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1 Die Lehre des Zen- Buddhismus

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Die Lehre des Zen-Buddhismus

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Die Lehre des Zen-Buddhismus Zen-Buddhismus ist die Ausprägung einer buddhistischen Strömung innerhalb des Mahayana, die ab dem 5. Jahrhundert zunächst in China entstand und hier Gedanken des Taoismus auf-nahm. Ab dem 12. Jahrhundert hat sich der Zen-Buddhismus auch in Japan ausgebreitet. Zen ist wie der Mahayana-Buddhismus insgesamt von der Leerheit überzeugt. Es gibt nichts. Er zieht aus dieser Einsicht besondere Konsequenzen. Es gibt in diesem Leben nichts zu erreichen. Es gibt keine Aufgabe und kein Ziel. Der Zen-Meister Ikkyū Sōjun sagt einem Belehrung suchenden Schüler: Ich würde gerne irgend etwas anbieten, um Dir zu helfen, aber im Zen haben wir überhaupt nichts. Es bleibt nur das achtsame und gleichzeitig gedankenlose Nachgehen der alltäglichen Ver-richtungen. Der Zen-Meister Shunryu Suzuki sagt: Zen ist nicht etwas Aufregendes, sondern Konzentration auf deine alltäglichen Verrichtungen. Auf diese Weise gelingt es, sich aus den Verstrickungen der Scheinwelt zu lösen und mit der absoluten Leerheit eins zu werden, die allen und allem gemeinsam ist. Der Zen-Meister Do-gen sagt: Den Weg zu studieren heißt sich selbst zu studieren. Sich selbst zu studieren heißt sich selbst vergessen. Sich selbst zu vergessen bedeutet eins zu werden mit allen Existenzen. Erlösung bedeutet, sich der Leerheit und gleichzeitig der Zugehörigkeit zu allem bewusst zu werden. Das gelingt durch Meditation, die aufdeckt, dass diese Grunderfahrung bereits in jedem Menschen vorhanden ist, jedoch durch selbstbezogenes Denken und den Irrglauben von der Existenz eines eigenständigen Ich verdunkelt wird. Es ist die Aufgabe, sich von sich selbst zu lösen und die störende und beunruhigende Gedankenflut in sich zur Ruhe zu brin-gen. Der Zen-Meister Sengcan sagt: Wenn unser Geist die Ruhe findet, verschwindet er von selbst. Eine besonders wirksame Methode der Meditation ist das Zazen, das Stillsitzen in einer be-sonderen Haltung. Es soll Körper und Geist zur Ruhe bringen und die mystische Erfahrung mit dem Absoluten vorbereiten. Philip Kaplau sagt: Die Einzigartigkeit von Zazen liegt in folgendem: Der Geist wird dabei aus der Knechtschaft aller und jeglicher Gedankenformen, Visionen, Dinge und Vorstellungen befreit, wie heilig und erhaben sie auch sein mögen, und in einen Zustand vollkommener Leere versetzt, aus dem allein heraus er eines Tages seines eigenen wahren Wesens oder des Wesens des Welt-alls inne werden kann. Der Zen-Buddhismus legt besonderen Wert auf die Überzeugung, dass rationales Denken und die damit verbundene Sprache sinnlos sind und nur von der wahren Erkenntnis ablenken. Die Rätselsprüche der Koans sollen das verdeutlichen. Sie haben keine Lösung und dienen allein dem Zweck zu zeigen, wie irreführend rationales Denken und Sprache sind. Der Zen-Meister Ekai sagt:

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Worte können nicht alles beschreiben. Des Herzens Botschaft lässt sich nicht in Worte fassen. Wer Worte wörtlich nimmt, ist verloren. Wer mit Worten zu erklären versucht, Kann keine Einsicht ins Leben gewinnen. Der Zen-Buddhismus hat in der gegenwärtigen Zeit im Westen an Attraktivität gewonnen. Auch die christlichen Kirchen empfinden zum Teil eine gedankliche Nähe. Zu erwähnen ist hier z.B. der Jesuit und Zen-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898 - 1990). Kenneth S. Leong sagt: Echte Liebe bedeutet den Tod des Ego, des falschen Selbst. Hier treffen sich Zen und christli-che Liebe. Liebe ist nur möglich, wenn man seinen Geist nicht an irgendetwas hängt, und das bedeutet, dass das Ego verschwindet. 1 Die Weltanschauung des Zen Was ist Zen? Eine Geschichte gibt darüber Auskunft: Ein Zen-Schüler geht zu einem Zen-Meister, um endlich zu erfahren, was Zen sei. Er trägt dem Meister sein Anliegen vor und bittet um Unterweisung. Der Meister hört ihm zu und weist ihn an, sich in der Zazen-Haltung neben ihn zu setzen. Nachdem der Schüler eine Weile ruhig sitzend neben dem Meister wartet, fängt er an unruhig zu werden. Schließlich schaut er den Meister fragend an, worauf dieser sich zu ihm umdreht und sagt: "Nichts wird mehr pas-sieren. Das ist alles." Die Philosophie des Zen bedeutet einen radikalen Nihilismus. Es gibt nichts außer der Leer-heit. Es gibt daher auch nichts zu erkennen. Und es gibt auch keine Lebensaufgabe. Einige Zitate unterschiedlicher Anhänger des Zen belegen das: Alle religiösen Systeme und philosophischen Lehren sind in den Augen des Zen nichts weiter als gehirnakrobatische Spekulation und eine Anhäufung von intellektuellem Sperrmüll und deshalb ohne jeden Wert. Macht euch frei von allem, was ihr in euch oder außerhalb von euch findet - Religion, Tradi-tion und Gesellschaft -, denn nur so werdet ihr Befreiung finden. Die Leere, die wir als solche bezeichnen, ist die wahre Leere noch nicht. Die wahre Leere erfüllt unser Innesein erst, wenn auch der Gegensatz zwischen Leere und Nicht-Leere nicht mehr da ist. Das Zen bietet eine Antwort, indem es in Abrede stellt, dass Antworten nötig oder möglich sind. Stattdessen vertritt es die These, dass keinerlei Philosophie oder Religion in der Lage sei, die Wirklichkeit angemessen zu beschreiben. Es geht so weit, dies auch auf sich selbst anzuwenden: Wenn man das Zen versteht, lernt man vor allem, es hinter sich zu lassen. Ein Zen-Meister sagte zu seinem Schüler: „Wenn du dem Buddha begegnest, töte ihn!“

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Er meinte damit, dass der Schüler seine Vorstellung von Buddha töten müsse, damit er den wirklichen Buddha direkt erfahren könne. Das Gewahrwerden der Leerheit kann nicht angestrebt werden. Es ergibt sich von selbst. Ins-besondere führen das Ernstnehmen der Scheinwelt und das Denken in die Irre. Wenn du die unmittelbare Erfahrung des Zen wünschst, so suche sie vor allem nicht. Was durch Suchen erlangt wird, ist schon durch das Denken verunreinigt. Zen bedeutet das Erwachen zu unserer grundlegenden Buddha-Natur und das nicht Gestört-werden von dem oberflächlichen Hin- und Herschwenken unserer Gedanken. Es ist nichts anderes als die Erfahrung der Erleuchtung an sich. Wenn du Versenkung übst, dann sitze in der richtigen Haltung, verharre in vollkommener Ruhe und erlaube nicht der geringsten Denkbewegung, dich zu stören. Dies allein ist es, was man Befreiung nennt. Ein Mönch fragt den Zen-Meister: „Was passiert, wenn man meditiert? “ Der Zen-Meister antwortet: „Nichts. “ Ein Mönch fragt den Zen-Meister: „Wie kann ich in Zen eintreten?“ Der Zen-Meister antwortet: „Hörst du das Murmeln des Baches?“ Darauf der Mönch: „Ja, Meister.“ Der Meister sagt: „Dort ist dein Eingang.“ Um aus der Verhexung herauszukommen, die der Verstand und das Denken bewirken, wer-den Geschichten und Sentenzen erzählt, die an sich paradox und unlogisch sind und das Un-vermögen dokumentieren sollen, überhaupt sinnvolle Aussagen machen zu können. Oftmals werden auf Fragen Antworten gegeben, die mit der Frage nichts zu tun haben, um damit deut-lich zu machen, dass allein das Fragen schon ein Irrweg ist. Ein Mönch fragt den Zen-Meister Joshu: „Was ist Dhyana?“ Joshu antwortet: „Es ist Nicht-Dhyana.“ Der Mönch fragt nochmals: „Wie kann Dhyana zugleich Nicht-Dhyana sein?“ Joshu sagt daraufhin nur: „Es ist lebendig, lebendig.“ Ein Mönch fragt den Zen-Meister Fuketsu: „Ohne zu sprechen, ohne zu schweigen, wie kann man da die Leere ausdrücken?“ Fuketsu antwortet: „Ich erinnere mich immer an den Frühling in Süd-China. Die Vögel sin-gen inmitten unzähliger Arten von Blumen.“ Ein Koan gehört zur Ausbildung eines Zen-Schülers durch einen Zen-Meister. Es handelt sich um Fragen, die an sich keine wirkliche Antwort ermöglichen. In der Meditation soll sich der Schüler damit auseinandersetzen. Einige berühmt gewordene Koans sind die folgenden:

Was sieht man in einem leeren Spiegel?

Wie klingt das Klatschen einer Hand?

Welches Gesicht hat man vor der Empfängnis?

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Man sieht, dass diese Fragen keine vernünftige Antwort haben. Die Hilflosigkeit, in die der Schüler dadurch gestürzt wird, soll ihm deutlich machen, dass alles Denken sinnlos ist und nicht zum Gewahrwerden der eigentlichen Wirklichkeit führt. Er wird dadurch in die Leerheit und das Nichts als das einzig Wirkliche hinausgestoßen. Die trügerische Sicherheit, die ihn an eine tatsächliche Lebenswelt bindet, wird ihm genommen. Was bleibt dem einzelnen Menschen angesichts der Sinnlosigkeit allen Seins zu tun übrig? Man kann bewusst und gezielt den alltäglichen Beschäftigungen nachgehen und in der acht-samen Ausübung dieser Beschäftigung seine Aufgabe sehen. Hierzu gehören auch ganz ein-fache Tätigkeiten wie z.B. das Fegen des Fußbodens. Es kommt dabei auf die innere Haltung an und nicht auf das Resultat oder auf die Zeit, in der man etwas schafft. Ein Mönch fragt den Zen-Meister: „Was muss ich tun, um Erleuchtung zu erlangen?“ Der Zen-Meister antwortet: „Holz hacken und Wasser holen!“ Der Mönch fragt weiter: „Und was soll ich nach der Erleuchtung tun?“ Der Zen-Meister antwortet: „Holz hacken und Wasser holen!“ 2 Die Kultur des Zen Zen hat in Japan eindrucksvolle Kulturleistungen hervorgebracht, die in unterschiedlicher Weise die grundsätzlichen Einsichten des Zen verdeutlichen sollen. Allerdings deutet das noch nicht darauf hin, dass diese Einsichten dadurch auch gerechtfertigt wären. Es soll versucht werden, an Hand der kulturellen Leistungen ein vertieftes Verständnis des Zen zu gewinnen. Nun entspricht es der Überzeugung des Zen, dass alle Versuche, das Absolute zu beschreiben oder in Bilder zu fassen, ergebnislos bleiben müssen. Dennoch haben sie einen propädeuti-schen Charakter. Sie sind wie ein Finger, der auf den Mond zeigt. Sie sind nicht der Mond selbst. Hierzu gehört: * Der Zen-Garten * Die Tee-Zeremonie * Ikebana, die Kunst des Blumensteckens * Gedichte in Haiku-Form * Farbholzschnitte * Die Kunst des Bogenschießen * Kalligrafie 2.1 Der Zen-Garten Der Trockengarten ist eine Sonderform des japanischen Gartens. Er besteht nur aus gehark-tem Sand und Steinen in asymmetrischer Anordnung. Der Sand stellen Wasserlinien dar. Sie werden so gezogen, dass möglichst kein Anfang und kein Ende zu sehen ist. Die Anordnung der Steine darf keine geometrische Form ergeben, ganz in Anlehnung an die zufällige Struktur der Natur. Auch sollte keine gerade Anzahl von Steinen verwendet werden. Der Garten dient ausschließlich der Meditation und soll dazu beitragen, dass sich der Geist beruhigt und die Gedankenflucht ihre Kraft verliert. Das Gewahrwerden der Leerheit soll sich einstellen können.

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2.2 Die Tee-Zeremonie Die Tee-Zeremonie ist eine in ihrem Ablauf bestimmten Regeln folgende Zusammenkunft, bei der ein oder mehrere Gäste von einem Gastgeber Tee und leichte Speisen gereicht be-kommen. Um dem Gast die Möglichkeit zur inneren Einkehr zu bieten, findet die Zusammen-kunft in einem bewusst schlicht eingerichteten Teehaus statt. Durch das konzentrierte und hingebungsvolle Tun verschwindet die Außenwelt und öffnet sich das innere Bewusstsein für eine spirituelle Erfahrung. Die angerichteten Speisen und verwendeten Teeutensilien sind harmonisch aufeinander abge-stimmt. Diese Harmonie soll zum Einklang mit der Natur und zum Verständnis der Leerheit allen Seins führen. Eine Tee-Zeremonie ist ein Ritual wie ein Gottesdienst.

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2.3 Ikebana, die Kunst des Blumensteckens Eine vergleichbare Einstellung soll durch Ikebana, das Blumenstecken, erreicht werden. Die Anzahl der Blumen und Zweige ist auf ein Minimum beschränkt. Diese sind in Form eines Dreiecks angeordnet, um die Zusammengehörigkeit von Himmel, Erde und Mensch zu sym-bolisieren. Beim Anordnen soll Schweigen herrschen, um sich von der Geschäftigkeit und dem Lärm der Alltagswelt lösen zu können und um das Bewusstsein der Alleinheit entstehen zu lassen.

2.4 Gedichte in Haiku-Form Der amerikanische Japanologe Donald Keene sagt: Ein Haiku hat als Ursprung das menschliche Herz, und ihm entsprießen unzählige Blätter von Wörtern. Viele Dinge ergreifen die Menschen in diesem Leben: Sie versuchen dann, ihre Ge-fühle und Empfindungen durch Bilder auszudrücken, die sie dem entnehmen, was sie sehen und hören. Ein Haiku beschreibt eine eigentlich ganz unscheinbare Situation und ein eher kleines, am Rande liegendes Ereignis. Hierdurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass alles, das Größte und das Kleinste, von gleicher Bedeutung ist. Es wird fast nichts ausgesagt. Und gerade dieses Nichts soll das Bewusstsein für die Erfah-rung öffnen, wie nebensächlich und unwichtig die alltäglichen Beschäftigungen sind, die den Menschen gefangen halten, ihn an die illusionäre Scheinwelt ketten und ihn blind machen für das Gewahrwerden der Leerheit. Das wohl berühmteste Haiku stammt von Matsuo Basho (1644 -1694): Der alte Weiher: Ein Frosch springt hinein. Oh! Das Geräusch des Wassers.

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Weitere Beispiele sind: Mit umgehängtem Mantel sieht ein alter Mönch zu den blühenden Kirschbäumen auf. Auf der Tempelglocke sitzt und schläft ein Schmetterling. 2.5 Farbholzschnitte Die Kunst der japanischen Farbholzschnitte ist dem Zen verpflichtet. Es herrscht in diesen Bildern eine große Ruhe und Weite, weitab von aller Aufregung und Hektik. Der Mensch ist eingebunden in eine Natur, die weit über ihn hinausragt und ihn nur zum unbedeutenden Teil eines viel umfassenderen Ganzen macht. Das Betrachten eines Bildes ist wie ein Zusichselbst-Kommen, das zu dieser inneren Einstel-lung führt. Hokusai (1760 – 1849) zeigt das durch seine Ansicht des Berges Fuji.

2.6 Die Kunst des Bogenschießens Das Bogenschießen ist eine Kunst, die die Fähigkeit schulen soll, absichtslos und doch kon-zentriert und mit ganzer Hingabe eine ganz bestimmte Tätigkeit auszuführen. Selbstvergessen gibt man sich ganz einer Sache hin.

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Man sagt, dass es viele Jahre der Übung bedarf, bis man gelernt hat, den Bogen mit mühelo-ser Kraft zu spannen und die Sehne ohne Absicht loszulassen, damit der Pfeil wie von selbst losschnellt. Schütze, Bogen, Pfeil und Ziel werden eins. Man schießt nicht, „es“ schießt. Es entsteht eine innere Einstellung, die den ganzen Menschen umformt und sein Wesen verän-dert.

2.7 Kalligrafie Der Übende erfährt, wie die Lebensenergie aus der Körpermitte heraus während des Ausat-mens den Pinsel führt. Es ist ein Ritual, bei dem ein absichtsloses, nicht vom Willen gesteuer-tes Schreiben entsteht, wobei Körper, Geist, Pinsel, Tusche und Papier zu einer Einheit wer-den.

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2.8 Westliche Wissenschaft und Kunst Die östliche Kultur bemüht sich um ein Einswerden mit dem Absoluten. Im Zen-Buddhismus führt das zur konzentrierten Hingabe an eine Tätigkeit als Selbstzweck. Die westliche Kultur findet die Wirklichkeit dagegen nicht in sich selbst, sondern sieht die Welt immer als Gegenüber. Sie geht in Wissenschaft und Kunst von der Realität der Welt aus und versucht, ihre Gesetzmäßigkeiten zu ergründen.

So schafft z.B. ein Künstler nicht aus sich heraus, sondern er ist vielmehr bemüht, Formen zu finden, mit deren Hilfe er die Wirklichkeit seinen Vorstellungen entsprechend darstellen kann. Albrecht Dürer veröffentlichte 1525 sein Buch Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt.

Es ist die erste Zusammenfassung der mathematisch-geometrischen Verfahren der Zentralper-spektive und bildet damit auch die Grundlagen der perspektivischen Konstruktionsverfahren

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als Teilbereich der Darstellenden Geometrie. Es handelt sich um ein bewusstes und absichts-geleitetes Verhalten. 3 Kritische Zusammenfassung Es ist durchaus zweifelhaft, ob der radikale Nihilismus des Zen tatsächlich eine zutreffende Weltsicht darstellt. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zen muss die drei Aspekte einer Weltanschauung betrachten. Es geht um die Ontologie, die Erkenntnistheorie und um die Anthropologie. 3.1 Die Ontologie Die Ontologie beschäftigt sich mit der Frage nach dem Urgrund des Seins. Was ist es, das die Welt im Innersten zusammenhält? Es ist die Überzeugung aller Religionen, dass es hinter oder neben der Welt, wie sie erscheint, noch eine andere, transzendente Welt gibt, die wirklich existiert. Auch viele philosophische Systeme gehen von dieser Vorstellung aus. Zunächst gibt es keinen Grund anzunehmen, dass aus der Tatsache, dass es eine transzendente Welt gibt, folgt, dass die Alltagswelt deswegen nicht auch real und wirklich sein kann. Alle panentheistischen Systeme sind davon überzeugt. Auch die christliche Religion gehört dazu. Es gibt einen Gott und eine von ihm geschaffene, wirkliche Welt. Gott hat keine Schweinwelt geschaffen. Ein weiterer Schritt besteht in der Annahme, dass es zwar eine wirkliche transzendente Welt gibt, die Alltagswelt jedoch Illusion und Täuschung ist. Der Hinduismus ist ein Vertreter die-ser Vorstellung. Wirklich und real ist nur das Brahman. Die Alltagswelt ist ein Schattenspiel ohne Hintergrund. Der Zen-Buddhismus geht noch einen Schritt weiter und spricht sogar der transzendenten Welt jegliche Realität ab. Es gibt nur die Leerheit, die ein Nichts ist. Diese Meinung wird auch vom Mahayana-Buddhismus vertreten. Sie wird dort jedoch nie konsequent zu Ende gedacht. Rettend schieben sich transzendente Buddhas dazwischen, um die Leerheit auszufül-len und um etwas zu geben, das einen Boden unter den Füßen vermitteln kann. Die unterschiedlichen metaphysischen Möglichkeiten werden in der Religion und in der Phi-losophie von Menschengedenken an untersucht und diskutiert. Eine Entscheidung kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Es soll nur klargestellt werden, welche Position der Zen-Buddhismus in Bezug auf die Ontologie einnimmt. Es gibt allerdings gute Gründe, die zu-rückhaltend stimmen, den radikalen Nihilismus des Zen-Buddhismus als gültig anzuerkennen. 3.2 Die Erkenntnistheorie Die Erkenntnistheorie bemüht sich herauszufinden, welche Wege und Möglichkeiten es gibt, etwas über den Zustand der Welt zu erfahren. Das westliche Denken ist davon überzeugt, dass die Wirklichkeit real ist und auch erkannt werden kann. Die Sprache ist ein geeignetes Ausdrucks- und Beschreibungsmittel. Die groß-artigen Leistungen in den Naturwissenschaften und in den Humanwissenschaften sind ein Beleg dafür. Im Zen sind es unter anderem die Koans, die diese Aufgabe übernehmen. Allerdings wird eine sorgfältige Prüfung ergeben, dass es sich bei den Koans um einfache, fehlerhafte Überle-gungen handelt. Ein kurzer Blick in die Sprachphilosophie macht das deutlich.

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Die Sprache hat die Fähigkeit, Worte zu Aussagen zusammenzusetzen, die sinnvoll sind. Sinnvolle Aussagen sind z.B. die folgenden: Die Erde ist annähernd kugelförmig. Ein Hund bellt. Die Sprache hat jedoch auch noch die Möglichkeit, aus Worten Aussagen zu gestalten, die keinen Sinn ergeben. Die folgenden Aussagen sind Beispiele: Die Erde nießt, wenn sie erkältet ist. Ein Hund, geteilt durch eine Katze, ergibt die Zahl 5. Offensichtlich sind nicht alle Aussagen, die mit Hilfe von Worten zusammengestellt werden können, sinnvoll. Die Sprachphilosophie nennt Aussagen, die keinen Sinn ergeben, semanti-schen Unsinn. Nun sind Koans ganz offensichtlich Sätze, die in nicht zulässiger Weise Worte zu Aussagen zusammenfügen, die unsinnig sind. Es handelt sich um semantischen Unsinn. Beispiel: Wie klingt das Klatschen einer Hand? Mit zwei Händen kann man klatschen. Ein derartig zusammengestellter Satz ist sinnvoll. Mit einer Hand ist Klatschen unmöglich. Man kann zwar aus Worten einen derartigen Satz zusammenstellen, sinnvoll ist er nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Meditation über sinnlose Sätze die Unbrauchbarkeit der Sprache zur Beschreibung von Wirklichkeit zeigen soll. Ganz im Gegenteil macht die rational operierende Sprachphilosophie deutlich, welche Fehler zu vermeiden sind, wenn man keinen Unsinn reden will. 3.3 Die Anthropologie Die Anthropologie beschäftigt sich mit der Stellung des Menschen in der Welt. Was ist der Mensch? Und welche Bestimmung sieht er vor sich? Was ist sein Lebensziel? Wenn es nichts gibt und man daher auch nichts erkennen kann, gibt es auch keinen Lebens-sinn. In vieler Beziehung fühlt man sich beim Zen-Buddhismus an den Existentialismus der gegenwärtigen Zeit erinnert. Der Zen-Buddhismus sieht seine einzige und alleinige Aufgabe in der konzentrierten und be-wussten Ausführung der gerade anfallenden Tätigkeit. Es sei nochmals an die bereits be-schriebene, kleine Geschichte erinnert: Ein Mönch fragt den Zen-Meister: „Was muss ich tun, um Erleuchtung zu erlangen?“ Der Zen-Meister antwortet: „Holz hacken und Wasser holen!“ Der Mönch fragt weiter: „Und was soll ich nach der Erleuchtung tun?“ Der Zen-Meister antwortet: „Holz hacken und Wasser holen!“ Man hackt Holz und holt Wasser und sieht darin eine Aufgabe. Das erinnert an Camus‘ Mythos von Sisyphus, der den Stein immer wieder vergeblich nach oben rollt und in dieser an sich sinnlosen Beschäftigung für sich einen Sinn entdeckt. Man muss sich fragen, ob es in dieser Welt tatsächlich keine anderen Lebensziele gibt, als Wasser zu holen, Holz zu hacken und einen Stein nach oben zu rollen. 3.4 Die Attraktivität des Zen in der westlichen Welt.

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Es ist verwunderlich, welche Attraktivität Zen in der westlichen Welt gewinnt. Auch christli-che Kirchen sind für diese Gedanken empfänglich. Hierfür lassen sich die folgenden Gründe finden: * Die Faszination der inneren Ruhe Die westliche Welt wird von vielen als hektisch und orientierungslos empfunden. Die Suche nach ständigem Vergnügen und die Flucht in den Konsum tragen zur als quälend empfunde-nen Unrast bei. Im Vergleich dazu verspricht der Zen-Buddhismus Seelenfrieden, Gelassen-heit und innere Ruhe. * Die Faszination des Fremdartigen Immer war es so, dass das Neue und Fremdartige eine gewisse Faszination ausübt. Das All-vertraute hat seine prägende Kraft verloren und wirkt abgestanden, fad, langweilig und unin-teressant. * Die Faszination des Irrealen Es gibt ein weit verbreitetes Unbehagen in Bezug auf die westliche Zivilisation. Dazu gehört auch die Kritik am rationalen Denken. Rationales Denken stößt zugegebenermaßen an Gren-zen. Es vermag keine Aussagen über die Transzendenz zu machen. Hier bieten zahlreiche Denksysteme unterschiedliche Lösungen an, die vor allem durch ihre Außergewöhnlichkeit faszinieren. Der Zen-Buddhismus gehört auch dazu. * Die Faszination des Sinnlosen Eine postmoderne Skepsis kann nicht mehr an einen Lebenssinn glauben. Man fühlt sich den angeblich naiven Realisten und Rationalisten überlegen, wenn man davon ausgeht, dass alles, was man für real hält, in Wirklichkeit nur menschengemachte Illusion ist und es keine Wahr-heit gibt. * Faszination des Dunklen Man hat den Eindruck, dass sich viele Anhänger des Zen-Buddhismus von der schweren Ver-ständlichkeit der Begriffe beeindrucken lassen. Es bleibt z.B. dunkel, was mit dem Begriff „Leerheit“ gemeint sein könnte. Offensichtlich handelt es sich um etwas sehr Tiefes. Nun sagt ein altes Sprichwort, dass eine geschlossene Truhe nicht immer einen Inhalt hat, will sagen, dass Nichtverstehen allein schon sinnvoll ist und eine tiefe Bedeutung hat. Besonders unverständlich bleibt die Anfälligkeit mancher christlichen, theologischen Über-zeugungen in Bezug auf den Zen-Buddhismus. Der transzendente Gott lässt sich beim besten Willen nicht mit der Leerheit in Verbindung bringen. Mystische Erfahrungen in der christlichen Religion betonen zwar auch die Versen-kung und die Meditation. In diesem Fall wird jedoch das Göttliche oder Christus als etwas Wirkliches wahrgenommen. So sagt z.B. Johannes vom Kreuz: So gibt es viel, was in Christus zu vertiefen ist, denn er ist wie ein überreiches Bergwerk mit vielen Gängen voll von Schätzen; niemals findet man für sie einen Schluss- und Endpunkt, mag man sich noch so sehr in sie vertiefen, im Gegenteil, in jedem Gang kommt man da und dort zum Auffinden von neuen Adern mit neuen Reichtümern. Die christliche Mystik findet neue Adern mit neuen Reichtümern. Sie bleibt nicht bei der Leerheit und dem Nichts stehen.