistenz multipler kollektiver Identitäten gibt, deren Kompetenz pro-blemorientiert definiert wird.

3. Throughput-Legitimation

Das Schlagwort könnte als „government by and with the people“ formuliert werden. Wiederum basiert die Legitimation auf der Zustimmung der Be-herrschten. Ergänzt wird das dem Input-System inhärente Zustimmungs-prinzip um eine zusätzliche Partizipation der Beherrschten beim Recht-setzungsprozess. Klassische Ausformungen dieser Partizipation sind das Volksbegehren und das Recht auf Referenden, die beide unter die Kategorie Initiativrecht subsumiert werden können.

Die Throughput-Legitimation als eigene Kategorie zu behandeln scheint nicht unbedingt zwingend notwendig zu sein, da sie einerseits allenfalls eine Unterart der Input-Legitimation darstellt, andererseits das sozusagen kon-stitutive Merkmal zusätzlicher partizipativer Elemente eher eine Frage des inneren Aufbaus einer Verfassung darstellt, als geeignet zu sein, eine eigen-ständige Legitimationsart zu begründen.

4. Zusammenfassung

Betrachtet man die jeweils konstitutiven Elemente für Input- und Output-Legitimation, so kann festgehalten werden, dass sich Erstere im Wesentlichen auf die Art und Qualität (a) des Prozesses der Entscheidung und (b) der Partizipation stützt, Letztere vornehmlich die Frage (a) der Effektivität und Effizienz der Entscheidung und (b) die Akzeptanz in den Vordergrund stellt. Als Erkennungsmerkmale können somit Authentizität für die Input-Legiti-mation und Effektivität für die Output-Legitimation identifiziert werden.

Keineswegs außer Acht gelassen werden darf jedoch in diesem Zusam-menhang die Frage der Identität. Wie dargestellt, ist Identität ein gemein-schaftsstiftendes Element, das wesentlich dazu beiträgt, dass bei der input-orientierten Herangehensweise Majoritätsentscheidungen akzeptiert werden. Nicht so bei der output-orientierten Herangehensweise. Bei dieser spielt

40 Diese Abgrenzung entspricht dem Prinzip der Subsidiarität, das festlegt, dass Ent-scheidungen erst dann von der übergeordneten Instanz getroffen werden sollen, wenn die vorgelagerten Instanzen – in letzter Konsequenz das Individuum – nicht mehr in der Lage sind, Lösungen herbeizuführen. Das bedeutet aber, dass der Zuständigkeit der höhergelager-ten Instanz Grenzen derart gesetzt werden, dass sie eben erst dann eingreifen sollte, wenn kollektiver Lösungsbedarf besteht.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 339

Identität nahezu keine Rolle, da die Problemlösungsfähigkeit, also Effizienz, im Vordergrund steht. Entscheidend ist hier das gemeinsame Interesse, nicht die gemeinsame Identität.

Fraglich ist natürlich, ob grundsätzlich alle Interessen innerhalb einer Gesellschaft organisationsfähig sind, und somit in letzter Konsequenz ge-samtgesellschaftlich optimalen Lösungen offen stehen.

IV. Ein Defizit der Europäischen Union hinsichtlich Demokratie und Identität?

A. Grundsätzliche Überlegungen

Die Frage, ob ein Demokratiedefizit in der EU vorliegt, setzt voraus, dass die EU (a) entweder demokratisch strukturiert ist, oder (b) demokratische Pro-zesse überhaupt zulässt. Sind beide Voraussetzungen nicht erfüllt, könnte man nicht mehr von einem Defizit sprechen, sondern müsste die EU schlicht-weg als nichtdemokratische Einrichtung ansehen, das Defizit wäre demnach mit 100% gleichzusetzen.41

Als Grundelemente für das Vorhandensein einer Demokratie sind anzu-sehen:42

– Gewaltenteilung– Verfassung– Gesetze, die von einem Parlament verhandelt und beschlossen werden– Regierungshandlungen, die auf gesetzlicher Grundlage basieren und der

Determinierung der Gesetze dienen– (Freie) Wahlen– Politische Parteien Als Grundtypen der Demokratie sind die folgenden anzusehen:– Direkte Demokratie, bei der die direkte Teilnahme aller Bürger/Innen

im Vordergrund steht– Repräsentative Demokratie, bei der von den Bürger/Innen gewählte Ver-

treter den Volkswillen umsetzen, wobei dieser Typus unterteilt werden kann in eine

41 Zu einem ähnlichen Schluss müsste man auch kommen, wenn man die Frage nach einem Demokratiedefizit in einer Diktatur stellt. Auch hier würde man zum Ergebnis kom-men, dass ein 100% Defizit vorliegt, da es in der Natur der Diktatur liegt, wahre demokra-tische Strukturen nicht aufkommen zu lassen.

42 Habermas, Zum Begriff der politischen Beteiligung 1958, in Habermas, Kultur und Kritik – Verstreute Aufsätze (1973) 11 stellt fest, „Demokratie […] ist nicht eine Staatsform wie irgendeine andere; ihr Wesen besteht vielmehr darin, dass sie die weitreichenden gesell-schaftlichen Wandlungen vollstreckt, die die Freiheit der Menschen steigern und am Ende vielleicht ganz herstellen können. Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung der Mensch-heit, und erst wenn diese wirklich ist, ist jene wahr.“

K. H. Fischer340

– Parlamentarische Demokratie oder– Präsidiale Demokratie.

In ihrer anfänglichen Konstruktion der 1950er Jahre sind demokratische Elemente in den Europäischen Gemeinschaften nur äußerst rudimentär er-kennbar.43 In den durch völkerrechtliche Verträge von den Mitgliedstaaten geschaffenen Gemeinschaften gibt es zwar eine parlamentsähnliche Ver-sammlung, deren Mitglieder jedoch nicht gewählt, sondern von den natio-nalen Parlamenten gleichsam entsandt werden; diese Versammlung verfügt aber über keine Rechte, wie sie Parlamenten üblicherweise zukommen. Die – ursprünglich als Hohe Behörde bezeichnete – Kommission besteht aus von den Regierungen der Mitgliedstaaten bestellten Mitgliedern, die der Ver-sammlung gegenüber aber nicht rechenschaftspflichtig sind. Wenn über-haupt, so sind die Mitglieder des Rates als demokratisch legitimiert zu be-trachten, da sie ihren eigenen nationalen Parlamenten gegenüber in der Verantwortung stehen und ihrer Legitimierung durch periodische Wahlen bedürfen. Erst über die Jahre hinweg entwickelte sich das Parlament zu einer Versammlung, die über parlamentarische Rechte und Pflichten verfügt, insbesondere durch den Umstand, dass die Mitglieder des Parlaments auf Grund demokratischer Wahlen in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten in das Europäische Parlament entsandt werden. An den Grundparametern von Rat und Kommission änderte sich jedoch nahezu nichts, lediglich die Kommis-sion erfuhr gleichsam Einschränkungen ihres bis dahin nahezu uneinge-schränkten Existenzrechts, indem sie vom Parlament bestätigt werden muss und von diesem – aber nur in ihrer Gesamtheit – zum Rücktritt gezwungen werden kann.

Legt man die Maßstäbe für das Vorhandensein von Demokratie an die EU/EG an, so ist festzustellen, dass

– die Gewaltenteilung im klassischen Sinne zwar nicht erfüllt ist – nicht zuletzt da die Kommission sowohl Exekutive als auch Legislative verkör-pert –, vom Ansatz her jedoch die drei Gewalten vorhanden sind

– eine Art Verfassung in Form der Verträge vorhanden ist, wobei der Ter-minus Verfassung hier jedoch nicht mit der Verfassung eines National-staates gleichgesetzt werden darf, sondern dieser Terminus weit auszu-legen ist als rechtliche Grundlage für das Handeln der Organe und der Gemeinschaft als Ganzes44

43 Zur Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften hin zur Europäischen Union s Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts – Von den Römischen Verträgen bis zur EU-Verfassung (2005) 17–76 (allgemein), sowie S 340–393 (Institutionen/Organe).

44 Dazu ist überdies zu bemerken, dass der im Jahre 2004 abgeschlossene – jedoch noch nicht ratifizierte – Vertrag über eine Verfassung für Europa ebenfalls keine Verfassung im eigentlichen Sinne darstellt, sondern ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitglied-staaten ist. Dies kommt bereits durch Artikel I-1 EUVV zum Ausdruck, der feststellt, dass

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 341

– die EU Gesetze produziert, die vom Europäischen Parlament (EP) ver-handelt und – gemeinsam mit dem Rat in Form des Kodezisionsverfah-rens – beschlossen werden

– Quasi-Regierungshandlungen, die auf gesetzlicher Grundlage basieren und der Determinierung der Gesetze dienen, in Form von Kommissions-verordnungen gegeben sind

– das EP in freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt wird– politische Parteien einerseits als nationale politische Parteien im EP ver-

treten sind, es daneben aber auch so genannte europäische politische Parteien gibt.45

Überdies liegt eine Selbstverpflichtung der EU zur Demokratie vor, die in Artikel 6 Absatz 1 EUVV niedergelegt ist.46 Diese Selbstverpflichtung der Union wird durch ein weiteres Element abgesichert, indem Artikel 6 Ab-satz 1 EUVV feststellt, dass die Grundsätze auf denen die Union beruht, allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind.47

Das Ergebnis dieses Prüfvorgangs zeigt eindeutig auf, dass sich die EU einerseits der Demokratie verpflichtet fühlt, andererseits auch die Grundvor-

diese Verfassung die Europäische Union begründet, der die Mitgliedstaaten Zuständigkeiten zur Ver-wirklichung ihrer gemeinsamen Ziele übertragen. Es handelt sich also um einen klassischen zwi-schenstaatlichen Völkerrechtsvertrag zur Gründung einer internationalen Organisation in der Ausprägung einer supranationalen Organisationsform. Die freiwillige Übertragung von Kom-petenzen durch die Mitgliedstaaten an die Union impliziert zugleich die Möglichkeit – und das Recht – der Rückübertragung in Form eines actus contrarius, ebenfalls in Form eines völkerrechtlichen Aktes, was eindeutig gegen eine Verfassung im nationalstaatlichen Sinne steht [s Fischer, Der Europäische Verfassungsvertrag (2005) 122f]. Der so genannte Verfas-sungsvertrag (EUVV) ist von seiner Konstruktion her nichts anderes als eine Neustrukturie-rung und Zusammenführung der bisherigen Verträge [s ua Weidenfeld, Die Europäische Verfassung verstehen (2006) 51].

45 Der EGV in seiner prä-Nizza-Fassung sprach lediglich davon, dass politische Parteien auf europäischer Ebene ein wichtiger Faktor der Integration in der Union seien. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen (Artikel 191 EGV idF VvM). Diese Bestimmung wur-de durch den VvN insoferne ergänzt, als ein zweiter Absatz hinzugefügt wurde, der festlegt, dass der Rat gemeinsam im Kodezisionsverfahren mit dem EP das Statut der europäischen politischen Parteien auf europäischer Ebene und insbesondere die Vorschriften über ihre Fi-nanzierung festlegt (Artikel 191 EGV idF VvN). Der EUVV hat diese Bestimmung nicht weiter ausgedehnt, sondern Artikel I-46 und III-331 lediglich reiteriert (s Fischer, Der Vertrag von Nizza2, 2003, RN 1 und 2 zu Artikel 191; sowie Fischer, Der Europäische Verfassungs-vertrag, 200f und 441).

46 Artikel 6 Absatz 1 EUVV idF VvN: Die Union beruht auf den Grundsätzen der Frei-heit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.

47 Dies hat jedoch nicht deklaratorische Bedeutung, sondern dient auch als Kriterium für die Mitgliedstaaten in dieser Union: Staaten, die den Nachweis des Vorhandenseins dieser Grundsätze nicht erbringen können, sind nicht in der Lage Mitgliedstaaten der Union zu werden.

K. H. Fischer342

aussetzungen für das Vorhandensein eines demokratischen Aufbaus erbringt. Dementsprechend ist es berechtigt, die Frage zu stellen, inwieweit auf Ebe-ne der EU ein demokratisches respektive legitimatorisches Defizit vorhanden ist.

B. Mögliche Ursachen für ein Demokratiedefizit der Europäischen Union

1. Die Entwicklung der Europäischen Union bis zum Verfassungsvertrag

Schon die Gründungsidee zeigt deutlich auf, dass die EG gleichsam als Pro-blemlösungsmechanismus auf transnationaler Ebene angedacht worden ist. Keineswegs hatten die Gründungsväter eine Aufgabe des Nationalstaates im Auge.48 Ziel war es, eine effiziente und effektive Lösung für ein Problem zu finden, dessen frühere Lösungsunfähigkeit dazu beigetragen hatte, zwei Weltkriege auszulösen oder zumindest nicht in der Lage war, ihren Ausbruch zu verhindern.49

Das bedeutet, dass die EU in ihrer Gründungsidee ausschließlich output-orientiert angedacht und ausgerichtet war.

Mitte der 1970er Jahre entwickelt Habermas die Theorie der Legitima-tionskrise, die darauf basiert, dass die Bevölkerungen von ihren Regierungen erwarten, dass diese erfolgreich im Wirtschaftsprozess intervenieren und ökonomische Prosperität sicherstellen. Bei einem Fehlschlag dieser Interven-tion ist davon auszugehen, das das kapitalistische System hinterfragt wird, was zu einer Unterminierung seiner Legitimität führt.50

Nahezu zeitgleich wurden die drei Gründungsgemeinschaften ausgebaut und vor allem der EWG, also der späteren EG, wurden vermehrt Kompe-tenzen von den Mitgliedstaaten übertragen.51 Diese Übertragung gründete sich aber immer noch auf der outputorientierten Sichtweise einer verbes-serten Problemlösungsfähigkeit der transnationalen, supranationalen Orga-nisation. Dennoch erkannten die Staats- und Regierungschefs der EG bereits

48 S Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts, 19ff.49 Nach dem Zweiten Weltkrieg stand – wie bereits 1917 – die Frage an, ob Deutschland

in die Nachkriegsordnung integriert, oder ob es – erneut – isoliert werden sollte (s Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts, 19ff).

50 Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (1973).51 Dies erfolgte im Wesentlichen in der so genannten Einheitlichen Europäischen Akte

(EEA), die in den Jahren 1965 bis 1986 angedacht und verhandelt wurde. Der Europäische Rat (ER) von Kopenhagen nahm just im Jahre 1973 (also im selben Jahr, in dem Habermas seine Theorie der Legitimationskrise veröffentlichte) das Dokument über die europäische Identität an, demgemäß Europa in allen wesentlichen Fragen eine gemeinsame Linie einneh-men sollte (s Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts, 47). Mit der EEA wurden Währung, Sozialpolitik, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, Forschung und technologische Entwicklung und Umweltpolitik als neue Kompetenzen der Gemeinschaft hinzugefügt.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 343

zu diesem Zeitpunkt, dass die Gemeinschaft Gefahr lief, in eine Demokra-tiedefizitfalle zu geraten, wenn sie sich weiterhin ausschließlich nach dem Output-Prinzip orientieren würde. In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, dass das Beschlussfassungsverfahren grundlegend geändert und das EP dra-stisch aufgewertet wurde.52

Den ersten Höhepunkt der Transformation von einer Wirtschaftsgemein-schaft zu einer politischen Union erreichte die europäische Integration mit der Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht. Der so genannte Unionsvertrag (EUV) führte vor allem das Kodezisionsver-fahren ein, durch das das EP zum gleichberechtigten EU-Gesetzgeber neben dem Rat gemacht wird.53

Auch der EUV versucht das – offenbar vorhandene und von den Staats- und Regierungschefs als solches anerkannte – Demokratiedefizit durch zwei-erlei Maßnahmen zu überwinden: einerseits durch eine Verbesserung des EU-Entscheidungsverfahrens, um so effizientere und effektivere Lösungen für anstehende Probleme herbeizuführen (= outputorientierter Ansatz), anderer-seits durch Stärkung der Rechte des EP, um dadurch die – wenn auch indi-rekte – Beteiligung der europäischen Bevölkerung zu erhöhen (= inputori-entierter Ansatz).

Nach den Zwischenreformen des EUV durch den Vertrag von Amsterdam (VvA) und den Vertrag von Nizza (VvN), die – in Teilen – die Rechte des EP weiter stärkte, kamen die Staats- und Regierungschefs jedoch rasch zum Schluss, dass diese Reformschritte nicht ausreichten, um die Union effizienter (= outputorientierter Ansatz) und demokratischer (= inputorientierter An-satz) zu gestalten. Auf Grund dieser Erkenntnis wurde ein Konvent einbe-rufen, der die nächste Regierungskonferenz vorbereiten sollte. Schon die Konventidee und die Zusammensetzung dieses Gremiums54 zeigt den Wil-len, auf den Vorwurf des Demokratiedefizits zu reagieren und den Parlamen-tariern im Konvent eine Zwei-Drittel-Mehrheit zuzugestehen. Der Konvent legte nach rund sechzehnmonatiger Tätigkeit seinen Entwurf für eine Ver-fassung für Europa vor, die die Basis für die anschließende Regierungskon-

52 Neben dem Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes bis zum 1. Jänner 1993, der Verbesserung der Beschlussfähigkeit des Rates und Bildung einer Gesamtorganisation in Form der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), verlangte die EEA als Ziel eine Stärkung der Rolle des EP zur Beseitigung des demokratischen Defizits im gemeinschaftlichen Beschlussfassungssystem. Durch die Einführung des Kooperationsverfahrens zwischen Rat und EP bei der EG-Gesetzgebung wurde dem EP erstmals eine – begrenzte – Gesetzgebungs-befugnis eingeräumt.

53 Seit dem EUV verfügt das EP insgesamt über Mitwirkungsrechte in folgenden Ver-fahrensarten: fakultative Anhörung, obligatorische Anhörung, obligatorische Anhörung im Rahmen des Konzertierungsverfahrens, Kooperationsverfahren, Kodezisionsverfahren.

54 Der Konvent umfasste insgesamt einhundertfünf Mitglieder, von denen die Parlamen-tarier (EP und nationale Parlamente) 68,57 % stellten, die Regierungsvertreter lediglich 26,66 % [s Fischer, Konvent zur Zukunft Europas (2003) 28].

K. H. Fischer344

ferenz bilden sollte. Diese Regierungskonferenz veränderte in einigen Be-reichen den Konventsvorschlag, folgte jedoch dem Grundschema. Die we-sentlichsten Neuerungen sind im institutionellen Bereich zu finden, in dem die Rechte des EP weiter aufgewertet werden und vor allem als gänzliche Neuerung das Element der partizipativen Demokratie in das Vertragswerk aufgenommen wird.55 Das Ziel des Verfassungsvertrages (EUVV) ist es, die Union sowohl entscheidungsfähiger (= outputorientierter Ansatz) als auch demokratischer (= inputorientierter Ansatz) zu machen. Bekanntermaßen wurde der EUVV im Zuge des Ratifikationsverfahrens in Frankreich und in den Niederlanden im Jahre 2005 verworfen, er kann aber nur in Kraft treten, wenn alle Mitgliedstaaten den Ratifikationsprozess positiv abgeschlossen haben. Ob und wann es zu dieser Annahme kommt kann seriöser Weise derzeit nicht beantwortet werden.

Die Frage des Demokratiedefizits der EU ist daher an den derzeit gel-tenden Verhältnissen (sprich: Verträgen) zu messen, nicht aber an einem Vertrag, der bis dato nicht in Kraft ist und von dem nicht mit Sicherheit angenommen werden kann, dass er – in seiner derzeitigen Form – jemals in Kraft treten wird.

2. Das Demokratiedefizit der Europäischen Union in ihrem aktuellen Zustand

Wie bereits weiter oben ausgeführt, besteht ein immanentes Spannungsfeld zwischen der Input-Legitimation, die auf möglichst breiter Partizipation basiert, und der Output-Legitimation, die sich auf einer möglichst hohen Steuerungswirksamkeit des politischen Systems und dem Bestreben nach einer höchstmöglichen Problemlösungsquote gründet.

a. Input-Defizit der Europäischen Union

Wenn für die Input-Legitimation Partizipation und Konsens verlangt wer-den, so weist die EU ein nahezu dramatisches Defizit auf. Diese Legitima-tionsart verlangt jedenfalls faire Zugangs- und Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungen. Der Prozess muss überdies kontrollierbar, nachvollziehbar und transparent sein.

Hinsichtlich der Kriterien Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit ist der objektive Maßstab des organisatorischen und rechtlichen Aufbaus der EU heranzuziehen. Beide Kriterien sind auf Grund des rechtsstaatlichen Gefüges gegeben, da jedes Verfahren nach genau festgelegten Regeln und Zuständigkeiten – formal – vorhersehbar abläuft. Die Kontrolle wird einer-seits durch das EP, andererseits durch den Europäischen Gerichtshof und den Europäischen Rechnungshof sichergestellt. Gerade die beiden letztgenann-

55 Zu einer Übersicht über die Neuerungen durch den EUVV s Fischer, Der Europäische Verfassungsvertrag, 97–102.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 345

ten Organe stellen auch sicher, dass eine Kontrolle der Nachvollziehbarkeit – der Gerichtshof hinsichtlich des rechtmäßigen Zustandekommens der Normen, der Rechnungshof hinsichtlich des rechtmäßigen wirtschaftlichen Vollzugs – vorgenommen wird.

Die direkte Beteiligung der europäischen Bevölkerung an den Entschei-dungen beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass sie die Mitglieder des EP – das gleichberechtigter Gesetzgeber mit dem Rat ist – wählen kann.

Eine indirekte Beteiligung der europäischen Bevölkerung könnte darin gefunden werden, dass sie durch die jeweilige nationale Regierung im Rat vertreten wird, die selbst dem jeweiligen nationalen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Gerade diese – äußerst – indirekte Beteiligung wird aber noch weiter abgeschwächt, als immer vermehrt Entscheidungen – zumin-dest aus vertragsrechtlicher Sicht – mehrheitlich getroffen werden.56 Dasselbe Majoritätsprinzip kommt naturgemäß auch im EP zum Tragen, wobei dies noch hingenommen werden könnte, da diese Entscheidungsfindung auch auf nationaler Ebene praktiziert und als akzeptabel hingenommen wird.

So verbleibt letztendlich die Kommission, die zum einen Hüter der Verträge und zugleich Hüter des Gemeinschaftsprinzips ist. Gerade die Kommission ist aber von den drei im Gesetzgebungsprozess involvierten EU-Organen dasjenige, das am wenigsten über demokratische Legitimität verfügt. Sie wird vom Rat eingesetzt und bedarf lediglich der Bestätigung des Parlaments und kann im Übrigen nur als Kollektiv vom EP zum Rück-tritt gezwungen werden.

Die substantielle Dimension des inputseitigen Kriteriums der gleichen Zugangs- und Einflussmöglichkeiten bezieht sich auf wirkungsvolle Ein-flussmöglichkeiten in politischen Prozessen, die über das bloße Wählen hin-ausgehen.57 Es verbleibt somit noch die so genannte – organisierte – Zivil-gesellschaft als Möglichkeit der direkten Beteiligung der europäischen Be-völkerung. Zur organisierten Zivilgesellschaft gehören gemäß Artikel 257 EGV die Vertreter der verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Bereiche, insbesondere der Erzeuger, der Landwirte, der Verkehrsunternehmer, der Arbeitnehmer, der Kaufleute und Handwerker, der freien Berufe, der Ver-braucher und des Allgemeininteresses.58 Darüber hinaus spielen aber auch Nichtregierungsorganisationen (NRO) eine steigende Rolle, als sie von der

56 Realiter werden rund 90% der Entscheidungen im Rat im Konsens angenommen, auch wenn die Annahme mit qualifizierter Mehrheit möglich wäre.

57 S Ronald Dworkin, What is Equality, Part 4: Political Equality, in University of San Francisco Law Review, Vol 22, 1987, 1–30, 9, zitiert in Klinke, Demokratische Legitimation und Effektivität durch deliberatives Regieren jenseits des Staates, Beitrag für die Konferenz „Wandel des Staates – Transformation von Herrschaft?“ des SFB 597 „Staatlichkeit im Wan-del“ vom 31. März bis 2. April 2006 in Bremen, 9.

58 Diese Definition wurde durch den VvN eingeführt und beschreibt den Kreis derjeni-gen, die im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU vertreten sein sollen (s Fischer, Der Vertrag von Nizza, 148f).

K. H. Fischer346

Kommission – jedoch nach deren freiem Ermessen – eingeladen werden, ihre Meinung zu äußern. Daneben agieren gerade NROs auch in Form von Kam-pagnenpolitik, die dazu dient, ihren Ansichten und Prioritäten zum Durch-bruch zu verhelfen. NRO profitieren von der Legitimationskrise der poli-tischen Parteien,59 sicherlich aber auch von der Legitimationskrise der nati-onalen und supranationalen Institutionen. Ob es einem Nationalstaat oder einer supranationalen Organisation zur besonderen Ehre gereicht, dass die inputseitige Legitimation von der organisierten Zivilgesellschaft hergestellt werden sollte, ist eine Frage, eine andere ist jedoch vor allem die demokra-tische Legitimation der Angehörigen der organisierten Zivilgesellschaft selbst. Verbände und auch NROs stellen jeweils Teilmengen der Gesellschaft dar, vertreten dementsprechend auch nur Teilinteressen. Wird, wie im Wirt-schafts- und Sozialausschuss, ein ausgewogenes Maß zwischen den Angehö-rigen der Zivilgesellschaft hergestellt, könnte dieser Nachteil ausgeglichen werden. Kommt es jedoch zu einer Ermessensentscheidung – wie durch die Kommission – welche NROs zugelassen werden, geradezu nach dem Oppor-tunitätsprinzip, wird die Legitimationsfrage sehr wohl schlagend und ist negativ zu beurteilen.

Ein weiteres Kriterium betrifft die Frage der Vermittlung der in Frage stehenden Interessen. Nicht zu Unrecht verweist Puntscher-Riekmann60 auf den Umstand, dass den Gründervätern der Gemeinschaft die Vermittlung des Handelns der EG kein prioritäres Anliegen gewesen ist, dieses Problem jedoch nicht nur aus einer vernachlässigten Kommunikation, sondern insbesondere aus der Komplexität der Institutionen und Verfahren der EU resultiert. Die-ser These ist in zweierlei Hinsicht beizutreten. Zum einen ist die Gemein-schaft bei ihrer Gründung – wie weiter oben ausgeführt – output-orientiert angelegt gewesen, die Frage der Vermittelbarkeit der Handlungen steht da-mit im Hintergrund. Zum anderen sind die Verfahren immer komplizierter und komplexer geworden – derzeit existieren immerhin fünfzehn verschie-dene Rechtsetzungsinstrumente61 –, und durch den Vertrag von Maastricht ist zu den schon vorhandenen fünf Organen,62 den beiden finanzwirtschaft-lichen Institutionen,63 und der beratenden Einrichtung Wirtschafts- und Sozialausschuss der Ausschuss der Regionen getreten, der ebenfalls eine be-ratende Einrichtung ist. Die EK hat auf die immer virulenter werdende Frage der Vermittelbarkeit nach jahrelangen internen Verhandlungen am

59 Sigrid Baringhorst, Zur Mediatisierung des politischen Protests. Von der Institutionen- zur „Greenpeace-Demokratie“?, in Sarcinelli (Hrsg), Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft – Beiträge zur politischen Kommunikationskultur (1998) 340.

60 Puntscher-Riekmann, Der Riss im Vorhang, IWE – Working Paper Series, Österrei-chische Akademie der Wissenschaften, Forschungsstelle für institutionellen Wandel und europäische Integration, N° 11, Juli 2000, 9ff.

61 Fischer, Der europäische Verfassungsvertrag, 98.62 ie EP, Rat, EK, Europäischer Gerichtshof, Europäischer Rechnungshof.63 ie Europäische Zentralbank, Europäische Investitionsbank.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 347

1. Februar 2006 ein Weißbuch über eine europäische Kommunikationspoli-tik64 veröffentlicht, in dessen Einleitung die Kommission feststellt, dass die Kommunikation im Zuge der Übernahme weiterer Kompetenzen durch die EU mit den Bürger/Innen nicht Schritt gehalten habe. Dieses Weißbuch ist aber auch nur ein weiterer Schritt hin zu mehr Bürgernähe, der Prozess der Konsultation wurde im September 2006 abgeschlossen. Erst nach der Ana- lyse der eingegangenen Kommentare wird die Kommission weitere Schritte planen. Ob derartige Weißbücher und die damit in Zusammenhang stehen-den Konsultationen zu einer verstärkten Bürgernähe beitragen, mag zumin-dest in Frage gestellt werden. Der eigentlichen Informationsvermittlung dienen sie jedenfalls nicht. Dass die negativen Referenden über den EUVV in Frankreich und den Niederlanden dazu beigetragen haben, dass die vorhandene Kommunikationskluft auf EU-Ebene zur Kenntnis genommen worden ist, wird daran erkennbar, dass die Kommission schon im Oktober 2005 eine Mitteilung über den so genannten Plan D veröffentlicht hat.65 Die Mitteilung über diesen Plan D – D steht für Demokratie, Dialog und Dis-kussion – ist interessanter Weise an die EU-Organe und beratenden Einrich-tungen adressiert, nicht aber an die europäischen Bürger/Innen, deren Ver-trauen laut Mitteilung66 eigentlich wiedergewonnen werden sollte.

In engem Zusammenhang mit der Vermittlungsfähigkeit steht die zuvor behandelte Frage der Partizipation. Die Komplexität und Kompliziertheit der EU-Verfahren und –Institutionen erschwert auch die Vermittelbarkeit der Ziele und deren Verwirklichung. Ein direkter Zugang ist außerordentlich schwierig, es verbleibt damit die Möglichkeit des vermittelten – also indi-rekten – Zugangs.67 Dieser ist zwar einfacher als der direkte Zugang, birgt aber Gefahren in sich. Die indirekte Vermittlung – respektive deren Inhalt – ist jedenfalls nicht mehr als authentisch zu bezeichnen, vielmehr ist jeweils zu hinterfragen mit welcher Absicht die vermittelnden Instanzen die Infor-mation aufbereiten und weitergeben. Sowohl Parteien als auch Verbände, NROs und Lobbygruppen vermitteln zwar EU-Inhalte, eine objektive Dar-stellung des Inhalts kann aber kaum vorausgesetzt werden. Es liegt daher am jeweiligen Empfänger dieses Inhalts, allfällige subjektive Elemente zu erken-nen und herauszufiltern. Die Kommission hat zwar mit ihrer Governance-Initiative68 sicherlich einen richtigen Schritt hin zu mehr Transparenz und

64 Europäische Kommission: Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik, KOM(2006)35 endgültig, 1. Februar 2006.

65 Europäische Kommission: Mitteilung an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion, KOM(2005)494 endgültig, 13. Oktober 2005.

66 Ebenda, 3.67 S Puntscher-Riekmann, Der Riss im Vorhang, 9.68 Europäische Kommission: Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM(2001)428

endgültig, 25. Juli 2001.

K. H. Fischer348

Einbindung gemacht, die von der Kommission beabsichtigte verstärkte Einbindung stützt sich aber letztendlich wiederum auf die institutionellen Akteure – nationale, regionale und lokale Körperschaften – und die (organi-sierte) Zivilgesellschaft.

Eine Frage im Zusammenhang mit der Input-Legitimation der EU wird noch weiter unten aufgegriffen, nämlich die Frage der kollektiven Identität der europäischen Bevölkerung und damit im Zusammenhang stehend der Glaube an und das Vertrauen in die Überzeugung, dass die Wohlfahrt der gesamten europäischen Bevölkerung berücksichtigt wird.

b. Output-Defizit der Europäischen Union

Die EU basiert zweifelsohne auf einem funktionalistischen Ansatz, der die Institutionen, Prozeduren und Ergebnisse in den Vordergrund stellt. Als Voraussetzung ist ein gemeinsames Interesse an Problemlösungen – nicht aber eine gemeinsame Identität – notwendig.

Das gemeinsame Interesse an Problemlösungen kann unterstellt werden, die Gestaltungsprinzipien der Sozialstaatlichkeit, der Marktwirtschaftlich-keit und der Wohlfahrtsstaatlichkeit sind im System der EU ebenfalls nach-weisbar.69 Die Effektivität und Effizienz lässt jedoch immer mehr zu wün-schen übrig.

Mit der vermehrten Übertragung von mitgliedstaatlichen Kompetenzen an die EU ging jedoch keine gleichzeitige Steigerung der Problemlösungs-fähigkeit einher. Fragen der Beschäftigungslage und des Wirtschaftswachs-tums stehen zwar auf der Agenda der EU ganz oben, die Arbeitsmarktlage bleibt aber angespannt und das Wirtschaftswachstum nimmt – verglichen mit anderen Weltregionen – nur verhältnismäßig gering zu. Lediglich im Bereich des Binnenmarktes und der Umsetzung der ihn konstituierenden vier Freiheiten70 kann die EU weiterhin Erfolge verbuchen.71

Auf dem Gebiet der GASP zeigt sich aber die Schwäche der Entschei-dungs- und Problemlösungsfähigkeit der EU überdeutlich. Die unklaren und ungleichgewichtig verteilten Kompetenzen im Außenbereich führen dazu, dass die EU entweder sehr zurückhaltend oder gar nicht reagiert. Nicht zuletzt deshalb, da dieser Politikbereich nicht supranational ange-legt ist, sondern weiterhin im intergouvernementalen Bereich verbleibt. Und damit jedenfalls Einstimmigkeit die Voraussetzung für eine Entschei-dung ist.

69 Zu den ordnungspolitischen Aspekten des EU-Rechts, insbesondere der sozialen Marktwirtschaft, s Fischer, Ordnungspolitische Aspekte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, in Jenkis (Hrsg) Freiheit und Bindung der Wirtschaft – Beiträge zur Ordnungspoli-tik – Festschrift anlässlich des 70. Geburtstags von Bodo Gemper (2006) 135–155.

70 ie Kapitalverkehrs-, Personenverkehrs-, Güterverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit.71 Zuletzt durch die Einigung auf die lange umstrittene Dienstleistungsrichtlinie.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 349

3. Zusammenfassung

Ein Input-Defizit der EU ist keineswegs zu leugnen, der direkte Zugang der europäischen Bevölkerung ist nahezu inexistent, von deliberativer Demokra-tie kann keine Rede sein.

Erst jüngst hat der Europäische Rat versucht, eine inputseitige Korrek-tur vorzunehmen. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen,72 dass die nationalen Parlamente von der Kommission die Gelegenheit erhalten müs-sen, ihre Meinung zu neuen Rechtsetzungsvorschriften zu äußern. Diese Einbindung der nationalen Parlamente bleibt aber ohne Rechtsfolgen, da die Kommission nicht gehalten ist, ihren Rechtsvorschlag zu ändern; sie solle gegebenenfalls eine begründete Stellungnahme zu den Einwendungen der nationalen Parlamente abgeben.73 Diese Art der Einbindung der natio-nalen Parlamente hat zwar vorderhand eher deklaratorische Bedeutung und Wirkung, ist aber ein Ansatz zur verstärkten Einbindung der europäischen Bevölkerung im Wege der von ihr gewählten jeweiligen nationalen Parla-mente.

Eine weitere Maßnahme zur Steigerung der Input-Legitimation könnte auch darin gesehen werden, dass der Europäische Rat erst jüngst74 überein-gekommen ist, die Beratungen des Rates in noch größerem Maße der Öf-fentlichkeit zugänglich zu machen und dementsprechend eine allgemeine Politik der Transparenz beschlossen hat.

Hinsichtlich der Frage der Output-Legitimation ist festzustellen, dass die Grundvoraussetzungen für das Vorhandensein dieser Legitimation vorhan-den sind, die Problemlösungskompetenz der EU jedoch – wenn auch viel-leicht nur scheinbar – im Schwinden begriffen ist, wobei diese Abnahme einerseits im Missverhältnis von Kompetenzenfülle einerseits und subopti-malen Strukturen andererseits begründet sein könnte. Ein weiterer Aspekt ist jedoch ebenso bestimmend für die Abnahme der Problemlösungskompe-tenz: die immer stärker erkennbare Haltung einiger Mitgliedstaaten, mehr auf das nationale Interesse als auf das – so genannte – europäische Interesse zu achten. Dies mag auch an der Abnahme der Legitimation im innerstaat-lichen Bereich liegen. Mangels Möglichkeit, Kompetenzen von der EU-Ebe-ne wieder auf die nationalstaatliche Ebene zurück zu übertragen, also die Vornahme einer Renationalisierung europäischer Kompetenzen, werden Ent-scheidungen auf europäischer Ebene so lange blockiert, bis – auf Grund der

72 Europäischer Rat am 15. und 16. Juni 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Doku-ment 10633/06 CONCL 2, RN 37.

73 Diese sehr eingeschränkte Einbeziehung der nationalen Parlamente schöpft die Mög-lichkeiten des Europäischen Rates aus rechtlicher Sicht völlig aus, da jeder weitere Schritt einer Vertragsänderung bedarf, die nur in Form einer Regierungskonferenz erreicht werden könnte.

74 Europäischer Rat am 15. und 16. Juni 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Doku-ment 10633/06 CONCL 2, RN 35 und Anlage I.

K. H. Fischer350

Notwendigkeit einer EU-Entscheidung – der Druck so hoch wird, dass par-tikulären mitgliedstaatlichen Interessen nachgegeben wird.

Die Erkenntnis des Europäischen Rates vom 15. und 16. Juni 2006,75 dass das Vertrauen der Bürger in das europäische Projekt gestärkt werde, wenn der zusätzliche Nutzen des Handelns der EU in den europäischen Rechtsvorschriften besser zum Ausdruck kommt, zeigt aber eindeutig auf, dass die Union zwar ein Defizit im inputseitigen Bereich zur Kenntnis nimmt, darauf versucht zu reagieren – Einbindung der nationalen Parla-mente und Steigerung der Transparenz –, jedoch auch für die Zukunft ihre Legitimation eher im Output-Bereich sieht und diesen zu stärken beabsich-tigt, indem sie die Lösungskapazität zu steigern versucht.

Über eine weitere Hürde wird die EU in ihrer heutigen institutionellen Konstellation jedoch keinesfalls hinwegkommen, nämlich über die Möglich-keit, als solche dem Wählerwillen ausgesetzt zu sein. In nationalstaatlichen Demokratien wird die prinzipielle Legitimationsbedürftigkeit der Politik durch periodischen Legitimationsverfall und Neuwahlen als Verfahren des Legitimationserwerbs institutionalisiert.76 Solange die EU an ihrem Dualis-mus aus Mitgliedstaaten und Bevölkerungen festhält und keine föderale Ge-stalt – unter gleichzeitiger Auflösung der Mitgliedstaaten oder aber der Zu-weisung der Rolle als Gliedstaaten eines Verbundes im Sinne von Vereinigten Staaten von Europa – annimmt, wird dieses demokratische Element mangels Vorhandenseins einer Europäischen Regierung und eines Europäischen Par-laments nicht zur Anwendung gelangen können. Damit wird weiterhin die – demokratiepolitische – Lücke bestehen bleiben, dass die einzelnen mitglied-staatlichen Regierungen zwar abgewählt werden können – oder in ihrem Amt bestätigt werden –, es aber kein Pendant auf europäischer Ebene gibt, das sich diesem Verfahren des Legitimationserwerbs unterwerfen muss.

C. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung

Neben diesen theoretisch hergeleiteten Feststellungen bezüglich der Existenz eines Legitimationsdefizits sollte auch der Frage nachgegangen werden, in-wieweit die europäische Bevölkerung ein derartiges Legitimationsdefizit wahrnimmt. In weiterer Folge werden dazu Daten aus empirischen Umfragen zu den Fragestellungen

– Demokratiezufriedenheit in den einzelnen Mitgliedstaaten und gegen-über der EU

– Vertrauen gegenüber den EU-Gesetzgebungsorganen– Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft

75 Europäischer Rat am 15. und 16. Juni 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Doku-ment 10633/06 CONCL 2, RN 38.

76 Schiller, Politische Soziologie, in Mohr (Hrsg) Grundzüge der Politikwissenschaft2 (1997) 471.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 351

– Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft– Allgemeines Bild der EU

herangezogen.

1. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zur Entwicklung der Demokratie in den Mitgliedstaaten und in der Europäischen Union

Betrachtet man die Einstellung der europäischen Bevölkerung zur Entwick-lung der Demokratie in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten einerseits und in der Europäischen Union andererseits, so stellt sich das Bild eines Demokra-tiedefizits – zumindest in Ansätzen – weniger dramatisch dar.

Zur Erläuterung dieser These werden die im Auftrag der Kommission durchgeführten – so genannten – Eurobarometeruntersuchungen aus den Jahren 1995 bis 2005 herangezogen.

Auf die Frage, wie zufrieden man mit der Demokratie im eigenen Mit-gliedstaat sei, antworteten die Befragten im Schnitt wie folgt (Abb. 1):77,78

Dieselben Befragten beantworteten die Frage, wie zufrieden sie mit der De-mokratie auf EU-Ebene seien (Abb. 2):

77 Daten für die Abb 1 bis 4 und 6 bis 9: aus Eurobarometer N° 39 bis N° 64 (http://ec.europa.eu/ public_opinion/standard_en.htm).

78 Zu den technischen Spezifikationen betreffend die Abb 1 bis 4 und 6 bis 9 s die jewei-ligen Eurobarometer (http://ec.europa.eu/ public_opinion/standard_en.htm).

Abb. 1. Demokratiezufriedenheit im eigenen Mitgliedstaat (MS)

K. H. Fischer352

Abb. 2. Demokratiezufriedenheit auf EU-Ebene (EU)

Abb. 3. Demokratiezufriedenheit auf mitgliedstaatlicher und EU-Ebene

Zusammengeführt, ergibt sich folgendes Bild (Abb. 3):

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 353

In beiden Fällen – Mitgliedstaat und EU-Ebene – ist die gefühlte Demo-kratiezufriedenheit erwartungsgemäß Schwankungen unterworfen. Eindeu-tig zu beobachten ist aber ein steter Anstieg der Zufriedenheit mit dem Zustand der Demokratie auf EU-Ebene (von 38% im Frühjahr 1995 auf 49% im Frühjahr 2005) begleitet von einem Rückgang der Demokratieunzufrie-denheit im nahezu selben Ausmaß (von 48% im Frühjahr 1995 auf 35% im Frühjahr 2005). Damit erreicht die gefühlte Demokratiezufriedenheit auf EU-Ebene erstmals im Frühjahr 2005 einen Wert, der der gefühlten Demo-kratiezufriedenheit im jeweils eigenen Mitgliedstaat sehr nahe kommt (Mit-gliedstaat: 53% gegenüber EU-Ebene: 49%).

Liegt die Differenz zwischen der ersten Befragung auf mitgliedstaatlicher Ebene zur letzten Erhebung bei + 6% hinsichtlich der Zufriedenheit und – 5% bei der Unzufriedenheit, so ist der – im Übrigen stetige – Anstieg bei der Zufriedenheit auf EU-Ebene um 11% und die – ebenso stetige – Abnah-me bei der Unzufriedenheit um 13% nicht zu leugnen.

Diese Daten sind zumindest geeignet, die Frage zuzulassen, ob das Legi-timationsdefizit der EU, das sich in einem offensichtlich vorhandenen Ver-trauensverlust äußert,79 alleine auf einem – jedenfalls technisch – vorhande-nen Demokratiedefizit gründet oder aber auch andere mögliche Ursachen hat.

2. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu den EU-Gesetzgebungsorganen

Die Frage der Einstellung der europäischen Bevölkerung gegenüber den drei EU-Gesetzgebungsorganen Kommission, Parlament und Rat ist geeignet, sowohl input- als auch outputseitig Erkenntnisse zu gewinnen. Zum input-seitigen Erkenntnisbereich sind die Daten zu Parlament (qua Direktwahl) und zu Rat (qua mitgliedstaatliche Vertretung auf EU-Gesetzgebungsebene) zu zählen, zum outputseitigen Erkenntnisbereich sind die Daten zur Kom-mission zu zählen, die den Exekutivsektor der EU verkörpert.

Den Daten liegt die Frage zugrunde, wie viel Vertrauen die europäischen Bürger den drei genannten EU-Gesetzgebungsorganen gegenüber aufbrin-gen respektive inwieweit sie diesen eher nicht vertrauen (Abb. 4).

Das EP verfügt nach diesen Umfragewerten stabil über das höchste Ver-trauen in der europäischen Bevölkerung, vor Kommission und Rat. Es mag zumindest eigenartig anmuten, dass die europäische Bevölkerung gerade demjenigen Organ, das von den eigenen Regierungungsvertretern gebildet wird, am wenigsten vertraut. Die europäische Bevölkerung neigt demnach dazu, das von ihr direkt gewählte Organ am ehesten zu akzeptieren, was

79 So beispielsweise in einer dramatischen Abnahme der Wahlbeteiligung bei den EP-Wahlen und nicht zuletzt in der Ablehnung des EUVV im französischen und im niederlän-dischen Referendum.

K. H. Fischer354

Abb. 4. Vertrauen in die EU-Gesetzgebungsorgane

Abb. 5. Beteiligung bei den EP-Wahlen

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 355

wiederum die Frage aufwerfen könnte, warum die Wahlbeteiligung bei den EP-Wahlen seit dem ersten europäischen Wahlgang im Jahre 1979 stetig – und dramatisch – abnimmt (Abb. 5).80

Der Rat scheint zumindest erreicht zu haben, dass sich sein Image und das in ihn gesetzte Vertrauen verbessern. Zu beachten ist aber auch das An-steigen der Häufigkeit hinsichtlich der Aussage, man habe eher kein Ver-trauen in die jeweilige Institution, von dem kein Organ verschont blieb.

Das supranationale Organ Kommission liegt konstant zwischen Parla-ment und Rat, erst bei der letzten Datenaufnahme nähern sich Parlament und Rat dem Kommissionswert, zugleich bringen aber erstmals gleich viele Befragte ihr mangelndes Vertrauen in Parlament und Kommission zum Ausdruck.

3. Die Einstellung der europäischen Bevölkerung zu EU-Mitgliedschaft und zum allgemeinen Bild der EU

Das Gesamtbild, das sich die europäische Bevölkerung von der EU macht, ist – relativ – konstant über die Jahre hinweg (2. Halbjahr 1994 / 1. Halbjahr 1995 / 1. Halbjahr 2000 bis 2. Halbjahr 2005): sowohl hinsichtlich der Fra-ge, ob man eher Vorteile als Nachteile in einer EU-Mitgliedschaft sehe, als auch ob man einer EU-Mitgliedschaft eher zustimmend als ablehnend ge-genüber stehe, als auch hinsichtlich des Gesamtbildes (eher positiv oder eher negativ), das man von der EU habe, liegen die Zustimmungswerte höher als die ablehnenden Angaben (Abb. 6–8).

Bedenklich ist aber, dass sich dieses Gesamtbild bei der Frage nach der Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft und nach dem Bild, das man von der EU habe, seit dem 2. Halbjahr 2004 zugunsten einer eher ablehnenden Hal-tung verschiebt respektive die Zustimmung stetig abnimmt.81

4. Zusammenfassung

Das positive Gefühl gegenüber der demokratischen Situation in der EU nimmt zu und liegt eindeutig höher als das Unbehagen gegenüber dem Zustand auf Unionsebene, das sogar im Abnehmen begriffen ist, gleichzeitig nimmt aber das Vertrauen in die EU-Gesetzgebungsorgane leicht ab. Eben-so im Schwinden begriffen ist das Gefühl, Vorteile durch die EU-Mitglied-schaft zu genießen, verbunden mit einer Abnahme der Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft selbst.

80 Übersicht Wahljahr und Wahlbeteiligung (in % aller europäischen Wahlberech-tigten): 1979 – 63%; 1984 – 61%; 1989 – 58,5%; 1994 – 56,8%; 1999 – 49,8%; 2004 – 45,5% (Quelle: Homepage des EP, www.europarl.europa.eu/news/public/default_de.htm? redirection).

81 Bei der Frage nach den Vorteilen durch eine EU-Mitgliedschaft ist diese mögliche Trendwende erst im 2. Halbjahr 2005 aufgetreten.

K. H. Fischer356

Abb. 7. Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft

Abb. 6. Vorteile durch EU-Mitgliedschaft

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 357

Stellt man somit fest, dass die europäische Bevölkerung in das der input-seitigen Legitimation zugrunde liegende Gestaltungsprinzip Demokratie auf Unionsseite ein relativ hohes Vertrauen hat (= hohe Demokratiezufrieden-heit), zugleich aber den Organen gegenüber ein steigendes Misstrauen herrscht, und das Gesamtbild der EU ebenfalls leicht ins Wanken gerät, so kann möglicherweise der Schluss gezogen werden, dass die europäische Be-völkerung gerade die Problemlösungsfähigkeit der Union für nicht mehr so schlagkräftig hält, wie in früheren Jahren.

Damit würde die Union in ihrer gleichsam selbst gewählten Kernkom-petenz verlieren und dieses Manko durch steigendes Vertrauen in die Input-Seite nicht wettmachen können.

D. Die Frage nach einer europäischen Identität und nach dem Vorhandensein eines europäischen Demos

Wie bereits eingangs festgehalten, basiert die inputseitige Legitimation unter anderem zum Großteil auf der Identifikation der so genannten Be-herrschten mit der sie beherrschenden Organisation, einem Merkmal, das für die outputseitige Legitimation unerheblich ist.

Ausgehend davon, dass Identität vorerst über das Einzelindividuum zu definieren ist, das Kraft seiner Existenz aufgefordert ist, sein Verhältnis zu seiner Umwelt im Rahmen seiner Möglichkeiten und nach seinem Willen

Abb. 8. Gesamtbild der Europäischen Union

K. H. Fischer358

zu gestalten, ist aber auch seine Beziehung gegenüber derjenigen Einheit zu betrachten, mit der es in einer besonderen Beziehung steht.82 Die Einheit Staat ist im Regelfall keine selbst gewählte, sondern eine Einheit, mit der das Individuum auf Grund eines unfreiwilligen Prozesses in Beziehung steht. Staaten wird unterstellt, dass sie so genannte Kollektividentitäten generie-ren, die beispielsweise durch Erziehung, Schule, Militär- oder Zivildienst herbeigeführt werden.

Interpretiert man Identität mit Bewusstsein, so kann Identität auch dahin gehend definiert werden, dass das Individuum oder aber eine Gruppe ein Bewusstsein gegenüber einer bestimmten Entität entwickeln, dessen Werte und Ideen sie akzeptieren und tragen, sich dementsprechend mit ihm iden-tifizieren können.

Für eine kollektive Identitätsbildung, also für die Entwicklung eines verbindlichen Wir-Gefühls, einer Solidarität mit unbekannten Menschen, bedarf es der Institutionalisierung von Ordnungsideen. Dadurch erst werden Standards für bestimmte Verhaltenskontexte verbindlich, wobei es die Pro-zesse sind, die Identitätsbildung stiften.83 Dadurch wurde der Nationalstaat zum Stifter der nationalen Identität. Identität ist aber zugleich auch Abgren-zung, Abgrenzung von anderen Staaten oder Kulturen.84

Identität ist aber auch Vertrauen. Nur mit derjenigen Entität wird sich das Individuum oder die Gruppe identifizieren, der es vertraut und der es sich zugehörig fühlt. Zu diesem Vertrauen und zu diesem Zugehörigkeits-gefühl gehören auch die Kenntnis über und das Verständnis der Entität selbst. Im Nationalstaat werden Kenntnis und Verständnis auf mannigfache Weise vermittelt, das Auftreten des Nationalstaates in internationalen Ver-gleichsforen, namentlich internationalen Sportveranstaltungen, trägt sein Übriges dazu bei, dass es zu einer nationalen Identität kommt. Das bedeutet, dass ein Wir-Gefühl respektive im gegenständlichen Zusammenhang eine nationale Identität nicht aus der rein formalen Ebene (Staatsstruktur) er-wächst, sondern durch weitere strukturunabhängige Parameter definiert wird.

Im Zusammenhang mit der Frage der Identifikation wird häufig auch die Frage nach dem Demos gestellt. Nach Weiler85 sind die Angehörigen eines

82 S Pöhle, Ist europäische Identität unmöglich? in Politik und Gesellschaft Online, In-ternational Politics and Society 3/1998 (www.fes.de/ipg3_98/artpoehle.html).

83 Lepsius, Prozesse der europäischen Identitätsstiftung, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 13. September 2004, 3.

84 Solange es sich dabei nur um schlichte Abgrenzung handelt, kann dieser Prozess noch als positiv angesehen werden, da er zumindest ein Gemeinschaftsgefühl herbeiführt. In die kritische Phase tritt eine derartige Abgrenzung dann ein, wenn das nationale Identitätsgefühl in Ablehnung anderer Identitäten mündet und radikale Ausmaße bis zur Anwendung von Gewalt annimmt.

85 Weiler, Der Staat „über alles“ – Demos, Telos und die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Jean Monnet Working Paper 7/1995, www.jeanmonnetpro-

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 359

Gemeinwesens, das Volk, sein Demos, ein Konzept, das eine subjektive – so-zialpsychologische – Komponente besitzt, die in objektiven, organischen Bedingungen wurzelt. Die subjektiven Manifestierungen seien sowohl Re-sultante als auch gleichzeitig Bedingung einiger – wenn auch nicht notwen-digerweise aller – der folgenden objektiven Elemente:

– gemeinsame Sprache– gemeinsame Geschichte– gemeinsame kulturelle Gebräuche und Empfindungen– gemeinsame ethnische Herkunft86

– gemeinsame Religion.

Legt man diesen allgemeinen Maßstab für die Prüfung des Vorhandenseins eines Demos an, so könnte man selbst bei manchem Nationalstaat die Frage stellen, ob er überhaupt über einen Demos verfügt.87 Dementsprechend kann auch hinterfragt werden, ob dieser Standard zwingend und radikal an die EU angelegt werden darf. Denn der Anspruch, dass die Gesamtheit der Elemente vorliegen müsse, zielt letztlich darauf ab, eine Homogenität nachzuweisen. Selbst diese Frage könnte bei Nationalstaaten gegebenenfalls zu einer nega-tiven Antwort führen.

Gerade das in FN 87 angeführte Beispiel Belgien führt zum Schluss, dass an die EU kein strengerer Maßstab gelegt werden sollte als an National-staaten, namentlich Nationalstaaten, die Mitgliedstaaten der Union sind.

Die Frage, ob ein europäischer Demos – in voller Ausprägung – existiert, kann an dieser Stelle nicht erschöpfend behandelt und geklärt werden. Eine diesbezügliche Notwendigkeit besteht auch nicht zwingend, solange es Na-tionalstaaten im System EU gibt. Käme es jedoch zu einer Auflösung der Nationalstaaten und zur Bildung eines gleichsam neuen Staates – beispiels-weise der Vereinigten Staaten von Europa nach föderalem oder gar zentralis-tischem Muster – müsste die Frage der Existenz eines europäischen Demos

gram.org/papers/95/9507ind.html, und Weiler/Haltern/Mayer, European Democracy and Its Critique – Five Uneasy Pieces, Jean Monnet Working Paper 1/1995, www.jeanmonnet-program.org/papers/95/9501ind.html.

86 Weiler ist jedenfalls zu folgen, wenn er zu diesem und zum folgenden Kriterium fest-stellt, dass es nach den Erfahrungen mit der Politik des Nationalsozialismus nur gleichsam verhalten herangezogen wird.

87 Betrachtet man die sprachliche Zusammensetzung der US-amerikanischen Bevölke-rung und die Zunahme des nicht Englisch sprechenden Bevölkerungsanteils – samt seinem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund – so könnte bei strikter Anwendung der Kriterien die Antwort gegebenenfalls negativ ausfallen. Zu einem ähnlichen Schluss könnte man auch im Falle Belgiens kommen, das als Kongressbelgien 1815 geschaffen wurde und in dem noch heute – überdies aktueller denn je – eine klare Demarkationslinie zwischen der niederlän-dischstämmigen und der französischstämmigen Bevölkerung (mit jeweils unterschiedlichen kulturellen Hintergründen) vorhanden ist. In beiden Fällen würde man aber kaum so weit gehen festzustellen, dass kein US-amerikanischer oder belgischer Demos existiere.

K. H. Fischer360

auf jeden Fall geprüft werden, da die Integration zu diesem Zeitpunkt eine völlig neue, ja nahezu finale Qualität erreichen würde.

Sehr wohl kann jedoch die Frage näher untersucht werden, ob es gelungen ist in zwischenzeitig nahezu fünfzig Jahren europäischer Integration eine europäische Identität zu schaffen respektive ob sich in der europäischen Be-völkerung – über das nationalstaatliche Wir-Gefühl hinaus – ein europä-isches Wir-Gefühl entwickelt hat.

Zur näheren Betrachtung dieser Frage möge Abb. 9 dienen. Diese Gra-phik zeigt die Ergebnisse auf die Fragen Fühlen Sie sich (a) nur als Europäer, (b) als Europäer und (Angehöriger des jeweiligen Mitgliedsstaats), (c) als (Angehö-riger des jeweiligen Mitgliedsstaats) und Europäer, (d) nur als (Angehöriger des je-weiligen Mitgliedsstaats).

Diese Ergebnisse zeigen mehr als eindeutig, dass ein Wir-Gefühl auf europäischer Ebene auch nach rund fünfzig jährigen Integrationsbemü-hungen nicht allzu stark ausgeprägt zu sein scheint. Selbst wenn die Mög-lichkeit besteht, den eigenen Mitgliedstaat einzubeziehen, liegt die Identi-tätspriorität bei der Variante (c) und nicht bei der Variante (b). Ausgehend von den obigen Ausführungen, dass Identität durch mehr als nur Formali-täten geschaffen wird, ist festzustellen, dass die EU-Initiativen auf formaler oder organisatorischer Ebene, wie beispielsweise die Proklamation einer Unionsbürgerschaft oder die Einführung einer gemeinsamen Währung nicht

Abb. 9. Europäische Identität

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 361

ausgereicht haben, ein Identitätsgefühl bei der europäischen Bevölkerung auszulösen.88

Vergleicht man die Einstellungen der europäischen Bevölkerung zur Demokratie und den Organen der EU, zur EU-Mitgliedschaft und dem Gesamtbild das sie sich von der Union macht,89 mit den Erkenntnissen über die Einstellung gegenüber einer europäischen Identität, so ergibt sich kein unbedingt eindeutiges Bild. Ein Schluss kann jedoch als gerechtfertigt an-gesehen werden: bei allen positiven Elementen, die die Bevölkerung der EU immer noch abgewinnen kann, herrscht ein Vermittlungsdefizit über den so genannten europäischen Mehrwert, das einer Identitätsstiftung offensichtlich entgegensteht.

E. Zusammenfassung

Bei der Zusammenfassung der Ausführungen zur Frage ob und gegebenen-falls in welchem Ausmaß ein Legitimationsdefizit der EU vorliegt, wird auf die in den Kapiteln 3.2.1. (Input-Legitimation) und 3.2.2. (Output-Legiti-mation) aufgestellten Kriterienkataloge zurückgegriffen. Die gewonnenen Erkenntnisse über die Legitimationsperformance der EU werden diesen Kri-terien in Form des Erfüllungsgrades gegenübergestellt (Tabelle 2).

Hinsichtlich der Frage einer europäischen Identität ist wie bereits oben ausführlicher dargestellt zusammenfassend festzuhalten, dass das Vorhanden-sein einer derartigen Identität schlicht zu verneinen ist. Dieser Mangel ist jedoch nicht als isoliertes Phänomen, sondern in engem Zusammenhang mit den Schwächen im Bereich der Partizipation und der Vermittlung der Inhalte zu sehen (Tabelle 3).

V. Résumé und mögliche Lösungsansätze

Gegenstand und Ausgangspunkt der vorliegenden Überlegungen war der Umstand, dass durch die Existenz der Europäischen Union als supranatio-naler Organisation eine neuartige hoheitliche Struktur geschaffen worden ist, die ein Regieren jenseits des Staates ermöglicht. Durch diese Struktur werden Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten nicht mehr von diesen selbst, son-dern von der von ihnen geschaffenen Organisation wahrgenommen. Dieser Vorgang der Souveränitätsübertragung rechtfertigt die Überprüfung der Legitimation der Europäischen Union.

88 Betrachtet man die Zeitreihe in Abb. 9 so kann auch nicht unbedingt der Schluss gezogen werden, dass die verschiedenen Erweiterungen – und damit die Vergrößerung der europäischen Bevölkerung mit allen Begleiterscheinungen, insbesondere der weiteren Diver-sifizierung – signifikant dazu beigetragen hätten, dass sich keine europäische Identität ent-wickelt.

89 S Kapitel IV C.

K. H. Fischer362

Tabelle 2. Input-Legitimation

Kriterien Erfüllungsgrad

Ein kontrollier-barer,

Das Kriterium der Kontrollierbarkeit kann insoferne als erfüllt angesehen werden, als die EU nach rechtsstaatlichen Prinzipien aufgebaut ist und so-wohl die parlamentarische Kontrolle sichergestellt ist, als auch diejenige durch den Gerichtshof und den Rechnungshof.

nachvollzieh-barer und

Das Kriterium der Nachvollziehbarkeit ist einerseits nach objektiven, an-dererseits nach subjektiven Maßstäben zu beurteilen. In objektiver Hinsicht ist die Nachvollziehbarkeit der Handlungen auf EU-Ebene gegeben, da die Verfahren nach festgelegten und kontrollierbaren Gesetzmäßigkeiten ablau-fen. In subjektiver Hinsicht können sich aber Defizite ergeben, da die Ver-fahren als Expertenverfahren zu bezeichnen sind, die für den durchschnitt-lichen (Rechts-) Unterworfenen nur schwer verständlich wirken.

transparenter Entschei-dungsprozess

Das Kriterium der Transparenz lässt jedenfalls zu wünschen übrig. Erst durch den Beschluss des Europäischen Rates vom 16. Juni 2006 werden Ratstagungen öffentlich, wobei auch hier eine Einschränkung vorgenommen wird, als nur diejenigen Sitzungen unter den Transparenzbeschluss fallen, auf die das Kodezisionsverfahren angewendet wird. In allen anderen Fällen ob-liegt es dem Rat, ob er die Öffentlichkeit zulassen will. Durch diesen Trans-parenzbeschluss wird vor allem öffentlich, welcher Mitgliedstaat sich für oder gegen einen EU-Gesetzesbeschluss ausspricht oder sich der Stimme enthält; damit werden die europäischen Bürger erstmals in die Lage versetzt, sich über das Abstimmungsverhalten ihrer jeweiligen nationalen Regierung in der EU zu informieren. Hier hat das EP bereits Standards gesetzt, da seine Sitzungen grundsätzlich öffentlich sind.

Partizipation der Betroffenen

Die Partizipation der europäischen Bürger am Entscheidungsfindungsprozess der EU hat sich über die Jahre hinweg lediglich dahin verbessert, als das EP direkt gewählt werden kann. Weitere Partizipationsmöglichkeiten bestehen allenfalls in der Beteiligung an Diskussionen über Grün- oder Weißbücher der EK. Andere Partizipationsmöglichkeiten für den/die einzelne/n Bürger/In bestehen nicht.Durch die Öffnung des Zugangs für die organisierte Zivilgesellschaft wurde aber eine zweite Schiene eröffnet, die zumindest auf diese Art die Partizipa-tion der Betroffenen – wenn auch indirekt – ermöglicht.

Vermittlung der in Frage stehenden Interessen

Die Vermittlung der in Frage stehenden Interessen scheint kein prioritäres Anliegen der EU zu sein. Die finanziellen Mittel, die dafür zur Verfügung ste-hen, werden offenbar nicht derart eingesetzt, dass den europäischen Bürgern ein so genannter europäischer Mehrwert der EU-Handlungen vermittelt wird.

Egalität Die Egalität hinsichtlich des Zugangs zu Informationen respektive zum Entscheidungsfindungsprozess ist, wie bereits dargestellt, gegeben. Die Ega-lität ist jedoch ohne effektive Zugangsmöglichkeit nur eine hohle Phrase, die so nicht dazu beitragen kann, die Input-Legitimation zu stärken.

Demokratie und Rechts-staat als Gestaltungs-prinzipien

Das Vorhandensein dieser beiden Gestaltungsprinzipien kann aus objektiver Sicht außer Frage gestellt werden. Auch die Zustimmungswerte der euro-päischen Bevölkerung sprechen für die – subjektive – Erfüllung dieser Kri-terien.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 363

Tabelle 3. Output-Legitimation

Kriterien Erfüllungsgrad

Effektive Problemlösung

Das Kriterium der Problemlösungseffektivität ist naturgemäß schwer mit objektiven Kriterien zu messen. Die Anzahl der verabschiedeten Rechtsakte ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Fähigkeit Lösungen anzubieten.In ihrem Kernbereich – dem Binnenmarkt – ist die EU jedenfalls ef-fektiv, die Errichtung und Sicherstellung des Binnenmarktes erfolgt effektiv und sicher.In den anderen EU-Kompetenzen ist gerade der Sektor Umwelt als Beispiel anzuführen, in dem ein sehr hoher Grad an Problemlösungs-kompetenz erreicht wurde und gehalten werden kann.Obwohl der intergouvernementalen Säule ZBJI zugehörig, zeigen auch die Anstrengungen im Bereich einer gemeinsamen Asyl- und Migra-tionspolitik – zumindest – den Willen zur Problemlösung.Der zweite intergouvernementale Bereich, die GASP, zeigt aber die Grenzen der Problemlösungskompetenz der EU drastisch auf. Die ge-meinsamen außenpolitischen Handlungen der EU erschöpfen sich re-gelmäßig in Stellungnahmen oder Entschließungen. Die in den letzten Jahren beschlossenen Militäraktionen, wie beispielsweise am Balkan oder im Juli 2006 im Kongo, sind jedoch nicht unbedingt als populär einzustufen, auch wenn sie – zumindest die bisher ab- respektive ange-laufenen – als Erfolg zu bewerten sind.Das größte Problem bietet sich aber unzweifelhaft im Sektor Wettbe-werb und Beschäftigung. Das selbst gesetzte wettbewerbsorientierte Ziel, im Jahre 2010 der wirtschaftlich stärkste wissensbasierte Raum der Welt zu sein (= Lissabon-Ziel) scheint nach derzeitiger Einschätzung kaum mehr erfüllbar zu sein. Im Beschäftigungssektor ist die EU mit weiter steigenden Arbeitslosenzahlen konfrontiert, ohne ein adäquates Mittel zu finden, eine Trendwende herbeizuführen. Sie agiert damit kaum erfolgreicher als die einzelnen Mitgliedstaaten (von einigen weni-gen Ausnahmen wie Luxemburg, Finnland und Österreich abgesehen).

Akzeptanz durch die Betroffenen

Die Akzeptanz der europäischen Bürger/Innen ist – wie auch die dar-gestellten Umfragewerte zeigen – im Sinken begriffen. Mit abneh-mender Problemlösungskapazität nimmt demnach auch die Akzeptanz – wenn auch gegebenenfalls etwas zeitversetzt – ab.Bei diesem Kriterium zeigt sich aber auch die mögliche Schwäche des Systems der Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft. Nahezu jeder EU-Akt im wirtschaftlichen Bereich wird von einer gegebenen-falls negativ betroffenen Lobby so lange kritisiert, bis eine – wenn auch marginale – Änderung vorgenommen wird; dass bei diesen Interventi-onen eher Verbands- als Allgemeininteressen im Vordergrund stehen, ist zumindest nicht a priori zu negieren.

Sozialstaatlichkeit, Marktwirtschaft und Wohlfahrt-staatlichkeit als Gestaltungsprin-zipien

Aus objektiver Sicht sind die Kriterien Sozialstaatlichkeit und Markt-wirtschaftlichkeit gegeben. Hinsichtlich der Wohlfahrtstaatlichkeit ist ein positiver Schluss insoferne zu ziehen, als EU-Entscheidungen schon qua System der Entscheidungsfindung dem Wohl aller Beteiligten dienen müssen respektive zumindest einer qualifizierten Mehrheit, da ansonsten kein Beschluss zustande käme.

K. H. Fischer364

Die Globalisierung der Wirtschafts- und Außenpolitik konfrontiert Na-tionalstaaten mit immer komplexeren Prozessen, die sich wechselseitig be-dingen und auf einzelstaatlicher Ebene nicht mehr befriedigend gelöst wer-den können. Mit dieser Globalisierung im politischen Bereich geht eine steigende Mobilität von Kapital, Waren, Dienstleistungen, Unternehmen und Arbeitnehmern einher, wodurch die Handlungsfähigkeit der Einzelstaa-ten weiter eingeschränkt wird, da sich die betreffenden Entitäten durch ihre Mobilität dem Zugriff und der Regelungsmöglichkeit des Staates – völlig legal – entziehen. Nationale Steuerungsinstrumente verlieren somit an Wir-kung. Eine Kapitulation des Einzelstaates verbunden mit einem Rückzug von der Regelungsverantwortung ist jedoch – sowohl politisch als auch wirtschaftlich – inakzeptabel. Gleiches gilt auch hinsichtlich der Wahrneh-mung wirtschaftlicher Interessen auf internationaler Ebene, namentlich im Rahmen der WTO. Die Vertretung partikularer Einzelstaatsinteressen auf dieser Ebene ist kaum mit Erfolgsaussichten verbunden.

Aus diesen Überlegungen heraus ist die Entscheidung, sich derartiger Problemfelder auf einer Ebene jenseits des Staates anzunehmen und qua supranationaler Organisation zu lösen logisch und folgerichtig. Das gemein-same Interesse an Problemlösungen legitimiert einen derartigen Zusammen-schluss per se. Eine Daseinsberechtigung für die Europäische Union kann daher jedenfalls als gegeben angesehen werden.

Wie dargestellt ist die outputseitige Legitimation der EU grundsätzlich als vorhanden einzustufen, wiewohl einzuräumen ist, dass die Problem-lösungskapazität mit zunehmender Kompetenzenfülle bei gleichzeitiger Ab-nahme der institutionellen Voraussetzungen sinkt.

Selbst wenn man der EU zugestehen würde, einen optimalen Output zu erreichen und damit ihre Legitimation auf dieser Seite völlig zu erfüllen, stellt sich dennoch die Frage, ob dies für ihre Legitimation ausreicht, oder ob auf Grund eines Defizits auf der Input-Seite nicht die gesamte Legitima-tion in Frage gestellt werden muss.

Die Legitimationsfrage der EU in ihrer Gesamtheit ist nicht nur für die Union selber entscheidend, sie ist auch von großer Bedeutung für die Ent-scheidungsträger auf nationaler Ebene. Jede der beteiligten Regierungsebe-nen – supranational, national und subnational – ist durch die starke Verflech-tung in Folge der Integration immer mehr auch von der Legitimität der anderen Ebenen abhängig. Gerät eine Ebene aus der Legitimitätsbalance, so hat dies mittel- bis langfristig Auswirkungen auf die anderen Ebenen.

Wenn also die Output-Legitimation ins Wanken gerät, gewinnt die Frage der Input-Legitimation immer mehr an Bedeutung. Die Demokratie- und Input-Legitimationsfrage zu stellen ist nicht nur legitim, sondern not-wendig, die demokratischen Elemente des Systems sind jedenfalls zu stärken. Dabei ist deliberative und partizipative Politik in einem komplexen Mehr-ebenensystem jedoch anders zu betrachten als in einem einfachen System. So

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sind Volksabstimmungen oder ähnliche Elemente der direkten Demokratie zur Legitimation einfacher Entscheidungen von großem verfassungspoli-tischen Gewicht und zur Korrektur deutlicher Divergenzen zwischen der organisierten Politik und der tatsächlichen Wählermeinung geeignet, nicht jedoch für die Bewältigung der Quantität und Komplexität, die in Mehr-ebenensystemen in einem globalisierten politischen und wirtschaftlichen Umfeld auftreten.90 Dies wäre jedoch auch nicht zielführend. Vielmehr ist wohl eher davon auszugehen, dass die Legitimationskraft des demokratischen Prozesses nicht nur in der Partizipation und der Anhäufung von erwünschten Ergebnissen gefunden werden kann, sondern im schlichten Zugang zu Pro-zessen, die eine derartige Qualität aufweisen, dass rational akzeptable Ent-scheidungen mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit erreicht werden können. 91

Die Output-Legitimation der EU ist offenbar nicht mehr überzeugend genug, um die Input-Defizite derart auszugleichen, dass diese nicht hinter-fragt werden. Ein dementsprechender Handlungsbedarf auf europäischer Ebene ist demnach gegeben.

A. Neugründung?

Nicht zuletzt beim Europäischen Rat im Dezember 2003 stellten einige Regierungschefs – im Angesicht des nahen Scheiterns der Regierungskon-ferenz über den EUVV – die Frage, ob die EU in ihrer derzeitigen Kon-stellation aufgelöst und eine völlig neue Union gegründet werden sollte. Als Mitgliedstaaten sollte gleichsam eine Koalition der Willigen zusam-menkommen, die bereit wären, radikale Reformschritte zu unterstützen. Gegen einen derartigen Schritt sprachen zu diesem Zeitpunkt und spre-chen auch heute einige gewichtige Argumente, so beispielsweise die Frage, ob es nach einer Auflösung der derzeitigen EU überhaupt zu einer Neu-gründung kommt. Beachtet man die schwierigen Verhandlungen, bei Ver-tragsänderungen am grundsätzlichen Gefüge Änderungen vorzunehmen, so ist der Schluss zulässig, dass eine Neuverhandlung ergebnislos verlaufen könnte. Bereits erreichte Integrationsergebnisse, die immerhin auf eine beinahe fünfzigjährige Entwicklung blicken können, würden dadurch nicht nur in Frage gestellt, sondern könnten sogar endgültig verloren gehen. Selbst bei einer erfolgreichen Neugründung wären die Folgen im Verhält-nis zu den nicht teilnehmenden – ehemaligen – Mitgliedstaaten schier un-absehbar, namentlich hinsichtlich der gemeinsamen Währung und Wirt-schaftspolitik.

90 S Scharpf, Demokratie in der transnationalen Politik, 10.91 S Habermas, The Postnational Constellation and the Future of Democracy, in The

Postnational Constellation – Political Essays (2001) 110.

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Eine Neugründung ist in jedem Fall als ultissima ratio anzusehen und auf Grund des Risikos des Scheiterns als realistische Lösungsmöglichkeit auszuschließen.

B. Änderung der Strukturen?

Mit der Änderung der Strukturen wird in der europapolitischen Diskussion meist der Terminus Institutionelle Reform in Verbindung gebracht. Eine derartige Sichtweise, die sich mit dem inneren Aufbau der Organe und Ein-richtungen beschäftigt und die vorhandenen Entscheidungsfindungsprozesse zu optimieren beabsichtigt, geht aber nicht weit genug. Die Reform dieser Bereiche ist unbestreitbar notwendig und würde in dem im Ratifikations-verfahren befindlichen EUVV eine erste adäquate Lösung finden. Der EUVV enthält einerseits Elemente der Optimierung der derzeitigen Entscheidungs-prozesse, andererseits werden diese Verfahren nicht unbedingt einfacher und transparenter. Die Einbeziehung von Elementen der partizipativen Demo-kratie, namentlich durch die Möglichkeit, die Kommission zu einem Rechts-vorschlag durch Aufbringung von einer Million Unterstützungserklärungen auffordern zu können, gehen in die richtige Richtung; ebenso wie die ver-stärkte Einbeziehung der nationalen Parlamente. Die Lösung der institutio-nellen Frage alleine reicht aber nicht aus, um gegebene Legitimationsdefizite auszugleichen.

C. Besinnung auf die Kernaufgaben, klare Kompetenzregelungen und konsequente Umsetzung der Prinzipien der Subsidiarität und

Proportionalität?

Wie bereits mehrfach angesprochen, wurden der EU von den Mitgliedstaaten über die Jahre hinweg immer mehr Kompetenzen übertragen. Gelegentlich kann und wird die Frage nach der Notwendigkeit der Nationalstaaten ge-stellt. Ein derart radikaler Ansatz ist jedoch abzulehnen, alleine schon in Anbetracht der Ermangelung eines europäischen Identitätsgefühls.

Der Kern des Problems mag aber dennoch in der steigenden Kompe-tenzenfülle der Union liegen. Einerseits soll und will sie die Nationalstaaten nicht ersetzen oder verdrängen, andererseits wird der mitgliedstaatliche Handlungsspielraum immer enger.

Eine Übertragung von Kompetenzen an die EU wird von den Bevölke-rungen solange akzeptiert werden, als diese in der Lage ist, adäquate Lösungen zu finden, die von der Allgemeinheit mitgetragen werden. Dazu müsste die europäische Bevölkerung jedoch auch ein klares Bild haben, welche Regie-rungsebene – supranational oder national – für welches Politikfeld zuständig ist. Erst eine derartige klare Kompetenzenabgrenzung ermöglicht die Prüfung der Lösungskompetenz. Diffuse Zuständigkeiten oder zumindest die Wahr-

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nehmung eines diffusen Zustands, verhindert auch die Möglichkeit einen Mehrwert in der Übertragung von Kompetenzen zu erkennen. Dies bedeutet keineswegs eine Renationalisierung der vorhandenen EU-Kompetenzen, son-dern lediglich eine eindeutigere Zuweisung der Handlungsebenen.

Das Prinzip der Subsidiarität ist zwar in den Verträgen verankert, seine Umsetzung lässt aber eindeutig zu wünschen übrig.92 Ein Einschreiten der supranationalen Ebene sollte nur dann beschlossen werden, wenn dadurch ein eindeutiger Mehrwert für alle Mitgliedstaaten erreicht, respektive wenn auf mitgliedstaatlicher Ebene keine ausreichende Lösung gefunden werden kann. Dadurch wird verdeutlicht, dass die Union nicht in alle Lebensbereiche hineinregiert, sondern nur dann aktiv wird, wenn es zum Wohle aller not-wendig und geboten ist.

Gleiches gilt für das Prinzip der Proportionalität. Auch in diesem Falle gilt, dass Maßnahmen nur in demjenigen Ausmaß getroffen werden sollten, die zur Lösung der anstehenden Materie unabdingbar notwendig sind. Ein Zuviel an Regelungen, das das Gefühl vermittelt, keinen Raum für freie Entfaltung mehr zu gewähren, ist kontraproduktiv.

Die Anwendung dieser Prinzipien führt konsequent zu einer (Rück-) Besinnung auf die Kernaufgaben der Europäischen Union und verleiht ihr damit eine gestärkte Output-Legitimation.

D. Verstärkte Einbindung der europäischen Bevölkerung in den Integrationsprozess?

Die vorhandenen Defizite im Bereich der Input-Legitimation bedürfen eben-falls eines Maßnahmenbündels. Die Einbeziehung der europäischen Bevöl-kerung muss dergestalt erfolgen, dass sie wieder das Gefühl zurückerlangt, Teil des Systems zu sein, also Akteur und nicht nur Betroffener. Diese Ein-bindung kann nur durch Transparenz, aktive Informations- und Kommuni-kationspolitik und Öffnung des Zugangs zu den Prozessen erfolgen.

VI. Schlussbemerkungen

Eines sei zu allerletzt festgehalten: Die Europäische Union ist keine statische Einheit, seit ihrer Entstehung hat sie einen andauernden Transformations-prozess durchlaufen, der mit dem status quo nicht beendet ist. So beginnt auch der EUV93 mit der Feststellung, dass dieser Vertrag eine neue Stufe bei

92 Dies ist nicht zuletzt in der unter österreichischem Vorsitz veranstalteten Subsidiari-tätskonferenz am 18. und 19. April 2006 zum Ausdruck gekommen und hat seinen Nieder-schlag anlässlich des Europäischen Rates am 15. und 16. Juni 2006 in den Schlussfolgerungen des Vorsitzes gefunden.

93 Art 1 EUV.

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der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas darstellt, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getrof-fen werden. Die Europäische Union wird sich weiterentwickeln und sie wird – wenn sie überleben will – ihre Defizite wettmachen müssen.

Es wird aber an den Mitgliedstaaten liegen, ob diese Defizite ausgeglichen werden können, denn sie waren, sind und werden die Herren der Verträge sein, und sind so dafür bestimmend, in welche Richtung die Europäische Union gehen wird.

Summary

The joining together of nation states in international organisations and the subsequent partial transfer of sovereignty rights raises the question to what extent the autonomy of nation states’ governments is delimited in its effec-tiveness and scope. The questioning of autonomy is based on the fact that governance beyond the nation state stays in direct competition with govern-ing a (fully) sovereign nation state. The question becomes even more sig-nificant in the case of joining a supranational organisation because of that particular organisation’s ability to bind the member states by majority deci-sions. Supranational governance creates a new form of sovereignty thus overcoming the connection between (i) national territory, (ii) political rule, and (iii) the organisation principle of the nation state – hitherto regarded as an indissoluble correlation. The European Union as a form of governance beyond the nation state – and archetype of a supranational organisation – takes over the tasks of nation states in those policy fields being transferred (or even better: handed over) by the member states and thus executing pub-lic sovereignty. This power transfer in particular justifies questioning and analysing the legitimation of such an organisation. It has to be scrutinised if such an organisation fulfils the same legitimation requirements as a nation state, or if there are legitimation deficits.

A thorough analysis of the output and input legitimation of the Euro-pean Union leads to the conclusion that the output legitimation is obvi-ously not longer sufficient enough to compensate for input legitimation deficits. Three potential solutions are presented and analysed, the analysis leading to the proposal to (i) adapt the institutional structure, (ii) concentrate on core tasks, (iii) clearly structure the spheres of competence, and (iv) con-sistently implement the principles of subsidiarity and proportionality; fur-thermore, it would be essential to more strongly involve the European people in the development of an ever closer European Union at the same time.

Die Legitimation von supranationalen Organisationen 369

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Korrespondenz: Priv.-Doz. Dr. Klemens H. Fischer, Gesandter und Abteilungsleiter, Stän-dige Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union, Avenue de Cortenbergh 30, 1040 Brüssel, Belgien, e-mail: [email protected], homepage: http://users.skynet.be/klemens.fischer

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