Die Leitungsstrukturen der Justiz im Bund und in...

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Die Leitungsstrukturen der Justiz im Bund und in ausgewählten Kantonen – Eine Studie im Spannungsfeld von Führung und verfassungsrechtlichen Prinzipien D I S S E R T A T I O N der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG) zur Erlangung der Würde einer Doktorin der Rechtswissenschaft vorgelegt von Madeleine Keel von Rebstein (St. Gallen) und St. Gallen Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller und Prof. Dr. Ulrich Cavelti Dissertation Nr. 4283 D-Druck Spescha, St. Gallen 2014

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Die Leitungsstrukturen der Justiz im Bund und in ausgewählten Kantonen –

Eine Studie im Spannungsfeld von Führung und verfassungsrechtlichen Prinzipien

D I S S E R T A T I O N der Universität St. Gallen,

Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften

sowie Internationale Beziehungen (HSG) zur Erlangung der Würde einer

Doktorin der Rechtswissenschaft

vorgelegt von

Madeleine Keel

von

Rebstein (St. Gallen) und St. Gallen

Genehmigt auf Antrag der Herren

Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller

und

Prof. Dr. Ulrich Cavelti

Dissertation Nr. 4283

D-Druck Spescha, St. Gallen 2014

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Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissen-schaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.

St. Gallen, den 20. Mai 2014

Der Rektor:

Prof. Dr. Thomas Bieger

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für Adrian &

für meine Familie

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V

Dank

Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller möchte ich für die Übernahme des Referats und Prof. Dr. Ulrich Cavelti für die Übernahme des Koreferats danken. Bei-de haben mit ihren Anregungen die Ausrichtung der Arbeit massgeblich mitgeprägt. Daniela De Marco danke ich für die tatkräftige Unterstützung bei Layout und Druck.

Mein Dank geht sodann an Dr. iur. René Suhner und Dr. iur. Thomas Mett-ler, welche mir ihre Erfahrungen der Justizreorganisation im Kanton St. Gallen aus erster Hand weitergegeben haben.

Dankbar gedenke ich auch des 2006 viel zu früh verstorbenen Dr. rer. publ. HSG Peter Hold, welcher mir sowohl beruflich als auch menschlich ein grosses Vorbild war und mir in bester Erinnerung bleiben wird.

Ganz besonders danken möchte ich RA Dr. iur. HSG Annina Wirth, Dr. iur. Rafael Brägger und Dr. iur. HSG Eliane Kohlbrenner für die gemeinsame Zeit als Assistierende und ihre Unterstützung bei der Ausarbeitung der vor-liegenden Arbeit. Ein weiterer, spezieller Dank richtet sich an RA lic.iur. Marisa Graf und RA lic.iur. HSG Jan Duttweiler für die wertvollen Gesprä-che sowie an RA Dr. iur. Patricia Egli und RA Dr. iur. HSG Patrizia Levante für ihre Begleitung.

Mein herzlichster Dank geht an meine Eltern, Magdalen und Hans Keel. Sie haben mich immer vorbehaltlos und in jeder Hinsicht unterstützt. Auch mei-nem Bruder, M.A. HSG in Volkswirtschaftslehre et dipl. Wirtschaftspäda-goge Thomas Keel und meiner Schwägerin, B.Sc. in Betriebsökonomie Vic-toria Keel-Veit sei an dieser Stelle herzlichst für ihre Unterstützung gedankt.

Mein innigster Dank gilt schliesslich meinem Verlobten und zukünftigem Mann, lic.oec. HSG Adrian Bischof. Er war während der letzten Jahre mein Fels in der Brandung. Grazie di tutto!

St. Gallen, im Juni 2014 Madeleine Keel

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VII

Inhaltsübersicht

Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................... IX

Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... XXVII Literaturverzeichnis .......................................................................................... XXXIII Materialienverzeichnis....................................................................................... XLVII

Zusammenfassung ...................................................................................................... 1

Résumé ....................................................................................................................... 3

Management Summary ............................................................................................... 4

Aufbau ........................................................................................................................ 5

Teil 1 Die Justiz in der Schweiz .................................................................. 7

I. Die Justiz im Allgemeinen ................................................................................. 7

II. Die Gewaltenteilung......................................................................................... 19

III. Aufsicht und Oberaufsicht ............................................................................... 29

IV. Die richterliche Unabhängigkeit ...................................................................... 38

V. Die Justizverwaltung ........................................................................................ 65

Teil 2 Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien ....................................................................... 89

I. Vorbemerkungen .............................................................................................. 89

II. Die Strukturprinzipien ...................................................................................... 90

III. Die Verfahrensgarantien .................................................................................. 98

IV. Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung ......................... 113

V. Fazit und Überführung ................................................................................... 125

Teil 3 Die Justizorganisation im Bund ................................................. 127

I. Vorbemerkungen ............................................................................................ 127

II. Die Justizorganisation des Bundesgerichts .................................................... 128

III. Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts ................................. 159

IV. Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich ........................................................................................................ 169

V. Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte ........... 177

VI. Die Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht ............. 183

VII. Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation im Bund ........................ 189

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Inhaltsübersicht

VIII

Teil 4 Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen ................ 193

I. Vorbemerkungen ............................................................................................ 193

II. Die Justizorganisation im Kanton Aargau ...................................................... 194

III. Die Justizorganisation im Kanton Basel-Landschaft...................................... 204

IV. Die Justizorganisation im Kanton Freiburg .................................................... 210

V. Die Justizorganisation im Kanton Zürich ....................................................... 214

VI. Die Justizorganisation im Kanton Bern .......................................................... 220

VII. Die Ausgestaltung der Aufsicht in den Kantonen .......................................... 232

VIII. Die Ausgestaltung der Oberaufsicht in den Kantonen ................................... 241

IX. Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation in den ausgewählten Kantonen ........................................................................................................ 247

Teil 5 Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit ................................. 251

I. Vorbemerkungen ............................................................................................ 251

II. Leitung in der Justiz ....................................................................................... 253

III. Leitung und Rechtsprechung .......................................................................... 258

IV. Leitung und Justizverwaltung ........................................................................ 264

V. Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung ...................................... 272

VI. Zwischenfazit: Drei-Kreise-Modell der Rechtsprechung und der Justizverwaltung ............................................................................................. 291

VII. Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung ................................. 293

VIII. Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen................................ 323

IX. Beurteilung der Justizorganisation im Bund .................................................. 338

X. Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht ....................... 359

XI. Ergebnisse ...................................................................................................... 367

Teil 6 Thesen ............................................................................................... 371

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IX

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................... IX

Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... XXVII Literaturverzeichnis .......................................................................................... XXXIII Materialienverzeichnis....................................................................................... XLVII

Zusammenfassung ...................................................................................................... 1

Résumé ....................................................................................................................... 3

Management Summary ............................................................................................... 4

Aufbau ........................................................................................................................ 5

Teil 1 Die Justiz in der Schweiz .................................................................. 7

I. Die Justiz im Allgemeinen ................................................................................. 7

Begriffe ......................................................................................................... 7 A.1. Die Justiz und die Gerichte ..................................................................... 7

2. Die Rechtsprechung ................................................................................ 8

3. Die Richterinnen und Richter ................................................................. 9

Die Justiz auf Bundesebene ........................................................................ 10 B.1. Das Bundesgericht ................................................................................ 10

a) Stellung des Bundesgerichts ............................................................ 10

b) Kompetenzen des Bundesgerichts ................................................... 11

2. Die erstinstanzlichen Gerichte des Bundes ........................................... 12

3. Die Gewährleistungsaufgabe der Bundesversammlung ........................ 12

Die Justiz auf Kantonsebene ....................................................................... 13 C. Totalrevision der Bundesrechtspflege und Justizreform ............................. 13 D.1. Die Reform der Bundesverfassung ....................................................... 13

2. Die Justizreform und die neue Justizverfassung ................................... 15

3. Die Totalrevision der Bundesrechtspflege ............................................ 17

II. Die Gewaltenteilung......................................................................................... 19

Begriff und Inhalt der Gewaltenteilung ...................................................... 19 A.1. Begriff ................................................................................................... 19

a) Die klassische Dreiteilung der Gewalten im Staat .......................... 19

b) Das Gewaltenteilungssystem und die praktische Wirklichkeit ....... 20

2. Der Inhalt der Gewaltenteilung ............................................................. 20

a) Funktionelle Gewaltenteilung ......................................................... 20

b) Organisatorische Gewaltenteilung .................................................. 21

c) Personelle (subjektive) Gewaltenteilung ......................................... 21

d) Wechselseitige Gewaltenhemmung ................................................ 21

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Inhaltsverzeichnis

X

Die drei Staatsgewalten auf Bundesebene .................................................. 22 B.1. Die Bundesversammlung ...................................................................... 22

2. Der Bundesrat ....................................................................................... 22

3. Das Bundesgericht und die erstinstanzlichen Gerichte des Bundes .................................................................................................. 23

Die Gewaltenteilung im schweizerischen Verfassungsrecht ...................... 23 C.1. Ungeschriebener Verfassungsgrundsatz ............................................... 23

2. Die konkrete Umsetzung der Gewaltenteilung in der BV ..................... 24

3. Abweichungen von der organisatorischen Gewaltenteilung in der BV 26

Das Zusammenspiel der drei Gewalten in der Praxis ................................. 27 D.1. Bundesversammlung und Bundesgericht .............................................. 27

2. Bundesrat und Bundesgericht ............................................................... 28

3. Fazit ...................................................................................................... 28

III. Aufsicht und Oberaufsicht ............................................................................... 29

Die Aufsicht ............................................................................................... 29 A. Die Oberaufsicht ......................................................................................... 30 B.

1. Allgemeines .......................................................................................... 30

2. Begriff ................................................................................................... 30

3. Spezielle Stellung der Legislative in der Schweiz ................................ 31

4. Parlamentarische Kontrolle als Element der Staatsleitung ................... 32

Umfang und Nachträglichkeit der Oberaufsicht ......................................... 32 C.1. Allgemeines .......................................................................................... 32

2. Enge Position ........................................................................................ 33

3. Mittlere Position ................................................................................... 34

4. Weite Position ....................................................................................... 35

5. Zulässige Massnahmen ......................................................................... 35

6. Unzulässige Massnahmen ..................................................................... 36

Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Aufsicht und Oberaufsicht ........ 36 D.1. Prüfgegenstand von Aufsicht und Oberaufsicht ................................... 36

2. Unterschiede in der Zielsetzung und Intensität der Prüfung ................. 37

IV. Die richterliche Unabhängigkeit ...................................................................... 38

Allgemeines und rechtliche Grundlagen..................................................... 38 A.1. Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit ........................................ 38

2. Rechtliche Grundlagen in BV, EMRK und UNO-Pakt II ..................... 39

a) Alte BV ........................................................................................... 39

b) Art. 191c BV ................................................................................... 39

c) Art. 30 Abs. 1 BV ........................................................................... 40

d) Art. 6 Ziff. 1 EMRK ........................................................................ 40

e) Art. 14 UNO-Pakt II ........................................................................ 41

Geltungsbereich der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit ................ 41 B. Adressaten der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit ........................ 42 C.

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Inhaltsverzeichnis

XI

Die europäischen Rechtsgrundlagen der richterlichen D.Unabhängigkeit........................................................................................... 43

1. Empfehlung No R(94) 12 des Ministerkomitees des Europarates vom 13. Oktober 1994 .......................................................................... 43

2. Europäische Charta zum Statut der Richter .......................................... 44

3. Report der Venedigkommission des Europarates vom 16. März 2010 zur Unabhängigkeit des Justizsystems ......................................... 45

4. Empfehlung CM/Rec(2010)12 des Ministerkomitees vom 17. November 2010 ............................................................................... 45

5. Magna Carta der Richter vom 17. November 2010 .............................. 47

6. Avis des CCJE ...................................................................................... 48

Der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit ............................................ 48 E.1. Richterliche Unbeteiligtheit .................................................................. 49

2. Richterliche Selbständigkeit ................................................................. 49

3. Richterliche Eigenständigkeit ............................................................... 49

4. Richterliche Sozialfreiheit .................................................................... 49

5. Innere Freiheit ....................................................................................... 49

Die Unabhängigkeit als verfassungsrechtliches Organisationsprinzip ....... 50 F.1. Institutionelles Organisationsprinzip .................................................... 50

2. Teilgehalte der institutionellen Unabhängigkeit ................................... 52

a) Funktionelle Unabhängigkeit .......................................................... 53

b) Personelle Unabhängigkeit .............................................................. 53

c) Organisatorische Unabhängigkeit ................................................... 54

d) Weiteres .......................................................................................... 54

Die personenbezogene Unabhängigkeit ..................................................... 55 G. Der Begriff der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung ............................ 55 H.1. Die Unabhängigkeit des Gerichts ......................................................... 55

2. Die Begriffe Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Befangenheit ....... 57

a) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ............................................. 57

b) Befangenheit und ihre Gründe ........................................................ 58

i) In der Person des Richters liegende Gründe .............................. 59

ii) In organisatorisch-institutionellen Umständen liegende Gründe ....................................................................................... 60

Kernbereiche bzw. Minimalstandards der Unabhängigkeit ........................ 61 I.1. Unterscheidung Minimalstandard und Kernbereich ............................. 61

2. Kerngehalte der personenbezogenen Unabhängigkeit .......................... 62

3. Kerngehalte der institutionellen Unabhängigkeit .................................. 62

4. Folgen der Verletzung .......................................................................... 63

Vergleich der Unabhängigkeit von Art. 30 BV und Art. 191c BV ............. 63 J. Fazit ............................................................................................................ 64 K.

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Inhaltsverzeichnis

XII

V. Die Justizverwaltung ........................................................................................ 65

Historischer Überblick ................................................................................ 65 A.1. Die Justizverwaltung vor der Revision der Bundesrechtspflege ........... 65

a) Die alte Bundesverfassung (aBV) ................................................... 65

b) Das Bundesrechtspflegegesetz (OG) ............................................... 65

2. Die Entstehung der heutigen Justizverwaltung ..................................... 66

a) Allgemeines..................................................................................... 66

b) Vorschläge der Arbeitsgruppe Bundesgericht ................................. 67

Begriff ........................................................................................................ 69 B.1. Allgemeine Umschreibung ................................................................... 69

2. Funktionale Justizverwaltung ............................................................... 69

3. Justizverwaltung durch die Justiz ......................................................... 70

4. Justizverwaltung durch justizinterne Organe ........................................ 71

5. Fazit ...................................................................................................... 71

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ............................................. 72 C.1. Allgemeines .......................................................................................... 72

2. Bundesverfassung ................................................................................. 72

3. Bundesgesetze ....................................................................................... 73

Bereiche der Justizverwaltung .................................................................... 73 D.1. Allgemeines .......................................................................................... 73

2. Organisationsautonomie ....................................................................... 74

a) Organisationsstrukturen .................................................................. 75

b) Geschäftslastbewirtschaftung und Arbeitsverteilung auf Richter und Gerichtsschreibende..................................................... 75

c) Organisation der Rechtsprechung ................................................... 75

3. Finanzautonomie ................................................................................... 76

4. Personalautonomie ................................................................................ 76

Grundsätze der Justizverwaltung ................................................................ 76 E.1. Grundsätze der BV ................................................................................ 76

a) Art. 126 Abs. 1 BV (Effizienzgebot) .............................................. 76

b) Art. 170 BV (Wirksamkeitsgebot) .................................................. 77

2. Gesetzliche Grundsätze ......................................................................... 77

a) Rechtmässigkeit/Gesetzmässigkeit ................................................. 77

b) Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ........................................ 78

c) Sparsamkeit ..................................................................................... 78

3. Weitere Grundsätze? ............................................................................. 79

Träger und Organe der Justizverwaltung .................................................... 79 F.1. Träger der Justizverwaltung .................................................................. 79

2. Organe der Justizverwaltung ................................................................. 79

Rechtfertigung der Justizverwaltung .......................................................... 80 G. New Public Management in der Justizverwaltung...................................... 81 H.1. Allgemeines .......................................................................................... 81

2. Begriff und Definition von NPM .......................................................... 82

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Inhaltsverzeichnis

XIII

3. Ziele des NPM ...................................................................................... 83

4. Finalsteuerung und weitere Steuerungsinstrumente .............................. 83

a) Leistungsvereinbarung .................................................................... 84

b) Produkte und Produktegruppen ....................................................... 85

c) Indikatoren und Sollwerte ............................................................... 85

d) Globalbudget ................................................................................... 86

e) Zulässigkeit von Leistungsvereinbarungen ..................................... 86

Fazit ............................................................................................................ 87 I.

Teil 2 Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien ....................................................................... 89

I. Vorbemerkungen .............................................................................................. 89

II. Die Strukturprinzipien ...................................................................................... 90

Vorbemerkungen ........................................................................................ 90 A.1. Begriff ................................................................................................... 90

2. Funktion der Strukturprinzipien ............................................................ 91

Der Rechtsstaat ........................................................................................... 91 B.1. Begriff und Funktion ............................................................................ 91

2. Verfassungselemente des Rechtsstaates ................................................ 92

a) Formelle Elemente .......................................................................... 92

i) Legalitätsprinzip ........................................................................ 92

ii) Weitere formelle Elemente ........................................................ 93

b) Materielle Elemente ........................................................................ 94

Der Wirtschaftsstaat ................................................................................... 94 C.1. Wirksamkeitsgebot ............................................................................... 95

2. Effizienzgebot ....................................................................................... 95

a) Volkswirtschaftliche Effizienz ........................................................ 96

b) Betriebliche Effizienz ...................................................................... 96

c) Zusammenspiel ............................................................................... 96

3. Leistungsgebot ...................................................................................... 97

III. Die Verfahrensgarantien .................................................................................. 98

Allgemeines ................................................................................................ 98 A. Allgemeine Verfahrensgarantie von Art. 29 BV ........................................ 98 B.

1. Übersicht und Anwendungsbereich ...................................................... 98

2. Verbot der Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (Art. 29 Abs. 1 BV) ............................................................................................ 99

a) Verbot der formellen Rechtsverweigerung ................................... 100

b) Verbot der Rechtsverzögerung oder Beurteilung innert angemessener Frist ........................................................................ 100

c) Verbot des überspitzten Formalismus ........................................... 102

3. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ......................... 103

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Inhaltsverzeichnis

XIV

Anspruch auf ein verfassungsmässiges Gericht und das Verbot von C.Ausnahmegerichten (Art. 30 Abs. 1 BV) ................................................. 104

1. Allgemeines ........................................................................................ 104

2. Anspruch auf ein unabhängiges Gericht ............................................. 104

3. Anspruch auf ein gesetzliches Gericht ................................................ 105

4. Anspruch auf ein unparteiisches, unbefangenes und unvoreingenommenes Gericht ............................................................ 106

5. Schutzbereich ...................................................................................... 107

Einschränkung von Verfahrensgarantien .................................................. 107 D.1. Fragestellung ....................................................................................... 107

2. Grundsatz: Verfahrensgarantien als nicht einschränkbare Garantien............................................................................................. 108

3. Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit ........................................................................... 110

IV. Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung ......................... 113

Allgemeines .............................................................................................. 113 A. Das Verhältnis der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien B.

zueinander im Allgemeinen ...................................................................... 114

1. Allgemeines ........................................................................................ 114

2. Das Verhältnis von Rechtsstaat und Wirtschaftsstaat ......................... 114

Effizienz und Verfahrensgarantien ........................................................... 116 C.1. Verbot der Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung ................... 117

2. Gleichbehandlung und Effizienzgebot ................................................ 118

3. Rechtliches Gehör und Effizienzgebot ............................................... 118

4. Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht ........................................... 119

5. Zusammenfassung .............................................................................. 119

Das Verhältnis der Verfahrensgarantien untereinander ............................ 120 D.1. Spannungsfelder zwischen Verfahrensgarantien ................................ 120

2. Geltung bei zwei sich widersprechenden Verfahrensgarantien? ......... 120

a) Grundsatz und Ausnahme ............................................................. 120

b) Das Konzept der praktischen Konkordanz .................................... 121

Das Verhältnis von Justizverwaltung und Unabhängigkeit ...................... 122 E.1. Grundsatz ............................................................................................ 122

2. Fragestellungen ................................................................................... 122

Das Verhältnis von Justizverwaltung und Oberaufsicht ........................... 124 F.

V. Fazit und Überführung ................................................................................... 125

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Inhaltsverzeichnis

XV

Teil 3 Die Justizorganisation im Bund ................................................. 127

I. Vorbemerkungen ............................................................................................ 127

II. Die Justizorganisation des Bundesgerichts .................................................... 128

Allgemeines .............................................................................................. 128 A. Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ........................................... 129 B.

1. Bundesverfassung (Art. 188 BV) ........................................................ 129

2. Bundesgerichtsgesetz (BGG) .............................................................. 130

3. Bundesgerichtsreglement (BGerR) ..................................................... 131

Organisations- und Verwaltungsautonomie.............................................. 131 C.1. Selbstorganisation und Selbstverwaltung ........................................... 131

2. Organisationsautonomie ..................................................................... 132

a) Organisationsautonomie nach Art. 13 BGG .................................. 132

b) Konkretisierung durch Art. 25 BGG: Dienste und Personal ......... 133

c) Die Richterstellenverordnung des Bundesgerichts ........................ 134

i) Die Richterstellenverordnung vom 23. Juni 2006 ................... 135

ii) Neue unbefristete Verordnung vom 30. September 2011 ........ 136

3. Verwaltungsautonomie ....................................................................... 137

Die Leitungsorgane des Bundesgerichts und ihre Aufgaben .................... 139 D.1. Allgemeines ........................................................................................ 139

2. Das Präsidium ..................................................................................... 139

a) Amtsdauer, Wiederwahl und Unvereinbarkeit des Präsidialamtes ............................................................................... 140

b) Aufgaben des Präsidiums .............................................................. 141

3. Das Gesamtgericht .............................................................................. 142

a) Gesetzliche Grundlage von Art. 15 BGG ...................................... 142

b) Allgemeines................................................................................... 142

c) Aufgaben des Gesamtgerichts ....................................................... 143

4. Die Präsidentenkonferenz ................................................................... 143

a) Allgemeines................................................................................... 143

b) Aufgaben der Präsidentenkonferenz.............................................. 144

5. Die Verwaltungskommission .............................................................. 146

a) Allgemeines................................................................................... 146

b) Aufgaben der Verwaltungskommission ........................................ 147

6. Der Generalsekretär als Stab der Leitungsorgane ............................... 148

Die weiteren Organe des Bundesgerichts und ihre Aufgaben .................. 148 E.1. Die Abteilungspräsidenten .................................................................. 148

2. Die Vereinigten Abteilungen .............................................................. 149

Führungsinstrumente und Controlling am Bundesgericht ........................ 150 F.1. Öffentliche Führungsstatistiken .......................................................... 150

2. Interne Führungsstatistiken ................................................................. 151

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Inhaltsverzeichnis

XVI

3. Controlling .......................................................................................... 152

a) Gerichtsinternes Controlling ......................................................... 152

b) Externes Controlling in der Verordnung über die Richterstellen am Bundesgericht ................................................... 153

Die Abteilungen........................................................................................ 153 G. Die Geschäftsverteilung ........................................................................... 154 H.

Die Richterinnen und Richter ................................................................... 155 I.1. Wahl und „Arten“ von Richtern ......................................................... 155

2. Die Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter .......................... 156

3. Die Rechtsstellung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter .......... 156

4. Einfluss der Justizreform auf die Bundesrichter ................................. 157

Die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber .................................. 158 J. Die Bildung der Spruchkörper .................................................................. 158 K.

III. Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts ................................. 159

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ........................................... 159 A.1. Bundesverfassung ............................................................................... 159

2. Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG) ..................................................... 159

3. Verwaltungsgerichtsreglement (VGR) ............................................... 159

Bereiche der Justizverwaltung .................................................................. 160 B. Die Organe und ihre Aufgaben ................................................................. 160 C.

1. Das Präsidium ..................................................................................... 160

2. Das Gesamtgericht .............................................................................. 161

3. Die Präsidentenkonferenz ................................................................... 161

4. Die Verwaltungskommission .............................................................. 162

a) Zusammensetzung ......................................................................... 162

b) Aufgaben und Stellung der Verwaltungskommission ................... 162

5. Der Generalsekretär ............................................................................ 163

6. Die Vereinigung der betroffenen Abteilungen .................................... 164

Die Abteilungen........................................................................................ 164 D. Die Abteilungs- und die Kammerpräsidenten .......................................... 165 E.

1. Die Abteilungspräsidenten .................................................................. 165

2. Die Kammerpräsidenten ..................................................................... 166

Die Richterinnen und Richter ................................................................... 166 F. Die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber .................................. 167 G. Die Führungsinstrumente ......................................................................... 167 H.

Die Geschäftsverteilung und die Bildung der Spruchkörper .................... 167 I.

IV. Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich ........................................................................................................ 169

Allgemeines .............................................................................................. 169 A.1. Gemeinsames Inkrafttreten der Gesetze.............................................. 169

2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Gerichte .................. 169

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Inhaltsverzeichnis

XVII

Gesetze und Reglemente der beiden Gerichte im Vergleich .................... 169 B.1. Zwillingsgesetze BGG und VGG ....................................................... 169

2. Vergleich der Reglemente................................................................... 170

3. Fazit .................................................................................................... 171

Die Leitungsorgane der beiden Gerichte im Vergleich ............................ 172 C.1. Gleiche Strukturen .............................................................................. 172

2. Andere Gewichtung und Reihenfolge in den Reglementen ................ 172

3. Vergleich der Organe auf gerichtlicher Ebene .................................... 172

a) Vergleich der Präsidien ................................................................. 173

b) Vergleich der Gesamtgerichte ....................................................... 173

c) Vergleich der Präsidentenkonferenzen .......................................... 173

d) Vergleich der Verwaltungskommissionen .................................... 174

4. Vergleich der Stellung und Aufgaben der Abteilungspräsidenten ...... 174

Fazit .......................................................................................................... 175 D.

V. Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte ........... 177

Entstehung der zweistufigen Aufsicht ...................................................... 177 A. Gesetzliche Regelungen ........................................................................... 177 B.

1. BGG .................................................................................................... 178

2. VGG .................................................................................................... 178

3. Aufsichtsreglement des Bundesgerichts ............................................. 178

a) Grundsatz ...................................................................................... 179

b) Gegenstand und Instrumente der Aufsicht .................................... 179

Fazit .......................................................................................................... 180 C. Die Aufsichtsentscheide des Bundesgerichts ........................................... 181 D.

VI. Die Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht ............. 183

Allgemeines .............................................................................................. 183 A. Rechtliche Grundlagen, Inhalt und Strukturen der Oberaufsicht .............. 184 B.

1. Rechtliche Grundlagen ....................................................................... 184

2. Inhalt der Oberaufsicht ....................................................................... 184

3. Die Strukturen und Instrumente der Oberaufsicht .............................. 185

a) Geschäftsbericht als wichtiges Kontrollinstrument ....................... 185

b) Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) ...................................... 185

c) Parlamentarische Untersuchungskommissionen (PUK) ................ 186

d) Ratsplenum .................................................................................... 186

e) Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle ................................. 186

Die gesetzlichen Kriterien der Oberaufsicht ............................................. 187 C.1. Die fünf Kriterien der Oberaufsicht .................................................... 187

2. Die Wirksamkeit nach Art. 170 BV .................................................... 188

3. Fazit .................................................................................................... 188

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Inhaltsverzeichnis

XVIII

VII. Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation im Bund ........................ 189

Justizverwaltung ....................................................................................... 189 A.1. Bundesgericht ..................................................................................... 189

2. Bundesverwaltungsgericht .................................................................. 189

3. Fazit .................................................................................................... 190

Aufsicht .................................................................................................... 190 B. Oberaufsicht ............................................................................................. 190 C.

Teil 4 Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen ................ 193

I. Vorbemerkungen ............................................................................................ 193

II. Die Justizorganisation im Kanton Aargau ...................................................... 194

Allgemeines zur Entwicklung der Justizverwaltung................................. 194 A.1. Justizreformen ..................................................................................... 194

2. Botschaft des Regierungsrates zur Organisationsanalyse von PwC .................................................................................................... 195

3. Totalrevidiertes Gerichtsorganisationsrecht von 2013 ........................ 196

Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung .................. 197 B.1. Allgemeines ........................................................................................ 197

2. Aktuelle Bestimmungen der KV ......................................................... 197

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ........................................... 198 C.1. Gesetz über die Organisation der ordentlichen richterlichen

Behörden (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG) .................................. 198

2. Reglemente ......................................................................................... 199

Leitungsorgane der Justizverwaltung ....................................................... 199 D.1. Die Justizleitung ................................................................................. 199

2. Geschäftsleitungen der Gerichte ......................................................... 200

3. Das Justizgericht ................................................................................. 201

Fazit .......................................................................................................... 201 E.1. Ausführliche rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ................. 201

2. Justizleitung und Geschäftsleitungen .................................................. 202

3. Wirkungsorientierte Steuerung ........................................................... 202

4. Würdigung .......................................................................................... 202

III. Die Justizorganisation im Kanton Basel-Landschaft...................................... 204

Allgemeines .............................................................................................. 204 A. Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung .................. 205 B.

1. Aktuelle Bestimmung ......................................................................... 205

2. Begriff der Justizverwaltung in § 82 Abs. 2 KV BL ........................... 205

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung im Kanton BL ................... 206 C.1. Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) und

Gerichtsorganisationsdekret (GOD) ................................................... 206

2. Reglement über die Justizverwaltung ................................................. 206

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Inhaltsverzeichnis

XIX

3. Gesetz und Dekret über die Gewaltentrennung .................................. 207

Leitungsorgane der Justizverwaltung und ihre Aufgaben ........................ 207 D.1. Allgemeines ........................................................................................ 207

2. Gerichtskonferenz ............................................................................... 207

3. Geschäftsleitung.................................................................................. 207

4. Gerichtsverwaltung ............................................................................. 208

5. Organe der Justizverwaltung bei den unteren Instanzen ..................... 208

Fazit .......................................................................................................... 208 E.1. Ausführliche rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ................. 208

2. Leitungsorgan ..................................................................................... 209

3. Weiteres .............................................................................................. 209

4. Würdigung .......................................................................................... 209

IV. Die Justizorganisation im Kanton Freiburg .................................................... 210

Allgemeines zur neuen KV FR und zur Gesetzgebung ............................ 210 A. Keine Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung ....... 210 B. Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ........................................... 211 C.

1. Justizgesetz (JG) ................................................................................. 211

2. Justizreglement (JR) ........................................................................... 211

3. Reglement für das Kantonsgericht (RKG) .......................................... 212

Fazit .......................................................................................................... 212 D.1. Wenige rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung.......................... 212

2. Kein Leitungsorgan der Justizverwaltung ........................................... 212

3. Würdigung .......................................................................................... 213

V. Die Justizorganisation im Kanton Zürich ....................................................... 214

Allgemeines .............................................................................................. 214 A. Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung .................. 214 B. Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ........................................... 215 C.

1. Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG) ..................................................................... 215

a) Allgemeine Bestimmungen ........................................................... 215

b) Obergericht und Bezirksgerichte ................................................... 215

2. Gesetz über Controlling und Rechnungslegung (CRG) ...................... 216

3. Verordnung über direktionsübergreifende Informatik (KITT-Verordnung) ........................................................................................ 216

Gerichtsübergreifende Justizverwaltungsorgane ...................................... 217 D.1. Plenarausschuss der Gerichte .............................................................. 217

2. Verwaltungskommission der Gerichte ................................................ 217

Fazit .......................................................................................................... 218 E.1. Kantonsverfassung .............................................................................. 218

2. Umfassende gesetzliche Grundlagen .................................................. 218

3. Leitungsorgan der Justizverwaltung ................................................... 218

4. Würdigung .......................................................................................... 219

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Inhaltsverzeichnis

XX

VI. Die Justizorganisation im Kanton Bern .......................................................... 220

Allgemeines .............................................................................................. 220 A. Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung .................. 221 B. Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ........................................... 221 C.

1. Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG) ................................................................ 221

2. Reglement der Justizleitung (JLR) ...................................................... 222

3. Reglement über die Steuerung von Finanzen und Leistungen der Justiz (JFinR) ...................................................................................... 223

4. Organisationsreglement des Obergerichts (OrR OG) und Organisationsreglement des Verwaltungsgerichts (OrR VG) ............. 223

5. Gesetz über die Steuerung von Finanzen und Leistungen (FLG) ....... 223

Organe der Justizverwaltung .................................................................... 224 D.1. Die Justizleitung ................................................................................. 224

a) Zusammensetzung der Justizleitung .............................................. 224

b) Auftrag der Justizleitung ............................................................... 225

c) Aufgaben der Justizleitung ............................................................ 225

d) Organisation und Verfahren .......................................................... 226

e) Stabsstelle für Ressourcen ............................................................. 226

2. Gerichtsleitung von Ober- und Verwaltungsgericht ........................... 227

a) Gerichtsleitung des Obergerichts .................................................. 227

b) Gerichtsleitung des Verwaltungsgerichts ...................................... 227

3. Abteilungspräsidenten des Obergerichts ............................................. 228

4. Abteilungspräsidenten des Verwaltungsgerichts ................................ 228

5. Geschäftsleitung der Regionalgerichte ............................................... 228

Fazit .......................................................................................................... 228 E.1. Ausführliche rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung ................. 228

2. Leitungsorgan der Justizverwaltung ................................................... 229

3. Gerichtsinterne Steuerung ................................................................... 229

4. Abteilungspräsidenten ........................................................................ 230

5. „Standortgespräche“ ........................................................................... 230

6. Würdigung .......................................................................................... 230

VII. Die Ausgestaltung der Aufsicht in den Kantonen .......................................... 232

Allgemeines .............................................................................................. 232 A. Kanton Basel-Landschaft ......................................................................... 232 B.

1. Rechtliche Grundlagen ....................................................................... 232

2. Aufsicht des Kantonsgerichts ............................................................. 232

Überblick über die Aufsicht in den anderen Kantonen ............................. 233 C. Kanton Freiburg........................................................................................ 235 D.1. Allgemeines ........................................................................................ 235

2. Die Regelung der Aufsicht in den rechtlichen Grundlagen ................ 235

a) Kantonsverfassung ........................................................................ 235

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Inhaltsverzeichnis

XXI

b) Justizgesetz .................................................................................... 235

i) Justizrat .................................................................................... 235

ii) Aufsicht ................................................................................... 236

c) Reglement des Justizrats (JRR) ..................................................... 236

3. Der Justizrat ........................................................................................ 237

a) Stellung ......................................................................................... 237

b) Zusammensetzung und Bestellung ................................................ 237

c) Organe des Justizrates ................................................................... 237

d) Befugnisse des Gesamtrates .......................................................... 237

e) Befugnisse des Präsidiums und des Vizepräsidiums ..................... 238

f) Befugnisse der Kommissionen ...................................................... 239

Fazit .......................................................................................................... 239 E.

VIII. Die Ausgestaltung der Oberaufsicht in den Kantonen ................................... 241

Allgemeines .............................................................................................. 241 A. Kanton Basel-Landschaft ......................................................................... 241 B. Überblick über die Oberaufsicht in den anderen Kantonen ...................... 242 C.

1. Kanton Aargau .................................................................................... 242

2. Kanton Freiburg .................................................................................. 242

3. Kanton Zürich ..................................................................................... 243

4. Kanton Bern ........................................................................................ 244

Fazit .......................................................................................................... 245 D.

IX. Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation in den ausgewählten Kantonen ........................................................................................................ 247

Allgemeine Bemerkungen ........................................................................ 247 A. Regelungen zur Justizorganisation ........................................................... 247 B.

1. Vorreiterrolle des Kantons Aargau ..................................................... 247

2. Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung in den Kantonen .......... 248

3. Leitungsorgane.................................................................................... 249

Besonderheiten der Aufsicht und Oberaufsicht ........................................ 249 C.1. Aufsicht............................................................................................... 249

2. Oberaufsicht ........................................................................................ 250

Teil 5 Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit ................................. 251

I. Vorbemerkungen ............................................................................................ 251

II. Leitung in der Justiz ....................................................................................... 253

Leitung und Justiz..................................................................................... 253 A.1. Leitung als Teil der Organisationsautonomie ..................................... 253

2. Justizverwaltung und Kontrolle von innen ......................................... 253

Leitung als Mittel zu grösserer Effizienz .................................................. 254 B.1. Allgemeines ........................................................................................ 254

2. Justiz mit knappen Mitteln und hoher Falllast .................................... 256

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Inhaltsverzeichnis

XXII

3. Verschiedenartigkeit der Justiz und zentrale Fragestellung ................ 257

III. Leitung und Rechtsprechung .......................................................................... 258

Die Rechtsprechung als innerster Bereich der Unabhängigkeit ................ 258 A.1. Rechtsprechung ................................................................................... 258

2. Kern- oder Minimalgehalt der Unabhängigkeit .................................. 259

Beeinflussung durch andere Staatsgewalten ............................................. 260 B.1. Grundsatz ............................................................................................ 260

2. Korrektur durch Gesetzgebung ........................................................... 261

3. Folgen der Verletzung des Kernbereichs der richterlichen Unabhängigkeit ................................................................................... 261

Beeinflussung von Seiten der Justiz? ....................................................... 261 C. Fazit .......................................................................................................... 262 D.

IV. Leitung und Justizverwaltung ........................................................................ 264

Abgrenzung der Justizverwaltung zur Rechtsprechung ............................ 264 A. Nichtanwendbarkeit der Unabhängigkeit auf die Justizverwaltung.......... 264 B. Modernes Justizmanagement .................................................................... 265 C.

1. Allgemeines ........................................................................................ 265

2. Führung nach NPM ............................................................................. 265

a) Allgemeines................................................................................... 265

b) Führungsstrukturen ....................................................................... 266

c) Führungsinstrumente ..................................................................... 266

d) Geschäftslastbewirtschaftung ........................................................ 267

e) Controlling .................................................................................... 267

Bedeutung der Leitung für die einzelnen Autonomien ............................. 268 D.1. Finanzautonomie ................................................................................. 268

2. Personalautonomie .............................................................................. 269

3. Organisationsautonomie ..................................................................... 269

Beurteilung der neuen Entwicklungen ...................................................... 270 E.

V. Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung ...................................... 272

Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung ................................................... 272 A.1. Begriff ................................................................................................. 272

2. Schutz von Art. 30 BV? ...................................................................... 273

3. Abgrenzung ......................................................................................... 274

a) Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung ........................................ 274

i) Geschäftsverteilung ................................................................. 274

ii) Geschäftslastbewirtschaftung .................................................. 275

b) Abgrenzung der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung von der Rechtsprechung ....................................................................... 276

c) Abgrenzung der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung von der eigentlichen Justizverwaltung ................................................. 276

d) Fazit ............................................................................................... 278

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Inhaltsverzeichnis

XXIII

Unabhängigkeit der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung .................. 278 B.1. Komponenten der Unabhängigkeit ..................................................... 278

a) Allgemeines................................................................................... 278

b) Grundrechtliche Komponenten ..................................................... 279

c) Funktionelle bzw. selbständige Komponente ................................ 280

d) Persönliche Komponente ............................................................... 280

e) Justizinterne und gerichtsinterne Komponente.............................. 281

2. Schutzbereiche der rechtsprechungsnahen Tätigkeit .......................... 283

a) Konkrete Inhalte ............................................................................ 283

b) Schutzbereich oder Kernbereich? .................................................. 284

3. Umhüllende Unabhängigkeit von Art. 30 BV..................................... 286

Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung und (Ober-)Aufsicht .................. 287 C.1. Aufsicht............................................................................................... 287

2. Oberaufsicht ........................................................................................ 288

VI. Zwischenfazit: Drei-Kreise-Modell der Rechtsprechung und der Justizverwaltung ............................................................................................. 291

VII. Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung ................................. 293

Übersicht .................................................................................................. 293 A. Grundvoraussetzung: Die gewichtete Geschäftslast ................................. 293 B. Die Verfahrensdauer ................................................................................. 295 C.

1. Beurteilung innert angemessener Frist und Unabhängigkeit .............. 295

a) Ausgangslage ................................................................................ 295

b) Abwägung der Interessen .............................................................. 296

c) Anspruch auf rechtliches Gehör .................................................... 297

2. Führung im Bereich der Verfahrensdauer? ......................................... 298

a) Groborganisation des Gerichts ...................................................... 298

b) Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung ........................................ 298

3. Priorisierung von Verfahren? .............................................................. 302

Erledigungszahlen .................................................................................... 303 D.1. Ausgangslage ...................................................................................... 303

2. Verbindlichkeit von Erledigungszahlen für Richter............................ 304

a) Problemstellung ............................................................................. 304

b) Betroffene Interessen..................................................................... 305

c) Positionen in der Lehre ................................................................. 306

d) Abwägung der Interessen .............................................................. 308

Controlling ................................................................................................ 311 E. Die Leistungsbeurteilung von Richterinnen und Richtern ........................ 312 F.

1. Messung der richterlichen Arbeit? ...................................................... 312

2. Zulässigkeit der Leistungsbeurteilung ................................................ 313

a) Im Allgemeinen ............................................................................. 313

b) Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung ........................................ 314

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Inhaltsverzeichnis

XXIV

3. Methoden der Leistungsbeurteilung .................................................... 314

a) Beurteilung mittels Erledigungszahlen? ........................................ 315

b) Beurteilung mittels der Qualität der Entscheidung? ...................... 316

4. Zuständigkeit zur Leistungsbeurteilung .............................................. 317

5. Fazit .................................................................................................... 318

Vorgaben im Hinblick auf eine gleichmässige Anwendung des G.Gesetzes .................................................................................................... 319

Fazit bezüglich der ausgewählten Führungsbereiche ............................... 321 H.

VIII. Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen................................ 323

Allgemeines .............................................................................................. 323 A. Gerichtsübergreifende Leitungsorgane ..................................................... 323 B.

1. Aargau................................................................................................. 323

2. Basel-Landschaft ................................................................................ 325

3. Zürich .................................................................................................. 325

4. Bern .................................................................................................... 326

5. Verschiedenartige föderale Lösungen ................................................. 327

Leitung der einzelnen Gerichte ................................................................. 328 C.1. Aargau................................................................................................. 328

2. Basel-Landschaft ................................................................................ 328

3. Zürich .................................................................................................. 329

4. Bern .................................................................................................... 329

5. Freiburg............................................................................................... 329

Pflichterfüllung der Richterinnen und Richter .......................................... 330 D. Finanzen und Steuerung ........................................................................... 331 E.

1. Zürich .................................................................................................. 331

2. Bern .................................................................................................... 334

3. Fazit .................................................................................................... 334

Personalautonomie ................................................................................... 335 F. Freiburg als Ausnahme ............................................................................. 335 G. Würdigung ................................................................................................ 336 H.

IX. Beurteilung der Justizorganisation im Bund .................................................. 338

Beurteilung der Situation am Bundesgericht ............................................ 338 A.1. Besonderheiten der Justizverwaltung am BGer .................................. 338

a) Leitungsorgane .............................................................................. 338

b) Führungsinstrumente und Geschäftslast ........................................ 338

c) Trennung der Gerichtsverwaltung von der Rechtsprechung ......... 339

2. Beurteilung der Justizverwaltung am Bundesgericht .......................... 339

a) Stärkung der Justizverwaltung durch BV und BGG ..................... 339

b) Klare Aufteilung der Kompetenzen der Leitungsorgane und die Trennung von Rechtsprechung und Justizverwaltung ............. 340

c) Unklarheiten bei der Präsidentenkonferenz ................................... 342

d) Die Abteilungspräsidenten als „inoffizielle“ Leitungsstruktur ...... 344

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Inhaltsverzeichnis

XXV

e) Geschäftslast, Statistiken und ihre Gewichtung ............................ 347

f) Mangelhafte Führungsinstrumente ................................................ 349

g) Controllingverordnung .................................................................. 349

3. Fazit .................................................................................................... 350

Beurteilung der Situation am Bundesverwaltungsgericht ......................... 351 B.1. Besonderheiten der Justizverwaltung am BVGer ............................... 351

a) Organe ........................................................................................... 351

b) Trennung der Gerichtsverwaltung von der Rechtsprechung ......... 352

c) Stellung und Aufgaben der Abteilungspräsidenten ....................... 352

2. Beurteilung der Justizorganisation am BVGer ................................... 352

a) Starke Justizverwaltung auf Ebene des gesamten Gerichts ........... 352

b) Das Gesamtgericht ........................................................................ 353

c) Die Präsidentenkonferenz ............................................................. 354

d) Die Abteilungspräsidenten ............................................................ 354

e) Die Führungsinstrumente .............................................................. 356

3. Fazit .................................................................................................... 356

X. Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht ....................... 359

Das Bundesgericht als Beispiel ................................................................ 359 A. Führung durch den Vorsitzenden des Spruchkörpers als erste Stufe B.

der Kaskade .............................................................................................. 359

Führung durch die Abteilungspräsidenten als zweite Stufe der C.Kaskade .................................................................................................... 360

Führung durch die Präsidentenkonferenz als dritte Stufe der Kaskade .... 363 D. Gesamtgericht als letzte Stufe der Kaskade .............................................. 365 E. Zusammenfassung .................................................................................... 366 F.

XI. Ergebnisse ...................................................................................................... 367

Teil 6 Thesen ............................................................................................... 371

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XXVII

Abkürzungsverzeichnis

a.A. am Anfang

a.a.O. am angegebenen Ort

a.E. am Ende

a.M. anderer Meinung

AB Amtliches Bulletin der Bundesversammlung

Abs. Absatz

Abt. Abteilung

aBV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (AS 1875 1)

AG Aargau

AJP Aktuelle Juristische Praxis

Anh. Anhang

Art. Artikel

AS Amtliche Sammlung des Bundesrechts (Amtliche Sammlung)

Aufl. Auflage

AufRBGer Reglement des Bundesgerichts betreffend die Aufsicht über das Bundesstrafgericht, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundespatentgericht vom 11. September 2006 (Aufsichtsreg-lement des Bundesgerichts, AufRBGer, SR 173.110.132)

AufsR OG Aufsichtsreglement des Obergerichts vom 12. November 2010 (BSG 161.12; Bern)

BBl Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Bd./Bde. Band/Bände

Ber. Bericht

BG Bundesgesetz

BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtli-che Sammlung)

BGer Bundesgericht

BGerR Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006 (BGer, SR 173.110.131)

BGG Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (Bundesgerichts-gesetz, BGG, SR 173.110)

BL Basel-Landschaft

Botsch. Botschaft

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Abkürzungsverzeichnis

XXVIII

BPG Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG, SR 172.220. 1)

BR Bundesrat

BS Basel-Stadt

BSG Bernische Systematische Gesetzessammlung

bspw. Beispielsweise

Bst. Buchstabe

BStGer Bundesstrafgericht

BTJP Berner Tage für juristische Praxis

BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101)

BV 1848 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 12. September 1848 (BBl 1849 I 3 ff.)

BVers Bundesversammlung

BVGer Bundesverwaltungsgericht

bzw. beziehungsweise

CCJE Conseil consultatif de juges européens (Beirat der europäischen Richter des Europarates)

CEPEJ Commission européenne pour l’efficacité de la justice (Europä-ische Kommission für die Effizienz in der Justiz

CM Comité des Ministres (Ministerrat des Europarates)

CRG Gesetz über Controlling und Rechnungslegung vom 9. Januar 2006 (CRG, LS 611; Zürich)

Diss. Dissertation

E. Erwägung

EG ZSJ Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozes-ordnung und zur Jugendstrafprozessordnung vom 11. Juni 2009 (EG ZSJ, BSG 271.1; Bern)

EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EJPD Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Men-schenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschen-rechtskonvention, SR 0.101)

et al. et alii(-ae, -a), (und andere)

EuGRZ Europäische Grundrechtezeitschrift

EVG Eidgenössisches Versicherungsgericht

f./ff. und folgende (Seite/Seiten)

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Abkürzungsverzeichnis

XXIX

FHG Bundesgesetz über den eidgenössischen Finanzhaushalt vom 7. Oktober 2005 (Finanzhaushaltsgesetz, FHG, SR 611.0)

FHV Finanzhaushaltverordnung vom 5. April 2006 (FHV, SR 611. 01)

FKG Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzkontrolle vom 28. Juni 1967 (Finanzkontrollgesetz, FKG, SR 614.0)

FLG Gesetz über die Steuerung von Finanzen und Leistungen vom 26. März 2002 (BSG 620.0; Bern)

FLV Verordnung über die Steuerung von Finanzen und Leistungen vom 3. Dezember 2003 (FLV, BSG 621.1; Bern)

Fn. Fussnote

FR Freiburg

FS Festschrift

GL Glarus

gl.M. gleicher Meinung

GO Geschäftsordnung für den Grossen Rat vom 9. Mai 1989 (GO, BSG 151.211.1; Bern)

GOD Dekret zum Gesetz über die Organisation der Gerichte vom 22. Februar 2001 (Gerichtsorganisationsdekret, GOD, SGS 170.1; Basel-Landschaft)

GOG Gesetz über die Organisation der ordentlichen richterlichen Behörden vom 11. Dezember 1984 (Gerichtsorganisationsge-setz, GOG, SAR 155.100; Aargau)

GOG Gerichtsorganisationsgesetz vom 6. Dezember 2011 (GOG, SAR 155.200; Aargau)

GOG Gesetz über die Organisation der Gerichte vom 22. Februar 2001 (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG, SGS 170; Basel-Landschaft)

GOG Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess vom 10. Mai 2010 (GOG, LS 211.1; Zürich)

GPK Geschäftsprüfungskommission(en)

GRG Gesetz über den Grossen Rat vom 4. Juni 2013 (Grossratsge-setz, GRG, BSG 151.21; Bern)

GRG Grossratsgesetz vom 6. September 2006 (GRG, SGF 121.1; Freiburg)

GSOG Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft vom 11. Juni 2009 (BSG 161.1; Bern)

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Abkürzungsverzeichnis

XXX

GVG Gesetz über die Organisation des Grossen Rates und über den Verkehr zwischen dem Grossen Rat, dem Regierungsrat und dem Obergericht vom 19. Juni 1990 (Geschäftsverkehrsgesetz, GVG, SAR 152.200; Aargau)

Habil. Habilitationsschrift

h.L./h.M. herrschende Lehre/herrschende Meinung

Hrsg./hrsg. Herausgeber/herausgegeben

i.d.F. in der Fassung

insb. insbesondere

IRP-HSG Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, Universität St.Gallen

i.S. in Sachen

i.w.S. im weiteren Sinn

JdT Journal des Tribunaux

JFinR Reglement über die Steuerung von Finanzen und Leistungen der Justiz vom 27. April 2010 (BSG 161.111.2; Bern)

JG Justizgesetz vom 31. Mai 2010 (JG, SGF 130; Freiburg)

JLR Reglement der Justizleitung vom 26. Mai 2010 (BSG 161.111.1; Bern)

JR Justizreglement vom 30. November 2010 (JR, SGF 130.11; Freiburg)

JRR Reglement des Justizrats vom 18. August 2008 (JRR, SGF 130.21; Freiburg)

Kap. Kapitel

KEP Konferenz der Erstinstanzpräsidien (BL)

Komm. Kommentar

KRG Kantonsratsgesetz vom 5. April 1981 (KRG, LS 171.1; Zürich)

KV Kantonsverfassung

KV AG Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (SR 131.227, SAR 110.000)

KV BE Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993 (SR 131.212, BSG 101.1)

KV BL Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Mai 1984 (SR 131.222.2, SGS 100)

KV FR Staatsverfassung des Kantons Freiburg vom 16. Mai 2004 (SR 131.219, SGF 10.1)

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Abkürzungsverzeichnis

XXXI

KV ZH Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 (SR 131.211, LS 101)

lit. litera

LJV Leiter Justizverwaltung (AG)

LS Zürcher Gesetzessammlung (Loseblattsammlung)

LU Luzern

m.E. meines Erachtens

m.(w.)H. mit (weiteren) Hinweisen

N Nationalrat

NPM New Public Management

Nr. Nummer

NZZ Neue Zürcher Zeitung

OG Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (BS 3 531, aufgehoben durch Art. 131 Abs. 1 BGG)

OrR OG Organisationsreglement des Obergerichts vom 23. Dezember 2010 (BSG 162.11; Bern)

OrR VG Organisationsreglement des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2010 (BSG 162.621; Bern)

ParlG Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezem-ber 2002 (Parlamentsgesetz, ParlG, SR 171.10)

PUK Parlamentarische Untersuchungskommission

PVK Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle

RK Kommission für Rechtsfragen

RK-N Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates

RVOG Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG, SR 172.010)

Rz. Randziffer

S Ständerat

S. Seite

SAR Systematische Sammlung des Aargauer Rechts

SBVR Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, hrsg. von Heinrich Koller et al., 19 Bde., Basel ab 1996

SchKG Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 (SchKG, SR 281.1)

schw. Schweizerisch

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Abkürzungsverzeichnis

XXXII

SGF Systematische Gesetzessammlung des Kantons Freiburg

SGG Bundesgesetz vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafge-richt (Strafgerichtsgesetz, SGG, SR 173.71)

SGK St.Galler Kommentar

SGS Systematische Gesetzessammlung des Kantons Basel-Land-schaft

SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung

SO Solothurn

SR Systematische Sammlung des Bundesrechts (Systematische Sammlung)

StBOG Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes vom 19.März 2010 (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG, SR 173.71)

UNO-Pakt II Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II, SR 0.103.2)

VE Vorentwurf

VE 95 Verfassungsentwurf des BR 1995 (vgl. Materialien)

VG Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (Verantwortlichkeitsgesetz, VG, SR 170.32)

VGG Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 17. Juni 2005 (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG, SR 173.32)

vgl. vergleiche

VGR Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht vom 17. April 2008 (SR 173.320.1)

Vol. Volume (Band)

Vorbem. Vorbemerkungen

VPB Verwaltungspraxis der Bundesbehörden (bis 1963 VEB)

VwVG Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezem-ber 1968 (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG, SR 172.021)

WOV Wirkungsorientierte Verwaltungsführung

z.B. zum Beispiel

ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins

ZBl Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht

ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907

zit. zitiert

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XXXIII

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Wo nicht anders angegeben, werden die einzelnen Werke mit Autorenname und Seitenzahl zitiert, bei mehreren Werken desselben Autors wird zusätz-lich mit einem Stichwort zitiert. Weitere Literaturhinweise finden sich im Text.

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Materialienverzeichnis

Die Materialien werden zur besseren Auffindbarkeit nach dem im Text zi-tierten, kursiv gehaltenen Kurztitel geordnet.

Bund:

Bericht Bundesrat 1985 bzw. Modellstudie EJPD, Bericht Bundesrat über die Total-revision der Bundesverfassung vom 6. November 1985, BBl 1985 III 1 ff., inkl. Anhang 6, Modell-Studie vom 30. Oktober 1985 des EJPD „So könnte eine neue Bundesverfassung aussehen“ (Separatum).

Bericht Evaluation, Bericht über Zwischenergebnisse der Evaluation der neuen Bundesrechtspflege vom 18. Juni 2010, BBl 2010 4837-4849.

Bericht Furgler 1977, Bericht der Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bern 1977 (Separatum).

Bericht Geschäftsprüfungskommission, Parlamentarische Oberaufsicht über die eidgenössischen Gerichte, Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständera-tes vom 28. Juni 2002, BBl 2002 7625-7640.

Bericht Modernes Management, Modernes Management in der Justiz, Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrollstelle zuhanden der Geschäftsprüfungskom-mission des Ständerates vom 10. August 2001, BBl 2002 7641-7689.

Bericht Oberaufsicht, Zur Tragweite der parlamentarischen Oberaufsicht über die Gerichte – Positionen in der Rechtslehre, Bericht der Parlamentarischen Verwal-tungskontrollstelle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 11. März 2002, BBl 2002 7690-7726.

Bericht Parlamentsgesetz, Parlamentarische Initiative – Parlamentsgesetz (PG) – Bericht der staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 1. März 2001, BBl 2001 3467-3620.

Botschaft neue BV, Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 1-642.

Botschaft OG, Botschaft des Bundesrates betreffend die Änderung des Bundesgeset-zes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 29. Mai 1985, BBl 1985 II 737-981.

Botschaft OG 1991, Botschaft betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sowie die Änderung des Bundesbeschlusses über eine vorübergehende Erhöhung der Zahl der Ersatzrichter und der Urteilsredak-toren des Bundesgerichts vom 18. März 1991, BBl 1991 II 465-610.

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Materialienverzeichnis

XLVIII

Botschaft Totalrevision, Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundes-rechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4202-4479.

Bundesbeschluss, Bundesbeschluss vom 8. März 2005 über das vollständige Inkraft-treten der Justizreform vom 12. März 2000, AS 2005 1059 f.

Bundesbeschluss Inkrafttreten Justizreform I, Bundesbeschluss vom 24. September 2002 über das teilweise Inkrafttreten der Justizreform vom 12. März 2000, AS 2002 3147.

Bundesbeschluss Inkrafttreten Justizreform II, Bundesbeschluss vom 2. März 2005 über das teilweise Inkrafttreten der Justizreform vom 12. März 2000, AS 2005 1475 f.

Bundesbeschluss Inkrafttreten Justizreform III, Bundesbeschluss vom 8. März 2005 über das vollständige Inkrafttreten der Justizreform vom 12. März 2000, AS 2006 1059 f.

Bundesbeschluss Justizreform, Bundesbeschluss über die Reform der Justiz vom 8. Oktober 1999, AS 2002 3148.

Erläuterungen VE 95, Reform der Bundesverfassung. Bewährtes erhalten – Zukunft gestalten – Schweiz stärken. Erläuterungen zum Verfassungsentwurf, Bern 1995.

Expertenbericht Justizreform, Expertenkommission Justizreform, Totalrevision der Bundesverfassung, Schlussbericht vom 22. März 1995 (Separatum).

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Nachführungsbeschluss, Bundesbeschluss über die Totalrevision der Bundesverfas-sung vom 3. Juni 1987, BBl 1987 II 963.

Parlamentarische Initiative Kommission, Parlamentarische Initiative – Anzahl Rich-ter am Bundesgericht – Verordnung der Bundesversammlung, Bericht der Kommis-sion für Rechtsfragen des Ständerates vom 21. Februar 2006, BBl 2006 3475-3500.

Parlamentarische Initiative Bundesgericht, Parlamentarische Initiative – Anzahl Richter am Bundesgericht – Verordnung der Bundesversammlung, Bericht vom 21. Februar 2006 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, Stellungnahme des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (41-er Plenum) vom 9. März 2006, BBl 2006 3511-3514.

Parlamentarische Initiative Bundesrat, Parlamentarische Initiative – Anzahl Richter am Bundesgericht – Verordnung der Bundesversammlung – Bericht vom 21. Feb-ruar 2006 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, Stellungnahme der Bundesrates vom 17. März 2006, BBl 2006 3503-3509.

Referendumsvorlage OG, Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechts-pflege, Änderung vom 23. Juni 1989, BBl 1989 II 872-920.

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XLIX

Vorentwurf 77, Verfassungsentwurf 1977 der Expertenkommission für die Vorberei-tung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bern 1977 (Separatum).

Kantone:

Botschaft GR AG 99.343, Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 27. Oktober 1999, GR 99.343.

Botschaft GR AG 02.133, Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 15. Mai 2002, GR 02.133.

Botschaft GR AG 03.311, Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 29. Oktober 2003, GR 03.311.

Botschaft GR AG 08.222, Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 13. August 2008, GR 08.222.

Botschaft GR AG 11.154, Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 27. April 2011, GR 11.154.

Botschaft GR AG 11.317, Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 19. Oktober 2011 (2. Beratung), GR 11.317.

Beschluss GR AG 99.343, Beschluss des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 9. Mai 2000, GR 99.343, Art.Nr. 2000-1947.

Beschluss GR AG 03.311-1, Beschluss des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 4. Mai 2004 GR 03.311-1, Art.Nr. 2004-1900.

Beschluss GR AG 11.317.1, Beschluss des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 6. Dezember 2011, GR.11.317.1, Art.Nr. 2011-1653.

Bericht Nr. 2000-090 BL, Weiterführung der Gerichtsreform (Revision des Gesetzes betreffend die Organisation der richterlichen Behörden und Änderung der Kantons-verfassung), Bericht der Justiz- und Polizeikommission an den Landrat vom 10. Januar 2001, abrufbar unter: http://www.baselland.ch/2000-090-htm.281711+ M5ae4c4f5322.0.html.

Vorlage 2000-090 RR BL, Vorlage 2000-090 des Regierungsrates über die Weiter-führung der Gerichtsreform (Revision des Gesetzes betreffend die Organisation der richterlichen Behörden und Änderung der Kantonsverfassung) vom 18. April 2000, abrufbar unter: http://www.baselland.ch/2000-090_inh-htm.275884 +M5ae4c4f5322 .0.html.

Bericht Kommission BL, Bericht der Justiz- und Sicherheitskommission an den Landrat des Kantons Basel-Landschaft vom 1. Juni 2012, 2012-014.

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Materialienverzeichnis

L

Vorlage 2012 -014 BL, Vorlage 2012-014 des Regierungsrates über die Teilrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Gerichtsorganisationsdekretes an den Landrat des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Januar 2012, abrufbar unter: http://www.baselland.ch/fileadmin/baselland/files/docs/parl-lk/vorlagen/2012/2012-014.pdf.

Botschaft JG FR, Botschaft Nr. 175 des Staatsrats an den Grossen Rat zum Entwurf für ein Justizgesetz (JG) vom 14. Dezember 2009, ASF 2010_066.

Vorlage 4611 ZH, Antrag des Regierungsrates vom 1. Juli 2009, A. Verfassung des Kantons Zürich, B. Gesetz über die Anpassung der kantonalen Behördenorganisati-on und des kantonalen Zivilprozessrechts in Zivil- und Strafsachen an die neuen Prozessgesetze des Bundes, Amtliches Blatt 2009 1489.

Tagblatt BE 2006, Vortrag des Regierungsrates vom 2. November 2005 zur Justizre-form, Verfassung des Kantons Bern (Änderung), Tagblatt des Grossen Rates 2006, Beilage 6, S. 2 ff.

Tagblatt BE 2009, Vortrag des Regierungsrates vom 17. Dezember 2008 zum Ein-führungsgesetz zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugend-strafprozessordnung (EG ZSJ) sowie zum Gesetz über die Organisation der Ge-richtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG), Tagblatt des Grossen Rates 2009, Beilage 17, S. 2 ff.

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Zusammenfassung

Die vorliegende Dissertation hat die Justizorganisation der Schweiz, insbe-sondere deren Leitungsstrukturen im Bund und in ausgewählten Kantonen zum Gegenstand.

Zunächst stellt die Dissertation die Grundlagen der Justiz in der Schweiz und deren verfassungsrechtliche Einbettung (Strukturprinzipien und Verfahrens-garantien) sowie die möglichen Spannungsfelder und die Richtlinien einer justiziellen Führung dar.

In der Folge wird auf die Organisation der Gerichte des Bundes eingegan-gen, wobei die Organisation des Bundesgerichts sowie des Bundesverwal-tungsgerichts umfassend analysiert wurde. Insbesondere die Leitungsorgane und deren Aufgaben, aber auch die Führungsinstrumente und das Control-ling werden einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Die Ergebnisse prä-sentieren sich bei beiden Gerichten ähnlich. Schliesslich folgt eine Darstel-lung von Aufsicht und Oberaufsicht im Bund.

In einem weiteren Teil wird die Justizorganisation in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Freiburg, Zürich und Bern zum Gegenstand der Untersu-chung. Trotz föderaler Eigenheiten kann eine Tendenz zu einer zentralisier-ten Führung ausgemacht werden. Auch die Aufsichts- und Oberaufsichtssys-teme in den Kantonen werden kurz dargestellt. Der Kanton Freiburg bildet mit seinem unabhängigen Justizrat als Aufsichtsbehörde eine Ausnahmeer-scheinung in der schweizerischen Justizlandschaft.

Den eigentlichen Kern der Arbeit bildet der letzte Teil, welcher sich der Lei-tung der Justiz und ihrer Verfassungsmässigkeit widmet. Die Begriffe Justiz-verwaltung und Rechtsprechung werden vertieft untersucht und der dadurch neu definierte Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung wird ab-gegrenzt. Aus den drei Begriffen wird im Zusammenhang mit der richterli-chen Unabhängigkeit das Drei-Kreise-Modell vorgestellt, welches aufzeigt, dass eine Führung im Bereich der Justizverwaltung und der rechtsprechungs-nahen Justizverwaltung grundsätzlich möglich erscheint, dass diese aber eine separate und genaue Betrachtung im Zusammenhang mit der Leitung benö-

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Zusammenfassung

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tigt. Wegen des Schutzes aus Art. 30 BV bedarf es für die Einschränkung der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung eines überwiegenden Interesses. Im Weitern werden ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung wie Erledigungszahlen, Controlling oder eine Leistungsbeurteilung der Richter näher untersucht. Ebenso wird die Justizorganisation in den Kantonen und im Bund kritisch gewürdigt und schliesslich wird ein Vorschlag für eine kaskadenartige Leitung am Bundesgericht präsentiert.

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Résumé

Cette thèse porte sur l’organisation et la gouvernance du système judiciaire en Suisse. Dans la première partie sera présentée l’organisation judiciaire en Suisse. La deuxième partie traite du pouvoir judiciaire et surtout de ses prin-cipes constitutionnels, ses principes structurels comme ses garanties procé-durales.

La troisième partie examine l’organisation du pouvoir judiciaire dans les tribunaux fédéraux, en analysant la gouvernance du Tribunal fédéral avec les outils de gestion et de pilotage mis en place. Cette analyse a été développée aussi pour le Tribunal administratif fédéral avec à peu près les mêmes résul-tats. La quatrième partie porte sur l’organisation et la gouvernance du pou-voir judiciaire dans cinq cantons sélectionnés. Malgré quelques particularités cantonales, l’analyse révèle une tendance vers une gestion et une gouver-nance centralisée.

La cinquième partie porte sur le cœur même de la problématique de cette thèse. Elle est dédiée à la gouvernance du pouvoir judiciaire et à sa constitu-tionnalité. Dans un premier temps, est abordé le nouveau domaine de la ges-tion proche de la jurisprudence („rechtsprechungsnahe Justizverwaltung“). Avec les concepts de l’administration judiciaire et la jurisprudence, apparaît un modèle organisé en trois cercles, qui montre qu’une gouvernance des cercles de l’administration judiciaire et de la gestion proche de la jurispru-dence est juridiquement possible. Cependant, étant protégée par l’article 30 de la Constitution fédérale, il faut un intérêt primordial pour la gouvernance qui porte sur le cercle de la gestion proche de la jurisprudence, ce qui n’est pas le cas au niveau de l’administration judiciaire. Par la suite, sont exami-nés en détail plusieurs domaines choisis de la gouvernance. Enfin, sont éva-lués de façon critique l’organisation et la gouvernance des tribunaux canto-naux et fédéraux, et pour conclure, est formulée une proposition de gouver-nance en cascade au niveau du Tribunal fédéral. La cinquième partie conclut avec les résultats.

La sixième partie synthétise les conclusions de ce travail en les présentant en différentes sous-thèses.

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Management Summary

The present thesis covers the governmental structures of judiciary in Swit-zerland. First, judiciary in Switzerland is subject to the analysis. Subsequent-ly, part two examines the constitutional embedment of judiciary in Switzer-land, i.e. the structural principles and the procedural guarantees.

Part three examines the Federal Courts. First, a comprehensive analysis of the Swiss Federal Court is presented. Also the management tools are subject to a thorough consideration. A similar analysis follows for the Swiss Federal Administrative Court, where the situation of the organs presents itself com-parable to the situation in the Federal Court.

Part four examines the judiciary organization in five selected cantons. In spite of all federalist characteristics, a tendency to centralization of the judi-ciary administration can be identified.

Part five is the actual core of the thesis. It is devoted to the management of the judiciary and its constitutionality. First, the new area of the jurisdiction-close judicial administration is introduced. The three-circle model will be presented along with the jurisdiction and the general judicial administration. This model shows that leadership in the area of the general judicial admin-istration and the jurisdiction-close judicial administration appears to be pos-sible.

Due to the protection of Article 30 of the Swiss Constitution, an overriding interest is required for management with respect to the jurisdiction-close judicial administration.

Afterwards, selected areas of the court internal management are investigated closer. Subsequently the organization and management in the cantons and the Swiss Confederation are evaluated critically. A proposal for a stronger management is presented afterwards on the basis of the Swiss Federal Court.

Part six summarizes the insights of the thesis in statements.

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Aufbau

Die Studie gliedert sich in sechs Teile. Der erste Teil ist der Justiz in der Schweiz gewidmet. Es werden zunächst die Grundlagen der Justiz erklärt. Danach wird auf die Gewaltenteilung eingegangen und anschliessend auf die Aufsicht und Oberaufsicht.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbe-dingungen der Justiz. Insbesondere werden hier die Strukturprinzipien (wie Rechtsstaat, Wirtschaftsstaat etc.) und die Verfahrengarantien einer genaue-ren Betrachtung unterzogen. Auch werden die Spannungsfelder und die Richtlinien einer justiziellen Führung aufgezeigt.

Der dritte Teil behandelt die Justizorganisation im Bund, genauer am Bun-des- und Bundesverwaltungsgericht, während sich der vierte Teil der Jus-tizorganisation in fünf ausgewählten Kantonen (Aargau, Basel-Landschaft, Freiburg, Zürich und Bern) widmet.

Der fünfte Teil behandelt die gerichtsinterne Leitung und ihre Verfassungs-mässigkeit. Zunächst wird eine gerichtsinterne Leitung in Beziehung zur Rechtsprechung und zur Justizverwaltung gesetzt und es wird der Begriff der „rechtsprechungsnahen Justizverwaltung“ eingeführt. Anschliessend werden ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung thematisiert. In der Folge wird die in den Teilen drei und vier dargestellte Organisation des Bundes bzw. der ausgewählten Kantone in Bezug auf die Führungsstruktur näher untersucht und es wird ein Vorschlag für eine kaskadenhafte Führung am Bundesgericht gemacht.

Ein letzter Teil fasst die Ergebnisse in Thesen zusammen.

Das Manuskript wurde im Oktober 2013 abgeschlossen. Später erschienene Publikationen konnten nicht mehr berücksichtigt werden.

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Teil 1 Die Justiz in der Schweiz

I. Die Justiz im Allgemeinen

Begriffe A.

1. Die Justiz und die Gerichte

Als Justiz, Judikative, Gerichte oder richterliche Gewalt bezeichnet man „diejenigen Staatsorgane, deren Hauptfunktion die Rechtsprechung ist“1 oder „jene spezifische unabhängige staatliche Organgruppe […], welche die Rechtsprechung ausübt“2. Im organisatorischen Sinne meint der Begriff der Justiz die Gesamtheit der Gerichtsbehörden.3 Die Justiz ist neben Legislative und Exekutive die dritte Gewalt im Staat.4

Die mit Unabhängigkeit ausgestatteten Behörden sind im Wesentlichen eigens für die Rechtsprechung geschaffene Organe, die Gerichte.5 Ein Ge-richt ist „eine Behörde, die nach Gesetz und Recht in einem justizförmigen, fairen Verfahren begründete und bindende Entscheidungen über Streitfragen trifft. Sie braucht nicht in die or-dentliche Gerichtsstruktur eines Staates ein-gegliedert zu sein; sie muss jedoch organisatorisch und personell, nach der Art ihrer Ernennung, der Amtsdauer, dem Schutz vor äusseren Beeinflus-sungen und nach ihrem Erscheinungsbild sowohl gegenüber anderen Be-hörden als auch gegenüber den Parteien unabhängig und unparteiisch sein.“6

1 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 931; FISCHBACHER, S. 6. 2 KISS, S. 19; vgl. auch FROWEIN/PEUKERT, Rz. 200 zu Art. 6 EMRK. 3 KISS, S. 19. 4 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2905. 5 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 931. 6 BGE 126 I 228 E. 2a/bb S. 230 f.; vgl. für die Verwaltungsbehörden TSCHANNEN,

Staatsrecht, § 40, Rz. 14; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droits, Rz. 1236 und Rz. 1248.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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2. Die Rechtsprechung

Die übergeordnete Aufgabe der Justiz ist es, den Rechtsfrieden wiederherzu-stellen bzw. das Gemeinwohl zu fördern.7 Die Justiz hat Recht anzuwenden; sie ist verantwortlich für die Rechtspflege in der Schweiz.8 Rechtspflege meint die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten im Auftrag des Staates.9 Der Begriff der Rechtsprechung meint den Teil der Rechtspflege, welche durch eine richterliche Behörde über Rechtsstreitigkeiten und Strafen ent-schieden wird.10 Sie ist die „verbindliche Entscheidung von Rechtstreitig-keiten durch eine am Streit nicht unmittelbar beteiligte und unabhängige Be-hörde in einem justizförmigen Verfahren […].“11 BIAGGINI definiert die Rechtsprechung als „streitentscheidende Rechtsanwendung, die um besonde-rer Schutzbedürfnisse willen den – sich durch ihre Unabhängigkeit und Ver-fahrensstandards auszeichnenden – Gerichten anvertraut ist. Die Rechtspre-chung dient dabei in doppeltem Sinn dem Rechtsschutz: zum einen dem Schutz der subjektiven Rechte von Individuen, zum anderen (meist zugleich) dem Schutz des objektiven Rechts. Die Justiz könnte daher als „rechtsschüt-zende Gewalt“ bezeichnet werden […].“12

Bei den genannten Definitionen von HALLER/KÖLZ/GÄCHTER und KISS steht der Entscheid einer richterlichen Behörde, also das Ergebnis des Urteilspro-zesses im Zentrum der Definition. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Autoren mit dem Begriff der Rechtsprechung nicht nur den Entscheid an sich meinen. Eine solche Einengung des Begriffs der Rechtsprechung auf

7 KETTIGER, Parteien, S. 246. 8 Vgl. dazu auch hinten zur Gewaltenteilung, S.19 ff.; WALTER, Richtiges Recht,

Rz. 5 ff. 9 FISCHBACHER, S. 6. 10 Dies geschieht durch individuell-konkrete Akte, vgl. HALLER/KÖLZ/GÄCHTER,

Rz. 931. 11 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 3; ähnlich KISS, S. 44: „Rechtsprechung als

verbindlicher Ausspruch dessen, was in einem konkreten Fall rechtens ist, […] erst dann wesensmässig zur solchen, wenn ein unabhängiger Dritter, eine neutrale In-stanz den Ausspruch tätigt.“

12 BIAGGINI, Rechtsprechung, § 73, Rz. 5; vgl. auch HESSE, Rz. 548.

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Die Justiz im Allgemeinen

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den reinen Entscheid liesse die gesamte Vorbereitung, also die richterliche Tätigkeit der Entscheidfindung ausser Acht. Mithin würde der ganze Bereich der Entscheid- bzw. Rechtsfindung, also der rechtsprechenden Tätigkeit bis zum Urteil, nicht unter den Begriff der Rechtsprechung fallen, was aber of-fensichtlich nicht die Meinung der Autoren sein kann. Genau der Bereich der Rechtsfindung untersteht der richterlichen Unabhängigkeit, da dort und nicht beim Entscheid selbst am ehesten auf die Richter eingewirkt werden kann.13

Es kann demnach festgehalten werden: Die Rechtsprechung umfasst nicht nur den Entscheid per se, nämlich das Ergebnis des Prozesses an sich, son-dern auch die ihn vorbereitenden rechtsanwendenden Tätigkeiten oder an-ders gesagt: Rechtsprechung umfasst die rechtsanwendende Tätigkeit von der Einleitung eines Verfahrens bis zum Urteil samt Begründung.

Richter subsumieren aber nicht nur den Sachverhalt unter die zutreffende Rechtsregel, sondern sie haben in schöpferischer Tätigkeit Teil an der Kon-kretisierung und an der Fortbildung des Rechts.14 Eine personenunabhängige und wertfreie Normkonkretisierung ist von vornherein nicht möglich.15

3. Die Richterinnen und Richter

Ein Richter ist ein „zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten berufenes Organ der Rechtspflege“16.Gemäss BOSSHART können als Richter all dieje-nigen Personen bezeichnet werden, „welche als Staatsorgane mit der Rechts-anwendung im Sinne der autoritativen Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten oder der Strafverhängung unter Einräumung persönlicher und sachlicher Unabhängigkeit betraut sind.“17 EICHENBERGER umschreibt den Richter als

13 Art. 191c BV bestimmt, dass die richterlichen Behörden in ihrer „rechtsprechenden

Tätigkeit“ unabhängig sind. 14 BRÜGGEMANN, S. 131; SEILER, Wahl, S. 13. 15 Vgl. KIENER, Unabhängigkeit, S. 63; ähnlich HASSEMER, S. 392, welcher die

Rechtsprechung „als produktives Weiterdenken des Gesetzes auf neue Fälle und verändertes Rechtsempfinden hin“ definiert.

16 FISCHBACHER, S. 6; GRANDJEAN, S. 4 m.w.H. 17 BOSSHART, S. 8; ähnlich FISCHBACHER, S. 6.

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den Dritten, als den, der ausspricht, was als Recht gelten soll. Erwartet wird von ihm das „sach- und rechtsrichtige, das Gesetz und Recht entsprechende, das der Gerechtigkeit angenäherte Urteil.“18 Von entscheidender Bedeutung für die Definition des Richterbegriffs sind die Elemente der Unabhängigkeit und der Weisungsfreiheit. Ein Richter soll als unparteiischer Dritter ent-scheiden.19

Die Justiz auf Bundesebene B.

1. Das Bundesgericht

a) Stellung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht ist die „oberste rechtsprechende Behörde des Bundes“ und hat sich grundsätzlich mit allen Rechtsbereichen zu befassen.20 Es steht als Spitze der eidgenössischen Justiz auf gleicher Stufe wie der Bundesrat.21

Das Bundesgericht spricht als oberstes schweizerisches Gericht – und damit in vielen Fällen letztinstanzlich – Recht. Art. 188 Abs. 1 BV umschreibt mit den Worten „oberste rechtsprechende Behörde“ die staatsrechtliche Stellung des Bundesgerichts: Es ist sowohl im Verhältnis zu anderen rechtsprechen-den Behörden des Bundes, z.B. zu Bundesverwaltungs- und Bundesstrafge-richt, als auch im Verhältnis zu kantonalen rechtsprechenden Behörden „oberstes“ Gericht.22 Damit nimmt es in der Gerichtsorganisation des Bun-des eine herausragende Stellung ein.23

18 EICHENBERGER, Sonderheiten, S. 73 f. 19 FISCHBACHER, S. 6; ähnlich MATTER, S. 6. 20 Art. 188 Abs. 1 BV; FISCHBACHER, S. 109. 21 Vgl. KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 10; vgl. zur Gewaltengliederung in

der Schweiz S. 19 ff. 22 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 188 BV, Rz. 5; HÄFELIN/HALLER/KELLER,

Rz. 1703. 23 FISCHBACHER, S. 169.

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Das Bundesgericht besteht aus sieben Abteilungen, die nach Rechtsgebieten gegliedert sind. Das Bundesgericht ist zugleich Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und Verfassungsgericht.24 In der Regel entscheiden die Abteilungen in der Besetzung mit jeweils drei Richtern. Bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder auf Anordnung des Abteilungspräsidenten entscheiden sie in einer Besetzung mit fünf Richtern.25

b) Kompetenzen des Bundesgerichts

Mit der Position an der Spitze der judikativen Gewalt verbinden sich zwei spezifische Aufgaben, durch die sich das Bundesgericht von allen anderen eidgenössischen Gerichten und auch von den kantonalen Justizbehörden deutlich unterscheidet. Zu diesen besonderen Aufgaben gehört erstens die Wahrung der bundesstaatlichen Rechtseinheit: Weite Teile der Bundesge-setzgebung werden durch die Kantone bzw. deren Gerichte vollzogen. Die-ser dezentrale Vollzug stärkt die Kantone und gewährleistet grössere Sach- und Ortsnähe. Auf der anderen Seite ist damit aber eine ungleiche Handha-bung des Bundesrechts je nach Kanton möglich, weshalb das Bundesgericht mit seiner Rechtsprechung zur Vereinheitlichung beitragen soll. Die zweite Aufgabe des Bundesgerichts besteht darin, mittels der Verfassungsrechts-pflege die „Essentialia der schweizerischen Verfassungsordnung zu schüt-zen“.26 Neben der Verfassungsgerichtsbarkeit stehen dem Bundesgericht in wenigen und stark eingeschränkten Fällen auch Rechtsetzungskompetenzen zu.27

Daneben verfügt das Bundesgericht schliesslich im Rahmen seiner internen Verwaltungstätigkeit über Aufsichts- und Entscheidkompetenzen. Es obliegt

24 Vgl. FISCHBACHER, S. 109. 25 Art. 20 Abs. 2 BGG. 26 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 188 BV, Rz. 4; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40,

Rz. 7 f. 27 Vgl. FISCHBACHER, S. 120.

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dem Gericht selbst, die Wahl des Personals vorzunehmen, die Dienstaufsicht auszuüben oder den Gerichtsbetrieb zu organisieren.28

2. Die erstinstanzlichen Gerichte des Bundes

Mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 und insbesondere mit der Reform der Bundesrechtspflege wurden zwei neue Gerichte des Bundes geschaffen: Das Bundesverwaltungsgericht in St.Gallen und das Bundes-strafgericht in Bellinzona.29 Das Bundesverwaltungsgericht ist das grösste Schweizer Gericht. Es besteht aus mehr als 70 Richterinnen und Richtern sowie aus ca. 200 Gerichtsschreibenden, während das Bundesstrafgericht in Bellinzona deutlich kleiner ist.30 Die beiden neu geschaffenen erstinstanz-lichen Gerichte des Bundes sollen das Bundesgericht als Vorinstanzen ent-lasten. Teilweise entscheiden sie auch letztinstanzlich.31 Das Bundesgericht steht im Instanzenzug über dem Bundesverwaltungs- und dem Bundesstraf-gericht. Diese sind dem Bundesgericht zwar nicht „im streng hierarchischen Sinn unterstellt“, aber das Bundesgericht als letztinstanzlicher Entscheidträ-ger in der Schweiz rangiert dennoch als oberstes Gericht der Schweiz über diesen beiden erstinstanzlichen Bundesgerichten. Auch haben die Entscheide des Bundesgerichts Bindungswirkung.32

3. Die Gewährleistungsaufgabe der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist verfassungsrechtlich verpflichtet, die Justiz zu gewährleisten.33 Diese Aufgabe umfasst das Einrichten der Gerichte des Bundes durch Gesetz, ihre Ausstattung mit genügenden finanziellen, perso-

28 Vgl. zum Thema Justizverwaltung ausführlich hinten, S. 65 ff. 29 Vgl. http://www.eidgenoessischegerichte.ch/, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013. 30 Diesem gehören nur 18 Richter an. Vgl. zum Bundesverwaltungsgericht S. 159 ff. 31 Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet insbesondere in Asylverfahren letztin-

stanzlich, vgl. RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1417. 32 FISCHBACHER, S. 170. 33 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 19; vgl. dazu auch KOLLER, BGG-Kommentar

zu Art. 2, Rz. 26 f.

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Die Justiz im Allgemeinen

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nellen und technischen Mitteln, die Abhilfe bei Überlastung oder bei einer sachlichen oder personellen Krise in einer Justizinstitution sowie selbstver-ständlich die demokratisch-rechtsstaatliche Festlegung des Prozessrechts.34

Die Justiz auf Kantonsebene C.

Nach Art. 191b BV haben die Kantone richterliche Behörden bereitzustellen. Dies gilt für die Beurteilung von zivilrechtlichen, öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Angelegenheiten. Die kantonalen richterlichen Behörden haben dabei Art. 30 BV umzusetzen, weshalb auch die kantonalen Gerichte über Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verfügen müssen. Art. 49 BV verpflichtet die kantonalen Gerichte sodann, die derogatorische Kraft des Bundesrechts zu prüfen und anzuwenden. Ebenso müssen sie kantonale ver-fassungsmässige Rechte nach Art. 189 Abs. 1 lit. a BV durchsetzen.35 Schliesslich entstehen auch aus Art. 5 und 6 EMRK Verpflichtungen, welche Auswirkungen auf die kantonalen Justizbehörden bzw. auf deren Rechtspre-chung haben.36

Totalrevision der Bundesrechtspflege und Justizreform D.

1. Die Reform der Bundesverfassung

Die ursprüngliche Bundesverfassung vom 12. September 1848 sah in Art. 94 Abs. 1 die Einführung eines nichtständigen Bundesgerichts für die Bereiche, welche in die Zuständigkeit des Bundes fielen, vor. Da nur relativ wenige Befugnisse Sache des Bundes waren, war auch die Stellung des Bundesge-

34 Vgl. KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 2, Rz. 27; SCHWEIZER, Oberaufsicht, S. 4. 35 Vgl. auch S. 38 ff. 36 SCHMID/UHLMANN, Kantone, Rz. 26; vgl. für Ausnahmen im Rahmen von Art. 29a

Satz 2 BV RHINOW/SCHEFER, Rz. 2965.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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richts entsprechend schwach.37 Mit der Bundesverfassung von 1874 wurde erstmals ein ständiges Gericht mit Sitz in Lausanne eingerichtet.

Im Jahr 1999 schliesslich wurde mit der Totalrevision der Bundesverfassung ein langer und teilweise mühsamer Reformprozess beendet, der 1965 be-gann. Die Bundesverfassung von 1874 (aBV) war seit ihrem Inkrafttreten mehr als hundertdreissig Mal geändert, jedoch nie einer Totalrevision unter-zogen worden. Die Bevölkerung kannte in der Folge die aBV nicht mehr und identifizierte sich auch nicht mehr damit.38 Bereits 1967 begann eine Exper-tenkommission (Arbeitsgruppe von alt Bundesrat Friedrich Traugott Wah-len) mit den Arbeiten für eine neue Verfassung. Unter der Leitung von alt Bundesrat Kurt Furgler wurde diese Arbeit ab 1973 fortgesetzt.39 Das Pro-jekt einer neuen Verfassung stiess in der Vernehmlassung auf hohe Beach-tung und breite Anerkennung.40 Daraufhin überarbeitete das EJPD im Auf-trag des Bundesrates den Entwurf und erarbeitete einen umfassenden Bericht sowie einen neuen Entwurf – die sogenannte Modellstudie JPD 1985.41 Am 3. Juni 1987 fassten die eidgenössischen Räte folgenden Beschluss: Erstens sollte die aBV total revidiert werden, zweitens sollte der Bundesrat der Bun-desversammlung einen Entwurf dazu unterbreiten und drittens sollte dieser Entwurf das geltende geschriebene und ungeschriebene Verfassungsrecht nachführen.42

1995 lancierte der Bundesrat den Verfassungsentwurf für eine totalrevidierte Bundesverfassung43 und 1997 legte der Bundesrat dem Parlament einen be-

37 Vgl. dazu ausführlich FISCHBACHER, S. 14 ff. und ERRASS, BGG-Kommentar, Zur

Geschichte des Bundesgerichts, Rz. 2. 38 Erläuterungen VE 95, S. 8. 39 Vgl. Bericht Furgler 1977. 40 Vgl. Vorentwurf 77. 41 Bericht Bundesrat 1985, 1 ff. bzw. Modellstudie EJPD; vgl. auch den zur gleichen

Zeit entstandenen, unabhängigen Entwurf vom 16. Mai 1984 von KÖLZ/MÜLLER. 42 Vgl. Art. 1-3 Nachführungsbeschluss; EHRENZELLER, S. 29 ff. 43 Vgl. Erläuterungen VE 95 und Expertenbericht Justizreform.

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Die Justiz im Allgemeinen

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reinigten Entwurf einer neuen Bundesverfassung vor.44 Diese wurde in der Volksabstimmung vom 18. April 1999 angenommen und trat am 1. Januar 2000 in Kraft. Die neue Bundesverfassung brachte zwar punktuelle, jedoch keine grundlegenden Änderungen im Bereich der Justiz auf Bundesebene. Die notwendigen Anpassungen wurden nicht im Rahmen der BV-Revision, sondern einer eigenständigen Justizreform eingeführt.45

2. Die Justizreform und die neue Justizverfassung

Der Reformbereich der Justiz enthielt einige materielle Änderungsvorschlä-ge. Diese wurden nicht im Rahmen der Revision der Verfassung von 1999 umgesetzt, sondern gesondert behandelt.46 Es sollten Voraussetzungen für das Bundesgericht geschaffen werden, damit es seine Aufgaben als oberstes Gericht wieder optimal erfüllen konnte. Damit war der Vorsatz, die chroni-sche Überlastung des Gerichts zu mildern, verbunden.47 Die Überlastung des Bundesgerichts hatte sich seit den Achtzigerjahren als Dauerproblem her-ausgestellt. Die Teilrevision des Organisationsgesetzes von 1991 bewirkte zwar eine gewisse Entlastung, diese Entlastungsmassnahmen wurden aber rasch durch die weiter steigenden Eingänge kompensiert.48 Die Geschäftslast stabilisierte sich auf einem für das Gericht kaum zu verkraftenden hohen Niveau. Bei ständig wachsender Geschäftslast war die Zahl der Richterinnen und Richter seit 1984 unverändert geblieben. Bundesgericht und Eidgenössi-sches Versicherungsgericht konnten dem zunehmenden Erledigungsdruck nur dank eines schrittweisen Ausbaus des Bestandes an Gerichtsschreiberin-nen und Gerichtsschreibern Stand halten. Vor der Revision kamen auf einen

44 Botschaft neue BV; vgl. zu dieser unendlichen Geschichte der Reform RASELLI,

Justizreform, S. 420 sowie WURZBURGER, Organisation, S. 631. 45 Vgl. sogleich. 46 Vgl. KÄLIN, S. 121 ff.; Botschaft neue BV, 494. 47 Erläuterungen VE 95, 19; vgl. aber auch RASELLI, Justizreform, S. 424;

WURZBURGER, Présentation, S. 12; KARLEN, S. 4. 48 Botschaft Totalrevision, 4211.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Richter drei Gerichtsschreibende beim Bundesgericht und 3,7 Gerichts-schreibende beim EVG.49

Im Rahmen der Justizreform wurde die richterliche Unabhängigkeit neu explizit auf Verfassungsstufe normiert und es wurden aufgrund der gewoll-ten Entlastung des Bundesgerichts Bestimmungen zu den erstinstanzlichen Bundesgerichten in die Verfassung aufgenommen.50 Der Bundesbeschluss über die Reform der Justiz vom 8. Oktober 1999 wurde von Volk und Stän-den am 12. März 2000 angenommen.51 In der Folge gab es noch drei weitere Bundesbeschlüsse über das gestaffelte Inkrafttreten der Artikel der Justizre-form sowie den Bundesbeschluss über das vollständige Inkrafttreten der Justizreform vom 12. März 2000.52

Mit der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 und dem Beschluss vom 12. März 2000 über die Reform der Justiz wurde eine gegenüber der alten BV erheblich veränderte neue Justizverfassung geschaffen. Nach die-sem neuen Verständnis sollte die dritte Gewalt als Gruppe von unabhängigen staatlichen Organen, welcher die Rechtsprechung obliegt, eine besondere Verankerung in der Verfassung bekommen.53 Die Justizbestimmungen neh-men in der BV eine zentrale Stellung ein. So können verschiedene Gruppen von Bestimmungen unterschieden werden, z.B. jene zu den verfassungsmäs-sigen Rechten des Bundes54, zur Organisation der Gerichte des Bundes und der Kantone sowie die spezifischen institutionellen Garantien der Justiz.55

49 Botschaft Totalrevision, 4211. 50 Vgl. KOLLER, Grundzüge, S. 15; KARLEN, S. 5. 51 Bundesbeschluss Justizreform; vgl. zur Justizreform allgemein SCHILLER,

S. 345 ff.; RHINOW/SCHEFER, Rz. 2824 ff. 52 Bundesbeschluss Inkrafttreten Justizrefom I-III und Bundesbeschluss; vgl. allge-

mein zur Justizverfassung SCHWEIZER, Justizverfassung, S. 589 ff. 53 Vgl. SCHWEIZER, SGK, Vorbemerkungen zur Justizverfassung, Rz. 1. 54 Vgl. dazu SCHWEIZER, Justizverfassung, S. 591 ff.; HÄFELIN/HALLER/KELLER

Rz. 1973. 55 Vgl. die Einteilung bei SCHWEIZER, SGK, Vorbemerkungen zur Justizverfassung,

Rz. 3 ff.

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Die Justiz im Allgemeinen

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3. Die Totalrevision der Bundesrechtspflege

Auf Gesetzesebene wurde das OG von 1874 ein erstes Mal 1893 überarbei-tet, danach von anderen Gesetzen (SchKG, ZGB) massgeblich beeinflusst und 1943 total revidiert.56 Auch das OG von 1943 war sodann Gegenstand von Reformbemühungen.57 Die Referendumsvorlage scheiterte jedoch 1990 in der Volksabstimmung vor allem wegen der geplanten Erhöhung der Streitwertgrenzen in der Zivilrechtspflege.58 In der OG-Revision von 1991 wurden die unbestrittenen Teile der Vorlage von 1989 wieder aufgenom-men.59 Das revidierte OG trat im Februar 1992 in Kraft und brachte u.a. einen Ausbau der richterlichen Vorinstanzen in der Verwaltungsrechtspfle-ge, eine Verallgemeinerung der Dreierbesetzung des Gerichts und die Ein-führung des Zirkulationsverfahrens.60 Schliesslich löste 2007 das neu ver-fasste Bundesgerichtsgesetz (BGG)61 das OG ab. Die Neuerungen in der Organisation der obersten Gerichte und die Einführung der Einheitsbe-schwerde waren zwei wichtige Gründe dafür. Ein weiterer Grund war die Unübersichtlichkeit und Schwerfälligkeit des alten OG. Das neue BGG hin-gegen ist übersichtlich strukturiert, legt die Organisation des gesamten Bun-desgerichts fest und nennt sämtliche möglichen Rechtsmittel. Das BGG räumt dem Bundesgericht auch eine grössere Autonomie bei der Organisati-on ein. Es beschränkt sich darauf, die wichtigsten Organe zu nennen und ihre grundsätzlichen Kompetenzen zu umschreiben und überlässt es dem Bun-desgericht, Einzelheiten festzulegen. Das Bundesgericht soll die Anzahl und Art der Abteilungen selbst festlegen können. Das OG bestimmte im Art. 12 noch die verschiedenen Abteilungen des Gerichts.

56 Vgl. zur Geschichte des OG ERRASS, BGG-Kommentar zur Geschichte des Bun-

desgerichts, Rz. 26 ff. 57 Vgl. Botschaft OG, 737 ff. 58 Vgl. für den Text die Referendumsvorlage OG. 59 Botschaft OG 1991. 60 Vgl. den Text des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege

vom 16. Dezember 1943 (OG), AS 1948 485. 61 Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG), SR 173.110. Im

Folgenden wird nur noch die Abkürzung BGG verwendet.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Die Totalrevision der Bundesrechtspflege brachte neben dem BGG noch zwei weitere Gesetze, das Bundesgesetz über das Bundesstrafgericht (SGG)62 und das Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht (VGG)63, welche die erstinstanzlichen Bundesgerichte normieren. Die Regelungen über die Organisation und die Verwaltung des Bundesgerichts gehen zurück auf Art. 12 ff. der bundesrätlichen Gesetzesentwürfe sowie auf den Bericht der Arbeitsgruppe Bundesgerichtsgesetz vom 16. März 2004.64 In der Folge wurden die vom Bundesrat gestützt auf die Botschaft und die Ergebnisse der Arbeitsgruppe eingebrachten Vorschläge nur noch geringfügig modifiziert.

62 Bundesgesetz vom 4. Oktober 2002 über das Bundesstrafgericht (SGG), in Kraft

seit 1. August 2003 bzw. 1. April 2004, AS 2003 2133, heute abgelöst durch das Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG), in Kraft seit 1. Januar 2011. Vgl. zum StBOG BBl 2001 4517 und NIGGLI/MAEDER, Rz. 33 ff.

63 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwal-tungsgerichtsgesetz, VGG), in Kraft seit 1. Januar 2007, SR 173.32. Vgl. für den Text BBl 2001 4539.

64 Botschaft Totalrevision, 4282 ff.; Bericht zu den Normvorschlägen der Arbeits-gruppe Bundesgerichtsgesetz vom 16. März 2004, abrufbar unter http://www.bj. admin.ch/content/bj/de/home/themen/staat_und_buerger/gesetzgebung/abgeschlos sene_projekte0/bundesrechtspflege.html, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

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Die Gewaltenteilung

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II. Die Gewaltenteilung

Begriff und Inhalt der Gewaltenteilung A.

1. Begriff

a) Die klassische Dreiteilung der Gewalten im Staat

Die klassische Gewaltenteilungslehre unterscheidet die drei Staatsorgane Parlament, Regierung und Gerichte und ordnet jedem dieser Organe eine – funktionelle – Staatsfunktion zu.65 Die Staatsmacht soll auf eine Mehrzahl von Herrschaftsträgern aufgefächert werden, welche voneinander unabhän-gig sind und sich wechselseitig überwachen.66 Diese Aufteilung geschieht, „um Macht im Interesse des Freiheitsschutzes zu brechen, zu bändigen und zu kontrollieren.“67 Dabei ist das Parlament traditionellerweise die rechtset-zende Gewalt, die Regierung die vollziehende und die Judikative die recht-sprechende Gewalt.68 Dieses strikte Modell der Gewaltenteilung ist in kei-nem Staatswesen in reiner Form umgesetzt worden. Es ist zu sehr auf die Teilung und Trennung der Gewalten ausgelegt; das in der Praxis wichtige praktisch-politische Zusammenwirken wird in den Hintergrund gedrängt.69

65 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 632. 66 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 2. 67 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 2263. Oder wie TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 1

festhält: „Je stärker sich Machtbefugnisse in einer Hand sammeln, desto weniger können die Machtunterworfenen mit Mässigung und Rücksichtnahme von Seiten der Machthaber rechnen. Im staatlichen Kontext birgt Machtfülle unweigerlich den Keim zur Tyrannei.“ MONTESQUIEU gilt mit seinem Werk „De l'esprit des lois“ als Urheber der klassischen Gewaltenteilungslehre. Er nahm an, dass jeder Mensch mit Macht dazu neigt, diese zu missbrauchen (11. Buch, 4. Kapitel, Abschnitt 1).

68 Vgl. zum Begriff der Gewalt und der Gewaltenteilung SEILER, Gewaltenteilung, S. 196 ff.

69 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2264. Oder wie es MOSER, S. 22 formuliert: „Zur Wahrung der Staatseinheit, um zu verhindern, dass die einzelnen Organe durch ihre Tätigkeit auseinanderstreben und die Trennung der Gewalten wider ihren politischen Sinn verabsolutieren sowie zur Hinderung ausserrechtlicher Machtballungen sollen die

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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b) Das Gewaltenteilungssystem und die praktische Wirklichkeit

Das klassische Schema berücksichtigt nur die Stammfunktionen der Staats-organe, hingegen wird nicht berücksichtigt, dass Rechtsetzung und Rechts-anwendung nicht vollständig getrennt werden können. Rechtsanwedung enthält auch schöpferische und wertende Tätigkeiten: Es handelt sich nicht um ein einfaches Ableiten der bestehenden Gesetze.70

2. Der Inhalt der Gewaltenteilung

Mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung verbinden sich die vier Elemente der funktionellen, der organisatorischen und der personellen Gewaltentei-lung sowie der wechselseitigen Gewaltenhemmung.71

a) Funktionelle Gewaltenteilung

Der Grundsatz der Gewaltenteilung geht von der Annahme aus, dass sich jede Staatstätigkeit einer der drei Staatsfunktionen Rechtsetzung, Regierung (eingeschlossen die Verwaltung) oder Rechtsprechung zuordnen lässt.72 Zu-gleich beruht die Gewaltenteilung auf der Annahme, dass die Rechtsetzungs-funktion eine hervorgehobene Rolle spielt, indem das Gesetz den Umfang der Tätigkeiten der beiden anderen Gewalten bestimmt.73

getrennten Gewalten wieder zusammengefügt werden, indem sie sich gegenseitig kontrollieren und in Schach halten können.“

70 Vgl. dazu LAUTMANN, S. 107 ff.; MATTER, S. 7; vgl. vorne, S. 8 ff. 71 Die Aufteilung in organisatorische, personelle Gewaltenteilung und wechselseitige

Gewaltenhemmung geht auf MONTESQUIEU zurück (Fn. 67); vgl. HÄFELIN/HAL-LER/KELLER, Rz. 1405 und MAHON, S. 1013.

72 Vgl. MOOR/FLÜCKIGER/MARTENET, S. 437. 73 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 6.

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Die Gewaltenteilung

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b) Organisatorische Gewaltenteilung

Die klassische Gewaltenteilung beruht auf der organisatorischen Gewalten-teilung und setzt voraus, dass die drei Staatsfunktionen verschiedenen Staatsorganen zugeordnet werden, die voneinander unabhängig sind und mit eigenen Behörden und eigenen Finanzen ausgestattet sind.74 Jedes Organ hat sich auf die Ausübung der ihm zugewiesenen Funktion zu beschränken und sich der Einmischung in die Ausübung der anderen beiden Funktionen zu enthalten.75

c) Personelle (subjektive) Gewaltenteilung

Die Gewaltenteilung verlangt weiter, dass die Staatsorgane durch Personen besetzt werden, die voneinander unabhängig sind. So darf eine Person nicht gleichzeitig mehreren Staatsorganen angehören.76 Diese personelle Gewal-tenteilung ist in der BV durch verschiedene Regeln zu den Unvereinbarkei-ten verwirklicht.77

d) Wechselseitige Gewaltenhemmung

Der eigentliche Zweck der Gewaltenteilung, nämlich die Verhinderung von Machtmissbrauch, lässt sich jedoch nicht alleine durch eine organisatorische und personelle Gewaltenteilung erreichen. Es bedarf darüber hinaus viel-mehr der wechselseitigen Hemmung der Behörden.78 Diese Kontrollmecha-nismen stellen ein Gleichgewicht zwischen den Gewalten her (checks and

74 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 645. 75 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1406; MOOR/FLÜCKIGER/MARTENET, S. 437. 76 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 646 ff.; MOOR/FLÜCKIGER/MARTENET, S. 438. 77 Vgl. dazu genauer TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 16 f. 78 Vgl. MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 3.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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balances).79 Unter Umständen kann so ein Eingreifen einer Gewalt in den Tätigkeitsbereich einer anderen Gewalt zulässig sein.80

Die drei Staatsgewalten auf Bundesebene B.

1. Die Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Stän-den die „oberste Gewalt im Bund“81. Sie erlässt alle wichtigen rechtsetzen-den Bestimmungen in Form der Bundesgesetze, sie kann aber auch Verord-nungen erlassen (Art. 22 ParlG). Ebenso ist es Aufgabe der Bundesver-sammlung, den Bundesrat und die Richter des Bundesgerichts zu wählen (Art. 168 BV). Neben der Rechtsetzung stehen der Bundesversammlung gewichtige Kompetenzen im Bereich der Regierungs- und Verwaltungsfunk-tion zu. Rechtsprechungsfunktionen versieht sie jedoch nur noch am Ran-de.82

2. Der Bundesrat

Art. 174 BV definiert den Bundesrat als „die oberste leitende und vollzie-hende Behörde des Bundes“. Der Bundesrat stellt in der Schweiz die Exeku-tive dar. Der Begriff „leitend“ in Art. 174 BV weist jedoch darauf hin, dass der Bundesrat nicht nur Vollzugsorgan ist, sondern dass er zusammen mit dem Parlament die Staatsleitung ausübt.

79 Vgl. dazu auch FRICK, Rz. 3; KIENER, Unabhängigkeit, S. 229. 80 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1408. 81 Art. 148 Abs. 1 BV. 82 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 30, Rz. 3 f.

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Die Gewaltenteilung

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3. Das Bundesgericht und die erstinstanzlichen Gerichte des Bundes

Das Bundesgericht verkörpert die oberste judikative Gewalt im Bund.83 So-weit Justizfunktionen betroffen sind, wirkt allein das Bundesgericht als „oberste“ Bundesbehörde. Nur ihm steht die Befugnis zu, auf höchster Ebe-ne über Rechtsstreitigkeiten zu urteilen und die richterliche Rechtsfortbil-dung zu prägen.84 Das Bundesgericht steht als gleichberechtigtes Organ ne-ben Bundesrat und Bundesversammlung und nimmt bezüglich seines Aufga-benbereichs die oberste Stellung im bundesstaatlichen Gewaltengefüge ein.85 Dem Bundesgericht als oberster Instanz im Bund sind zwei Gerichte vorge-schaltet: Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesstrafgericht. Zu-sammen bilden diese drei Gerichte die eidgenössische Justiz bzw. die dritte Gewalt im Bund.

Die Gewaltenteilung im schweizerischen Verfassungsrecht C.

1. Ungeschriebener Verfassungsgrundsatz

Die Bundesverfassung verankert den Grundsatz der Gewaltenteilung nicht ausdrücklich.86 Gleichwohl besteht an seiner Geltung als ungeschriebenem Verfassungsgrundsatz nicht der geringste Zweifel, auch wenn es im Zuge des Revisionsverfahrens der neuen Bundesverfassung teils heftige Ausei-nandersetzungen bezüglich des Verhältnisses von Parlament und Regierung gab.87 Nach konstanter Praxis des BGers enthält das Demokratiegebot von Art. 51 Abs. 1 BV auch das Prinzip der Gewaltenteilung, das damit allen

83 Vgl. FISCHBACHER, S. 171. 84 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 5. 85 FISCHBACHER, S. 171. 86 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2263. 87 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 4; HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1410, spre-

chen von einem „organisatorischen Grundprinzip der schweizerischen Demokra-tie“; vgl. auch GOSSWEILER, S. 31; GRAF, S. 1 ff.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Kantonen quasi bundesrechtlich vorgeschrieben wird.88 Das Bundesgericht anerkennt des Weiteren das Prinzip der „Gewaltentrennung“ als verfas-sungsmässiges Individualrecht.89

2. Die konkrete Umsetzung der Gewaltenteilung in der BV

Die BV folgt der skizzierten Prämisse der funktionellen Gewaltenteilung. Dies zeigt sich daran, dass die Verfassung die drei Staatsfunktionen aus-drücklich nennt, nämlich in Art. 163-165 BV die Gesetzgebung, in Art. 174 BV die Staatsleitung und Rechtsvollziehung sowie in Art. 188 BV die Rechtsprechung. Auch ist es kein Zufall, dass in der Verfassung die Recht-setzungsfunktion zuerst erscheint, die Staatsleitung/Vollziehung an zweiter und die Rechtsprechung an letzter Stelle genannt werden.90

Dem Modell der organisatorischen Gewaltenteilung folgt die BV dadurch, dass sie im Titel über die Bundesbehörden drei oberste Staatsorgane einrich-tet und jedem dieser Organe eine der drei Staatsfunktionen im Sinne einer Stammfunktion zuordnet: So obliegt der Bundesversammlung als Legislative primär die Rechtsetzung (Art. 163-165 BV), dem Bundesrat als Exekutive primär die Doppelfunktion Staatsleitung und Vollzug (Art. 174 BV) und dem Bundesgericht schliesslich als Judikative die Rechtsprechung (Art. 188 BV).

Die personelle Gewaltenteilung ist durch ein striktes System von Unverein-barkeiten in der BV verwirklicht91: Mitglieder der Bundesversammlung, des Bundesrates und des Bundesgerichts dürfen nicht gleichzeitig mehr als einer dieser Behörden angehören (Art. 144 Abs. 1 BV).

88 Vgl. dazu kritisch RHINOW/SCHEFER, Rz. 2291 f. und TSCHANNEN, Staatsrecht,

§ 27, Rz. 4. 89 BGE 134 I 313 E. 5.2, BGE 130 I 1 E. 3.1; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit

constitutionnel, Rz. 1772; RHINOW/SCHEFER, Rz. 2294. 90 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 7. 91 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2283 ff.; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 16.

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Die Gewaltenteilung

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Die wechselseitige Gewaltenhemmung kommt in der BV durch verschiedene Artikel zum Ausdruck: Insbesondere in Art. 169 Abs. 1 BV, welcher die Oberaufsicht des Parlaments über Bundesrat und Bundesgericht festhält92 oder Art. 168 Abs. 1 und Art. 175 Abs. 2 BV, welche die Wahl/Wiederwahl der Bundesratsmitglieder und der Bundesrichter durch die Bundesversamm-lung vorsehen.93

Diese wechselseitige Gewaltenhemmung ist nach Ansicht der herrschenden Lehre im schweizerischen Verfassungsrecht nur unvollkommen bzw. nicht verwirklicht.94 Die Gewaltenhemmung scheint einseitig zugunsten der Bun-desversammlung ausgestaltet. Im Verhältnis zwischen Bundesversammlung und Bundesrat hat letzterer jedoch aus faktischen Gründen einen bedeuten-den Einfluss auf die Bundesversammlung, insbesondere in der Rechtset-zung.95 Im Verhältnis zwischen Bundesversammlung und Justiz ist das her-vorstechendste Beispiel fehlender Gewaltenhemmung die nicht existierende Möglichkeit der Überprüfung der Verfassungsmässigkeit von Bundesgeset-zen bzw. das Anwendungsgebot von Art. 190 BV.96

Zusammengefasst liegt der BV also das Modell der geteilten, aber kooperie-renden Gewalten zugrunde.97 HÄFELIN/HALLER/KELLER gehen davon aus, dass die heutige BV im Vergleich zur aBV von 1874 eine Stärkung des Par-laments gegenüber Bundesrat und Bundesverwaltung bewirkt hat.98

92 Vgl. dazu S. 183 ff. 93 Vgl. kritisch RASELLI, Stärkung, Rz. 2. 94 Vgl. dazu TSCHANNEN, Staatsrecht, § 29, § 35 und HÄFELIN/HALLER/KELLER,

Rz. 1416. 95 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1417. 96 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 2272 ff.; HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1418. 97 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 27, Rz. 10. 98 Vgl. ausführlich HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1411.

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3. Abweichungen von der organisatorischen Gewaltenteilung in der BV

Die Gewaltenteilung, insbesondere der Grundsatz der organisatorischen Ge-waltenteilung, ist in keinem Staat ausnahmslos verwirklicht. Der Grund da-für liegt darin, dass sich gewisse Staatsaufgaben wie z.B. die Finanz- und Aussenpolitik, kaum eindeutig einer der drei klassischen Staatsfunktionen zuordnen lassen. Auch werden aus praktischen und politischen Gründen jedem der drei Organe auch Aufgaben übertragen, die den beiden anderen Organen zugeordneten Staatsfunktionen zu zählen sind.99 Die Berücksichti-gung des Elements der Gewaltenhemmung schliesslich führt notwendiger-weise zu gewissen Abweichungen von einer konsequenten Trennung der drei Gewalten.100 So verfügt die Bundesversammlung auch über wenige Recht-sprechungsbefugnisse und über Verwaltungsaufgaben. Daneben hat sie wichtige aussenpolitische Kompetenzen inne, die weder eindeutig der Recht-setzungsfunktion noch der Verwaltungsfunktion zugerechnet werden kön-nen.101 Dem Bundesrat obliegen wichtige Rechtsetzungsbefugnisse. Seine Mitwirkung am Verfassungs- und Gesetzgebungsverfahren und seine Kom-petenz zum Erlass von Verordnungen sind bedeutende, aus praktischen Überlegungen notwendige Durchbrechungen des Grundsatzes der Gewalten-teilung.102

Ausnahmen von der organisatorischen Gewaltenteilung finden sich beim Bundesgericht hingegen nur in sehr geringem Ausmass. Es ist fast aus-schliesslich auf Rechtsprechung als seine Stammfunktion beschränkt. Ande-re Funktionen wie Rechtsetzungs- oder Verwaltungsaufgaben nimmt es nur sehr selten wahr.103 Hingegen nimmt das Bundesgericht seine eigene Ver-

99 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1420. 100 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 2267. 101 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1421 m.H. 102 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 1422. 103 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 4.

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Die Gewaltenteilung

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waltung, die Justizverwaltung nach Art. 188 Abs. 3 BV selbst wahr, was eine Abweichung von der funktionellen Gewaltenteilung bedeutet.104

Das Zusammenspiel der drei Gewalten in der Praxis D.

1. Bundesversammlung und Bundesgericht

Nach Art. 148 Abs. 1 BV ist die Bundesversammlung die „oberste Gewalt im Bund“, freilich „unter Vorbehalt der Rechte von Volk und Ständen“. Das Verhältnis zwischen Parlament und dem obersten Gericht ist in der Schweiz anders als in anderen Ländern nicht von vergleichbaren „checks and balan-ces“ geprägt.105 Die Mitglieder des Bundesgerichts, d.h. die Richter, werden von der Bundesversammlung für eine begrenzte Amtsdauer gewählt und müssen sich der Wiederwahl durch ebendieses Gremium stellen (Art. 168 Abs. 1 BV). Das Bundesgericht untersteht zudem der Oberaufsicht der Bun-desversammlung (Art. 169 Abs. 1 BV).106 Die Oberaufsicht hat sich wegen der Unabhängigkeit auf die Überwachung des äusseren Geschäftsgangs zu beschränken.107 Die Bundesversammlung ist gegenüber dem Bundesgericht zu grösster Zurückhaltung aufgerufen. Der mit der Justizreform in den Ver-fassungstext aufgenommene Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 191c BV) begrenzt die Einflussnahme des Parlaments, weil die inhalt-liche Kontrolle richterlicher Entscheidungen ausgeschlossen ist (Art. 26 Abs. 4 ParlG). Sie beschränkt sich damit auf die Verwaltungsangelegen-heiten des Bundesgerichts und auf die Einhaltung elementarer Verfahrens-grundsätze.108

104 Vgl. S. 80. 105 Vgl. NAY, Demokratie, Rz. 3, der davon ausgeht, dass die Politik Mühe bekundet,

sich auf den Erlass der Gesetze zu beschränken. 106 Vgl. S. 183 ff. 107 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 20 und § 35, Rz. 20 f. 108 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 2279.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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2. Bundesrat und Bundesgericht

Auch im Verhältnis von Bundesrat und Bundesgericht ist die Gewalten-hemmung einseitig ausgestaltet: Sie steht ausschliesslich dem Bundesgericht bzw. dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner justizförmigen Kon-trolle, d.h. der Verwaltungsgerichtsbarkeit, zu.109

3. Fazit

Die der Justiz von der BV zugesprochene Rolle bedingt eine gewisse Distanz sowohl zur Legislative wie auch zur Exekutive: Aus diesem Grund sind die funktionelle und die personelle Gewaltenteilung in Bezug auf die Justiz sehr ausgeprägt. Der Anknüpfungspunkt zwischen den drei Gewalten sind die von Legislative (und Exekutive) erlassenen Normen, welche die Judikative bei der Streitentscheidung anzuwenden hat, demnach die Bindung an das Recht.110 Der Bundesverfassung liegt das Modell der geteilten, aber koope-rierenden Gewalten zugrunde, wobei das Parlament die oberste Gewalt im Bunde darstellt.111

109 Vgl. Art. 31 ff. VGG; akzessorisches Prüfungsrecht von bundesrätlichen Verord-

nungen; RHINOW/SCHEFER, Rz. 2281. 110 Vgl. dazu BIAGGINI, Rechtsprechung, § 73, Rz. 8; EICHENBERGER, Unabhängigkeit,

S. 92. 111 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2267 und Rz. 2272.

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Aufsicht und Oberaufsicht

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III. Aufsicht und Oberaufsicht

Die Aufsicht A.

Aufsicht ist die Wahrnehmung von Kontrolle als Element des Entschei-dungs- und Führungsprozesses.112Aufsicht bedeutet Überwachen oder Über-prüfen.113 Die Aufsicht umfasst die Kontrolle aller Gerichte durch die hierar-chisch übergeordnete Gerichtsinstanz. Diese findet sich in der Schweiz über-all, sowohl in den Kantonen als auch im Bund.114

Die Aufsicht hat die Geschäftsführung zum Gegenstand.115 So sind insbe-sondere die Gerichtsleitung, die Organisation, die Fallerledigung sowie das Personal- und Finanzwesen Gegenstand der Aufsicht.116

Die beaufsichtigende Behörde hat damit die Möglichkeit, beispielsweise eine ordnungswidrige Art der Ausführung, die ungleiche Geschäftsverteilung oder das Verschleppen von Fällen zu rügen. Ebenso kann die Aufsichtsbe-hörde die beaufsichtigte Instanz zu ordnungsgemässer unverzögerter Erledi-gung ermahnen.117

Die wichtigsten Kontroll-Instrumente sind die Prüfung des Geschäftsberichts sowie die Kontrolle des Geschäftsgangs, die Finanzaufsicht oder die Aus-sprachen mit den Gerichtsleitungen.118

112 Vgl. KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 69. 113 Vgl. SÄGESSER, RVOG, Art. 8, Rz. 35. 114 Einzige Ausnahme der hier untersuchten Kantone bildet Freiburg mit dem Justizrat

als Aufsichtsorgan, vgl. S. 235 ff. 115 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 235. 116 Art. 2 Abs. 1 des Aufsichtsreglements des Bundesgerichts (AufRBGer). 117 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 235. 118 Vgl. Art. 3 ff. AufRBGer.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Die Oberaufsicht B.

1. Allgemeines

Die Schweiz hat eine eigene Entwicklung bezüglich der Beziehungen der drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative hinter sich. So gilt das staatspolitische „Urvertrauen“ in der Schweiz dem Stimm- und Wahlvolk und seinen Vertretern, mithin dem Parlament, und gerade nicht wie im restli-chen Europa den Gerichten. Dies hat verschiedene Gründe.119 Das Bundes-gericht der Schweiz hatte weder in der Bundesverfassung von 1848 noch in jener von 1874 eine Wächterrolle über Parlament und Exekutive inne und das hat sich auch mit der neuen und aktuellen BV nicht geändert. Das Bun-desgericht ist „lediglich“ – aber immerhin – die oberste Recht sprechende Behörde der Schweiz (Art. 188 BV). Es herrscht ein Klima, welches geprägt ist von einer „emotionalen Abneigung gegen eine sozial frei schwebende Intelligenz“ und zu einer „Erwartung sozialer und volkstümlicher Bindungen des Richters, statt vollkommener Unabhängigkeit“ führt.120 Vor diesem Hin-tergrund lassen sich die im Folgenden dargestellten Kontrollmechanismen zwischen Legislative und Judikative besser verstehen.121 Es wird in diesem Kapitel nur auf das Verhältnis dieser beiden Gewalten eingegangen, die Beziehungen zum Bundesrat werden ausser Acht gelassen, da sie für die (Ober-)Aufsicht und die Unabhängigkeit der Justiz nicht von gleich zentraler Bedeutung sind.

2. Begriff

Die Oberaufsicht überwacht, ob das zuständige Organ seine verfassungsmäs-sigen Aufgaben wahrnimmt und ausübt. Die Oberaufsicht ist als Interorgan-kontrolle eingeschränkt.122 Das Parlament nimmt lediglich eine Art „Plausi-

119 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung SCHINDLER, S. 1019; KIENER, Richter, S. 37. 120 SCHINDLER, S. 1020 m.H.; vgl. auch GASS, Professionalisierung, S. 1144. 121 Insbesondere stellt die Oberaufsicht neben den Richterwahlen einer von zwei Kon-

trollmechanismen der richterlichen Tätigkeit dar, GASS/STOLZ, S. 127. 122 KIENER, Unabhängigkeit, S. 296.

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Aufsicht und Oberaufsicht

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bilitätsprüfung“ vor.123 Die Funktionsträger sind dem Aufsichtsorgan für die korrekte Ausübung der ihnen übertragenen Aufgaben verantwortlich und haben darüber Rechenschaft abzulegen.124 In dieses System ist die Justiz wie jedes andere Organ eingebunden. Bei der Justiz wird kontrolliert, „ob die Gerichte Recht gesprochen hätten und ob dies ohne zu grosse Verspätung geschah.“125 Wegen der richterlichen Unabhängigkeit darf die Legislative jedoch keine Überprüfung der richterlichen Entscheide auf ihren Inhalt vor-nehmen oder die Entscheide gar aufheben. Es geht nicht um eine Urteils-schelte.126 Die Oberaufsicht richtet sich nach fünf Kriterien: Rechtmässig-keit, Ordnungsmässigkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirk-samkeit.127

3. Spezielle Stellung der Legislative in der Schweiz

Die Legislative in der Schweiz verfügt über eine spezielle Stellung: Sie wird in Art. 148 Abs. 1 BV als „Oberste Gewalt im Bund“ bezeichnet. Dieser Grundsatz der Suprematie der Bundesversammlung wurde während den Revisionsarbeiten der Bundesverfassung nie angetastet128. Die Oberaufsicht, die im Bund und in fast allen Kantonen durch das jeweilige Parlament aus-geübt wird, ist Ausdruck der Vorrangstellung der Legislative gegenüber den anderen Gewalten. Sie ist ein Element der Gewaltenhemmung. Während die Justiz und die Regierung in ihren Aufgabenbereichen im Sinne der Gewal-tenhemmung einer externen Kontrolle unterstehen, ist das Parlament nur durch die Volksrechte, nicht aber durch die beiden anderen Behörden, ge-hemmt.129 Faktisch wird das Parlament jedoch durch die sachliche und poli-

123 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 8. 124 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 3, Rz. 9. 125 AUBERT, Kommentar zur aBV zu Art. 85, Rz. 184. 126 EICHENBERGER, Sonderheiten, S. 78; SEILER, Parlamente, S. 9. 127 Vgl. Art. 26 Abs. 3 lit. a-e ParlG für den Bund. 128 Vgl. dazu MASTRONARDI, SGK zu Art. 148 Abs. 1 BV, Rz. 2 ff. 129 Vgl. MASTRONARDI, SGK, Vorbemerkungen zu Art. 143-191c BV, Rz. 29.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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tische Überlegenheit von Regierung und Verwaltung in seiner Macht einge-schränkt.

4. Parlamentarische Kontrolle als Element der Staatsleitung

Die Oberaufsicht ist ein Element der Verbindung und Gewaltenhemmung innerhalb der Gewaltenteilung. Ebenso ist sie ein Element der Staatslei-tung.130 Im gewaltenteiligen System der „checks and balances“ steht die Oberaufsicht nicht isoliert da: Da sich alle staatlichen Behörden in einem Geflecht gegenseitiger Aufsicht und Kontrolle befinden, kann und soll keine Gewalt nur für sich alleine funktionieren. Ziel dieser gegenseitigen Überwa-chung ist die fortdauernde Sicherstellung der verfassungsmässigen Ord-nung.131

Umfang und Nachträglichkeit der Oberaufsicht C.

1. Allgemeines

Gemäss LIENHARD konzentriert sich die Oberaufsicht auf eine Gesamtsicht und ist von einer gewissen Distanz geprägt: Das Parlament nimmt eine Art „Tendenzkontrolle“ vor.132 Gemäss KIENER wird bei der Oberaufsicht kon-trolliert, „ob die von der Verfassung vorgeschriebenen Aufgaben durch die zuständigen Organe und im Sinne der Verfassung ausgeübt werden.“133 Die Oberaufsicht ist im Allgemeinen eine nachträgliche Kontrolle, welche dazu dient, Vertrauen zu schaffen.134

130 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 3, Rz. 9 und zu Art. 1 Rz. 71; MASTRONARDI,

SGK zu Art. 169 BV, Rz. 3 ff. 131 KIENER, Unabhängigkeit, S. 294 ff. 132 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 8. 133 KIENER, Unabhängigkeit, S. 294. 134 Vgl. SCHWEIZER, SGK, Vorbemerkungen zur Justizverfassung, Rz. 11; vgl. aber

auch MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 10 ff., welcher ausführt, dass ein Rechtsgrundsatz der Nachträglichkeit aber über das Ziel hinausgehe.

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Aufsicht und Oberaufsicht

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Die Oberaufsicht betrifft die Justizverwaltung und den äusseren Geschäfts-gang der Gerichte, insbesondere die Geschäftsführung und den Finanzhaus-halt (vgl. Art. 26 Abs. 1 und 2 ParlG).135 Diese Kontrolle wird als Aufsicht über den äusseren ordnungsgemässen Geschäftsgang oder als eine Prüfung auf die formelle Rechtmässigkeit bezeichnet. Sie stellt sicher, dass die ge-richtsinterne Aufsicht über die Geschäftsführung funktioniert. Dazu kann sie etwa Einsichtnahme in die Controllingdaten der Gerichte nehmen oder nach-kontrollieren, wie die Geschäftslast bewältigt wird.136 Eine Kontrolle der eigentlichen Justiztätigkeit, nämlich der Rechtsprechung, ist aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit ausgeschlossen, da sie ansonsten zum Einfalls-tor in ebendiese dienen könnte.137

Bezüglich der Positionen in der Lehre lassen sich zur Frage der parlamenta-rischen Beaufsichtigung der Justiz drei Richtungen unterscheiden: eine enge Auslegung, eine mittlere Position und ein weites Verständnis der Beaufsich-tigung.138

2. Enge Position

Die enge Position, welche in der Lehre von AUBERT vertreten wird, be-schränkt die Oberaufsicht auf die formelle Regelmässigkeit der Geschäfts-führung einschliesslich des Finanzhaushalts. Sie „prüft lediglich, ob Recht gesprochen wurde.“139

135 MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 20. Nach TSCHÜMPERLIN, Aufsicht,

S. 235 gehört auch der Zugang zur Justiz in der Form von Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsbeschwerden dazu, welche dann aber den Graubereich der Rechtsprechung erreichen.

136 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 235. 137 Vgl. BAUR, S. 21. 138 Vgl. Bericht Oberaufsicht, 7700 ff. und Bericht Geschäftsprüfungskommission,

7630; TOBLER, S. 13; LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 10. 139 AUBERT, Kommentar aBV zu Art. 85, Rz. 181; Bericht Geschäftsprüfungskommis-

sion, 7630; MÜLLER G., Abgrenzung, S. 392.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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3. Mittlere Position

Diese Position wird von der Mehrheit der Lehre verteten.140 Die Kontrolle der Geschäftsführung des Gerichts durch die Oberaufsicht steht bei dieser Auffassung an erster Stelle.

Auch die Bundesversammlung bzw. die GPKs prüfen neben den Bereichen der engen Position auch die Justizverwaltung (Umgang mit personellen und finanziellen Ressourcen, Beschaffung der Sachmittel, Infrastruktur) und den (äusseren) Geschäftsgang (Geschäftsabläufe, Geschäftskontrolle, Dienstbe-trieb, Auslastung, Pendenzen).141 Auch kann gemäss dieser Meinung vom Inhalt abgeschlossener Verfahren Kenntnis genommen werden und Tenden-zen der Rechtsprechung dürfen mit den Gerichtsbehörden erörtert werden.142 EICHENBERGER hält fest, dass das Gewaltenteilungsprinzip die Justiz nicht stärker vor Kontrollen anderer Gewalten schütze als die Verwaltung. Im-merhin sei bei der Justiz „Behutsamkeit am Platz“.143 Ebenso hält er fest, dass sich die Oberaufsicht nicht nur auf die äussere Geschäftsführung be-schränken könne, sondern das Parlament auch Kenntnis von der Rechtspre-chung nehmen müsse. Ganz allgemein gesagt habe die parlamentarische Oberaufsicht zu bewerten, „ob die Gesetzgebung in der Erfahrung der Rechtsprechung taugt oder ob eine Änderung angebracht wäre.“144

140 Vgl. insbesondere KIENER, Unabhängigkeit, S. 294 ff. und Bericht Oberaufsicht,

7694 ff. 141 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 3, Rz. 22. LIENHARD, Justizmanagement,

Rz. 10, beschreibt die mittlere Position wie folgt: „die Erörterung von allgemeinen Tendenzen der Rechtsprechung sowie legislatorische Erfolgs- und Effizienzkontrol-len (im Hinblick auf Gesetzesänderungen) sowie Nachforschungen bei krassen Rechts- oder Verfahrensverletzungen.“

142 Bericht Geschäftsprüfungskommission, 7630. 143 EICHENBERGER, Fragen, S. 47. 144 EICHENBERGER, Sonderheiten, S. 78.

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Aufsicht und Oberaufsicht

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4. Weite Position

Gemäss der weiten Position bestehen zusätzlich verstärkte Informationsrech-te, insbesondere eine Auskunftspflicht über die Rechtsprechung sowie eine nachträgliche Einsicht in Gerichtsakten. Eine materielle Auseinandersetzung mit Urteilen wird nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Position wird beispielsweise von MASTRONARDI oder SEILER vertreten.145 Gemäss dieser weiten Position beschränkt sich demnach die Oberaufsicht nicht nur auf den äusseren Geschäftsgang bzw. die Geschäftsführung, sondern sie hat auch einen Teil der eigentlichen Rechtsprechung zum Gegenstand.146 MASTRO-NARDI postuliert für eine Tragweite der Justizaufsicht, die sich nicht von der Oberausicht über die Verwaltung unterscheidet.147 Er versteht die parlamen-tarische Kontrolle als Gespräch unter den Gewalten und als Tendenzkontrol-le mit langfristiger Steuerungsabsicht.148

5. Zulässige Massnahmen

AESCHLIMANN betrachtet Fragen nach der Geschäftslast und der allgemei-nen Wahrnehmung der Rechtsprechung als zulässig. Die Auseinanderset-zung mit der Frage, wie sich die Geschäftsabläufe, die Geschäftskontrolle oder die Auslastung und Pendenzen präsentieren, stellt nach ihm sogar eine Sachnotwendigkeit dar. Dies insbesondere deshalb, weil sich solche Fakto-ren auf die Funktionsfähigkeit der Gerichte auswirken können.149

145 Vgl. MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 10 ff. und SEILER, Oberaufsicht,

S. 291. 146 Vgl. LIENHARD, Grundlagen, S. 192 m.H.: Beispielsweise bei einer generellen

Weisung zur rechtsgleichen Anwendung von Gesetzen oder beim Recht auf eine zurückhaltende Kritik an der Rechtsprechung. Hingegen erscheint es delikat, wenn sich die Oberaufsichtsbehörde in Einzelfälle einmischt; vgl. WURZBURGER, Haute Surveillance, S. 11.

147 MASTRONARDI, Verwaltungskontrolle, S. 134 f.; EICHENBERGER, Fragen, S. 47. 148 MASTRONARDI, Verwaltungskontrolle, S. 134 f. 149 AESCHLIMANN, Oberaufsicht, S. 4.

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6. Unzulässige Massnahmen

Demgegenüber können gewisse Massnahmen als generell unzulässig taxiert werden, weil sie zur Verwaltungsautonomie der dritten Staatsgewalt gehö-ren. Es sind dies solche, welche sich direkt auf die Rechtsprechung beziehen, z.B.150

- Zielvorgaben für die Behandlungsdauer von bestimmten Rechtsfällen, - Vorschriften über die Zuteilung der Fälle und den internen Ablauf der

Verfahren sowie Vorschriften über die Art der Triage der Fälle, - Einmischung in die Organisation und die Zusammenarbeit der Ge-

richtsabteilungen, - Einmischung der Legislative in ein laufendes Gerichtsverfahren, - Einsichtnahme in die Akten während eines laufenden Verfahrens, - die inhaltliche Kontrolle eines Urteils.

Ebenfalls problematisch erscheint, wenn sich die Oberaufsichtsbehörde im Rahmen von Aufsichtsbeschwerden im konkreten Fall mit Rechtsverweige-rungs- bzw. Rechtsverzögerungsvorwürfen befasst.151

Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Aufsicht und Oberauf-D.sicht

1. Prüfgegenstand von Aufsicht und Oberaufsicht

Da alles, was die Justiz tut, entweder der Rechtsprechung oder der Justiz-verwaltung zuzurechnen ist, bildet notwendigerweise die – umfassend ver-standene – Justizverwaltung Gegenstand von Aufsicht und Oberaufsicht, da die Rechtsprechung ja von einer Kontrolle durch andere Instanzen oder Be-hörden ausgeschlossen ist (ausgenommen die Überprüfung durch die obere Instanz in einem Rechtsmittelverfahren, welche hier aber nicht Gegenstand

150 LIENHARD, Grundlagen, S. 193; LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 13; AESCHLI-

MANN, Oberaufsicht, S. 4; TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 5 m.H.

151 AESCHLIMANN, Oberaufsicht, S. 4.

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Aufsicht und Oberaufsicht

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der Diskussion bildet).152 Mit TSCHÜMPERLIN kann festgestellt werden, dass Aufsicht und Oberaufsicht den äusseren Geschäftsgang, die ordnungsgemäs-se Geschäftsführung, das gute Funktionieren der Gerichte und die korrekte Wahrnehmung der Rechtsprechungsfunktion zum Inhalt haben.153 Es finden sich somit keine wesentlichen Unterschiede im Prüfungsinhalt von Auf-sichts- und Oberaufsichtsbehörde.

2. Unterschiede in der Zielsetzung und Intensität der Prüfung

Hingegen unterscheiden sich die beiden Kontrollen in Bezug auf ihre Ziel-richtung: Während die Oberaufsicht ein Element der Checks and Balances bzw. der Gewaltenhemmung darstellt und „nur“ eine Tendenzkontrolle bein-haltet, handelt es sich bei der Aufsicht um eine Kontrolle innerhalb der glei-chen Gewalt; diese hat die Überwachung der administrativen und betriebli-chen Abläufe zum Gegenstand und ist entsprechend genauer und systemati-scher.154 Die Aufsicht und die Oberaufsicht decken verschiedene Tiefen der Kontrolle der Justizverwaltung ab, wobei die Aufsicht sehr weit geht. Auf der anderen Seite verläuft eine Diskussion unter Richtern dank der besonde-ren fachlichen Kennntnisse bei der Aufsicht anders als zwischen einem Gericht und einer parlamentarischen Oberaufsichtsbehörde.155 Der Verwal-tungsspielraum zwischen dem die Oberaufsicht ausführenden Parlament und dem höchstinstanzlichen Gericht ist dabei grösser als zwischen einem die administrative Aufsicht über ein unterinstanzliches Gericht ausübenden Ge-richt.156

152 Auf die Rechtssetzungskompetenzen der Justiz wird vorliegend nicht näher einge-

gangen, da sie in den hinteren Teilen noch behandelt werden, soweit die Bereiche der Selbstverwaltung betroffen sind, vgl. dazu TSCHANNEN, Staatsrecht, § 42, Rz. 11 f.

153 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 235 und S. 237. 154 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 236. 155 Vgl. dazu und zum Sinn der zweistufigen Aufsicht TSCHÜMPERLIN, Aufsicht,

S. 236. 156 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 5.

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IV. Die richterliche Unabhängigkeit

Allgemeines und rechtliche Grundlagen A.

1. Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit

Art. 191c BV bestimmt, dass die richterlichen Behörden „in ihrer rechtspre-chenden Tätigkeit unabhängig und nur dem Recht verpflichtet“ sind. Die richterliche Unabhängigkeit gehört als unverzichtbare Garantie auf ein faires Verfahren zu den elementaren Grundwerten in einem Rechtsstaat: Sie ist Garantin für eine von politischen Strömungen unbeeinflusste Rechtspre-chung.157 Sie soll es den Gerichten erlauben, Rechtsstreitigkeiten nüchtern und neutral durch die Anhörung der Parteien, die Würdigung ihrer Vorbrin-gen und die auf rechtliche Argumente gestützte Findung des Urteils beizule-gen. Ermöglicht wird dies durch die institutionelle Abschirmung der Justiz-behörden.158 Die richterliche Unabhängigkeit dient somit der unbeeinflussten Rechtsprechung und soll sicherstellen, dass als Gericht bzw. als Richter nur Personen in Frage kommen, die frei von gesetzesfremden Einflüssen sind.159

Richterliche Unabhängigkeit ist demnach weder Selbstzweck noch Standes-privileg, sondern eine unerlässliche Funktionsbedingung einer legitimen Justiz.160 Ein Urteil wird nur dann von den Parteien und der Gesellschaft anerkannt, wenn die Richter unabhängig sind.161 Insofern sichert die Unab-hängigkeit das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz.162

157 HASENBÖHLER, S. 27; BGE 93 I 265, E. 4a. 158 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 11. 159 Vgl. BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 191c BV, Rz. 2. 160 STADELMANN, Rz. 3; TSCHANNEN, Staatsrecht,§ 40, Rz. 12; BIAGGINI, BV-Kom-

mentar zu Art. 191c, Rz. 2. 161 KIENER, Unabhängigkeit, S. 56. 162 Vgl. WILDHABER, Gerichte, S. 93; BÜHLMANN/KUNZ, Rz. 8 ff.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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2. Rechtliche Grundlagen in BV, EMRK und UNO-Pakt II

a) Alte BV

In der Bundesverfassung von 1874 war die richterliche Unabhängigkeit nicht ausdrücklich gewährleistet und wurde aus diesem Grund dem ungeschriebe-nen Verfassungsrecht zugeordnet.163 Vom Bundesgericht wurde sie als Teil-gehalt von Art. 58 aBV anerkannt.164

b) Art. 191c BV

Art. 191c BV zufolge sind „die richterlichen Behörden in ihrer rechtspre-chenden Tätigkeit unabhängig und nur dem Recht verpflichtet“. Die Unab-hängigkeit der Gerichte gebietet, dass sowohl die Spruchkörper als auch die einzelnen Richter von jeder justizfremden Einbindung freigehalten wer-den.165 Die richterlichen Behörden sind „nur“ dem Recht verpflichtet. Diese Bindung an das Recht bildet im Rechtsstaat das notwendige Gegengewicht zur Unabhängigkeit.166 Art. 191c BV beinhaltet die institutionelle Seite des in Art. 30 BV grundrechtlich garantierten Anspruchs auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht.167

163 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2877. 164 Im alten OG wurde sie lediglich für das Bundesgericht festgehalten (Art. 21 Abs. 3

OG). 165 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 11. 166 EICHENBERGER, Unabhängigkeit, S. 92; RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 1;

STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 5. 167 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 3; KIENER, Unabhängigkeit, S. 25 ff.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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c) Art. 30 Abs. 1 BV

Art. 30 Abs. 1 BV bestimmt, dass jede Person, deren Sache in einem gericht-lichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein durch Gesetz ge-schaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht hat.168

Auch wenn diese Norm im Wortlaut nur von einem unabhängigen und un-parteiischen Gericht spricht, enthält die Norm ebenfalls die Garantie auf unabhängige und unparteiische Richterinnen und Richter sowie der Recht-sprechung.169 Art. 30 BV befindet sich im Grundrechtskatalog, wobei es sich um ein justiziables Grundrecht handelt: Der Anspruch auf unabhängige Richter und Gerichte ist gerichtlich überprüf- und durchsetzbar.170

d) Art. 6 Ziff. 1 EMRK

Art. 6 Ziff. 1 EMRK bestimmt, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Ver-pflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhan-delt wird.171 Die EMRK garantiert in der vorgenannten Bestimmung den Zu-gang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht. Diese Eigenschaft verliert ein Richtergremium, wenn z.B. ein Militärrichter anwesend ist und

168 Vgl. zu den Begriffen statt vieler BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 191c BV,

Rz. 4 ff. 169 Vgl. KIENER, Unabhängigkeit, S. 25. 170 Vgl. hinten, bei den Verfahrensgarantien, S. 89 ff. und ausführlich KIENER, Unab-

hängigkeit, S. 55 ff. und S. 224, welche Folgendes festhält: „Die Garantien proze-duraler Fairness, zu denen wesentlich auch die richterliche Unabhängigkeit gehört, gewährleisten ein Verfahren […], in dem die Argumente aller Betroffenen einge-bracht und gewürdigt werden, in dem die Rechtsanwendung frei von verzerrenden Einflüssen erfolgt und dessen Ausgang bis zum Schluss als „offen und nicht vorbe-stimmt“ erscheint.“

171 Vgl. dazu GRABENWARTER, S. 35 ff.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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die Verhandlung nicht neu aufgerollt wird. Dies stellte der EGMR bspw. im Fall Öcalan fest.172

e) Art. 14 UNO-Pakt II

Der UNO-Pakt II garantiert in Art. 14 den Anspruch, dass über eine erhobe-ne strafrechtliche Anklage oder über zivilrechtliche Ansprüche und Ver-pflichtungen durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird.

Geltungsbereich der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit B.

Die Unabhängigkeit gilt nach dem Wortlaut von Art. 191c BV in allgemei-ner Weise für richterliche Behörden und findet nicht nur auf das Bundesge-richt Anwendung. Entstehungsgeschichtlich war sie aber vorerst auf das Bundesgericht und die weiteren Gerichte des Bundes ausgerichtet.173 Die heutige Systematik mit der Einordnung im 4. Kapitel ab Art. 188 BV unter dem Titel „Bundesgericht und andere richterliche Behörden“ macht deutlich, dass die richterliche Unabhängigkeit für sämtliche staatliche Gerichte von Bund und Kantonen, sowie für andere Behörden, welche typische richterli-che Funktionen ausüben, gilt.174 Um dies zu verdeutlichen, wird das Prinzip in einem eigenen Artikel am Schluss des Kapitels über die Bundesgerichts-barkeit verankert.175 Die Aufnahme im 5. Titel „Bundesbehörden“ ändert

172 Urteil des EGMR vom 12. März 2003 i.S. Öcalan gegen die Türkei. Die Schweiz

ist in der Vergangenheit vom EGMR mehrfach wegen Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK verurteilt worden, z.B. im Fall Belilos gegen die Schweiz oder Weber ge-gen die Schweiz (Urteile des EGMR vom 22. Mai 1990 i.S. Belilos gegen die Schweiz sowie vom 22. Mai 1990 i.S. Weber gegen die Schweiz). Die Schweiz zog daraufhin ihre gemachten Vorbehalte zu Art. 6 EMRK zurück.

173 Vgl. allgemein KIENER, Independence, S. 433 ff. 174 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 2; RHINOW/SCHEFER, Rz. 2878; vgl. für

den Begriff des Gerichts S. 104 ff. 175 Botschaft neue BV, 541.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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daran nichts; es handelt sich um eine systematische Unebenheit.176 Der Arti-kel findet somit auf alle richterlichen Behörden des Bundes und der Kantone Anwendung, sowie auch auf die Schiedsgerichte.177 Ebenso gilt das Erfor-dernis richterlicher Unabhängigkeit nicht nur für die Richter, sondern ebenso für Personen, die etwa als Gerichtsschreiber oder Protokollführer an der Rechtsfindung beteiligt sind.178

Adressaten der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit C.

Die richterliche Unabhängigkeit verpflichtet nicht nur die anderen, nicht rechtsprechenden staatlichen Behörden; sie gilt auch innerhalb von Kollegi-algerichten oder innerhalb des Instanzenzuges.179 Adressaten von Art. 191c BV sind damit nicht nur Legislative und Exekutive, sondern auch die Justiz selbst, beispielsweise also das Bundesgericht in Wahrnehmung seiner Auf-sichtstätigkeit über die erstinstanzlichen Gerichte des Bundes.180 Art. 191c BV richtet sich sodann an den Verfassungs- und Gesetzgeber mit der Forde-rung zu entsprechender Umsetzung und Ausgestaltung. Auch sind alle ande-ren „Akteure im gewaltenteiligen Rechtsstaat“181 gehalten, diesem Grundsatz Nachachtung zu verschaffen.

176 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 191c BV, Rz. 4; RHINOW/SCHEFER, Rz. 2879. 177 STEINMANN, SGK zu Art. 191c Rz. 2; vgl. auch BGE 113 I 89, 92; RHINOW/

SCHEFER, Rz. 2878. Ebenso eingeschlossen sind andere Behörden, welche typisch richterliche Funktionen ausüben, z.B. die Staatsanwaltschaft. Auf Gesetzesebene halten Art. 2 Abs. 1 BGG bzw. Art. 2 VGG den Grundsatz für das Bundesgericht bzw. das Bundesverwaltungsgericht fest.

178 BGE 124 I 255 E. 5c/aa. 179 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2883; WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 2, 4. 180 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 191c, Rz. 6: Ebenso sind die einzelnen Amtsträ-

ger Adressaten der Garantie. 181 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 4.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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Die europäischen Rechtsgrundlagen der richterlichen D.Unabhängigkeit

1. Empfehlung No R(94) 12 des Ministerkomitees des Europarates vom 13. Oktober 1994

Die Empfehlung No R(94)12182 steht unter dem Titel „sur l’indépendance, l’efficacité et le rôle des juges“.

Sie hält unter dem Titel „Principe I – Principes généraux concernant l’in-dépendance des juges“ verschiedene Grundsätze fest. Zunächst wird emp-fohlen, dass die richterliche Unabhängigkeit explizit in der Verfassung fest-gehalten wird (2.a.). Ebenso sollen sich die Legislative und die Exekutive versichern, dass die Richter unabhängig sind und dass keine Massnahmen getroffen werden, welche diese Unabhängigkeit in Gefahr bringen können (2.b.). Das Wahlorgan, welches die Richter nach objektiven Kriterien aus-sucht, soll von Regierung und Verwaltung unabhängig sein (2.c.). Die Rich-ter sollen ihre Arbeit in vollständiger Unabhängigkeit und ohne Beeinflus-sung, ohne Druck, ohne Drohungen, weder direkt noch indirekt, „de la part de qui que ce soit ou pour quelque raison que ce soit“, verrichten können, weshalb das Gesetz Sanktionen gegenüber Personen vorsieht, die versuchen, die Richter zu beeinflussen. Die Richter sind sodann nicht verpflichtet, je-mandem von ausserhalb Rechenschaft über ihre Verfahren abzulegen (2.d.). Die Geschäftsverteilung soll nicht durch Wünsche einer Partei beeinflusst werden; daher ist die Geschäftszuteilung entweder per Zufallsprinzip oder mittels einer automatischen Zuteilung vorzunehmen (2.e). In Punkt 2.f. wird festgehalten, dass einem Richter ein Fall nicht ohne „juste motif“ zu entzie-hen ist.

Das Prinzip III widmet sich den angemessenen Arbeitsbedingungen. So wird beispielsweise eine genügende Anzahl von Richtern, deren Aus- und Wei-terbildung sowie eine angemessene Entlöhnung postuliert (1.a. und b.).

182 Abrufbar unter https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.

instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=534553&SecMode=1&DocId=514386&U sage=2, zuletzt besucht am 6. Oktober 2013.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Ebenso müssen die Richter über angemessene Unterstützung durch Personal und Material verfügen (1.d.). Das Prinzip V hält sodann fest, dass die Rich-ter in den Verfahren die Rechte und Freiheiten der Parteien schützen (1.). Ausserdem sind sie dafür verantwortlich, dass das Gesetz richtig angewendet wird und dass die Verfahren richtig, effizient und rasch geführt werden (2.). Insbesondere haben sie im einzelnen Verfahren in aller Unabhängigkeit und ohne jeden Einfluss von aussen zu entscheiden (3.) Prinzip VI. statuiert schliesslich die Verantwortlichkeit und Disziplinarmassnahmen, falls ein Richter seinen Verpflichtungen nicht nachkommt (1.).

2. Europäische Charta zum Statut der Richter

Die Europäische Charta über das Statut von Richtern vom Juli 1998183 wurde ebenfalls vom Europarat erlassen. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass die Unabhängigkeit der Gerichte landesrechtlich auf der höchsten Normstufe geregelt werden soll (Punkt 1.2). Entscheide, welche die Auswahl oder die Karriere der Richter betreffen, sollten von einer von Legislative und Exeku-tive unabhängigen Behörde getroffen werden (Punkt 1.3 und 3.1). Der Staat hat die Pflicht, dass die Gerichte mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden, damit sie ihre Arbeit innerhalb einer angemessenen Frist erledigen können (Punkt 1.6). Im Weiteren enthält die Charta unter anderem verschie-dene Bestimmungen zum Wahlverfahren (Punkt 2), zur Anstellung (Punkt 3) und zur Karriere (Punkt 4).

183 European Charter on the statute for judges, Council of Europe, Doc. DAJ/DOC

(98)23(1998), abrufbar unter http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/greco/evalua tions/round4/European-Char ter-on-Statute-of-Judges_EN.pdf, zuletzt besucht am 6. Oktober 2013.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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3. Report der Venedigkommission des Europarates vom 16. März 2010 zur Unabhängigkeit des Justizsystems

Auch der Report der Venedigkommission des Europarates vom 16. März 2010184, welche den Auftrag hatte, einen Bericht über die europäischen Normen zur Unabhängigkeit zu verfassen, hält zunächst in den Vorbemer-kungen fest, dass die Unabhängigkeit „n’est pas une fin en soi“ und auch kein Privileg der Richter sei, sondern sich durch die Rolle der Richter als Wächter der Rechte und Grundfreiheiten ergebe (Punkt 6). In der Folge geht der Report auf die in der Empfehlung R(94)12 dargestellten Prinzipien ein und nimmt dazu, sowie zu den jeweiligen Avis des Beirats der europäischen Richter (CCJE) Stellung. Insbesondere spricht sich die Kommission in Be-zug auf das Auswahlverfahren sowie die Beurteilung der Karriere der Rich-ter für einen unabhängigen „conseil de la magistrature“ aus, welcher sich aus Richtern und anderen Mitgliedern zusammensetzen sollte (Punkt 32). Eben-so empfiehlt sie eine Wahl auf Lebenszeit (Punkt 38). Titel 10 des Reports widmet sich der Unabhängigkeit innerhalb des Justizapparates und hält fest, dass bei einer Unterordnung der Richter in ihrer Tätigkeit unter die Ge-richtspräsidenten oder die oberen Instanzen die Unabhängigkeit beeinträch-tigt werden könnte (Punkt 68-72).

4. Empfehlung CM/Rec(2010)12 des Ministerkomitees vom 17. November 2010

Die Empfehlung des Ministerrates des Europarates steht unter dem Titel „sur les juges: indépendance, efficacité et responsabilités“ und besagt, dass die richterliche Unabhängigkeit kein Privileg der Richter darstellt, dass sie aber jeder Person einen fairen Prozess garantiert und das Vertrauen in die Justiz sichert.185 Kapitel zwei (Punkte 11-21) widmet sich der externen Unabhän-gigkeit, während sich Kapitel drei der internen Unabhängigkeit widmet

184 Etude Commission de Venise, No 494/2008; CDL – AD (2010)004, abrufbar unter

http:// www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL-AD%282010%29004-f, zuletzt besucht am 6. Oktober 2013.

185 Präambel der CM/Rec (2010)12; vgl. dazu auch GASS, Empfehlung, Rz. 3.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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(Punkte 22-25). Punkt 22 bestimmt, dass die Unabhängigkeit der Justiz die Unabhängigkeit jedes einzelnen Richters bei der Ausübung seiner Funktion voraussetzt. Die Richter sollen ihre Entscheide in vollständiger Unabhän-gigkeit und Unbefangenheit treffen und „pouvoir agir sans restrictions, in-fluences indues, pressions, menaces ou interventions, directes ou indirectes, de la part d’une quelconque autorité, y compris les autorités judiciaires elles-mêmes“. Die hierarchische Organisation darf die individuelle Unabhängig-keit nicht beeinträchtigen. Auch die oberen Gerichte dürfen keine Weisun-gen erlassen, wie in einer spezifischen Angelegenheit zu entscheiden ist (Punkt 23).

Kapitel fünf (Punkte 30-43) steht unter dem Titel Unabhängigkeit, Effizienz und Ressourcen. Punkt 30 bestimmt, dass die Effizienz der Richter und der Justiz eine notwendige Bedingung darstellt „à la protection des droits de toute personne, au respect des exigences de l’article 6 de la Convention, à la sécurité juridique et à la confiance du public dans l’Etat de droit.“ Die Effi-zienz wird dabei beschrieben „à délivrer des décisions de qualité dans un délai raisonnable et sur la base d’une considération équitable des éléments.“ (Punkt 31). Punkt 32 und 33 bestimmen sodann, dass es den verantwortli-chen Behörden obliegt, die Bedingungen zu garantieren, damit die Richter effizient ihre Arbeit erledigen können bzw. die notwendigen Ressourcen bereitzustellen; dies umfasst auch die angemessene Einstellung von Richtern und juristischem Personal (Punkt 35). Die Punkte 36-38 widmen sich sodann der Überlastung der Gerichte und den entsprechenden Massnahmen, der Informatik und elektronischen Geschäftslastbewirtschaftung sowie der Si-cherheit der Richter. Punkt 40 steht unter der Überschrift „administration des tribunaux“ und hält fest, dass der Justizrat, die Gerichte und die Richter bei der Budgetberatung mitwirken sollen.

Punkt 42 hält sodann fest, „afin de contribuer à l’efficacité de l’administra-tion de la justice et de poursuivre l’amélioration de sa qualité, les Etats

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Die richterliche Unabhängigkeit

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membres peuvent mettre en place des systèmes d’évaluation des juges par les autorités judiciaires, conformément au paragraphe 58.“186

5. Magna Carta der Richter vom 17. November 2010

Die Magna Carta wurde am 17. November 2010 vom CCJE angenommen.187 Sie enthält unter anderem den Grundsatz, dass die Unabhängigkeit auf der landesrechtlich höchsten Normstufe festzuhalten ist (Punkt 3) und dass der Staat die notwendigen Mittel für das gute Funktionieren der Justiz bereitstel-len muss (Punkt 7). Die Aus- und Weiterbildung wird als ein Recht und eine Pflicht des Richters umschrieben, welche durch die Justiz selbst organisiert werden sollte (Punkt 8). Ebenso wird der Grundsatz festgehalten, wonach der Richter „dans sa fonction de juger, le juge ne peut recevoir aucun(e) ordre ou instruction ni être soumis à une quelconque pression hiérarchique et est seulement tenu au respect des règles de droit “ (Punkt 10). Unter dem Titel „Instance chargée de garantir l’indépendance “ wird von den Vertrags-staaten unter Punkt 13 verlangt, einen „Conseil de la Justice“ einzurichten, welcher unabhängig von Legislative und Exekutive agiert und welcher kom-petent ist für alle Fragen, welche die Richter bzw. die Justiz, ihren Status, ihre Organisation bzw. ihre Funktionsweise betrifft. Der Rat soll sich entwe-der ausschliesslich aus Richtern oder aber zumindest aus einer grossen Mehrheit an Richtern zusammensetzen. Punkt 16 hält schliesslich fest, dass der Richter geeignete Techniken des „case management“ anzuwenden hat, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

186 Paragraph 58 lautet : „Lorsque des systèmes d’évaluation des juges sont mis en

place par les autorités judiciaires, ceux-ci devraient reposer sur des critères objec-tifs. Ces critères devraient être publiés par l’autorité judiciaire compétente. La pro-cédure devrait permettre aux juges d’exprimer leur point de vue sur leurs activités et l’évaluation à laquelle elles donnent lieu, ainsi que de contester cette évaluation devant une autorité indépendante ou un tribunal. “

187 CM(2010)169; abrufbar unter https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1705577&Site= COE, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

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6. Avis des CCJE

Im Weiteren hat der Beirat der europäischen Richter des Europarates ver-schiedene Avis bzw. Opinions, insbesondere die No. 1, 2, 6, 10 und 11 erlas-sen.188

Der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit E.

Die Garantie richterlicher Unabhängigkeit stellt keinen gefestigten, abstrakt vorbestimmten Begriff dar, sie kann im Gegenteil ganz unterschiedliche Facetten aufweisen.189 Dies macht es schwierig, den Begriff der richterlichen Unabhängigkeit in seinem Umfang und seiner Tiefe zu erfassen. Lange be-vor Art. 30 und Art. 191c BV 1999 in die BV aufgenommen wurden, hat KURT EICHENBERGER den Begriff der Unabhängigkeit in fünf Teilbegriffe unterteilt. Die Unabhängigkeit ist nach ihm eines der dynamisierten und dialektisch angelegten Verfassungsprinzipien. Es soll und darf differenziert werden, je nach konkretem Problembereich und Verfahrensstand. Er schreibt, dass „richterliche Unabhängigkeit im Kern zwar gefestigt, in der praktischen Ausgestaltung aber mobil, flexibel und differenziert sein muss.“ Die ständige Ausbalancierung ist dabei primär Sache der einzelnen Gerichte und Richter.190 EICHENBERGER definierte mit seinen fünf Unterbegriffen die Unabhängigkeit umfassend und setzt damit bis heute Massstäbe. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle seine Definition in diese Dissertation aufge-nommen. EICHENBERGER unterscheidet richterliche Unbeteiligtheit, Selb-ständigkeit, Eigenständigkeit, Sozialfreiheit und die innere Freiheit.191

188 Vgl. zum Inhalt GASS/KIENER/STADELMANN, S. 237 ff. und http://www.coe.int/t

/dghl/cooperation /ccje/ textes/Avis_en.asp, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013. 189 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 4; SEILER, Oberaufsicht, S. 282 ff. 190 EICHENBERGER, Sonderheiten, S. 98. 191 EICHENBERGER, Unabhängigkeit, S. 43 ff.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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1. Richterliche Unbeteiligtheit

Die Unbeteiligtheit ist die Unabhängigkeit gegenüber den am Verfahren Beteiligten, insbesondere den Parteien. Dieser Begriff fällt gerade nicht zu-sammen mit dem Begriff der Unparteilichkeit, denn diese bezeichnet im Gegensatz zur Beteiligtheit ein richterliches Verhalten, das die eine Partei bevorzugt. Als Konsequenz für die richterliche Unbeteiligtheit können die Ausstandsvorschriften angeführt werden.

2. Richterliche Selbständigkeit

Die Selbständigkeit ist die Unabhängigkeit von den nichtrichterlichen Staatsgewalten. Sie findet Ausdruck in Unvereinbarkeitsregeln.

3. Richterliche Eigenständigkeit

Die Eigenständigkeit ist die Unabhängigkeit von Organen der richterlichen Gewalt. Hier geht es im Wesentlichen um das Thema der gerichtlichen Auf-sicht. Darauf wird weiter hinten näher eingegangen.192

4. Richterliche Sozialfreiheit

Gemeint ist die Freiheit des „Richters in Funktion“, welcher ferngehalten werden soll von soziologischen Wirksamkeiten. Diese werden z.B. durch gesellschaftliche Sitten, Gewohnheiten und Werturteile wiedergegeben. Da-zu gehören in erster Linie die politischen Parteien, die Kirchen, die Presse und die politisch gerichtete öffentliche Meinung.

5. Innere Freiheit

Unter diesem Begriff versteht EICHENBERGER „verfälschende Einwirkungen, die aus der Person des Richters selbst entstammen“. Beispiele dafür sind

192 Vgl. S. 177 ff. und S. 287 ff.

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Voreingenommenheiten, Vorurteile und sachfremde Einengungen.193 MÜL-LER führt dazu aus, bei der inneren Unabhängigkeit handle es sich um eine „hochsensible Gestalt“, der von verschiedener Seite Gefahr drohe.194

Die Unabhängigkeit als verfassungsrechtliches F.Organisationsprinzip

1. Institutionelles Organisationsprinzip

Der Freiraum der richterlichen Unabhängigkeit von Art. 191c BV betrifft die Rechtsprechung und wird dadurch gesichert, dass die richterlichen Behörden in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit ausschliesslich dem Recht verpflichtet sind.195 Die durch Art. 191c BV verankerte institutionelle Unabhängigkeit der Rechtsprechung verlangt eine von den anderen Gewalten selbständige bzw. eigenständige Organisation der Justiz.196 Art. 191c BV stellt ein eigen-ständiges, verfassungsrechtliches Organisationsprinzip dar. Die Bindung an das Recht ist an sich als „immanente Einschränkung“ der richterlichen Un-abhängigkeit selbstverständlich.197 Die Erwähnung der Bindung an das Recht erinnert aber vor allem auch an das demokratische Prinzip und dient der Anschaulichkeit. Diese Schranke wird daher ausdrücklich ausgesprochen.198 Die enge Verknüpfung von richterlicher Unabhängigkeit und Rechtsbindung kommt im Wortlaut von Art. 191c BV klar zum Ausdruck.199

193 Vgl. zum Begriff der inneren Unabhängigkeit ALBRECHT, S. 8 ff.; MÜLLER M.,

S. 528. 194 MÜLLER M., S. 529 und S. 532 ff., welcher auf die neurowissenschaftlichen Er-

kenntnisse verweist, wonach es diesen biologisch-psychischen Zustand aber evtl. gar nicht gibt.

195 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 5. 196 MÜLLER M., S. 529. 197 EICHENBERGER, Unabhängigkeit, S. 92; STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 5. 198 Botschaft neue BV, 541. 199 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2882.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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Art. 191c BV stellt die organisationsrechtliche Seite des nach Art. 30 Abs.1 BV grundrechtlich verbürgten Anspruchs auf ein unabhängiges Gericht dar: Art. 191c BV verschafft den Gerichten jene institutionelle Stellung, welche Art. 30 Abs. 1 grundrechtlich voraussetzt.200 Zunächst wird der grundrechtli-che Anspruch jeder Verfahrenspartei auf Beurteilung durch ein rechtmässi-ges Gericht garantiert (Art. 30 BV), zum anderen garantiert die BV die insti-tutionelle Unabhängigkeit der Gerichte auch als verfassungsrechtliches Organisationsprinzip in Art. 191c BV.201 Die Unabhängigkeit richterlicher Behörden und ihr Ausmass beurteilen sich aufgrund der Gesamtheit der in-stitutionellen Sicherungen und deren Handhabung.202

Die Justiz ist als dritte Gewalt als Institution zu sichern. Die institutionelle Unabhängigkeit nach Art. 191c BV rückt die Positionierung der Richter und Gerichte im staatlichen Funktionengefüge in den Mittelpunkt. Sie soll si-cherstellen, dass die Rechtsprechung von jenen Einflussversuchen abge-schirmt wird, die unmittelbar auf die richterliche Tätigkeit wirken oder mit-telbar entsprechende Reflexwirkungen haben; die Richter bzw. die Gerichte sollen von jedem äusseren, sachfremden Einfluss auf die Rechtsprechung abgeschirmt werden, eine Einmischung in die Rechtsfindung, die Korrektur oder die Ungültigerklärung von Urteilen etwa durch die Exekutive soll so verhindert werden.203 Entsprechend wird jeglicher sachfremde Einfluss aus-geschlossen, es gibt keine Unterscheidung, woher der unzulässige Einfluss kommt. Die Verselbständigung der Justiz ist jedoch nicht absolut zu verste-hen. In einem Gemeinwesen wie der Schweiz sind alle staatlichen Gewalten in das System von „Checks and Balances“ eingebunden und in verschiedens-ter Weise voneinander abhängig.204

200 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 3; STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 5;

KIENER, Unabhängigkeit, S. 25 ff.; AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 191c BV, Rz. 3.

201 KIENER, Unabhängigkeit, S. 52 f. 202 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 4. 203 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 11 f.; KIENER, Unabhängigkeit, S. 228; STEIN-

MANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 6. 204 KIENER, Unabhängigkeit, S. 229.

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Art. 191c BV verankert aber kaum mehr als einen Grundsatz.205 Daher be-darf der Artikel als Verfassungsbestimmung der Umsetzung und Ausgestal-tung. Er richtet sich an den Verfassungs- und Gesetzgeber, Unabhängigkeit zu schaffen und zu formen und mittels verschiedener Vorkehren zu si-chern.206 Die Gesetzgebung ist verpflichtet, das Prinzip zu verwirklichen.

Wie AUER/MALINVERNI/HOTTELIER zutreffend ausführen, ist die richterli-che Gewalt die einzige der drei Gewalten des Staates, welche aus dem Ge-waltenteilungsprinzip das Postulat der Unabhängigkeit ableiten kann.207

Die richterliche Unabhängigkeit ist einem Individualrecht der Parteien nach-gebildet, auf das sich Träger hoheitlicher Aufgaben nicht berufen können.208 Richterliche Unabhängigkeit ist demnach kein Grundrecht des Richters, sondern vielmehr ein „Schattenbild der Gewaltenteilung“ im Dienst der Funktionsfähigkeit der Justiz.209 Die anderen Staatsorgane sind gehalten, die spezifische Unabhängigkeit der Gerichte zu respektieren.210

2. Teilgehalte der institutionellen Unabhängigkeit

Gemäss KIENER beinhaltet die institutionelle Unabhängigkeit die funktionel-le, personelle und organisatorische Verselbständigung der Justiz im Gefüge der Staatsorganisation.211 Es geht um „ihre spezifische Distanzierung im Ge-

205 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 16. 206 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 4 mit Verweis auf AUBERT/MAHON, Petit

commentaire zu Art. 191c BV, Rz. 4. 207 AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel, Rz. 1771 : „Le parlement et

le gouvernement peuvent à la rigueur s’en passer, mais pour les juges, l’in-dépendance apparaît à la fois comme la condition et le résultat de la fonction spéci-fique qu’ils assument.“

208 KIENER, Unabhängigkeit, S. 381. 209 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2882 m.H. auf WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 9. 210 AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 191c BV, Rz. 4; Botschaft neue BV,

541. 211 KIENER, Unabhängigkeit, S. 235.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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füge der staatlichen Funktionen- und Organordnung.“212 Nachfolgend wer-den die drei Teilgehalte der institutionellen Unabhängigkeit näher darge-stellt.

a) Funktionelle Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit eines Gerichts besteht darin, dass die Rechtsprechung ausschliesslich beim zuständigen Gericht liegen muss. Es darf zu keinen Übergriffen von anderen Staatsgewalten kommen: Die Gerichte dürfen we-der angewiesen werden, eine Streitsache in einem bestimmten Sinn zu ent-scheiden, noch darf auf andere Weise auf die Spruchpraxis eingewirkt wer-den. Auch eine Urteilskorrektur durch nichtrichterliche Behörden ist ausge-schlossen.213 Es gilt das in Art. 191c BV verfassungsrechtlich garantierte

Einmischungsverbot.214 Ist diese Unabhängigkeit gewahrt, so können nach Lehre und Praxis sogar die besonderen Abhängigkeiten, welche sich durch die Einbindung der Justiz ins staatliche Organgefüge ergeben, ausgeglichen werden.215

b) Personelle Unabhängigkeit

Personelle Unabhängigkeit bedeutet, dass die Justizfunktion nur von Perso-nen ausgeübt wird, die einzig der Justiz dienen und keinem anderen Staats-organ angehören. Gesichert wird diese Unabhängigkeit durch gesetzlich festgehaltene Unvereinbarkeitsregeln.216 Ebenso gehört zur personellen Un-abhängigkeit ein dienstrechtlicher Schutz. Richter dürfen nicht befürchten müssen, wegen missliebiger Urteile diszipliniert, versetzt oder abgewählt zu werden. Wirksamen Schutz gegen derartige Sanktionen bietet die Wahl auf

212 Vgl. dazu eingehend KIENER, Unabhängigkeit, S. 229. 213 Vgl. TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 17 f. 214 KIENER, Unabhängigkeit, S. 236. 215 Vgl. eingehend KIENER, Unabhängigkeit, S. 236 m.w.H. 216 Vgl. ausführlich TSCHANNEN, Staatsrecht, § 41, Rz. 5; KIENER, Unabhängigkeit,

S. 249 ff.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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eine feste, nicht allzu kurz bemessene Amtsdauer, während welcher die Richter praktisch unabsetzbar sind.217

c) Organisatorische Unabhängigkeit

Ein unabhängiges Gericht verfügt schliesslich über organisatorische Selb-ständigkeit: Die Gerichte sollen als selbständige Einheiten eingerichtet und ausreichend ausgestattet sein.218 Gemäss KIENER ist die organisatorische Un-abhängigkeit nach drei Seiten zu sichern: Im Zusammenhang mit der Justiz-verwaltung219, hinsichtlich der Justizaufsicht220 und schliesslich in Bezug auf die personelle und sachliche Ausstattung.221 Bei der Ausstattung kann die Unabhängigkeit durch Einschränkungen der sachlichen, finanziellen oder personellen Voraussetzungen der Rechtsprechung beeinträchtigt werden.222 Verfassungswidrige Rechtsverzögerungen in gerichtlichen Verfahren zufol-ge unzureichender Ressourcen verpflichten den Gesetzgeber.223 Auf diese Frage ist ebenfalls später noch zurückzukommen.224

d) Weiteres

Wichtige Instrumente der institutionellen Unabhängigkeit stellen die Organi-sations- und Verwaltungsautonomie nach Art. 188 Abs. 3 BV sowie eine

217 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 23; vgl. auch Gutachten BJ, Punkt 1.3.1. 218 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 19. 219 Vgl. hinten, S. 80 ff.; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 19. 220 Vgl. zur Justizaufsicht S. 177 ff. 221 KIENER, Unabhängigkeit, S. 291, S. 294 und S. 309. 222 KIENER, Unabhängigkeit, S. 309. 223 Bspw. bei einer Kritik im Geschäftsbericht des Bundesgerichts, wo jenes feststellt,

dass es sich auf die wichtigen Fälle konzentrieren muss; STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 7 m.H.

224 Vgl. hinten, S. 65 ff.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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eigenständige Stellung im Umgang mit Legislative und Exekutive (Art. 162 ParlG) dar.225

Die personenbezogene Unabhängigkeit G.

Nur durch die institutionell-organisatorische Garantie ist allerdings keine umfassende Unabhängigkeit zu erreichen: Es fehlt die Ergänzung auf indivi-dueller Ebene. Hier entscheidet sich, ob eine unverfälschte richterliche Rechtsfindung überhaupt möglich ist.226

KIENER geht bei der personenbezo-genen Betrachtungsweise von fünf verschiedenen Problemstellungen aus.227 Die fünf Bereiche sind:

- Richter und Verfahrensbeteiligte - Nähe zum Verfahren: Das Problem der Vorbefassung - Richterliches Engagement in der Sache - Äussere Einflüsse auf die Entscheidfindung - Richterliche Selbständigkeit in der Entscheidfindung

Demnach ist es entscheidend, dass der einzelne Richter die ihm organisato-risch-institutionell geschaffene Freiheit auch zweckkonform, d.h. unabhän-gig nutzt.228 Darauf wird sogleich unter Punkt H. eingegangen.

Der Begriff der Unabhängigkeit in der Rechtsprechung H.

1. Die Unabhängigkeit des Gerichts

Art. 30 BV bestimmt in Abs. 1 unter anderem, dass jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht hat. Es handelt sich bei Art. 30 BV um eine generelle Garantie für ein faires Verfahren. Insbesondere ist hier die

225 KLOPFER, Rz. 9; STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 7; STEINMANN, SGK zu

Art. 30 BV, Rz. 6; vgl. hinten, S. 73 ff. 226 MÜLLER M., S. 529. 227 KIENER, Unabhängigkeit, S. 89 ff.; vgl. ganz ähnlich MÜLLER M., S. 530. 228 MÜLLER M., S. 529.

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Rechtsprechung des EGMR beachtlich, aus welcher der Artikel der BV erst geschaffen wurde. Die Garantie soll jeglichen sachfremden Einfluss auf die richterliche Entscheidfindung ausschliessen und das Vertrauen in die Justiz als echtle Mittlerin sicherstellen.229 Ob eine Beeinträchtigung vorliegt, be-stimmt sich danach, ob konkrete Gründe eine Beeinträchtigung der richterli-chen Unabhängigkeit möglich erscheinen lassen und wie diese zu bewerten sind.230

Art. 30 BV verlangt ein unabhängiges „Gericht“.231 Normalerweise wird unter Gericht dasjenige Staatsorgan bzw. jene Gruppe an Staatsorganen ver-standen, welche als Hauptfunktion die Rechtsprechung ausüben; es wird eine Organisationseinheit (z.B. Kreisgericht der Stadt St.Gallen, Kantonsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsgericht des Kantons Zürich etc.) umschrie-ben.232 Insbesondere ist unter dem Begriff des Gerichts aber jene Einheit zu verstehen, die als Spruchkörper, als „Gericht“ in einem bestimmten Fall eingesetzt wird. Normalerweise amten drei bzw. bei Grundsatzentscheiden fünf Richter, es gibt jedoch auch sogenannte Einzelrichter-Verfahren, in welchen ein Richter alleine entscheidet.233 Eine solche Auslegung des Be-griffs „Gericht“ auf den eingesetzten Spruchkörper oder den zuständigen Einzelrichter drängt sich insbesondere deshalb auf, weil die Rechtsprechung im Einzelfall ja gerade beim eingesetzten Spruchkörper liegt. Die Anwen-dung der Unabhängigkeit auf das „Gericht“ im Einzelfall muss daher im Vordergrund stehen. Es liegt aus diesem Grund auf der Hand, dass auch diese kleinste Organisationseinheit eines Gerichts der Garantie der Unab-hängigkeit von Art. 30 BV unterliegt.

229 BGE 114 Ia 50 E. 3c. 230 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 9 m.H. auf KIENER, Unabhängigkeit, S. 60 f. 231 Wobei unbestritten ist, dass die Garantie auch auf die einzelne Richterperson An-

wendung findet, vgl. vorne, S. 48. 232 Vgl. vorne, S. 53. 233 Meist handelt es sich dabei um sogenannte Abschreibungsentscheide wegen Rück-

zugs der Beschwerde oder wegen Gegenstandslosigkeit oder um offensichtlich un-begründete Beschwerden.

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Die richterliche Unabhängigkeit

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Ob eine gerichtliche Instanz vorliegt, beurteilt sich nach zwei Kriterien: Funktional muss sie eine rechtsprechende Funktion ausüben, d.h. sie muss in einem justizförmigen Verfahren einen verbindlichen und weisungsfreien Entscheid fällen, organisatorisch sowie institutionell ist verlangt, dass sie unabhängig ist.234 Art. 30 BV räumt jedoch für sich allein keinen Anspruch auf ein gerichtliches Verfahren ein; ein entsprechender Anspruch kann sich aber aus Art. 29a, Art. 31 und 32 BV sowie aus Art. 5 und 6 der EMRK er-geben.235

2. Die Begriffe Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Befangenheit

a) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit

Unter dem Einfluss des EGMR hat auch das Bundesgericht seine Rechtspre-chung zum Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht zu-nehmend verfeinert.236 Gemäss AUER/MALINVERNI/HOTTELIER entsprechen sich die Begriffe der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit weitgehend.237

Nach AUBERT/MAHON soll die Unabhängigkeit die „liberté d’esprit des ju-ges“ sichern. Dafür hat das Gericht keine Weisungen von einer anderen Ge-walt zu empfangen; sie untersteht nur dem Gesetz.238 Diese Unabhängigkeit wird durch verschiedene Kriterien wie die Mandatsdauer, die Unabsetzbar-keit, Unvereinbarkeitsregeln, Immunitätsregeln und durch die Unmöglich-

234 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 850. 235 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 4. 236 FROWEIN/PEUKERT, Rz. 201 zu Art. 6 EMRK. 237 AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droits, Rz. 1240, Rz. 1241 ff. und Rz. 1248 ff. 238 AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 30 BV, Rz. 7; Entscheide des EGMR

Crizan vom 27. Mai 2005 auch Rec. 2003-VI, § 193; Kleyn vom 6. Mai 2003, Rec. 2003-VI, § 193; Pabla-Ki vom 12. Juni 2004 sowie BGE 120 Ia 19 E. 4a; BGE 116 Ia 14 und BGE 114 Ia 50 E. 3b.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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keit, Weisungen/Empfehlungen zu befolgen, garantiert.239 Ebenso wichtig ist die Unabhängigkeit gegenüber den Parteien.240

Zwischen der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit besteht ein funktio-naler Zusammenhang: Erstere ist Voraussetzung der letzteren.241 Ein Richter ist unparteiisch, wenn er unvoreingenommen ist und nicht für die eine oder andere Seite Partei nimmt.242 Bezüglich der Unparteilichkeit wird diese in eine subjektive und eine objektive Unparteilichkeit unterteilt.243 Während es bei der subjektiven Unparteilichkeit darum geht, was ein Richter denkt244, befasst sich die objektive Unparteilichkeit mit der Frage, ob ein Richter die notwendige Unparteilichkeit besitzt.245

b) Befangenheit und ihre Gründe

Befangenheit ist dann vorhanden, „wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu erwecken“.246 Be-fangenheit stellt demnach einen inneren Zustand dar, welcher nicht bewiesen werden kann. Es braucht tatsächliche Begebenheiten, die Misstrauen in die

239 Vgl. BGE 123 II 517; BGE 127 I 198; BGE 124 I 255; BGE 126 I 234;

FROWEIN/PEUKERT, Rz. 205 zu Art. 6 EMRK; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, S. 167; AUER/MALINVERNI/ HOTTELIER, Droits, Rz. 1242; AUBERT/MAHON, Petit commen-taire zu Art. 30, Rz. 7; STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 6 m.H.

240 BGE 129 I 91. 241 FROWEIN/PEUKERT, Rz. 213 zu Art. 6 EMRK m.H. 242 HAEFLIGER/SCHÜRMANN, S. 168. 243 AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droits, Rz. 1248 ff.; FROWEIN/PEUKERT, Rz. 213

zu Art. 6 EMRK. 244 „Absence de prévention et d’esprit partisan“, vgl. den Entscheid des EGMR Pier-

sack vom 1. Oktober 1982, Serie A, no 53, § 30. 245 AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 30 BV, Rz. 8; „Justice must not only be

done, it must also be seen to be done“ (vgl. BGE 112 Ia 290 E. 3b m.H.). Es geht um den Anschein der Befangenheit, vgl. den Entscheid des EGMR Wettstein vom 21. 12. 2000, Rec. 2000-XII, § 45 sowie Entscheid des EGMR Incal vom 9. Juni 1998, Rec. 1998-IV 1574, § 65; BGE 112 Ia 293.

246 Vgl. z.B. BGE 114 Ia 50 E. 3b und BGE 120 V 357 E. 3a; etwas anders formuliert in BGE 133 I 89 E. 3.2 und BGE 134 I 20 E. 4.2.

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Die richterliche Unabhängigkeit

59

Unparteilichkeit eines Richters erwecken, den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit begründen und den Verfahrensausgang nicht mehr als offen erscheinen lassen.247 Das rein subjektive Misstrauen einer Partei genügt hingegen nicht, ebensowenig der Umstand, dass die abgelehnte Per-son sich subjektiv nicht befangen fühlt.248

i) In der Person des Richters liegende Gründe

Ein Richter ist befangen, wenn er in einem Verfahren selbst Partei ist249 oder ein unmittelbares eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.250 Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Richter über das gegen ihn selbst gerich-tete Ablehnungsbegehren entscheidet oder zumindest mitentscheidet251, wenn ein Richter über die Zulässigkeit einer Planungsmassnahme entschei-det, obwohl er im Planungsgebiet über Grundeigentum verfügt252 oder wenn ein Mitglied des Gemeindesrates am Entscheid über ein Baugesuch teil-nimmt, das von einer einfachen Gesellschaft eingereicht wurde, der er ange-hört.253 Dieser Grundsatz bildet einen Kerngehalt der Garantie von Art. 30 BV.254

Ebenso ist bzw. erscheint ein Richter befangen, wenn eine Lebensgemein-schaft oder ein nahes Verwandtschaftsverhältnis, Freundschaft, Feindschaft oder eine sonstige nahe Beziehung zu einer Partei besteht.255 Auch Äusse-

247 BGE 131 I 113 E. 3.4; BGE 120 Ia 184 E. 2b. 248 MÜLLER/SCHEFER, S. 938; BGE 121 II 53 E. 3c. 249 Vgl. schon BGE 33 I 143 E. 2. 250 BGE 119 II 271 E. 3b; BGE 114 Ia 153E. 3a/aa; BGE 33 I 143 E. 2; BGE 122 II

471 E. 3a. 251 BGE 114 Ia 153 E. 3a/aa. 252 SCHEFER, Kerngehalte, S. 537 f. 253 Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 1966, ZBl 1967, S. 53, E. 2. 254 SCHEFER, Kerngehalte, S. 538; vgl. für weitere Rechtsprechung MÜLLER/SCHEFER,

S. 939. 255 Vgl. KIENER, Unabhängigkeit, S. 99; MÜLLER/SCHEFER, S. 939 f. Die Rechtspre-

chung dazu ist eher schwankend: Salaman gegen Vereinigtes Königreich (AD),

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

60

rungen eines Richters in der Öffentlichkeit können berechtigte Zweifel an der Unbefangenheit aufkommen lassen, wenn sie einen unmittelbaren Zu-sammenhang zum konkreten Verfahren aufweisen, etwa bei Äusserungen zum Verfahrensgang.256 Auch bei Stellungnahmen gegenüber Dritten oder der Presse, bei einem öffentlichen Aufruf zu Amnestie und Milde mit Ju-gendunruhen257 kann Befangenheit vorliegen. In einem Fall, in welchem es um das Eintreten für Frauenfragen einer Richterin ging, welche in einem Vergewaltigungsprozess zum Spruchkörper gehörte, wurde hingegen keien Befangenheit festgestellt.258 Ebenso tangieren wissenschaftliche Publikatio-nen die Unabhängigkeit im Allgemeinen nicht.259 Auch zulässig ist das Refe-rentensystem, in welchem der Richter sich aufgrund der Akten eine Meinung bildet, wenn er bereit ist, diese im Hinblick auf die Abnahme von Beweisen etc. zu überprüfen.

ii) In organisatorisch-institutionellen Umständen liegende Gründe

Befangenheit kann auch vorliegen, wenn sich ein Richter in amtlicher Funk-tion bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit der konkreten Sache befasst hat. Man nennt dies das Problem der Vorbefassung.260 Als Leitlinie der vom Bundesgericht festgelegten Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob eine

43505/98(2000) S. 6 ff.; BGE 92 I 271 ff.; BGE 117 Ia 170 ff.; Urteil des Bundes-gerichts 2A.53/2006 E. 3.4.2, wo das Bundesgericht rügt, dass ein Mitglied der Schiedskommission selbst die Vollmacht für die Anfechtung des von ihm mitgefäll-ten Entscheides unterzeichnet hatte; vgl. z.B. auch BGE 134 I 20 E. 4; BGE 129 III 445 E. 4.2.2.2.

256 Vgl. MÜLLER/SCHEFER, S. 940 f. m.H.; vgl. auch BGE 125 I 119 E. 3a. 257 BGE 108 Ia 48. 258 BGE 118 Ia 282. 259 BGE 125 I 119 E. 3a; Sander gegen Vereinigtes Königreich, 34129/96(2000) Ziff.

22 ff. 260 Vgl. dazu HAEFLIGER/SCHÜRMANN, S. 169; MÜLLER/SCHEFER, S. 942 ff.;

STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 12, wobei er der Ansicht ist, dass das Bun-desgericht den Begriff „wertneutral“ verwende.

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Die richterliche Unabhängigkeit

61

frühere Tätigkeit eine Befangenheit bedeute, gilt, dass der Ausgang des Ver-fahrens offen sein muss und nicht vorbestimmt erscheinen darf.261

Kernbereiche bzw. Minimalstandards der Unabhängigkeit I.

1. Unterscheidung Minimalstandard und Kernbereich

Gemäss SCHEFER besteht der Unterschied zwischen einem Kernbereich/ Kerngehalt und einem Minimalstandard eines Grundrechts darin, dass Kern-bereiche ohne Ausnahme gelten, während im Bereich der Minimalstandards gewisse Relativierungen zulässig sein können, aber nur unter spezifischen Voraussetzungen, welche über das von BV 36 verlangte hinausgehen: So sind die Voraussetzungen für die Einschränkung regelhaft zu umschreiben, es können nur zwingende öffentliche Interessen einen Eingriff rechtfertigen und die Zulässigkeit einer Beeinträchtigung ist von einem Gericht mit be-sonders intensiver Dichte zu prüfen. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass „nur Kernbereiche, nicht aber Minimalstandards, der Verfassungsge-bung Schranken setzen können.“262

Bei den Minimalstandards der prozessualen Grundrechte zeigt sich eine Spe-zialität, da Einschränkungen in regulären Situationen weitestgehend ausge-schlossen sind. Die Minimalstandards gewährleisten für ordentliche Situati-onen, d.h. ausserhalb eines staatlichen Notstandes, ein Minimum prozessua-ler Gerechtigkeit, das in keinem Fall unterschritten werden darf. Sie nähern sich damit einem „Kerngehalt in regulären Situationen“ an.263 In der Folge wird daher weiterhin von Kerngehalten gesprochen.

261 Vgl. dazu auch bei den Verfahrensgarantien, S. 106 ff.; BGE 114 Ia 50 E. 3d;

KIENER, Unabhängigkeit, S. 145 ff. 262 SCHEFER, Kerngehalte, S. 512 f. 263 SCHEFER, Kerngehalte, S. 512 f.; KIENER, Unabhängigkeit, S. 223.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

62

2. Kerngehalte der personenbezogenen Unabhängigkeit

Im Kern der Garantie der Unbefangenheit steht, dass das Gericht keine per-sönlichen Interessen mit dem Ausgang des konkreten Verfahrens verbinden und sich mit Bezug auf die Entscheidung des spezifischen Falles nicht be-reits festgelegt haben darf. Nur unter diesen Bedingungen besteht die Aus-sicht, dass das generell-abstrakte Gesetz, auch in seiner Anwendung im kon-kreten Einzelfall nicht zur undurchschaubaren Fremdbestimmung wird.264

Gemäss KIENER wird die Garantie auf einen unabhängigen und unpartei-ischen Richter in ihrem Kerngehalt durch folgende Konstellationen ver-letzt265:

- Bei unmittelbaren richterlichen Eigeninteressen am Ausgang des Ver-fahrens.

- Bei sehr nahen sozialen, insbesondere verwandtschaftlichen Bezie-hungen zwischen einem Richter und einer Partei.

- Bei befremdlichen Konstellationen der Vorbefassung. - Bei kränkenden, herabsetzenden und diskriminierenden Äusserungen

gegenüber einer Partei. - Bei allen weltanschaulichen Äusserungen, die eine inhaltliche und

zeitliche Nähe zum konkreten Verfahren aufweisen und die zu ent-scheidende Rechtsfrage mit grosser Bestimmtheit vorwegnehmen.

3. Kerngehalte der institutionellen Unabhängigkeit

Die Kerngehalte der institutionellen Unabhängigkeit werden verletzt, wo die Justizfunktion durch sachwidrige Einflussnahmen und Beschränkungen der-art gestört ist, dass sie Berechtigung und Sinn verliert. KIENER nennt insbe-sondere die Beurteilung durch ein Ausnahmegericht oder die Aufhebung des Urteils durch eine nicht-richterliche Behörde. Weiter müssen die Grundzüge der Zuständigkeit und der Organisation der Gerichte im formellen Gesetz

264 SCHEFER, Kerngehalte, S. 535. 265 KIENER, Unabhängigkeit, S. 224; gl. M. SCHEFER, Kerngehalte, S. 536 ff. und

S. 540 ff.

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Die richterliche Unabhängigkeit

63

umschrieben sein. Auch die Ernennung von Richtern hat in einem gesetzlich normierten Verfahren zu geschehen.266

4. Folgen der Verletzung

Eine Heilung einer Kerngehaltsverletzung im Rechtsmittelverfahren ist nicht möglich.267 Der fehlerhafte Entscheid ist auf Beschwerde hin aufzuheben, da ein Urteil keinen Bestand haben kann, wenn der Kerngehalt der Unabhän-gigkeit verletzt wurde.268

Vergleich der Unabhängigkeit von Art. 30 BV und Art. 191c BV J.

Es kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich die Begriffe der Unabhängigkeit in Art. 30 BV und in Art. 191c BV auf verschiedenes beziehen: Während Art. 191c BV die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ins Zentrum rückt, geht es bei Art. 30 Abs. 1 BV um die Unabhängigkeit des Gerichts im umfassenden Sinn. Entsprechend fordert Art. 30 Abs. 1 BV von der schweizerischen Justiz mehr als „nur“ eine unabhängige Rechtspre-chung. So wird insbesondere ein unparteiischer Richter bzw. ein von äusse-ren wie inneren Einflüssen unabhängiger Richter verlangt.269 Damit ist un-zweifelhaft eine umfassendere Unabhängigkeit gemeint, als nur jene, die sich auf die rechtsprechende Tätigkeit bezieht. Auch wenn die Rechtspre-chung unbestritten die wichtigste und umfangreichste Tätigkeit des Gerichts darstellt, so braucht es auch eine allgemeine organisatorische und institutio-nelle Sicherung. Die BV verlangt demnach zwei Arten der Unabhängigkeit: Einmal und als Voraussetzung die institutionelle und organisatorische Ver-selbständigung der dritten Gewalt und ihre Unabhängigkeit in der rechtspre-

266 KIENER, Unabhängigkeit, S. 322; gl. M. SCHEFER, Kerngehalte, S. 545; vgl. aber

BGE 117 Ia 322 E. 1c, BGE 105 Ia 172 e 5b. 267 SCHEFER, Kerngehalte, S. 546 m.H.; BGE 115 Ia 8 E. 2a; BGE 111 Ia 164 E. 2a. 268 SCHEFER, Kerngehalte, S. 546 weist darauf hin, dass dasselbe gelte, wenn ein Mi-

nimalstandard verletzt wurde und in materieller Hinsicht eine schwere Grund-rechtsbeeinträchtigung in Frage stehe.

269 Vgl. soeben, S. 55 ff.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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chenden Tätigkeit durch Art. 191c BV und andererseits auch das verfahrens-rechtliche Pendant: der durchsetzbare, grundrechtliche und klagbare An-spruch auf die Beurteilung durch ein unabhängiges Gericht in Art. 30 BV.

Die durch Art. 30 BV verlangte Unabhängigkeit setzt die Unabhängigkeit aus Art. 191c BV voraus: Sind die Anforderungen der selbständigen Organi-sation nicht gegeben, so ist auch der Anspruch aus Art. 30 BV unmöglich durchsetzbar. Die beiden Garantien ergänzen sich demnach gegenseitig.270 Damit lässt sich feststellen, dass zwar in beiden Verfassungsartikeln die Unabhängigkeit gesichert wird. Hingegen geht es in Art. 191c BV „nur“ um die Rechtsprechung, wogegen Art. 30 BV von einer umfassenden und um-hüllenden Unabhängigkeit des Gerichts ausgeht.

Fazit K.

Richterliche Unabhängigkeit dient der unabhängigen Rechtsprechung. Diese gehört zu den unverzichtbaren Garantien auf ein faires Verfahren und zu den Grundsätzen in einem gewaltenteiligen Staat wie der Schweiz. Die Unab-hängigkeit stellt einen unverzichtbaren Pfeiler des Rechtsstaates dar.

Wie gesehen beinhaltet die Garantie der Unabhängigkeit verschiedene Teil-gehalte; es handelt sich dabei um ein mehr- und vielschichtiges Prinzip.

Die in den vergangenen Jahren neu geschaffenen europäischen Empfehlun-gen und Einschätzungen der Unabhängigkeit der Justiz stellen neue Grund-lagen dar, welche der europäischen – und mittel- bis längerfristig auch der schweizerischen – Justiz den Weg weisen: Man spricht sich ganz klar für eine effiziente und qualitativ hochstehende Justiz aus, wobei Effizienz nicht länger ein Tabu für die Justiz darstellt. Im Gegenteil wird die Qualität in Zukunft auch über die Effizienz zu definieren sein.

270 Vgl. KIENER, Unabhängigkeit, S. 25; AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu

Art. 191c BV, Rz. 3.

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Die Justizverwaltung

65

V. Die Justizverwaltung

Historischer Überblick A.

1. Die Justizverwaltung vor der Revision der Bundesrechtspflege

a) Die alte Bundesverfassung (aBV)

Die aBV von 1874 bestimmte in Art. 109, dass das Bundesgericht seine „Kanzlei“ bestelle. Dieser Begriff war in einem umfassenden Sinne zu ver-stehen und schloss neben der eigentlichen Kanzlei sämtliche Dienste, die Gerichtsschreiber und das übrige Personal mit ein. Die neue Bundesverfas-sung vom 18. Dezember 1998 ersetzte nun in Art. 188 Abs. 3 BV den als veraltet erachteten Begriff „Kanzlei“ durch „Verwaltung“.271

Noch in den Erläuterungen zum Verfassungsentwurf von 1995 wurde fest-gehalten, es gäbe keine Gründe, dem Bundesgericht weitergehende Selbst-verwaltungskompetenzen zuzugestehen.272 Erst die 1999 abgeschlossene Justizreform vermochte die notwendige Dynamik zu erzeugen, um das Bun-desgericht als vollkommen eigenständiges Verfassungsorgan zu veran-kern.273 Die Stärkung der Selbstverwaltung war ein explizites Anliegen des Verfassungsgebers, das erst mit der Umsetzung der Justizreform vom 8. Oktober 1999 im Jahr 2007 volle Gestalt angenommen hat.

b) Das Bundesrechtspflegegesetz (OG)

Für die Selbstverwaltung fehlte dem Bundesgericht aber weiterhin die Fi-nanzautonomie. Das OG enthielt keinen allgemeinen Grundsatz der Selbst-verwaltung, sondern beschränkte sich auf einige vereinzelte verwaltungs-mässige Bestimmungen, wobei es namentlich das Verhältnis des Bundesge-

271 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 1; KISS/KOLLER, SGK zu

Art. 188 BV, Rz. 10 f. 272 Erläuterungen VE 95, 270. 273 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 1.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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richts zur Bundesversammlung regelte. Gemäss Art. 7 OG bestimmte die Bundesversammlung mit dem Voranschlag die Zahl der Gerichtsschreiber, Sekretäre, persönlichen Mitarbeiter der Richter und der übrigen wissen-schaftlichen Mitarbeiter. Die Aufgaben des Personals wurden gemäss Art. 8 OG vom Bundesgericht durch Reglement festgelegt. Ferner regelte Art. 9 OG die Vereidigung der Gerichtsschreiber und in Art. 7 Abs. 2 deren Amts-dauer.274

2. Die Entstehung der heutigen Justizverwaltung

a) Allgemeines

Art. 188 BV bildete Teil des Bundesbeschlusses vom 8. Oktober 1999 über die Reform der Justiz. Die Reform trat zusammen mit dem BGG am 1. Janu-ar 2007 in Kraft. Im Rahmen der Revision der BV wurde auch die Stellung des Bundesgerichts neu umschrieben: Das Bundesgericht wurde auf eine Stufe mit Bundesversammlung und Bundesrat gestellt.275 Der neue Art. 188 Abs. 3 BV bestimmt, dass sich das Gericht selbst verwaltet, womit das BGG dem Bundesgericht einen höheren Selbstverwaltungsgrad als das alte Recht gewährt: So unterbreitet das Bundesgericht der Bundesversammlung einen eigenen Voranschlag, die Rechnung und den Geschäftsbericht. Auch die im Rahmen des Voranschlages zugesprochenen Mittel verwaltet das Gericht nun selbst.276

Auf Gesetzesstufe sah der Entwurf für das neue BGG neben dem Präsidium und dem Gesamtgericht ein Verwaltungsorgan vor, welches den Betrieb des Bundesgerichts gewährleisten und einen Teil der Aufgaben des Bundesge-richtspräsidenten übernehmen sollte. Dieses Kollegial-Organ wollte man „Gerichtsleitung“ nennen.277 Es wurde dann bei der Beratung von den Eid-

274 Vgl. dazu TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 1. 275 Vgl. FISCHBACHER, S. 34. 276 Vgl. Botschaft Totalrevision, 4247. 277 Vgl. Botschaft Totalrevision, 4247.

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Die Justizverwaltung

67

genössischen Räten in „Verwaltungskommission“ umbenannt. Die Aufgaben und die Zusammensetzung blieben sich aber gleich.278

b) Vorschläge der Arbeitsgruppe Bundesgericht

Nachdem das Bundesgericht mit Schreiben vom 5. Januar 2004 an den Prä-sidenten der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates und an den Vorsteher des EJPD gelangt war und sich dabei gegen das neue Bundesge-richtsgesetz in der Fassung des Ständerates vom 23. September 2003 ausge-sprochen hatte279, führte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) Hearings mit den Präsidenten des Bundesgericht und des damals noch eigenständigen EVG durch. Die RK-N erteilte daraufhin dem EJPD den Auftrag, zusammen mit den Gerichten nach Lösungen zu suchen, wel-che den Bedenken Rechnung tragen. Zur Umsetzung dieses Auftrags des EJPDs wurde eine „Arbeitsgruppe Bundesgerichtsgesetz“ eingesetzt.280 Ne-ben verschiedenen Vorschlägen in den Bereichen Rechtsmittel, vereinfachte Verfahren, Streitwertgrenzen und öffentliche Beratungen widmete sich die Arbeitsgruppe auch der generellen Organisation des Bundesgerichts und der Aufsicht über die erstinstanzlichen Bundesgerichte. Bei der Organisation hielt die Arbeitsgruppe fest, dass eine effiziente Gerichtsverwaltung wie auch die klare Trennung von Rechtsprechungs- und Management-Aufgaben durch die Teilintegration des EVG ins Bundesgericht noch zusätzlich an

278 Vgl. hinten, S. 146 ff. 279 Das Bundesgericht monierte in seinem Schreiben, dass die Anpassungen des Stän-

derates im Widerspruch zu den Zielen der Totalrevision der Bundesrechtspflege stünden. Das neue Gesetz möge in der Fassung des Ständerats die angestrebte Ent-lastung des Gerichts nicht zu realisieren. Es machte klar, dass es die Vorlage des Gesetzes in der Form des Ständerates ablehnte und eine Integration des bisherigen Rechtsmittelsystems in das neue Gesetz verlangte.

280 Die Arbeitsgruppe setzte sich aus verschiedenen Personen aus dem EJPD und dem Bundesamt für Justiz, den Präsidenten von Bundesgericht und EVG, weiteren Bun-desrichtern sowie einem Professor zusammen. Vgl. für die genaue Zusammenset-zung den „Bericht zu den Normvorschlägen der Arbeitsgruppe Bundesgerichtsge-setz vom 16. März 2004“, S. 1 (siehe nächste Fussnote für Fundstelle im Internet).

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Bedeutung gewinnen würde. Die Arbeitsgruppe änderte im Vergleich zum Vorschlag des Ständerates das Folgende281:

- Das Präsidium des Bundesgerichts sollte von Gesetzes wegen Mit-glied der Verwaltungskommission sein.

- Dem Gesamtgericht sollte keine Zuständigkeit bei Beschlüssen über die Organisation und Verwaltung von erheblicher Tragweite zukom-men, jedoch sollte es ein Vorschlagsrecht bei der Wahl des Gerichts-präsidiums bekommen.

- Die bereits existierende Präsidentenkonferenz sollte auf gesetzlicher Stufe verankert werden (statt nur im Bundesgerichtsreglement) und Aufgaben mit Bezug zur Rechtsprechung wahrnehmen.

- Die Abteilungen sollten durch das Gesamtgericht auf Vorschlag der Verwaltungskommission bestellt werden und für die Rechtsprechung zuständig sein. Sie sollten nur vereinzelt mit Verwaltungsaufgaben be-lastet werden.

- Das Geschäftsleitungsorgan sollte wie unter bisherigem Recht „Ver-waltungskommission“ und nicht Geschäfts- oder Gerichtsleitung heis-sen. Ausserdem sollte die Verwaltungskommission ein kleines Gremi-um von drei Personen sein, um die Entscheidungsabläufe zu beschleu-nigen und die Führung des Gerichts zu erleichtern.

- Das Generalsekretariat sorgt für die Umsetzung der Verwaltungsbe-schlüsse und soll im Gesamtgericht, der Präsidentenkonferenz sowie in der Verwaltungskommission mit beratender Stimme wirken.

Bezüglich der Aufsicht über die unterinstanzlichen Bundesgerichte hat die Arbeitsgruppe Bundesgericht eine fundamentale Änderung vorgeschlagen: Sie regte an, dass das Bundesgericht die Aufsicht über die unterinstanzlichen

281 Vgl. den Bericht zu den Normvorschlägen der Arbeitsgruppe Bundesgerichtsgesetz

vom 16. März 2004, abrufbar unter http://www.bj.admin.ch/content/bj/de/home/the men/Staat_und_buerger/gesetzgebung/abgeschlossene_projekte0/bundesrechtspfleg e.html, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

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Die Justizverwaltung

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Bundesgerichte ausüben und nicht nur eine Oberaufsicht durch die Bundes-versammlung bestehen sollte. Dies wurde schliesslich so umgesetzt.282

Begriff B.

1. Allgemeine Umschreibung

Ganz allgemein gesagt geht es bei den Begriffen Justizverwaltung, Gerichts-verwaltung bzw. Gerichtsmanagement um die Verwaltung der Justiz. Damit ist noch nichts darüber gesagt, durch wen und wie diese Tätigkeit umgesetzt wird.283

2. Funktionale Justizverwaltung

Justizverwaltung ist „justizbezogenes Verwaltungshandeln“ bzw. „jene ver-waltende Tätigkeit, welche die sachlichen und persönlichen Voraussetzun-gen für die Wahrnehmung der Rechtsprechung schafft und erhält“.284 Es handelt sich um „jene staatlich-behördliche Tätigkeit, die weder Rechtset-zung noch Rechtspflege darstellt und zum Zwecke ausgeübt wird, die sachli-chen und personellen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Rechtspre-chung, als Rechtspflege durch den unabhängigen Richter verstanden, in den einzelnen Gerichtsbarkeiten ausgeübt werden kann“.285 Es geht also zunächst um jene verwaltende Tätigkeit, die die Voraussetzungen dafür schafft, dass die Justiz Rechtspflege betreiben kann.286 Als erstes ist festzuhalten, dass die

282 Vgl. hinten, S. 177 ff. 283 WIPFLI, S. 122. 284 KIENER, Unabhängigkeit, S. 292; vgl. auch BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 188

BV, Rz. 15. 285 EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 32; vgl. auch URSPRUNG/RIEDI HUNOLD,

BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 3. 286 Vgl. zum „widerspenstigen Begriff des Verwaltens“ EICHENBERGER, Justizverwal-

tung, S. 33.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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Justizverwaltung das Verwalten für die Justiz darstellt. Der Begriff (Justiz-) Management meint dasselbe wie Justizverwaltung.287

Der Begriff der funktionalen Justizverwaltung umfasst alle hierzu erforderli-chen Aufgaben und Vorkehren, unabhängig davon, welches Organ sie vor-nimmt. So kann die Justizverwaltung durch Organe der Justiz selbst erfol-gen, sie kann aber auch durch die übrige Verwaltung für die Justiz erbracht werden.288 Zur funktionalen Justizverwaltung gehören somit etwa auch die Wahl der Richter durch das Volk oder das Parlament oder auch die parla-mentarische Oberaufsicht über die Justiz.289 Das Justizmanagement soll dazu dienen, „dass die Justiz im Rahmen ihrer Selbstverwaltung die vorhandenen Ressourcen sinnvoll plant und wirtschaftlich einsetzt. Die Qualität der Rechtsprechung darf darunter nicht leiden. Justizmanagement soll demnach ermöglichen, dass die Gerichte ihre Aufgaben tatsächlich erfüllen können. Wichtige Prozesse oder Rechtsfragen sollen bzw. müssen auch behandelt und geklärt werden, wenn sie aufwendig und zeitraubend sind.“290

3. Justizverwaltung durch die Justiz

Gemäss EICHENBERGER ist „Justizverwaltung […] den Gerichten zustehen-des Verwalten“.291 Bereits im Wortlaut des Begriffs klingt in dieser Definiti-on demnach an, welches staatliche Organ mit der Verwaltung betraut ist.292 Es wird in diesem Zusammenhang auch vom Verwaltungsvorbehalt der Jus-tiz gesprochen.293 KISS/KOLLER verweisen in ihrer Definition auf diejenige von KURT EICHENBERGER und betonen zusätzlich die organisatorische

287 KIENER, Unabhängigkeit, S. 292; LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 25; WILD-

HABER, Justizmanagement, Rz. 1. 288 WIPFLI, S. 122; LIENHARD, Bern, S. 309; TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu

Art. 25, Rz. 2; KIENER, Unabhängigkeit, S. 292. 289 KISS, S. 85. 290 WIPFLI, S. 131; vgl. auch PAYCHÈRE, Rz. 37. 291 EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 35. 292 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 27. 293 EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 39; URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kom-

mentar zu Art. 13, Rz. 3.

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Die Justizverwaltung

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Komponente: Justizverwaltung ist nicht nur Verwaltung im Dienst der Jus-tiz, sondern auch Verwaltung durch die Gerichte selbst. KISS/KOLLER nen-nen die Justizverwaltung, welche durch die Gerichte ausgeübt wird, aus die-sem Grund Selbstverwaltung.294 KIENER verwendet den Begriff der Justiz-verwaltung wie EICHENBERGER in einem weiten Sinn. Bezüglich der Ver-waltungstätigkeit durch die Justiz selbst spricht sie von „selbständiger oder autonomer Justizverwaltung“.295 WIPFLI verwendet den Begriff der „justizi-ellen Selbstverwaltung“ und meint damit dasselbe.296

4. Justizverwaltung durch justizinterne Organe

Wie die Definition zur funktionalen Justizverwaltung von EICHENBERGER antönt, umfasst die Justizverwaltung auch die Schaffung der entsprechenden gerichtsinternen Verwaltungs-Organe, welche sich um die eigentliche Jus-tizverwaltungstätigkeit kümmern.

5. Fazit

Justizverwaltung, Gerichtsverwaltung oder Justizmanagement ist die Ver-waltung im Dienste der Justiz.297 Der Begriff beinhaltet zwei Komponenten: Die erste, die funktionale Justizverwaltung, beinhaltet die Verwaltung für die Justiz, unabhängig vom wahrnehmenden Organ. Die zweite Komponente enthält die Selbstverwaltung der Justiz, d.h. die Verwaltung der Justiz durch eigene Justizverwaltungs-Organe innerhalb der dritten Gewalt. In dieser Dissertation wird in der Folge der Begriff der Justizverwaltung oder Selbst-verwaltung im Sinne der Kombination der beiden Komponenten verwendet. Wird von Justizverwaltung gesprochen, ist stets die Verwaltung für die Jus-tiz und durch diese selbst gemeint. Der Bereich der Verwaltung für die Justiz

294 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 27 f. 295 KIENER, Unabhängigkeit, S. 292. 296 WIPFLI, S. 122. 297 KISS, S. 85; KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 26.

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Teil 1: Die Justiz in der Schweiz

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durch die anderen Staatsorgane ist nicht bzw. nur ganz am Rande Thema dieser Arbeit.

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung C.

1. Allgemeines

Im Folgenden wird kurz auf die rechtlichen Grundlagen der Justizverwaltung im Bund eingegangen, während auf der Stufe der Kantone die sehr unter-schiedlichen Entwicklungen bezüglich der Justizverwaltung auffallen: Wäh-rend die einen Kantone in den letzten Jahren eine eigentliche Justizreform durchgeführt haben, sind bei anderen die Grundlagen zur Justizverwaltung oftmals rudimentär bis nicht existent.298 Auf deren Entwicklungen und die entsprechenden rechtlichen Grundlagen wird ausführlich hinten im vierten Teil der Dissertation eingegangen.299

2. Bundesverfassung

Auf Bundesebene stellt Art. 188 Abs. 3 BV die eigentliche Grundlage der Justizverwaltung am Bundesgericht dar. Art. 188 Abs. 3 BV lautet: „Das Gericht verwaltet sich selbst.“ Der Artikel stärkt die Unabhängigkeit des Bundesgerichts von der Exekutive und dient damit letztlich den Rechts-schutzinteressen der Bürger.300 Dieses Recht zur Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Bestandteil der institutionellen Unabhängigkeit der Gerichte.301 Es ist daher nicht nur eine Berechtigung, sondern enthält ebenso eine Ver-pflichtung für eine funktionierende Justizverwaltung.302 Für das BVGer und

298 Vgl. beispielsweise Art. 73 Abs. 3 KV ZH, § 65 KV LU, Art. 91bis KV SO, § 112

Abs. 2 KV BS; ausführlicher Art. 114 KV GL. St.Gallen, Bern und Fribourg ken-nen in ihrer KV keine Bestimmung zur Justizverwaltung.

299 Vgl. Teil 4, S. 193 ff. 300 AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 188 BV, Rz. 14. 301 KLOPFER, Rz. 3 und Rz. 4; vgl. dazu S. 50 f. 302 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 28.

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Die Justizverwaltung

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das BStGer enthält die Bundesverfassung keine explizite Bestimmung zur Selbstverwaltung.

3. Bundesgesetze

Art. 13 BGG besagt ausdrücklich, dass das Bundesgericht seine Organisation und Verwaltung regelt. Dieser Artikel entspricht Art. 188 Abs. 3 BV. Ge-mäss Art. 25 Abs. 1 verwaltet sich das Bundesgericht selbst; nach Art. 25 Abs. 2 und 3 BGG umfasst die Autonomie explizit Dienste, Personal und Rechnung. Bei der Ausübung der Justizverwaltung hat das Bundesgericht die gesetzlichen Vorgaben und die von der Bundesversammlung aufgestell-ten finanziellen Rahmenbedingungen zu beachten.303 Daneben bleibt das Gericht auch der Oberaufsicht der Bundesversammlung unterstellt. Es ist ihr für die korrekte Wahrnehmung seiner Selbstverwaltungskompetenzen ver-antwortlich.304

Auch die entsprechenden Gesetze für die erstinstanzlichen Bundesgerichte enthalten Regelungen zur Justizverwaltung.305

Bereiche der Justizverwaltung D.

1. Allgemeines

Zur Justizverwaltung gehören gemäss KIENER die Geschäfts- und Arbeits-verteilung, ein eigenes Budget sowie eine gewisse Autonomie im Personal-wesen.306 Im Wesentlichen umfasst die Justizverwaltung demnach die Ge-schäfts- und Haushaltführung der Gerichte.307 Daneben ist die Frage nach der

303 Vgl. SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Art. 25, Rz. 2. 304 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2914 f. 305 Vgl. insbesondere Art. 27 VGG, welcher den Grundsatz der Selbstverwaltung des

Bundesverwaltungsgerichts festhält, vgl. dazu ausführlich hinten, Teil 3, S. 159 ff. 306 KIENER, Unabhängigkeit, S. 293. 307 Vgl. LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 25.

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personellen Ausgestaltung und ganz allgemein die Justizorganisation Teil der Justizverwaltung.308

Die meisten Begriffsumschreibungen der Justizverwaltung knüpfen jedoch an die einzelnen Aufgaben an, welche die Justizverwaltung umfasst. Dabei werden etwa genannt: Geschäfts- und Arbeitsverteilung, Budgetkompetenz, Wahl der Richter, Bestellung des Gerichtspersonals, Aufsicht über die unte-ren Gerichte, Organisation der Kanzleidienste, Beschaffung der Infrastruk-tur, etc.309 Eine solch unstrukturierte Aufzählung ist indessen nicht hilfreich für eine weitergehende Untersuchung der Justizverwaltung. Im Folgenden wird deshalb angelehnt an KIENER

310 und RHINOW/KOLLER/KISS/THURN-HERR/BRÜHL-MOSER

311 eine Gliederung in die drei Bereiche Organisations-

autonomie, Finanzautonomie sowie Personalangelegenheiten vorgenommen. SÄGESSER unterscheidet nur zwischen zwei Bereichen: Der Organisationsau-tonomie, welche auch das Personal umfasst sowie der Finanzautonomie.312

2. Organisationsautonomie

Die Justiz verfügt unter dem Vorbehalt der Einhaltung der entsprechenden Gesetze aufgrund ihres Selbstverwaltungsrechts über Rechtsetzungs- und Organisationsautonomie. Damit steht der Justiz in Bund und Kantonen die Befugnis zu, für ihre Justizverwaltung sowie die entsprechende Organisation mittels Reglementen die notwendigen rechtlichen Grundlagen zu schaffen.313 Zum Bereich der Organisationsautonomie werden die eigentlichen Organi-sationsstrukturen, die Geschäftslastbewirtschaftung und Arbeitsverteilung sowie die Organisation der Rechtsprechung gezählt.

308 EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 32; SEILER, BGG zu Art. 25, Rz. 2. 309 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 26; KISS, S. 84, m.w.H. 310 KIENER, Unabhängigkeit, S. 293. 311 RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1785 f. 312 SÄGESSER, Bundesbehörden, Art. 188 BV, Rz. 1075. 313 Vgl. RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1453.

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a) Organisationsstrukturen

Justizverwaltung bedeutet zunächst die Regelung der internen Organisation. Falls die gesetzlichen Grundlagen die Strukur des einzelnen Gerichts nicht vorgeben, muss zunächst eine angemessene Gerichtsorganisation geschaffen werden: Es müssen Kammern oder Abteilungen gebildet und die entspre-chenden Rechtsgebiete auf sie verteilt werden. Man könnte von einer Selbst-Konstitution des jeweiligen Gerichts sprechen. Es ist jedoch zu bemerken, dass die Anzahl der Richter gerade nicht durch die Organisationsautonomie abgedeckt ist: Dieser fundamentale Faktor wird von der Wahlbehörde, meist der Exekutive, bestimmt.

b) Geschäftslastbewirtschaftung und Arbeitsverteilung auf Richter und

Gerichtsschreibende

Steht die interne Organisation des einzelnen Gerichts fest, so gilt es als nächstes, die Organisation der Abläufe innerhalb der einzelnen Abteilungen zu strukturieren. Es ist zu bestimmen, wie die Geschäfte auf die Abteilungen und innerhalb dieser verteilt werden sollen und welcher Richter welche Fälle zu beurteilen hat.314 Dabei sind die Belastungssituation und sonstige Fakto-ren wie Sprache, Abwesenheiten, Vorlieben, konnexe Fälle, etc. zu beachten. Ebenso sind der Einsatz und die Aufgaben der Gerichtsschreiber und der Kanzlei zu regeln.

c) Organisation der Rechtsprechung

Die Justizverwaltung umfasst die Organisation der Rechtsprechung, soweit sie nicht im Gesetz geregelt ist.315

314 KISS, S. 83 ff., insb. S. 93. 315 Botschaft neue BV, 527; TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 6.

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3. Finanzautonomie

Die Finanzautonomie ist ein zentrales Element der Justizverwaltung. Den Gerichten steht im Rahmen der vom Parlament bewilligten Mittel Eigen-ständigkeit zu: Sie verfügen selbständig über deren Einsatz.316 Die Gerichte führen eine eigene Rechnung und sie erstellen einen Voranschlag für die Ausgaben und Einnahmen des nächsten Jahres. Die oberen Instanzen vertre-ten ausserdem die Rechnung und das Budget der Justiz im Parlament.317

4. Personalautonomie

Ebenfalls selbständig verwaltend ist die Justiz in Personalangelegenheiten: Sie bestellt das Gerichtspersonal wie Gerichtsschreiber und Sekretariat. Im Rahmen des Budgets bestimmt die Justiz auch deren Zahl.318

Grundsätze der Justizverwaltung E.

1. Grundsätze der BV

a) Art. 126 Abs. 1 BV (Effizienzgebot)

Art. 126 Abs. 1 BV schreibt vor, dass die öffentlichen Mittel sparsam zu verwenden sind (Effizienzgebot). Dieses Gebot gilt auch für die Gerichte. Der Effizienz kommt zentrale Bedeutung zu, da nur ein effizienter Mittelein-satz die Kontinuität von staatlichen Leistungen gewährleistet und die Erfül-lung der Staatsaufgaben garantiert.319 Dies macht deutlich, dass die staatli-chen und damit auch die gerichtlichen Leistungen unter dem Vorbehalt von

316 SÄGESSER, Bundesbehörden, Art. 188 BV, Rz. 1075; WIPFLI, S. 125; KISS/KOLLER,

SGK zu Art. 188 BV, Rz. 35. 317 RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1785 f.; SÄGESSER, Bun-

desbehörden, Art. 188 BV, Rz. 1075. Der Bundesrat hat kein Korrekturrecht an den Entwürfen des Bundesgerichts. Er hat diese unverändert in seinen Entwurf zu in-tegrieren (Art. 142 Abs. 2 ParlG).

318 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 36. 319 LIENHARD, Grundlagen, S. 140; PRECHT, S. 71.

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genügenden finanziellen Mitteln stehen. Der Staat kann seine Aufgaben nur dann in bester Weise erfüllen, wenn er seine ihm zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen effizient nutzt.320

b) Art. 170 BV (Wirksamkeitsgebot)

Art. 170 BV bestimmt, dass „die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirk-samkeit überprüft werden“. Es wird eine weitere Leitlinie vorgegeben, näm-lich, dass die öffentlichen Aufgaben wirksam zu erfüllen sind (sog. Wirk-samkeitsgebot). Das Justizmanagement soll bewirken, dass die Justiz ihre Aufgaben faktisch erfüllen kann bzw. es wird gefragt, ob eine getroffene Massnahme, z.B. ein Gesetz die beabsichtigte Wirkung erzielt.321 Die Wir-kungsziele sind u.a. die Gewährleistung des Rechtsschutzes, die Einheitlich-keit der Rechtsprechung und die Rechtsfortbildung.322

2. Gesetzliche Grundsätze

Die anerkannten Organisationsgrundsätze, wie sie Art. 3 und Art. 8 RVOG für andere Staatsorgane beschreiben, gelten auch für die richterlichen Be-hörden.323

a) Rechtmässigkeit/Gesetzmässigkeit

Gesetzmässigkeit meint nichts anderes als das Legalitätsprinzip.324 Das Legalitätsprinzip dient dazu, „à protéger l’administré contre tout comporte-

320 LIENHARD, Grundlagen, S. 140. 321 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2369. 322 Vgl. MORAND, § 71, Rz. 27 ff. 323 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 9. 324 SÄGESSER, RVOG, Art. 3, Rz. 8.

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ment arbitraire de l’Etat“.325 Das staatliche Handeln muss sich auf eine Rechtsgrundlage stützen.326

b) Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit

Das Handeln von staatlichen Organen soll zweckmässig, also „dem Zweck oder Ziel angepasst und angemessen“ sein.327 Die Zweckmässigkeit spricht also einen Teilgehalt der Verhältnismässigkeit, nämlich die Eignung einer Massnahme oder Handlung an.328 Ein weiterer Aspekt der Zweckmässigkeit ist die zweckmässige Organisation der Bundesbehörden.329

Neben der Zweckmässigkeit soll staatliches Handeln wirtschaftlich oder effizient sein. Die eingesetzten Mittel müssen im richtigen Verhältnis zum Ergebnis stehen.330 Ebenso muss gesichert werden, dass der Staat wirksam handelt und auch in Zukunft wirksam handeln kann.331

c) Sparsamkeit

Die Sparsamkeit spricht die Verwendung der Ressourcen an. Gemäss SÄ-GESSER sind die Verwaltungseinheiten verantwortlich für eine sorgfältige, wirtschaftliche und sparsame Verwendung der ihnen anvertrauten Ressour-cen.332

325 BGE 128 II E. 5a. 326 SÄGESSER, RVOG, Art. 3, Rz. 8. 327 SÄGESSER, RVOG, Art. 3, Rz. 32. 328 Vgl. Botschaft RVOG, BBl 1993 1062. 329 SÄGESSER, RVOG, Art. 3, Rz. 33; Art. 8 Abs. 1 RVOG. 330 SÄGESSER, Bundesbehörden, Art. 170 BV, Rz. 629 m.w.H. 331 Vgl. dazu den Zusatzbericht von 1997, BBl 1997 III 284. 332 SÄGESSER, RVOG, Art. 3, Rz. 36.

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3. Weitere Grundsätze?

Gemäss URSPRUNG/RIEDI HUNOLD ist neben den bereits genannten Grund-sätzen auch an die Leistungs- und Innovationsfähigkeit sowie an die Ge-währleistung der Aufsicht zu denken.333

Während die Leistungs- und Innovationsfähigkeit durchaus als weiterer Grundsatz der Justizverwaltung aufgefasst werden kann, erscheint der Hin-weis auf die Aufsicht als Fremdkörper in diesem System der Grundsätze: So beziehen sich die Aussagen von SÄGESSER im RVOG-Kommentar zu Art. 8 RVOG auf die Aufsicht des Bundesrates über die Verwaltung. Eine Übertra-gung auf die Justiz kann nicht ohne weiteres angenommen werden bzw. müsste vertieft geprüft werden. Auch der Hinweis von URSPRUNG/RIEDI

HUNOLD auf LIENHARD334 hilft nicht weiter: Dieser nennt als Grundsätze der

Oberaufsicht über die Gerichtsbarkeit Ordnungs- und Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit.

Träger und Organe der Justizverwaltung F.

1. Träger der Justizverwaltung

Nach Art. 188 Abs. 3 BV sind Träger der Justizverwaltung alle Gerichte. Dies scheint folgerichtig, da mit der richterlichen Unabhängigkeit auch der Aspekt der Eigenständigkeit der einzelnen Gerichte gewahrt wird.335

2. Organe der Justizverwaltung

Die Gesetze der entsprechenden Instanzen bezeichnen die Organe, welche für die Justizverwaltung zuständig sind. Wie bereits oben angesprochen,

333 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 9; vgl. auch SÄGES-

SER, RVOG, Art. 8, Rz. 34. 334 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 15 ff. 335 KISS, S. 100.

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verfügt die Justiz über Rechtsetzungs- und Organisationsautonomie.336 Dies äussert sich darin, dass nur die Grundzüge der Organisation im Gesetz fest-gehalten werden; den Rest kann die Justiz selbst, z.B. in Reglementen festle-gen.

Rechtfertigung der Justizverwaltung G.

Grundsätzlich gehört die verwaltende Tätigkeit zur Exekutive. Die Selbst-verwaltung durch die Justiz stellt deshalb eine Durchbrechung des funktio-nellen Gewaltenteilungsprinzips dar.337 Aus diesem Grund ist der Grundsatz der Justizverwaltung auch in der BV statuiert.338 Die Justizverwaltung bein-haltet das Recht der Justiz, sich selbst zu organisieren und zu verwalten und umfasst alles, was zur Wahrung der Unabhängigkeit der dritten Gewalt nötig erscheint. Hinzu kommen jene Funktionen, „welche aus zweckmässigen Überlegungen am besten […] selbst erledigt werden“.339 Nach KIENER ist ein Verwaltungsvorbehalt der Justiz bezüglich jener Geschäfte anzunehmen, welche direkt oder indirekt die Möglichkeit bieten, auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen.340 Die Rechtfertigung der Justizverwaltung liegt im Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, da bei einer Wahrnehmung der Verwaltung durch die Exekutive eine Abhängigkeit der Justiz von der Regie-rung erwachsen könnte, welche die richterliche Unabhängigkeit tangieren könnte. Eine solche Abhängigkeit wird deshalb durch den Grundsatz der Selbstverwaltung vermieden. KLOPFER spricht davon, dass eine optimale Garantie für die organisatorische Unabhängigkeit der Gerichte nur ihre

336 Vgl. soeben, S. 74 f. 337 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 30; TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu

Art. 25, Rz. 3; BAUHOFER, S. 282; vgl. auch S. 19 ff. 338 Vgl. KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 31. Dies gilt ebenso für die Kantons-

verfassungen. 339 EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 42; URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kom-

mentar zu Art. 13, Rz. 5. Diese Aussage lässt sich jedoch für jedes Gericht treffen, sie beschränkt sich nicht nur auf das Bundesgericht.

340 KIENER, Unabhängigkeit, S. 293; EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 39 ff.; vgl. dazu auch S. 65 ff.

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Selbstverwaltung biete.341 Die richterliche Unabhängigkeit, insbesondere deren institutionelle Unabhängigkeit, ist somit Rechtfertigung und zugleich Grenze der Justizverwaltung.342 Oder anders gesagt ist das Mass der den Ge-richten zugebilligten Selbstverwaltung der Gradmesser ihrer Unabhängig-keit.343

New Public Management in der Justizverwaltung H.

1. Allgemeines

Die Justizverwaltung ist auf Bundesebene, wie dargestellt, eine junge Institu-tion. Selbst unter der Herrschaft des OG war die Justizverwaltung noch nicht in dieser Weise ausgebaut wie heute. Durch die Justizreform wurde die Stel-lung des Bundesgerichts als selbständiges Verfassungsorgan vollständig verankert und explizit eine Stärkung der Justizverwaltung des Bundesge-richts angestrebt, um damit auch die richterliche Unabhängigkeit positiv zu beeinflussen.344 Die Situation in den Kantonen hingegen präsentiert sich sehr verschieden, da sich die einen stärker mit dem Thema der Justizverwaltung befassen als andere.345 In den letzten Jahrzehnten hat in vielen Kantonen eine eigentliche Reformwelle bezüglich der Justizverwaltung eingesetzt. Durch die Änderung der äusseren Rahmenbedingungen und durch die Anwendung des New Public Managements auf die staatlichen Verwaltungen beschäftig-ten sich die Kantone teils eingehend mit Effizienzüberlegungen, und dies auch in Bezug auf die Justiz. Es ist heute in Bund und Kantonen eine Ten-denz hin zur Wirtschaftlichkeit der Justiz spürbar.346 Sie äussert sich im Be-streben, dem gestiegenen Effizienz- und Kostendruck durch die Anwendung von verschiedenen Justizverwaltungsinstrumenten zu begegnen. Diese In-

341 KLOPFER, Rz. 4. 342 EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 39; KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV,

Rz. 32. 343 BAUHOFER, S. 282. 344 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 1; vgl. auch hinten, S. 13 ff. 345 Vgl. Teil 4 der Dissertation, S. 193 ff. 346 Vgl. dazu den Bericht Modernes Management, 7641 ff.

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strumente sollen eine bessere Übersicht über die Aufgaben der Justiz und die finanziellen Ressourcen und deren Einsatz erlauben.

2. Begriff und Definition von NPM

„NPM (New Public Management) oder WOV (Wirkungsorientierte Verwal-tungsführung) ist ein Steuerungsmodell für Politik und Verwaltung, das sein Hauptaugenmerk auf die Wirkungen des staatlichen Handelns legt.“347 NPM ist aber kein allgemein anerkanntes, konsistentes Konzept der Verwaltungs-organisation und Verwaltungsführung. Vielmehr wird der Begriff als Sam-melbecken für die unterschiedlichsten Forderungen nach Staatsreformen verwendet.348

Im Grundsatz soll NPM die Verwaltung stärker nach privatwirtschaftlichen Managementtechniken, unternehmerischen Erfolgsprinzipien und marktwirt-schaftlichen Steuerungsmechanismen ausrichten; nicht mehr die formale Rechtmässigkeit, sondern die umfassende Leistungs- und Wirkungsorientie-rung sollen im Vordergrund stehen.349 NPM ist ein Oberbegriff, der alle Strömungen, die von betriebs- und verwaltungswissenschaftlichen Überle-gungen ausgehend eine Rekonstruktion der Verwaltung beinhalten, verei-nigt.350 In Deutschland heisst NPM beispielsweise Neues Steuerungsmodell, in den USA Reinventing Government, in Skandinavien Free Commune Prin-ciple.351

Ein Kernsatz des NPM lautet: Die Politik entscheidet über das WAS, die Verwaltung über das WIE des staatlichen Handelns.352 Die Politik ist ver-antwortlich für den Auftrag, die Verwaltung für dessen effiziente Erfüllung;

347 SCHEDLER, S. 23. 348 MAIER, S. 75. 349 MEYER, S. 1. 350 Vgl. dazu auch LIENHARD, Rahmen, S. 97 f. 351 MEYER, S. 7. 352 MASTRONARDI, Gewaltenteilung, S. 450.

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das Parlament delegiert alle operativen Entscheide an die Verwaltung.353 NPM delegiert demnach die Verantwortung „an die Front“ und will durch Ziele und Wirkungen führen, statt über Mittel.354

3. Ziele des NPM

Gemäss MAIER besteht der Kern des NPM in einer grundlegenden Umkehr des heutigen inputorientierten Ansatzes zu einer output-orientierten Verwal-tungsführung. Diese soll den Verwaltungsmitarbeitenden unternehmerische Freiheiten und Handlungsspielräume gewähren. Die Verwaltung ist also nicht länger durch ihre enge Bindung an das Gesetz, sondern durch eine „umfassende Leistungs- und Wirkungsorientierung“ legitimiert, denn mass-gebend soll die Erzielung eines möglichst hohen quantitativen und qualitati-ven Funktionsnutzens für die Nutzniesser sein.355

Gemäss KETTIGER sollen mittels NPM u.a. folgende Ziele erreicht wer-den356:

- Verbesserung der politischen Steuerung durch Stärkung der Füh-rungskompetenz,

- Erhöhung der Kundschaftszufriedenheit durch Umwandlung der Ver-waltung in ein leistungsorientiertes Dienstleistungsunternehmen,

- Förderung der Aufgaben, Ressourcen- und Ergebnisverantwortung, - Effizienz- und Effektivitätssteigerung der Verwaltung, - Steigerung der Transparenz des Verwaltungshandelns.

4. Finalsteuerung und weitere Steuerungsinstrumente

Alle NPM-Instrumente beruhen im Wesentlichen auf dem Gedanken der Umsetzung von modernen privatrechtlichen Management-Instrumenten und

353 Vgl. dazu MASTRONARDI, Verwaltungskontrolle, S. 450. 354 MASTRONARDI/SCHEDLER, S. 48. 355 MAIER, S. 87. 356 KETTIGER, WOV, S. 17.; ausführlicher KETTIGER, Forderungen, S. 5; vgl. auch

MAIER, S. 87 f.

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marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen in der Verwaltungsfüh-rung.357 In Bezug auf die Justiz gilt die finale Rechtsetzung als Wesens-merkmal von NPM.358 Gemeint ist damit einerseits eine schlanke Gesetzge-bung mit offenen Normen, andererseits wird darunter aber auch eine Gesetz-gebung verstanden, die sich durch klare und messbare Zielvorgaben aus-zeichnet.

Es gibt verschiedene Steuerungsinstrumente im NPM. Zu den wichtigsten gehören Leistungsaufträge, Wirkungsvorgaben, Globalbudgets und die fina-len Rechtsnormen.359 LIENHARD hat für eine Optimierung des Justizmana-gements Elemente eines „guten Justizmanagements“ definiert. Dazu gehören vor allem Führungsstrukturen, Führungsunterstützung, ein Steuerungs-instrumentarium, ein Controlling sowie eine Qualitätssicherung.360

a) Leistungsvereinbarung

Ein wichtiges Mittel für die gerichtliche Führung sind die Leistungsverein-barungen. Darin werden die von den Einheiten innert einer gewissen Frist zu erbringenden Leistungen mittels Leistungsindikatoren und Standards (Soll-werten) je Produkt umschrieben und es werden die dafür notwendigen finan-ziellen Mittel zugeteilt. Auch enthalten die Leistungsvereinbarungen ein Globalbudget und es werden weitere Vorgaben konkretisiert (z.B. Berichter-stattungspflicht). Leistungsvereinbarungen werden normalerweise mit der Aufsichtsbehörde abgeschlossen, weshalb es sich dabei nicht um Verträge im Rechtssinne handelt, sondern um weisungsähnliche, im Sinne eines ko-operativen Führungsstils partnerschaftlich erarbeitete interne Abmachungen.

357 MAIER, S. 87. 358 LIENHARD, NPM, S. 45. 359 HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 1266; KETTIGER, WOV, S. 18 f. 360 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 33; vgl. zur Wirkungsorientierten Verwaltungs-

führung allgemein LIENHARD, NPM, S. 35 ff.; KETTIGER, Erkenntnisse, S. 173 ff; KETTIGER, WOV, S. 9 ff.

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Soweit keine Einigung zustande kommt, entscheidet die zuständige Auf-sichtsbehörde.361

b) Produkte und Produktegruppen

Wesentliches Element des WOV ist die Produktedefinition. Dabei geht es um die Beschreibung der von der einzelnen Verwaltungseinheit zu erbrin-genden Leistung, wobei mehrere Produkte in Produktegruppen zusammen-gefasst werden.362 Die Umschreibung der Produkte/Produktgruppen erfolgt zweckmässigerweise durch die Regierung, welche diese Kompetenz auch an die Departemente delegieren kann.363 Eine generell-abstrakte Umschreibung erscheint dabei auf Verordnungsstufe geboten. Ebenso kann das Parlament die Produkte(-gruppen) bereits auf Gesetzesebene definieren.364 Die „Pro-duktedefinition“ erfolgt bei den Gerichten durch diese selbst, d.h. durch die obersten Gerichte.365 Die Gliederung der Produkte bzw. Produktegruppen ist stark von der Verfahrensgesetzgebung bestimmt. Als Produkt ist z.B. der „Endentscheid“ mit den folgenden Qualitätsindikatoren zu nennen: Fällung innert nützlicher Frist, rechtlich zutreffende, schlüssige und nachvollziehbare Begründung, fehlerfreie Ausfertigung.366

c) Indikatoren und Sollwerte

Für jedes Produkt bzw. jede Produktgruppe werden sodann Leistungsziele umschrieben und Messgrössen, sogenannte Indikatoren, bezeichnet. In den Leistungsvereinbarungen werden alsdann für einen bestimmten Zeitraum die zu erreichenden Sollwerte (Standards) und die dafür bereit stehenden finan-

361 LIENHARD, Grundlagen, S. 380 f. 362 LIENHARD, Grundlagen, S. 379. 363 MAIER, S. 104 f. 364 LIENHARD, Grundlagen, S. 380. 365 LIENHARD, Grundlagen, S. 466; MAIER, S. 148 ff. und S. 177 ff. 366 LIENHARD, Grundlagen, S. 466; MOSIMANN, Qualitätsmanagement, S. 485 f.

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ziellen und anderen Mittel festgelegt.367 Indikatoren in der Justiz sind z.B. ein effizientes und zielgerichtetes Verfahren, ein rechtmässiger und gerech-ter Entscheid, eine transparente und nachvollziehbare Begründung, ein faires Verfahren, ein rechtzeitiger und akzeptierter Entscheid.368

d) Globalbudget

Globalisierte Ressourcenvorgaben bilden ein weiteres Element des NPM. Die Verwaltungseinheiten sollen weitgehend frei darüber befinden, wie sie die zur Verfügung stehenden, finanziellen Mittel einsetzen wollen. Der Vor-anschlag ist daher nicht mehr nach Sachgruppen, d.h. nach Aufwand- und Ertragsarten zu gliedern, sondern nach Produktgruppen, Organisationsein-heiten oder Aufgabenfeldern.369

e) Zulässigkeit von Leistungsvereinbarungen

Leistungsvereinbarungen sind grundsätzlich zulässig, wenn die rechtsstaatli-chen Rahmenbedingungen eingehalten werden.370 Sie dienen der optimierten Steuerung der Justizverwaltung, ohne dass ihnen Aussenwirkung zukäme oder sie für die Rechtsprechung verbindlich wären.371 An einer solchen Leis-tungsvereinbarung sind einerseits das oberste Gericht (bzw. dessen Ge-schäftsleitung) und andererseits die unteren Gerichte beteiligt. Für das obers-te Gericht lässt sich eine Leistungsvereinbarung zwischen der Geschäftslei-tung und den Abteilungen bzw. Kammern vorstellen.372 Inhalt solcher Leis-tungsvereinbarungen bilden die Produkte bzw. Produktegruppen.

367 LIENHARD, Grundlagen, S. 379. 368 LIENHARD, Grundlagen, S. 466; MAIER, S. 158 f. Es ist aber zu bemerken, dass auf

die Akzeptanz nur beschränkt Einfluss genommen werden kann. 369 LIENHARD, Grundlagen, S. 43. 370 LIENHARD, Grundlagen, S. 465; RICHLI, S. 299 und S. 303. 371 LIENHARD, Grundlagen, S. 465 m.H. auf LIENHARD, Gerichte, S. 38 ff. 372 LIENHARD, Grundlagen, S. 466.

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Fazit I.

Die Justizverwaltung wird vorliegend definiert als Verwaltung im Dienste der Justiz und durch diese selbst.373 Sie besteht aus drei grossen Bereichen: Erstens aus der Organisationsautonomie, zweitens aus der Finanzautonomie und drittens aus der Personalautonomie.374 Unter den Begriff der Justizver-waltung fallen organisatorische, administrative und betriebliche Aufgaben. Die Organisationsautonomie erscheint der ergiebigste Bereich für eine ge-nauere Untersuchung. Dies liegt vor allem daran, dass die beiden anderen Bereiche auf Gerichtsebene oder gar instanzübergreifend angesiedelt sind (z.B. der Voranschlag), während bei der Organisationsautonomie die Details der eigentlichen Organisation sowie vor allem die Geschäftslastbewirtschaf-tung und die Aufgabenverteilung eine gerichtsinterne Aufgabe darstellen, deren Situation aufgrund der wenigen gesetzlichen Grundlagen nicht hinrei-chend klar ersichtlich wird. Eine genauere Untersuchung der Organisations-strukturen in Bund und Kantonen drängt sich demnach auf. Auch stellt sich die Frage einer innergerichtlichen Führung oder Leitung.375 Eine Untersu-chung, worauf sich eine solche Führung innerhalb der Gerichte beziehen könnte, wurde bis heute nicht erarbeitet, jedenfalls nicht umfassend struktu-riert und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen, insbesondere der richterlichen Unabhängigkeit. Diesen Fragen widmet sich diese Dissertation. Insbesondere soll geklärt werden, was der Begriff der „Organisation der Rechtsprechung“ umfasst, was eine Zuordnung zur Justiz-verwaltung bedeutet und welche Konsequenzen dies in Bezug auf eine ge-richtsinterne Leitung zeitigt.376

373 Vgl. vorne, S. 71. 374 Vgl. vorne, S. 73 ff. 375 Die beiden Begriffe werden in der Folge als Synonyme verwendet. 376 Vgl. Teil 5, insbesondere S. 272 ff.

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Teil 2 Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

I. Vorbemerkungen

In diesem Teil der Dissertation werden in einem kurzen Überblick die für das behandelte Thema relevanten verfassungsrechtlichen Grundsätze und Prinzipien dargestellt.

Teil zwei widmet sich in Kapitel II. den Strukturprinzipien. Insbesondere von Bedeutung sind im vorliegenden Zusammenhang Rechtsstaat, Wirt-schaftsstaat und Leistungsstaat.

Danach werden in Kapitel III. die Verfahrensgarantien genauer betrachtet.

Kapitel IV. beleuchtet sodann die verschiedenen Spannungsfelder und Richt-linien einer justiziellen Führung bevor Kapitel V. ein Fazit zieht und die Überführung zu den Teilen 3-6 vornimmt.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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II. Die Strukturprinzipien

Vorbemerkungen A.

1. Begriff

In der Staatsrechtslehre ist oft die Rede von den sogenannten „Grundelemen-ten“, „tragenden Grundwerten“ oder „Strukturprinzipien“ der BV.377 Diese sollen bildlich gesprochen die „tragenden Säulen des Staates“ zum Ausdruck bringen bzw. die tragenden Grundsätze unserer Verfassungsordnung darstel-len.378 Unbestrittenerweise gehören zu diesen Strukturprinzipien Rechtsstaat, Demokratie und Bundesstaat.379 Gemäss MASTRONARDI gibt es jedoch insgesamt sogar sechs Strukturprinzipien: Die bereits genannten werden um die Prinzipien von Wirtschaftsstaat, Leistungsstaat sowie Nationalstaat er-gänzt.380 AUER/MALINVERNI/HOTTELIER gehen ebenfalls vom National-staatsprinzip, der Demokratie und dem Bundestaat aus und ergänzen diese mit dem Rechtsstaatsprinzip, dem Sozialstaatsprinzip sowie dem Wirt-schaftsstaatsprinzip. Zur Seite stellen sie indessen noch ein siebtes Prinzip: le principe de la coopération internationale.381

Auf den kommenden Seiten wird in der Folge auf die für die Thematik der Dissertation relevanten Strukturprinzipien von Rechtsstaat und Wirtschafts-staat näher eingegangen.

377 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 1; HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 168 ff. 378 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 11. 379 Vgl. MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 11. TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 1

spricht davon, dass „gewöhnlich“ von vier Prinzipien ausgegangen wird (zusätzlich zu den genannten kommt noch das Sozialstaatsprinzip); gl.M. HÄFELIN/HALLER/ KELLER, Rz. 168.

380 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 20 f.; vgl. dazu die Bemerkungen bei TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 4.

381 AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel, Rz. 1442 ff.; ähnlich RHI-NOW/SCHEFER, Rz. 32 ff.

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Die Strukturprinzipien

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2. Funktion der Strukturprinzipien

Strukturprinzipien sind keine Rechtsnormen. Es handelt sich um „Normi-deen, die im Sinngehalt positiver Verfassungssätze ein Stück weit sichtbar werden.“382 Die Verfassung enthält den Grundkonsens über gewisse Basis-werte. In der konkreten Ausgestaltung können sich diese Grundfragen zu eigentlichen Verfassungsprinzipien entwickeln.383

Der Rechtsstaat B.

1. Begriff und Funktion

Das Rechtsstaatsprinzip will „den Staat von Grund auf als Rechtsgemein-schaft konstitutieren, d.h. als Gemeinwesen, das seinen Regelungsbedarf in Strukturen und Verfahren befriedigt, mit denen politische Macht gebrochen und reflektiert, zur Rechenschaft gezwungen und in eine gemeinsam verant-wortete gerechte Ordnung eingebunden werden kann, welche zugleich die Personalität des Menschen respektiert.“384

Der Rechtsstaat sichert den gerechten gesellschaftlichen Frieden durch die Herrschaft des Rechts und soll dem Zweck dienen, die Menschenwürde so-wie die Freiheit des Einzelnen zu sichern.385 Auch die Bindung der staatli-chen Organe an das Recht (Legalitätsprinzip) gehört immanent zum Rechts-staatsprinzip.386 Neben der Rechtsbindung gehört zum Rechtsstaat auch die Begrenzung des Staates: Insofern sichert die Rechtsbindung die Freiheit der Bürger.387 Der materielle Rechtsstaat will Freiheit, Gleichheit und Sicherheit durch das Recht gewährleisten.388

382 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 3. 383 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 32 f. 384 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 27. 385 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 59; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 21. 386 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 444 ff.; MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 59. 387 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 22; vgl. auch RHINOW/SCHEFER, Rz. 36 f. 388 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 59; SCHMID/UHLMANN, Rechtsstaat, S. 224.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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2. Verfassungselemente des Rechtsstaates

In der Verfassung ist das Rechtsstaatsprinzip nirgendwo formuliert.389 Der Begriff des Rechtsstaates bleibt trotz der vorgenannten Definition ein relativ unbestimmbarer, da je nach Autor und Zeit die Elemente des Rechtsstaates anders interpretiert werden.

Es kann aber nach TSCHANNEN und HALLER/KÖLZ/GÄCHTER unterschieden werden nach formellen und materiellen Elementen.390 Aus den einzelnen Elementen der Rechtsstaatlichkeit lässt sich durchaus ein Nutzen ziehen: Bei den formellen Elementen sind das Legalitätsprinzip und die Gewaltenteilung sowie die Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes von Bedeu-tung.391 Gemäss TSCHANNEN gehört zu den materiellen Elementen auch der Grundsatz, wonach staatliches Handeln im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig bleiben muss.392

a) Formelle Elemente

i) Legalitätsprinzip

Das Legalitätsprinzip regelt staatliches Handeln gegenüber dem Bürger. Für den Staat handeln die Organe, d.h. die Behörden. Gebunden ans Legalitäts-prinzip sind die rechtsetzenden und die rechtsanwendenden Behörden.393 Gerichte und Richter sind zu allererst Verfassung und Gesetz verpflichtet. Der Rechtssatz ist für sie das Mass aller Dinge.394 Ihre Aufgabe ist es, Recht zu sprechen. Nach dem Legalitätsprinzip gibt es die beiden Gebote von

389 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 59. 390 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 455 ff.; RHINOW/SCHEFER, Rz. 2592; TSCHANNEN,

Staatsrecht, § 6 Rz. 24 ff. 391 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 459; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 24. 392 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 25. 393 Vgl. HANGARTNER, SGK zu Art. 5 BV, Rz. 3. 394 Vgl. LIENHARD, NPM, S. 37.

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Die Strukturprinzipien

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Normstufe und Normbestimmtheit. Diese haben je nach Rechtsgebiet ver-schiedenen Anforderungen zu genügen.

Das Legalitätsprinzip bedeutet, dass jedes staatliche Handeln einer gültigen gesetzlichen Grundlage bedarf. Normiert ist es in Art. 5 Abs. 1 BV, welcher lautet: „Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.“ Das Legalitätsprinzip ist kein verfassungsmässiges Recht, sondern es handelt sich dabei um einen Verfassungsgrundsatz.395 Nach SÄGESSER gibt es verschie-dene Aspekte des Legalitätsprinzips: So z.B. den Vorrang des Rechts, die Hierarchie der Normen oder die Parallelität der Normen. Ebenso Aspekt des Legalitätsprinzips bildet der Vorbehalt des Rechts. Weitere Aspekte sind das Erfordernis des Rechtssatzes sowie das Bestimmtheitsgebot.396

Das Legalitätsprinzip verlangt gemäss TSCHANNEN:

- Dass die gesetzliche Grundlage eine generell-abstrakte Struktur auf-weist (Erfordernis des Rechtssatzes, d.h. eines Gesetzes im materiel-len Sinn),

- Dass der Rechtssatz formell rechtmässig ist, d.h. im dafür vorgesehe-nen Verfahren erlassen wurde,

- Dass der Rechtssatz demokratisch ausreichend legitimiert (Erfordernis der genügenden Normstufe) ist und

- Rechtsstaatlich ausreichend bestimmt ist (Erfordernis der genügenden Normdichte).397

ii) Weitere formelle Elemente

Neben dem Legalitätsprinzip398 dienen vorab die folgenden Grundsätze der Bindung der staatlichen Macht an das Recht: Die Verpflichtung der Staats-

395 Vgl. SCHNEIDER U., S. 10. 396 SÄGESSER, RVOG, Art. 3, Rz. 10 ff. 397 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 45, Rz. 11; vgl. auch SCHNEIDER U., S. 13 ff. 398 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 459; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6 Rz. 24.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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organe, das Völkerrecht zu beachten399; die Gewaltenteilung als Mittel zur Verhinderung von Machtmissbrauch400 und die Gewährleistung eines wirk-samen Rechtsschutzes gegenüber staatlichen Handlungen mittels Verwal-tungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit einschliesslich der zugehörigen Ver-fahrensgarantien401.

b) Materielle Elemente

Die materielle Seite der Rechtsstaatlichkeit verlangt, dass das – formell kor-rekte – Staatshandeln gewissen elementaren Gerechtigkeitsanforderungen genügt. Die Elemente hier sind die folgenden: Achtung der Menschenwür-de402; Rechtsgleichheit, Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben403; und die Freiheitsrechte.404 Gemäss TSCHANNEN gehört zu den materiellen Elementen als letztes Element auch der Grundsatz, wonach staat-liches Handeln im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig bleiben muss.405

Der Wirtschaftsstaat C.

Beim Wirtschaftsstaatsprinzip steht die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft im Zentrum.406 Durch die Schaffung und Steuerung der Marktordnung soll der Staat volkswirtschaftlich günstige Rahmenbedingun-

399 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 24. Dieses Element wird von HALLER/KÖLZ/

GÄCHTER nicht erwähnt. 400 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 459; TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 24. 401 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 24; HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 459. 402 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 25. 403 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 25; HALLER/KÖLZ/GÄCHTER erwähnen die

Rechtsgleichheit, die Freiheitsrechte und die politischen Rechte, Rz. 460. 404 HALLER/KÖLZ/GÄCHTER, Rz. 460, welche als zusätzliches materielles Element den

sozialen Ausgleich anführen. 405 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 6, Rz. 25. 406 RHINOW/SCHEFER, Rz. 40 f.; MAIER, S. 24.

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Die Strukturprinzipien

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gen schaffen und nötigenfalls Lenkungsmassnahmen ergreifen.407 Damit wird jenes Mass an öffentlichem Dienst vom Staat gefordert, welches für das wirtschaftliche Wohlergehen notwendig und tragbar ist, wobei Kosten- und Nutzenüberlegungen als Entscheidungshilfe dienen.408 Der Grundsatzgehalt der Wirtschaftsfreiheit liegt in der Gewährleistung des freien Wettbewerbs, was einer freiheitlichen Ausrichtung des schweizerischen Systems ent-spricht.409 Das Wirtschaftsstaatsprinzip findet seinen Ausdruck vor allem in der Wirtschaftsverfassung (Art. 94 ff. BV). Dem Leistungs- und Wirtschafts-staat lassen sich die Forderungen nach Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit zuordnen.410

1. Wirksamkeitsgebot

Der verfassungsrechtliche Grundsatz von Art. 170 BV sieht vor, dass die öffentlichen Aufgaben wirksam zu erfüllen sind.411 Bezüglich der Justiz bedeutet dieser Grundsatz, dass die Justizverwaltung in der Justiz dafür sorgt, dass diese ihre Aufgaben faktisch erfüllen kann. Die sogenannten Wirkungsziele sind die Gerechtigkeit, die Gewährleistung des Rechtsschut-zes, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, die Rechtssicherheit oder die Rechtsfortbildung.412 Eine Führung innerhalb der Justiz müsste den Grund-satz der Wirkung beachten und seine Mittel danach ausrichten.

2. Effizienzgebot

Art. 126 Abs. 1 BV stellt das Gebot auf, dass die öffentlichen Mittel sparsam zu verwenden sind (Effizienzgebot). Der Effizienz kommt zentrale Bedeu-tung zu, da nur ein effizienter Mitteleinsatz die Kontinuität von staatlichen

407 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 62. 408 MAIER, S. 24 f. 409 Vgl. dazu ausführlich MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 69 ff. 410 MAIER, S. 25. 411 Vgl. MORAND, § 71, Rz. 17 ff. 412 LIENHARD, NPM, S. 38.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Leistungen gewährleistet und die Erfüllung der Staatsaufgaben garantiert.413 Der Staat kann seine Aufgaben nur dann in bester Weise erfüllen, wenn er seine ihm zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen effizient nutzt.414

Auch wenn bei der Justiz naturgemäss die Elemente des Rechtsstaates und der Demokratie wie Gesetzmässigkeit, Rechtsgleichheit, Verfahrensgaran-tien, etc. im Vordergrund stehen, muss sie dennoch auch das Gebot der Wirt-schaftsstaatlichkeit beachten. Die Justiz ist, genau wie alle anderen Staatsor-gane, zur Effizienz verpflichtet.415 Die Gerichte tragen eine Kostenverant-wortung gemäss Art. 126 BV und sind zum sparsamen und wirtschaftlichen Mitteleinsatz durch Gesetz verpflichtet.

a) Volkswirtschaftliche Effizienz

Volkswirtschaftliche Effizienz meint, dass ein Urteil geeignet ist, das Bündel an materiellen Gütern und an Dienstleistungen zu vergrössern, d.h. den Wohlstand zu erhöhen. Dies gilt nicht in jedem Einzelfall, aber über die Ausstrahlung des Urteils als Regel für künftige Verhältnisse.416

b) Betriebliche Effizienz

Dieser Begriff zielt darauf ab, den „Betrieb“ der Gerichtsjustiz so kostenspa-rend wie möglich durchzuführen bzw. mit gegebenen Ressourcen möglichst viele Fälle zu erledigen.417

c) Zusammenspiel

Der volkswirtschaftliche Aspekt der Effizienz betrifft den Wohlstand der Gesellschaft. Dieser kann nun der betrieblichen Effizienz diametral gegen-

413 LIENHARD, Grundlagen, S. 140. 414 Vgl. auch VOSS, S. 383; LIENHARD, Grundlagen, S. 140. 415 STOLZ, S. 451; LIENHARD, NPM, S. 37; LIENHARD, Grundlagen, S. 463. 416 EDELMANN/GASS/STOLZ, S. 109. 417 EDELMANN/GASS/STOLZ, S. 109.

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Die Strukturprinzipien

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überstehen: Wird beispielsweise aus Gründen der Kosteneffizienz das Ge-richtsverfahren rascher abgewickelt, so ist damit noch nichts über die Quali-tät der gefällten Urteile ausgesagt. Wenn diese Qualität unter der Kosteneffi-zienz leidet, so gibt es einen Widerspruch zwischen der betrieblichen und der volkswirtschaftlichen Effizienz.418

3. Leistungsgebot

Der Staat trägt die Verantwortung für die kollektiven Voraussetzungen einer zeitgemässen Lebensweise.419 Er greift gestaltend in die gesellschaftliche Wirklichkeit ein und schafft die Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens. Das Leistungsstaatsprinzip bindet den Staat an seine „Verantwortung für die wichtigsten Voraussetzungen der Erhaltung und Entfaltung der Menschen in einer modernen Gesellschaft“.420

418 STOLZ, S. 466. 419 MASTRONARDI, Strukturprinzipien, S. 61. 420 MAIER, S. 24.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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III. Die Verfahrensgarantien

Allgemeines A.

Die Legitimation staatlicher Entscheidungen beruht unter anderem auf der Art und Weise der Verfahren, wie die Entscheidungen getroffen werden. Ziel ist, mittels eines möglichst fairen Verfahrens zu einem möglichst ge-rechten Resultat zu gelangen. Der Verwirklichung dieses Ziels dienen u.a. die verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien.421

In der BV von 1874 waren Verfahrensgarantien erst punktuell verankert. Das Bundesgericht hat jedoch die Mindeststandards fairer Verfahren rechts-schöpferisch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz und aus der Garantie des verfassungsmässigen Richters (Art. 58 ABs. 1 aBV) abgeleitet. Es liess sich dabei von kantonalen und eidgenössischen Verfahrensgesetzen sowie der EMRK leiten. Diese entwickelten Garantien wurden im Zuge der BV-Revi-sion von 1999 in die neue Verfassung aufgenommen.422 Art. 29 BV enthält die allgemeinen Verfahrensgarantien; diese gelten in Gerichts- und Verwal-tungsverfahren. Die Rechtsweggarantie von Art. 29a BV wurde im Rahmen der Justizreform in die BV eingefügt. Anschliessend folgen in Art. 30 BV die Grundsätze für gerichtliche Verfahren. Auf die in Art. 29a, Art. 31 und Art. 32 BV enthaltenen Garantien wird mangels Relevanz für das Disserta-tionsthema nicht weiter eingegangen.

Allgemeine Verfahrensgarantie von Art. 29 BV B.

1. Übersicht und Anwendungsbereich

Art. 29 BV hält in Abs. 1 fest: „Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.“ In Abs. 2 wird der An-

421 RHINOW/SCHEFER, Rz. 3021. 422 KIENER/KÄLIN, S. 412 ff. und S. 521 ff.; STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 1.

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Die Verfahrensgarantien

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spruch der Parteien auf rechtliches Gehör festgehalten und Abs. 3 regelt die unentgeltliche Rechtspflege.

Es handelt sich bei Art. 29 BV um eine Verfahrensgarantie, welche in Ge-richts- und in Verwaltungsverfahren sowie in sämtlichen Rechtsbereichen gilt.423 Die Bestimmung stellt Minimalstandards auf, welche im Verfahren zu beachten sind. Sie wird durch Verfahrensgesetze umgesetzt und konkreti-siert.424 Dieses allgemeine Fairnessgebot, die Garantie des fair trial425, kommt als Auffangtatbestand immer dann zur Anwendung, wenn die spezi-fischen Verfahrensgarantien von Art. 29-32 BV oder die sie umsetzenden Verfahrensgesetze die erforderliche Verfahrensfairness nicht zu gewährleis-ten vermögen. Sie stellt in diesem Sinn einen Auffangtatbestand dar.426

2. Verbot der Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung (Art. 29 Abs. 1 BV)

Art. 29 Abs. 1 BV garantiert den Anspruch auf „gleiche und gerechte Be-handlung“ und auf eine Beurteilung „innert angemessener Frist“.427 Die Ga-rantie entspricht Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. c UNO-Pakt II. Diese europäischen Garantien finden jedoch nur auf Verfahren über „civil rights“ und auf Strafverfahren Anwendung.428

423 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 5; RHINOW/SCHEFER, Rz. 3031; HÄFELIN/

HALLER/ KELLER, Rz. 830; vgl. für die Rechtsverzögerung insbesondere BGE 130 I 174 E. 2.2 und BGE 130 I 269 E. 2.3.

424 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 7; RHINOW/SCHEFER, Rz. 3026; statt vieler: BGE 131 I 91 E. 3.1.

425 Vgl. zum Begriff der Fairness und der Gerechtigkeit THURNHERR, Rz. 197 m.w.H. 426 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 830; MÜLLER/SCHEFER, S. 821; RHINOW/KOLLER/

KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 275; STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 20.

427 Unter der alten BV wurden diese Ansprüche unter dem Verbot der formellen Rechtsverweigerung oder der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs zusammen-gefasst, vgl. auch STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 9 m.H. auf RHINOW/ KOLLER/KISS, Rz. 285.

428 MÜLLER/SCHEFER, S. 836.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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a) Verbot der formellen Rechtsverweigerung

Garantiert wird in Art. 29 Abs. 1 BV zunächst das Verbot der formellen Rechtsverweigerung.429 Dem Rechtsuchenden wird ein gerechtes Verfahren verweigert, wenn sein ordnungsgemäss eingereichtes Begehren nicht regel-konform geprüft wird bzw. wenn ein Anspruch auf ein Verfahren besteht und die Behörde sich weigert, die Sache trotz des Begehrens des Berechtig-ten an die Hand zu nehmen.430 Eine Rechtsverweigerung liegt also vor, wenn ein formeller Rechtssatz, d.h. eine Verfahrens- oder Formvorschrift unrichtig angewendet wird, sodass der betroffene Private nicht in den Genuss gleicher Rechtsanwendung kommt bzw. wenn eine Behörde auf eine formgerecht eingereichte Eingabe fälschlicherweise nicht eintritt oder eine solche aus-drücklich oder stillschweigend nicht an die Hand nimmt und behandelt, ob-wohl sie dazu verpflichtet wäre.431 Damit garantiert Art. 29 Abs. 1 BV die ordnungsgemässe Anwendung des Verfahrensrechts, unter Einbezug des Verfassungs- und Konventionsrechts.432

b) Verbot der Rechtsverzögerung oder Beurteilung innert angemessener

Frist

Ausdrücklich in Art. 29 Abs. 1 BV festgehalten ist der Anspruch auf eine Beurteilung innert angemessener Frist.433 Die Praxis zu Art. 4 der BV von 1874 bezeichnete diesen Anspruch als Verbot der Rechtsverzögerung, wobei sich inhaltlich mit der neuen Formulierung keine Änderungen ergeben.434 Eine Rechtsverzögerung ist gegeben, wenn „eine zum Handeln verpflichtete

429 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 831; vgl. auch BGE 134 I 229 E. 2.3. 430 BGE 129 I 91; RHINOW/SCHEFER, Rz. 3035. 431 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 10 m.H. auf BGE 103 V 190 m.w.H. 432 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 10; BGE 127 I 133. 433 Diese explizite Erwähnung geht auf eine Anregung von Vernehmlassungsteilneh-

mern zurück. Sie wurde vom Bundesrat ihrer grossen Bedeutung wegen gerechfer-tigt, vgl. Botschaft neue BV, 182; THURNHERR, Rz. 262.

434 Botschaft neue BV, 179.

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Die Verfahrensgarantien

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Behörde ein Verfahren über Gebühr verschleppt435 und damit dem Betroffe-nen sein Recht abschneidet“.436 „Justice delayed is justice denied“.437

Der Begriff der „angemessenen Frist“ ist indessen relativer Natur: Er wird durch spezifische verfahrensrechtliche Regeln in BV und Gesetzen konkreti-siert.438 Soweit das Gesetz indessen keine bestimmten Behandlungsfristen aufstellt, ist die Frage, was als angemessene Verfahrensdauer gilt, anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.439 Dabei ist unter Beachtung spezifischer Sachverhalts- und Verfahrensverhältnisse für Fall-gruppen und im Einzelfall die Angemessenheit zu konkretisieren und zu differenzieren.440 Insbesondere zu unterscheiden sind nach STEINMANN

441:

- Schlichte Untätigkeit einerseits oder tatsächliches Tun in Form von (ungerechtfertigten) Instruktionsmassnahmen andererseits

- Bezugnahme auf einzelne Verfahrensabschnitte vor einer einzigen Behörde oder Betrachtung der Gesamtheit des Verfahrens

- Verfahren über materielle Ansprüche oder Verfahren über vorsorgli-che Massnahmen

Die Rechtsprechung hat verschiedene, teilweise auch sich widersprechende Beurteilungskriterien erarbeitet.442 Den Ausgangspunkt bildet die Art des Verfahrens: Der Streitgegenstand und die damit verbundenen Interessen können raschere Entscheide erfordern oder auch eine verhältnismässig lange

435 BGE 130 I 312 E. 5.1. 436 MÜLLER/SCHEFER, S. 837; RHINOW/SCHEFER, Rz. 3038; STEINMANN, SGK zu

Art. 29 BV, Rz. 11 m.H. auf BGE 130 I 312 E. 5.1. 437 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 11. 438 Vgl. STEINMANN, SGK zu Art. 29, Rz. 12 m.H. auf Art. 31 Abs. 2-4 BV, Art. 32

Abs. 2 BV, Art. 5 Ziff. 2-4 EMRK, Art. 280 Abs. 1 ZGB, Art. 274d Abs. 1 bzw. Art. 343 Abs. 2 OR (rasche und einfache Verfahren).

439 Vgl. BGE 130 IV 54, 56; 119 Ib 311, 325 f.; FROWEIN/PEUKERT, Rz. 248 zu Art. 6 EMRK; MÜLLER/SCHEFER, S. 840; RHINOW/SCHEFER, Rz. 3038.

440 BGE 130 I 312 E. 5.1; Urteil des Bundesgerichts 1A.169/2004 E. 2, ZBl 2005, 540. 441 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 12 m.H. auf die Rechtsprechung. 442 Vgl. BGE 124 I 139 E. 2c; BGE 130 I 312 E. 5; HAEFLIGER/SCHÜRMANN zur

Rechtsprechung des EGMR, S. 201 ff.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Behandlungsperiode erlauben.443 Es ist auch auf Umfang und Komplexität der aufgeworfenen Sachverhalts- und Rechtsfragen und auf die Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten, die Auswirkungen auf ihre Interessen und hochrangige Rechtsgüter abzustellen.444 Ebenso dürfen die Parteien von ih-ren prozessualen Rechten Gebrauch machen; allerdings müssen sie sich Ver-zögerungen infolge von Beweis-, Fristerstreckungs- oder Sistierungsgesu-chen anrechnen lassen.445

Hingegen ist von Rechtsverzögerung auszugehen, wenn die Behörde ohne ersichtlichen Grund während längerer Perioden keine konkreten Vorkehren trifft oder ungerechtfertigte Instruktionsmassnahmen anordnet.446 Es kann sodann ab einem bestimmten Zeitpunkt alleine aufgrund der abgelaufenen Zeit ein Entscheid zu treffen sein.447

c) Verbot des überspitzten Formalismus

Ebenso unter Abs. 1 fällt das Verbot des überspitzten Formalismus. Dabei wird der Rechtsweg durch übertriebene, nicht sachlich zu rechtfertigende Formstrenge versperrt. Dies stellt eine besondere Form der Rechtsverweige-rung dar.448 Wenn eine Formstrenge als exzessiv erscheint und durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, wenn sie zum blossen Selbst-zweck wird bzw. wenn die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhalt-barer Weise erschwert oder gar verhindert wird, so ist von überspitztem

443 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 12. 444 BGE 125 V 188 E. 2b; MÜLLER/SCHEFER, S. 841 f.; STEINMANN, SGK zu Art. 29

BV, Rz. 12; Vorsorgliche Massnahmen, Zwangsmassnahmen oder Entscheide über das Sorgerecht sind jedoch in jedem Fall beförderlich zu erledigen.

445 MÜLLER/SCHEFER, S. 843 m.w.H. 446 BGE 124 I 139 E. 2c; Urteil des Bundesgerichts 1A.169/2004 E. 2.2, ZBl 2005,

540. 447 Vgl. BGE 125 V 373 E. 2a, in welchem bei einer Inaktivitätsdauer von 27 Monaten

nach Eintritt der Behandlungsreife eine Rechtsverzögerung festgestellt wurde. 448 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 3036; HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 833 f.

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Die Verfahrensgarantien

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Formalismus auszugehen.449 Es handelt sich demnach um die sachfremde Übersteigerung an sich berechtigter formeller Anforderungen. Massstab bildet die Erforderlichkeit und Zumutbarkeit für die Verwirklichung des materiellen Rechts, der Vertrauensschutz und das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben.450

3. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV)

Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 EMRK gewährleisten den Anspruch auf rechtliches Gehör, was bedeutet, das die Parteien im Verfahren mitwirken sollen.451 Das rechtliche Gehör umfasst den Anspruch auf vorgängige Äusse-rung und Anhörung, den Anspruch auf Akteneinsicht, das Recht, am Be-weisverfahren teilzunehmen und den Anspruch auf Begründung des Ent-scheides.452 Das rechtliche Gehör stellt ein Mitwirkungsrecht der betroffenen Person dar und dient dazu, dass diese im Verfahren nicht als Objekt, sondern als Subjekt behandelt wird.453 Da der Anspruch auf rechtliches Gehör for-meller Natur ist, führt eine Verletzung des Anspruchs in der Regel zur Auf-hebung des Entscheides.454

449 Vgl. BGE 130 V 177 E. 5.4; BGE 127 I 31 E. 2a/bb ; BGE 125 I 155 E. 3a ;

BGE 121 I 177 E. 2b/aa. 450 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 12 f. 451 Vgl. FROWEIN/PEUKERT, Rz. 142 zu Art. 6 EMRK. 452 HAEFLIGER/SCHÜRMANN, S. 187; GRABENWARTER, S. 616; RHINOW/SCHEFER,

Rz. 3041. 453 RHINOW/SCHEFER, Rz. 3045, welche auf den engen Konnex mit der Menschenwür-

de von Art. 7 BV hinweisen; vgl. zum deutschen Recht BRÜGGEMANN, S. 152 ff. 454 Vgl. statt vieler RHINOW/SCHEFER, Rz. 3046.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Anspruch auf ein verfassungsmässiges Gericht und das Verbot C.von Ausnahmegerichten (Art. 30 Abs. 1 BV)

1. Allgemeines

In Art. 30 BV werden Verfahrensgarantien zusammengefasst, die früher ver-streut in der Rechtsordnung zu finden waren.455 Vorliegend wird jedoch aus-schliesslich auf den in Abs. 1 festgelegten Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, unabhängiges, unparteiisches und unvoreingenommenes Ge-richt eingegangen, da die anderen Verfahrensgarantien für das Dissertations-thema nicht einschlägig sind. Bezüglich der Unabhängigkeit wird auf die Ausführungen unter Teil 1, Kapitel IV. zur richterlichen Unabhängigkeit verwiesen.456

Art. 30 BV bildet Teil der verfassungsmässigen Verfahrensgrundrechte und stellt besondere Anforderungen an das Verfahren vor Gericht. Die Garantien sollen Vertrauen in die Gerichte schaffen.457 Das Gericht im Sinn von Art. 30 Abs. 1 BV muss im Gesetz vorgesehen, ordnungsgemäss bestellt und zusammengesetzt, örtlich, sachlich und funktional zuständig sowie unabhän-gig und unparteiisch sein. Auf diese Weise sollen ein faires Verfahren und ein gerechtes Urteil sichergestellt werden.458

2. Anspruch auf ein unabhängiges Gericht

Auf der institutionellen Ebene verlangt Art. 30 Abs. 1 BV einen von anderen Staatsgewalten unabhängigen Richter: Er darf zu keiner anderen Staatsge-walt in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Ebenso wenig dürfen Ent-

455 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 848. 456 Vgl. S. 55 ff. 457 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz.. 4. 458 Vgl. dazu auch die Ausführungen vorne bei der Unabhängigkeit, S. 55.; HÄFELIN/

HALLER/KELLER, Rz. 850; RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 459.

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Die Verfahrensgarantien

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scheide richterlicher Behörden durch nicht richterliche Rechtsmittelinstan-zen überprüfbar und korrigierbar sein.459

3. Anspruch auf ein gesetzliches Gericht

Art. 30 Abs. 1 BV garantiert den Anspruch auf den gesetzlichen Richter. Mit dieser Garantie wird gewährleistet, dass die Streitsache vom zuständigen und durch Gesetz geschaffenen Gericht beurteilt wird. Zunächst wird damit aus-geschlossen, dass das Gericht im Einzelfall ad hoc oder ad personam einge-setzt wird. Damit sind Ausnahmegerichte verboten und von der verfahrens-rechtlich vorgesehenen örtlichen und sachlichen Zuständigkeit kann nicht abgewichen werden.460 Hingegen besteht bei der Ausgestaltung der Ge-richtsorganisation für den Gesetzgeber ein weiter Spielraum, da kein grund-rechtlicher Anspruch auf eine bestimmte Ausgestaltung besteht.461

Des Weiteren bezieht sich der Anspruch auf den gesetzlichen Richter und auf die Besetzung der richterlichen Behörde: Es wird die gehörige Besetzung gemäss den geltenden Vorschriften garantiert, wobei diese nicht auf Geset-zesstufe vollständig ausgeführt zu sein brauchen. Mangels spezifischer Re-geln obliegt es dem Vorsitzenden, den Spruchkörper nach objektiven Krite-rien und pflichtgemässem Ermessen zu besetzen.462 Die Doktrin fordert, dass die Besetzung im Einzelfall aufgrund von generell-abstrakten Regeln im Voraus bestimmbar ist.463

459 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 6; vgl. dazu insbesondere vorne das Kapitel

zur richterlichen Unabhängigkeit, ab S. 55. 460 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 7. 461 BGE 132 I 140 E. 2.2; BGE 123 I 49 E. 2b; STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 7. 462 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 8. 463 KIENER, Unabhängigkeit, S. 376 ff.; STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 8.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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4. Anspruch auf ein unparteiisches, unbefangenes und unvoreinge-nommenes Gericht

Art. 30 Abs. 1 BV gewährleistet ein unparteiisches, unbefangenes und un-voreingenommenes Gericht. Jeglicher sachfremde Einfluss auf die richterli-che Entscheidfindung soll ausgeschlossen und damit das Vertrauen in die Justiz als echte Mittlerin sichergestellt werden.464 Ob sachfremde Einflüsse ausgeschlossen sind, bestimmt sich danach, ob konkrete Gründe eine Beein-trächtigung der richterlichen Unbefangenheit möglich erscheinen lassen und wie diese zu bewerten sind.465

Eine allfällige Befangenheit eines Richters als innerer Zustand kann und braucht nicht nachgewiesen zu werden: Für eine Ablehnung genügen tat-sächliche Gegebenheiten, die Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Rich-ters zu erwecken vermögen, die den Anschein von Befangenheit oder Vor-eingenommenheit begründen und den Verfahrensausgang als nicht mehr offen erscheinen lassen.466 Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen, das Misstrauen muss in objektiver Weise begründet erscheinen bzw. es ist zu fragen, ob der Richter über eine genügende „liberté d’esprit“ verfügt.467 Bezüglich der Unbefangenheit der Entscheidbehörde bezeichnet SCHEFER diese als unabdingbar, da ansonsten die vielfältigen weiteren Garantien weitgehend wirkungslos blieben. Unbefangenheit stellt den „due process floor“ dar.468

464 BGE 114 Ia 50 E. 3c. 465 KIENER, Unabhängigkeit, S. 60 f. 466 Vgl. zu den Begriffen vorne im Kapitel zur Unabhängigkeit, S. 57 ff. 467 Vgl. ausführlich vorne, S. 57 ff.; BGE 131 I 113 E. 3.4; BGE 112 Ia 290 E. 3b:

„Justice must not only be done; it must also be seen to be done“; BGE 131 I 24 E. 1.1 und BGE 133 I 1 E. 6.2 und AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droits, Rz. 1241.

468 SCHEFER, Kerngehalte, S. 535.

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Die Verfahrensgarantien

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5. Schutzbereich

Der Anspruch auf richterliche Unabhängigkeit stellt eine Minimalgarantie zur Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Verfahrens dar und eträgt grund-sätzlich keine Einschränkungen.469 Die Möglichkeit, das Urteil bei einer ordentlichen Rechtsmittelinstanz anzufechten, ändert nichts an einem allfäl-ligen Mangel in der Zusammensetzung des Spruchkörpers. Das unter Verlet-zung der Unabhängigkeitsgarantie ergangene Urteil ist in diesem Fall und unbesehen des Umstandes aufzuheben, ob sich die Beeinträchtigung auf das Urteil ausgewirkt hat.470

Einschränkung von Verfahrensgarantien D.

1. Fragestellung

Die Verfahrensgarantien stellen keine grundrechtlichen Freiheits- oder Ab-wehrrechte dar; sie sind ein spezieller, eigener Grundrechtstyp: Sie sind Mit-tel zum Schutz anderer Rechte.471 Durch sie wird die Mitwirkung der Ver-fahrensbeteiligten im Verfahren sichergestellt, sie gewähren rechtsstaatliche Ansprüche an Verfahren und bieten Schutz vor unfairer Behandlung.472

Wie die Grundrechte selbst weisen auch die Voraussetzungen ihrer Ein-schränkung Verfassungsrang auf und sind damit der Disposition des Gesetz-gebers entzogen.473 Je nach Grundrechtskategorie können unterschiedliche Voraussetzungen gelten, damit sich eine Beschränkung des Anspruchs als verfassungsrechtlich zulässig erweist; auf jeden Fall aber darf eine allfällige Einschränkung des grundrechtlichen Anspruchs nicht weiter reichen, als zur Verfolgung eines legitimen Ziels unbedingt erforderlich ist. Unbestritten ist sodann, dass die Kerngehaltsgarantie von Art. 36 Abs. 4 BV in jedem Fall

469 Vgl. vorne, S. 61 ff. 470 Entscheid des Bundesgerichts 2A.364/1995, ZBl 1998, E 4 S. 293. 471 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 6; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droits,

Rz. 1205; KIENER/KÄLIN, S. 31 und S. 477 ff. 472 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 6. 473 KIENER/KÄLIN, S. 479.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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und für alle Grundrechte gültig ist.474 Andere Grundrechtstypen als Freiheits-rechte können nach je eigenen Grundsätzen relativiert oder eingeschränkt werden, wenn sie nicht von vornherein (wie etwa das Willkürverbot in Art. 9 BV) unbedingte Geltung verlangen.475

2. Grundsatz: Verfahrensgarantien als nicht einschränkbare Garantien

Grundsätzlich lassen die systematische Stellung von Art. 36 BV am Ende des Grundrechtskatalogs sowie der Wortlaut der Norm und die Marginalie „Einschränkungen von Grundrechten“ darauf schliessen, dass der Artikel auf alle Grundrechte und damit auch auf die Verfahrensgrundrechte angewendet werden soll. Nach der bundesgerichtlichen Praxis und der vorherrschenden Lehre ist die Schrankentrias von Art. 36 BV jedoch auf klassische Freiheits-rechte zugeschnitten und eignet sich insbesondere nicht für die Einschrän-kung von Verfahrensgrundrechten.476

AUER/MALINVERNI/HOTTELIER bezeichnen die Verfahrensgarantien als „exigences minimales dans le domaine de l’organisation de la justice“ und gehen davon aus, dass die Verfahrensgarantien keine Einschränkungen er-tragen.477 Auch TSCHANNEN führt aus, es sei dem Gesetzgeber nicht gestat-tet, die Verfahrensgarantien einzuschränken: Eine „Verkürzung der aus die-sen Grundrechten fliessenden Ansprüche führt ohne weiteres zu einer Grundrechtsverletzung“. Der Eingriff in die Verfahrensgarantien verschmilzt gewissermassen mit der Grundrechtsverletzung. Dogmatisch gesehen geht also der Grundrechtsverletzung ein Grundrechtseingriff voraus, auch wenn der Eingriff als solcher kaum sichtbar wird.478 Die Anwendung der Kriterien von Art. 36 BV auf die Verfahrensgarantien erweist sich als nur bedingt

474 KIENER/KÄLIN, S. 126 und S. 485. 475 KIENER/KÄLIN, S. 485 f. 476 KIENER/KÄLIN, S. 90 ff. und S. 126; a.M. SCHEFER, Beeinträchtigung, S. 9 ff. 477 AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droits, Rz. 1207 bzw. Rz. 1209, welche die Aus-

nahme eines Kriegsfalles oder andere öffentlicher Gefahren nennen. 478 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 7, Rz. 96 f.

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Die Verfahrensgarantien

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tauglich, da diese als Mindestgarantien zur Gewährleistung fairer Verfahren ausgestaltet sind und sie erweisen sich damit als grundsätzlich eingriffsresis-tent. Einer Beschränkung steht nicht zuletzt auch der Umstand entgegen, dass die Integrität der Justiz und der Justizverfahren ein wichtiges öffentli-ches Interesse darstellt.479

BIAGGINI weist zunächst darauf hin, dass Art. 36 BV weder den Anspruch habe, die Zulässigkeit grundrechtsrelevanten staatlichen Handelns abschlies-send zu regeln, noch den Anspruch, eine auf alle Grundrechte gleichermas-sen anwendbare Ordnung zu normieren. Ein schematisches Durchprüfen der Kriterien gemäss Art. 36 BV garantiere keine richtige Antwort auf die Frage der Zulässigkeit des betreffenden staatlichen Handelns.480

Ebenso geht BIAGGINI davon aus, dass die Debatte um den Anwendungsbereich von Art. 36 BV den Blick auf die Bedeutung und die Funktion dieses Artikels „eher verstellt als erhellt“. Ein pauschales Beiseiteschieben von Art. 36 BV sei wenig hilfreich, ja letztlich kontraproduktiv.481

SCHEFER bzw. RHINOW/SCHEFER gehen von einer allgemeinen Anwendbar-keit von Art. 36 BV aus, wobei aber je nach der dogmatischen Struktur der Grundrechte die einzelnen Teilgehalte unterschiedlich tangiert werden. Es könne vorkommen, dass nur einzelne der Anforderungen von Art. 36 BV zur Anwendung kämen. Daher enthalte Art. 36 BV kein in sich geschlossenes Prüfungsprogramm, welches in jedem Fall abzuarbeiten wäre, er formuliere nur einen Katalog möglicher Anforderungen, denen eine Grundrechtsbeein-trächtigung zu genügen habe.482 Auch HÄFELIN/HALLER/KELLER äussern sich skeptisch zur Anwendung von Art. 36 BV auf die Verfahrensgrundrech-te, gehen aber davon aus, dass es falsch wäre, die ratio constituionalis, den Gehalt, völlig ausser Acht zu lassen.483

479 KIENER/KÄLIN, S. 481 bzw. S. 485. 480 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 36 BV, Rz. 3. 481 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 36 BV, Rz. 4. 482 SCHEFER, Beeinträchtigung, S. 9 ff.; RHINOW/SCHEFER, Rz. 1192. 483 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 302 ff. und v.a. Rz. 869 f.; gl.M. MÜLLER JP,

S. 641.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

110

3. Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit

Auch wenn die Verfahrensgarantien nicht direkt den für sie nicht sachge-rechten Regeln über die Einschränkungen von Grundrechten nach Art. 36 BV unterliegen, schliesst dies eine Berücksichtigung von öffentlichen Inte-ressen und der Verhältnismässigkeit im Einzelfall nicht aus.484 SCHWEIZER geht davon aus, dass sich in gewissen Fällen zur einschränkenden Konkreti-sierung von Verfahrensgrundrechten eine sinngemässe Anwendung von Art. 36 BV anbietet.485 Auch BIAGGINI führt aus, bei den Verfahrensgaran-tien seien gewisse Relativierungen trotz Minimalstandard-Charakter unter Umständen zulässig:486 Es erhöhe die Rationalität der Entscheidung, (und verbessere den Grundrechtsschutz), wenn man die in BV 36 normierten Er-fordernisse, gegebenenfalls in adaptierter Form, zur Überprüfung des staatli-chen Handelns mitheranziehe (z.B. Normbestimmtheit, Eignung, Zweck-Mittel-Relation). Ein differenziertes Heranziehen der Kriterien aus BV 36 erscheine daher auch ausserhalb der klassischen Freiheitsrechte geboten.487

SCHEFER geht bei den Verfahrensgarantien von „Minimalstandards“ aus. Als solche könnten sie zwar beeinträchtigt werden, hingegen seien die Voraus-setzungen dafür strenger als bei traditionellen Grundrechten. Die Beeinträch-tigungen müssten darauf ausgerichtet sein, die Fairness des Verfahrens ins-gesamt zu wahren.488

484 Botschaft neue BV, 194; KIENER/KÄLIN, S. 90 ff. und S. 485 f.; STEINMANN, SGK

zu Art. 29 BV, Rz. 6 m.H. auf BGE 129 I 12 E. 6; AUBERT/MAHON, Petit commen-taire zu Art. 36, Rz. 4.

485 SCHWEIZER, SGK zu Art. 36 BV, Rz. 7 m.H. auf TSCHANNEN, § 7 Rz. 98; vgl. auch BGE 131 I 166, 176; 129 I 35, 42 f., 129 I 12, 19 ff.; 126 I 26, 28.

486 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 36 BV, Rz. 18 bzw. 21 betreffend die Beschrän-kung der Akteneinsicht bzw. die nicht-sofortige Gewährung des rechtlichen Gehörs.

487 Vgl. BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 36 BV, Rz. 4 m.H. auf BGE 130 I 312 und der entsprechenden Kritik, wonach die vorbehaltlose Anwendung bei Art. 29a BV zu weit gehe.

488 SCHEFER, Beeinträchtigung, S. 104 f. Genannt werden vier Anforderungen: Erstens dürfen nur qualifzierte, die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ingesamt för-dernde öffentliche Interessen eine Verkürzung des Rechts im konkreten Fall legiti-

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Die Verfahrensgarantien

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Gemäss HÄFELIN/HALLER/KELLER muss bei den Verfahrensgarantien zwi-schen solchen unterschieden werden, die gar nicht eingeschränkt werden können, weil sie einen Minimalstandard darstellen und solchen, die durchaus einer Konkretisierung und damit auch einer Einschränkung zugänglich seien. Zu Ersteren gehöre etwa der Anspruch auf ein unabhängiges und unbefange-nes Gericht489, der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowie die Rechtsmittelgarantie des Verurteilten.490 Eine Verletzung solcher Verfahrensgarantien, die nicht eingeschränkt wer-den dürften, müsse zur Aufhebung des fehlerhaften Entscheides führen.491 Zur zweiten – und damit einschränkbaren Kategorie – zählten hingegen das Akteneinsichtsrecht, die Öffentlichkeit des Verfahrens oder die Rechtsweg-garantie.492 Bei diesen Garantien seien Konkretisierungen in den Prozessord-nungen zu berücksichtigen, wobei sich eine Prüfung der gesetzlichen Grund-lage nach Art. 36 Abs. 1 BV aufdränge. Die Abwägung verschiedener Inte-ressen bspw. bei der Beschränkung des Akteneinsichtsrechts oder bei der Publikation von Urteilen müsse sich an den Grundsätzen von Art. 36 Abs. 3 BV orientieren. Damit lasse sich zwischen zulässigen Eingriffen und verfas-sungswidrigen Verletzungen der Verfahrensgarantien unterscheiden. Ande-rerseits seien Teilgehalte von BV 36 auch bei dieser Prüfung sinngemäss anwendbar.493

mieren. Zweitens werden an die Präzision, mit welcher sie ihr Ziel zu erreichen su-chen, strenge Anforderungen gestellt, drittens müssen Beeinträchtigungen von Ver-fahrensrechten umfassender gerichtlicher Überprüfung zugänglich sein und schliesslich sind die Voraussetzungen, unter denen eine Beeinträchtigung zulässig ist, in der Form präziser Regeln zu normieren, die im konkreten Fall möglichst we-nig Spielraum lassen.

489 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 869a; Entscheid des Bundesgericht vom 14. Februar 1997, ZBl 99 [1998] 289 E. 4; vgl. auch KIENER/KÄLIN, S. 485, für welche eine Beschneidung des Anspruchs auf eine unvoreingenommene, unbefangene Ge-richtsperson undenkbar ist.

490 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 869a, Rz. 865 bzw. Rz. 868. 491 Vgl. für die Beispiele auch KIENER/KÄLIN, S. 486 ff. 492 HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 869a, Rz. 856 bzw. Rz. 857. 493 Insbesondere die Verhältnismässigkeit, vgl. HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 869a.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Demnach kann festgehalten werden, dass – wo überhaupt zulässig – die Ein-schränkungen vonVerfahrensgrundrechten gesetzlich vorgesehen sein müs-sen und nicht weiter gehen dürfen als zur Verfolgung des legitimen Ziels (z.B. Schutz von Grundrechten Dritter, Schutz von Opfern, etc.) unbedingt erforderlich ist.494

Auf die Verfahrensgarantien wird im Rahmen von Teil 5 wieder zurückzu-kommen sein.495

494 KIENER/KÄLIN, S. 486. 495 Vgl. hinten, insbesondere ab S. 293.

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Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

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IV. Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

Allgemeines A.

Nachdem nun die Grundlagen in den vorhergehenden Teilen besprochen wurden, stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen, die Justiz regeln-den Prinzipien, Grundsätze und sonstigen Anforderungen zueinander und zu einer allfälligen justizinternen Führung verhalten. Traditionell stehen bei der Justiz die Gesetzmässigkeit und die Verfahrensgarantien, demnach die Ele-mente des Rechtsstaates im Zentrum. Dennoch muss die Justiz auch die Prinzipien der Wirtschaftsstaatlichkeit beachten.496 Es handelt sich sowohl beim Rechtsstaat als auch bei der Wirtschaftsstaatlichkeit um verfassungs-rechtliche Prinzipien, d.h. um relativ unbestimmte Rechtssätze. Nachfolgend wird anhand der bisher dargestellten Rahmenbedingungen der Justiz ver-sucht, die Richtlinien bzw. die Spannungsfelder, in der sich die Justiz – und allenfalls auch eine interne, justizielle Führung bewegt – darzustellen. Dabei wird zunächst das Verhältnis zwischen den verschiedenen Prinzipien und Grundsätzen beleuchtet, anschliessend wird die Justizverwaltung in Verhält-nis zur Oberaufsicht bzw. zur richterlichen Unabhängigkeit gesetzt.

Ein konkreter Vorschlag, wie eine justizinterne Führung ausgestaltet werden könnte, darf in diesen Ausführungen nicht erwartet werden, allerdings kann anhand dieser eingeschätzt werden, ob ein Grundsatz bzw. ein Prinzip in Konflikt mit einer gerichtlichen Führung stehen könnte. Die Auflösung der herausgearbeiteten Spannungsfelder ist sodann in Teil 5 zu finden.497

496 Vgl. STOLZ, S. 451; LIENHARD, NPM, S. 37; LIENHARD, Grundlagen, S. 463. 497 Vgl. dazu Teil 5, S. 251 ff.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Das Verhältnis der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien B.zueinander im Allgemeinen

1. Allgemeines

Die Strukturprinzipien gehen aus den Normen des Verfassungsrechts hervor. Da sich diese Normen grundsätzlich gleich gegenüber stehen,498 folgt daraus ebenfalls, dass sich die Strukturprinzipien zunächst als gleichwertig begeg-nen. Der Bundesrat hält dazu fest: „Die genannten strukturbestimmenden Elemente499 der Bundesverfassung ergänzen einander und verfassen die Schweizerische Eidgenossenschaft als freiheitlich-rechtsstaatlichen, demo-kratischen und sozialen Bundesstaat. Mitunter stehen diese Strukturprinzi-pien der Bundesverfassung freilich auch in einem Spannungsverhältnis zuei-nander. […]. Das schweizerische Verfassungsrecht kennt jedoch keinen all-gemeinen Vorrang des einen Prinzips vor dem anderen. Die Strukturprinzi-pien stehen an sich gleichwertig nebeneinander. Die Lösung von Zielkon-flikten obliegt vorab dem Verfassungs- und Gesetzgeber, ferner auch den übrigen Staatsorganen, die in der konkreten Entscheidungssituation abwä-gend zwischen den widerstrebenden Gesichtspunkten zu vermitteln ha-ben.“500

2. Das Verhältnis von Rechtsstaat und Wirtschaftsstaat

Gerichte und Richter sind zu allererst Verfassung und Gesetz verpflichtet. Der Rechtssatz ist für sie das Mass aller Dinge.501 Das Legalitätsprinzip re-gelt das staatliche Handeln gegenüber dem Bürger. Für den Staat handeln die Organe, d.h. die Behörden. Gebunden an die Gesetze sind die rechtsetzenden und die rechtsanwendenden Behörden.502 Die beiden Gebote von Normstufe und Normbestimmtheit haben je nach Rechtsgebiet verschiedenen Anforde-

498 Vgl. dazu eingehend TSCHANNEN, Staatsrecht, § 4, Rz. 13 ff. 499 Genannt wurden Demokratie, Rechtsstaat, Bundesstaat und Sozialstaat. 500 Botschaft neue BV, 16 f. 501 Vgl. LIENHARD, NPM, S. 37. 502 Vgl. HANGARTNER, SGK zu Art. 5 BV, Rz. 3.

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Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

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rungen zu genügen. Die Anforderungen an die Normbestimmtheit im Orga-nisationsrecht liegen nicht sehr hoch: Im formellen Gesetz kann eine flexible Kodifizierung der Justizorganisation vorgesehen werden, wenn anschlies-send auf Verordnungsstufe hinreichend bestimmte Regelungen geschaffen werden. Dabei kann es sich auch um Gerichtsverordnungen handeln. Die Gerichte geniessen daher eine grosse Freiheit bezüglich ihrer Organisation, der Gesetzgeber begnügt sich meist mit der Regelung der Grundzüge. Ent-sprechend organisieren sich die Gerichte grösstenteils selbst. Die organisato-rische und damit auch die personelle Ausgestaltung der Führung liegt ent-sprechend bei den Gerichten, wenn durch den Gesetzgeber nichts geregelt wurde.503 Damit geht es bei der Führung innerhalb einer Behörde primär nicht um ein Problem des Legalitätsprinzips.

Naturgemäss stehen für die Justiz bei ihrer Aufgabe bzw. Funktion die Ele-mente des Rechtsstaates und der Demokratie wie Gesetzmässigkeit, Rechts-gleichheit, Verfahrensgarantien, etc. im Vordergrund. Dennoch muss auch die Justiz das Gebot der Wirtschaftsstaatlichkeit als Verfassungsprinzip be-achten. Die Justiz ist, genau wie alle anderen Staatsorgane, zur Effizienz und zum sparsamen und wirtschaftlichen Mitteleinsatz durch das Gesetz ver-pflichtet und trägt eine Kostenverantwortung gemäss Art. 126 BV.504

Der Staat kann seine Aufgaben nur dann in bester Weise erfüllen, wenn er seine ihm zur Verfügung stehenden knappen Ressourcen effizient nutzt, weshalb das Selbstverwaltungsrecht der Justiz bedingt, dass die Gerichte dieses mit einem effizienten Justizmanagement nutzen.505 Eine Führung der Justiz hat demnach ebenfalls das Effizienzgebot zu beachten und mit ent-sprechenden Mitteln umzusetzen. Eine interne justizielle Führung dient der vom Rechtsstaatsprinzip geforderten Machtkontrolle und geht mit dem Rechtsstaatsprinzip einher. Es soll durch den Zwang zur Rechenschaft eine gewisse Kontrolle innerhalb der Gerichte eingeführt werden. Auf den ersten Blick ist davon auszugehen, dass das Rechtsstaatsprinzip einer gerichtsinter-

503 Vgl. vorne für das Beispiel des Bundesgerichts. 504 STOLZ, S. 451; LIENHARD, NPM, S. 37; LIENHARD, Grundlagen, S. 463; vgl. auch

vorne, S. 76; Art. 2 FHG und Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 FKG. 505 Vgl. auch VOSS, S. 383; LIENHARD, Grundlagen, S. 140; LIENHARD, Bern, S. 407.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

116

nen Führung – bei Beachtung der rechtlichen Grundlagen – positiv gegen-übersteht.

Im Zuge der NPM-Welle wurde vermehrt über die sogenannte finale Recht-setzung gesprochen. Damit ist eine schlanke Gesetzgebung mit offenen Normen und klaren Zielvorgaben gemeint. Diese finale Rechtsetzung kann mit dem Gebot der hinreichenden Normbestimmtheit in Konflikt geraten. Ausserdem belässt finales Recht den Gerichten einen grösseren Handlungs-spielraum: Dies wiederum vergrössert den Aufwand für die richterliche Rechtsfindung und ist unter dem Aspekt der Effizienz jedenfalls zu beach-ten.506

Bezüglich der Justiz bedeutet der Grundsatz der Wirksamkeit (Art. 170 BV), dass die Justizverwaltung in der Justiz dafür sorgt, dass diese ihre Aufgaben faktisch erfüllen kann. Die sogenannten Wirkungsziele sind die Gerechtig-keit, die Gewährleistung des Rechtsschutzes, die Einheitlichkeit der Recht-sprechung, die Rechtssicherheit oder die Rechtsfortbildung.507 Eine Führung innerhalb der Justiz müsste den Grundsatz der Wirkung beachten und seine Mittel danach ausrichten. Ein wirksamer Rechtsschutz gegenüber staatlichen Handlungen wird durch die Gerichtsbarkeit einschliesslich der dazugehöri-gen Verfahrensgarantien gewährleistet.

Effizienz und Verfahrensgarantien C.

Die Strukturprinzipien der BV stehen teilweise in einem Spannungsverhält-nis zueinander. In der Folge ist auf das Verhältnis des Prinzips der Effizienz als Teilgehalt des Wirtschaftsstaatsprinzips zum Beschleunigungsgebot als Teil des Rechtsstaatsprinzips einzugehen. Ebenso ist auf weitere wichtige Verfahrensgarantien einzugehen.

506 Vgl. STOLZ, S. 466; MAIER, S. 127 f.; LIENHARD, NPM, S. 45 und sogleich, Kapi-

tel C. 507 LIENHARD, NPM, S. 38.

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Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

117

1. Verbot der Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung

Neben dem Verbot der formellen Rechtsverweigerung und dem Verbot des überspitzten Formalismus bestimmt Art. 29 Abs. 1 BV weiter, dass ein An-spruch „auf Beurteilung innert angemessener Frist“ besteht. Damit wird eine Unterform der Rechtsverweigerung, nämlich die Rechtsverzögerung, verbo-ten.508

Über die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens lassen sich keine all-gemeinen Aussagen machen. Dieser Begriff ist „vor dem Hintergrund eines gerechten Verfahrens unter Beachtung spezifischer Sachverhalts- und Ver-fahrensverhältnisse für Fallgruppen und im Einzelfall zu konkretisieren und zu differenzieren […].“509

Der Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist kann durch eine Führung innerhalb des Gerichts grundsätzlich positiv beeinflusst werden. Es ist aus diesem Grund davon auszugehen, dass eine Führung mit dem Be-schleunigungsgebot vereinbar ist, da beide Massnahmen die Justiz zu einem möglichst raschen Verfahren verpflichten wollen. Der Anspruch auf eine Beurteilung innert angemessener Frist widerspricht dem Effizienzgebot nicht. Es ist auf den ersten Blick im Gegenteil davon auszugehen, dass beide Gebote die Justiz zu einem möglichst raschen Verfahren verpflichten wollen: Das Beschleunigungsgebot soll die Parteien vor einem zu langen Verfahren und damit vor Rechtsverzögerung schützen und das Effizienzgebot schützt den sparsamen Umgang mit den öffentlichen Mitteln. Insoweit verfolgen sie beide ein möglichst rasches Verfahren.

Eine falsch verstandene Verfahrensökonomie, welche nach Kostenmaximie-rung und einem möglichst kurzen Verfahren verlangen würde, wäre jedoch durch das Beschleunigungsgebot nicht mehr gedeckt.510 Wenn beispielswei-se aus Effizienz- oder Kostenüberlegungen der Sachverhalt mangelhaft ab-geklärt wird oder die Kognition nicht ausgeschöpft würde, läge eine Verlet-

508 Vgl. zu Art. 29 BV ausführlich STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV. 509 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 12. 510 Vgl. hinten, S. 295 ff.; LIENHARD, NPM, S. 44.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

118

zung des Rechtsverweigerungsverbots vor. Eine vermeintlich effizientere und weniger umfassende Abklärung des Sachverhalts vor erster Instanz könnte zu einer Zunahme der Rechtsmittelhäufigkeit führen. Ebenso prob-lematisch wäre eine übereilte Tendenz zu raschen, aber unausgewogenen Vergleichen in der Hoffnung, dadurch ein Verfahren zu einem möglichst raschen und weniger aufwändigen Abschluss zu bringen.511

2. Gleichbehandlung und Effizienzgebot

Der Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung der Beschwerdeführer kann dem Effizienzgebot entgegenstehen. Es ist vorstellbar, dass beispiels-weise durch Vorlagen in Massenverfahren oder durch eine gewisse Fallprio-risierung eine höhere Effizienz bei der Fallerledigung erreicht werden könn-te.

3. Rechtliches Gehör und Effizienzgebot

Die Gefahr, dass aus Kosten- und Effizienzgründen der Anspruch auf recht-liches Gehör geschmälert wird, ist nicht von der Hand zu weisen, da der Schriftenwechsel viel Zeit braucht und damit die Verfahrensdauer verlän-gert. Damit die Garantie des rechtlichen Gehörs nicht verletzt wird, ist insbe-sondere darauf zu achten, dass die Rechte im Beweisverfahren beiden Par-teien gleich zugestanden werden. Bei der Begründung der Entscheide ist sodann auf alle relevanten Vorbringen der Parteien einzugehen und der Ent-scheid ist mit allen wichtigen Argumenten zu begründen. Eine geringere Begründungsdichte aus effizienztechnischen Überlegungen hat zu unterblei-ben.512

511 LIENHARD, NPM, S. 44. Jedoch ist dieses Problem in der Praxis vernachlässigbar,

da für einen Vergleich die beiden Parteien ihre Zustimmung geben müssen. Inso-fern besteht eine gewisse Kontrolle durch die beteiligten Parteien.

512 LIENHARD, NPM, S. 44.

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Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

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4. Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht

Es stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Effizienzgebots zur Garantie auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht bzw. Richter. Insbesondere wird zu klären sein, was die Garantie der Unabhängigkeit alles umfasst und wie sich dies auf eine Führung, welche nach Effizienz strebt, auswirkt.513

Die Garantie von Art. 30 BV betrifft vorab die Zusammensetzung und die Unabhängigkeit des Gerichts. So ist sicherzustellen, dass das Gericht und seine Zuständigkeit in persönlicher, zeitlicher, örtlicher und sachlicher Hin-sicht generell-abstrakt durch formelles Verfahrensrecht im Voraus bestimmt werden. Wenn keine spezifischen Regeln für die Bildung der Spruchkörper bestehen, so hat der Vorsitzende bzw. der Abteilungspräsident „die Richter-bank nach objektiven Kriterien und pflichtgemässem Ermessen zu beset-zen.“514 Soweit eine allfällige Führung Einfluss auf die Spruchkörperbildung nimmt, hat sie Art. 30 Abs. 1 BV zu respektieren. Sie hat das Gericht bzw. den Spruchkörper ordnungsgemäss zu bestellen.

5. Zusammenfassung

Während das Legalitätsprinzip unproblematisch erscheint, beinhaltet die Beziehung zwischen Effizenz und der Beurteilung innert angemessener Frist einen Zielkonflikt. Die Justiz darf nicht auf Kosten eines schnelleren Prozes-ses den Sachverhalt mangelhaft abklären. Ebenso verhält es sich im Bereich der anderen Verfahrensgarantien: Es ist insbesondere darauf zu achten, dass die Verfahrensrechte der Parteien nicht aus Kostenüberlegungen einge-schränkt werden. Eine gerichtsinterne Führung hat aus diesem Grund sicher-zustellen, dass (falsche) Effizienzüberlegungen zu keiner Einschränkung der rechtsstaatlichen Garantien führen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass die Verfahrensrechte der Parteien beachtet werden.

513 Vgl. dazu insbesondere Teil 5, S. 272 ff. 514 STEINMANN, SGK zu Art. 30 BV, Rz. 7 f.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Das Verhältnis der Verfahrensgarantien untereinander D.

1. Spannungsfelder zwischen Verfahrensgarantien

Das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit kann zu den anderen Verfah-rensgarantien in einem Spannungsverhältnis stehen. Es stellt sich daher die Frage, ob das Unabhängigkeitsprinzip absolute Geltung beansprucht, in wel-chem Bereich dies der Fall wäre und wie es sich zu den anderen Verfahrens-garantien verhält. Dabei steht insbesondere das Verbot der Rechtsverweige-rung/-verzögerung bzw. der Anspruch auf eine Beurteilung innert angemes-sener Frist (Beschleunigungsgebot) im Zentrum der Betrachtung.515 Der Anspruch auf eine Beurteilung innert angemessener Frist widerspricht der richterlichen Unabhängigkeit unter Umständen. Insbesondere bei grossen bzw. rechtlich schwierigen Fällen könnte es sein, dass das Gericht für seine Entscheidung mehr Zeit benötigt, als an sich „angemessen“ wäre. Dasselbe Problem stellt sich, wenn ein Gericht wegen der Falllast nicht (mehr) in der Lage ist, die Fälle innert angemessener Frist zu bearbeiten und für die Beur-teilung eines Falles schlicht nicht die notwendige Zeit aufwenden kann. In solchen Fällen scheinen die beiden Prinzipien bzw. Ansprüche in einem Spannungsverhältnis zu stehen.

2. Geltung bei zwei sich widersprechenden Verfahrensgarantien?

a) Grundsatz und Ausnahme

Wie vorne dargestellt, können die Verfahrensgarantien im Prozess grund-sätzlich nicht eingeschränkt werden.516 Verfahrensgrundrechte sind von Be-ginn weg Minimalgarantien. Eine solche absolute Betrachtung macht durch-aus Sinn, wenn man die Garantien einzeln betrachtet.

Die Unabhängigkeit als organisationsrechtliches Prinzip verlangt – unabhän-gig vom Einzelfall – eine unabhängige Justiz als Grundvoraussetzung für

515 Vgl. zu Art. 29 BV ausführlich STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV. 516 Vgl. vorne, S. 107 ff.

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Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

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alle Verfahren. Entweder ist ein Gericht unabhängig oder es ist es nicht. Somit könnte die organisatorische Unabhängigkeit als Grund-Verfahrensga-rantie bezeichnet werden, da alle anderen Verfahrensgarantien ohne ein un-abhängiges Gericht keinen Sinn machen. Der Anspruch auf ein organisato-risch unabhängiges Gericht, welches unabhängig Recht spricht, ist damit absolut schützenswert.517

Hingegen können Teilgehalte der Verfahrensgarantien durchaus einge-schränkt werden, z.B. der Anspruch auf Akteneinsicht, der Anspruch auf rechtliches Gehör oder die Öffentlichkeit der Verhandlung.518

b) Das Konzept der praktischen Konkordanz

Auch wenn die Verfassungsnormen gleichrangig nebeneinander stehen, soll-te nicht vergessen werden, dass sie in ihrer Gesamtheit beanspruchen, die Rechtsordnung eines Staates zu ordnen. Trotz ihrer unterschiedlichen Aus-richtung sind sie ein einheitliches Normgebilde, weshalb sie bei der Ausle-gung und Konkretisierung aufeinander zu beziehen sind.519 Aus diesem Grund dürfen Verfassungssätze nicht isoliert betrachtet werden und es ist auf ein ganzheitliches Verfassungsverständnis abzustellen.520 Die Staatsorgane haben daher alle von der Sache berührten Verfassungsanliegen zu bedenken und diesen Anliegen auf dem Weg der Interessenabwägung zu breitest mög-licher Wirksamkeit zu verhelfen.521 Dabei sind die kollidierenden Interessen in einen möglichst schonenden Ausgleich zu bringen.522

Dieses Streben nach „praktischer Konkordanz“ setzt aber voraus, dass die entsprechenden Verfassungsnormen der harmonisierenden Auslegung und

517 Vgl. die Ausführungen im fünften Teil zur Leitung der Rechtsprechung, S. 258 ff. 518 Vgl. HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 869, Rz. 838 bzw. Rz. 857. 519 Vgl. BGE 133 I 100, 131 I 350 E. 4, 131 I 476 E. 2.2; Urteil des Bundesgerichts

1P.706/2003, E. 2; TSCHANNEN, Verfassungsauslegung, S. 159; STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 4.

520 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 4, Rz. 41. 521 HESSE, Rz. 318. 522 BGE 129 I 173 E. 5.1; BGE 126 III 129 E. 8a.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Umsetzung auch zugänglich sind. Ist auch nur einer der beteiligten Verfas-sungssätze kompromisslos formuliert, so hilft auch die praktische Konkor-danz nicht weiter bzw. ist der Widerspruch als autoritative Grenzziehung des Verfassungsgebers hinzunehmen.523

Bei den Verfahrensgarantien ist indessen davon auszugehen, dass sich der Verfassungsgeber für ein Miteinander der entsprechenden Garantien ent-schieden hat; sie stellen ein einheitliches Normgebilde dar: Sinn der Verfah-rensgarantien insgesamt ist es, ein faires Verfahren zu garantieren. Es kann damit nicht sein, dass der Verfassungsgeber eine kompromisslose Formulie-rung schaffen wollte; dies geht aus dem Text der Verfahrensgarantien der BV auch nicht hervor. Die Bestimmungen, welche die Verfahrensgarantien regeln, sind daher der harmonisierenden Auslegung und Umsetzung gemäss dem Konzept der praktischen Konkordanz zugänglich.

Das Verhältnis von Justizverwaltung und Unabhängigkeit E.

1. Grundsatz

Nach den bisherigen Ausführungen scheint klar, dass sich die Unabhängig-keit und die Justizverwaltung hinsichtlich ihres Zieles entsprechen. Dabei hat die Justizverwaltung unterstützende und beschützende Funktion, indem sie die Unabhängigkeit sicherstellt. Die Justizverwaltung geht soweit, dass die Unabhängigkeit der Justiz nicht von den anderen beiden Gewalten beein-trächtigt werden darf.

Dennoch stellen sich verschiedene Fragen bezüglich des Verhältnisses der beiden Begriffe.

2. Fragestellungen

Zunächst stellt sich die Frage, wie weit die Justizverwaltung reichen muss, damit die richterliche Unabhängigkeit umfassend gesichert erscheint. Dafür ist insbesondere der Frage nachzugehen, was es bedeutet, dass auch die Or-

523 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 4, Rz. 41.

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Spannungsfelder und Richtlinien einer justiziellen Führung

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ganisation der Rechtsprechung zur Justizverwaltung gehört, soweit diese nicht gesetzlich geregelt wurde. Wie verhält sich eine allfällige justizinterne Führung hierzu? Kann bedenkenlos davon ausgegangen werden, dass die Organisation der Rechtsprechung in die Autonomie der Justiz und damit grundsätzlich durch die Aufsichts- bzw. Oberaufsichtsbehörde prüfbar ist oder gibt es einen Bereich, der der Rechtsprechung so nahe ist, dass allen-falls der Schutz der richterlichen Unabhängigkeit diese umfassen könnte bzw. müsste? Es ist also zu beantworten, ob nicht auch intern durch die Or-ganisation des Gerichts die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wer-den kann. Auch die Geschäftslastbewirtschaftung, also die Zuteilung der Fälle auf die einzelnen Richter, kann solche Fragen aufwerfen. Im Bereich der Finanzautonomie stellen sich ebenfalls Fragen zur Unabhängigkeit, näm-lich ob die durch das Parlament zu bewilligenden Mittel für die Justiz eine indirekte Beeinträchtigung der Unabhängigkeit beinhalten könnten?

Bezüglich der Grundsätze der Justizverwaltung sind sodann das Effizienz- und das Wirksamkeitsgebot von herausragender Bedeutung. Hier stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit diese Gebote auch auf die Organisation der Rechtsprechung anwendbar sind bzw. sein sollen und wie sie sich dies-bezüglich mit der Unabhängigkeit vertragen. Es stellt sich insbesondere die wichtige Frage, inwieweit eine Führung an Gerichten überhaupt gehen kann und in welchen Bereichen die richterliche Unabhängigkeit eine solche ver-hindert.

Auch bezüglich der neueren Entwicklungen der Justizverwaltung und ihrer Auswirkungen auf die Unabhängigkeit stellen sich Fragen. Insbesondere ist zu fragen, wie die Führung an den Gerichten in Bund und Kantonen ausge-staltet ist, insbesondere, welche Strukturen und Instrumente vorhanden sind und ob es eine gesamtschweizerische Tendenz oder einen schweizweiten Konsens bezüglich der Justizverwaltung gibt. Sodann sind die in Bund und Kantonen vorhandenen Leitungsinstrumente bzw. -organe rechtlich einzu-ordnen, insbesondere ist ihre Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beurteilen.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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Das Verhältnis von Justizverwaltung und Oberaufsicht F.

Die Gewaltenteilung ist im Zusammenhang mit der Oberaufsicht über die Justiz wichtig.524 Da der Bereich der Justizverwaltung (im Gegensatz zur Rechtsprechung) der Überprüfung durch Aufsicht und Oberaufsicht zugäng-lich ist, stellen sich im Zusammenhang mit der Finanz- und Organisationsau-tonomie verschiedene Fragen: Zunächst ist abzuklären, inwieweit die Fi-nanzautonomie der Justiz überhaupt geht bzw. wo sie eingeschränkt wird. Die Justiz bekommt ihr Budget vom Parlament zugesprochen. Entsprechend kann dieses im Bereich der Finanzen indirekt Einfluss auf die Justiz nehmen.

Ebenso wurde vorne bereits festgehalten, dass die Anzahl der Richterstellen weitgehend vorgegeben ist. Insbesondere stellt aber die Tatsache, dass die Anzahl der Richter nicht von der Justiz bestimmt wird, einen gewichtigen Einbruch in die Autonomie/Unabhängigkeit der Justiz dar. Auch werden die Richter durch die erste Gewalt, d.h. das Parlament gewählt, womit ebenfalls nicht von einer umfassenden Justizautonomie die Rede sein kann. Noch wei-ter geht das vom Parlament eingeführte Controlling des Bundesgerichts. Dieses umschreibt, welche Daten das Bundesgericht zwecks Oberaufsicht an das Parlament zu liefern hat.

Demnach stellt sich in all diesen genannten Bereichen die Frage, wie sich das Prinzip der Oberaufsicht bzw. der Gewaltenhemmung gegenüber der institutionell garantierten Unabhängigkeit von Art. 191c BV verhält.

524 Vgl. hierzu S. 19 ff. bzw. S. 30 ff.; GASS/STOLZ, S. 127.

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Fazit und Überführung

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V. Fazit und Überführung

Wie vorne in Teil eins ausgeführt, hat die Justiz durch die Verfassungs- und Justizreform in den letzten Jahren an Selbstbewusstsein gewonnen. Sie wur-de verselbständigt und bekam die Justizverwaltungs-Autonomie auf Verfas-sungsebene zugesprochen. Die Justizverwaltung ist Voraussetzung für eine unabhängige und funktionierende Rechtsprechung, auch wenn es sich dabei an sich um eine Durchbrechung der funktionellen Gewaltenteilung handelt. Hingegen ist heute unbestritten, dass sich die Justiz selbst verwalten soll und muss: Es handelt sich bei der Justizverwaltung nicht nur um ein Recht, son-dern auch um eine Pflicht. Ebenso hat die Justiz im Rahmen der Justizver-waltung die Grundsätze der Effizienz und der Wirksamkeit zu beachten.

Die Justiz stellt innerhalb der Gewaltenteilung die dritte, die rechtsprechende Gewalt dar. Ihre Unabhängigkeit wird durch das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit gesichert. Auf der anderen Seite ist die Justiz mit den ande-ren Gewalten verbunden: Vor allem durch die Oberaufsicht des Parlaments hat die Justiz gegenüber der Legislative Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen. Die Oberaufsicht ist ein Element der Verbindung und Gewalten-hemmung innerhalb der Gewaltenteilung. Ebenso ist sie ein Element der Staatsleitung.525 Kontrolliert wird bei der Oberaufsicht, „ob die Gerichte Recht gesprochen hätten und ob dies ohne zu grosse Verspätung geschah.“526 Das Parlament hat hingegen nicht einzelne gerichtlich entschiedene Fälle zu überprüfen oder gar aufzuheben. Es geht nicht um eine Urteilsschelte.527 Weil die Justiz Teil der Staatsgewalt ist, hat sie auch die Strukturprinzipien der Verfassung zu beachten: Insbesondere die Elemente des Rechtsstaates, des Leistungsstaates und des Wirtschaftsstaates. Für die Justiz von grösster Bedeutung sind die Verfahrensgarantien und das Legalitätsprinzip. Diese Garantien sind als Leitlinien für die justizielle Tätigkeit zu verstehen und sollen der Justiz helfen, die in sie gesetzten Ansprüche umzusetzen.

525 Vgl. KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 71; MASTRONARDI, SGK zu Art. 169

BV, Rz. 3 ff. 526 AUBERT, Kommentar zur aBV zu Art. 85, Rz. 184. 527 EICHENBERGER, Sonderheiten, S. 78; SEILER, Parlamente, S. 9.

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Teil 2: Relevante Strukturprinzipien und Verfahrensgarantien

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In den nun folgenden Teilen drei und vier der Dissertation soll zunächst die Justizorganisation im Bund und in ausgewählten Kantonen genauer unter-sucht werden. Insbesondere die Leitungsstrukturen der Gerichte werden ausführlich zu beschreiben sein und die Frage, welche Leitungskompetenzen den Organen zukommen, wird von entscheidender Bedeutung für den Ver-gleich sein.

Der fünfte Teil beinhaltet zunächst eine theroetische Auseinandersetzung mit den Begriffen der Justizverwaltung und der Rechtsprechung und ihren Aus-wirkungen auf eine allfällige Leitung der Justiz. Es wird zu zeigen sein, dass der Begriff der Justizverwaltung verschiedenste Tätigkeiten umfasst, welche jedoch nicht alle dieselbe Behandlung erfahren sollten.

Anschliessend ist eine Auslegeordnung bezüglich der Untersuchung der Situation in Bund und Kantonen angebracht. Ebenso sind diese Entwicklun-gen mit den Ansprüchen der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen, d.h. die Spannungsfelder sind aufzulösen und es ist die Justizorganisation der Schweiz zu würdigen.

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Teil 3 Die Justizorganisation im Bund

I. Vorbemerkungen

Nachdem in den Teilen 1 und 2 die Justiz sowie ihre Stellung und Bedeutung im schweizerischen Staat erläutert und die entsprechenden staatsrechtlichen Rahmenbedingungen umschrieben wurden, geht es in Teil 3 um die Organi-sation und die Leitung der Gerichte des Bundes.

Als Erstes konzentriert sich die Darstellung auf die Situation am Bundesge-richt (II.). Danach wird auf das Bundesverwaltungsgericht eingegangen (III.) und anschliessend gibt es in Kapitel IV. einen Vergleich der Justizorganisa-tion der beiden Gerichte. Kapitel V. widmet sich der Aufsicht des Bundesge-richts über das Bundesverwaltungsgericht und Kapitel VI. der Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht. Der Teil schliesst mit einem Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation im Bund (VII.)

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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II. Die Justizorganisation des Bundesgerichts

Allgemeines A.

In der Schweiz wird die höchste Gerichtsbarkeit durch das Bundesgericht ausgeübt. Die Anforderungen an das Bundesgericht sind in den letzten Jahr-zehnten ständig gestiegen, insbesondere infolge der ständigen Zunahme der Arbeitslast.528

Seit den 1970er-Jahren gab es eine enorme Zunahme der eingegangenen Fälle am Bundesgericht. Betrug die Zahl der Fälle am Ende der 70er-Jahre rund 3000 pro Jahr, so waren es anfangs der 1990er-Jahre rund 5200 Fälle. 2010 betrug die Zahl der Neueingänge bereits 7367 Fälle. Dies entsprach einer Zunahme gegenüber dem Vorjahr von 178 Fällen oder 2.4 %.529 Im Jahr 2011 erledigte das Bundesgericht insgesamt 7327 Fälle, 2010 waren es 7424 Fälle. Durchschnittlich erledigte jeder der 38 Richter am Bundesgericht ungefähr 190 Fälle.530 Dies stellt eine sehr hohe Arbeitsbelastung dar.531 Somit kann bereits jetzt festgestellt werden, dass die mit der Revision der Bundesrechtspflege angestrebten Ziele der Entlastung des Bundesgerichts und der Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit nur teilweise erreicht wurden.532

Ebenso hielt das Bundesgericht an den beiden Medienorientierungen im März 2011 und 2012 fest, dass die Abteilungen die Geschäftslast innert an-

528 SCHUBARTH, Zusammenfassung und Rz. 4; vgl. zur Geschichte und zur Unabhän-

gigkeit der Justiz auch KRADOLFER, S. 233 ff. 529 Gemeinsame Medienmitteilung des Bundesgerichts, des Bundesstrafgerichts und

des Bundesverwaltungsgerichts zu den Geschäftsberichten 2010 vom 11. März 2011, abrufbar unter http://www.bger.ch/mm_bger_bvger_bstger_e1_d_v4.pdf, zu-letzt besucht am 14. Oktober 2013.

530 Vgl. vorherige Fussnote sowie Gemeinsame Medienmitteilung des Bundesgerichts, des Bundesstrafgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundespatentge-richts zu den Geschäftsberichten vom 9. März 2012, http://www.bger.ch /mm_ bger_bstger_bvger_bpatger_d.pdf, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

531 Vgl. dazu SCHNEIDER E., S. 93 ff. 532 Bereits vor dem Inkrafttreten des BGG WURZBURGER, Charge, S. 491 ff. sowie den

Bericht Evaluation, insbesondere 4843 f. und 4846 (Ziel eins).

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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gemessener Frist, nämlich im Durchschnitt in 126 Tagen, bewältigen konn-ten. Dafür sei es allerdings nötig, den Schwerpunkt auf die wichtigen Fälle zu legen.533

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung B.

1. Bundesverfassung (Art. 188 BV)

Für das Bundesgericht findet sich die verfassungsmässige Grundlage der Justizverwaltung in Art. 188 Abs. 2 und Abs. 3 BV. Gemäss Abs. 2 be-stimmt das Gesetz die Organisation und das Verfahren. Nach Abs. 3 verwal-tet sich das Gericht selbst. Für die Definition des Begriffs der Justizverwal-tung sei hier auf den allgemeinen Teil vorne verwiesen.534

Art. 188 Abs. 2 BV delegiert die Regelung von Organisation und Verfahren des obersten Gerichts der Schweiz an den Gesetzgeber. Dieser ist dem Auf-trag zur Gesetzgebung mit dem Erlass des BGG nachgekommen.535 In die Form eines formellen Gesetzes sind alle grundlegenden Bestimmungen zu kleiden (Art. 164 Abs. 1 lit. g BV). Dazu gehören in Bezug auf die Justiz all jene Bestimmungen, welche die Rechtsuchenden in ihren Rechten betreffen und sich auf die Rechtsprechung als solche beziehen, beispielsweise die Bestimmungen über die Aufteilung der Gerichtsabteilungen und ihrer Zu-ständigkeiten, den Ausstand von Richtern oder die Besetzung der Spruch-körper.536 Die Regelung der Verfahren vor Bundesgericht, d.h. die Bestim-mungen zu den einzelnen Rechtsmitteln, die Sachurteilsvoraussetzungen und die Entscheidfindung bis hin zu den formellen Fragen der Begründung und

533 Vgl. Fn. 530 sowie die Geschäftsberichte des Bundesgerichts der Jahre 2010 und

2011, abrufbar unter http://www.bger.ch/index/federal/federal-inherit-template/ federal-publikationen/federal-pub-geschaeftsbericht.htm, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

534 Vgl. S. 69 ff. und für eine genaue Umschreibung des Inhalts der Selbstverwaltung am Bundesgericht sogleich S. 131 ff.

535 Bzw. zunächst mit dem OG; vgl. AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 188 BV, Rz. 8 f: „Pour le reste, la Constitution est muette“.

536 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 22.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

130

Eröffnung, wurde nach Art. 188 Abs. 2 BV ebenfalls dem Gesetzgeber über-tragen und im BGG ausführlich kodifiziert.537

Art. 188 Abs. 3 BV bestimmt, dass sich das Bundesgericht „selbst verwal-tet“. Die Verankerung der Selbstverwaltung des Bundesgerichts in der BV rechtfertigt sich, weil es sich hierbei um eine Durchbrechung des funktiona-len Gewaltenteilungsprinzips handelt.538 Nach diesem Prinzip obläge die ver-waltende Tätigkeit grundsätzlich der Exekutive. Abs. 3 enthält eine Neue-rung im Vergleich zur Regelung in der BV von 1874: Die neu gewählte For-mulierung „Das Bundesgericht verwaltet sich selbst“ stärkt die Unabhängig-keit des Gerichts gegenüber der Exekutive. Mit der Aussage, dass die Ver-waltung des Bundesgerichts Sache des Gerichts selbst ist und nicht zur Bun-desverwaltung gehört, wird das Gericht vom Bundesrat separiert und in die selbständige und unabhängige Eigenverantwortung gestellt.539 Abs. 3 bein-haltet eine generelle Kompetenz des Bundesgerichts für die Regelung seiner Organisation und Verwaltung. Innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingun-gen steht es dem Gericht somit frei, wie es sich aufstellen und verwalten will.540

Die interne Gerichtsorganisation (Gerichtsbetrieb und die eigentliche Ver-waltung) ist dem Bundesgericht zur selbständigen Regelung zu überlassen, während das Gesetz nur das Notwendigste vorwegnimmt (z.B. die Festset-zung, dass es ein Präsidium gibt, etc.).541

2. Bundesgerichtsgesetz (BGG)

Das Bundesgerichtsgesetz widmet sich im ersten Kapitel der Stellung und Organisation des BGers. Das Gesetz hält fest, dass das Bundesgericht seine Organisation und Verwaltung regelt (Art. 13 BGG) und bestimmt sodann in

537 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 24. 538 SÄGESSER, Kommentar zu Art. 188 BV, Rz. 1074; KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188

BV, Rz. 30. 539 AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 188 BV, Rz. 14 ff. 540 AUBERT/MAHON, Petit commentaire zu Art. 188 BV, Rz. 16. 541 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 23.

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Art. 15 BGG, dass das Gesamtgericht ein Reglement über die Organisation und Verwaltung des Gerichts erlässt. Ebenso ist das Gesamtgericht zuständig für die Regelung der Geschäftsverteilung und die Durchführung der Auf-sicht. In Art. 22 BGG wird wiederholt, dass das Bundesgericht die Vertei-lung der Geschäfte auf die Abteilungen zu regeln hat. Art. 17 BGG befasst sich mit der Verwaltungskommission. Diese trägt die Verantwortung für die Gerichtsverwaltung.

Art. 25 BGG schliesslich wiederholt den in der BV bereits genannten Grundsatz der Selbstverwaltung (Abs. 1) und erwähnt in Abs. 2 und 3 expli-zit Dienste, Personal und Rechnung.

3. Bundesgerichtsreglement (BGerR)

Das Reglement für das Bundesgericht (BGerR)542 regelt im ersten Titel die allgemeinen organisatorischen Bestimmungen, danach die Leitungsorgane. Der zweite Titel trägt die Überschrift Organisation der Rechtsprechung und wird seinerseits in die Kapitel Abteilungen, Gerichtsschreiberinnen und Ge-richtsschreiber, Spruchkörper und Verfahren sowie Gerichtsbetrieb unter-teilt. Im dritten Titel geht es um die Gerichtsverwaltung und die Rekurs-kommission.

Organisations- und Verwaltungsautonomie C.

1. Selbstorganisation und Selbstverwaltung

Art. 13 BGG legt die Organisations- und Verwaltungsautonomie des Bun-desgerichts fest: Das Bundesgericht organisiert und verwaltet sich selbst. Die Begriffe Organisation und Verwaltung bilden ein Begriffspaar: Der Begriff „Organisation“ meint die Struktur und die personelle Ausgestaltung des Ge-richts. Die administrativen Abläufe und das Finanzwesen werden unter den

542 Reglement für das Bundesgericht vom 20. November 2006, SR 173.110.131, nach-

folgend BGerR.

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Begriff „Verwaltung“ subsumiert.543 Art. 13 BGG ist in der vorliegenden Form auf Gesetzesstufe neu.544 Die Justizverwaltung ist damit nicht Teil der allgemeinen Bundesverwaltung: Das Bundesgericht nimmt diese selbständig wahr.545 Art. 13 BGG sagt nichts darüber aus, wie die Selbstverwaltung wahrgenommen werden soll. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch für die oberste richterliche Behörde anerkannte Organisationsgrundsätze, welche für andere Bundesbehörden verbindlich sind, Geltung haben.546 Diese Grundsätze decken sich weitgehend mit den bereits im einleitenden Teil 1 besprochenen Strukturprinzipien und mit dem Legalitätsprinzip.547

In Artikel 25 BGG, welcher unter der Marginalie „Verwaltung“ steht, wird bestimmt, dass sich das Bundesgericht selbst verwaltet (Abs. 1), seine Diens-te bestellt und das nötige Personal einstellt (Abs. 2). Abs. 3 spricht sodann vom Führen einer eigenen Rechnung. Art. 25 BGG wurde unverändert aus dem Entwurf des Bundesrates übernommen und gab in den Räten zu keinen Diskussionen Anlass.548

2. Organisationsautonomie

a) Organisationsautonomie nach Art. 13 BGG

Grundsätzlich verfügt das Bundesgericht nach Art. 13 BGG über Organisati-onsautonomie. Allerdings geht diese nur soweit, als dass das Gesetz nichts bestimmt.549 Dabei geht es um jene grundlegenden Organisationsbestim-mungen, welche die Rechtsuchenden in ihren Rechten betreffen.550 So regelt

543 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 7. 544 Vgl. dazu URSPRUNG/RIEDI HUNDOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 10. 545 Botschaft Totalrevision, 4288; vgl. auch URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kom-

mentar zu Art. 13, Rz. 13; SÄGESSER, Rz. 1074. 546 Vgl. URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 9. 547 Vgl. vorne, S. 89 ff. 548 Damals handelte es sich noch um Art. 23 BGG; vgl. Botschaft Totalrevision, 4288. 549 KOLLER, S. 21. 550 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 22.

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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das Gesetz bzw. der Gesetzgeber die Anzahl der Richter, deren Wahl, die Wahl des Präsidiums und des Vizepräsidiums, den Ausstand, die Unverein-barkeiten und die Nebenbeschäftigungen der Gerichtsmitglieder.551 Im Übri-gen kann das Bundesgericht die interne Organisation, den Gerichtsbetrieb und die administrativen Angelegenheiten selbst festlegen.552 Die Selbstorga-nisation bezieht sich gemäss URSPRUNG/RIEDI HUNOLD insbesondere auf553:

- die Festlegung der Abteilungen, - die Festlegung der Richterzahl pro Abteilung, - die Zuteilung der Richter auf die Abteilungen, - die Wahl der Abteilungspräsidien, - die Zuweisung der Rechtsgebiete auf die Abteilungen, - die Spruchkörperbildung, - die Zuteilung der Gerichtsschreibenden auf die Abteilungen sowie - die Zuteilung der nebenamtlichen Richterinnen und Richter auf die

Abteilungen.

b) Konkretisierung durch Art. 25 BGG: Dienste und Personal

Das Bundesgericht richtet seine Dienste selbst ein. Diese Bestimmung ist wichtig, da die Selbstverwaltung ohne die Dienste wohl nicht umgesetzt werden könnte. Die Dienste sind dabei nicht Selbstzweck; sie sollen der Unterstützung der Rechtsprechung des obersten Gerichts und der Aufsicht über die erstinstanzlichen Gerichte dienen. Es gibt folgende Dienste am BGer: Das Generalsekretariat, die Bibliothek, den Dokumentationsdienst (und Publikationsdienst), den Informatikdienst, die Zentrale Kanzlei, die Abteilungskanzleien, den Finanzdienst, den Personaldienst, den Weibel-dienst und den Haus- und Sicherheitsdienst.554 Auch archiviert das Bundes-

551 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 11. 552 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 23; KOLLER, S. 19. 553 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 12. 554 Vgl. dazu ausführlich TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 7.

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gericht seine Akten selbständig. Dazu hat es eine Archivierungsverordnung erlassen.555

Neben den Diensten stellt das Bundesgericht seine Mitarbeitenden selbst an. Es ist für sein Personal Arbeitgeberin (Art. 3 Abs. 1 lit. e BPG).556 Das Bun-desgericht kann heute selbständig über die Anzahl der Mitarbeiter entschei-den.557 Dies ermöglicht einen flexiblen Einsatz der notwendigen Arbeitskräf-te am Bundesgericht.558 Das Bundesgericht kennt seinen Bedarf an qualifi-zierten Mitarbeitern und soll im Rahmen der vom Parlament bewilligten Mittel deshalb selbst über die Anzahl seiner Mitarbeiter entscheiden.559 Das Bundespersonalgesetz gilt auch für die Mitarbeitenden am Bundesgericht (Art. 2 Abs. 1 lit. g BPG). Das Bundesgericht hat gestützt auf Art. 37 Abs. 2 BPG eine eigene Personalverordnung erlassen.560 Nicht zum Personal des BGers gehören die Richterinnen und Richter (Art. 2 Abs. 2 lit. a BPG).

c) Die Richterstellenverordnung des Bundesgerichts

Das Gesetz delegiert in Art. 1 Abs. 5 BGG die genaue Festlegung der An-zahl Richterinnen und Richter an die Bundesversammlung und sieht selbst lediglich einen Rahmen von mindestens 35 und höchstens 45 Richtern vor.

555 Verordnung des Bundesgerichts zum Archivierungsgesetz vom 27. September

1999, SR 152.21. 556 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 12. 557 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 14; KISS/KOLLER,

SGK zu Art. 188 BV, Rz. 36. Gemäss Art. 7 OG legte früher die Bundesversamm-lung die Anzahl der bewilligten Stellen für juristisches Personal (Gerichtsschreiber und wissenschaftliche Mitarbeitende) fest.

558 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 14. 559 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 36. 560 Vgl. dazu TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 10.

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i) Die Richterstellenverordnung vom 23. Juni 2006

Mit dem Inkraftreten des BGG trat am 1. Januar 2007 (und befristet bis 31. Dezember 2011) die Richterstellenverordnung der Bundesversammlung in Kraft.561 Diese legte in Art. 1 die Anzahl der Bundesrichterinnen und -richter auf 38 ordentliche und 19 nebenamtliche fest. Ausserdem wurde da-rin in Art. 2 normiert, dass das Bundesgericht ein Controlling-System einzu-richten hat, welches dem Parlament als Grundlage für die Oberaufsicht und für die Festlegung der Anzahl der Richterinnen und Richter dient. Auch hat sich das Bundesgericht in seinem Geschäftsbericht zur Entwicklung der Ge-schäftslast und in allgemeiner Weise zu den Ergebnissen des Controllings zu äussern.

Die Bundesversammlung regelte die Anzahl der Bundesrichter durch eine Verordnung, d.h. in einem generell-abstrakten Erlass und nicht in einem (einfachen) Bundesbeschluss.562 Damit soll vermieden werden, dass die Bun-desversammlung bei jeder Wahl mit Diskussionen über die Erhöhung oder Herabsetzung der Richterzahl konfrontiert wird. Will die Bundesversamm-lung die Richterzahl senken und eine Stelle nicht mehr besetzen, so muss sie vorgängig die Verordnung ändern. Ebenso verhält es sich, wenn die Bundes-versammlung die Richterzahl erhöhen will. Wird die Zahl reduziert, so kann diese Reduktion erst nach Ablauf der Amtsdauer oder bei einem Rücktritt wirksam werden.563

Der Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates sah vor, dass die damals aktuelle Anzahl der Richter von 41 mittels Regelung in der Ver-ordnung auf 38 gesenkt werden sollte. Diese Reduktion ergab sich aus dem Vergleich von zwei Zeitperioden der Tätigkeit der Bundesgerichte sowie quantifizierbaren Aussagen über die zu erwartende Entlastungswirkung durch die neue Gesetzgebung. Die Anzahl der nebenamtlichen Richter sollte

561 Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesgericht

vom 23. Juni 2006, AS 2006 4213. 562 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 136. 563 Vgl. dazu und zum Verfahren ausführlich KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1,

Rz. 136 ff.

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19 betragen. Ebenso sah der Bericht vor, dass diese Reduktion der Richter-stellen vorerst bis Ende 2011 befristet gelten und dann einer erneuten Prü-fung unterliegen sollte, da noch nicht alle be- und entlastenden Wirkungen der Revision der Bundesrechtspflege abgeschätzt werden konnten und die definitive Festlegung auf der Basis einer umfassenden Kosten- und Organi-sationsanalyse des Bundesgerichts erfolgen sollte. Aus diesem Grunde wur-de dem Bundesgericht in der Verordnung auch die Verpflichtung auferlegt, ein Controllingverfahren einzurichten, welches erlaubt, präzise Aussagen über die Belastung des Gerichts zu machen.564

Bei der Schaffung der Richterstellenverordnung konnte das Bundesgericht (bzw. das Plenum der 41 Richter) zum Bericht Stellung nehmen.565 Es äus-serte sich zur geplanten Senkung der Anzahl der Richter sehr deutlich mit den Worten, dies sei „nicht zu verantworten“. Ebenso hielt es fest, eine sol-che Reduktion gefährde die Qualität und die Speditivität der höchstrichterli-chen Rechtsprechung; Bundesrichter seien nicht lediglich „Fall-Manager“. Es sprach auch davon, dass falls ihm nicht die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt würden, es die erfolgreiche Umsetzung des neuen BGGs nicht sicherstellen könne.566 Daraufhin antwortete der Bundesrat in seiner Stellungnahme, die Berechnung der Richterstellen erscheine „durchwegs sachlich begründet“.567

ii) Neue unbefristete Verordnung vom 30. September 2011

Seit dem 1. Januar 2012 gilt nun die neue Richterstellenverordnung vom 30. September 2011568, welche wie schon die alte Verordnung bestimmt,

564 Parlamentarische Initiative Kommission, 3475, insbesondere 3483 ff. und 3495 ff. 565 Parlamentarische Initiative Kommission und Parlamentarische Initiative Bundesge-

richt. 566 Parlamentarische Initiative Bundesgericht, 3512 f.; vgl. ebenfalls kritisch SCHWEI-

ZER, Reform, Rz. 2 f. 567 Parlamentarische Initiative Bundesrat, 3505. 568 Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesgericht

vom 30. September 2011, SR 173.110.1.

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dass das Bundesgericht aus 38 ordentlichen und 19 nebenamtlichen Richte-rinnen und Richtern besteht (Art. 1 der Verordnung). In Art. 2 Abs. 1 wird sodann ausgeführt, dass das Bundesgericht ein Controlling führt, das der Bundesversammlung als Grundlage für die Oberaufsicht und für die Festle-gung der Anzahl der Richterinnen und Richter dient. Art. 2 Abs. 2 schliess-lich besagt, dass sich das Bundesgericht in seinem Geschäftsbericht zur Entwicklung der Geschäftslast und in allgemeiner Weise zu den Ergebnissen des Controllings zu äussern hat.569 Diese neue Richterstellenverordnung wurde nicht mehr befristet.

3. Verwaltungsautonomie

Der Grundsatz der Selbstverwaltung von Art. 188 Abs. 3 BV und Art. 13 BGG wird in Art. 25 Abs. 1 BGG wiederholt und konkretisiert.

Der Artikel 25 BGG bestimmt ausdrücklich, dass sich das Bundesgericht selbst verwaltet (Abs. 1), seine Dienste bestellt und das nötige Personal ein-stellt (Abs. 2) und eine eigene Rechnung führt (Abs. 3).

Eines der wesentlichsten Elemente der Selbstverwaltung des BGers ist die Finanzautonomie: Das Bundesgericht kann im vom Gesetz bestimmten Rahmen frei über die Mittel verfügen, die ihm vom Parlament zugewiesen werden.570 Dem Bundesrat steht auch in Bezug auf die Budgeteingaben und Nachtragskreditbegehren des BGers schon von Verfassungs wegen kein Korrekturrecht zu.571 Das Bundesgericht vertritt die Entwürfe für die Voran-schläge und die Rechnungen der Eidgenössischen Gerichte vor der Bundes-versammlung sowie in den Kommissionen selbständig (Art. 142 Abs. 3 ParlG, Art. 162 Abs. 2 ParlG); es muss sich nicht mehr vom Bundesrat ver-treten lassen.572 Dieser verfügt auch nicht mehr über ein Korrekturrecht wie

569 Vgl. zum Thema Controlling, S. 150 ff. 570 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 13; vgl. dazu auch HÄFELIN/

HALLER/KELLER, Rz. 1705 sowie SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Art. 25, Rz. 3. 571 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 35. 572 Vgl. auch TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 13.

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noch unter dem alten Recht.573 Dies ist eine Auswirkung der Gleichstellung des Bundesgerichts mit dem Bundesrat.

Nach Art. 162 Abs. 2 ParlG bezeichnet das Bundesgericht ein Mitglied, das die Entwürfe der Voranschläge, die Rechnungen und die Geschäftsberichte der eidgenössischen Gerichte sowie deren Stellungnahmen zu Vorstössen, die sich auf die Geschäftsführung oder ihr Finanzgebaren bezieht, in den Räten oder deren Kommissionen vertritt. In der Regel ist dies der Bundesge-richtspräsident. Nach Abs. 3 kann er sich in den Kommissionen durch andere Personen des Bundesgerichts vertreten lassen. In den Subkommissionen sind für ihren Bereich in der Regel auch die Präsidenten der erstinstanzlichen Gerichte des Bundes zugegen.574

Das Finanzhaushaltgesetz (FHG)575 findet gemäss Art. 2 lit. b auch auf die eidgenössischen Gerichte Anwendung. Insbesondere wird die Rechnung des BGers in der Staatsrechnung des Bundes aufgeführt (Art. 5 lit. a Ziff. 3 FHG). Das Eidgenössische Finanzdepartement sorgt für den Überblick über den gesamten Finanzhaushalt des Bundes (Art. 58 Abs. 1 FHG), was zwin-gend das Miteinbeziehen der Finanzen des Bundesgerichts bedeutet. Gemäss Art. 26 Abs. 2 FHV übernimmt der Bundesrat die Anträge der eidgenössi-schen Gerichte auf Übertragung der mit ihren Vorschlägen bewilligten Kre-dite unverändert. Auch hier gilt somit der Grundsatz, dass sich der Bundesrat nicht über die Finanzanträge des BGers hinwegsetzen darf. Nichts hindert ihn dagegen, dem Parlament aus finanzpolitischen oder anderen Gründen abweichende Anträge zum Budget oder zur Rechnung des Bundesgerichts zu stellen.576

Wie alle Verwaltungseinheiten ist auch das Bundesgericht verantwortlich für die sorgfältige, wirtschaftliche und sparsame Verwendung der ihm anver-trauten Kredite und Vermögenswerte (Art. 57 Abs. 1 FHG). Dem Bundesge-

573 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 14 f. 574 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 13. 575 Bundesgesetz über den eidgenössischen Finanzhaushalt vom 7. Oktober 2005 (Fi-

nanzhaushaltgesetz FHG), SR 611.0. 576 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 14.

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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richt kommt in diesem Zusammenhang als Gegenstück zur Finanzautonomie eine gegenüber den „gewöhnlichen“ Verwaltungseinheiten erhöhte Verant-wortung im Umgang mit den ihm zugesprochenen Finanzen zu.577 Die Fi-nanzautonomie findet ihr Korrelat in der direkten Rechenschaftspflicht in Finanzfragen gegenüber dem Parlament.578

Die Leitungsorgane des Bundesgerichts und ihre Aufgaben D.

1. Allgemeines

Das BGerR regelt unter dem ersten Titel „Allgemeine organisatorische Be-stimmungen“ im ersten Kapitel die „Leitungsorgane“. Im BGG finden sich die entsprechenden Bestimmungen in den Art. 14-17. Die Leitungsorgane und ihre Aufgaben sollen nun im Folgenden genauer besprochen werden. Dabei folgt die Darstellung der Reihenfolge im BGG.

2. Das Präsidium

Art. 14 BGG bildet die Grundlage für das Präsidium. Das Präsidium des BGers besteht aus einem Präsidenten und einem Vizepräsidenten579. Präsi-dent und Vizepräsident werden aus dem Kreis der ordentlichen Richter durch die Bundesversammlung für die Dauer von zwei Jahren gewählt580. Dabei verfügt das Gesamtgericht über ein Vorschlagsrecht (Art. 15 Abs. 1

577 TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar zu Art. 25, Rz. 14, da eine Steuerung durch eine

übergeordnete Instanz fehlt. 578 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 101. Gemäss Art. 8 FKG (Finanzkon-

trollgesetz, SR 614.0) unterstehen die eidgenössischen Gesetze der Finanzaufsicht durch die Eidg. Finanzkontrolle, soweit sie der Ausübung der Oberaufsicht durch die Bundesversammlung dient.

579 Art. 14 Abs. 1 lit. a und b BGG. 580 Art. 14 Abs. 1 und 2 BGG.

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lit. e BGG). Wahlvoraussetzungen gibt es im Gesetz keine, jedoch hat die Parlamentskommission solche formuliert.581

a) Amtsdauer, Wiederwahl und Unvereinbarkeit des Präsidialamtes

Bereits unter dem alten OG wurden Präsidium und Vizepräsidium jeweils für zwei Jahre bestellt (Art. 6 Abs. 1 OG). Zu einer Wiederwahl kam es nicht.582 Die nun explizit gesetzlich festgehaltene Möglichkeit der Wieder-wahl in Art. 14 Abs. 2 BGG soll die Funktion des Präsidiums stärken und die Dauerhaftigkeit der Führung gewährleisten.583

In Art. 3 Abs. 4 BGerR wird implizit ausgeschlossen, dass ein Mitglied des (Gerichts-)Präsidiums auch ein Abteilungspräsidium innehaben kann. Da der Gerichtspräsident sowie der Vizepräsident von Gesetzes wegen Mitglieder der Verwaltungskommission sind, lässt sich eine solche Unvereinbarkeit aus Art. 3 Abs. 4 BGerR ableiten.584 Das Gesetz seinerseits schliesst dies indes-sen nicht aus.585 Diese Unvereinbarkeitsregelung mit einem Abteilungspräsi-dium betrifft auch die weiteren Mitglieder der Verwaltungskommission.586

581 Briefwechsel zwischen Ständerat Schweiger (als Präsident der zuständigen Kom-

mission) und dem Bundesgericht zur Vorbereitung der erstmaligen Besetzung des Präsidiums nach BGG. Es sind dies: Führungseignung und -erfahrung, Vertrautheit mit administrativen und finanziellen Fragen, Kommunikationsfähigkeit und Cha-risma, eine mindestens vierjährige Tätigkeit am Gericht, Höchstalter von 64 Jahren (zit. nach URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 3).

582 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 8. 583 Botschaft Totalrevision, 4283. 584 Art. 3 Abs. 4 BGerR lautet: „Es [Das Gesamtgericht, Anmerkung der Autorin] be-

stellt auf Antrag der Verwaltungskommission die Abteilungen und wählt deren Prä-sidenten und Präsidentinnen. Diese können nicht gleichzeitig Mitglieder der Ver-waltungskommission sein.“

585 Vgl. dazu auch URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 7, welche dies jedoch sehr vereinfacht wiedergeben.

586 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 7. In Realität betrifft dies also nur das dritte und einzige weitere Mitglied.

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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b) Aufgaben des Präsidiums

Der Präsident vertritt das Gericht gegen aussen.587 Der Vizepräsident vertritt und unterstützt den Präsidenten.588 Die Vertretung nach aussen beinhaltet insbesondere repräsentative Aufgaben. Dazu gehört ebenso die Vertretung des Bundesgerichts in den parlamentarischen Kommissionen (Art. 162 Abs. 2 ParlG), vor der Bundesversammlung sowie gegenüber der Öffent-lichkeit. Nach altem Recht oblag dem Präsidenten die allgemeine Geschäfts-leitung und die Überwachung der Angestellten (Art. 6 Abs. 2 OG).589 Diese Aufgaben fallen nun in die Zuständigkeit der Verwaltungskommission.590 Das Präsidium verfügt daher grundsätzlich nicht mehr über Einzelbefugnis-se.591 Allerdings ist mit dem Präsidium der Einsitz in den massgebenden Kollegialorganen verbunden, so in der Präsidentenkonferenz sowie in der Verwaltungskommission und im Gesamtgericht mit Vorsitzfunktion (Art. 14 Abs. 3 BGG). Auch beruft das Präsidium die Sitzungen von Verwaltungs-kommission und Gesamtgericht ein (Art. 1 lit. b BGerR).592 Bei den Sitzun-gen der Präsidentenkonferenz hingegen wirkt das Präsidium nur mit beraten-der Stimme mit (Art. 10 Abs. 2 BGerR). Diese beschränkte Mitbestimmung des Präsidiums erklärt sich aus der Trennung von Verwaltungs- und Recht-sprechungsaufgaben.593

587 Art. 14 Abs. 3 BGG. 588 Art. 14 Abs. 4 BGG und Art. 2 BGerR. 589 Vgl. POUDRET, Commentaire, Bd. I, Art. 6 Rz. 1 und Bd. V, Art. 6 Rz. 1;

URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 11. 590 Vgl. sogleich S. 146 ff. 591 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 11. 592 Art. 14 BGG wurde in der parlamentarischen Beratung verändert: Der Begriff

„Verwaltungskommission“ in Abs. 3 wurde an Stelle des vom Bundesrat vorge-schlagenen Begriffs der „Gerichtsleitung“ bzw. der vom Ständerat verwendeten „Geschäftsleitung“ festgelegt. Vgl. URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 17, Rz. 2 und zu Art. 14, Rz. 1.

593 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 14, Rz. 13; SEILER, BGG zu Art. 14, Rz. 7.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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3. Das Gesamtgericht

a) Gesetzliche Grundlage von Art. 15 BGG

Dieser Artikel erfuhr einige Änderungen während des Gesetzgebungsprozes-ses. Vor allem wurde der Zuständigkeitskatalog erweitert: Gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates kamen die lit. d-g hinzu.594 Ebenfalls neu war die Kompetenz zur Reglementierung der Aufsicht über die beiden erstinstanzli-chen Bundesgerichte in lit. a. Das Gesamtgericht ist das oberste Organ des Gerichts. Ihm obliegen die Erlasskompetenz in den im Gesetz abschliessend aufgezählten Sachbereichen sowie einige wichtige Wahlgeschäfte.595 Es verfügt hingegen über keine Rechtsprechungsbefugnis. Dies stellt gegenüber der Situation unter dem OG eine Änderung dar (vgl. Art. 16 Abs. 1 OG).596

b) Allgemeines

Das Gesamtgericht besteht aus den 38 ordentlichen Richterinnen und Rich-tern. Die nebenamtlichen Richter sind darin nicht eingeschlossen. Der Präsi-dent des Bundesgerichts führt den Vorsitz im Gesamtgericht (Art. 14 Abs. 3 BGG). Für die Gültigkeit eines Beschlusses des Gesamtgerichts müssen mindestens zwei Drittel aller Mitglieder des Gesamtgerichts an der Be-schlussfassung beteiligt sein; massgebend ist das absolute Mehr der Stimmen (Art. 21 Abs. 1 und 2 BGG).

Die Einberufung des Gesamtgerichts können die Verwaltungskommission, eine Abteilung oder mindestens fünf Mitglieder des Gesamtgerichts verlan-gen. Die Einberufung erfolgt durch den Präsidenten des Bundesgerichts (Art. 6 BGerR). Seit die vom Gesamtgericht zu erlassenden Reglemente bestehen, gibt es für die Durchführung von Plenarsitzungen des Gesamtge-richts nur noch selten Anlass, nämlich ein bis zwei Mal pro Jahr.

594 Vgl. SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Art. 15, Rz. 3. 595 SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Art. 17, Rz. 2. 596 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 15, Rz. 3; AESCHLIMANN,

Justizreform, Rz. 20.

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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c) Aufgaben des Gesamtgerichts

Das Gesamtgericht ist zuständig für den Erlass von Reglementen (Art. 15 Abs. 1 lit. a BGG)597, für die Wahlen nach Art. 15 Abs. 1 lit. b BGG, wobei es über zwei wichtige Wahlkompetenzen, nämlich jene der Abteilungspräsi-dien und jene der Mitglieder der Verwaltungskommission (Art. 15 lit. d und Art. 17 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 17 Abs. 3 BGG) verfügt.598 Ebenso ist das Gesamtgericht für die Verabschiedung des Geschäftsberichts zuständig (Art. 15 Abs. 1 lit. c BGG; vorbereitet wird er von der Verwaltungskommis-sion, vgl. Art. 12 Abs. 3 BGerR). Weiter bestellt das Gesamtgericht die Ab-teilungen und ihre Präsidien (Art. 15 Abs. 1 lit. d BGG) und verfügt über ein Vorschlagsrecht für Präsidium und Vizepräsidium (Art. 15 Abs. 1 lit. e BGG). Ebenso stellt es den Generalsekretär an (Art. 15 Abs. 1 lit. f BGG).

4. Die Präsidentenkonferenz

a) Allgemeines

In der Botschaft des Bundesrates finden sich keine Ausführungen zu Art. 16 BGG. Der Artikel wurde auf Vorschlag der Arbeitsgruppe BGG eingefügt. In der Folge wurde er von den Räten diskussionslos angenommen. Die Prä-sidentenkonferenz existierte bereits unter dem OG.599 Sie war jedoch auf Reglementsstufe geregelt.

Die Präsidentenkonferenz besteht aus den Abteilungspräsidenten (Art. 16 Abs. 1 BGG), welche ihrerseits vom Gesamtgericht auf Vorschlag der Ver-waltungskommission gewählt werden (Art. 15 Abs. 1 lit. d BGG). Die Präsi-dentenkonferenz konstituiert sich selbst (Art. 16 Abs. 1 BGG). Der Präsident des Bundesgerichts nimmt an den Sitzungen der Präsidentenkonferenz mit beratender Stimme teil (Art. 10 Abs. 2 BGerR), ebenso der Generalsekretär (Art. 13 Abs. 2 BGerR).

597 Vgl. ausführlich URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 15, Rz. 7. 598 Auch wählt das Gesamtgericht die Rekurskommission (Art. 35 BPG und Art. 3

Abs. 5 BGerR). 599 Vgl. dazu TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 80.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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Da sich die Themenbereiche Rechtsprechung und Verwaltung nicht immer vollständig trennen lassen, tagt die Präsidentenkonferenz ein Mal jährlich mit der Verwaltungskommission. Übergreifende Themen sind etwa die Vor-bereitung des Geschäftsberichts, die Bereinigung von Bedürfnissen der Ab-teilungen (Art. 10 Abs. 1 BGerR) oder die Beurteilung von Gesuchen um Nebenbeschäftigungen (Art. 20 Abs. 3 BGerR).

b) Aufgaben der Präsidentenkonferenz

Nach der neuen Konzeption ist die Verwaltungskommission für die organi-satorischen Aufgaben zuständig, das Gesamtgericht für die grundlegenden Fragen und die Präsidentenkonferenz beschäftigt sich mit Fragen mit Bezug auf die Rechtsprechung.600 Die Aufgaben der Präsidentenkonferenz sind im Gesetz abschliessend aufgezählt.601 Sie wurden gegenüber dem alten Regle-ment unter dem OG dahingehend eingeschränkt, als Verwaltungsaufgaben ausgenommen werden und nur noch Fragen in Zusammenhang mit der Rechtsprechung genannt sind. Allerdings hat die Präsidentenkonferenz keine Kompetenz zur Rechtsprechung im Einzellfall. Sie ist aber zuständig für den Erlass von Weisungen und einheitlichen Regeln für die Gestaltung der Urtei-le, für die Koordination der Rechtsprechung unter den Abteilungen und der Vernehmlassung zu Erlassentwürfen.

Die Präsidentenkonferenz ist im Rahmen der Koordination der Rechtspre-chung (Art. 16 Abs. 2 lit. b BGG) nicht für den Entscheid der konkreten Rechtsfrage zuständig. Vielmehr geht es um das Erkennen von koordinati-onsbedürftigen Fragen sowie die Vorkehrungen zur Einhaltung des Verfah-rens nach Art. 23 BGG. Bezüglich der Rechtsprechung kann sie sich zu Rechtsfragen, die mehrere oder alle Abteilungen betreffen, in der Form von Thesen äussern. Sie kann den Abteilungen ihre Überlegungen in Form von

600 Bericht zu den Normvorschlägen der Arbeitsgruppe Bundesgerichtsgesetz vom

16. März 2004, abrufbar unter http://www.bj.admin.ch/content/bj/de/home/the men/staat_und_buerger/gesetzgebung/abgeschlossene_projekte0/bundesrechtspfleg e.html, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013, S. 5 f.

601 Vgl. auch SEILER, BGG zu Art. 16, Rz. 5.

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Mustertexten unterbreiten.602 Die Präsidentenkonferenz hat gestützt auf Art. 37 Abs. 5 BGerR eine Richtlinie zum Verfahren der Vereinigten Abtei-lungen (Art. 23 BGG) erlassen.603 Sie entscheidet auch, welche Abteilungen von einer Rechtsfrage im Sinne von Art. 23 Abs. 2 BGG betroffen sind. Die Koordination ist umso wichtiger, als mit dem BGG eine Vereinheitlichung des Rechtsmittelsystems angestrebt wurde.604 Als koordinationsbedürftige Themen erwiesen sich seit Inkraftsetzung des BGG etwa die Frage der Zu-ständigkeit zur Beurteilung offensichtlich unzulässiger Rechtsbegehren, die Höhe der Parteientschädigung, die Zulässigkeit von Noven, die Vorausset-zungen an die Zustellfiktion, die Beschwerdelegitimation der Kantone oder die Konkretisierung des Rügeprinzips.605

Hingegen verfügt die Präsidentenkonferenz nicht mehr über die finanziellen Ressourcen für die Ersatzrichter und Gerichtsschreiber (welche sie nach Art. 24 des alten Bundesgerichtsreglements den Abteilungen zuteilte). Diese Kompetenz liegt nun bei der Verwaltungskommission. Die Verwaltungs-kommission hat die Präsidentenkonferenz generell anzuhören bei Entschei-den nach Art. 12 Abs. 1 BGerR.606

Da die Mitglieder der Präsidentenkonferenz einer Abteilung vorstehen, dient die Präsidentenkonferenz auch dem Gedankenaustausch. Dieser bezieht sich nicht nur auf Rechtsfragen, sondern auch auf die Abteilungsführung. Auch

602 Vgl. zum „schmalen Anwendungsbereich“ von Art. 16 Abs. 2 lit. b BGG SPÜHLER/

DOLGE/VOCK, Art. 16, Rz. 4; URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 16, Rz. 12.

603 Richtlinie der Präsidentenkonferenz vom 26.3.2007 zum Verfahren der vereinigten Abteilungen. Entscheidend für die Abgrenzung von Art. 23 Abs. 1 und 2 BGG ist, ob die Einheit der Rechtsprechung einen präventiven Meinungsaustausch als ange-zeigt erscheinen lässt, wobei für die Beantwortung dieser Frage von einem engen Ermessen der betreffenden Abteilungen auszugehen ist. Von einem Meinungsaus-tausch nach Abs. 2 ist nur abzusehen, wenn die entsprechende Rechtsmaterie klar zu den Kernkompetenzen einer Abteilung gehört und die übrigen Abteilungen sich nur nebenbei damit befassen.

604 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 16, Rz. 8. 605 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 16, Rz. 13a. 606 Zu diesen Entscheiden gehören die Entlastungsmassnahmen, vgl. Art. 12 Abs. 2

BGerR.

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in diesem Bereich ist ein Mindestmass an Koordination unter den Abteilun-gen sinnvoll und notwendig.607

5. Die Verwaltungskommission

a) Allgemeines

Mit der Wahl des Namens „Verwaltungskommission“ wird betont, dass sich das Gremium einzig der Aufgabe widmet, Organisation und Verwaltung des Gerichts zu regeln und die Rechtsprechung nicht umfasst. Die Verwaltungs-kommission soll das Bundesgericht administrativ führen.608 Innerhalb der Leitungsorgane kommt der Verwaltungskommission eine grosse Bedeutung zu. Sie „trägt die Verantwortung“ für die Gerichtsverwaltung (Art. 17 Abs. 4 BGG). Gegen aussen ist sie Gesprächspartnerin des Parlaments und der Kommissionen, des Bundesrats bzw. des EJPD und sie ist Aufsichtsinstanz des Bundesverwaltungs- und Bundesstrafgerichts. Innerhalb fallen ihr eine Vielzahl von Verwaltungsaufgaben zu.609

Art. 17 Abs. 1 BGG hält fest, dass die Verwaltungskommission nebst Präsi-dium und Vizepräsidium aus maximal drei weiteren Mitgliedern besteht, welche ordentliche Richter sein müssen. Sie werden durch das Gesamtge-richt gewählt. Präsidium und Vizepräsidium gehören der Kommission von Gesetzes wegen an. Das Bundesgericht hat in seinem Reglement festgehal-ten, dass die Verwaltungskommission aus drei Mitgliedern besteht; die Zahl der Mitglieder, welche durch das Gesamtgericht gewählt werden, beträgt daher eins (Art. 11 Abs. 1 lit. c BGerR). Diese sehr kleine Verwaltungs-kommission erklärt sich aus der Überlegung, dass sich so wenig Richter wie möglich mit administrativen Aufgaben befassen sollen. Sie sollen sich statt-

607 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 16, Rz. 7. 608 Vgl. dazu eingehend URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 17,

Rz. 2; AB S vom 23. September 2003, S. 882 f.; AB N vom 5. Oktober 2004 S. 1582 f.; AB S vom 8. März 2005, S. 120 ff.; AB N vom 6. Juni 2005, S. 642.

609 Vgl. Art. 17 Abs. 4 und URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 17, Rz. 14 ff.; vgl. auch das Kapitel sogleich, c).

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dessen der Rechtsprechung widmen können.610 Die Mitglieder der Verwal-tungskommission bleiben Mitglieder ihrer Abteilung. Sie werden für ihre Führungsaufgabe von der Rechtsprechung angemessen entlastet (Art. 11 Abs. 2 BGerR).

b) Aufgaben der Verwaltungskommission

Die Verwaltungskommission trägt die Verantwortung für die Gerichtsver-waltung (Art. 17 Abs. 4 BGG). Die in Art. 17 Abs. 4 aufgezählten Aufgaben sind nicht abschliessender Natur.611 Dabei hat das Bundesgericht mit seinen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln haushälterisch umzugehen und diese optimal einzusetzen.612

Neben der Verantwortung für die Gerichtsverwaltung ist die Verwaltungs-kommision für die Zuteilung der nebenamtlichen Richter auf die Abteilun-gen zuständig (Art. 17 Abs. 4 lit. a BGG) sowie für die Anstellung und Zu-teilung der Gerichtsschreiber (Art. 17 Abs. 4 lit. c BGG). Weiter ist sie auch für die Bewilligung von Nebenbeschäftigungen der ordentlichen Richter besorgt (Art. 18-23 BGerR). Eine weitere Aufgabe ist die Aufsicht über die erstinstanzlichen Bundesgerichte: Das Bundesgericht übt die Aufsicht über die Geschäftsführung von Bundesstraf-, Bundesverwaltungs- und Bundespa-tentgericht aus. Zur Konkretisierung dieser Aufgabe hat das Bundesgericht ein separates Reglement erlassen.613

Schliesslich verfügt die Verwaltungskommission auch über eine subsidiäre Verwaltungszuständigkeit. Diese wurde neu mit dem BGG geschaffen. Zu-vor verfügte das Gesamtgericht mittels einer Auffangklausel über eine sub-sidiäre Generalkompetenz. Da man aber das Gesamtgericht nur noch mit den wichtigsten Aufgaben betrauen und die Verwaltung schlanker und effizienter

610 SEILER, BGG zu Art. 18, Rz. 7. 611 SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Art. 18, Rz. 4. 612 LIENHARD, NPM, S. 36; WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 25. 613 Vgl. hinten, S. 177 f.

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gestalten wollte, ging die subsidiäre Zuständigkeit mit Inkrafttreten des BGG auf die Verwaltungskommission über.614

6. Der Generalsekretär als Stab der Leitungsorgane

Der Generalsekretär hat eine sehr wichtige Stellung innerhalb der Verwal-tungskommission. Er bereitet unter Mithilfe des Generalsekretariats die Be-schlüsse der Leitungsorgane vor und führt das Sekretariat des Gesamtge-richts, der Präsidentenkonferenz und der Verwaltungskommission (Art. 13 Abs. 3 und 1 BGerR). Er hat beratende Stimme bei den Sitzungen der Ver-waltungskommission (Art. 17 Abs. 2 BGG). Weitere Aufgaben finden sich in Art. 26 BGG und Art. 49 BGerR. Diese einflussreiche Stellung war im Rahmen der parlamentarischen Beratungen unumstritten, es gab sogar Be-mühungen, sie noch weiter zu verstärken.615

Die weiteren Organe des Bundesgerichts und ihre Aufgaben E.

1. Die Abteilungspräsidenten

Die jeweiligen Abteilungspräsidenten werden vom Gesamtgericht auf Vor-schlag der Verwaltungskommission für jeweils zwei Jahre gewählt.616 Sie bilden gemeinsam die Präsidentenkonferenz.617 Unter dem Vorbehalt der Amtszeitbeschränkung ist eine Wiederwahl zulässig. Der Abteilungsvorsitz darf nicht länger als 6 Jahre ausgeübt werden (Art. 19 Abs. 3 BGG).618 Be-züglich der Abteilungspräsidenten besteht eine Einschränkung im BGerR: Gemäss Art. 3 Abs. 4 BGerR können die Abteilungspräsidenten nicht gleich-zeitig Mitglieder der Verwaltungskommission sein.

614 Vgl. für eine Übersicht die Zusammenstellung bei URSPRUNG/RIEDI HUNOLD,

BGG-Kommentar zu Art. 17, Rz. 19. 615 Der Ständerat wollte den Generalsekretär von Gesetzes wegen als vollwertiges

Mitglied in die Verwaltungskommission aufnehmen, AB 2003 S. 892 f. 616 Art.15 Abs. 1 lit. d BGG und Art. 19 BGG. 617 Vgl. zur Präsidentenkonferenz ausführlich vorne, S. 143. 618 Vgl. dazu ausführlich FÉRAUD, BGG-Kommentar zu Art. 19, Rz. 6.

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In der Rechtsprechung leiten die Präsidenten der Abteilungen die Instruktion der Verfahren, sie können diese Aufgabe aber auch an andere Richter dele-gieren (Art. 32 Abs. 1 BGG). Weiter ist der Abteilungspräsident für die Zu-teilung der Fälle zuständig sowie für die Bildung der entsprechenden Spruchkörper (Art. 40 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BGerR). Ebenso entscheidet er darüber, ob eine mündliche Verhandlung stattfindet (Art. 57 BGG). Weiter obliegen dem Präsidenten Angelegenheiten in vereinfachten Verfahren (Art. 108 BGG).

Der Abteilungsvorsitz wird durch den Präsidenten oder die Präsidentin aus-geübt. Im Gegensatz zum Gerichtspräsidium ist das Amt eines Vizepräsiden-ten in der Abteilung nicht vorgesehen.

2. Die Vereinigten Abteilungen

Die Vereinigung umfasst alle ordentlichen Richter der betreffenden Abtei-lungen. Geleitet wird die Vereinigung vom Vorsitzenden der Präsidenten-konferenz (Art. 37 BGerR). Art. 23 BGG dient der Koordination der Recht-sprechung innerhalb des Bundesgerichts in zwei Fällen: bei Praxisänderun-gen und bei Präjudizien (Art. 23 Abs. 1 und 2 BGG). Diese Koordination soll eine einheitliche Rechtsprechung gewährleisten und gegensätzliche Ent-scheide zu identischen Rechtsfragen vermeiden helfen.619 Zur Vereinigung der Abteilungen kommt es demnach in zwei Fällen (Art. 23 Abs. 1 und 2 BGG): Erstens, wenn eine Abteilung eine „Praxisänderung“ beschliessen will, die einen früheren Entscheid einer anderen Abteilung betrifft.620 Dies darf nur auf Beschluss der Vereinigung aller betroffenen Abteilungen ge-schehen (Art. 23 Abs. 1 BGG). Zweitens muss die Zustimmung der Verei-nigten Abteilungen eingeholt werden, wenn eine Abteilung eine offene Rechtsfrage von präjudizieller Bedeutung entscheiden muss, die mehrere

619 BIAGGINI/HAAG, BGG-Kommentar zu Art. 23, Rz. 2. 620 Vgl. zum genauen Begriff der Praxisänderung BIAGGINI/HAAG, BGG-Kommentar

zu Art. 23, Rz. 8.

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Abteilungen betrifft (Art. 23 Abs. 2 BGG).621 Es handelt sich dabei um eine Art Vorlageverfahren: Das Verfahren vor dem erkennenden Spruchkörper wird ausgesetzt. Nach Klärung der Rechtslage mittels eines Beschlusses der Vereinigung der betroffenen Abteilungen setzt das Verfahren beim erken-nenden Spruchkörper wieder ein. Dieser ist an den Beschluss der Vereini-gung der betroffenen Abteilungen gebunden (Art. 23 Abs. 3 BGG).622 Die Beschlüsse der Vereinigten Abteilungen können an einer Sitzung oder auch auf dem Zirkulationsweg erlassen werden.

Führungsinstrumente und Controlling am Bundesgericht F.

Das Bundesgericht kennt verschiedene Arten von Statistiken. Es gibt öffent-liche Statistiken und solche für den internen Gebrauch. Ebenso führt das Bundesgericht ein sogenanntes „Controlling“.

1. Öffentliche Führungsstatistiken

Heute gibt es am Bundesgericht genügend statistisches Datenmaterial, an-hand dessen der Geschäftsgang verfolgt werden kann. Für die Öffentlichkeit zugänglich sind die im Geschäftsbericht enthaltenen Statistiken. Diese ent-halten Daten über die Anzahl und Art der Geschäfte nach der Natur der Streitsache, die Entwicklung der Geschäfte anhand der Natur der Streitsache im Vergleich zum Vorjahr, die Verfahrensdauer, die Art der Erledigung nach der Verfahrensart, die Erledigungsquotienten, die Entwicklung der Ge-schäftslast und die Erledigungsquote nach Abteilung. Ebenso sind Angaben zum Personal und zu den Finanzen zu finden.623

621 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 43, Rz. 5; BIAGGINI/HAAG, BGG-Kommentar zu

Art. 23, Rz. 18 ff. 622 BIAGGINI/HAAG, BGG-Kommentar zu Art. 23, Rz. 3. 623 Vgl. die Geschäftsberichte des Bundesgerichts der Jahre 2010 und 2011, abrufbar

unter http://www.bger.ch/index/federal/federal-inherit-template/federal-publika tionen/federal-pub-geschaeftsbericht.htm, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013; LIENHARD, Controlling, Rz. 11; TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 89 ff.

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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Die Geschäftsprüfungskommission und die parlamentarische Gerichtskom-mission erhalten zusätzlich zu den im Geschäftsbericht veröffentlichten Da-ten Zugang zu weiteren Zahlen:624 Insbesondere erhalten sie Einblick in die Entwicklung der Pendenzen sowie die Geschäftslast, geordnet nach Rechts-materien. Auch die mittlere und die höchste erreichte Prozessdauer, geordnet nach Abteilungen sowie die durchschnittlichen Fallkosten bilden Teil der zur Verfügung gestellten Daten. Ebenso Teil der Information sind Daten über das Verhältnis des Zeitaufwandes für die Rechtsprechung und demjenigen für die Gerichtsleitung und die Verwaltung. Ferner werden die durchschnitt-lichen Fallzahlen und Bearbeitungszeiten der Gerichtsschreibenden offen gelegt. Bei den Richtern werden die durchschnittliche Referatsdauer und die durchschnittlichen Fallzahlen der Mitwirkung als Referent und der Mitwir-kung ohne Referent angegeben (pro Abteilung und Gesamtgericht). Die Ge-richtskommission wird schliesslich über schwerwiegende Mängel bei einzel-nen Richtern informiert, sofern diese Mängel eine Wiederwahl in Frage stel-len könnten.625

2. Interne Führungsstatistiken

Intern stehen dem Bundesgericht zusätzlich zu den im Geschäftsbericht ver-öffentlichten Statistiken weitere Daten zur Verfügung. Sie beruhen auf der elektronischen Geschäftskontrolle, welche vom Bundesgericht entwickelt wurde.626

Jeder Verfahrensschritt wird erfasst und das elektronische Programm erlaubt es den Abteilungspräsidenten und der Verwaltungskommission, alle wichti-gen Informationen über die Fallzuteilung an Richter und Gerichtsschreiber, über die Zahl und Art der hängigen Geschäfte, über den Status und den

624 Vgl. LIENHARD, Controlling, Rz. 12; vgl. zur Gerichtskommission auch MARTI K.,

Gerichtskommission, Rz. 2 ff. 625 LIENHARD, Controlling, Rz. 12. 626 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 91.

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Stand der Geschäfte, geordnet nach Rechtsgebiet, Verfahren oder Abteilung, über die Dauer der Verfahren, etc. abzurufen.627

3. Controlling

a) Gerichtsinternes Controlling

Gerichtsintern zeigt das Controlling verschiedene Führungsinformationen. So können die Gerichtsleitung, sprich die Verwaltungskommission sowie die Abteilungspräsidenten mittels eines Statistikprogramms verschiedene Infor-mationen abrufen, so z.B.:

- die Fallzuteilung, - die Zahl der hängigen Geschäfte, - den Stand der Verfahren, - die Verfahrensdauer, - die Belastung nach Sprachen, - das Belastungsprofil der Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber

sowie - die Anzahl der erledigten Dossiers der einzelnen Richterinnen und

Richter.628

Auch die monatliche Redaktionskontrolle liefert wichtige Hinweise: Dort werden alle Fälle unter Angabe des zuständigen Urteilsredaktors aufgeführt, die seit mehr als drei Monaten entschieden, aber noch nicht redigiert sind. Für die Urteilsredaktoren werden überdies in den Abteilungen Erledigungs-statistiken geführt.629

627 AESCHLIMANN, Justizrefom, Rz. 27 und TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement,

S. 91. Letzterer spricht davon, dass die Abteilungspräsidenten und die „Gesamtge-richtsleitung“ diese Informationen abrufen können. Vgl. zum Steuerungsinstrumen-tarium auch vorne, S. 81 ff.

628 AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 26 f.; LIENHARD, Controlling, Rz. 13. 629 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 91 f.

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Die Leistungen der Richter und Gerichtsschreiber sowie die Berichte der Abteilungen über die mehr als zwei Monate hängigen Fälle werden zu Be-ginn jedes Jahres in der Präsidentenkonferenz unter Beizug der Verwal-tungskommission besprochen. Für die Gerichtsschreiber gibt es überdies eine besondere Statistik, welche nach Abteilung und Sprache gegliedert wird. Die Eingänge geben das theoretische Belastungsprofil auf während die Erledigungen den tatsächlichen Arbeitsverlauf widergeben.630

b) Externes Controlling in der Verordnung über die Richterstellen am

Bundesgericht

Die Verordnung über die Richterstellen am Bundesgericht sieht in Art. 2 vor, dass das Bundesgericht ein Controlling zu führen hat. Auch äussert sich das Bundesgericht in seinem Geschäftsbericht zur Entwicklung der Geschäftslast und zu den Ergebnissen des Controllings.631 Die GPK erhält ausserdem fol-gende Controlling-Daten: Die tabellarische Entwicklung der Pendenzen und Entwicklung nach Abteilungen, durchschnittliche Fallkosten pro Abteilung und Gesamtgericht, einen Bericht über die Spruchkörperbildung sowie An-gaben über die durchschnittliche Anzahl angefertigter Referate und Mitwir-kungen pro Richter, alles aufgeschlüsselt nach Abteilungen und Gesamtge-richt. Hingegen werden der GPK grundsätzlich keine individualisierbaren bzw. personenbezogenen Statistiken abgegeben, weil das den Kernbereich richterlicher Tätigkeit tangieren würde.632

Die Abteilungen G.

Die Abteilungen des Bundesgerichts sind organisatorische Einheiten, die in einem bestimmten Zuständigkeitsbereich die Rechtsprechungsaufgabe wahr-nehmen.633 Das BGG bestimmt in Art. 18, dass Abteilungen zu bilden sind,

630 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 92. 631 Vgl. vorne, S. 136. 632 RASELLI, Unabhängigkeit, S. 11; zum Spannungsfeld des Controllings in der Justiz

LIENHARD, Controlling, Rz. 5. 633 FÉRAUD, BGG-Kommentar zu Art. 18, Rz. 1.

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enthält aber keine Vorschriften über die Anzahl der Abteilungen oder die Verteilung der Zuständigkeiten.634 Dies entspricht dem Grundsatz der Orga-nisationsautonomie des Bundesgerichts. Bei der Bildung der Abteilungen hat das Bundesgericht die anerkannten Organisationsgrundsätze zu beachten.635 Gemäss BGerR besteht das Bundesgericht aus sieben Abteilungen (Art. 26 Abs. 1 BGerR): Je zwei sind dabei für die Rechtsgebiete des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts vorgesehen, dazu kommt eine Abteilung für die Strafrechtsfälle. Vervollständigt wird die Abteilungsorganisation mit zwei sozial-rechtlichen Abteilungen. Eine Abteilung besteht aus fünf bis sechs ordentlichen Richtern (Art. 26 Abs. 3 BGerR). Die Abteilungen organisieren sich vorbehältlich BGG und BGerR selbst (Art. 27 BGerR).

Art. 18 Abs. 2 BGG und Art. 26 Abs. 4 und 5 BGerR bestimmt, dass bei der Bestellung der Abteilungen die fachlichen Kenntnisse der Richter sowie die Amtssprachen angemessen zu berücksichtigen sind. Die angemessene Ver-teilung der Amtssprachen auf die Abteilungen des Bundesgerichts stellt in der viersprachigen Schweiz ein wichtiges Anliegen dar.636

Die Geschäftsverteilung H.

Unter dem Begriff der Geschäftsverteilung ist grundsätzlich zweierlei zu verstehen: Einerseits die Festlegung der Abteilungszuständigkeiten, d.h. die Verteilung der Geschäfte auf die Abteilungen und anderseits die Regelung, welche Richter im Einzelfall an der Entscheidfindung mitwirken (Bildung der Spruchkörper bzw. abteilungsinterne Geschäftsverteilung). Beide Aspek-

634 Vgl. noch zum alten Recht Art. 12 und Art. 122 OG, welche die Abteilungen vor-

gab und in groben Zügen die Zuständigkeiten der einzelnen Abteilungen bestimm-te.

635 FÉRAUD, BGG-Kommentar zu Art. 18, Rz. 1; dies sind u.a. die Gesetzmässigkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit, vgl. URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 9.

636 Demnach werden den Abteilungen mit sechs Mitgliedern zwei französischsprachi-ge Richter zugeteilt, jenen mit fünf Richtern ein oder zwei französischsprachige Richter. Pro Abteilung wird höchstens ein italienisch-sprachiger Richter zugeteilt.

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te werden im BGerR geregelt.637 Art. 15 BGG, welcher die Zuständigkeiten des Gesamtgerichts beschreibt, bestimmt in Abs. 1 lit. a unter anderem, dass dieses für die Geschäftsverteilung zuständig ist. Art. 22 BGG hält weiter fest, dass das Bundesgericht die Verteilung der Geschäfte auf die Abteilun-gen nach Rechtsgebieten, die Bildung der Spruchkörper sowie den Einsatz der nebenamtlichen Richter und Richterinnen durch Reglement bestimmt.

Im BGerR findet sich die wichtigste Bestimmung zur Geschäftsverteilung in Art. 36: Abs. 1 hält fest, dass für die Zuteilung eines Geschäfts an eine Ab-teilung die Rechtsfrage massgeblich ist, auf der das Schwergewicht der Ent-scheidung liegt. Im Einzelfall kann von dieser Regel abgewichen werden, wenn die Natur des Geschäfts oder die Konnexität mit anderen Geschäften es gebieten; diesfalls einigen sich die Präsidenten der betroffenen Abteilun-gen (Abs. 2). Sollte dies nicht gelingen, so entscheidet der Präsident des Bundesgerichts (Abs. 3).

Die Richterinnen und Richter I.

1. Wahl und „Arten“ von Richtern

Art. 1 Abs. 3 und 4 BGG bestimmen, dass sich das Bundesgericht aus or-dentlichen und nebenamtlichen Richterinnen und Richtern zusammensetzt. Die ordentlichen Richter sind die von der BV nach Art. 5 BGG in ein Voll-amt gewählten Personen. Gewählt werden die Bundesrichter von der Verei-nigten Bundesversammlung (Art. 157 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 168 Abs. 1 BV). Die Gerichtskommission bereitet die Wahlen vor (Art. 40a ParlG).638 Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre (Art. 145 BV, Art. 9 Abs. 1 BGG). Wählbar als Bundesrichter sind grundsätzlich alle in eidgenössischen Ange-legenheiten stimmberechtigten Personen (Art. 143 BV). Es ist jedoch üblich,

637 Vgl. zur Spruchkörperbildung sogleich, S. 158. 638 Vgl. MARTI, Entstehung, S. 17 f.

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dass die Bundesrichter über eine juristische Ausbildung verfügen und einer politischen Partei angehören.639

2. Die Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter

Art. 1 Abs. 3 BGG legt für die Anzahl der ordentlichen Bundesrichter einen Rahmen fest. Anders als im früheren OG wird der Bestand der vollamtlichen Mitglieder des BGers nicht mit einer festen Zahl im Gesetz fixiert, sondern mit einem Rahmen. Der vorgesehene Rahmen soll es der Bundesversamm-lung ermöglichen, mit der nötigen Flexibilität auf die jeweilige Geschäftslast am Bundesgericht zu reagieren.640 Mit der Festlegung eines Rahmens von 35-45 Richtern orientiert sich der Gesetzgeber an der vor der Justizreform bestehenden Grösse des BGers von 41 ordentlichen Richtern. Die Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter wird durch eine Parlamentsverord-nung geregelt.641 Diese sieht in Art. 1 lit. a eine Anzahl von 38 ordentlichen Richterinnen und Richtern vor.

Damit das Gericht seinem verfassungsmässigen Auftrag nachkommen und die erforderlichen Abteilungen bestellen kann, legt das Gesetz in seinem Rahmen nicht nur eine Höchst-, sondern auch eine Mindestzahl an ordentli-chen Richterpersonen fest.642

3. Die Rechtsstellung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter

Die ordentlichen Bundesrichter gelten als „Magistratspersonen“, sie stehen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des Bundes und verfügen über ein eigenes Personalstatut und beziehen eine Besoldung sowie ein Ru-

639 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 2996, zur politischen Auswahl der Bundesrichter ins-

besondere Rz. 2998. 640 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 123. 641 Vgl. vorne, S. 136. 642 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 120.

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Die Justizorganisation des Bundesgerichts

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hegehalt.643 Ihre Rechtsstellung richtet sich im Wesentlichen nach Art. 6-12 BGG. Die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung ist den ordentlichen Richterinnen und Richtern verwehrt. So legt Art. 1 Abs. 3 BGG die Zahl der Richterinnen und Richter fest und nicht die Anzahl Richterstellen.644

Ebenso haben die Bundesrichter eine Rechtsstellung, die mit derjenigen der Bundesräte vergleichbar ist: Sie verfügen über straf- und zivilrechtliche Im-munität für Handlungen im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Stellung (vgl. Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 und 2 VG sowie Art. 11 BGG). Ebenso un-terstehen sie keiner disziplinarischen Verantwortlichkeit.645

Die Besoldung der Bundesrichter ist wie bei den Bundesräten im Bundesge-setz vom 6. Oktober 1989 über die Besoldung und berufliche Vorsorge der Magistratspersonen geregelt.646 Während der Amtsperiode können die Bun-desrichter nicht abgesetzt werden; weder Verfassung noch Gesetz sehen diese Möglichkeit vor.647

4. Einfluss der Justizreform auf die Bundesrichter

Die explizite Normierung des Art. 191c BV (richterliche Unabhängigkeit) war einer der wesentlichen Punkte der Justizreform. Indirekt wurde dadurch die Stellung der Richter gegenüber den anderen Staatsorganen stark aufge-wertet.648 Mit der Schaffung von erstinstanzlichen Bundesgerichten sowie

643 FISCHBACHER, S. 174; Sie unterstehen nicht dem Bundespersonalrecht (Art. 2

Abs. 2 lit. a BPG); Bundesgesetz über die Besoldung und berufliche Vorsorge der Magistratspersonen vom 6. Oktober 1989 (SR 172.121) mit dazugehöriger Verord-nung (SR 172.121.1); vgl. auch AS 2006 1245.

644 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 120. 645 RHINOW/SCHEFER, Rz. 3000. 646 Bundesgesetz vom 6. Oktober 1989 über die Besoldung und berufliche Vorsorge

der Magistratspersonen, SR 172.121. 647 Anderes gilt kraft Gesetzesbestimmung bei den Bundesstraf- und Bundesverwal-

tungsrichtern. 648 Vgl. dazu FISCHBACHER, S. 40.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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dem Ausbau der kantonalen Vorinstanzen sollte eine weitere Entlastung des höchsten Schweizer Gerichts erreicht werden.649

Die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber J.

Gemäss Art. 24 BGG wirken die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschrei-ber bei der Instruktion der Fälle und bei der Entscheidfindung mit. Ausser-dem erarbeiten sie unter Verantwortung eines Richters Referate und redigie-ren die Entscheide.650 Die Bestimmung von Art. 24 BGG wird in Art. 38 BGerR genauer ausgeführt. So hat jeder ordentliche Richter Anrecht auf einen persönlich zugeteilten Gerichtsschreiber. Zusätzlich zu den bereits im Gesetz aufgelisteten Aufgaben der Gerichtsschreiber nennt das BGerR die Führung des Protokolls, die Mitteilung des Dispositivs an die Parteien und die Beaufsichtigung der Kanzlei bei der Erledigung der Urteile. Auch kann der Instruktionsrichter einen Gerichtsschreiber ermächtigen, in seinem Na-men eine Instruktionsverfügung zu unterzeichnen (Art. 38 Abs. 4 BGerR). Die Gerichtsschreiber verfügen über beratende Stimme in der mündlichen Verhandlung und im Verfahren auf dem Weg der Aktenzirkulation (Art. 24 Abs. 1 BGG und Art. 39 BGerR).

Die Bildung der Spruchkörper K.

Das BGG bestimmt in Art. 20 Abs. 1, dass die Abteilungen in der Regel in einer Besetzung von drei Richtern/-innen entscheiden. Diese bilden den so-genannten Spruchkörper. Bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder auf Antrag eines Richters wird in Fünferbesetzung entschieden (Abs. 2). Der Spruchkörper wird vom Präsidenten der zuständigen Abteilung gebildet (Art. 40 Abs. 1 BGerR). Für die Bildung der Spruchkörper sind in Art. 40 BGerR verschiedene weitere Kriterien vorgesehen, z.B. die Ausgewogenheit der Belastung der einzelnen Richterpersonen, die Muttersprache, die spezifi-schen Fachkenntnisse und das Geschlecht.

649 Erläuterungen VE 95, S. 19. 650 Vgl. ausführlich UEBERSAX, BGG-Kommentar zu Art. 24, Rz. 23 ff.

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Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts

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III. Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung A.

1. Bundesverfassung

Für das Bundesverwaltungsgericht findet sich keine direkte verfassungsmäs-sige Grundlage zur Justizverwaltung. Art. 191a Abs. 2 BV, die verfassungs-rechtliche allgemeine Grundlage für das Bundesverwaltungsgericht, spricht lediglich von der Bestellung einer richterlichen Behörde in öffentlichrecht-lichen Streitigkeiten.

2. Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG)

Auf Gesetzesstufe enthält das Verwaltungsgerichtsgesetz (VGG) im dritten Abschnitt des ersten Kapitels Bestimmungen zu Organisation und Verwal-tung (Art. 14 ff. VGG). Es hält zunächst fest, dass das BVGer seine Organi-sation und Verwaltung regelt (Art. 14 VGG) und bestimmt sodann in Art. 16 Abs. 1 lit. a, dass das Gesamtgericht ein Reglement über die Organisation und Verwaltung des Gerichts erlässt. Ebenso ist das Gesamtgericht zuständig für die Regelung der Geschäftsverteilung und die Aufsicht. Art. 15 VGG widmet sich dem Präsidium, Art. 16 VGG dem Gesamtgericht und Art. 17 VGG der Präsidentenkonferenz. Art. 18 VGG befasst sich mit der Verwal-tungskommission, welche die Verantwortung für die Gerichtsverwaltung trägt. Art. 27 VGG schliesslich statuiert den Grundsatz der Selbstverwaltung (Abs. 1) und erwähnt in Abs. 2 und 3 explizit Dienste, Personal und die ei-gene Rechnung.

3. Verwaltungsgerichtsreglement (VGR)

Das Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht (VGR)651 regelt im ersten Kapitel die verschiedenen „Organe“ des Bundesverwaltungsge-

651 Geschäftsreglement für das Bundesverwaltungsgericht (VGR) vom 17. April 2008,

SR 173.320.1.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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richts, beginnend mit dem Gesamtgericht, dem Präsidium, der Verwaltungs-kommission, der Präsidentenkonferenz und schliesslich dem Generalsekreta-riat. Im 2. Kapitel des VGR geht es um die Organisation der Rechtsprechung und im 3. Kapitel um die Geschäftsabwicklung und das Verfahren.

Bereiche der Justizverwaltung B.

Das Bundesverwaltungsgericht verfügt über eine ausgeprägte Rechtset-zungs- und Organisationsautonomie (Art. 14 und 27 VGG). Ebenso verfügt es über Finanz- (Art. 27 VGG)652 sowie Personalautonomie (Art. 27 Abs. 2 VGG). Damit besitzt das Bundesverwaltungsgericht eine erhebliche und umfassende Autonomie.653

Die Organe und ihre Aufgaben C.

1. Das Präsidium

Die Vereinigte Bundesversammlung wählt auf Antrag des Gesamtgerichts den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 15 Abs. 1 VGG). Vizepräsident und Präsident bilden das Präsidium. Dieses wird für eine Dauer von zwei Jahren gewählt. Eine einmalige Wie-derwahl ist zulässig. Der Präsident führt auch den Vorsitz im Gesamtgericht und in der Verwaltungskommission. Er repräsentiert das Gericht gegen aus-sen.654

652 Wobei diese allerdings im Bereich von Voranschlag, Rechnung und Geschäftsbe-

richt insoweit nicht vollständig ist, als diese von einem Mitglied des Bundesge-richts in den Räten und Kommissionen vertreten werden, vgl. RHINOW/KOLLER/ KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1457; MOOR/FLÜCKIGER/MARTENET, S. 523. Dies ist ein Ausfluss der Aufsichtsbefugnis des Bundesgerichts, vgl. hinten S. 177 ff.

653 SCHWEIZER, Bundesverwaltungsgericht, S. 28. Diese Autonomie wird notwendi-gerweise durch die Aufsicht des Bundesgerichts beschränkt, vgl. S. 177 ff.

654 RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1433.

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Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts

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2. Das Gesamtgericht

Das Gesamtgericht besteht aus allen Richterinnen und Richtern des Gerichts und stellt sozusagen die Legislative des Bundesverwaltungsgerichts dar.655 Es gibt eine ganze Reihe von Zuständigkeiten, welche in Art. 16 Abs. 1 VGG und Art. 1 VGR aufgelistet sind: Das Gesamtgericht erlässt Regelun-gen über Organisation und Verwaltung, die Geschäftsverteilung, die Infor-mation und die Gerichtsgebühren. Es wählt die Abteilungspräsidenten und hat eine subsidiäre Generalkompetenz bei Wahlen. Zu den wichtigsten Auf-gaben des Gesamtgerichts zählen weiter der Erlass von Reglementen, der Entscheid über Veränderungen des Beschäftigungsgrades der Richter wäh-rend der Amtsdauer, die Bestellung der Abteilungen und die Verabschiedung des Geschäftsberichts. Präsidiert wird das Gesamtgericht durch den Präsi-denten des BVGers (Art. 15 Abs. 3 VGG). Das Gesamtgericht ist das oberste Organ des Bundesverwaltungsgerichts.656

3. Die Präsidentenkonferenz

Die Präsidentenkonferenz besteht aus den Präsidenten der Abteilungen (Art. 17 VGG). Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts kann an den Sitzungen der Präsidentenkonferenz mit beratender Stimme teilnehmen (Art. 14 Abs. 1 VGR). Da sich die Präsidentenkonferenz selbst konstituiert, wählt sie auch ihren Präsidenten selbst (Art. 14 Abs. 3 VGR).

Die Präsidentenkonferenz ist zuständig für den Erlass von Weisungen und einheitlichen Regeln für das Zirkulationsverfahren sowie die Gestaltung und Anonymisierung der Urteile (Art. 17 Abs. 2 VGG; Art. 14 Abs. 2 lit. a VGR). Im ersten Amtsjahr erliess die Präsidentenkonferenz beispielsweise Richtlinien zum Schriftenwechsel und zur Akteneinsicht.657 Insbesondere ist die Präsidentenkonferenz gemäss Art. 17 Abs. 2 lit. b VGG und Art. 14

655 BANDLI, Bundesverwaltungsgericht, S. 200. Dass das Gesamtgericht aus allen

Richtern besteht, folgt aus Art. 16 Abs. 2 VGG, welcher für gültige Beschlüsse des Gesamtgerichts eine Teilnahme von 2/3 aller Richter verlangt.

656 RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1434. 657 Vgl. genauer RYTER, S. 68.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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Abs. 2 lit. b VGR für die Koordination der Rechtsprechung verantwortlich. Vorbehalten bleiben nach Art. 25 VGG Fälle von Praxisänderungen und Präjudizien, wo die betroffenen Abteilungen oder die Vereinigung der be-troffenen Abteilungen einer Entscheidung zustimmen müssen. Ebenso ist die Präsidentenkonferenz zuständig für den Antrag an die Verwaltungskommis-sion betreffend die Verteilung der Geschäfte bei einer Umteilung von Grup-pen von Geschäften, abweichend von Art. 23 VGR nach Art. 24 Abs. 4 VGR.

4. Die Verwaltungskommission

a) Zusammensetzung

Die Verwaltungskommission des BVGer setzt sich aus dem Präsidenten (welcher hier ebenfalls den Vorsitz inne hat), dem Vizepräsidenten sowie höchstens drei weiteren Richtern zusammen, wobei der Generalsekretär mit beratender Stimme an den Sitzungen teilnimmt.658 Die Mitglieder der Ver-waltungskommission dürfen nicht zugleich Präsidenten einer Abteilung des Verwaltungsgerichts sein (Art. 11 Abs. 2 VGR).

b) Aufgaben und Stellung der Verwaltungskommission

Die Verwaltungskommission trägt die „Verantwortung für die Gerichtsver-

waltung“, sie führt das Bundesverwaltungsgericht in administrativer Hin-sicht.659 Bezüglich der Aufgaben der Verwaltungskommission nennt Art. 18 Abs. 4 VGG beispielsweise die Verabschiedung des Entwurfs für Voran-schlag und Rechnung (lit. a, vgl. auch Art. 11 Abs. 3 lit. a VGR) oder die Anstellung der Gerichtsschreibenden und deren Zuteilung an die Abteilun-gen auf deren Antrag (lit. b). In Art. 18 Abs. 4 lit. g VGG wird dann gene-ralklauselhaft ein Vorbehalt für „sämtliche weiteren Verwaltungsgeschäfte,

658 Art. 15 Abs. 3 VGG; Art. 18 Abs. 1 und 2 VGG und Art. 11 Abs. 1 VGR. 659 Diese Führung bezieht sich auf die Organisation und die Verwaltung. Art. 18 Abs. 4

VGG; BANDLI, Bundesverwaltungsgericht, S. 200; RHINOW/KOLLER/KISS/THURN-HERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1438.

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Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts

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die nicht in die Zuständigkeit des Gesamtgerichts oder der Präsidentenkonfe-renz fallen“, angebracht. Damit verfügt die Verwaltungskommission über eine subsidiäre Generalkompetenz auf dem Gebiet der Verwaltungsgeschäf-te. Art. 11 Abs. 3 VGR nennt die im Gesetz genannten Aufgaben der Ver-waltungskommission ebenfalls, und fügt weitere hinzu:

- die Massnahmen zur Bewältigung der Geschäftslast (lit. b), - die Anordnung der Aushilfe von Richtern und Richterinnen in anderen

Abteilungen (lit. e), - Personalentscheide, die Richter oder Gerichtsschreiber betreffen

(lit. g), - die Aufsicht über den Generalsekretär und dessen Stellvertretung

(lit. j), - Grundsatzentscheide betreffend die Registratur, Dossierführung und

Archivierung (lit. k.), - die Genehmigung der Zuteilung der Richter an die Kammern, des

Kammerpräsidiums, der Richtlinien betreffend die Verteilung der Ge-schäfte auf die Kammern und den Schlüssel der Geschäftsverteilung (lit. l).

Neben diesen Aufgaben ist die Verwaltungskommission zuständig für vo-rübergehende Entlastungsmassnahmen, z.B. für die Anordnung eines über den Einzelfall hinausgehenden Einsatzes eines Richters in einer anderen Abteilung (Art. 18 Abs. 3 VGR, vgl. auch Art. 11 Abs. 3 lit. e VGR). Dies gilt auch für die vorübergehende Umteilung von Gruppen von Geschäften zur Ausgleichung der Geschäftslast; hier stellt die Präsidentenkonferenz Antrag (Art. 24 Abs. 4 VGR).

5. Der Generalsekretär

Gemäss Art. 28 VGG steht der Generalsekretär der Gerichtsverwaltung (ein-schliesslich der wissenschaftlichen Dienste) vor. Er führt das Sekretariat des Gesamtgerichts, der Präsidentenkonferenz und der Verwaltungskommission. Im VGR befasst sich Art. 15 eingehend mit den Aufgaben des Generalsekre-

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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tärs.660. Der Generalsekretär hat an den Sitzungen der Verwaltungskommis-sion, des Gesamtgerichts und der Präsidentenkonferenz beratende Stimme und nimmt an deren Sitzungen teil (Art. 18 Abs. 2 VGG und Art. 15 Abs. 2 VGR). Ihm kommt damit eine zentrale Stellung zu.661

6. Die Vereinigung der betroffenen Abteilungen

Die Vereinigung der betroffenen Abteilungen hat bei Praxisänderungen und Präjudizien eine Art Vetorecht. Art. 25 Abs. 1 VGG bestimmt, dass eine Abteilung eine Rechtsfrage nur dann abweichend von einem früheren Ent-scheid entscheiden kann, wenn die Vereinigung der betroffenen Abteilungen zustimmt. Dasselbe gilt für eine Praxisänderung (Art. 25 Abs. 2 VGG). Der Beschluss der Vereinigung der betroffenen Abteilungen ist für die Antrag stellende Abteilung bei der Beurteilung des Streitfalles verbindlich (Art. 25 Abs. 3 VGG). In Art. 22 VGR wird das Verfahren der Entscheidfindung in der Vereinigung näher beschrieben.662

Die Abteilungen D.

Es gibt am Bundesverwaltungsgericht fünf Abteilungen (Art. 18 VGR). Aufgrund der Grösse der Abteilungen werden diese weiter in jeweils zwei Kammern gegliedert (Art. 25 Abs. 1 VGR).663 Art. 23 VGR regelt die grund-sätzlichen Zuständigkeiten der Abteilungen nach Bereichen. Die Abteilun-gen werden jeweils für zwei Jahre bestellt. Dies ist Aufgabe des Gesamtge-

660 So ist er insbesondere für die Vorbereitung der Rechnung, des Voranschlag und des

Finanzplan sowie für die Kontrolle des Finanzwesens und auch für die Vorberei-tung und Ausführung von Personalentscheiden, welche Richter und Gerichtsschrei-ber betreffen zuständig (Art. 15 Abs. 1 lit. c und e VGR).

661 RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1439. 662 Nach Art. 22 Abs. 1 VGR führt der amtsälteste Abteilungspräsident den Vorsitz.

Falls alle Abteilungen betroffen sind, so führt der Präsident des BVGers den Vor-sitz. Der Vorsitzende hat sodann ein Gerichtsmitglied zu bezeichnen, welches einen Bericht über die zu entscheidende Rechtsfrage erstellt (Art. 22 Abs. 2 VGR).

663 Dadurch wird die Grösse der Kammer auf ungefähr 5 Personen beschränkt. Vgl. RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 1448.

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Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts

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richts auf Antrag der Verwaltungskommission (Art. 19 VGR). Gemäss Art. 21 VGR organisieren sich die Abteilungen vorbehältlich VGG und VGR selbst.

Die Abteilungs- und die Kammerpräsidenten E.

1. Die Abteilungspräsidenten

Im VGG findet sich ausschliesslich in Art. 20 eine Bestimmung zu den Ab-teilungspräsidenten. Art. 20 Abs. 1 VGG bestimmt, dass die Präsidenten der Abteilungen jeweils auf zwei Jahre gewählt werden. Ein Artikel, welcher die Aufgabe und die Stellung der Abteilungspräsidenten definieren würde, findet sich nicht.

Auch im VGR fehlt im 1. Kapitel über die Organe ein Artikel zu den Abtei-lungspräsidenten bzw. zu deren Aufgaben. Das Reglement betrachtet die Abteilungspräsidenten nicht als „Organe“ des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Abteilungspräsidenten werden jedoch in verschiedenen Artikeln er-wähnt: Nach Art. 31 VGR verteilen die Abteilungspräsidenten die Geschäfte gemäss Art. 26 VGR auf die Kammern.664 Dabei werden sie vom sogenann-ten Bandlimaten, einem Computerprogramm zur automatischen Fallzutei-lung, unterstützt.665 Der Abteilungspräsident kann jedoch die automatische Verteilung der Geschäfte ändern, sollte ihm dies notwendig erscheinen. Sol-che Eingriffe hat er zu begründen. Auch in Art. 24 Abs. 3 VGR werden die Abteilungspräsidenten erwähnt. Sie haben sich zu einigen über die Ge-schäftszuteilung, wenn von den allgemeinen Regeln der Zuteilung in Art. 23 VGR abgewichen werden muss, z.B. wegen der Natur des Geschäfts, seinem Zusammenhang mit andern Geschäften oder zur Ausgleichung der Ge-schäftslast. Art. 11 Abs. 2 VGR hält sodann ausdrücklich fest, dass die Mit-

664 Art. 26 VGR hält fest, dass die Abteilungen Richtlinien über die Verteilung der

Geschäfte auf die Kammern erlassen. Diese Richtlinien müssen der VK zur Ge-nehmigung vorgelegt werden.

665 Vgl. dazu FELBER, Computer, Rz. 1 ff., welcher den Bandlimaten für eine durch-dachte Umsetzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter bezeichnet.

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glieder der Verwaltungskommission nicht zugleich das Amt eines Abtei-lungspräsidenten innehaben können.

2. Die Kammerpräsidenten

Eine Abteilung gliedert sich in zwei Kammern. Der einen Kammer steht gemäss Art. 25 Abs. 3 VGR der Abteilungspräsident vor. Der Präsident der zweiten Kammer wird von den Richtern der Abteilung nach den Regeln von Art. 20 VGG bestellt.666 Die Verwaltungskommission muss den Kammer-präsidenten bestätigen. Die Aufgaben der Kammerpräsidenten werden in Art. 25 Abs. 5 VGR beschrieben. Sie sind u.a. innerhalb der Kammer zu-ständig für die Zuteilung der Geschäfte an die Richter (lit. a), die Bestim-mung des Spruchkörpers (lit. b) oder für die Übertragung von Aufgaben an die Gerichtsschreiber (lit. f). Der Kammerpräsident teilt den Richterinnen und Richtern die eingegangenen Fälle mit einem automatisierten Computer-programm zu, dem sogenannten Bandlimaten. Der mittels Bandlimat be-stimmte Instruktionsrichter ist zuständig für das Einholen von Beweismitteln und die Anhörung beider Parteien zu den jeweiligen Gegenargumenten.

Die Richterinnen und Richter F.

Die Stellung der Richter wird in Art. 5 ff. VGG geregelt. Die Bestimmungen im VGG entsprechen im Allgemeinen jenen des BGG für die Bundesrichter: Auch sie werden für die Amtszeit von 6 Jahren durch die Bundesversamm-lung gewählt (Art. 9 bzw. Art. 5 VGG).667 Einzig Art. 10 VGG enthält eine Spezialregelung: Der Artikel regelt die Amtsenthebung der Bundesverwal-tungsrichter im Falle von vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Amtspflichten (lit. a) oder im Falle des Verlustes der Fähigkeit, das Amt auszuüben (lit. b). Eine entsprechende Bestimmung existiert für die Bundes-richter nicht.

666 Art. 25 Abs. 3 VGR: Dies bedeutet, dass der Kammerpräsident ebenfalls für zwei

Jahre gewählt wird und er nicht länger als sechs Jahre Kammerpräsident sein kann. 667 Vgl. zur Stellung der Richter vorne, S. 9.

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Die Justizorganisation des Bundesverwaltungsgerichts

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Die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber G.

Die Aufgaben der Gerichtsschreibenden werden in Art. 26 VGG und Art. 29 f. VGR beschrieben: Sie wirken bei der Instruktion der Fälle und bei der Entscheidfindung mit und haben beratende Stimme (Art. 26 Abs. 1 VGG). Art. 26 VGG entspricht wortwörtlich Art. 24 BGG. Anders als am Bundesgericht gibt es jedoch im VGR keine Bestimmung, welche eine per-sönliche Zuteilung der Gerichtsschreiber fordern würde (vgl. Art. 38 Abs. 1 BGerR). Die Zuteilung und Unterstellung der Gerichtsschreibenden ist Sa-che der Abteilungen (Art. 30 VGR).

Die Führungsinstrumente H.

Bezüglich allfälliger Führungsinstrumente lässt sich für das Bundesverwal-tungsgericht eher wenig sagen. Die rechtlichen Grundlagen äussern sich nicht zu gerichtsinternen Führungsinstrumenten. BANDLI hält fest, dass am Bundesverwaltungsgericht ein gerichtsinternes Controlling sowie ver-schiedenste Verfahrensstatistiken bestehen.668 Er führt weiter aus, dass nicht jedes Dossier denselben Aufwand verursacht und dass aus diesem Grund eine objektive Fallgewichtung vorgenommen werden sollte.669

Die Geschäftsverteilung und die Bildung der Spruchkörper I.

Art. 24 VGG bestimmt, dass das BVGer die Verteilung der Geschäfte auf die Abteilungen nach Rechtsgebieten sowie die Bildung der Spruchkörper durch Reglement regelt. Art. 24 Abs. 1 VGR enthält die Grundbestimmung, dass für die Zuteilung eines Geschäfts an eine Abteilung die Rechtsfrage massgebend ist, auf der das Schwergewicht der Entscheidung liegt. Damit

668 Vgl. BANDLI, Effizienz, Rz. 5; BANDLI, Bundesverwaltungsgericht, S. 207. 669 BANDLI, Effizienz, Rz. 5. Das Bundesverwaltungsgericht hat aus diesem Grund das

„Projekt Geschäftslastbewirtschaftung“ ins Leben gerufen und liess ein unabhängi-ges Gutachten durch das kpm-Institut der Universität Bern in Zusammenarbeit mit dem IRP-HSG der Universität St.Gallen erstellen. Vgl. Fn. 690.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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erfolgt die Zuteilung grundsätzlich nach Art. 23 VGR.670 Innerhalb der Ab-teilungen verteilen gemäss Art. 31 Abs. 1 VGR die Abteilungspräsidenten die Geschäfte. Sie teilen diese nach Art. 26 VGR auf die Kammern auf. Der Kammerpräsident ist sodann zuständig für die Zuteilung an die Richter (Art. 25 Abs. 5 VGR).

Art. 21 VGG bestimmt, dass die Abteilungen in der Regel in der Besetzung von drei Richtern als Spruchkörper entscheiden. Eine Fünferbesetzung wird gewählt, wenn der Präsident bzw. die Präsidentin dies im Interesse der Rechtsfortbildung oder der Einheit der Rechtsprechung anordnet (Abs. 2). Art. 32 VGR beschäftigt sich mit der Bildung der Spruchkörper. Dabei be-zeichnet der Kammerpräsident das zweite und dritte Mitglied des Spruch-körpers.671 Gemäss Art. 31 Abs. 2 VGR können die Kammerpräsidenten die Geschäfte auch einem anderen Richter für die Instruktion und Fallerledigung zuteilen, wenn sie nicht selbst die Verfahrensleitung übernehmen.

670 Art. 24 Abs. 2 enthält eine Ausnahmeregelung für die Zuteilung nach Art. 23 VGR:

Aufgrund der Natur des Geschäfts, seinem Zusammenhang mit einem anderen Ge-schäft oder zur Ausgleichung der Geschäftslast kann von Art. 23 abgewichen wer-den.

671 Vgl. Art. 32 Abs. 1 VGR; vgl. für die Situation bei einer Fünferbesetzung Art. 32 Abs. 3 VGR.

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Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich

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IV. Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich

Allgemeines A.

1. Gemeinsames Inkrafttreten der Gesetze

BGG und BGerR traten am 1. Januar 2007 in Kraft. Ebenso trat das VGG am 1. Januar 2007 in Kraft. Das VGR indessen trat etwas später, am 1. Juni 2008 in Kraft.

2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Gerichte

Die Gerichte des Bundes unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Der erste und wohl wichtigste Punkt ist, dass das Bundesverwaltungsgericht ein erstinstanzliches (Bundes-)gericht ist. Es wurde primär geschaffen, um das Bundesgericht zu entlasten. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht in den Aufgabenbereichen der beiden Gerichte. Das Bundesgericht hat als Ver-fassungsgericht zusätzliche Aufgaben, über welche das Bundesverwaltungs-gericht nicht verfügt. Ein weiterer Unterschied ist die Grösse der Gerichte: Während das Bundesverwaltungsgericht das mit Abstand grösste Schweizer Gericht darstellt, ist das Bundesgericht relativ klein.

Gesetze und Reglemente der beiden Gerichte im Vergleich B.

1. Zwillingsgesetze BGG und VGG

BGG und VGG sind sehr ähnlich aufgebaut. Das erste Kapitel beider Geset-ze steht unter der Überschrift „Stellung und Organisation“. Der dritte Ab-schnitt dieses Kapitels widmet sich bei beiden Gesetzen der Organisation und Verwaltung. Zunächst wird der Grundsatz festgehalten, dass das Gericht seine Organisation und Verwaltung regelt: Die Art. 13 BGG und Art. 14 VGG stimmen wörtlich überein.

Anschliessend widmen sich beide Gesetze den Organen, wobei ersichtlich wird, dass die beiden Gesetze bis auf wenige Ausnahmen identisch sind: BGG und VGG regeln ihre identisch bezeichneten Organe in derselben Rei-

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henfolge. Ebenso haben die Organe bis auf wenige Einzelheiten dieselben Aufgaben. Art. 27 VGG und Art. 25 BGG, welche die Verwaltung näher regeln, entsprechen sich ebenfalls wörtlich. Damit wird der Wille des Ge-setzgebers deutlich, die beiden Gerichte – mutatis mutandis – in Sachen Justizverwaltung gleichzustellen.

Ein erster Vergleich der beiden Gesetze zeigt somit das Bild von sich fast vollständig entsprechenden Gesetzestexten: Man könnte von Zwillings-Gesetzen sprechen. Ruft man sich in Erinnerung, dass die beiden Gesetze gleichzeitig entstanden und zeitgleich in Kraft traten, so erstaunt dies wenig.

2. Vergleich der Reglemente

Während der Vergleich der beiden Gesetze praktisch nur Übereinstimmun-gen zeigt, präsentiert sich die Situation der Reglemente etwas anders. Es gibt neben Gemeinsamkeiten durchaus wichtige Unterschiede. Bereits die Grundgliederung der beiden Reglemente unterscheidet sich: Das BGerR gliedert sich in Titel, Kapitel und Abschnitte während sich das VGR nur in „Organe“ und Abschnitte unterteilt. Ebenso lässt sich feststellen, dass das VGR umfangreicher ist als das BGerR.

Vom Aufbau hingegen gleichen sich die beiden Reglemente. Das VGR wie das BGerR regeln die Organe gleich zu Beginn. Danach folgen in beiden Reglementen die Bestimmungen zur Organisation der Rechtsprechung und anschliessend die Bestimmungen zum Verfahren. Das VGR ist ausführlicher als das BGerR.

Das erste Kapitel des BGerR steht unter der Überschrift „Leitungsorgane“ während das VGR dieselben Regelungen unter die Überschrift „Organe“ stellt. Auch folgt die Regelung der Organe einer anderen Ordnung: Während das BGerR zunächst das Präsidium, gefolgt vom Gesamtgericht, der Präsi-dentenkonferenz und der Verwaltungskommission regelt, stellt das VGR das Gesamtgericht an die erste Stelle. Danach folgen das Präsidium, die Verwal-tungskommission, die Präsidentenkonferenz und schliesslich das General-sekretariat.

Ein weiterer Unterschied besteht bei der Regelung des Generalsekretärs. Im BGerR stehen die Bestimmungen über das Generalsekretariat, die Dienste

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Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich

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und Rekurskommission in einem separaten Titel mit der Überschrift „Ge-richtsverwaltung und Rekurskommission“. Das erste Kapitel dieses dritten Titels trägt den Titel „Generalsekretariat und Dienste“. Im VGR wird das Generalsekretariat hingegen gleich nach den anderen Organen reglementiert. Ein Titel mit der Überschrift Gerichtsverwaltung existiert im VGR nicht.

3. Fazit

Die beiden Gesetze BGG und VGG wurden gleichzeitig entworfen und tra-ten auch gemeinsam in Kraft. Neben diesem zeitlichen Aspekt erscheinen die beiden Gesetze auch von ihrem Aufbau und Inhalt her als zusammenge-hörend: Insbesondere enthalten die beiden Gesetze wortwörtlich dieselbe Regelung zur Justizverwaltung. Die kleinen Unterschiede, die auszumachen sind, lassen sich mit der unterschiedlichen Stellung der beiden Gerichte er-klären: Das Bundesgericht ist das oberste Gericht der Schweiz, während das Bundesverwaltungsgericht in vielen Fällen als Vorinstanz des Bundesge-richts dient.

Die Reglemente der Gerichte zeigen ebenfalls ihre Verwandtschaft, sowohl im Aufbau als auch in den einzelnen Regelungen. Trotzdem merkt man, dass die Urheber der Regelungen die jeweiligen Gerichte sind und sich die Vor-stellungen nicht überall decken. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Reglement insbesondere vermieden, wie das Bundesgericht von „Leitungsorganen“ zu sprechen. Damit wird deutlich, dass das Bundesver-waltungsgericht die entsprechende Bezeichnung, wie sie im BGerR verwen-det wird, nicht übernehmen wollte. Es stand – zumindest bei der Schaffung des Reglements – einer Leitung wohl etwas skeptischer gegenüber als das Bundesgericht. In dieselbe Richtung weist die Reihenfolge, welche das VGR bei der Präsentation der Organe wählt: Es stellt das Gesamtgericht an den Anfang und deutet damit an, dass diesem Organ für das Zusammenwachsen des Gerichts eine sehr hohe Bedeutung zugemessen wurde. Diese Wahl, sich nicht für Leitungsorgane, sondern für den Terminus „Organe“ zu entschei-den und den ersten Platz dem Gesamtgericht einzuräumen, kann mit der Neuschaffung des Gerichts und seinem Ziel, aus den verschiedenen vorher bestehenden Rekurskommissionen ein Gericht zu formen, erklärt werden. Weiter fällt auf, dass das BGerR in Bezug auf die Präsidentenkonferenz viel

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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weniger konkret ist als das VGR, obwohl sich die Gesetzestexte diesbezüg-lich ebenfalls entsprechen.

Die Leitungsorgane der beiden Gerichte im Vergleich C.

1. Gleiche Strukturen

Bereits bei einem oberflächlichen Vergleich fällt auf, dass die Organe der beiden Gerichte gleich heissen. Auch gibt es kein Organ, das es beim ande-ren Gericht nicht auch gäbe: Die Strukturen entsprechen sich.

2. Andere Gewichtung und Reihenfolge in den Reglementen

Hingegen entsprechen sich die Reihenfolgen im BGerR und im VGR nicht: Das VGR beginnt mit dem Gesamtgericht, während das BGerR zunächst das Präsidium behandelt. Dann folgt im BGerR das Gesamtgericht und die Prä-sidentenkonferenz, während im VGR – nach dem Präsidium – sofort die Verwaltungskommission folgt und erst danach auf die Präsidentenkonferenz eingegangen wird.

Diese Umkehr in der Nennung des Gesamtgerichts und des Präsidiums des VGR gegenüber dem BGerR sagt wie bereits oben umschrieben einiges aus über die Gewichtung der Organe sowie das Selbstverständnis der beiden Gerichte. Auch die Nicht-Übernahme des Titels „Leitungsorgane“ lässt da-rauf schliessen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Priorität bei der Schaffung des Reglements nicht auf die Leitung des Gerichts, sondern auf dessen Zusammenwachsen legte. Für diese These spricht auch, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Reglement das Gesamtgericht als erstes nennt.

3. Vergleich der Organe auf gerichtlicher Ebene

Für die abteilungsübergreifenden Organe bestehen die nötigen Führungsor-gane und die Aufteilung der Aufgaben erscheint grundsätzlich als sinnvoll.

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Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich

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a) Vergleich der Präsidien

Die Präsidien beider Gerichte haben dieselben Aufgaben: Sie repräsentieren das Gericht nach aussen. Auch vertreten sie das Gericht in den parlamentari-schen Kommissionen, vor der Bundesversammlung und in der Öffentlich-keit.

b) Vergleich der Gesamtgerichte

Die Gesamtgerichte sind jeweils oberstes Organ. Sie verfügen über die Er-lasskompetenz z.B. bezüglich Organisation und Verwaltung oder die Ge-schäftsverteilung. Auch verabschieden sie den Geschäftsbericht. Ebenso verfügen sie über wichtige Wahlkompetenzen (z.B. der Abteilungspräsiden-ten). Dadurch bestimmt das Gesamtgericht indirekt die Zusammensetzung der Präsidentenkonferenz. Wie bereits vorne angedeutet, nimmt die Bedeu-tung des an sich obersten Organs der beiden Gerichte eher ab: Seine Rolle beschränkt sich heute im Wesentlichen auf die Verabschiedung des Ge-schäftsberichts und die Wahlen.

c) Vergleich der Präsidentenkonferenzen

Die Präsidentenkonferenzen sind zuständig für Fragen der Rechtsprechung: Sie erlassen Weisungen für die Gestaltung der Urteile und sind zuständig für die Koordination der Rechtsprechung unter den Abteilungen. Allerdings sind sie nicht für den Entscheid von konkreten Rechtsfragen zuständig, sondern ihre Aufgabe besteht darin, koordinationsbedürftige Fragen als solche zu erkennen und den Vereinigten Abteilungen zuzuweisen. Praxisänderungen und Präjudizien sind generell von der Beurteilung durch die Präsidentenkon-ferenzen ausgenommen und den Vereinigten Abteilungen zugewiesen. Die Stellung der Präsidentenkonferenzen von Bundes- und Bundesverwaltungs-gericht entspricht sich somit im Wesentlichen.

Durch die generelle Nicht-Entscheidung von Rechtsfragen und der Ausnah-meregelung für Praxisänderungen und Präjudizien wird der eigentliche Be-reich der Rechtsprechung de facto dem Einfluss der Präsidentenkonferenz entzogen und den Vereinigten Abteilungen zugewiesen. Die Aufgaben der

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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Präsidentenkonferenz erweisen sich damit als relativ überschaubar, wenn auch hinsichtlich der Rechtsprechung als indirekt wichtig.

d) Vergleich der Verwaltungskommissionen

Die Verantwortung bezüglich der Justizverwaltung liegt bei beiden Gerich-ten bei den Verwaltungskommissionen. Insbesondere haben sie die Verab-schiedung des Entwurfs von Voranschlag und Rechnung vorzunehmen und sie sind zuständig für die Massnahmen zur Bewältigung der Geschäftslast. Sie verfügen über eine subsidiäre Generalkompetenz für Aufgaben, die nicht in die Zuständigkeit anderer Organe fallen. Ein Unterschied liegt darin, dass die Verwaltungskommission des BGers zusätzlich auch die Aufsicht über die erstinstanzlichen Bundesgerichte ausübt.

4. Vergleich der Stellung und Aufgaben der Abteilungspräsidenten

Den Abteilungspräsidenten an beiden Gerichten ist gemeinsam, dass ihre Regelung sowohl im Gesetz als auch in den Reglementen sehr kurz und be-schränkt gehalten ist: Sie fristen ein eigentliches Schattendasein. Dies er-staunt, gibt es doch auf der Stufe der Abteilungen sonst keine Führungsorga-ne. Auch die Nicht-Erwähnung der Abteilungspräsidenten in der Rubrik der Organe bzw. Leitungsorgane in VGR und BGerR bestätigt den Eindruck, dass man auf die Regelung der Abteilungen wenig Wert legte und das Au-genmerk auf jene Organe richtete, welche für das gesamte Gericht massge-bend sind. Die Regelungen zu den Abteilungspräsidenten erscheinen neben-sächlich, eine eigentliche Führungsstruktur fehlt.

Die Abteilungspräsidenten am Bundesgericht haben eine etwas stärkere Stel-lung als ihre Kollegen am Bundesverwaltungsgericht: Sie entscheiden selb-ständig über die Zuteilung der Fälle zum Referat. Auch bilden sie die Spruchkörper und führen die Instruktion. Sie entscheiden, ob eine mündliche Verhandlung stattfindet.

Die Abteilungspräsidenten am Bundesverwaltungsgericht hingegen richten sich bei der Zuteilung der Fälle nach dem Bandlimaten, einem Zuteilungs-computer. Der Abteilungspräsident kann dabei die Zuteilungseinstellungen anpassen, wenn z.B. eine Änderung über längere Zeit vorgenommen werden

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Die Justizorganisation von Bundesverwaltungs- und Bundesgericht im Vergleich

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muss. Diese Anpassungen sind zu begründen.672 Am Bundesverwaltungsge-richt ist nicht vorgesehen, dass der Abteilungspräsident alle Fälle selbst in-struiert.

Interessanterweise wird die Aufgabe der Abteilungspräsidenten somit bei beiden Gerichten im Bereich der Fallverteilung, der Bildung der Spruchkör-per oder im Zusammenhang mit verfahrenstechnischen Entscheiden (münd-liche Verhandlung, Öffentlichkeit, etc.) und in der eigentlichen Rechtspre-chung (Instruktion) gesehen.

Fazit D.

Es lässt sich feststellen, dass in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten mit der Justizreform und der neuen BV fortschrittliche Entwicklungen gemacht worden sind. Von besonderer Bedeutung für die Justiz ist der heute weitge-hend unbestrittene Anspruch der Gerichte auf Selbstverwaltung. Dies hat dazu geführt, dass die dritte Gewalt im Bund unabhängiger von den beiden anderen Gewalten geworden ist.

Beim Vergleich der rechtlichen Grundlagen hat sich gezeigt, dass sich die gesetzlichen Grundlagen in BGG und VGG fast entsprechen. Es gibt nur sehr minime Unterschiede, welche sich durch die Stellung der Gerichte bzw. die Neuschaffung des Bundesverwaltungsgerichts erklären lassen. Bei den Reglementen wird ebenfalls klar, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Erstellung des VGR sehr ans BGerR angelehnt hat. Dennoch gibt es gewisse Unterschiede, insbesondere die Darstellung der Organe in anderer Reihenfolge oder die Nichtwahl des Begriffs „Leitungsorgan“.

Beim Vergleich der Organe ergibt sich ebenfalls grösstenteils eine Überein-stimmung. Insbesondere die Aufgaben und die Stellung der Präsidentenkon-ferenzen bzw. jene der Abteilungspräsidenten präsentieren sich bei beiden

672 Natürlich werden Kriterien wie Sprache und Grad der Anstellung vom Programm

berücksichtigt.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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Gerichten als gleich fraglich. In Bezug auf diese Organe wird später in dieser Dissertation auf allfällige Änderungsmöglichkeiten hinzuweisen sein.673

673 Vgl. S. 338 ff.

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Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte

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V. Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte

Entstehung der zweistufigen Aufsicht A.

Die Frage, welche Behörde die Aufsicht über die erstinstanzlichen Gerichte im Bund übernehmen sollte, wurde eingehend diskutiert. Der Bundesrat wollte die Gerichte nur der Oberaufsicht durch das Parlament unterstellen, weil er selber aufgrund der Verstärkung der richterlichen Unabhängigkeit nicht mehr als Aufsichtsinstanz in Frage kam. Die Unterstellung unter eine andere zusätzliche Aufsichtsbehörde befand der Bundesrat als schwerfällig und unnötig und die Übertragung einer Aufsichtskompetenz ans Bundesge-richt erschien ihm als sachfremde Aufgabe, wovon das Bundesgericht aber gerade zu entlasten sei.674 Das Parlament indessen hat in der Folge anders entschieden und dem Bundesgericht die administrative Aufsicht über die Geschäftsführung der erstinstanzlichen Gerichte übertragen.675 So wurde ein zweistufiges Aufsichtsmodell eingeführt: Zunächst amtet als Aufsichtsin-stanz das Bundesgericht, danach folgt als zweite Stufe die Oberaufsicht durch die Bundesversammlung.676

Gesetzliche Regelungen B.

In der Folge wird anhand der gesetzlichen Grundlagen die Aufsicht des Bundesgerichts über das Bundesverwaltungsgericht näher betrachtet. Im Grundsatz sind Gerichte nicht kontrollfrei: Sie haben administrative, organi-

674 Botschaft Totalrevision, 4258 f.; KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 63 ff.;

METZ, Rz. 1. 675 AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 30; KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 62,

welcher darauf hinweist, dass die Aufsicht im Rahmen der Justizreform „kein Thema“ war.

676 RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Rz. 389; KOLLER, BGG-Kom-mentar zu Art. 1, Rz. 67. Begründet wurde dieses zweistufige Modell damit, dass das Bundesgericht als Fachinstanz besser geeignet sei, allfällige Defizite bei den unteren Gerichten zu erkennen und zu sanktionieren.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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satorische und ressourcenmässige Vorgaben durch die übergeordnete Justiz-behörde zu dulden.677

1. BGG

Art. 1 Abs. 2 BGG spricht dem Bundesgericht die Kompetenz zu, die Auf-sicht über die Geschäftsführung des Bundesstrafgerichts und des Bundes-verwaltungsgerichts auszuüben. Art. 15 Abs. 1 lit. a BGG bestimmt sodann weiter, dass das Gesamtgericht für die Aufsicht über die beiden erstinstanzli-chen Bundesgerichte zuständig ist. Art. 17 Abs. 4 lit. g BGG gibt der Ver-waltungskommission die Kompetenz „zur Wahrnehmung der Aufsicht über das Bundesstraf- und Bundesverwaltungsgericht.“

2. VGG

Art. 3 Abs. 1 VGG bestimmt, dass das Bundesgericht die „administrative Aufsicht über die Geschäftsführung des Bundesverwaltungsgerichts“ aus-übt.678 Art. 3 Abs. 2 VGG bestimmt weiter, dass die Oberaufsicht durch die Bundesversammlung ausgeübt wird. Art. 3 Abs. 3 VGG besagt sodann, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesgericht jährlich seinen Entwurf für den Voranschlag sowie seine Rechnung und seinen Geschäftsbericht zu Handen der Bundesversammlung unterbreitet.

3. Aufsichtsreglement des Bundesgerichts

Das Reglement des Bundesgerichts betreffend die Aufsicht über das Bun-desstrafgericht, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundespatentgericht regelt die Durchführung der Aufsicht genauer.

677 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 106. 678 Vgl. zum verwirrenden Begriff der „administrativen Aufsicht“ METZ, Rz. 3 und

Rz. 7. Gemäss MEYER/TSCHÜMPERLIN, Rz. 1, bedeutet dies, dass die Rechtspre-chung von der Aufsicht ausgenommen sei.

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Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte

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a) Grundsatz

Die administrative Aufsicht obliegt der Verwaltungskommission, welche durch das Generalsekretariat des BGers unterstützt wird (Art. 1 Abs. 1 Auf-RBGer). Art. 1 Abs. 3 AufRBGer behält sodann die Oberaufsicht durch die Bundesversammlung vor. Das Bundesgericht hat in seinem Geschäftsbericht der Oberaufsichtsbehörde über seine Aufsichtstätigkeit Bericht zu erstatten (Art. 12 AufRBGer).

b) Gegenstand und Instrumente der Aufsicht

Die Bereiche der Geschäftsführung, insbesondere die Gerichtsleitung, die Organisation, die Fallerledigung sowie das Personal- und Finanzwesen un-terstehen der Aufsicht (Art. 2 Abs. 1 AufRBGer). Die Aufsicht hat nach Art. 2 Abs. 3 AufRBGer zum Zweck, die gesetzmässige, zweckmässige und haushälterische Aufgabenerfüllung der beaufsichtigten Gerichte sicherzustel-len.

Art. 3 ff. AufRBGer nennt 6 Instrumente der Aufsicht: die Prüfung des Ge-schäftsberichts, die Aussprachen mit den Gerichtsleitungen und Kontrollen des Geschäftsgangs, die Finanzaufsicht, die Untersuchungen, die Mitteilun-gen an die Oberaufsicht und die Erledigung von Aufsichtseingaben.679 Das Bundesgericht besitzt demnach keine eigentliche Disziplinargewalt über die beiden erstinstanzlichen Gerichte.680 Die erstinstanzlichen Bundesgerichte haben gemäss Art. 4 AufRBGer dem Bundesgericht den Geschäftsbericht einzureichen. Dieser Bericht gibt Auskunft über die Bildung der Spruchkör-per, Art und Umfang der Fallerledigungen und weitere relevante Themen. Die Finanzaufsicht umfasst nach Art. 6 AufRBGer verschiedene Dinge: Eine mehrjährige gemeinsame Finanzplanung, die Prüfung und Besprechung der Entwürfe des Voranschlags und der Jahresrechnung sowie die technischen Vorgaben zur Gestaltung von Budget und Rechnung.

679 Vgl. dazu MEYER/TSCHÜMPERLIN, Rz. 5. 680 Hingegen kann das Bundesgericht Weisungen und Empfehlungen abgeben.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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Fazit C.

Es lässt sich also feststellen, dass BGG und VGG nur von der Prüfung der „Geschäftsführung“ sprechen und daher sehr unkonkret sind.681 Das Auf-RBGer hingegen definiert die Bereiche der Geschäftsführung etwas genauer als Gerichtsleitung, die Organisation, die Fallerledigung sowie das Personal- und Finanzwesen. Auch enthält Art. 10 AufRBGer ein Weisungsrecht.682

MEYER/TSCHÜMPERLIN gehen davon aus, dass die Aufsicht durch das Bun-desgericht imVerhältnis zur Selbstverwaltung der erstinstanzlichen Gerichte subsidiär ist. Wenn also ein Gericht eine Aufgabe selbst in korrekter Weise ausübt oder selbst korrigierend eingreift, so fehlt es an der entscheidenden Voraussetzung für ein Tätigwerden des Bundesgerichts. „Die Aufsicht be-schränkt also die Selbstverwaltung, soweit die beaufsichtigten Gerichte nicht selbst für eine gesetzmässige, zweckmässige und haushälterische Aufgaben-erfüllung sorgen.“683

681 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 96; TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 234. 682 Vgl. kritisch METZ, Rz. 4; a.M. MEYER/TSCHÜMPERLIN, Rz. 8, welche aber für eine

Verankerung auf übergeordneter Stufe plädieren. 683 MEYER/TSCHÜMPERLIN, Rz. 2.

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Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Gerichte

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Die Aufsichtsentscheide des Bundesgerichts D.

Im Folgenden werden einige Entscheide des Bundesgerichts in Kürze darge-stellt.684 Beispielsweise hat das Bundesgericht im ersten Jahr der Aufsicht über das Bundesverwaltungsgericht in drei Aufsichtsbeschwerden gemäss Art. 71 Abs. 1 VwVG angewiesen, die asylrechtlichen Verfahren beförder-lich zu behandeln. Es hat dabei die überlange Dauer von asylrechtlichen Verfahren festgestellt.685

Im Jahr 2010 wurden je zwei Aufsichtsanzeigen gegen das Bundesstraf- und das Bundesverwaltungsgericht erhoben, welche alle abgelehnt wurden.686 Ebenso gab es im Jahr 2010 Diskussionen zwischen den erstinstanzlichen Gerichten und dem Bundesgericht bezüglich der Heimarbeit. Die Erkenntnis setzte sich durch, dass in dieser Frage nicht jedes eidgenössische Gericht eine vollständig andere Praxis haben sollte. Das Bundesverwaltungsgericht hat daraufhin die Heimarbeit für die Richterinnen und Richter ersatzlos ab-geschafft. Für die Gerichtsschreibenden am Bundesverwaltungsgericht ist diese Frage noch offen, während dies bei Bundes- und Bundesstrafgericht nicht möglich ist.687

Im Jahr 2011 wurden zwei Aufsichtsanzeigen gegen das Bundesstrafgericht und drei gegen das Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Den beiden Auf-sichtsanzeigen gegen das Bundesstrafgericht sowie einer gegen das Bundes-verwaltungsgericht wurde keine Folge gegeben. Hingegen wurde im Asylbe-

684 Vgl. dazu auch BANDLI/KUHN, S. 62. 685 Entscheide BGE-E 12T_1/2007 vom 29. Mai 2007, 12T_2/2007 vom 16. Oktober

2007 und 12T_3/2007 vom 11. Dezember 2007, abrufbar unter http://www. polyreg.ch/d/informationen/bgeunpubliziert/index.html, zuletzt besucht am 14. Ok-tober 2013. Vgl. zur Aufsichtsbeziehung zwischen Bundesverwaltungs- und Bun-desgericht auch WURZBURGER, TAF, S. 361 f.

686 Vgl. den Geschäftsbericht des Bundesgerichts des Jahres 2010, S. 13. 687 Vgl. den Geschäftsbericht des Bundesgerichts des Jahres 2010, S. 13. Diese Frage

wird sich mit dem Umzug nach St.Gallen jedoch nochmals deutlich stellen, da viele Gerichtsschreibende ihren Entschluss, beim Bundesverwaltungsgericht zu bleiben, von der Möglichkeit der Heimarbeit abhängig machen werden.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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reich zwei Rechtsverzögerungen stattgegeben.688 Ebenso hatte das Bundes-gericht im Rahmen einer parlamentarischen Interpellation zu den Erledi-gungsstatistiken des Bundesverwaltungsgerichts Stellung zu nehmen.689 Die zentrale Frage dabei war, warum die Abteilungen sehr verschiedene Fallzah-len zu bearbeiten haben und warum sie dabei über einen ähnlichen Personal-bestand verfügen. Das Bundesverwaltungsgericht verwies in seiner Antwort auf das Gutachten des Kompetenzzentrums für Public Management der Uni-versität Bern (kpm) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtswissen-schaft und Rechtspraxis der Universität St.Gallen (IRP-HSG) und bemerkte, dass die Verwaltungskommission zur Zeit daran sei, die Umsetzung der ge-wonnenen Erkenntnisse vorzubereiten.690 Das Bundesgericht anerkannte in seiner Stellungnahme die Fortschritte des Bundesverwaltungsgerichts beim Abbau der Pendenzen, hielt aber klar fest, dass die Rückstände noch immer zu gross seien und die Verfahrensdauern zu lang. Ebenso stellte es fest, dass im Asylbereich die alten Fälle prioritär abzubauen sind.691

688 Vgl. Geschäftsbericht des Bundesgerichts des Jahres 2011, S. 15. 689 Interpellation der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 26. September

2011, abrufbar unter http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?ge sch_id=20113837, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

690 Das Gutachten des kpm und IRP-HSG ist noch nicht veröffentlicht. Vgl. aber http://www.irp.unisg.ch/de/Forschung/Projekte.aspxsowie http://www.irp.unisg.ch/ ~/media/Internet/Content/Dateien/InstituteUndCenters/IRP/Jahresberichte/Jahresbe richt_2010.ashx?fl=de, S. 7 f., beide Seiten zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

691 Antwort des Bundesgerichts vom 30. November 2011 auf die Interpellation der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 26. September 2011, abrufbar unter http://www.parlament.ch/d/suche/seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20113837, zu-letzt besucht am 14. Oktober 2013 sowie Geschäftsbericht des Bundesgerichts des Jahres 2011, S. 16.

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Die Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht

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VI. Die Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht

Allgemeines A.

Wie bereits vorne im Kapitel zur Gewaltenteilung umschrieben, wird im Rahmen der Oberaufsicht geprüft, ob die dritte Gewalt die Aufgaben der Rechtspflege wahrgenommen hat.692 Die parlamentarische Oberaufsicht ist als interorgan-ausgestaltete Organaufsicht beschränkt.693 Es geht dabei um das Funktionieren der Justiz als Ganzes, d.h. es interessiert nur die Gesamt-sicht.694 Eine weitere Einschränkung ergibt sich durch die richterliche Unab-hängigkeit: Die Bundesversammlung darf richterliche Entscheide nicht auf ihren Inhalt überprüfen. Die Oberaufsicht gibt der Bundesversammlung in der zu beurteilenden Sache keine Entscheidungsgewalt, sondern nur – aber immerhin – eine umfassende Informationskompetenz. Sie kann nicht anstelle der beaufsichtigten Organe handeln.695 Auch schliesst die Oberaufsicht ne-ben der Darstellung des Sachverhalts auch die Bewertung mit ein.

Neben dem Antrag über die Genehmigung des Geschäftsberichts stehen den GPK alle Interventionsrechte in den Räten zu. Sie sind die wichtigsten Druckmittel der Bundesversammlung.696 Die Empfehlung mit den Schluss-folgerungen der GPK, welche Massnahme die Kommission für angemessen hält, hat in der Praxis überdies grosse sachliche und politische Überzeu-gungskraft, obwohl sie rechtlich nicht verbindlich ist. Die Ergebnisse aus der

692 Vgl. vorne, S. 19 ff. 693 LIENHARD, Oberaufsicht und Justizmanagement, Justiz 2009, Rz. 8. 694 Vgl. dazu AESCHLIMANN, Oberaufsicht, S. 4; EICHENBERGER, Oberste Gewalt,

S. 275, welcher bereits 1960 von einer Ausdehnung der überprüften Gebiete in Be-zug auf die Geschäftsberichte des Bundesrates sprach und gleichzeitig festhielt, dass die Geschäftsberichte der obersten Gerichte „wenig beachtet“ würden. Davon kann heute freilich nicht mehr die Rede sein.

695 MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 43; KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1 Rz. 72.

696 Vgl. ausführlicher MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 45.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

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Oberaufsicht können auf der anderen Seite aber durchaus einen politischen Prozess auslösen.697

Rechtliche Grundlagen, Inhalt und Strukturen der Oberaufsicht B.

1. Rechtliche Grundlagen

Art. 169 Abs. 1 BV bestimmt, dass die Bundesversammlung die Oberauf-sicht über den Bundesrat, die Verwaltung und die „eidgenössischen Gerich-te“ ausübt. Die BV unterstellt die eidgenössischen Gerichte in Art. 169 Abs. 1 BV demnach in gleicher Weise der Oberaufsicht der Bundesver-sammlung wie den Bundesrat und die Verwaltung. In Art. 3 BGG wird das Verhältnis zur Bundesversammlung dargestellt, wonach diese die Oberauf-sicht über das Bundesgericht ausübt und jährlich über die Genehmigung von Voranschlag, Rechnung und Geschäftsbericht zu befinden hat.

Art. 26 Abs. 1 ParlG hält fest, dass die Bundesversammlung die Oberauf-sicht über die Geschäftsführung der eidgenössischen Gerichte ausübt. Abs. 2 verweist sodann auf den Finanzhaushalt dieser Institutionen.

2. Inhalt der Oberaufsicht

Damit ist die Grenze der Oberaufsicht gegenüber den eidgenössischen Ge-richten gleich umschrieben wie gegenüber dem Bundesrat oder der Verwal-tung: Das Gesetz untersagt es dem Parlament ganz allgemein, Entscheide der beaufsichtigten Behörden aufzuheben oder abzuändern (Art. 26 Abs. 4 Satz 1 ParlG). Ebenso enthält das ParlG den ausdrücklichen Hinweis, dass richterliche Entscheide keiner inhaltlichen Kontrolle zu unterziehen sind (Art. 26 Abs. 4 Satz 2 ParlG).

Das Parlamentsgesetz enthält weiter Regeln zum Verkehr zwischen der Bundesversammlung und den eidgenössischen Gerichten: So verweist Art. 162 ParlG auf die Bestimmungen zum Verkehr zwischen der Bundes-

697 Vgl. HEUSLER, S. 397, der die Einführung eines verbindlichen Oberaufsichtsbe-

schlusses vorschlägt.

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Die Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht

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versammlung und dem Bundesrat. Zusätzlich bestimmt es, dass das Bundes-gericht ein Mitglied zu bezeichnen hat, welches die Entwürfe der Voran-schläge, die Rechnungen und die Geschäftsberichte der eidgenössischen Gerichte sowie deren Stellungnahmen zu Vorstössen, die sich auf ihre Ge-schäftsführung oder ihr Finanzgebaren beziehen, in den Räten und in deren Kommissionen vertritt (Art. 162 Abs. 2 ParlG).

3. Die Strukturen und Instrumente der Oberaufsicht

a) Geschäftsbericht als wichtiges Kontrollinstrument

Die Prüfung des Geschäftsberichts ist ein wichtiges Instrument der Oberauf-sicht in der Schweiz.698 Das Bundesgericht unterbreitet dem Parlament jedes Jahr seinen Geschäftsbericht.699 Daneben sind in der Praxis vor allem die detaillierten Zahlen der erledigten Fälle, in welche die Subkommissionen Einblick bekommen, wie auch die Geschäftslast, die personellen Ressourcen, aber auch spezifische Probleme Themen der jährlichen Treffen.700

b) Geschäftsprüfungskommissionen (GPK)

Wichtigstes Organ der Oberaufsicht in jedem Rat sind die ständigen GPK.701 Sie werden in Art. 52 ParlG geregelt. Gemäss Art. 52 Abs. 1 ParlG üben die GPK die Oberaufsicht nach Art. 26 Abs. 1, 3 und 4 aus. Dabei legen sie den Schwerpunkt auf die Kriterien der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit (Art. 52 Abs. 2 ParlG). Die GPK „sind nicht nur vorberatende Kommissionen zum Geschäftsbericht, sondern selbständig handelnde Instan-zen der laufenden Kontrolle.“702

698 LÜTHI, S. 136. 699 Vgl. dazu auch vorne, S. 30 ff. 700 Vgl. EICHENBERGER-WALTHER, Rz. 4. 701 LÜTHI, S. 136. 702 MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 27.

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c) Parlamentarische Untersuchungskommissionen (PUK)

Die PUK sind jene Organe, welche bei Vorkommnissen von grosser Trag-weite eingesetzt werden „zur Ermittlung der Sachverhalte und zur Beschaf-fung weiterer Beurteilungsgrundlagen“ (Art. 163 Abs. 1 ParlG).703 Ihr Auf-trag wird durch übereinstimmenden Beschluss der Räte festgesetzt.704

Nach Art. 153 Abs. 4 BV stehen den Kommissionen Auskunftsrechte, Ein-sichtsrechte und Untersuchungsbefugnisse zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu, die PUKs werden jedoch mit Sonderrechten ausgestattet: Sie können z.B. Zeugen einvernehmen und haben auch gegen den Willen der Betroffenen Einblick in alle Amtsgeheimnisse. Solche Sonderverfahren sind in Art. 163 ff. ParlG detailliert geregelt. Deren Umfang wird in Abhängigkeit der entsprechenden Aufgaben festgelegt.705

d) Ratsplenum

Oberstes Organ der Oberaufsicht ist das Ratsplenum. Die Kommissionen, welche delegierte Kompetenzen haben, sind dem Plenum rechenschafts-pflichtig. Nach Art. 26 und Art. 71 ParlG sind alle Ergebnisse der Kommis-sionsuntersuchungen dem Plenum zur Kenntnis zu bringen und von diesem zu beurteilen.

e) Parlamentarische Verwaltungskontrollstelle

Die GPK verfügen über eine wissenschaftliche Dienststelle, die Parlamenta-rische Verwaltungskontrollstelle (PVK). Als solche hat sie gemäss Art. 67 ParlG die gleichen Informationsrechte wie die GPK selbst. Sie nimmt Auf-gabenüberprüfungen und Evaluationen der Wirksamkeit staatlichen Han-delns vor.706

703 LÜTHI, S. 136. 704 Vgl. die Art. 163 ff. ParlG und MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 29. 705 Vgl. ausführlich LÜTHI, SGK zu Art. 153 BV, Rz. 12 ff. 706 Vgl. auch LÜTHI, S. 137.

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Die Oberaufsicht der eidgenössischen Räte über das Bundesgericht

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Im Bereich der Oberaufsicht hat die PVK im Jahr 2002 einen Bericht „Zur Tragweite der parlamentarischen Oberaufsicht über die Gerichte – Positio-nen in der Rechtslehre“ verfasst.707

Die gesetzlichen Kriterien der Oberaufsicht C.

1. Die fünf Kriterien der Oberaufsicht

Die Kriterien für die allgemeine Oberaufsicht werden in Art. 26 Abs. 3 lit. a-e ParlG aufgelistet. Diese Kriterien werden wie folgt erläutert: „Bei der Rechtmässigkeit (Bst. a) wird untersucht, ob sich die Objekte der Oberauf-sicht an die Verfassung, die Gesetze oder andere Erlasse der Bundesver-sammlung halten. Die Prüfung der Ordnungsmässigkeit (Bst. b) stellt die rechnerische Richtigkeit einer Finanzrechnung fest. Die Zweckmässigkeit des Verwaltungshandelns (Bst. c) wird geprüft, indem abgeklärt wird, ob die gewählten Massnahmen den gesetzten Zielen entsprechen. Die Wirksamkeit beurteilt sich anhand der Wirkungen, welche bestimmte Massnahmen in Gesellschaft und Wirtschaft erzielen (Bst. d). Mit der Wirtschaftlichkeitsprü-fung (Bst. e) wird untersucht, ob der Einsatz der Mittel im richtigen Verhält-nis zum Ergebnis steht“.708

Gemäss LIENHARD umfasst die Zweckmässigkeit die drei Teilelemente Not-wendigkeit, Eignung und Zielkonformität, während bei der Wirtschaftlich-keit untersucht wird, ob die Mittel im richtigen Verhältnis zum Ergebnis ste-hen. Es geht also anders gesagt um die Kosteneffizienz.709

707 Bericht Oberaufsicht, 7690 ff. 708 Bericht Parlamentsgesetz, 3539; vgl. auch MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV,

Rz. 41; TOBLER, S. 13 ff. 709 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 15; AESCHLIMANN, Oberaufsicht, S. 4 spricht

nur von Eignung und Notwendigkeit der Vorkehren.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

188

2. Die Wirksamkeit nach Art. 170 BV

Zweck der Wirkungsprüfung ist, die Wirksamkeit staatlicher Massnahmen zu ermitteln. Dabei genügt es nicht, dass sich die Evaluation mit der Feststel-lung von bestimmten Wirkungen begnügt, sondern sie muss diese in eine Beziehung setzen mit den verfolgten Zielen.710 Es wird demnach geprüft, ob die Ziele erreicht wurden.711

Die Bestimmung enthält implizit auch das Prinzip der Effektivität staatlichen Handelns. Die Beschlüsse und Anordnungen der Behörden sollen nicht nur regelkonform, sondern auch nützlich sein.712 Nach MASTRONARDI schliesst die Effektivität weiter die Effizienz mit ein, weil die Ineffizienz in Struktu-ren, Verfahren oder Handlungsweisen auch die Effektivität der Massnahmen beeinträchtigt.713

3. Fazit

Da das Parlamentsgesetz auch für die Oberaufsicht über die Justiz gilt, wird durch diese Aufzählung im Gesetz klar, dass die Wirtschaftlichkeit und die Wirksamkeit eine eigenständige Bedeutung bei der Kontrolle innehaben: So prüft das Parlament beispielsweise, ob die Ressourcen haushälterisch einge-setzt wurden (Wirtschaftlichkeit) oder ob das Ziel, nämlich die Erhaltung des Rechtsfriedens, erreicht wurde.714 Im Kern der Prüfung steht jedoch die Recht- und Ordnungsmässigkeit.

710 Vgl. dazu ausführlich MASTRONARDI, SGK zu Art. 170 BV, Rz. 4 ff. 711 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 15. 712 MASTRONARDI, SGK zu Art. 170 BV, Rz. 18. 713 MASTRONARDI, SGK zu Art. 170 BV, Rz. 19. 714 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 15.

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Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation im Bund

189

VII. Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation im Bund

Justizverwaltung A.

1. Bundesgericht

Das Bundesgericht verfügt über eine umfassende und gut funktionierende Justizverwaltung: So gibt es im Bereich der Finanzen oder des Personals keine offenen Fragen und im Bereich der Organisationsautonomie hat das BGer mit dem Erlass des Bundesgerichtsreglements die notwendige Grund-lage geschaffen. Auch wurden Leitungsorgane eingeführt. Im Bereich der Führung zeigt sich jedoch, dass aufgrund der flachen Führungshierarchie insbesondere bei den Abteilungen eine starke Führung mit den entsprechen-den Führungsmitteln fehlt. Hingegen existiert ein gerichtsinternes Control-ling und die Leitungsorgane haben Zugriff auf die entsprechenden Daten. Insgesamt kann gesagt werden, dass das Bundesgericht eine zeitgemässe Justizverwaltung kennt, die die Rechtsprechung ermöglicht. Trotz der hohen Falllast können die Fälle innert angemessener Zeit behandelt werden.

2. Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht ist noch jung. Gleichzeitig handelt sich um das grösste schweizerische Gericht. Entsprechend schwierig gestaltete es sich zu Beginn, einheitliche Regeln und Positionen zu finden. Mittlerweile sind diese Anfangsschwierigkeiten jedoch überwunden und das Gericht ar-beitet zweckmässig. Die Tatsache, dass bei der Gesetzgebung vor allem das BGG im Vordergrund stand und die Regelungen teilweise unbesehen auf das Bundesverwaltungsgericht übertragen wurden, führte zusammen mit dem Fokus, welcher auf den gesamtgerichtlichen Strukturen lag, dazu, dass es heute gleich wie beim Bundesgericht eine sehr schwache Führung auf der Stufe der Abteilungen gibt. Bei einem Gericht von der Grösse des Bundes-verwaltungsgerichts ist eine schwache Führung problematisch.

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Teil 3: Die Justizorganisation im Bund

190

3. Fazit

Die beiden Gerichte im Bund sind grundsätzlich gut verwaltet und organi-siert. Dennoch gibt es gewisse Mängel: Insbesondere die Stellung der Präsi-dentenkonferenz am Bundesgericht und jene des Gesamtgerichts am Bun-desverwaltungsgericht sollten einer Revision unterzogen werden. Bei beiden Gerichten auffällig ist der Gegensatz zwischen der faktisch wichtigen Positi-on des Abteilungspräsidenten und der Nichtregelung seiner Einflussmög-lichkeiten in den rechtlichen Grundlagen. Insbesondere das Fehlen von Kompetenzen bzw. Weisungsrechten des Abteilungspräsidenten stellt einen Mangel an Führungsinstrumenten dar. Ein Führungsorgan ohne die entspre-chenden Mittel zur Durchsetzung ist nur in der Lage, seine Position durchzu-setzen, wenn bei den Abteilungskollegen Wohlwollen und Verständnis vor-handen sind. Andernfalls ist eine effektive Führung faktisch unmöglich.

Aufsicht B.

Die Aufsicht des Bundesgerichts über die erstinstanzlichen Bundesgerichte wurde entgegen dem Vorschlag des Bundesrates durch das Parlament ins BGG eingefügt. Das Bundesgericht hat die Geschäftsführung der erstinstanz-lichen Gerichte zu prüfen. Für die genauere Ausgestaltung hat das Bundes-gericht ein Reglement betreffend die Aufsicht erlassen.715 Dieses definiert die Geschäftsführung als Gerichtsleitung, Organisation, Fallerledigung so-wie Personal- und Finanzwesen. Es kann an dieser Stelle festgestellt werden, dass die Aufsicht relativ weit geht.

Oberaufsicht C.

Die Oberaufsicht wird nach den im Parlamentsgesetz festgehaltenen fünf Kriterien wahrgenommen. Eine Vielzahl von (Sub-)Kommissionen und sonstigen Organen beschäftigen sich mit der Oberaufsicht, was zu einer star-ken Aufsplittung und einem entsprechend grossen Koordinations- und In-formationsaufwand führt. Auch für die kontrollierte Gewalt führt dieser Zu-

715 Aufsichtsreglement des Bundesgerichts (AufRBGer), vgl. vorne, S. 178 ff.

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Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation im Bund

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stand zu einem gewissen Mehraufwand.716 Es zeigt sich, dass die Justiz und insbesondere das Bundesgericht nicht abseits von Bundesrat und Bundesver-sammlung, sondern mit diesen in einem sich wechselseitig beeinflussenden Verhältnis stehen. Die Oberaufsicht kontrolliert, ob die dritte Gewalt die Aufgaben der Rechtspflege wahrgenommen hat. Dabei geht es um das Funk-tionieren der Justiz als Ganzes. Die Ergebnisse aus der Oberaufsicht sind zwar rechtlich nicht verbindlich, jedoch haben sie faktisch eine grosse Be-deutung.

Die Verwaltungsautonomie gilt auch gegenüber dem Parlament: Der Auto-nomiebereich des Gerichts darf weder durch die Oberaufsicht noch durch die Finanzhoheit ausgehöhlt werden. Gegenüber dem BVGer handelt es sich bei der Oberaufsicht um eine mediatisierte Aufsicht, da das BVGer der admi-nistrativen Aufsicht durch das Bundesgericht untersteht. Gegenüber dem Bundesgericht hingegen bleibt die Oberaufsicht eine „anscheinend unbe-schränkte“. Sie soll aber immerhin eine politisch-rechtliche bleiben.717

716 Vgl. dazu genauer AESCHLIMANN, Oberaufsicht, S. 5. 717 SCHWEIZER, SGK, Vorbemerkungen zur Justizverfassung, Rz. 15; vgl. zum Ganzen

auch hinten, S. 287 ff.

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Teil 4 Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

I. Vorbemerkungen

Teil vier dieser Dissertation widmet sich der Organisation und den Leitungs-strukturen der kantonalen Justiz. Es soll geklärt werden, inwiefern die Justiz in den Kantonen sich selbst verwaltet und mit welchen Mitteln sie dies tut.

Bereits bei der Recherche wurde klar, dass die Kantone im Bereich der Jus-tizverwaltung sehr verschieden agieren: Während es Kantone gibt, die eine mittlerweile etwas ältere Gesetzgebung kennen und dementsprechend über relativ wenig rechtliche Regelungen zur Organisation und den Leitungs-strukturen verfügen, gibt es andere, die in den letzten Jahren die gesamte Justiz reformiert haben.718

Aus diesem Grund wurden die fünf Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Freiburg, Zürich und Bern ausgewählt, welche die Entwicklungen der Jus-tizverwaltung in den letzten Jahrzehnten in ihrer ganzen Verschiedenartig-keit aufzeigen.

Die Ziffern II.-VI. widmen sich der Justizorganisation in den genannten Kantonen, während Ziffer VII. eine Übersicht über die Aufsicht in den aus-gewählten Kantonen vermittelt. Ziffer VIII. beschäftigt sich mit der Ober-aufsicht und zum Schluss folgt in Ziffer IX. das Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation in den ausgewählten Kantonen. Eine eingehende Dis-kussion der Leitungsstrukturen und -instrumente der Kantone findet sich sodann in Teil fünf dieser Arbeit.719

718 Vgl. BOLZ/LIENHARD, S. 2 ff. 719 Vgl. S. 323 ff.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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II. Die Justizorganisation im Kanton Aargau

Allgemeines zur Entwicklung der Justizverwaltung A.

1. Justizreformen

Am 17. August 1993 hat der Grosse Rat des Kantons Aargau im Zusammen-hang mit den Stellenbegehren für die kantonalen Justizbehörden den Regie-rungsrat und das Obergericht des Kantons beauftragt, Bericht und Antrag über gesetzgeberische Massnahmen und Rationalisierungsmassnahmen zu unterbreiten, die zur Verminderung der Arbeitslast am Obergericht beitragen könnten. In der Folge wurden neben dem Obergericht auch die Spezialver-waltungsgerichte sowie die Bezirksgerichte in die Diskussion miteinbezo-gen. Die darauf folgenden Erneuerungsmassnahmen sind unter dem Namen Justizreform 1 am 1. März 1998 in Kraft gesetzt worden.720

Mit Bericht vom 27. Oktober 1999 orientierte der Regierungsrat über erste Auswirkungen der Justizreform 1 und über weiteren Reformbedarf. Es wur-de auch das Projekt Justizreform 2 vorgestellt.721 Das Ziel der Justizreform 2 war die Sicherung einer leistungsfähigen Justiz.

Der Grosse Rat behandelte am 9. Mai 2000 den Gesamtbericht des Regie-rungsrates, stimmte den Leitsätzen zu und beschloss einen zusätzlichen Leit-satz.722 Dieser neue Leitsatz Nr. 12 hielt fest, dass eine unabhängige Studie die Gerichts- und Verwaltungsbehörden auf die Verbesserung von Struktu-ren und der Verwaltungsabläufe zu untersuchen habe. Diese Studie wurde im folgenden Jahr von der Beratungsagentur PwC erstellt.723

720 Vgl. HODEL, S. 49. 721 Vgl. Botschaft GR AG 99.343. 722 Vgl. Botschaft GR AG 02.133 und Botschaft GR AG 03.311, S. 9. 723 PRICEWATERHOUSECOOPERS, Organisationsanalyse vom 29. Oktober 2001, Ergeb-

nisse der Organisationsanalye über die Justiz des Kantons Aargau, Bern 2001, zu finden unter: http://www.ag.ch/justizmanagement/de/pub/justizverwaltung/projek te/organisationsanalyse.php, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013.

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Die Justizorganisation im Kanton Aargau

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Die Ergebnisse der Organisationsanalyse lassen sich wie folgt zusammenfas-sen: Im Grundsatz werde in der aargauischen Justiz gute Arbeit geleistet und die verfügbaren Ressourcen auch effizient eingesetzt.724 Verbesserungsmög-lichkeiten gebe es dennoch zahlreiche, insbesondere fünf Hauptbereiche liessen sich herauskristallisieren725: Erstens sei der Bereich der Leitungs-strukturen neu zu gestalten, zweitens müsse die Aufsicht über die Justiz neu geordnet werden. Drittens sollte ein Konzept für die Personalführung und Personalentwicklung und viertens ein Konzept für die interne und externe Kommunikation geschaffen werden. Zu guter Letzt und als fünfter Punkt schliesslich empfehle sich eine Überprüfung der Strukturen der Bezirksge-richte.

2. Botschaft des Regierungsrates zur Organisationsanalyse von PwC

Die Umsetzung dieser vorgeschlagenen Massnahmen sollte in der Justizre-form 2 erfolgen. Gemäss Botschaft des Regierungsrates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 29. Oktober 2003726 sollte das Augenmerk insbe-sondere auf eine Steigerung der Effizienz gerichtet werden, da die durchge-führte Studie ergeben habe, dass die Qualität bereits als gut bis sehr gut zu qualifizieren sei. Vordringlich seien Änderungen und Verbesserungen in den Bereichen Leitungsstrukturen und bei der Organisation der Aufsicht über die Justizbehörden. In zweiter Priorität gehe es um Personalführung und -ent-wicklung; im Rahmen eines eigenen Projekts sollten zu einem späteren Zeit-punkt auch die Strukturen der Bezirksgerichte einer genaueren Prüfung un-terzogen werden.

Die Botschaft hielt sodann fest, dass diese vorgeschlagenen Neuerungen, die Schaffung einer neuen Führungsorganisation für die gesamte Justiz (sowie die Neuregelung der Aufsicht) durch eine Teilrevision der Verfassung sowie

724 Vgl. auch BAUMANN, Rz. 2. 725 Organisationsanalyse (Fn. 723), Punkt IV, S. 71 ff. 726 Vgl. Botschaft GR AG 03.311, S. 3.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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eine Totalrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Gerichtsorga-nisationsdekrets umgesetzt werden sollten.727

3. Totalrevidiertes Gerichtsorganisationsrecht von 2013

Nachdem eine erste Vorlage zur Justizreform am 11. November 2008 vom Grossen Rat an den Regierungsrat zurückgewiesen worden war728, wurde im Zusammenhang mit den auf Bundesebene neu eingeführten Prozessgesetzen (ZPO, StPO), bezüglich der Rechtsweggarantie sowie der Einführung des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts (KESR) und dem dadurch verursach-ten Bereinigungsbedarf, die Revision des GOG mit den weiteren Anpassun-gen in der Folge koordiniert durchgeführt. Die entsprechende Botschaft da-tiert vom 27. April 2011 bzw. vom 19. Oktober 2011729. Die Revisionsarbei-ten des GOG stützten sich dabei hauptsächlich auf die vom Grossen Rat verabschiedeten Leitsätze vom 9. Mai 2000 und vom 4. Mai 2004. Hauptin-halt dieser Leitsätze ist eine neue Leitungsstruktur für die Justiz, eine Neu-ordnung der Aufsicht, eine Verstärkung der Justizverwaltung als Führungs-instrument für die gesamte Justiz sowie die Einführung eines Justizgerichts für die gerichtliche Beurteilung von Disziplinarfällen von Richterinnen und Richtern.730

Der Grosse Rat beschloss in der zweiten Beratung am 6. Dezember 2011 das neue GOG, die damit zusammenhängenden Änderungen auf Gesetzes- und Dekretsstufe sowie die Änderungen der Verfassung des Kantons Aargau.731 Die beschlossenen Änderungen der Kantonsverfassung wurden vom Volk in der Abstimmung vom 11. März 2012 angenommen. Am 1. Januar 2013 tra-ten das neue, revidierte Gerichtsorganisationsgesetz sowie Änderungen der KV AG sowie verschiedene Anpassungen in Kraft.

727 Botschaft GR AG 03.311, S. 5. Die Revision trat am 1. August 2005 in Kraft. 728 Botschaft GR AG 08.222; vgl. zu den Gründen Botschaft GR AG 11.154, S. 9. 729 Botschaft GR AG 11.154 bzw. Botschaft GR AG 11.317 (2. Beratung). 730 Vgl. Fn. 722 sowie Beschluss GR AG 99.343 bzw. Beschluss GR AG 03.311-1. 731 Beschluss GR AG 11.317.1.

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Die Justizorganisation im Kanton Aargau

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Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung B.

1. Allgemeines

Die Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 trat am 1. Januar 1982 in Kraft. Sie bestimmte in § 96 Abs. 1: „Die Justizverwaltung ist Sache der Gerichte.“732

2. Aktuelle Bestimmungen der KV

§ 68 Abs. 2 KV AG hält den Grundsatz der Gewaltenteilung fest. § 76 KV AG bestimmt, dass der Grosse Rat die „oberste Aufsicht führende Behörde des Kantons“ darstellt. Er übt nach § 80 KV AG die Oberaufsicht über alle Behörden und Organe aus, die kantonale Aufgaben wahrnehmen.

Im fünften Titel der KV wird als Erstes in § 95 KV AG die richterliche Un-abhängigkeit verankert. Sodann schliesst sich § 96 KV AG mit der Über-schrift „Justizverwaltung“ an, welcher in Abs. 1 festhält, dass die Justizver-waltung Sache der Gerichte ist. Weiter wird festgehalten, dass die Justizlei-tung unter Vorbehalt der Zuständigkeiten anderer Behörden die Tätigkeiten der Gerichte plant, deren Budgets festsetzt und die Aufsicht ausübt. Sie ver-tritt die Gerichte im Verkehr mit anderen Behörden. Ebenso ergibt sich aus § 96 der Verfassung das Recht der Justizleitung zur Vertretung der Justizsa-chen gegenüber dem Parlament, z.B. das selbständigeVorschlagsrecht betref-fend den Voranschlag bzw. das Antragsrecht der Gerichtsbarkeit gegenüber dem Grossen Rat.733

In § 97 KV AG wird der Grundsatz festgehalten, dass die Gerichte durch Gesetz übersichtlich und einfach einzurichten sind und verlässlich und rasch Recht gesprochen werden soll. Abs. 5 gibt der Justizleitung die Kompetenz,

732 Vgl. EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 31; auf diese Fassung bezogen sich auch

die Literatur und die Kommentare, welche in der Folge zitiert werden. 733 Vgl. § 85 KV AG und LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 83.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Bestimmungen über die betriebliche Organisation der Gerichte in einem Reglement zu erlassen.734

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung C.

1. Gesetz über die Organisation der ordentlichen richterlichen Behörden (Gerichtsorganisationsgesetz, GOG)

Das alte GOG735 regelte die Justizverwaltung in § 86 bis § 94 und wurde am 1. Januar 2013 durch das neue GOG736 abgelöst.

Dieses regelt unter der Überschrift „1.3 Amt der Richterin und des Richters“ in § 20 die Unabhängigkeit („Richterinnen und Richter sind unabhängig und nur Gesetz und Recht unterworfen“) und in § 25 die Aufsicht („Richterinnen und Richter unterstehen nur insoweit der Aufsicht, als ihre Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt wird.“).

Der zweite Teil ist der Justizverwaltung gewidmet. § 28 hält fest, dass die Justizverwaltung Sache der Gerichte ist (Abs. 1) und durch die Justizleitung (Abs. 2 lit. a), die Geschäftsleitung des Obergerichts sowie die geschäftsfüh-renden Präsidentinnen und Präsidenten des Spezialverwaltungsgerichts, des Zwangsmassnahmengerichts und der Bezirksgerichte (Abs. 2 lit. b) sowie das Justizgericht (Abs. 2 lit. c) wahrgenommen wird. § 29 enthält sodann die Aufgaben der Justizleitung.737

734 Dabei müssen der Zweck und die Grundsätze der inhaltlichen Gestaltung des Reg-

lements im Gesetz oder im Dekret festgelegt sein. 735 SAR 155.100. Vgl. zu diesem bis Ende 2012 geltenden Recht noch LIENHARD/

KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 81 ff. 736 SAR 155.200. 737 Vgl. sogleich unter D.

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Die Justizorganisation im Kanton Aargau

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2. Reglemente

Das Reglement der Justizleitung über die Aufgaben und Ziele vom 26. No-vember 2012738 trat wie das neue GOG ebenfalls auf den 1. Januar 2013 in Kraft. Das Reglement der Justizleitung über die Anzahl der übrigen Richte-rinnen und Richter739 bestimmt die Anzahl der jeweiligen Richterinnen und Richter in den genannten Gerichten.

Leitungsorgane der Justizverwaltung D.

1. Die Justizleitung

Entsprechend der Ergebnisse der Organisationsanalyse von PwC und ge-stützt auf die Botschaft des Regierungsrates 2003 wurde ein Leitungsorgan vorgeschlagen, welches aus fünf Mitgliedern von verschiedenen Gerichten bestehen sollte. Man versprach sich davon, dass das Leitungsorgan die Ge-richte, die Konkursämter und die Anwaltskommission führen könnte. Auch ging man davon aus, dass die Gerichte insgesamt „straffer zu führen und die grösser und anspruchsvoller gewordenen Aufgaben qualitativ gut und in einzelnen Bereichen innert kürzerer Fristen zu erfüllen“ seien. Eine vor-dringliche Aufgabe des Leitungsorganes sollte die Kontrolle der Verfahrens-dauer der Prozesse sein.740

Die Justizleitung ist nach § 29 Abs. 1 GOG „das oberste Führungsorgan der Gerichte und der Justizverwaltung. Sie beaufsichtigt die Gerichte sowie die Richterinnen und Richter aller Stufen mit Ausnahme des Justizgerichts.“ Ebenso sorgt sie gemäss Abs. 2 im Rahmen der Gesetzgebung über die wir-

738 Reglement der Justizleitung über die Aufgaben und Ziele vom 26. November 2012,

SAR 155.611. 739 Reglement der Justizleitung über die Anzahl der übrigen Richterinnen und Richter

(nebenamtliche Richterinnen und Richter an den Bezirksgerichten; Fachrichterin-nen und Fachrichter des Kindes- und Erwachsenenschutzes; Mitglieder der Schlichtungsbehörden für Miete und Pacht; Mitglieder der Schlichtungsbehörden für Gleichstellungsfragen; Friedensrichterinnen und Friedensrichter nach Kreisen) vom 7. Juni 2012, SAR 155.612.

740 Vgl. Fn. 726, S. 4.

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kungsorientierte Steuerung von Aufgaben und Finanzen für die Planung, Budgetierung und Berichterstattung, ergreift die notwendigen Massnahmen zur Gewährleistung eines ordnungsgemässen Betriebsablaufs sowie zur Er-reichung der Zielvorgaben und erlässt die dafür notwendigen Reglemente gemäss § 97 Abs. 5 der Verfassung.741 Auch wählt die Justizleitung die Aufsichtskommission für die Aufsicht über die Richterinnen und Richter (Abs. 3).

§ 30 Abs. 1 GOG bestimmt, dass sich die Justizleitung aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Obergerichts, einem weiteren Oberrichter, zwei Bezirksgerichtspräsidenten sowie aus Ersatzmitgliedern gleicher Zahl und Verteilung zusammensetzt; den Vorsitz führt der Obergerichtspräsident (Abs. 3).

Gemäss Reglement der Justizleitung über die Aufgaben und Ziele sind Ziele nach § 1 eine qualitativ hochwertige und beförderliche Rechtsprechung (lit. a), eine fortschrittliche Personalführung und -entwicklung (lit. b), eine klare Prioritätensetzung bei der Budgetierung und effizienter Ressourcenein-satz (lit. c) und die Förderung einer harmonischen Unternehmenskultur der Gerichte des Kantons Aargau (lit. d). Auch erlässt die Justizleitung die not-wendigen Reglemente, Kreisschreiben und Weisungen (§ 2 Abs. 2).

2. Geschäftsleitungen der Gerichte

Die Geschäftsleitung des Obergerichts besteht nach § 36 Abs. 1 GOG aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten sowie je einer Abteilungsvertretung. Die restlichen Gerichte wählen nach Genehmigung der Kandidatur aus ihrer Mitte je einen geschäftsführenden Präsidenten sowie eine Stellvertretung (Abs. 2). Diese Geschäftsleitungen der Gerichte sind verantwortlich für den einwandfreien Betrieb der jeweiligen Justizbehörde (§ 37 Abs. 1 GOG), insbesondere sorgen sie für das Fristenmanagement und die Fristenkontrolle (§ 37 Abs. 2 lit. c GOG) sowie die „Pflichterfüllung der Richterinnen und Richter“ (§ 37 Abs. 2 lit. e GOG). Gemäss § 37 Abs. 3 GOG haben die Ge-

741 Vgl. Fn. 729.

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Die Justizorganisation im Kanton Aargau

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schäftsleitungen der Justizleitung ihre Geschäftsordnungen, welche die in-terne Organisation, die Zuweisung der Richter und die sachliche Zuständig-keit innerhalb des Gerichts regeln, vorzulegen.

3. Das Justizgericht

Das Justizgericht entscheidet gemäss § 38 Abs. 1 GOG unter anderem als einzige kantonale Instanz über die befristete Einstellung im Amt oder die Amtsenthebung von Richtern, über Beschwerden gegen Disziplinarentschei-de der Aufsichtskommission und über Beschwerden gegen Entscheide der Justizleitung, soweit diese nach Art. 29a BV anfechtbar sind. Ebenso kann wegen Rechtsverweigerung bzw. -verzögerung der Justizleitung das Justiz-gericht angerufen werden (Abs. 2).742 Damit besteht die Möglichkeit einer innerjustiziellen Beschwerdemöglichkeit bei Amtsenthebungen und Diszipli-narentscheiden.

Fazit E.

1. Ausführliche rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung

Im Kanton Aargau bestehen umfassende Rechtsgrundlagen zur Justizverwal-tung. Insbesondere die KV AG widmet sich dem Thema Justizverwaltung ausführlich und sehr konkret. Die KV AG verwendet den Ausdruck, dass die Justizverwaltung „Sache der Gerichte“ ist. Dies ist eine sehr absolute Aussa-ge.743

In der KV AG, welche 1982 in Kraft trat, war die Aussage, dass die Justiz-verwaltung Sache der Gerichte sei, bereits wortwörtlich enthalten. Die Be-stimmung über die Justizleitung hingegen fand erst mit der Revision 2013

742 Vgl. dazu eingehend BAUMANN, Rz. 30 ff., insb. Rz. 32 ff. und Rz. 48. 743 Vgl. bspw. die Formulierung im Kanton BL, welche viel zurückhaltender formu-

liert ist, S. 204 f.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Eingang in die KV AG.744 Auf Gesetzesstufe finden sich mit dem zweiten Teil des GOG detaillierte Regelungen über die Ausgestaltung der Justizver-waltung.

2. Justizleitung und Geschäftsleitungen

Die von der KV AG eingesetzte Justizleitung verfügt über umfassende Kompetenzen (betriebliche Organisation der einzelnen Gerichte durch Reg-lement, Planung der Tätigkeiten der Gerichte, Festsetzung der Budgets) und besitzt eine subsidiäre Generalzuständigkeit. Infolgedessen hat sie eine sehr starke Stellung bezüglich der Justizorganisation und der Justizverwaltung aller Gerichte im Kanton. Daneben behält jedes einzelne Gericht seine eige-ne „kleine“ Justizverwaltung.745 Die Geschäftsleitungen der einzelnen Ge-richte sorgen für das Fristenmanagement und die Fristenkontrolle. Damit sind auch die einzelnen Gerichte geleitet.

3. Wirkungsorientierte Steuerung

Dass die Gesetzgebung über die wirkungsorientierte Steuerung von Aufga-ben und Finanzen für die Planung, Budgetierung und Berichterstattung an den aargauischen Gerichten anwendbar ist, stellt eine Neuerung dar. Dies bedeutet, dass die Justiz eine Planung zu erstellen und Zielvorgaben zu erfül-len hat.

4. Würdigung

Die aargauische Justizverwaltung stellt eine Ausnahmeerscheinung im Rah-men der kantonalen Justizorganisationen dar. Mit der auf Verfassungsstufe

744 Wobei bereits bei der Revision 2005 die Bestimmung geändert worden war: Sie

stand damals unter dem Titel „Leitungsorgan“, und es wurde davon gesprochen, dass das „Leitungsorgan“ die Tätigkeiten der Gerichte plane. Somit wurde diese Bestimmung nun sprachlich angepasst. Bis 2005 war noch das Obergericht als Ver-treterin der Gerichte im Verkehr mit andern Behörden bezeichnet worden.

745 HODEL, S. 51.

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Die Justizorganisation im Kanton Aargau

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festgeschriebenen Justizverwaltung als „Sache der Gerichte“ und mit der Verankerung der Justizleitung als übergerichtliches Leitungsorgan, ebenfalls auf Stufe der Verfassung hat der Kanton Aargau eine bisher nicht gekannte, klare Regelung geschaffen.746

746 Vgl. dazu HODEL, S. 49.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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III. Die Justizorganisation im Kanton Basel-Landschaft

Allgemeines A.

Die Verfassung des Kantons Basel-Landschaft datiert vom 17. Mai 1984 und trat am 1. Januar 1987 in Kraft.747 Zu dieser Zeit gab es auf Bundesebene zwar erste Vorschläge für eine neue BV, jedoch gab es noch keine konkrete Vorlage zu einer Justizverfassung. Auf der Ebene der Kantone war Aargau im Jahr 1980 mit einer neuen Verfassung und einer neuen Justizverwaltung vorausgegangen.

Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft leitete im Dezember 1991 eine Strukturanalyse der basellandschaftlichen Gerichte in die Wege. Ziel der Analyse war, bei den Gerichten geeignete organisatorische und verfah-rensmässige Anpassungen vorzunehmen, um weiterhin die hohe Qualität der Rechtsprechung zu sichern. Der Schlussbericht der Strukturanalyse wurde dem Regierungsrat am 5. Juli 1993 vorgelegt.748

Seit 1993 folgte ein kontinuierlicher und umfassender Prozess der Gerichts-revision auf Gesetzesebene. Dieser Prozess umfasste insgesamt drei Phasen: Die erste Phase widmete sich der Effizienzsteigerung der Zivilgerichtsbar-keit, die zweite Phase reformierte die Strafverfolgung und Strafjustiz. In der dritten Phase wurde 2001 das neue Gerichtsorganisationsgesetz (GOG)749 und ein zugehöriges Dekret (GOD)750 erlassen, welche beide am 1. April 2002 in Kraft traten.751 Kernstück in dieser dritten Phase bildete die Zusam-menfassung der beiden bisherigen höchstinstanzlichen kantonalen Gerichte Obergericht und Verfassungs-/Verwaltungsgericht zum neuen Kantonsge-richt. Ebenso war die Einrichtung einer rationellen Justizverwaltung Ziel

747 SGS 100. 748 http://www.baselland.ch/gog_vor1-htm.296191.0.html, zuletzt besucht am 13. Ok-

tober 2013. 749 SGS 170. 750 SGS 170.1. 751 Bericht Nr. 2000-090 BL.

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Die Justizorganisation im Kanton Basel-Landschaft

205

dieser dritten Revisionsphase.752 Am 1. Januar 2011 trat sodann das Regle-ment über die Justizverwaltung in Kraft.753 Dieses wurde von der Geschäfts-leitung des Kantonsgerichts erlassen.

Im Jahr 2012 wurde die Gerichtsorganisation nochmals gewichtig geändert, indem die kantonale Justiz eine neue Führungsstruktur erhielt.754 Ebenso beschloss das Stimmvolk, die bisherigen fünf Gerichtsbezirke durch zwei sogenannte „Zivilgerichtskreise“ zu ersetzen.755

Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung B.

1. Aktuelle Bestimmung

§ 82 KV BL bestimmt in Abs. 1, dass alle Gerichte nur an das Recht gebun-den und in ihren Entscheidungen unabhängig sind. Abs. 2 bestimmt, dass die Gerichte die Justizverwaltung leiten.756 Gemäss Abs. 3 obliegt es dem Kan-tonsgericht, die Gerichte im Verkehr mit anderen Behörden zu vertreten.

2. Begriff der Justizverwaltung in § 82 Abs. 2 KV BL

Die totalrevidierte KV BL führte die „Justizverwaltung“ als Begriff in die basellandschaftliche Rechtsordnung ein, zuvor war der Begriff nicht im ge-

752 Vorlage 2000-090 RR BL. 753 Reglement über die Justizverwaltung vom 2. Mai 2011, in Kraft seit 1. Januar 2011,

SGS 170.111. 754 Vgl. dazu den Bericht Kommission BL und Vorlage 2012-014 BL, insb. S. 4 ff.,

wobei das Ziel war, Neuerungen in der Leitungsstruktur zu schaffen, unter Einbe-zug der erstinstanzlichen Gerichte. Auch sollten die Führungsaufgaben des Kan-tonsgerichts entflochten werden.

755 Vgl. dazu FREIBURGHAUS, Rz. 5. 756 Die Formulierung der KV BL, wonach die Gerichte die Justizverwaltung leiten,

bringt gemäss KISS, S. 86, zum Ausdruck, dass die Selbstverwaltung der Gerichte keine absolute ist, sondern ihre Grenzen hat und in die gesamte Staatsadministra-tion eingebettet ist.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

206

setzten Recht verwendet worden.757 Die KV BL verwendet den Begriff in § 82 Abs. 2 im Sinne der Verwaltung durch die Gerichte, also der Selbst-verwaltung der Justiz.758

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung im Kanton BL C.

1. Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) und Gerichtsorganisations-dekret (GOD)

§ 24 Abs. 1 GOG hält einleitend fest, dass zur Justizverwaltung durch die Gerichte die Administration der Gerichtsverfahren und die Geschäftsführung gehören. § 24 Abs. 2 GOG bestimmt, dass die Gerichte die Justizverwaltung selbständig wahrnehmen, soweit nicht andere Organe zuständig sind.

§ 25 GOG beschäftigt sich mit dem Voranschlag. Er hält fest, dass das Kan-tonsgericht den Voranschlag für die richterlichen Behörden an den Regie-rungsrat weiterleitet. Stimmen die Anträge von Regierungsrat und Kantons-gericht nicht überein, legt der Regierungsrat dem Landrat beide Anträge vor.

Das GOD enthält Detailbestimmungen zur Organisation der Gerichte und zu den Richterstellen.

2. Reglement über die Justizverwaltung

Das Reglement über die Justizverwaltung759 wurde von der Geschäftsleitung des Kantonsgerichts erlassen. Es enthält detaillierte Regelungen zu den ver-schiedenen Regelungsbereichen, zur Aufsichtstätigkeit der Geschäftsleitung, zur Kommunikation, zum Finanzwesen, zu den Kanzleien sowie der Infra-struktur.

757 KISS, S. 83. 758 KISS, S. 86, wonach justizbezogene Tätigkeit durch andere Organe nicht als Justiz-

verwaltung zu bezeichnen ist. 759 Reglement über die Justizverwaltung vom 2. Mai 2011, in Kraft seit 1. Januar 2011,

SGS 170.111.

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Die Justizorganisation im Kanton Basel-Landschaft

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3. Gesetz und Dekret über die Gewaltentrennung

Das Gesetz über die Gewaltentrennung760 und das Dekret zum Gesetz über die Gewaltentrennung761 enthalten eine Reihe von Unvereinbarkeitsregeln zur Wahrung der personellen Gewaltentrennung.

Leitungsorgane der Justizverwaltung und ihre Aufgaben D.

1. Allgemeines

Organe der Gerichtsleitung sind die Gerichtskonferenz, die Geschäftsleitung der Gerichte und die Gerichtsverwaltung (§ 10 Abs. 1 GOG).

2. Gerichtskonferenz

Die Gerichtskonferenz besteht aus den Abteilungspräsidien des Kantonsge-richts, vier Präsidien der erstinstanzlichen Gerichte, sowie je zwei nebenamt-lichen Kantonsrichtern bzw. Mitgliedern erster Gerichte (§ 11 GOG). Zu-ständig ist die Gerichtskonferenz z.B. für den Erlass der Gerichtsgebühren-verordnung, der Tarifordnung für die Anwälte und für Beschlussfassungen über Vorlagen und bei Vernehmlassungen (§ 11, Abs. 2).

3. Geschäftsleitung

Die Geschäftsleitung besteht aus dem Präsidium jeder Abteilung des Kan-tonsgerichts sowie einem Mitglied und einem Ersatzmitglied aus den erstin-stanzlichen Präsidien (§ 12 GOG).762

760 Gesetz über die Gewaltentrennung vom 23. Juni 1999, in Kraft seit 1. Juli 2003,

SGS 104. 761 Dekret zum Gesetz über die Gewaltentrennung vom 23. Juni 1999, in Kraft seit

1. Juli 2003, SGS 104.1. 762 Auch der leitende Gerichtsschreiber und der Leiter Justizverwaltung des Kantons-

gerichts bilden Teil der Geschäftsleitung, wobei diese nur beratende Stimme und Antragsrecht haben.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Die Geschäftsleitung verfügt über eine subsidiäre Generalkompetenz auf-grund von § 12 Abs. 3 GOG und sie nimmt auch die explizit aufgeführten Aufgaben gemäss § 12 Abs. 3 GOG wahr, insbesondere ist sie für den Vor-anschlag zuständig (lit. c). § 12 Abs. 5 gibt ihr weiter die Befugnis, den Ge-richten in administrativen Belangen verbindliche Weisungen zu erteilen.

4. Gerichtsverwaltung

Der Geschäftsleitung ist ein Leiter der Gerichtsverwaltung und ein erster Gerichtsschreiber unterstellt (§ 13 GOG). Diese nehmen mit beratender Stimme und Antragsrecht an den Sitzungen der Geschäftsleitung und der Gerichtskonferenz teil (§ 13 Abs. 2 GOG). Die Gerichtsverwaltung hat die Geschäfte der Gerichtskonferenz und der Geschäftsleitung vorzubereiten und die ihr zugewiesenen Aufgaben zu erledigen (§ 13 Abs. 3 GOG).

5. Organe der Justizverwaltung bei den unteren Instanzen

Im Bereich der dezentralen Justizverwaltung sind die einzelnen Gerichte bzw. die Abteilungen zuständig (§ 4 Abs. 1 Reglement über die Justizver-waltung).

§ 40 des Reglements über die Justizverwaltung beschreibt das Organ der „Konferenz der Erstinstanzpräsidien (KEP)“. Die KEP konstituiert sich selbst und dient vor allem der gegenseitigen Absprache im Interesse der erstinstanzlichen Gerichte (§ 40 Abs. 1 und 2 Reglement über die Justizver-waltung).

Fazit E.

1. Ausführliche rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung

Die Justizverwaltung wird sowohl in der KV BL wie auch im GOG, im GOD sowie in einem eigenen Reglement über die Justizverwaltung geregelt. Die rechtlichen Grundlagen umschreiben die Strukturen der Organe und ihre Aufgaben umfassend.

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Die Justizorganisation im Kanton Basel-Landschaft

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2. Leitungsorgan

Die Geschäftsleitung ist das eigentliche Leitungsorgan. Ihr obliegen diverse Aufgaben, welche im GOG genannt werden. Der Geschäftsleitung zur Seite steht die Gerichtskonferenz, in welcher auch die erstinstanzlichen Präsidien vertreten sind.

3. Weiteres

Die dezentrale Justizverwaltung liegt in den Händen der einzelnen Gerichte bzw. Abteilungen. Die Justizkonferenz ermöglicht einen gerichtsübergrei-fenden Austausch durch die Präsidenten der jeweiligen Gerichte und die KEP sorgt für eine Kontakt- und Austauschmöglichkeit zwischen den erstin-stanzlichen Gerichten.

4. Würdigung

Die Justizverwaltung des Kantons Basel-Landschaft entstand zu einer Zeit, als es in der Schweizerischen Rechtsordnung noch nichts Vergleichbares gab. Mit der Aufnahme des § 82 in die KV BL wurde die Justizverwaltung im Kanton erstmals auf Verfassungsebene festgehalten. Auch wenn die da-mals gewählte Formulierung heute vorsichtig anmutet, so war sie zu ihrer Zeit ein mutiger Schritt zu einer grösseren Unabhängigkeit. Der Begriff der Leitung der Justizverwaltung durch die Gerichte stellt bis heute eine Selten-heit im schweizerischen Recht dar.

Mit den im Jahr 2012 vorgenommenen Neuerungen, d.h. der Neuverteilung der Kompetenzen und der Schaffung einer Gerichtskonferenz hat der Kanton Basel-Landschaft seine Justizverwaltung nun auf eine umfassend neue Grundlage gestellt.

Eine Besonderheit der Justizverwaltung im Kanton Basel-Landschaft ist die Tatsache, dass ein zentrales Leitungsorgan existiert, welches die Justizver-waltung für alle Gerichte des Kantons koordiniert. Diese Lösung ähnelt je-ner, welche im Kanton Aargau besteht. Die Koordination durch das zentrale Leitungsorgan erstreckt sich auf die zentralen Bereiche der Justizverwaltung, welche alle Gerichte betreffen, z.B. den Voranschlag.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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IV. Die Justizorganisation im Kanton Freiburg

Allgemeines zur neuen KV FR und zur Gesetzgebung A.

Die neue Verfassung763 vom 16. Mai 2004 trat am 1. Januar 2005 in Kraft und löste die alte Staatsverfassung des Kantons Freiburg vom 7. Mai 1857 ab.

Auch auf Gesetzesebene gab es eine Revision: Das alte Gerichtsorganisa-tionsgesetz (GOG) vom 22. November 1949 wurde anfangs 2011 durch das neue Justizgesetz (JG)764 abgelöst. Ebenfalls anfangs 2011 trat das Justizreg-lement (JR)765 in Kraft, welches das JG ausführt. Das vom Gesetz verlangte Reglement des Kantonsgerichts wurde am 22. November 2012 erlassen und trat am 1. Januar 2013 in Kraft.766

Keine Verankerung der Justizverwaltung in der B.Kantonsverfassung

Im vierten Kapitel mit dem Titel „Justiz“ gewährleistet Art. 121 Abs. 1 KV FR die richterliche Unabhängigkeit. Abs. 2 bestimmt, dass die Mitglieder der richterlichen Gewalt auf unbestimmte Zeit gewählt werden. Sie können in den gesetzlich vorgesehenen Fällen durch die Wahlbehörde abberufen wer-den. Eine Bestimmung zur Justizverwaltung findet sich in der KV FR hinge-gen nicht.

763 SGF 10.1. 764 SGF 130; vgl. dazu die Botschaft JG FR. 765 SGF 130.11. 766 Vgl. dazu sogleich C.3, nächste Seite.

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Die Justizorganisation im Kanton Freiburg

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Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung C.

1. Justizgesetz (JG)

Art. 5 JG widmet sich der richterlichen Unabhängigkeit. Er hält fest, dass die Unabhängigkeit gewährleistet ist (Abs. 1) und dass die Gerichtsbehörden bei der Ausübung ihres Amtes nur dem Recht verpflichtet sind (Abs. 2).

Unter dem dritten Titel „Interne Organisation der Gerichtsbehörden und Infrastruktur“ widmet sich das JG in Art. 21 der Gerichtsverwaltung. Der Artikel hält fest, dass den Berufsrichtern einer Gerichtsbehörde die Verwal-tung ebendieser obliegt (Abs. 1). Abs. 2 hält ausdrücklich fest, dass die Be-rufsrichter einander gleichgestellt sind. Sie bestimmen aus ihrer Mitte eine Person, die jeweils für ein Jahr in den administrativen Angelegenheiten den Vorsitz führt. Art. 29 JG bestimmt weiter, dass die Gerichtsbehörden ihre Organisation in einem Reglement zu regeln haben.

Art. 41 JG regelt die Verwaltungskommission des Kantonsgerichts und ihre Aufgaben. Sie besteht aus dem Präsidium sowie den drei Abteilungspräsi-denten (Abs. 1) und sie ist verantwortlich für die Verwaltung des Gerichts (Art. 41 Abs. 3 JG). Insbesondere ist sie für die Genehmigung des Budgets zuständig und muss die Rechnung kontrollieren. Ebenso hat sie beispiels-weise für jeden Mitarbeiter der Gerichtsschreiberei ein Pflichtenheft zu ver-fassen. Art. 49 JG beauftragt das Kantonsgericht, in einem Reglement seine interne Organisation und die Art der Beschlussfassung zu regeln.

2. Justizreglement (JR)

Das Justizreglement führt das Justizgesetz aus (Art. 1 Abs. 1 JR). Es besteht aus drei Titeln: Den verschiedenen Bestimmungen, den Tarifen sowie den Schlussbestimmungen.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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3. Reglement für das Kantonsgericht (RKG)

Das Reglement für das Kantonsgericht (RKG)767 präzisiert die interne Orga-nisation (Art. 1 Abs. 1 RKG). Es führt die Zusammensetzung und die jewei-ligen Befugnisse des Gesamtgerichts (Art. 3 ff.), des Präsidiums (Art. 6), der Verwaltungskommission (Art. 7 ff.) und der Zentralen Dienste (Art. 10 f.) genauer aus. Weiter wird die Aufteilung des Gerichts in drei Abteilungen festgelegt (Art. 12). Die Verwaltungskommission ist für die Verwaltung des Kantonsgerichts zuständig und verfügt über eine subsidiäre Generalkompe-tenz (Art. 8 Abs. 1), während dem Präsidenten des Kantonsgerichts die all-gemeine Leitung des Gerichts obliegt (Art. 6 Abs. 1).

Fazit D.

1. Wenige rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung

Die KV des Kantons Freiburg schweigt zum Thema der Justizverwaltung. Das JG enthält hingegen wenige Bestimmungen zur Justizverwaltung, wäh-rend das Justizreglement sich nur zu den Tarifen äussert.

2. Kein Leitungsorgan der Justizverwaltung

Ein eigentliches Leitungsorgan oder ein als solches bezeichnetes Organ der Justizverwaltung existiert im Kanton Freiburg nicht. Die Berufsrichter einer Gerichtsbehörde kümmern sich gemäss JG um deren Verwaltung, beim Kan-tonsgericht obliegt diese Aufgabe der Verwaltungskommission. Diese wird wohl auch in Zukunft das zentrale Organ der Justizverwaltung in Freiburg sein: Dazu sind im neuen JG eingehende Regelungen vorhanden. Insbeson-dere obliegt ihr die Budget- und Rechnungskompetenz.

767 Das RKG, in Kraft seit 1. Januar 2013, SGF 131.11, ersetzt das Provisorische Reg-

lement des Kantonsgerichts vom 20. Dezember 2007, welches seit dem 1. Januar 1992 in Kraft war.

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Die Justizorganisation im Kanton Freiburg

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3. Würdigung

Der Kanton Freiburg stellt in Bezug auf die Selbstverwaltung den bis vor wenigen Jahren in der Schweiz „traditionellen“ Fall dar. Es wird nicht spezi-fisch auf die Justizverwaltung Wert gelegt, sondern es wird selbstverständ-lich davon ausgegangen, dass die einzelnen Gerichte, bzw. Organe dersel-ben, diese besorgen.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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V. Die Justizorganisation im Kanton Zürich

Allgemeines A.

Die Verfassung des Kantons Zürich stammt vom 27. Februar 2005 und stellt damit eine der neuesten Kantonsverfassungen in der Schweiz dar. Sie trat am 1. Januar 2006 in Kraft. Die neuen gesetzlichen Grundlagen im GOG sind hingegen erst seit dem 1. Januar 2011 in Kraft.768

Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung B.

Art. 73 Abs. 1 KV ZH hält zunächst die Zuständigkeit der Gerichte fest. Abs. 2 bestimmt, dass die Gerichte „in ihrer Rechtsprechung von den ande-ren Staatsgewalten unabhängig“ sind und dass ein rechtskräftiger Entscheid von keiner der anderen Gewalten aufgehoben werden kann.

Art. 73 Abs. 3 KV ZH bestimmt, dass die Gerichte sich „unter der Leitung der obersten kantonalen Gerichte verwalten“ und das Gesetz hierzu gemein-same Organe der obersten kantonalen Gerichte vorsieht.769 Weiter bestimmt Art. 74 KV ZH, dass Gerichtsorganisation und Verfahren eine verlässliche und rasche Rechtsprechung vorsehen müssen.

768 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Vorlage 4611 ZH und den Antrag der Kommission

ZH sowie für eine Übersicht http://www.kantonsrat.zh.ch/Geschaefte/Geschaefte. aspx?ID=0d788234-6925-49d6-a89a-6b14507ffc14, zuletzt besucht am 14. Okto-ber 2013.

769 „Oberste kantonale Gerichte“ im Sinne von Art. 73 Abs. 3 KV sind gemäss Art. 74 Abs. 2 KV das Kassationsgericht, das Obergericht, das Verwaltungsgericht sowie das Sozialversicherungsgericht.

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Die Justizorganisation im Kanton Zürich

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Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung C.

1. Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG)

a) Allgemeine Bestimmungen

Das GOG wurde auf den 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt.770 Der 4. Teil des GOG steht unter dem Titel „Justizverwaltung sowie Aufsicht über Gerichte, Schlichtungsbehörden und weitere Behörden“.

In § 68 GOG wird festgehalten, dass die obersten kantonalen Gerichte in ihrer Justizverwaltung unabhängig sind. § 72 bestimmt, dass die gerichts-übergreifenden Organe für die Justizverwaltung aller Gerichte des Kantons und der ihnen unterstellten Behörden verantwortlich sind.

§ 75 Abs. 1 GOG legt fest, dass die Gerichte dem Gesetz über Controlling und Rechnungslegung (CRG)771 und den entsprechenden Ausführungserlas-sen des Regierungsrates unterstehen.772 Gemäss § 75 Abs. 2 GOG führen das Ober-, das Verwaltungs- und das Sozialversicherungsgericht je eine eigene Rechnung. Sie unterbreiten dem Kantonsrat eine Übersicht über die Ent-wicklung der Leistungen und Finanzen, einen Budgetentwurf sowie einen Bericht über ihre Tätigkeit mit Einschluss der Rechnung. Bezüglich der Ausgabenkompetenzen sind sie dem Regierungsrat gleichgestellt (§75 Abs. 3 GOG), die §§ 19-25 CRG gelten sinngemäss.

b) Obergericht und Bezirksgerichte

§ 76 GOG bestimmt, dass dem Obergericht die gesamte Justizverwaltung untersteht, soweit sie nicht anderen Behörden vorbehalten ist.

§ 77 GOG bestimmt, dass der Präsident des jeweiligen Gerichts die Ge-schäftsleitung besorgt. Er überwacht die Pflichterfüllung der Mitglieder des

770 LS 211.1. 771 LS 611. 772 Vgl. dazu sogleich Punkt 2.

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Gerichts und der Gerichtskanzlei und sorgt für beförderliche Erledigung der Geschäfte.

Gemäss § 78 bilden die Generalsekretäre und die Leitenden Gerichtsschrei-ber Stabsstellen des jeweiligen Gerichts. Sie leiten die juristische und die administrative Kanzlei.

2. Gesetz über Controlling und Rechnungslegung (CRG)

Das CRG wurde durch § 75 Abs. 1 GOG auch für die Justiz anwendbar er-klärt. Durch den Verweis im GOG ist auch die Justiz bei der Steuerung von Leistungen und Finanzen zur Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit angehalten (§ 2 Abs. 1 CRG).

Ebenso untersteht die Justiz den im selben Artikel in Abs. 2 genannten Grundsätzen wie Ausrichtung der Wirkungen, Festlegung der zu erbringen-den Leistungen, Verbindung von Leistungen und finanziellen Mitteln, der Globalbudgetierung sowie der Übereinstimmung von Aufgaben, Kompeten-zen und Verantwortung. Auch eine ausgeglichene Rechnung ist in § 4 CRG gefordert. Nach § 4 Abs. 3 CRG wird bei einem Fehlbetrag dieser jährlich um mindestens 20 Prozent abgetragen. Ebenso unterstehen die staatlichen Tätigkeiten nach § 6 CRG einem Controlling. Dieses umfasst Zielfestlegung, Planung der Massnahmen, Steuerung und Überprüfung staatlichen Handelns. § 9 CRG sieht im Weiteren einen „konsolidierten Entwicklungs- und Fi-nanzplan“ vor.773 Die §§ 19-25 CRG befassen sich mit dem Budget, Nach-tragskrediten und Kreditüberschreitungen.

3. Verordnung über direktionsübergreifende Informatik (KITT-Verordnung)

Die Verordnung über die direktionsübergreifende Informatik vom 14. De-zember 2005 trat am 1. Januar 2006 in Kraft.774 Gemäss § 1 KITT-Verord-

773 Vgl. dazu ausführlich § 9 ff. CRG. 774 LS 170.7.

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Die Justizorganisation im Kanton Zürich

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nung sind die obersten kantonalen Gerichte selber zuständig für ihre Infor-matik und verfügen über Informatikdienste.775

Gerichtsübergreifende Justizverwaltungsorgane D.

1. Plenarausschuss der Gerichte

§ 69 GOG bezeichnet als gerichtsübergreifende Justizverwaltungsorgane den Plenarausschuss der Gerichte sowie die Verwaltungskommission der Gerich-te.

Der Plenarausschuss hat rein rechtsetzende Funktion und erlässt gemäss § 73 GOG insbesondere Verordnungen (z.B. über die Entschädigung der Zeugen, etc.). Mitglieder des Plenarausschusses nach § 70 Abs. 1 GOG sind die Mit-glieder der Verwaltungskommission der Gerichte oder deren Stellvertreter.

2. Verwaltungskommission der Gerichte

Das eigentliche Leitungsorgan der Justiz ist die Verwaltungskommission. Ihre Aufgabe nach § 74 Abs. 1 GOG ist es, die Geschäfte des Plenaraus-schusses vorzubereiten und diesem Antrag zu stellen. Auch besorgt die Ver-waltungskommission den Verkehr mit dem Kantonsrat und dem Regierungs-rat bei Geschäften, welche die gesamte kantonale Justiz betreffen (§ 74 Abs. 2 GOG). Weiter kann sie zu Geschäften, insbesondere zu Gesetzesent-würfen Stellung nehmen (§ 74 Abs. 3 GOG).

Die Präsidenten der obersten kantonalen Gerichte bilden die Verwaltungs-kommission (§ 71 Abs. 1 GOG). Die Verwaltungskommission wählt aus ihrer Mitte ihren Präsidenten und einen Vizepräsidenten (§ 71 Abs. 2 GOG).

775 LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 100, S. 29.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Fazit E.

1. Kantonsverfassung

Es ist festzustellen, dass die KV des Kantons Zürich sich klar zum Grundsatz der Selbstverwaltung der Gerichte bekennt. Sie tut dies im gleichen Artikel, in welchem die richterliche Unabhängigkeit statuiert wird. Es handelt sich um ein weitgehend umfassendes Selbstverwaltungsrecht.776

Auf organisatorischer Ebene ist zu sagen, dass der Kanton Zürich gemein-same Organe der obersten Gerichte als Leitung vorsieht, die für die Justiz-verwaltung zuständig sind.

2. Umfassende gesetzliche Grundlagen

Das GOG enthält einige Artikel (§ 67 bis § 85) zum Thema Justizverwaltung und Aufsicht. Diese umfassende gesetzliche Regelung zeigt, – wie schon die umfassende Regelung in der KV ZH – dass der Kanton Zürich die rechtli-chen Grundlagen zur Selbstverwaltung der Justiz ausbauen und damit die Unabhängigkeit der Justiz von den anderen beiden Gewalten stärken woll-te.777

§ 77 GOG geht sehr weit, indem die Präsidenten des Obergerichts sowie der Bezirksgerichte die Pflichterfüllung der „Mitglieder“ des Gerichts zu über-wachen haben und für eine beförderliche Erledigung sorgen.

3. Leitungsorgan der Justizverwaltung

Es existieren im Kanton Zürich zwei gerichtsübergreifende Justizverwal-tungsorgane: Der Plenarausschuss sowie die Verwaltungskommission. Wäh-rend der Plenarausschuss vor allem Verordnungen erlässt, bereitet die Ver-

776 LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 99. Gemäss HALLER, Rz. 23 ff. sollte

die Unabhängigkeit institutionell über das durch das übergeordnete Recht geforder-te Mass gestärkt werden.

777 Vgl. ebenso SCHMID zu Art. 73 KV, Rz. 11.

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Die Justizorganisation im Kanton Zürich

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waltungskommission die Geschäfte vor und ist für die Vertretung gegenüber den anderen Gewalten besorgt.

4. Würdigung

Die Unterstellung der Justiz unter das CRG mittels des Verweises im GOG stellt eine Neuigkeit dar. Ebenso verhält es sich mit der Forderung nach einer ausgeglichenen Rechnung. Hingegen dürfte sich bezüglich des eingeführten Controllings wohl nicht allzuviel ändern.778

778 Vgl. MOSIMANN, NPM, S. 68.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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VI. Die Justizorganisation im Kanton Bern

Allgemeines A.

Aus Anlass der auf Bundesebene auf den 1. Januar 2011 eingeführten ein-heitlichen Zivil- und Strafprozessordnung hat der Kanton Bern seine gesam-te Gerichtsorganisation überdacht und einer eingehenden Reform unterzo-gen.779 Am 24. September 2006 hat das Berner Stimmvolk Ja gesagt zur Verwaltungsreform der dezentralen kantonalen Verwaltung und zur Kon-zentration der 13 Gerichtskreise auf 4 Gerichtsregionen mit einer Aussen-stelle im Berner Jura.780 Damit verbunden war eine Verfassungsänderung.781 Für die Reorganisation der Justizbehörden wurde zur Umsetzung der verfas-sungsrechtlichen Bestimmungen u.a. das neue Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG) vom 11. Juni 2009 erlassen, welches, abgesehen von wenigen Artikeln, am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist.782 Dabei waren zentrale Punkte der neuen Justizorgani-sation die Stärkung der Unabhängigkeit und die Einführung von deutlich mehr Kompetenzen für die Justiz in der Selbstverwaltung.783

779 Vgl. für die frühere Ausgestaltung LIENHARD, Bern, S. 418 f. 780 KOHLER, Rz. 11. 781 Vgl. Tagblatt BE 2006, S. 2. Im Rahmen dieser Reform, welche am 24. September

2006 durch das Berner Stimmvolk angenommen wurde, wurde der Kanton neu in fünf Verwaltungsregionen und zehn Verwaltungskreise aufgeteilt statt wie bisher in 26 Amtsbezirke.

782 BSG 161.1. Die Art. 17 und 19 GSOG traten bereits vorzeitig auf den 1. Januar 2010 in Kraft, damit sich das neue Organ der Justizleitung rechtzeitig konstituieren und seine Arbeit aufnehmen konnte. Vgl. ausführlich zur sogenannten „Justizre-form 2“ Tagblatt BE 2009, S. 4 f.

783 LIENHARD, Bern, S. 404 und S. 418.

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Die Justizorganisation im Kanton Bern

221

Verankerung der Justizverwaltung in der Kantonsverfassung B.

Die Verfassung des Kantons Bern datiert vom 6. Juni 1993 und trat am 1. Januar 1995 in Kraft.784

Art. 26 KV BE hält den Grundsatz der Unabhängigkeit fest. Unter dem Titel „5.5 Gerichte“ hält die KV BE in Art. 97 sodann verschiedene Grundsätze fest, darunter wird in Abs. 1 die Unabhängigkeit der Gerichte wiederholt und in Abs. 2 die Öffentlichkeit der Prozessführung verankert. Eine Bestimmung zur Selbstverwaltung der Justiz findet sich in der KV BE nicht.785

Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung C.

1. Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG)

Das GSOG regelt gemäss Art. 1 Abs. 1 die „Organisation und Führung“ der Gerichtsbehörden, schafft die Rahmenbedingungen für eine effiziente Be-hördenorganisation, die zeitgerechte Durchführung der Gerichtsverfahren und der Strafverfolgung (Abs. 2) und es bestimmt die Organe, welche die Aufsicht über die Gerichtsbehörden und die Staatsanwaltschaft ausüben (Abs. 3).

Grundsätze der Organisation und Führung sind gemäss Art. 4 GSOG u.a. die Unabhängigkeit, die Selbstverwaltung und Zusammenarbeit (Art. 5 Abs. 1: „Die Gerichtsbehörden und die Staatsanwaltschaft verwalten sich selbst, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt“).

In Art. 9 Abs. 1 GSOG wird sinngemäss auf die Gesetzgebung über die Steuerung von Finanzen und Leistungen (FLG) verwiesen.786 Hingegen wer-den in Abs. 2 die Wirkungs- und Erlösorientierung explizit als nicht an-

784 BSG 101.1. Vgl. zur Geschichte der kantonalen Verfassungsentwicklung BOLZ/

KÄLIN, S. 8 ff. 785 Vgl. LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 84. 786 Vgl. dazu sogleich Punkt 5.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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wendbar erklärt.787 Art. 10 GSOG bestimmt weiter, dass die oberen Gerichte jährlich ihre Leistungsziele festlegen und daraus ihren Bedarf an Ressourcen ableiten. Art. 11 Abs. 1 GSOG beschäftigt sich mit Voranschlag, Aufgaben- und Finanzplan. Die drei Finanzinstrumente werden in die folgenden „Pro-duktgruppen“ gegliedert: Zivil- und Strafgerichtsbarkeit; Verwaltungsge-richtsbarkeit; Staatsanwaltschaft. In Abs. 2 werden die Verantwortlichkeiten für die Produktgruppen der jeweiligen obersten kantonalen Instanz zugeord-net (Obergericht, Verwaltungsgericht, Generalstaatsanwaltschaft).788 Art. 11 Abs. 5 GSOG bestimmt schliesslich, dass der Regierungsrat den von der Justizleitung erarbeiteten Voranschlag und den Aufgaben- und Finanzplan unverändert in den Voranschlag und in den Aufgaben- und Finanzplan des Kantons übernimmt und dazu Stellung nimmt.

Art. 12 GSOG widmet sich den Geschäftsreglementen: Die Gerichtsbehör-den haben für den Bereich der Geschäftsführung Reglemente zu erlassen, welche u.a. die Organisation, die Geschäftszuteilung, den allgemeinen Ab-lauf des Geschäftsgangs, die Aufgaben und die Kompetenzen und Verant-wortlichkeiten der Organe zu regeln haben.789

In den Art. 17-19 widmet sich das GSOG der Justizleitung. Intern verfügen das Obergericht und das Verwaltungsgericht über eine sogenannte Gerichts-leitung (Art. 35 ff. GSOG).790

2. Reglement der Justizleitung (JLR)

Das Reglement der Justizleitung vom 26. Mai 2010791, welches auf den 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, regelt eingehend die Stellung, den Auf-trag, die Organisation und die Aufgaben des neuen Organs „Justizleitung“.

787 Vgl. dazu LIENHARD, Bern, S. 424. 788 Vgl. zu dieser politischen Steuerung LIENHARD, Bern, S. 424 f. 789 Vgl. die Organisationsreglemente, Punkt 4. 790 Vgl. S. 227. 791 BSG 161.111.1.

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Die Justizorganisation im Kanton Bern

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3. Reglement über die Steuerung von Finanzen und Leistungen der Justiz (JFinR)

Das JFinR792 beschäftigt sich mit der Rechnungsführung, den Ausgabenbe-fugnissen sowie dem Controlling der Justiz. Für die Rechnungsführung ver-weist das JFinR in Art. 2 auf die Verordnung vom 3. Dezember 2003 über die Steuerung von Finanzen und Leistungen (FLV).793

4. Organisationsreglement des Obergerichts (OrR OG) und Organisationsreglement des Verwaltungsgerichts (OrR VG)

Die beiden Reglemente OrR OG794 und OrR VG795 bestimmen, dass sich die beiden Gerichte unter Vorbehalt der Aufgaben und Befugnisse der Justizlei-tung und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben selbst verwalten. Dabei beachten ihre Leitungsorgane sinngemäss die Grundsätze der Führungs-, Leistungs- und Kostenorientierung gemäss Art. 3 Abs. 2, 4 und 5 FLG796. Das Obergericht verwaltet auch die unter seiner Aufsicht stehenden Ge-richtsbehörden.797

5. Gesetz über die Steuerung von Finanzen und Leistungen (FLG)

Nach Art. 1 Abs. 2 OrR OG verwaltet sich das Obergericht selbst und seine Leitungsorgane haben dabei sinngemäss die Grundsätze der Führungs-, Leis-tungs- und Kostenorientierung gemäss Art. 3 Abs. 2, 4 und 5 des FLG zu beachten. Dasselbe gilt für das Verwaltungsgericht (Art. 1 Abs. 2 OrR VG).

792 BSG 161.111.2. 793 BSG 621.1. 794 BSG 162.11. 795 BSG 162.621. 796 BSG 620.0. 797 Art. 1 Abs. 2 OrR OG und Art. 1 Abs. 2 OrR VG.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Art. 3 Abs. 2 FLG beschreibt die Führungsorientierung. Sie umfasst insbe-sondere

- verfassungs- und gesetzmässiges staatliches Handeln (lit. a) - den mittelfristigen Ausgleich der laufenden Rechnung (lit. b) - weitere finanzielle Ziele (lit. c und d) - eine stufengerechte strategische Steuerung durch den Grossen Rat und

eine stufengerechte Führung durch den Regierungsrat (lit. e) - eine weitgehende Delegation der operativen Führung an die einzelnen

Organisationseinheiten der Verwaltung (lit. f) - einen zweckmässigen, auf den konkreten Bedarf der verschiedenen

Verwaltungskategorien abgestimmten Einsatz von Führungsinstru-menten und -prozessen (lit. g).

Art. 3. Abs. 4 FLG umschreibt die Leistungsorientierung und insbesondere die Führung der Verwaltung mit stufengerechten Leistungszielen (lit. a), das wirtschaftliche und bürgernahe Erbringen von Leistungen mit hoher Qualität (lit. b), die Überprüfung der Leistungserbringung hinsichtlich Zielerreichung (lit. c). Art. 3 Abs. 5 FLG erläutert sodann die Kosten- und Erlösorientie-rung. Diese umfasst insbesondere den Grundsatz der Transparenz und der Kostenwahrheit (lit. a), den wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit Ressourcen (lit. b) sowie eine sachgerechte Ertragsbewirtschaftung unter Beachtung des Verursacherprinzips (lit. c).

Organe der Justizverwaltung D.

1. Die Justizleitung

a) Zusammensetzung der Justizleitung

Gemäss Art. 17 Abs. 1 GSOG und Art. 1 JLR ist die Justizleitung das ge-meinsame Organ von Obergericht, Verwaltungsgericht und Generalstaats-anwaltschaft.

Die Justizleitung setzt sich aus den Präsidenten des Ober- und Verwaltungs-gerichts und dem Generalstaatsanwalt zusammen, wobei der Leiter der Stabsstelle für Ressourcen an den Sitzungen der Justizleitung mit beratender Stimme teilnimmt (Art. 17 Abs. 2 GSOG und Art. 10 JLR). Abs. 3 sieht den

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Die Justizorganisation im Kanton Bern

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Erlass eines Reglements bezüglich Organisation und Verfahren der Ent-scheidfällung vor.798

b) Auftrag der Justizleitung

Ein Grund für die Einführung einer Justizleitung war die Verwirklichung der institutionellen Unabhängigkeit: Es sollte eine Struktur für die Zusammenar-beit der Gerichtsbehörden untereinander und für die Vertretung der Anliegen der Justiz gegenüber der Legislative und Exekutive geschaffen werden.799 Art. 2 JLR enthält in Abs. 1 den Auftrag, dass die Justizleitung die Gerichts-behörden und die Staatsanwaltschaft gegen aussen zu vertreten habe. Ebenso gewährleistet die Justizleitung gemäss Abs. 2 „die koordinierte und vernetzte Aufgabenerfüllung in der Gerichtsbarkeit im Bestreben, die Qualität und Effizienz der Aufgabenerfüllung zu fördern.“

c) Aufgaben der Justizleitung

Art. 4 JLR, welcher unter dem Titel Aufgaben steht, besagt in lit. a, dass die Justizleitung die Aufgaben gemäss Art. 18 Abs. 1 GSOG wahrnimmt.

Die Aufgaben der Justizleitung werden in Art. 18 Abs. 1 GSOG festgehal-ten: So ist die Justizleitung Ansprechpartnerin des Grossen Rates bei allen Fragen, die sowohl die Gerichtsbehörden als auch die Staatsanwaltschaft betreffen, sie vertritt im Grossen Rat den Voranschlag, den Geschäftsbericht und den Aufgaben- und Finanzplan der Gerichtsbehörden, sie regelt die Ausgabenbefugnisse der Gerichtsbehörden im Rahmen der Gesetzgebung über die Steuerung von Finanzen und Leistungen, sie ist verantwortlich für die strategischen Leitlinien in den Bereichen Personal-, Finanz- und Rech-nungswesen und führt darüber ein Controlling. Sie kann entsprechende Wei-sungen und die notwendigen Reglemente erlassen. Zu guter Letzt beschliesst die Justizleitung über neue und gebundene Ausgaben (Art. 18 Abs. 2 GSOG).

798 Vgl. dazu das JLR, Art. 10-19. 799 LIENHARD, Bern, S. 425.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Die Art. 5 ff. JLR gehen spezifisch auf die einzelnen Aufgabenbereiche der Justizleitung, d.h. auf Personal, Finanz- und Rechnungswesen, Infrastruktur und Öffentlichkeitsarbeit ein. Auch leitet die Justizleitung die Stabsstelle für Ressourcen und regelt deren Organisation und Aufgaben durch Regle-ment.800

d) Organisation und Verfahren

Art. 10 ff. JLR regeln die Organisation und Verfahren der Justizleitung. Da-bei wird der Vorsitzende für zwei Jahre durch die Mitglieder der Justizlei-tung gewählt (Art. 11 Abs. 1 und 2 JLR). Er hat die Aufgabe, die Justizlei-tung gegen aussen zu vertreten (insbesondere gegenüber dem Grossen Rat, vgl. Abs. 3) und dafür zu sorgen, dass die Aufgaben der Justizleitung zeitge-recht, zweckmässig und koordiniert aufgenommen und abgeschlossen wer-den (Abs. 4).

e) Stabsstelle für Ressourcen

Art. 19 GSOG widmet sich der Stabsstelle für Ressourcen: Diese ist zustän-dig für die Personaladministration, das Finanz- und Rechnungswesen und das Informatikwesen der bernischen Justiz (Abs. 1). Der Leiter der Stabsstel-le nimmt mit beratender Stimme an den Sitzungen der Justizleitung teil (Abs. 2). Er kann den Fachverantwortlichen der entsprechenden Behörden personal- und finanztechnische Weisungen erteilen (Abs. 3).

Im JLR finden sich die Bestimmungen zur Stabsstelle für Ressourcen in den Art. 20-22. So führt die Stabsstelle das Sekretariat der Justizleitung und berät und unterstützt diese bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Ebenso prüft sie die Anträge, welche Obergericht, Staatsanwaltschaft und Verwaltungsgericht der Justizleitung unterbreiten. Weiter koordiniert sie die Informationen der Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Justiz (Art. 20 JLR). Die Stabsstelle hat auch verschiedene Querschnitts- und Dienstleistungsaufgaben. So sichert sie beispielsweise Planung, Vollzug, Controlling und Berichterstattung bezüg-

800 Vgl. zur Stabsstelle für Ressourcen sogleich e).

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lich der Aufgaben und Ressourcen der Justiz oder koordiniert die Bedürfnis-se im Bereich der Infrastruktur (Art. 21 JLR).

2. Gerichtsleitung von Ober- und Verwaltungsgericht

a) Gerichtsleitung des Obergerichts

Art. 36 GSOG und Art. 2 ff. OrR OG regeln die Gerichtsleitung des Oberge-richts: Diese obliegt dem Präsidium, dem Plenum, der Geschäftsleitung so-wie der erweiterten Geschäftsleitung.

Art. 39 GSOG und Art. 9-12 OrR OG definieren das Organ der Geschäftslei-tung. Dieses besteht aus dem Präsidenten des Obergerichts, den Abteilungs-präsidenten, dem Generalsekretär sowie dem Fachverantwortlichen für Res-sourcen (Art. 39 Abs. 1 GSOG). Die Geschäftsleitung ist verantwortlich für die Gerichtsverwaltung, insbesondere für die Festlegung der Leistungsziele und die Verabschiedung des Voranschlags, des Aufgaben- und Finanzplans sowie des Geschäftsberichts, die Anstellung des Leiters Controlling, die Anstellung der Gerichtsschreibenden sowie die Anstellung des administrati-ven Personals.801

b) Gerichtsleitung des Verwaltungsgerichts

Die Gerichtsleitung des Verwaltungsgerichts wird in Art. 49 GSOG und in Art. 2 ff. OrR VG umschrieben. Sie obliegt dem Präsidenten, dem Plenum und der Geschäftsleitung. Für die Ausführungen zum Präsidium (Art. 50 GSOG) und zum Plenum (Art. 51 GSOG) kann auf die Ausführungen zum Obergericht verwiesen werden. Auch die Geschäftsleitung des Verwaltungs-gerichts (Art. 52 GSOG) ist weitgehend gleich geregelt wie beim Oberge-richt.

801 Art. 39 Abs. 2 lit. a-d GSOG.

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3. Abteilungspräsidenten des Obergerichts

Art. 44 GSOG regelt das Amt des Abteilungspräsidenten des Obergerichts. Dieser „führt die Abteilung und ist verantwortlich für die Fallzuteilung und den Belastungsausgleich“ (Abs. 1). Der Abteilungspräsident ist gleichzeitig Vizepräsident des Obergerichts. Für seine Aufgaben stehen ihm ein leitender Gerichtsschreiber sowie ein Kanzleichef zur Seite (Abs. 4).

Art. 24 Abs. 1 OrR OG verweist zunächst auf Art. 44 GSOG und bestimmt in Art. 24 weiter, dass der Abteilungspräsident „insbesondere“ für eine ord-nungsgemässe Erledigung der Geschäfte zu sorgen hat (lit. a).

4. Abteilungspräsidenten des Verwaltungsgerichts

Art. 55 GSOG regelt das Amt des Abteilungspräsidenten des Verwaltungs-gerichts. Dieser „führt die Abteilung und sorgt für die ordnungsgemässe Erledigung der Geschäfte“. Gemäss Art. 19 Abs. 1 OrR VG führt der Abtei-lungspräsident die Abteilung, sorgt für die ordnungsgemässe Erledigung der Geschäfte und wacht über die einheitliche Rechtsprechung in der Abteilung.

5. Geschäftsleitung der Regionalgerichte

Gemäss Art. 82 Abs. 1 GSOG verfügt jedes Regionalgericht über eine Ge-schäftsleitung. Diese besteht aus dem Vorsitzenden, dem Stellvertreter des Vorsitzenden, dem leitenden Gerichtsschreiber sowie dem Ressourcenver-antwortlichen (Abs. 2).

Fazit E.

1. Ausführliche rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung

Zwar findet sich in der KV BE keine Bestimmung zur Justizverwaltung. Auf Gesetzes- und Reglementsstufe hingegen finden sich umfassende Regelun-gen. Das neu ausgestaltete Selbstverwaltungsrecht war eine der wichtigsten

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Die Justizorganisation im Kanton Bern

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Neuerungen der bernischen Justizreform.802 So enthält das GSOG einen ei-genen Titel „Justizleitung“. Das GSOG regelt das neue Selbstverwaltungs-recht. Dazu zählen nach bernischem Recht das eigene Budgetantragsrecht, die Finanzkompetenzen und die selbständige Bewirtschaftung des Personal-wesens. Innerhalb des Globalbudgets werden auch die Güter und Dienstleis-tungen, welche benötigt werden, selbständig beschafft und verwaltet.803

2. Leitungsorgan der Justizverwaltung

Mit der Reorganisation der Justizbehörden wurde ein neues Organ geschaf-fen: Die Justizleitung. Die Justizleitung verfügt über zwei zentrale Aufga-ben: Erstens die Gewährleistung des Kontakts mit dem Grossen Rat bezüg-lich Voranschlag und Berichterstattung und zweitens die Koordination der Selbstverwaltung der Gerichtsbarkeit. Die Justizleitung könnte man in Bezug auf die Gerichte mit dem Regierungsrat als oberstes Organ der Exekutive vergleichen 804 bzw. als „Regierung der Justiz“ bezeichnen.805

3. Gerichtsinterne Steuerung

Das GSOG verweist in Art 9 Abs. 1 sinngemäss auf die Gesetzgebung über die Steuerung von Finanzen und Leistungen.806 Hingegen werden in Abs. 2 die Wirkungs- und Erlösorientierung explizit als nicht anwendbar erklärt. Aufgrund der globalen Budgets für die Produktgruppen legen das Ober- und das Verwaltungsgericht jährlich ihre Leistungsziele und ihren Bedarf an Ressourcen fest. Die Ziele und Mittel der Produktgruppen werden nach Pro-dukten weiter spezifiziert. Dabei entspricht ein Produkt einer bestimmten nach aussen erbrachten Leistung.807 Zur Bezeichnung als Produkte eignen

802 LIENHARD, Bern, S. 422. 803 Vgl. LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 87. 804 LIENHARD, Bern, S. 426. 805 LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 87. 806 Vgl. dazu sogleich Punkt 5. 807 LIENHARD, Bern, S. 430.

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sich insbesondere die nach Fachbereich und Instanz systematisierten Urtei-le.808

4. Abteilungspräsidenten

Die Abteilungspräsidenten des Ober- bzw. des Verwaltungsgerichts sind Mitglieder der jeweiligen Geschäftsleitung, welche sich um die Gerichts-verwaltung kümmern. Ebenso sind sie für die ordnungsgemässe Erledigung der Geschäfte zuständig sowie für die einheitliche Rechtsprechung der Ab-teilungen.

5. „Standortgespräche“

Als Führungsinstrument ist im Kanton Bern ein jährliches Standortgespräch mit erstinstanzlichen Richtern eingeführt, welches vertraulich ist und vom Leiter der jeweiligen Justizeinheit durchgeführt wird. Themen sind die all-gemeine Situation wie Rahmenbedingungen oder die Geschäftslast sowie Fach- und Verhaltenskompetenzen. Auch werden persönliche Ziele festge-setzt und es gibt ein Führungsfeedback.809 Dafür gibt es, soweit ersichtlich, keine gesetzliche Grundlage.

6. Würdigung

Der Kanton Bern weist eines der neuesten Systeme der Justizverwaltung in der Schweiz auf. Die Struktur der Justiz im Kanton Bern wurde in den letz-ten Jahren einer grundlegenden Neuordnung unterzogen. Die Kantonsverfas-sung äussert sich mit keinem Wort zu einer allfälligen Selbstverwaltung. Der bernische Verfassungsgeber ist davon ausgegangen, dass diese Fragen auf Gesetzesstufe zu regeln sind.810 Das GSOG und die Reglemente der Justizre-form enthalten ausführliche und neuartige Bestimmungen. In keinem ande-

808 Vgl. Art. 11 Abs. 1 GSOG. 809 GRÜTTER, Rz. 10; MOSIMANN, Schweiz, S. 14. 810 BOLZ, Art. 97, Rz. 1b.

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ren Kanton, ebensowenig auf Bundesebene finden sich vergleichbare Be-stimmungen und der Einfluss der Erfahrungen aus anderen Kantonen sowie der NPM-Lehre sind unübersehbar. Die Arbeit mit Globalbudgets, Produkte-gruppen und Ressourcenzuteilungen, gestützt auf Leistungsziele in der Jus-tiz, ist in dieser umfassenden Anwendung eine Neuheit für die Gerichte in der Schweiz. Die neu eingeführten Standortgespräche mit Richtern stellen ebenfalls eine Neuigkeit dar. Darauf wird im Teil fünf noch einzugehen sein.811

811 Vgl. hinten, S. 330.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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VII. Die Ausgestaltung der Aufsicht in den Kantonen

Allgemeines A.

Im Folgenden wird für einen Überblick über die Aufsicht beispielhaft an-hand des Kantons Basel-Landschaft die Situation der Aufsicht in den Kanto-nen umschrieben (B.) und anschliessend wird kurz auf die Situation in den anderen Kantonen eingegangen (C.). Dabei beschränkt sich die Darstellung auf einige wichtige Punkte. Anschliessend wird das spezielle System im Kanton Freiburg dargestellt (D.), worauf sich das Fazit anschliesst (E.)

Kanton Basel-Landschaft B.

1. Rechtliche Grundlagen

§ 87 KV BL bestimmt, dass das Kantonsgericht die Aufsicht über die Ge-richte im Kanton ausübt und dem Landrat jährlich Bericht erstattet.

§ 8 Abs. 2 GOG wiederholt die Zuständigkeit des Kantonsgerichts für die Aufsicht und fügt an, dass dieses die Gerichte im Verkehr nach aussen ver-tritt.

Das Reglement über die Justizverwaltung enthält in §§ 33 ff. genauere Be-stimmungen zur Aufsicht: siehe S. 229.

2. Aufsicht des Kantonsgerichts

Gemäss § 33 des Reglements über die Justizverwaltung übt die Geschäftslei-tung des Kantonsgerichts die Aufsicht über die Gerichte aus. Dabei stehen ihr nach § 34 die Inspektion, die Behandlung von Aufsichtsbeschwerden, Weisungen über die administrative Geschäftsführung sowie der Amtsbericht mit Statistik als Instrumente zur Verfügung.

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Die Ausgestaltung der Aufsicht in den Kantonen

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Ebenso wird festgehalten, dass alle Beschäftigten eine Zeiterfassung zu füh-ren haben. Die Kontrolle der Zeiterfassung der Präsidien erfolgt im Rahmen der Aufsichtstätigkeit durch die Geschäftsleitung.812

Überblick über die Aufsicht in den anderen Kantonen C.

Im Kanton Aargau entscheidet das Justizgericht gemäss § 38 Abs. 1 GOG unter anderem als einzige kantonale Instanz über die befristete Einstellung im Amt oder die Amtsenthebung von Richtern, über Beschwerden gegen Disziplinarentscheide der Aufsichtskommission und über Beschwerden ge-gen Entscheide der Justizleitung, soweit diese nach Art. 29a BV anfechtbar sind. Ebenso kann wegen Rechtsverweigerung bzw. -verzögerung der Justiz-leitung das Justizgericht angerufen werden (Abs. 2). Mit der Schaffung der Justizleitung ist nun dasselbe Organ, welches die Justizverwaltung leitet, auch für die Aufsicht zuständig. Ebenso wurde durch die Schaffung des Jus-tizgerichts die Möglichkeit einer innerjustiziellen Beschwerdemöglichkeit bei Amtsenthebungen oder Disziplinarentscheiden geschaffen. Eine solche Stelle, justizintern, ist schweizweit einzigartig.

Der Kanton Zürich beauftragt ebenfalls das Obergericht mit der Aufsicht: Dieses beaufsichtigt seine Kammern und das Handelsgericht sowie die an-gegliederten Kommissionen (§ 80 Abs. 1 lit. a GOG), die ihm unterstellten Gerichte (§ 80 Abs. 1 lit. b GOG) und die Paritätische Schlichtungsbehörde für Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz (§ 80 Abs. 1 lit. c GOG). Aus § 81 Abs. 2 GOG folgt, dass die Bezirksgerichte dem Obergericht über ihre Tätigkeit Bericht zu erstatten haben.

Der Kanton Bern hat ebenfalls bei der Aufsicht ein neues System eingeführt. Zunächst bestimmt Art. 9 JLR, dass die Justizleitung die Aufsicht über die Gerichtsbehörden durch das Obergericht und das Verwaltungsgericht koor-diniert. Art. 13 Abs. 2 GSOG legt fest, dass die Regionalgerichte und weite-re spezielle Gerichte (Z.B. Zwangsmassnahmengericht, Wirtschaftsstrafge-richt) unter der Aufsicht des Obergerichts stehen. Art. 39 Abs. 2 lit. g GSOG

812 § 19 Abs. 1 und 4 des Reglements über die Justizverwaltung.

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führt weiter aus, dass innerhalb des Obergerichts die Geschäftsleitung das zuständige Organ für die Aufsicht darstellt.

Art. 14 GSOG ordnet die Ressourcenvereinbarung: Das Obergericht, das Verwaltungsgericht und die Generalstaatsanwaltschaft schliessen mit den ihrer Aufsicht unterstellten Behörden jährlich Ressourcenvereinbarungen ab, in denen die Produkte und die „Saldi der Produkte“ festgelegt werden.

Am Obergericht und am Verwaltungsgericht ist – wie für die eigentliche Aufsicht – die Geschäftsleitung zuständig für den Abschluss von Ressour-cenvereinbarungen mit den beaufsichtigten Gerichtsbehörden (Art. 39 Abs. 2 lit. m und Art. 52 Abs. 2 lit. k GSOG).

In Art. 2 AufsR OG813 wird der Gegenstand der Aufsicht zunächst generell als „alle Bereiche der Geschäftsführung“ bezeichnet, danach folgt eine nicht abschliessende Aufzählung. Namentlich werden genannt (Art. 2 lit. a-l AufsR OG): Die Leitung, die Organisation, die Fallerledigung, das Quali-tätsmanagement, die Ressourcenzuweisung, der Belastungsausgleich, das Personal- und Finanzwesen, die Informatik, der Umgang mit besonders schützenswerten Daten sowie die Sicherheit.

Vorbehalten bleibt die Oberaufsicht des Grossen Rates, die Aufsicht der kantonalen Finanzkontrolle sowie die Zuständigkeit der Justizleitung für das Personal- und Finanzcontrolling (Art. 3 Abs. 2 AufsR OG).

Die Aufsicht wird mit verschiedenen Instrumenten, z.B. mit Reglementen, den Ressourcenvereinbarungen, den Geschäftsberichten, Statistiken, jährli-chen Standortgesprächen und Leistungsbeurteilungen, etc., vorgenommen (Art. 4 AufsR OG).

Die Stelle „Leitung Controlling“ untersteht direkt dem Präsidenten des Obergerichts (Art. 5 AufsR OG). Ihr obliegt insbesondere die periodische Analyse und Evaluation der Geschäftsführung der Zivil-, Strafrechts- und Jugendgerichtsbarkeit, das Erstellen von Risikoanalysen oder das Treffen von Massnahmen zur Qualitätssicherung oder die inhaltliche Abstimmung der Aufsichtsinstrumente.

813 BSG 161.12.

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Kanton Freiburg D.

1. Allgemeines

Der Kanton Freiburg hat schweizweit ein einmaliges neues Modell für die Aufsicht über die Justiz eingeführt: Die Justizaufsicht wird durch einen spe-ziell dafür eingesetzten Justizrat, einen „Conseil de la magistrature“ ausge-übt.814 Dieser ist Aufsichtsbehörde über die Justiz und begutachtet die Kan-didaturen für die Justizbehörden. Im Folgenden wird dieses für die Schweiz vollständig neue Aufsichtsmodell genauer untersucht.815

2. Die Regelung der Aufsicht in den rechtlichen Grundlagen

a) Kantonsverfassung

Die KV FR regelt die Institution des Justizrates (Art. 125 ff.). Seine Aufga-ben erwähnt die KV FR in Art. 125 und Art. 127: Demnach ist der Justizrat Aufsichtbehörde über die Justiz. Er übt die Administrativ- und Diszipli-naraufsicht über die richterliche Gewalt aus, wobei er die Administrativauf-sicht über die erstinstanzlichen Gerichtsbehörden auch dem Kantonsgericht übertragen kann (Art. 127 Abs. 2 KV FR).

Art. 126 KV FR regelt die Zusammensetzung und Bestellung, während Art. 128 KV FR Bestimmungen zu den Wahlen enthält.

b) Justizgesetz

i) Justizrat816

Art. 90 JG bestimmt, dass der Justizrat die Aufsichtsbehörde über die Justiz bildet, dass er gegenüber der gesetzgebenden, der vollziehenden und der

814 Vgl. ausführlich zum gänzlich neuen System HAYOZ, Rz. 5 und Rz. 20 ff. 815 Vgl. für das System in Genf mit dem „Conseil supérieur de la magistrature“

JORNOT, Rz. 10 und Rz. 42. 816 Vgl. dazu auch GASS, Wahl, S. 595.

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richterlichen Gewalt unabhängig ist und dass die Oberaufsicht des Grossen Rates vorbehalten bleibt.

ii) Aufsicht

Der sechste Titel des JG (Art. 101 ff.) steht unter der Ueberschrift „Auf-sicht“. Art. 101 Abs. 1 besagt: „Richterinnen und Richter unterstehen der Aufsicht des Justizrats“. Abs. 2 hält fest, dass die Gerichtsbehörden dem Justizrat einen jährlichen Tätigkeitsbericht zu erstatten und alle für seine Tätigkeit notwendigen Informationen zu liefern haben.

Art. 102 JG steht unter der Überschrift „Andere Behörden“. Abs. 1 be-stimmt, dass der Staatsrat gegenüber den Gerichtsbehörden jene Befugnisse ausübt, die nach Gesetz in seiner Zuständigkeit liegen, namentlich im Be-reich der Finanz- und Personalverwaltung. Abs. 3 schliesslich bestimmt, dass die Finanzkontrolle über die Kanzleien der Gerichte vom Finanzinspek-torat ausgeübt wird.

Das fünfte Kapitel zum sechsten Titel des JG widmet sich schliesslich der admini-strativen Aufsicht. Art. 112 Abs. 1 JG bestimmt, dass die Organisati-on und die Arbeitsweise der Gerichtsbehörden der administrativen Aufsicht des Justizrates unterstehen. Nach Art. 113 JG hat der Justizrat namentlich die Jahresberichte der Gerichtsbehörden zu prüfen und die Gerichtsbehörden mindestens einmal pro Jahr zu inspizieren. Auch kann der Rat Weisungen erlassen und Instruktionen erteilen (Art. 114 JG).

c) Reglement des Justizrats (JRR)

Das JRR817 ist am 18. August 2008 in Kraft getreten und enthält Bestim-mungen zur Organisation, der Arbeitsweise und dem Verfahren des Justizra-tes.818

817 Das Reglement trat rückwirkend per 1. Januar 2008 in Kraft, SGF 130.21. 818 Vgl. gleich anschliessend Punkt 3.

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Die Ausgestaltung der Aufsicht in den Kantonen

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3. Der Justizrat

a) Stellung

Der Justizrat ist eine unabhängige Aufsichtsbehörde über die Justiz (Art. 125 KV FR).

b) Zusammensetzung und Bestellung

Der Justizrat besteht nach Art. 126 KV FR aus neun Mitgliedern. Je eines seiner Mitglieder wird von Legislative, Exekutive und Judikative gestellt, eines vom Anwaltsverband, eines von der Universität, eines von der Staats-anwaltschaft, eines von den erstinstanzlichen Gerichtsbehörden sowie zwei Mitglieder, welche direkt vom Justizrat vorgeschlagen werden. Die Mitglie-der des Justizrates werden für fünf Jahre einzeln durch den Grossen Rat ge-wählt und können nicht mehr als zwei Amtsperioden hintereinander Mitglie-der des Rates sein (Art. 103 Abs. 1 lit. d KV FR und Art. 93 Abs. 1 JG).

Der Justizrat bezeichnet für die Dauer von drei Jahren seinen Präsidenten sowie Vizepräsidenten; eine Wiederwahl ist möglich (Art. 94 JG).

c) Organe des Justizrates

Der Justizrat umfasst nach Art. 2 Abs. 1 JRR die Organe Gesamtrat, Präsidi-um, Vizepräsidium und die Kommissionen. Dem Justizrat steht ein Sekreta-riat zur Seite, welches einen juristischen Sekretär sowie das nötige administ-rative Personal umfasst (Art. 95 JG und Art. 13 f. JRR).

d) Befugnisse des Gesamtrates

Der Gesamtrat verfügt über umfassende Befugnisse.819 Diese werden in Art. 4 ff. JRR festgehalten:

819 Vgl. COLLIARD, Rz. 14 ff.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

238

Bei der administrativen Aufsicht hat der Gesamtrat beispielsweise die Jah-resberichte des Kantonsgerichts zu prüfen (Art. 4 lit. e JRR). Ebenso be-schliesst er, ob eine administrative Untersuchung zu eröffnen ist und trifft die daraus sich ergebenden Entscheide (Art. 4 lit. f JRR), er beantwortet die parlamentarischen Fragen über die Gerichtsverwaltung (Art. 4 lit. h JRR) und erlässt gegenüber den Gerichtsbehörden Weisungen, erteilt Instruktio-nen und trifft jede andere Massnahme (Art. 4 lit. i JRR). Auch unterbreitet er dem Grossen Rat Anträge zur Verbesserung der Arbeitsweise der Justiz (Art. 4 lit. k JRR).

Bei Wahlen und Bestätigungswahlen nimmt der Gesamtrat zu den Bewer-bungen für die Stellen der richterlichen Gewalt Stellung (Art. 6 JRR).

Weitere Befugnisse des Gesamtrates sind die Stellungnahme zu Petitionen und Gesetzesentwürfen (Art. 7 lit. b und c JRR) sowie den Beschluss seines jährlichen Tätigkeitsberichts und der Zwischenberichte zuhanden des Gros-sen Rates (Art. 7 lit. d JRR). Ausserdem verfügt der Gesamtrat über eine subsidiäre Generalkompetenz (Art. 7 lit. e JRR).

e) Befugnisse des Präsidiums und des Vizepräsidiums

Der Präsident hat eine allgemeine Führungsaufgabe. So hat er darauf zu ach-ten, dass der Rat seine Aufgaben rechtmässig und zweckmässig erfüllt (Art. 8 lit. a JRR). Er führt die laufenden Geschäfte und leitet die Sitzungen (Art. 8 lit. b und c JRR). Er bereitet die Berichte über seine Tätigkeit, jene der richterlichen Gewalt und der Staatsanwaltschaft zuhanden des Grossen Rats vor und ist bei der Prüfung der Berichte des Rates durch die Justiz-kommission und im Plenum anwesend (Art. 8 lit. d und e JRR). Ebenso er-stellt er den Voranschlagsentwurf und die Jahresrechnung zuhanden des Grossen Rates (Art. 8 lit. h JRR).

Dem Präsidenten ist ein juristischer Sekretär beigeordnet, welcher den Präsi-denten bei der Erfüllung seiner Aufgaben unterstützt (Art. 9 JRR). Das Vi-zepräsidium vertritt den Präsidenten und wirkt bei der Erfüllung seiner Auf-gaben mit (Art. 9 JRR).

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Die Ausgestaltung der Aufsicht in den Kantonen

239

f) Befugnisse der Kommissionen

Es bestehen drei ständige Kommissionen: die Kommission für die administ-rative Aufsicht, die Kommission für die disziplinarische Aufsicht und die Wahlkommission. Sie bestehen aus je drei Mitgliedern (Art. 2 Abs. 2 und 3 JRR).

Gemäss Art. 10 JRR erstellt die Kommission für die administrative Aufsicht den Zeitplan für die Inspektionen und bereitet diese vor (Abs. 1). Sie stellt dem Rat den Antrag für die Eröffnung einer administrativen Untersuchung (Abs. 2). Sie erstellt die Entwürfe für die Weisungen, Instruktionen und Massnahmen (Abs. 3). Sie kann mit der Instruktion und der Vorbereitung der sich ergebenden Entscheide beauftragt werden (Art. 10 Abs. 2 JRR).

Fazit E.

In den Kantonen ähneln sich die Systeme der Aufsicht. So wird praktisch immer die Rechtsmittelbehörde auch als Aufsichtsbehörde eingesetzt. Die Aufsichtsbehörde hat dabei die Geschäftsführung der ihr unterstellten Ge-richte zu beaufsichtigen. Zu diesem Zweck haben ihr die unterstellten Ge-richte jährlich Bericht zu erstatten. Als Beispielkanton diente der Kanton Basel-Landschaft.

Der Kanton Bern kennt in seinem Aufsichtssystem gewisse Spezialitäten: So koordiniert die Justizleitung die Aufsicht von Ober- und Verwaltungsgericht. Ebenso kennt Bern das Mittel der Ressourcenvereinbarung der Aufsichtsbe-hörden mit den ihnen unterstellten Gerichten, wobei darin „Produkte und Saldi der Produkte“ festgelegt werden. Die Aufsicht in Bern ist eine sehr umfassende. Geprüft werden die Leitung, die Organisation, die Fallerledi-gung, das Qualitätsmanagement, die Ressourcenzuweisung, der Belastungs-ausgleich, das Personal- und Finanzwesen, die Informatik, der Umgang mit besonders schützenswerten Daten sowie die Sicherheit.

Der Kanton Freiburg indessen kennt ein gänzlich anderes System der Auf-sicht. Er hat einen unabhängigen und aus den drei Staatsgewalten, der Wis-senschaft und aus der juristischen Praxis bestehenden Justizrat eingesetzt. Dieser Justizrat besteht aus einem Gesamtrat, einem Präsidium sowie den Kommissionen. Bei der Aufsicht prüft der Gesamtrat die Jahresberichte des

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Kantonsgerichts während die Kommission für administrative Aufsicht den Zeitplan für die Inspektionen erstellt und diese vorbereitet. Ebenso bereitet sie die Entwürfe für die Weisungen vor.

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Die Ausgestaltung der Oberaufsicht in den Kantonen

241

VIII. Die Ausgestaltung der Oberaufsicht in den Kantonen

Allgemeines A.

Im Folgenden wird für einen Überblick über die Oberaufsicht beispielhaft anhand des Kantons Basel-Landschaft die Situation der Oberaufsicht in den Kantonen umschrieben (B.) und anschliessend wird relativ ausführlich auf die Situation in den anderen Kantonen eingegangen, da jeder Kanton einige Spezifitäten aufweist (C.). Dabei beschränkt sich die Darstellung auf die wichtigsten Punkte, bevor das Kapitel mit einem Fazit schliesst (D.)

Kanton Basel-Landschaft B.

§ 61 KV BL bestimmt, dass der Landrat die Oberaufsicht über alle Behörden und Organe ausübt, die kantonale Aufgaben wahrnehmen.

§ 60 Landratsgesetz820 nennt die Organe der Oberaufsicht. Dies sind insbe-sondere die Geschäftsprüfungs- und die Finanzkommission (§ 60 lit. a und b Landratsgesetz). Die Geschäftsprüfungskommission prüft nach § 61 Abs. 1 lit. a Landratsgesetz unter anderem die Gerichte unter Vorbehalt der Recht-sprechung. Die Finanzkommission behandelt Voranschlag, Staatsrechnung, Finanzplan und Investitionsprogramm (§ 62 Abs. 1 lit. a-d Landratsgesetz). Auch überwacht sie den gesamten Finanzhaushalt, insbesondere den Vollzug der Ausgaben (§ 62 Abs. 2 lit. a Landratsgesetz).821

Neben der Geschäftsprüfungs- und der Finanzkommission befasst sich die Justizkommission mit der Justiz. Sie hat verschiedene Aufgabenbereiche, unter anderem die Behandlung von Vorlagen über das Gerichtswesen (§ 35 Abs. 1 lit. d Geschäftsordnung).

820 Gesetz über die Organisation und die Geschäftsführung des Landrats (Landratsge-

setz) vom 21. November 1994, in Kraft seit 1. Juli 1995, SGS 131. 821 In der Geschäftsordnung des Landrats werden die Kommissionen in §§ 18 ff. gere-

gelt, vgl. Dekret zum Gesetz über die Organisation und die Geschäftsführung des Landrats (Geschäftsordnung des Landrats) vom 21. November 1994, in Kraft seit 1. Juli 1995, SGS 131.1.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

242

Das Landratsgesetz schreibt in § 21 Abs. 2 vor, dass der Präsident des Kan-tonsgerichts den Kommissionen im Bereich 10 f der Justizverwaltung alle Auskünfte zu erteilen und die Akten herauszugeben hat, die die Kommissio-nen für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.

Demnach kontrollieren dieselben Kommissionen, welche auch die anderen Gewalten beaufsichtigen, auch die Justiz, es existiert keine speziellen Kom-mission für die Oberaufsicht über die Justiz.

Überblick über die Oberaufsicht in den anderen Kantonen C.

1. Kanton Aargau

Im Kanton Aargau präsentiert sich die Situation wie folgt: Gemäss § 76 KV AG ist der Grosse Rat die gesetzgebende und die „oberste Aufsicht führende Behörde des Kantons“. § 80 KV AG bestimmt, dass der Grosse Rat die Oberaufsicht über alle Behörden und Organe ausübt, die kantonale Aufgaben wahrnehmen.

Das Geschäftsverkehrsgesetz822 hält in § 58 Abs. 1 fest, dass die Vorlagen der Justizleitung dem Grossen Rat über den Regierungsrat unverändert zum Beschluss vorzulegen sind. Nach Abs. 2 kann der Regierungsrat Bemerkun-gen und abweichende Anträge formulieren. Abs. 3 schliesslich bestimmt, dass ein Mitglied der Justizleitung bei den Beratungen des Grossen Rates be-züglich Aufgaben- und Finanzplan, Budget, Jahresbericht und der weiteren Vorlagen der richterlichen Behörden anwesend ist und das Recht hat, Anträ-ge zu stellen. Ebenso ist er in der Regel auch zu den Sitzungen der vorbera-tenden Kommissionen einzuladen.

2. Kanton Freiburg

Im Kanton Freiburg besteht eine ähnliche Oberaufsichtsregelung wie im Kanton Basel-Landschaft; Art. 90 Abs. 3 JG und Art. 198a Grossratsgesetz

822 SAR 152.200.

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Die Ausgestaltung der Oberaufsicht in den Kantonen

243

(GRG)823 halten fest, dass der Grosse Rat die Oberaufsicht über die richterli-che Gewalt, die Staatsanwaltschaft sowie über den Justizrat ausübt. Der Prä-sident des Justizrates ist bei der Prüfung der Berichte durch die Justizkom-mission und durch das Plenum anwesend und beantwortet die gestellten Fragen (Art. 198a Abs. 3 GRG). Auch in Freiburg bereiten innerhalb des Grossen Rates die Kommissionen die Geschäfte vor. Sie stellen dem Gros-sen Rat Bericht und Antrag (Art. 9 GRG).

Die Vertretung der Justiz im Grossen Rat wird hingegen durch den Justizrat, welcher Aufsichtsbehörde ist, vorgenommen. Dazu hat der Justizrat dem Grossen Rat jedes Jahr verschiedene Berichte einzureichen: Erstens reicht der Justizrat einen Bericht über seine eigene Tätigkeit ein, zweitens einen Bericht über die Tätigkeit der richterlichen Gewalt und der Staatsanwalt-schaft und drittens hat er einen Bericht einzureichen, „wenn die Situation es verlangt oder wenn der Grosse Rat darum ersucht.“ (Art. 198a Abs. 2 GRG).

Das Grossratsgesetz sieht in Art. 16 GRG und in Abweichung von der Situa-tion im Kanton Basel-Landschaft eine Justizkommission für die Oberauf-sicht vor: Sie gehört zu den ständigen Kommissionen des Grossen Rates (Art. 12 GRG). Die Justizkommission prüft die Berichte, die der Justizrat dem Grossen Rat unterbreitet und sie bereitet die richterlichen Wahlen vor (Art. 16 Abs. 1 lit. a und b GRG). Art. 14 GRG, welcher die Finanz- und Geschäftsprüfungskommission reglementiert, schliesst ausdrücklich die Kontrolle der Geschäftsführung sowie des Rechenschaftsberichts der richter-lichen Gewalt durch diese Kommission aus (Art. 14 Abs. 1 lit. c GRG).

3. Kanton Zürich

Im Kanton Zürich bestehen ausführliche gesetzliche Grundlagen zum Thema der Oberaufsicht. Art. 57 Abs. 1 KV ZH bestimmt, dass der Kantonsrat die Kontrolle über „den Geschäftsgang der obersten kantonalen Gerichte“ aus-übt.

823 SGF 121.1.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

244

Im GOG ist § 79 Abs. 1 einschlägig. Er bestimmt, dass der Kantonsrat die „Oberaufsicht über die Verwaltung der Zivil- und Strafrechtspflege“ ausübt. Das Obergericht hat ihm dafür jährlich Bericht zu erstatten. Die obersten Gerichte unterbreiten dem Kantonsrat eine Übersicht über die Entwicklung der Leistungen und Finanzen, einen Budgetentwurf sowie einen Bericht über ihre Tätigkeit mit Einschluss der Rechnung. Bezüglich der Ausgabenkompe-tenzen sind sie dem Regierungsrat gleichgestellt (§ 75 Abs. 3 GOG).

Das Kantonsratsgesetz (KRG)824 bestimmt in § 34a Abs. 1, dass „dem Kan-tonsrat und seinen Organen […] nach Massgabe der gesetzlichen Bestim-mungen über die Gewaltentrennung, die Oberaufsicht über die Verwaltung und die Rechtspflege“ zusteht. Abs. 3 bestimmt ausdrücklich, dass der Kan-tonsrat und seine Organe zu einer Überprüfung der richterlichen Urteile in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht befugt sind.

§ 34e KRG hält fest, dass die Justizkommission neben der Finanz- und Ge-schäftsprüfungskommission eine Aufsichtskommission darstellt. Sie kann die Herausgabe aller mit der Beurteilung des Finanzhaushaltes bzw. der Ge-schäftsführung in Zusammenhang stehenden Amtsakten verlangen (§ 34e Abs. 1 lit. a KRG). Anstelle der Herausgabe von Amtsakten kann unter be-sonderen Umständen die zuständige Behörde einen besonderen Bericht er-statten (§ 34e Abs. 2 KRG).

Das Geschäftsreglement des Kantonsrates825 hält zur Justizkommission nur deren Aufgabe bei Richterwahlen fest (§ 58b Geschäftsreglement). Ansons-ten finden sich im Reglement keine weiteren Ausführungen zur Justizkom-mission.

4. Kanton Bern

Im Kanton Bern hält die KV BE in Art. 57 fest, dass der Kantonsrat die Kon-trolle über Regierung, Verwaltung und andere Träger öffentlicher Aufgaben sowie über den Geschäftsgang der obersten kantonalen Gerichte ausübt.

824 LS 171.1. 825 Geschäftsreglement des Kantonsrates vom 15. März 1999, LS 171.11.

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Die Ausgestaltung der Oberaufsicht in den Kantonen

245

Art. 13 GSOG widmet sich der Aufsicht und Oberausicht und bestimmt im Wesentlichen, dass das Ober-, das Verwaltungsgericht, die Generalstaatsan-waltschaft sowie die Justizleitung unter der Oberaufsicht des Grossen Rates stehen (Abs. 1). Weiter bestimmt Art. 18 GSOG, dass die Justizleitung An-sprechpartnerin des Grossen Rates und des Regierungsrates bei Fragen, die sowohl die Gerichtsbehörden als auch die Staatsanwaltschaft betreffen, ist (Abs. 1 lit. a). Auch vertritt sie den Voranschlag, den Aufgaben- und Fi-nanzplan sowie den Geschäftsbericht (Abs. 1 lit. f).826

Das GRG827 regelt die Finanzkommission und die Oberaufsichtskommission in den Art. 21 und 22 GRG. Gleich anschliessend regelt das GRG in Art. 23 die Justizkommission. Diese übt die Oberaufsicht über das Obergericht, das Verwaltungsgericht und die Generalstaatsanwaltschaft aus, berät den Voran-schlag, den Aufgaben- und Finanzplan, die Nachtragskredite, den Geschäfts-bericht sowie die übrigen Finanzgeschäfte der Gerichtsbehörden und bereitet die Wahlen und Wiederwahlen aller Richter vor. Weitere Bestimmungen zur Justizkommission finden sich in der GO.828 Damit verfügt der Kanton Bern über eine von der Oberaufsichtskommission separierte eigene Kommission zur Oberaufsicht über die Justiz.

Fazit D.

Bezüglich der Oberaufsichts-Systeme in den Kantonen lässt sich feststellen, dass grundsätzlich überall dasselbe Modell besteht: Die Legislative, also der Grosse Rat, Kantonsrat oder Landrat ist für die Oberaufsicht verantwortlich. Die Gerichte haben der Legislative Bericht über ihre Geschäftstätigkeit zu erstatten. Ebenso sind in allen untersuchten Kantonen Kommissionen für die eigentliche Wahrnehmung der Oberaufsicht eingesetzt.

826 Auch das JLR bestimmt, dass die Justizleitung die Gerichtsbehörden und die

Staatsanwaltschaft gegen aussen vertritt (Art. 2 Abs. 1 JLR). 827 Gesetz über den Grossen Rat, BSG 151.21. 828 Geschäftsordnung für den Grossen Rat (GO), BSG 151.211.1.; Art. 44 bestimmt,

dass die Justizkommission durch den Grossen Rat nach jeder Gesamterneuerung gewählt wird und dass die Kommission fünfzehn Mitglieder zählt.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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Der Kanton Freiburg kennt durch die Einführung des Justizrates eine Spezia-lität: Dieser vertritt die Justiz im Verkehr mit der Oberaufsichtsbehörde und reicht seinen Bericht ein. Der Justizrat untersteht seinerseits ebenfalls der Aufsicht des Kantonsrates.

Die Ausgestaltung der Oberaufsicht gestaltet sich jedoch nicht in allen Kan-tonen gleich. Während Basel-Landschaft über keine spezifischen Justiz-kommissionen, welche die Oberaufsicht über die Justiz wahrnehmen wür-den, verfügt, existiert eine solche in den Kantonen Freiburg, Bern, Zürich und Aargau.

Es ist demnach festzustellen, dass die Kantone die Oberaufsicht in den De-tails ihren Bedürfnissen angepasst haben.

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Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation in den ausgewählten Kantonen

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IX. Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation in den ausgewählten Kantonen

Allgemeine Bemerkungen A.

Wie bereits zu Beginn des Teils vier vermutet, gibt es in den Kantonen eine Vielzahl von verschiedenen Regelungen bezüglich der drei Gebiete Justiz-verwaltung, Aufsicht und Oberaufsicht.

Regelungen zur Justizorganisation B.

1. Vorreiterrolle des Kantons Aargau

Am 1. Januar 1982 trat die totalrevidierte KV AG in Kraft. Darin wurde ausdrücklich bestimmt, dass die Justizverwaltung Sache der Gerichte sei.829 Damit nahm der Kanton Aargau eine Vorreiterrolle in der schweizerischen Verfassungsgebung ein. Eine solche Bestimmung war eine Neuheit. Im Jahr 1987 trat im Kanton Basel-Landschaft die ebenfalls neue Kantonsverfassung in Kraft, welche die Bestimmung enthält, dass die Gerichte die Justizverwal-tung leiten. Bis dahin hatte das kantonale Recht den Begriff der Justizver-waltung nicht verwendet.

Auch auf der Stufe der Gesetze war der Kanton Aargau federführend. Das GOG von 1988 regelte bereits, dass das Obergericht der Verwaltung der richterlichen Behörden vorsteht, heute übernimmt diese Rolle die Justizlei-tung. Bemerkenswert ist auch, dass durch die Gesetzgebung über die wir-kunsorientierte Steuerung die Justiz des Kantons Aargau eine Planung zu erstellen und Zielvorgaben zu erfüllen hat. Eine solche Anwendung der wir-kunsorientierten Steuerung auf die Jusitz wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen.

829 Diese Bestimmung entspricht dem heutigen § 96 KV, welcher im Wortlaut genau

gleich blieb, jedoch zusätzlich festschreibt, dass das Leitungsorgan der Gerichte die Tätigkeit der Gerichte plant und deren Budgets festsetzt und die Gerichte im Ver-kehr mit den Behörden vertritt.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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2. Rechtliche Grundlagen der Justizverwaltung in den Kantonen

Ein Vergleich der rechtlichen Grundlagen in den Kantonen ergibt kein ein-heitliches Bild: Während die einen Kantone ausführlich die Justizverwaltung und ihre Organe regeln, kennen andere Kantone nur rudimentäre Grundla-gen.

Als Beispiel für Kantone mit rudimentären Grundlagen ist Freiburg zu nen-nen. Dieser Kanton kennt keine verfassungsrechtliche Grundlage der Justiz-verwaltung. Lediglich Grundlagen dazu finden sich in den Gesetzen. So werden etwa die Verwaltungskommission und ihre Aufgaben geregelt. Es gibt kein sogenanntes Leitungsorgan der Justizverwaltung, weder instanz-übergreifend noch innerhalb der Gerichte.

Auf der anderen Seite der Skala befindet sich zunächst der Kanton Aargau: Bereits die Regelung in der KV AG ist einzigartig. Die Festschreibung der Justizverwaltung als „Sache der Gerichte“ sowie die Bestimmung einer Jus-tizleitung mit sehr weitgehenden Befugnissen auf Stufe der Verfassung spricht eine deutliche Sprache. Auf Stufe der Gesetze hat der Kanton Aargau die Leitungsorgane, allen voran die Justizleitung, umfassend geregelt und mit den für ihre Aufgaben notwendigen Mitteln bzw. Instrumenten ausge-stattet. Der Kanton Aargau hat auf dem Gebiet der Justizverwaltung Pionier-arbeit geleistet und seit 1980 deren Entwicklung in der Schweiz bestimmt.

Auch die Kantone Basel-Landschaft und Zürich verfügen über ausführliche rechtliche Grundlagen, sowohl auf Stufe der Verfassung als auch in den Ge-setzen. Basel-Landschaft verfügt zusätzlich über ein Reglement der Justiz-verwaltung während sich die Regelungen in Zürich auf KV und GOG be-schränken. Eine wichtige Neuerung hat der Kanton Zürich hingegen per 1. Januar 2011 vorgenommen: Er hat die Justiz mittels Verweis im GOG ebenfalls dem CRG unterstellt. Dies bedeutet beispielsweise, dass die Justiz der Globalbudgetierung untersteht.

Der Kanton Bern schliesslich verfügt über rechtliche Grundlagen, die am 1. Januar 2011 in Kraft traten. Neben dem GSOG sind dies insbesondere das Reglement der Justizleitung (JLR) sowie die Organisationsreglemente von Ober- und Verwaltungsgericht. Hingegen schweigt die KV BE nach wie vor zum Thema der Justizverwaltung. Das GSOG und die Reglemente sind in

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Zwischenergebnis bezüglich der Justizorganisation in den ausgewählten Kantonen

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ihrem Inhalt und in ihrer Tiefe der Regelung der Materie einzigartig. Ebenso ist der Einfluss der New Public Management-Lehre nicht zu verkennen: Die Arbeit mit Globalbudgets und Produktegruppen in der Justiz stellt ebenfalls eine wichtige Neuerung dar. So legen das Ober- und Verwaltungsgericht aufgrund der globalen Budgets jährlich ihre Leistungsziele und ihren Bedarf an Ressourcen fest.

3. Leitungsorgane

Bezüglich der verschiedenartigen Leitungsorgane der Kantone und ihrer Zu-ständigkeiten wird auf Teil 5 verwiesen.830

Besonderheiten der Aufsicht und Oberaufsicht C.

Bezüglich der Aufsicht und Oberaufsicht ist festzustellen, dass dieselben Grundsätze in allen Kantonen gelten.831 Bei der Ausgestaltung haben sich die Kantone ihre eigenen, den Erfordernissen ihrer föderalen Gegenbenheiten angepassten, Regelungen gegeben.

1. Aufsicht

Die Aufsichts-Systeme der Kantone gleichen sich: Es werden praktisch überall die oberen Gerichtsbehörden, d.h. die Rechtsmittelinstanzen, als Auf-sichtsbehörden bezeichnet. Diese haben die Geschäftsführung der ihnen unterstellten Gerichte zu beaufsichtigen. Dafür haben die zu prüfenden Ge-richte der Aufsichtsbehörde Bericht zu erstatten. Die Kantone Aargau, Bern und Freiburg kennen indessen gewisse Besonderheiten: Während in Freiburg die Aufsicht durch einen speziell geschaffenen und unabhängigen Justizrat durchgeführt wird, koordinieren in Bern und im Aargau die Justizleitung die Wahrnehmung der Aufsicht. Ausserdem werden in Bern zwischen den Auf-

830 Vgl. hinten, S. 251 ff. 831 Einzige Ausnahme ist der Kanton Freiburg, welcher mit seinem Justizrat eine völlig

neue Lösung gewählt hat.

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Teil 4: Die Justizorganisation in ausgewählten Kantonen

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sichtsbehörden und den ihnen unterstellten Gerichten Ressourcenvereinba-rungen getroffen während im Aargau ein eigenes Justizgericht geschaffen wurde.

2. Oberaufsicht

Auch bezüglich der Oberaufsicht besteht im Grundsatz überall dasselbe Sys-tem: Die Legislative, in der Form von ihr unterstellten Kommissionen, ist für die Oberaufsicht zuständig.

Es fällt ausserdem auf, dass die Kantone einer gewissen Grösse und mit ei-ner neueren Gesetzgebung eine speziell für die Justiz zuständige Oberauf-sichtskommission eingeführt haben. Dies lässt sich wohl darauf zurückfüh-ren, dass erkannt wurde, dass für die Oberaufsicht der Justiz nicht unbesehen die gleichen Regeln wie für die Exekutive angewendet werden können und die Abgrenzung der möglichen Überprüfung Fingerspitzengefühl erfordert.

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Teil 5 Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

I. Vorbemerkungen

Teil fünf widmet sich der gerichtsinternen Leitung und ihrer Verfassungs-mässigkeit. Es werden die vorne im Teil 2 dargestellten Spannungsfelder untersucht und eingehend betrachtet.832

Kapitel II. widmet sich in allgemeiner Weise dem Thema Leitung in der Justiz. Danach geht es in Kapitel III. um die Vereinbarkeit von Leitung und Rechtsprechung. Es wird gezeigt, dass die Rechtsprechung einer Leitung nicht zugänglich ist.

In Kapitel IV. wird das Verhältnis von Leitung und Justizverwaltung näher beleuchtet und das Kapitel V. untersucht die Beziehung von Leitung und „rechtsprechungsnaher Justizverwaltung“. Diese Untersuchung stellt den eigentlichen Kern dieser Arbeit dar. Es wird insbesondere hergeleitet, dass für diesen Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung ebenfalls der Schutz von Art. 30 Abs. 1 BV gilt. Da die Tätigkeiten im Schutzbereich von Art. 30 BV einzuordnen sind, ist eine Abwägung mit anderen, überwiegen-den Interessen möglich.

Die Einteilung der richterlichen Tätigkeiten in die drei Bereiche Rechtspre-chung, rechtsprechungsnahe Justizverwaltung und Justizverwaltung ergibt das in Kapitel VI. vorgestellte sogenannte Drei-Kreise-Modell.

Kapitel VII. widmet sich schliesslich ausgewählten Bereichen der gerichtli-chen Führung: Es wird anhand der entwickelten Theorie auf praktische Fra-gen, z.B. auf die gewichtete Geschäftslast, die Beeinflussung der Verfah-rensdauer, Erledigungszahlen für Richter, auf das Controlling sowie die Leistungsbeurteilung von Richtern eingegangen.

832 Vgl. vorne, S. 113 ff.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Die Kapitel VIII. und IX. besprechen die Anwendung und Beurteilung der Führungsstrukturen in Bund und Kantonen. In Kapitel X. wird ein Vorschlag einer stärkeren gerichtsinternen Führung am Bundesgericht präsentiert.

Die Ergebnisse des Teils fünf werden schliesslich im Kapitel XI. zusam-mengefasst präsentiert.

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Leitung in der Justiz

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II. Leitung in der Justiz

Leitung und Justiz A.

1. Leitung als Teil der Organisationsautonomie

Die Justizverwaltung umfasst neben der Finanz- und der Personalautonomie auch die Organisationsautonomie. Soweit der Gesetzgeber keine Vorgaben gemacht hat, ist die Justiz zuständig für die Organisationsstrukturen, die Geschäftslastbewirtschaftung und die Arbeitsverteilung, demnach für die gesamte Organisation der Rechtsprechung. Die Ausgestaltung der Organisa-tion der Rechtsprechung und damit eine allfällige justizinterne Führung ge-hören daher zum Bereich der Organisationsautonomie der Justiz.

Sobald der Gesetzgeber Regeln zur Organisation der Rechtsprechung erlässt, ist die Organisationsautonomie der Justiz eingeschränkt bzw. hat sich im Rahmen des Gesetzes zu bewegen. Die Justiz ist aber im Rahmen der gesetz-lichen Vorgaben frei, wie sie die Rechtsprechung organisieren will bzw. wie sie eine allfällige justizinterne Führung installiert, hingegen hat sie jederzeit die verfassungsmässigen Grund-sätze und Prinzipien zu beachten. Auch wenn sich die Justiz gegen eine eigentliche Leitung entscheidet, ist dies ihre eigene Entscheidung, da sie Teil der Organisationsautonomie bildet. Hinge-gen bedingt das Selbstverwaltungsrecht, dass die Gerichte es mit einem effi-zienten, wie auch immer ausgestalteten Justizmanagement, nutzen.833

2. Justizverwaltung und Kontrolle von innen

In der bisherigen schweizerischen Lehre ist eine justizinterne Führung be-reits seit einigen Jahren, angeregt durch die Entwicklungen in den Kantonen, Thema. Hingegen wurde der Spannungsbereich von Führung/Leitung und richterlicher Unabhängigkeit bzw. den verfassungsmässigen Prinzipien – so-weit ersichtlich – noch nie eingehend thematisiert, da man bis anhin viel-mehr davon ausging, dass der Unabhängigkeit „von aussen“, also von der

833 ZIMMERLI, Rz. 1; LIENHARD, Bern, S. 407; RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 19.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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oberen Instanz oder der Oberaufsichtsbehörde Gefahr drohte. Man kon-zentrierte sich in der Folge darauf, den Einfluss auf die Rechtsprechung von aussen einzuschränken.

Mit der Hinwendung zu mehr Justizverwaltung bzw. zu einem Justizma-nagement und den entsprechenden Entwicklungen in Richtung Wirtschaft-lichkeit der Justiz muss dieser Ansatz überdacht werden: Die funktionelle Komponente der Unabhängigkeit ist heute unumstritten, es wird praktisch nicht mehr versucht, direkt auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen. Die Tragweite der Zulässigkeit von Einflussnahmen von ausserhalb der Justiz ist mit der Regelung der Oberaufsicht (zumindest zur Zeit) relativ klar, weshalb diesbezüglich keine grösseren Diskussionen im Gange sind.834 Hingegen wird die Diskussion um die Einflüsse auf die Rechtsprechung, welche von innerhalb der Justiz, mithin von Seiten der Justizverwaltung bzw. der Lei-tung der Justiz kommen, an Bedeutung gewinnen, da die Tragweite der Un-abhängigkeit diesbezüglich noch unklar erscheint. Da in der vorliegenden Arbeit das Thema einer innerjustiziellen Führung behandelt wird, ist die Situation der Justiz „innerhalb“ genauer zu betrachten. Es stellt sich die Fra-ge, ob eine „Gefahr“ für den Richter bzw. den Spruchkörper besteht, dass seine richterliche Unabhängigkeit seitens des eigenen Gerichts bzw. durch dessen Leitung beeinträchtigt werden könnte. Bis anhin wurde in der Lehre, soweit ersichtlich, noch nie eingehend diskutiert, wie sich die richterliche Unabhängigkeit zu justiz- bzw. gerichtsinternen Einflüssen verhält und wie weit eine solche Unabhängigkeit allenfalls gehen würde bzw. müsste.

Leitung als Mittel zu grösserer Effizienz B.

1. Allgemeines

Die Notwendigkeit und die Zulässigkeit von Führung in der Justiz werden in der vorliegenden Arbeit nicht in Frage gestellt. Obwohl in wie auch aus-

834 Dies könnte sich in näherer Zukunft jedoch ändern, da der Kanton Freiburg als

erster Kanton ein neues Aufsichts-/Oberaufsichtsmodell eingeführt hat, welches insbesondere im Hinblick auf die europäische Entwicklung sehr bemerkenswert er-scheint.

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Leitung in der Justiz

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serhalb der Justiz teilweise in Frage gestellt wird, ob Führung in der Justiz überhaupt nötig sei,835 scheint sich in den letzten Jahren im Allgemeinen ein Grundkonsens entwickelt zu haben: Die Gesetzgeber in verschiedenen Kan-tonen und die Gerichte selbst haben die Weichen gestellt für mehr Leitung in der Justiz. Dennoch sind in der Schweiz die Vorstellungen über eine Füh-rung in der Justiz, insbesondere über deren Inhalt und Ausmass, sehr unter-schiedlich. Die nachfolgende Untersuchung zeigt dies in der Folge sehr deut-lich.836

Ebenso wichtig wie die Tatsache, dass es Führung auch in der Justiz braucht, erscheint die Feststellung, dass die Führung im Rahmen von formellen Füh-rungsstrukturen ausgeübt werden muss; informelle Führungsstrukturen ver-mögen je länger desto weniger zu genügen, weil in diesem Fall klare Regeln der Verantwortlichkeit fehlen.837 Ein weiterer Vorteil einer formellen Füh-rung ist die klare Zuteilung von Aufgaben und Kompetenzen auf die ver-schiedenen Organe und die sich daraus ergebende Verlässlichkeit für die Aufsichtsbehörde, aber vor allem auch für die Organe selbst: Durch die Zu-teilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten wird die Selbst-Kontrolle erleichtert. Das Fehlen einer formellen Führung in der Justiz führt in der grossen Mehrzahl der Fälle unweigerlich zu einem Führungsvakuum. Ein solches kann auf zweierlei Arten kompensiert werden838: Erstens wird ein solches Vakuum oftmals durch informelle Führung ausgefüllt. Dies birgt die Gefahr, dass die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar verteilt sind. Zweitens kann es sein, dass dieses Vakuum durch die Aufsicht führende Behörde ge-

835 Workshop C: Nutzen und Grenzen neuer Steuerungsinstrumente in der Justiz?, in:

WOV in der Justiz, S. 154. Insbesondere bei kleinen Gerichten stellt sich tatsäch-lich die Frage, ob eine Führung notwendig ist und wenn ja, in welcher Form.

836 Insbesondere die Modelle in den Kantonen zeigen eine grosse Vielfalt, vgl. Teil 4, ab S. 193.

837 KETTIGER, Erkenntnisse, S. 187. Hingegen scheint zumindest der Einwand, dass dies bei sehr kleinen Gerichten aufgrund der kurzen Entscheidungswege und der meist durch die eigentliche Organisation zugeordneten Kompetenzen nicht unbe-dingt so sein muss, angebracht.

838 Vgl. dazu Workshop C: Nutzen und Grenzen neuer Steuerungsinstrumente in der Justiz?, in: WOV in der Justiz, S. 154 f.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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füllt wird. Dies führt jedoch zu einer Einschränkung des Handlungsspiel-raumes der ersten Instanz und somit zu einer verschobenen Aufgabenteilung, was ebenfalls zu vermeiden ist.839

2. Justiz mit knappen Mitteln und hoher Falllast

Die Justiz ist, gleich wie alle anderen staatlichen Organe, einem gewissen Reform- und Spardruck ausgesetzt. Andererseits führen eine ständig wach-sende Gesetzgebung, die Anforderungen an die Verfahren (z.B. durch kom-plexere Wirtschaftsfragen, die Internationalität, etc.) sowie teilweise die grössere Streitlust der Parteien, zu einer erhöhten Geschäftslast. Aus diesen beiden Faktoren folgt ein steigender Leistungsdruck für die Gerichte und damit auch für die einzelnen Richter und das übrige Personal. Die Anforde-rungen an die Justiz werden demnach in Zukunft eher noch grösser, jeden-falls aber nehmen sie nicht ab. Auf der anderen Seite bleiben sich die finan-ziellen und zeitlichen Ressourcen im besten Fall gleich oder nehmen tenden-ziell sogar eher ab.840 Dies führt für die Justiz zu einem materiellen, finanzi-ellen und auch zeitlichen Druck: Die Justiz wird daher ihre Ressourcen (finanzieller und personeller Art) so gut wie möglich nutzen müssen, um den Anforderungen zu entsprechen, sie wird versuchen, (noch) effizienter zu arbeiten.

Die Bevölkerung in der Schweiz hat hohe Erwartungen an die dritte Gewalt: Nichts Geringeres als die Sicherung des Rechtsfriedens wird von ihr erwar-tet. Die „gerechte“ Lösung eines Streites, an dieser Idealvorstellung wird die Schweizer Justiz gemessen. Diese Ansprüche werden in Zukunft gleich blei-ben, wobei richterliches Fehlverhalten, aber auch ineffiziente Fallbearbei-tung die Akzeptanz der Rechtsprechung und damit die Autorität der Gerichte untergraben kann. Die Justiz selbst hat das grösste Interesse daran, dass ihr

839 Vgl. dazu die Ausführungen zur Auswirkung einer stärkeren internen Führung auf

die Aufsicht, S. 287 ff. 840 LIENHARD, Grundlagen, S. 461 f.; KETTIGER, WOV, S. 9 ff.

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Leitung in der Justiz

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Ansehen intakt bleibt. Eine möglichst rasche und einwandfrei arbeitende Gerichtsbarkeit ist daher von grösster Wichtigkeit.841

3. Verschiedenartigkeit der Justiz und zentrale Fragestellung

Die Voraussetzungen und die Bedürfnisse bezüglich Organisation und Ver-waltung sind bei jedem Gericht anders: So hat unbestrittenermassen ein klei-nes Bezirks- oder Kreisgericht ganz andere Verwaltungs- und Organisati-onsbedürfnisse als ein Bundesverwaltungsgericht.842 Es kann daher auch nicht Sinn und Zweck dieser Dissertation sein, eine für alle Gerichte mass-geschneiderte, einheitliche Lösung zu finden.843

Trotz der Vielfalt in der Schweizerischen Justiz stellen sich im Grundsatz aber überall die gleichen Fragen: Wie kann das Gericht organisiert werden, dass alle Fälle innerhalb einer angemessenen Frist mit den notwendigen Richtern und mit den nötigen Mitteln behandelt werden können? Und wie muss die Justizverwaltung organisiert sein, damit Recht unter den bestmög-lichen Bedingungen gesprochen werden kann? Die Frage, wer innerhalb der Gerichte mit der Organisation betraut ist, wurde mit der Schaffung der Strukturen der Justizverwaltung bereits durch den Gesetzgeber beantwortet. Mit der Zuweisung der Aufgaben an die Organe ist es indessen nicht getan. Die Frage, über welche Kompetenzen und Führungsmittel diese Organe verfügen, ist von zentraler Bedeutung.

841 Vgl. zum Thema Vertrauen in der Justiz BÜHLMANN/KUNZ, Rz. 3. 842 Insbesondere bei sehr kleinen Gerichten braucht es unter Umständen keine profes-

sionalisierte Justizverwaltung. 843 Auch würde eine so gefundene Lösung letztlich doch nicht auf alle föderalen

Eigenheiten in der Schweiz passen.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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III. Leitung und Rechtsprechung

Die Rechtsprechung als innerster Bereich der Unabhängigkeit A.

1. Rechtsprechung

Art. 191c BV gilt sachlich nur – aber immerhin – für die rechtsprechende Tätigkeit der Gerichte.844 Damit sind die richterlichen Behörden in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit unabhängig und nur dem Recht verpflichtet.845 Die vorne hergeleitete Definition der Rechtsprechung ist hier nochmals zu wiederholen:

„Rechtsprechung umfasst nicht nur den Entscheid per se, nämlich das Ergeb-nis des Prozesses an sich, sondern auch die ihn vorbereitenden rechtsanwen-denden Tätigkeiten oder anders gesagt alle rechtsanwendenden Tätigkeiten im konkreten Einzelfall, von der Einleitung des Verfahrens bis zum Urteil samt Begründung.“846

Rechtsprechung ist demnach so zu verstehen, dass alles unter diesen Begriff fällt, was unbedingt vor jeglicher unsachlicher Einflussnahme geschützt werden muss. Dies umfasst insbesondere jede rechtsanwendende Tätigkeit wie das Aktenstudium, die Erstellung und das Formulieren der (Instruk- tions-)Verfügungen, die Urteilsfällung, mithin jede juristische Überlegung vom Aktenstudium zur Erstellung Darstellung des Sachverhalts, über die juristische Lektüre zu den sich stellenden Rechtsfragen, das Verfassen der Begründung und des Urteilsvorschlages, die juristische Argumentation, die Instruktionstätigkeit, der Entscheid, auf welchen Grundlagen zu entscheiden ist, etc. Man könnte somit von den juristischen Tätigkeiten, welche zum Urteil und seiner Begründung führen, sprechen, vom juristischen Entscheid-

844 Botschaft neue BV, 541. 845 BIAGGINI, BV-Kommentar zu Art. 191c BV, Rz. 6; ALBRECHT, S. 11. Es lässt sich

eine generelle Weisungsfreiheit der Justiz im Bereich der Rechtsprechung daraus ableiten. Vgl. für eine ausführliche Definition der Rechtsprechung insbesondere S. 8 ff.

846 Vgl. vorne, S. 8 f. m.H.

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Leitung und Rechtsprechung

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prozess bzw. vom rechtsanwendenden Weg zum Urteil im konkreten Einzel-fall, wobei der Entscheid und seine Begründung natürlich miteingeschlossen sind. Es fallen in den Bereich der Rechtsprechung nur, aber immerhin, die rechtsanwendenden Tätigkeiten.

Mit anderen Worten könnte man sagen, dass zur Rechtsprechung jede Tätig-keit gehört, die rechtsanwendender Natur ist und die zur Erledigung eines konkreten Falles dient, mithin, was den Fall dem Abschluss des Verfahrens durch einen gerichtlichen Entscheid (d.h. ein Urteil, einen Abschreibungs-entscheid, ein Nichteintreten, usw.) näher bringt. Nicht zur Rechtsprechung zählen damit alle anderen Tätigkeiten, jene, die die Rahmenbedingungen der Fallerledigung betreffen.

2. Kern- oder Minimalgehalt der Unabhängigkeit

Als Hauptaufgabe der dritten Gewalt und als Grundrecht der Bürger ist der Anspruch auf eine unabhängige Rechtsprechung zum Schutz des Rechtsfrie-dens und damit der öffentlichen Ordnung und Sicherheit das oberste Ziel in einem Rechtsstaat. Aus diesem Grund anerbietet und rechtfertigt es sich ohne weiteres, die Rechtsprechung als innersten und wichtigsten Bereich der Unabhängigkeit zu definieren. Sie stellt gleichsam das zentrale Element und die innere Freiheit der Justiz dar.847 Es handelt sich bei der Rechtsprechung um den sogenannten Minimal- oder Kerngehalt, welcher nicht einschränkbar und nicht überprüfbar ist.848

Das wohl entscheidendste Kriterium für die richterliche Unabhängigkeit ist, dass der Richter bzw. der Spruchkörper bei der Behandlung von konkreten Einzelfällen keine Weisungen entgegenzunehmen hat. Die richterliche Allei-

nentscheidkompe-tenz muss jederzeit und nach allen Richtungen gewahrt sein. Ebenso hat das Gericht in der Urteilsbegründung ungebunden zu sein.

847 Vgl. vorne, S. 50 ff.; LIENHARD, NPM, S. 37: „jegliche Anleitung der Rechtspre-

chung“; WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 24. 848 Vgl. für die Definition des Kerngehalts bzw. Kernbereichs vorne, S. 61; zum unter-

schiedlichen Begriff THURNHERR, Rz. 269; vgl. auch die Abgrenzung zur recht-sprechungsnahen Justizverwaltung, S. 276.

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Diese Voraussetzung ist verwandt mit der inneren Unabhängigkeit als Frei-heit der Urteilenden gegenüber sachwidrigen Beeinflussungen durch Um-stände, die mit dem Verfahren nichts zu tun haben.849

Beeinflussung durch andere Staatsgewalten B.

1. Grundsatz

Art. 191c BV stellt eine organisatorisch-institutionelle Garantie dar. Eine Verselbständigung der dritten Gewalt ist Voraussetzung für eine umfassende Unabhängigkeit. Es sollen die Einmischung in die Rechtsfindung sowie die Korrektur oder Ungültigerklärung von Urteilen etwa durch die Exekutive ausgeschlossen werden.850 Um eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu vermeiden, ist es der Exekutive auch untersagt, in die betrieblichen Abläufe der Justiz einzugreifen, was durch Art. 188 Abs. 3 BV zusätzlich verankert wird.851 Es ist in unserem, von der Gewaltenteilung geprägten Staatsverständnis essentiell, dass der Richter bzw. der Spruchkör-per bei der Rechtsfindung durch die richterliche Unabhängigkeit geschützt wird: Bezüglich dieser Tätigkeiten ist eine Einflussnahme, von wo auch immer sie kommen möge, nicht zulässig und auch nicht wünschenswert.852

Durch das Prinzip der Unabhängigkeit ist auch gesagt, dass Eingriffe seitens der beiden anderen Staatsgewalten unzulässig sind. Die Lehre in der Schweiz ist sich einig, dass aufgrund der Gewaltenteilung und der richterli-chen Unabhängigkeit eine Einmischung in die rechtsprechende Tätigkeit der Justiz durch die anderen Gewalten nicht statthaft ist.853 Es ergibt sich, dass die Rechtsprechung durch die Verfassung in Art. 191c BV absolut geschützt wird; Eingriffe sind ausgeschlossen. Diese Regelung ist sinnvoll, da für die

849 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 27 m.H. auf KIENER, Unabhängigkeit,

S. 239. 850 STEINMANN, SGK zu Art. 191c BV, Rz. 6 m.H. auf BGE 120 Ia 19 E. 4a. 851 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 15; vgl. dazu ausführlich S. 65 ff. und S. 251 ff. 852 Vgl. vorne, S. 50 f. 853 Vgl. vorne, S. 50 f.

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inhaltliche Kontrolle der Rechtsprechung in der Regel die Möglichkeit be-steht, ein Urteil an das obere Gericht mittels eines Rechtsmittels weiterzu-ziehen. Daher braucht es keine Kontrolle der Rechtsprechung durch andere Gewalten im Staat.

2. Korrektur durch Gesetzgebung

Möglich ist aber die Korrektur einer vom Gesetzgeber als unbefriedigend empfundenen Rechtsprechung durch eine Änderung des Gesetzes, z.B. die Erhöhung von Strafrahmen bei Gewaltdelikten (z.B. Raserdelikte) oder die neue Schaffung von Straftatbeständen für bis anhin nicht strafbare Delikte. Die Rechtsprechung wird durch solche Gesetzesänderungen für die Zukunft mittelbar beeinflusst, weil die Gerichte das geltende Recht anzuwenden ha-ben; die richterliche Unabhängigkeit hat in diesem Fall keinen Raum mehr.

3. Folgen der Verletzung des Kernbereichs der richterlichen Unabhängigkeit

Eine Verletzung einer Verfahrensgarantie, die nicht eingeschränkt werden darf, wie die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, muss zur Aufhebung des fehlerhaften Entscheides führen.854

Beeinflussung von Seiten der Justiz? C.

Die direkt rechtsanwendenden Tätigkeiten, welche den Kernbereich der Un-abhängigkeit bilden, sind wegen der Unantastbarkeit des Kernbereichs von jeglicher Führung ausgeschlossen. Die Unabhängigkeit schützt eine eigen-ständige, von organisatorischen Zwängen und Manipulationen unbeeinfluss-te Entscheidungsfreiheit, weshalb sie bezüglich der Rechtsprechung absolut ist. Dies stellt eine Wahl des Verfassungsgebers dar. Damit ist auch eine gerichts- bzw. justizinterne Beeinflussung durch gerichtsinterne Organe oder Personen nicht zulässig; die Entscheidfreiheit wird durch die richterliche

854 Vgl. vorne, S. 63; SCHEFER, Kerngehalte, S. 546; KIENER/KÄLIN, S. 486.

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Eigenständigkeit auch von innen geschützt. Sie ist eine Facette der funktio-nalen Unabhängigkeit: Der Richter bzw. der Spruchkörper ist nicht ver-pflichtet, der bisherigen Rechtsprechung oder der herrschenden Meinung zu folgen, er ist weder horizontal noch vertikal an Weisungen gebunden.855 Demnach ist die richterliche Eigenständigkeit besonders wirksam gewähr-leistet, da keine Befugnis zu internen Weisungen und dienstlichen Qualifika-tionen vorhanden ist. Damit wird die Rechtsprechung immer teilweise un-einheitlich sein; dies gebietet die sachliche Unabhängigkeit der Richter.856 Eine Führung in den Rechtsprechungseinheiten ist aus diesem Grund nur sehr bedingt möglich.857 Es existiert keine eigentliche Präjudizienbindung.858

Fazit D.

Weiterhin unantastbar und damit von einer gerichtsinternen Führung oder Kontrolle von vornherein ausgeschlossen bleibt der Bereich der eigentlichen Rechtsprechung: In Bezug auf die Urteilsfindung darf kein Einfluss auf die Richter genommen und kein Druck auf sie ausgeübt werden.859 Dazu zählt die eigentliche Rechtsfindung wie z.B. die Entscheidung von Rechtsfragen, die Auslegung, die Ermessensausübung oder das Verfassen von Referaten und Urteilsbegründungen sowie alle unmittelbar vorbereitenden Tätigkeiten, wie Akten- und Literaturstudium, Vorbereitung von Zwischenentscheiden oder Instruktionsverfügungen oder Befragung von Beteiligten und Zeugen. Werden Vorgaben, wie allgemein oder gar in einem spezifischen Fall zu entscheiden ist, als verbindliche Anleitung gemacht, so sind sie aufgrund des Einmischungsverbots in die richterliche Entscheidfindung als unzulässig zu qualifizieren.860

855 WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 2. 856 WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 4. 857 WIPFLI, S. 128; vgl. aber KLOPFER, Rz. 5 f. 858 Vgl. HASENBÖHLER, S. 111. 859 Vgl. zur Unabhängigkeit S. 38 ff. 860 LIENHARD, NPM, S. 39.

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Dieser innerste, materielle Bereich der Rechtsprechung bleibt auch für eine justizinterne Kontrolle unantastbar, da ansonsten die Garantie der richterli-chen Unabhängigkeit verletzt würde. Die Überprüfung des Inhalts der rich-terlichen Entscheidungen, bzw. der Urteile an sich obliegt der oberen Ge-richtsinstanz in einem Rechtsmittelverfahren und findet aus diesem Grund ebenfalls keinen Platz in einer gerichtsinternen Kontrolle.861

861 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 20.

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IV. Leitung und Justizverwaltung

Abgrenzung der Justizverwaltung zur Rechtsprechung A.

Die Rechtsprechung wurde im letzten Kapitel definiert als die rechtsanwen-denden Tätigkeiten, welche zur Erledigung eines konkreten Falles dienen.862 In Abgrenzung dazu ist die Definition der Justizverwaltung dahingehend zu konkretisieren, dass sie alle anderen, nicht rechtsanwendenden Tätigkeiten umfasst, welche die Rahmenbedingungen der Rechtsprechung bzw. die Rahmenbedingungen der Fallerledigung betreffen.

Nichtanwendbarkeit der Unabhängigkeit auf die Justizverwaltung B.

„Die richterlichen Behörden sind in ihrer rechtsprechenden Tätigkeit unab-hängig und nur dem Recht verpflichtet“. So bestimmt Art. 191c BV die Un-abhängigkeit der Rechtsprechung. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Garantie der Unabhängigkeit von Art. 191c BV sich nur auf die Rechtspre-chung und nicht auch auf die anderen Justiztätigkeiten, also die Justizverwal-tung, bezieht. Es ist somit davon auszugehen, dass Art. 191c BV die Unab-hängigkeit entsprechend seinem Wortlaut nur bezüglich der Rechtsprechung garantiert, insbesondere deshalb, weil die Botschaft dies ganz klar zum Aus-druck bringt.863 GOSSWEILER bemerkt richtig, dass, „was normalerweise auf das Ergebnis des Rechtsstreites gar nicht von Einfluss sein kann, wird von der Zweckbestimmung der richterlichen Unabhängigkeit nicht umfasst“.864 Es folgt daraus zunächst, dass eine Überprüfung aller Tätigkeiten ausserhalb der Rechtsprechung möglich ist. Aus diesem Grund ist auch eine Oberauf-sicht durch das Parlament im Sinne der Organaufsicht möglich.865

862 Vgl. S. 258 ff. 863 Vgl. Botschaft neue BV, 541. 864 GOSSWEILER, S. 59. 865 Vgl. dazu eingehend S. 30 ff. und S. 287 ff.

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Modernes Justizmanagement C.

1. Allgemeines

Die Selbstverwaltung durch die Justiz stellt eine Durchbrechung des funkti-onellen Gewaltenteilungsprinzips dar und wird durch die richterliche Unab-hängigkeit gerechtfertigt.866 Alle Verwaltungsgeschäfte, welche, wenn sie durch andere Staatsorgane ausgeübt würden, die Möglichkeit böten, direkt oder indirekt Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen und die richterli-che Unabhängigkeit zu gefährden, sind der Justiz vorzubehalten. Es gibt diesbezüglich einen Verwaltungsvorbehalt der Justiz.867

Wie vorne im allgemeinen Teil zur Justizverwaltung dargestellt, gebietet das Recht auf Selbstverwaltung der Justiz nach Art. 188 Abs. 3 BV, dass die Justiz dieses auch nutzt.868 Dabei hat die Justiz das Effizienz- und Wirksam-keitsgebot sowie die anwendbaren Organisationsgrundsätze von Art. 3 und Art. 8 RVOG, insbesondere die Rechtsmässigkeit, die Zweckmässigkeit, die Wirtschaftlichkeit sowie die Sparsamkeit zu beachten.869 NPM legt den Ak-zent vor allem auf die Effizienz der staatlichen Tätigkeit und damit insbe-sondere auf die finanziellen Auswirkungen der Tätigkeiten.870

2. Führung nach NPM

a) Allgemeines

Nach dem Ansatz von WIPFLI werden die Tätigkeiten der Justiz in sogenann-te parallele Teilprozesse zerlegt. Er unterteilt die Justiztätigkeit in verschie-dene Prozesse: Während der Kernprozess die eigentliche Kerntätigkeit, d.h.

866 KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 30 f.; TSCHÜMPERLIN, BGG-Kommentar

zu Art. 25, Rz. 3; vgl. auch S. 19 ff. Dies gilt ebenso für die Kantonsverfassungen. 867 KIENER, Unabhängigkeit, S. 293; EICHENBERGER, Justizverwaltung, S. 39; LIEN-

HARD, Bern, S. 407; vgl. KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 32. 868 Vgl. vorne, S. 65 ff. 869 Vgl. vone, S. 76 ff. 870 Vgl. vorne, S. 81 ff.

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die Rechtsprechung umfasst, gibt es daneben Führungsprozesse, welche weiter in eine interne Führung und eine Führung gegen aussen zu unterteilen sind; daneben existieren die Supportprozesse (Unterstützungsprozesse). Die-se entsprechen den Stabsfunktionen, nämlich die Unterstützung von Recht-sprechung und Führung.871 Die eigentliche Kerntätigkeit der Justiz, die Rechtsprechung, ist von der Verwaltungstätigkeit prima vista nicht betrof-fen.872

b) Führungsstrukturen

Funktionsfähige Führungsstrukturen sind eine notwendige Voraussetzung für ein funktionierendes Justizmanagement. Um die Richter von den verwal-tenden Tätigkeiten zu entlasten, werden die wichtigen Aufgaben einer Ge-schäftsleitung (z.B. einer „Verwaltungskommission“) übertragen.873 Ein interner Justizverwaltungsdienst unterstützt das Präsidium, das Plenum und die Geschäftsleitung, kümmert sich um Budgetierung und Leistungsplanung, koordiniert das Personalwesen, das Finanz- und Rechnungswesen, die Vor-bereitung des Voranschlags, des Finanzplans und der Rechnung, führt das Controlling durch, kümmert sich um die Infrastruktur und die Information/ Kommunikation.874

c) Führungsinstrumente

Bei den Führungsinstrumenten geht es um eine Ressourcen- und Leistungs-planung. Das Budget soll sachgerecht auf die obere und die untere Instanz aufgeteilt werden. Die Ausgaben werden dabei zunehmend nicht bloss mit Aufwendungen für das Personal, die Infrastruktur, etc. begründet, sondern auch mit Planungswerten für die Leistungserstellung hinterlegt. Dabei die-

871 WIPFLI, S. 127; vgl. dazu sogleich b) und c). 872 Dennoch kann es zwischen den Kernprozessen der Justiz und den Führungs- und

Support-Prozessen zu Überschneidungen kommen, vgl. WIPFLI, S. 128. 873 Vgl. LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 50. 874 Vgl. LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 50; WIPFLI nennt diese Arbeit „Support-

prozesse“, S. 130.

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nen als Indikatoren die Anzahl Erledigungen, die Verfahrensdauer, die Rechtsmittelhäufigkeit, die Kosten, etc.875 Diese lassen sich meistens aus dem Statistikteil von Geschäftsberichten der Gerichte herauslesen. Anknüp-fungspunkt für die Leistungsplanung sind dabei die „Produkte“, also die Urteile. Insofern findet ein Wechsel von der Input- zur Output-Steuerung statt.876

Als Steuerungsinstrument steht dafür die Ressourcen-Vereinbarung zur Ver-fügung. Diese kann zwischen der oberen und der unteren Instanz oder auch innerhalb eines Gerichts (z.B. zwischen Gesamtgericht und Abteilungen) verwendet werden.877

d) Geschäftslastbewirtschaftung

Dass nicht alle Fälle den gleichen Aufwand generieren, ist eine Tatsache. Um die Fallzuteilung bzw. die dafür notwendigen Ressourcen einigermassen zuverlässig planen zu können, muss eingeschätzt werden können, wie viele personelle Ressourcen und vor allem wieviel Arbeitszeit ein Fall durch-schnittlich beansprucht.878 Für die Gewichtung der Geschäftslast gibt es ver-schiedene Methoden.879

e) Controlling

Als führungsunterstützendes Instrument dient das Gerichtscontrolling.880 Es geht hierbei um die Rechenschaftsablage für eingesetzte Ressourcen und die Zielerreichung.881 Das Controlling soll einerseits als führungsunterstützendes

875 Vgl. für die Produktedefinition in der Justiz auch MAIER, S. 140 ff. 876 MAIER, S. 87; LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 54 f. 877 Vgl. dazu genauer LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 56. 878 LIENHARD/KETTIGER, Geschäftslastbewirtschaftung, S. 416. 879 Vgl. ausführlich hinten, S. 293 ff.; LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 60. 880 Vgl. SCHÜTZ, S. 365 und S. 367 f. 881 WIPFLI, S. 129; LIENHARD, Controlling, Rz. 8; LIENHARD/KETTIGER, Absage,

Rz. 19 ff.

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Instrument der Geschäftsleitung die notwendigen Grundlagen vermitteln. Auf der anderen Seite sind die aufgrund des Controllings erhobenen Daten auch Grundlage für die Oberaufsicht.882

Bedeutung der Leitung für die einzelnen Autonomien D.

1. Finanzautonomie

Im Bereich der Finanzen stehen die Erstellung von Budget, Voranschlag und Rechnung im Vordergrund: In diesen Bereichen macht es generell Sinn, wenn ein Organ der Justiz sich darum kümmert, da die Zahlen für die ge-samte Justiz errechnet werden müssen. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die finanziellen Mittel nach den vorne genannten Grundsätzen einge-setzt und gebraucht werden sollen.883 Im Zuge der neuen Entwicklungen in der Justizverwaltung wurde vermehrt der Fokus auf die wirtschaftliche Si-tuation der Justiz gelegt und Rechenschaft über die verwendeten Mittel ein-gefordert.884

Die Finanzautonomie ist also ein Bereich, in dem bereits heute weitgehend auf strukturierte Führung geachtet wird. Dies ist insbesondere deshalb sinn-voll, weil Voranschlag, Rechnung und Budget immer die Justiz insgesamt und nicht nur die einzelnen Gerichte betreffen. In der Regel, wenn kein Lei-tungsorgan damit beauftragt ist, wird das Gesamtbudget durch die obere Gerichtsinstanz auf die erstinstanzlichen Gerichte verteilt. Entsprechend haben die einzelnen, erstinstanzlichen Gerichte im Bereich der Finanzen eine eingeschränkte Autonomie bzw. wenig Ermessensspielraum: Sie können nur im Rahmen ihres Budgets über die Mittel verfügen. Mittlerweile geht der Trend aber zu Globalbudgets, d.h. dass die Budgetierung nach Sachgruppen vorgenommen wird. Entweder kann diese als Dienststellenbudget oder als Produktegruppenbudget ausgestaltet werden, wobei Produktegruppenbudgets aussagekräftiger sind. Jedoch sind für die Justiz Dienststellenbudgets wohl

882 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 64. 883 Vgl. vorne, S. 76 ff. 884 Vgl. hinten die Darstellung bei den Kantonen, S. 331 ff.

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auch geeignet, da so die Kosten pro Gericht erkenn- und vergütbar wer-den.885

2. Personalautonomie

Die Gerichte, bzw. an grösseren Gerichten die Abteilungen, entscheiden bis anhin selbst über ihr Personalmanagement: Hinsichtlich der Auswahl von Gerichtsschreibenden und Kanzleipersonal bestimmen sie, wen sie einstellen wollen886; sie kennen ihre Bedürfnisse bezüglich der fachlichen und persön-lichen Eignung des Personals am besten.887 Hingegen ist indirekt durch die finanziellen Mittel vorgegeben, wieviele Personen mit den zugesprochenen Mitteln eingestellt werden können; diesbezüglich besteht keine bzw. nur eine eingeschränkte Autonomie.

3. Organisationsautonomie

Die Selbstkonstitution eines Gerichts wird von den entsprechenden Gerichts-(organisations-)gesetzen zumindest grob vorgegeben. Damit sind die eigent-lichen Organisationsstrukturen meist und zumindest in den Grundzügen fix. Hingegen werden die Arbeitsabläufe innerhalb der Gerichte durch die Ge-richts(organisations-)gesetze meist nicht oder nur rudimentär geregelt, weil der Gesetzgeber die Organisationsautonomie der Justiz schützen wollte.888

Bei den Gerichten des Bundes ist die Anzahl Abteilungen im Gesetz festge-legt, die übrige Organisation ist den Gerichten selbst überlassen. Die ent-sprechenden Grundlagen sind vom Bundesgericht in einem Reglement erlas-

885 Vgl. dazu LIENHARD, Grundlagen, S. 469 f. 886 Bezüglich der Anzahl der Richterstellen gibt es keine Autonomie: Diese werden

regelmässig durch die Legislative festgelegt. 887 Teilweise benötigen sie dabei noch die Zustimmung der Verwaltungskommission;

dies ist jedoch mehr eine formelle Voraussetzung. Da die Zusammensetzung des Personals massgeblich auch das Arbeitsklima beeinflusst, ist eine solche Autono-mie wünschenswert.

888 Vgl. vorne die gesetzlichen Grundlagen der Kantone, Teil vier ab S. 193.

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sen worden (BGerR). Für das BVGer lässt sich dasselbe sagen; die Regelun-gen finden sich im VGR.889

Eine solche allgemeine Lenkung durch das Gesetz wurde durch den Verfas-sungsgeber vorgesehen; sie erscheint richtig und entspricht der schweizeri-schen Idee der Gewaltenteilung, in der die wichtigsten Entscheide durch die Legislative zu treffen sind. Ebenso wichtig erscheint jedoch die Freiheit der Gerichte, selbst über ihre weitere Organisation zu entscheiden; dies ist der eigentliche Kern der Organisationsautonomie. Die Gerichte kennen die An-forderungen, denen sie zu entsprechen haben besser als der Gesetzgeber, was eine Autonomie folgerichtig erscheinen lässt. Auch sind Regelungen in Reg-lementen flexibler, da sie vom Gericht selbst angepasst werden können, soll-ten sich Änderungen als nötig erweisen. Bei Gesetzen hingegen müsste das Gesetzgebungsverfahren bemüht werden, was langwierig und ineffizient sein kann und sich vor allem bei Detailfragen kaum rechtfertigt. Die Gerichte in der Schweiz haben von ihren Selbstorganisationskompetenzen rege Ge-brauch gemacht und verschiedene Leitungsorgane und Leitungsinstrumente geschaffen; sie haben sich selbst hinreichend konstituiert.890

Beurteilung der neuen Entwicklungen E.

Es lässt sich feststellen, dass im Bereich der Justizverwaltung im Bund die Führung dem Konzept und den Grundsätzen der BV zur Justizverwaltung entspricht, wonach diese effizient und wirksam zu sein hat. Da der Bereich der Justizverwaltung und damit alle Tätigkeiten der Gerichte bzw. der Rich-ter, welche verwaltender Natur sind, von der Garantie der richterlichen Un-abhängigkeit nicht erfasst werden, ist eine verstärkte Führung in Bezug auf die Justizverwaltung unter dem Gesichtspunkt der richterlichen Unabhän-gigkeit nicht zu beanstanden. Mit KLOPFER kann festgehalten werden, dass ein Gericht eine professionelle, effiziente Administration braucht. „Das geht

889 Vgl. vorne Teil drei ab S. 127. 890 Bezüglich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten wird die Organisationsautonomie

im nächsten Kapitel eingehend behandelt, vgl. sogleich, S. 272 ff.

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Leitung und Justizverwaltung

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nicht ohne Führung, und das verletzt die richterliche Unabhängigkeit in kei-ner Art und Weise […].“891

Die Bereiche der Finanz- und Personalautonomie haben sich in der schwei-zerischen Praxis der Justizverwaltung etabliert und stellen heute eigentlich keine grösseren Probleme dar. Auch die Führungskompetenzen in diesen Bereichen wurden in den letzten Jahren geordnet und sind heute hinreichend klar geregelt.

Mit seinen Schriften zum Thema NPM und Justiz hat LIENHARD massge-blich dazu beigetragen, das Tabu um die Messbarkeit richterlicher Leistung und der Kontrolle der richterlichen Tätigkeit zu brechen. Auch wenn die verwendeten Begrifflichkeiten (z.B. „Steuerungsinstrumentarium“) teilweise noch sehr wirtschaftlich anmuten, so ist inhaltlich doch viel Verwertbares geschaffen worden.

891 KLOPFER, NZZ Nr. 141 vom 20. Juni 2005, S. 35; KLOPFER, Rz. 5.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

272

V. Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung A.

1. Begriff

Die Justizverwaltung unterscheidet sich von rechtsprechenden Tätigkeiten insbesondere dadurch, dass erstere keinen Einfluss auf den richterlichen Entscheid im Einzelfall hat. Meist lässt sich dies leicht nachvollziehen, denkt man doch beispielsweise an das dem Gericht zugesprochene Budget, wel-ches dieses dann nach seinem Gutdünken verwenden kann. Ein Schutz durch die richterliche Unabhängigkeit ist bei Tätigkeiten, die auf die eigentliche Entscheidung, d.h. auf die Rechtsfindung keinen Einfluss haben, nicht nötig, weshalb die Justizverwaltung nicht dem Prinzip der richterlichen Unabhän-gigkeit unterstellt ist.892 Während bei den Bereichen der Finanz- und Perso-nalautonomie grundsätzlich keine Zweifel bezüglich des verwaltenden Cha-rakters bestehen, da ihre Inhalte klar verwaltungstechnischer Natur sind, präsentiert sich der Bereich der Organisationsautonomie als eigentliche Her-ausforderung der Abgrenzung zwischen rechtsprechenden und verwaltenden Tätigkeiten. Zwar wird die Grundkonstitution der Gerichte, sprich ihre Grund-Organisation von den entsprechenden Gesetzen in den Grundzügen geregelt. Im Bereich der Organisation der Rechtsprechung, welche ebenfalls einen Teil der Justizverwaltung893 darstellt, gilt dies jedoch nicht: Sie wurde sowohl im Bund als auch in den meisten Kantonen nicht gesetzlich geregelt, weshalb die Organisationsautonomie diesbezüglich weit geht und der Justiz überlassen blieb bzw. bleibt.894 Die Organisation der Rechtsprechung um-fasst die Geschäftslastbewirtschaftung und die Geschäftsverteilung. Beide Tätigkeiten sind justizinterne Tätigkeiten und bezüglich ihres Charakters unterscheiden sie sich wesentlich von den finanz- bzw. personaltechnischen

892 Vgl. soeben S. 264 ff. 893 Botschaft neue BV, 527; vgl. vorne, S. 73 ff. 894 Vgl. soeben, S. 269.

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Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

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Fragen; sie befinden sich sehr nahe an der eigentlichen, rechtsprechenden Tätigkeit und haben einen engen Bezug zur Rechtsprechung.

Diese Tätigkeiten mit Bezug zur Rechtsprechung werden aus diesem Grund in der Folge als „rechtsprechungsnahe Tätigkeiten“ oder generell als „recht-sprechungsnahe Justizverwaltung“ bezeichnet. Eine vertiefte Betrachtung drängt sich auf.

2. Schutz von Art. 30 BV?

Gemäss der grundsätzlichen Zuordnung gehört die Organisation der Recht-sprechung zur Justizverwaltung und damit ist zunächst davon auszugehen, dass die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten – wie die ganze übrige Justiz-verwaltung – nicht durch das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit ge-schützt werden.895

Art. 30 BV statuiert nun aber die Unabhängigkeit des Gerichts und nicht nur der Rechtsprechung, weshalb die Feststellung, dass die Justizverwaltung auch die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten umfasst, in Beziehung zu der von Art. 30 BV geforderten Unabhängigkeit des Gerichts zu setzen ist. So-weit ersichtlich, ist diese Thematik bis heute nicht Gegenstand der Recht-sprechung und wird auch in der Lehre nicht behandelt. Es stellt sich die Fra-ge, ob die Gehalte der „rechtsprechungsnahen Justizverwaltung“ unter einen spezifischen Schutz zu stellen sind, der aus Art. 30 BV abgeleitet werden müsste.

Im vorliegenden Zusammenhang ist demnach von grösster Bedeutung, ob Art. 30 BV einen weiteren (Schutz-)Bereich umfasst als Art. 191c BV, wel-cher sich nur auf die Rechtsprechung bezieht, und falls ja, welcher Inhalt ihm zugeschrieben werden kann. Diese Frage wird im Folgenden zu beant-worten sein. Dafür muss allerdings zunächst eine präzise Abgrenzung vor-genommen werden, was unter die Begriffe der Justizverwaltung bzw. der Rechtsprechung fällt und welchen Prinzipien sie unterstehen.896

895 Vgl. soeben Kapitel IV., S. 264. 896 Vgl. sogleich Punkt 3. sowie S. 278 ff.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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3. Abgrenzung

a) Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

i) Geschäftsverteilung

Die innerhalb der Abteilung meist durch die Abteilungspräsidenten vorzu-nehmende Geschäftsverteilung weist unverkennbare Bezüge zur Rechtspre-chung auf: Durch die Zuteilung eines Falles an einen bestimmten Richter bzw. an einen Spruchkörper werden die Richter im konkreten Fall bestimmt. Nach der Lehre der inneren Unabhängigkeit besteht bei Richtern immer ein gewisses Vorverständnis, weshalb bereits durch die Bestimmung des Spruchkörpers indirekt Einfluss genommen wird auf den Ausgang des Ver-fahrens.897 Auch die durch die weiteren pendenten und in Zirkulation befind-lichen Fälle bestimmte zeitliche und inhaltliche Belastung eines Richters hat Auswirkungen auf die Fallbehandlung im Einzelfall und damit auf seine rechtsprechende Tätigkeit.

Befindet sich ein Richter unter zeitlichem Druck, so wird er weniger Zeit pro Fall investieren, er wird sich also weniger lange inhaltlich mit dem einzelnen Fall beschäftigen können. Dies kann auch dazu führen, dass die Begründung der Entscheidungen weniger dicht ausfällt.898 Ebenso kann es sein, dass ein Richter sich auf die „wichtigen“ Fälle konzentriert und andere Fälle zurück-stellt, so dass dort die Behandlungsdauer steigt oder dass generell der Sach-verhalt weniger gründlich abgeklärt wird.899 In diesem Sinne besteht bei der Geschäftsverteilung als Teil der Organisationsautonomie ein enger Zusam-menhang mit der – bzw. ein indirekter Einfluss auf die – Rechtsprechung,

897 Vgl. MÜLLER M., S. 528 ff. 898 In dieses Themengebiet gehört auch die Frage nach der Aufgabenteilung zwischen

Richtern und Gerichtsschreibenden: Ist es grundsätzlich Aufgabe der Gerichts-schreibenden, Referate vorzubereiten, die dann dem Richter als Entwurf vorgelegt werden, so stellt sich das Problem der verfügbaren Zeit pro Fall auch bei ihnen. Vgl. zur Aufgabenteilung auch FELBER, Richterbild, S. 435.

899 Dies gilt insbesondere für die erstinstanzlichen Gerichtsinstanzen, welche über die volle Kognition verfügen.

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Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

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wenngleich die Tätigkeit an sich unbestrittenerweise administrativer Natur ist.

ii) Geschäftslastbewirtschaftung

Die Geschäftslastbewirtschaftung, d.h. die eigentliche Handhabung der Fall-bearbeitung durch die damit befassten Personen, d.h. durch die einzelnen Richter, Gerichtsschreibenden und das Kanzleipersonal gehört ebenfalls in den Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung.

Eine Abteilung eines Gerichts hat die ihr zugewiesenen Geschäfte zu behan-deln, deren Anzahl nur schwierig zu beeinflussen ist.900 Dieser Faktor ist bei einer durchschnittlichen Belastungssituation mit einer durchschnittlichen Fallzahl normalerweise unproblematisch bzw. zumindest handhabbar. Hin-gegen ist bei einer bereits hohen Belastung der Richter, etwa bei einer unge-wöhnlich hohen Zahl von Neueingängen oder bei einem überraschenden Ausfall eines Richters ein Engpass möglich.901 In einer solchen Situation ist die Organisation des Vorgehens bei der Fallerledigung, sowie die Koordina-tion innerhalb der Abteilung unter den Richtern (z.B. für die Sitzungen des Spruchkörpers) von grosser Bedeutung. Das zeitliche Vorgehen in einem Fall durch einen Richter bzw. den Spruchkörper stellt damit eine rechtspre-

900 Da ein Gericht in der Schweiz nicht wählen kann, welche Fälle es behandelt, so wie

dies etwa beim Supreme Court in den USA der Fall ist, werden die eingehenden Geschäfte der sachlich zuständigen Abteilung zugeordnet. Daraus ergibt sich die von der Abteilung zu behandelnde Falllast. Diese der Abteilung zugeordneten Fälle müssen anschliessend auf die einzelnen Richter der Abteilung verteilt werden. Diesbezüglich sind die Gerichte von der Situation abhängig und ohne jeglichen Einfluss. Hingegen könnte durch eine Änderung des entsprechenden Gerichtsreg-lements die Zuteilung der Geschäfte innerhalb des Gerichts geändert werden, in-dem beispielsweise die Geschäfte anders verteilt werden. Allerdings müssten dann wohl alle Abteilungen einverstanden sein, was keine Selbstverständlichkeit darstel-len könnte.

901 Ebenso präsentiert sich die Situation bei einer konstant hohen Belastung der Rich-ter durch Pendenzen und hohen Eingängen an Fällen wie beispielsweise momentan im Bereich des Asylwesens und den zuständigen Abteilungen IV und V des Bun-desverwaltungsgerichts, vgl. dazu den Geschäftsbericht des Bundesgerichts 2011, Fn. 688.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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chungsnahe Tätigkeit dar, wird damit doch letztlich die effektiv verfügbare Zeit für einen Entscheid beeinflusst.

b) Abgrenzung der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung von der

Rechtsprechung

Rechtsprechung umfasst, vereinfacht gesagt, die rechtsanwendenden Tätig-keiten in einem Einzelfall, von der Einleitung des Verfahrens bis zum Urteil samt Begründung, während die rechtsprechungsnahe Justizverwaltung jene Tätigkeiten meint, , welche die Organisation der Rechtsprechung umfassen. Demnach ist hier als Abgrenzungskriterium die Rechtsanwendung aus-schlaggebend, d.h., ob ein direkter Einfluss auf die materielle Entscheidfin-dung im Einzelfall gegeben ist. Ist dies so, dann handelt es sich um Recht-sprechung, andernfalls um rechtsprechungsnahe Justizverwaltung. Tätigkei-ten, die die Rahmenbedingungen der Fallerledigung betreffen und einen indirekten Einfluss auf die Rechtsprechung haben können, fallen in den Be-reich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten.902

c) Abgrenzung der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung von der

eigentlichen Justizverwaltung

Justizverwaltung ist die „verwaltende Tätigkeit, welche die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Rechtsprechung schafft und erhält“903 bzw. jene Tätigkeiten, welche nicht rechtsanwendender Natur und ohne Einfluss auf den richterlichen Entscheid im Einzelfall sind. Demnach wurde bis anhin von einer Zweiteilung der Tätigkeiten der Justiz ausgegangen: Entweder stellt eine Tätigkeit Rechtsprechung oder Justizver-waltung dar. Gemäss dieser Konzeption gehört nach dem Willen des Gesetz-gebers auch die Organisation der Rechtsprechung zur Justizverwaltung.904 Diese Zuordnung macht grundsätzlich durchaus Sinn, da die Organisation

902 Vgl. für den Unterschied auch GASS/STOLZ, S. 126. 903 KIENER, Unabhängigkeit, S. 292. 904 Botschaft neue BV, 527.

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der Rechtsprechung inhaltlich nichts mit der Entscheidung, also der Recht-sprechung, sondern vielmehr mit der Verwaltung eben dieser zu tun hat. Ebenso ist die Organisation der Rechtsprechung eine Tätigkeit, die innerhalb der jeweiligen Justizeinheit vorzunehmen ist; es handelt sich um eine justiz-interne Tätigkeit. Aus diesen Gründen rechtfertigt es sich, die Organisation der Rechtsprechung im Allgemeinen der Justizverwaltung und nicht der Rechtsprechung zuzuordnen.

Trotzdem lässt sich nicht bestreiten, dass es sich bei der Geschäftsverteilung und der Geschäftslastbewirtschaftung um gänzlich andere Tätigkeiten han-delt als bei finanziellen oder personellen Fragen, welche ohne Zweifel ver-waltender Natur sind. Rechtsprechungsnahe Tätigkeiten sind durchwegs Tätigkeiten, die sehr nahe an der eigentlichen Rechtsprechung sind, die indi-rekte Auswirkungen auf die Rechtsprechung bzw. die einen engen Bezug zur Rechtsprechung haben (bspw. die Fallführung durch den Richter im Einzel-fall, die Koordination der Sitzungen des Spruchkörpers, der Zirkulation von Entscheiden, die Zuteilung eines Falles an einen Instruktionsrichter); sie be-treffen die Rahmenbedingungen der Fallerledigung. In diesem Punkt unter-scheiden sie sich wesentlich von der eigentlichen Justizverwaltung.

Es rechtfertigt sich daher, wegen der doppelten Natur der rechtsprechungs-nahen Tätigkeiten (Tätigkeiten, welche verwaltender Natur mit Auswirkung auf die Rechtsprechung sind), für die genaue Untersuchung der Justizleitung eine separate Kategorie von justiziellen Tätigkeiten zu schaffen, welche sich zwischen den beiden grossen Bereichen der Rechtsprechung und der eigent-lichen Justizverwaltung befindet. Die grundsätzliche Zuordnung der recht-sprechungsnahen Justizverwaltung zur Justizverwaltung und nicht zur Rechtsprechung scheint im Grundsatz zwar richtig, da die Tätigkeiten inhalt-lich gesehen verwaltender Natur sind. Hingegen sind sie m.E. nicht mit der übrigen Justizverwaltung zusammen behandelbar, weil sie die Rahmenbe-dingungen der Fallerlerdigung betreffen und einen engen Bezug zur Recht-sprechung haben, womit sie Elemente der Rechtsprechung aufweisen bzw. jene beeinträchtigen.905 Der Bereich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten

905 Vgl. BAUHOFER, S. 282, welcher von einer engen Verbundenheit mit der Recht-

sprechung spricht.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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muss daher losgelöst von der übrigen Justizverwaltung und von der Recht-sprechung, als eigener Bereich betrachtet und in der Folge bezüglich seiner Eigenschaften und Gegebenheiten genauer untersucht werden.

d) Fazit

Die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten haben innerhalb der Justizverwaltung eine spezielle Stellung inne. Es geht um gänzlich andere Fragen und Inhalte als bei der eigentlichen Justizverwaltung und es handelt sich nicht um ty-pisch verwaltungsrechtliche Fragestellungen, die zu beantworten sind. Es wird im Gegenteil ein Fragenkomplex angesprochen, der so nah an der eigentlichen Rechtsprechung ist, dass die unbesehene Anwendung der die Justizverwaltung regelnden Prinzipien nicht angebracht erscheint. Es scheint, dass sich die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten nur schlecht den gleichen Regeln wie die restlichen Bereiche der Justizverwaltung unterstellen lassen. Es handelt sich faktisch um verwaltende Tätigkeiten, die jedoch rechtspre-chungsnahen Charakter aufweisen.

Unabhängigkeit der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung B.

1. Komponenten der Unabhängigkeit

a) Allgemeines

Bezüglich der Rechtsprechung wird die Unabhängigkeit bereits umfassend durch Art. 191c BV bzw. grundrechtlich durch Art. 30 BV gesichert.906 Der Begriff der Unabhängigkeit in Art. 30 BV bezieht sich nicht auf die Recht-sprechung, sondern auf das Gericht als Ganzes. Das Gericht, d.h. die Organi-sationseinheit sowie der einzelne Spruchkörper bzw. der Einzelrichter muss vollumfänglich unabhängig sein, nicht nur seine Rechtsprechung. Dennoch

906 Vgl. vorne S. 39 ff.

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Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

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ist der Zweck von Art. 30 BV, genau wie derjenige von Art. 191c BV, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung sicherzustellen.907

Setzt man nun die Komponenten der Unabhängigkeit mit den rechtspre-chungsnahen Tätigkeiten in Beziehung, so lässt sich feststellen, dass diese Tätigkeiten geeignet sind, die verschiedenen Komponenten zu beeinträchti-gen und damit die Unabhängigkeit des Gerichts zu gefährden.

b) Grundrechtliche Komponenten

Die grundrechtliche Komponente der Unabhängigkeit umfasst zunächst die Garantie, dass Richter „auf feste Amtsdauer bestellt sind und während dieser Zeit weder von anderen Staatsgewalten noch von den Parteien Anweisungen empfangen (…).“908 Ebenso fallen in diesen grundrechtlich geschützten Be-reich die Garantien der Unbefangenheit, der Unparteilichkeit, der Unvorein-genommenheit sowie der Unbeteiligtheit.909 Voreingenommenheit und Be-fangenheit werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können in ge-wissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein.910

Bei der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung ist die Unabhängigkeit zwar nicht durch die anderen Staatsgewalten oder die Parteien gefährdet. Hinge-gen kann auch bei den rechtsprechungsnahen Tätigkeiten die richterliche Unbefangenheit, Unvoreingenommenheit oder die Unparteilichkeit fehlen. Somit ist die grundrechtliche Komponente auch im Zusammenhang mit den rechtsprechungsnahen Tätigkeiten zu garantieren.

907 Vgl. vorne die Definitionen von EICHENBERGER bzw. von KIENER, Unabhängigkeit,

S. 48 ff. 908 BGE 134 I 16 E. 4.2 und ausführlich zur grundrechtlichen Unabhängigkeit vorne,

S. 55 ff. 909 Vgl. zu den Begriffen vorne S. 57 ff. 910 BGE 137 I 227 E. 2.; vgl. dazu ausführlich vorne, S. 60.

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c) Funktionelle bzw. selbständige Komponente

In funktioneller Hinsicht schliesst die Unabhängigkeit aus, dass andere Staatsorgane in die Rechtsprechung eingreifen. Solche Übergriffe sind unzu-lässig. Es besteht ein Einmischungsverbot der anderen Staatsgewalten und eine Weisungsfreiheit der Justiz in ihrem Wirkungskreis.911 EICHENBERGER benannte diesen Teil der Unabhängigkeit als richterliche Selbständigkeit.912

Das Einmischungsverbot der anderen Staatsgewalten und die Weisungsfrei-heit der Justiz muss auch bezüglich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten Anwendung finden. Diese stellen gerichtsinterne Abläufe dar und sollten daher der direkten Überprüfung durch eine andere Gewalt entzogen sein. Andernfalls könnte über diese Tätigkeiten indirekt Einfluss auf die Recht-sprechung genommen werden. Die Gefahr, dass auf dem Umweg über die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten Einfluss auf die Rechtsprechung genom-men wird, ist zu gross, als dass man zulassen könnte, dass sich die anderen Gewalten einmischen. Es ist also dafür zu sorgen, dass die anderen Staatsor-gane nicht in die der Rechtsfindung dienenden Tätigkeiten, also die Rah-menbedingungen der Fallerledigung, eingreifen. Gleiches gilt für die aufzu-wendende Zeit bezüglich der Instruktion und Begründung einer Entschei-dung. Im Ergebnis ist mit RASELLI in diesem Zusammenhang dafür zu plä-dieren, dass die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten dem Einfluss von ausser-halb der Justiz entzogen bleiben.913

d) Persönliche Komponente

Der Anspruch auf unabhängige Richter soll zu der notwendigen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen. Diese Offenheit wird aber gefährdet, wenn ausserhalb des Prozesses liegende Umstände in sachwidriger Weise auf das Verfahren einwirken, sei dies bewusst oder unbewusst. 914 Diese kön-

911 KIENER, Unabhängigkeit, S. 235 f. 912 Vgl. vorne, S. 49. 913 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 24. 914 BGE 137 I 227 E. 2.6.1; KIENER, Unabhängigkeit, S. 57.

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nen soziologische Wirksamkeiten wie z.B. Sitten, Gewohnheiten oder Wert-urteile in der Gesellschaft sein, welche insbesondere durch Parteien oder Kirchen und die Presse zur öffentlichen Meinung erhoben werden.915 Auch verfälschende Einwirkungen, die der Person des Richters selbst entstammen, wie z.B. Vorurteile, fallen unter die persönliche Unabhängigkeit.916 Eine weitere Facette der persönlichen richterlichen Unabhängigkeit ist die Selb-ständigkeit innerhalb des Spruchkörpers sowie gegenüber nicht-richterlichen Gerichtsangehörigen und Sachverständigen.917

Bei der persönlichen Komponente ist bezüglich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung insbesondere die Selbständigkeit innerhalb des Spruchkör-pers zu betonen. Ein Richter könnte, je nach Zusammensetzung des Spruch-körpers, im Sinne der „Effizienz“ entscheiden, dass der Schriftenwechsel abgekürzt wird, das Urteil weniger eingehend zu begründen ist oder allge-mein gesagt, könnte ein Richter entscheiden, dass er einem bestimmten Fall weniger Zeit als normal widmen will.918

Ebenso kommt neuerdings bezüglich der persönlichen Komponente der Druck der Öffentlichkeit hinzu. Es wird vermehrt gefordert, die Justiz habe noch effizienter zu arbeiten, bei Fehlurteilen wird oftmals nach den fehlba-ren Richtern gefragt und es wurden seitens der Exekutive, neben öffentlichen Urteilsschelten auch schon Vorschläge gemacht, bei der Justiz zu sparen.

e) Justizinterne und gerichtsinterne Komponente

Die justizinterne Komponente oder anders gesagt die richterliche Eigenstän-digkeit betrifft die Unabhängigkeit von Organen der richterlichen Gewalt, wobei es um Fragen der gerichtlichen Aufsicht (Intraorgankontrolle) geht.

915 Vgl. EICHENBERGER, Unabhängigkeit, S. 43 ff., welcher von richterlicher Sozial-

freiheit spricht. 916 Vgl. EICHENBERGER, vorne, S.49, welcher diesen Teil der inneren Freiheit zu-

schreibt. 917 KIENER, Unabhängigkeit, S. 221; MOSIMANN, Schweiz, S. 6. 918 Dies insbesondere dann, wenn der Richter weiss, dass seine Kollegen die Fälle, die

sie nicht als erste Richter amten, nur oberflächlich prüfen.

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Diese Aufsicht kann als Organaufsicht oder als Dienstaufsicht ausgestaltet sein. Als Organaufsicht bezieht sie sich auf die Funktionsfähigkeit, als Dienstaufsicht hat sie „die einzelnen Richter im Visier“.919

Im Bereich der Aufsicht durch die obere Instanz (Interorgankontrolle) sind die Richter betroffen, wenn eine Bewertung ihrer Tätigkeit vorgenommen wird, wenn die Aufsicht also im Sinne einer Dienstaufsicht ausgestaltet ist. Beide Arten der Aufsicht, ob Inter- oder Intraorgankontrolle, sind Angele-genheiten des öffentlichen Rechts, weshalb eine gesetzlich geregelte Kompe-tenzordnung bzw. eine gesetzliche Regelung notwendig ist.920

Die justizinterne Komponente muss nun aber durch eine „gerichtsinterne“ Komponente ergänzt werden. Denn in der Organisation der Rechtsprechung entwickelt sich mit der Neustrukturierung der rechtsprechungsnahen Justiz-verwaltung eine neue Art der Kontrolle, welche durch eine gerichtsinterne Führung bzw. Leitung ausgeübt wird. Demnach ergeben sich neue Abhän-gigkeiten bzw. Einflüsse von innerhalb der jeweiligen Gerichte, welche bis anhin so nicht existierten. Die gerichtsinternen Einflüsse wie z.B. eine Lei-tung durch die Verwaltungskommission oder die Abteilungspräsidenten be-treffen die Richter durch die Fallzuteilung und die Arbeitsbelastung sowie die weiteren an die Leitungsorgane delegierten Kompentenzen in ihrer Fall-führungskompetenz.921 Im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwal-tung „drohen“ der richterlichen Unabhängigkeit mithin in erster Linie von innen, also durch das eigene Gericht bzw. seine Führungsorgane selbst, Re-gelungen. Damit besteht ein eminenter Unterschied zur klassischen Recht-sprechung, welche auch und vor allem durch Aussenstehende beeinflusst wird.

Der Sinn der Garantie der Unabhängigkeit spricht dafür, die Einflüsse von innerhalb der Justiz ebenfalls einzudämmen: Es kann nicht relevant sein,

919 KIENER, Unabhängigkeit, S. 297. 920 MOSIMANN, Schweiz, S. 5. 921 Als erster Autor der schweizerischen Lehre nennt MOSIMANN nun in seinem Vor-

trag von 2013 zum ersten Mal die „justizinterne Komponente“ im Zusammenhang mit gerichtsinternen Einflüssen (Interorgankontrolle) als Teil der richterlichen Un-abhängigkeit.

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woher der Einfluss auf die Richter bzw. den Spruchkörper kommt. Wenn der Unabhängigkeit halber Einflüsse von ausserhalb der Justiz ausgeschlossen werden, so müssen auch interne Einflüsse, die ebenso wirksam sein können, grundsätzlich unzulässig sein.922

2. Schutzbereiche der rechtsprechungsnahen Tätigkeit

a) Konkrete Inhalte

Die Schutzbereiche der rechtsprechungsnahen Tätigkeit sind nach dem Ge-sagten die Organisation der Rechtsprechung, genauer die Geschäftslastbe-wirtschaftung und die Geschäftsverteilung. Insbesondere bei der Geschäfts-lastbewirtschaftung lassen sich die einzelnen Tätigkeiten noch genauer her-auskristallisieren.

Die Organisation des Vorgehens bei der Fallerledigung durch den einzelnen Richter besteht aus vielen einzelnen Entscheiden und Schritten. So hat der Instruktionsrichter zunächst zu instruieren, d.h. den Schriftenwechsel durch-zuführen. Anschliessend hat er darüber zu entscheiden, wie weiter zu verfah-ren ist. Während der Entscheid, wie vorzugehen ist, zur rechtsprechenden Tätigkeit zu zählen ist, stellt der Entscheid darüber, wieviel Zeit aufgewen-det wird für einen einzelnen Schritt, z.B. für die Instruktion oder für die Be-gründung des Entscheides, nach der vorne verwendeten Definition keine Rechtsprechung dar, weil es sich dabei nicht um eine rechtsanwendende Tätigkeit handelt. Es geht ja nur indirekt um den Zeitaufwand. Auch der Entscheid, wieviel Zeit ein Richter einem Fall insgesamt widmen will, oder der Entscheid, wie ein Fall zu führen ist bzw. wann ein Entscheid zu fällen ist, ist als rechtsprechungsnahe Tätigkeit zu qualifizieren; insbesondere auch die Verfahrensdauer eines Falles fällt in den Schutzbereich der rechtspre-chungsnahen Tätigkeiten.

Durch das Heraustrennen der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten von den rechtsprechenden Tätigkeiten wird der für einen Fall aufgewendete Zeitauf-wand überprüfbar. Auch die Zuteilung eines Falles an einen bestimmten

922 Vgl. zur Frage der Einschränkung sogleich, Punkt 2.

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Referenten oder die Organisation des Vorgehens für eine effiziente Fallerle-digung gehören zu diesem Teilbereich der rechtsprechungsnahen Justizver-waltung. Ebenso wäre sodann die Koordination innerhalb der Abteilung unter den Richtern (z.B. für die Sitzungen des Spruchkörpers) oder die Be-stimmung des zeitlichen Vorgehens in einem Fall Teil der rechtsprechungs-nahen Tätigkeiten.

b) Schutzbereich oder Kernbereich?

Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit stellt eine Verfahrensgarantie dar. Jedoch handelt es sich dabei nicht „nur“ um eine Verfahrensgarantie, sondern auch um ein verfassungsmässiges Organisationsprinzip. Damit hat die Garantie eine doppelte Funktion. Ebensowenig handelt es sich bei der richterlichen Unabhängigkeit um eine typische Verfahrensgarantie, da die richterliche Unabhängigkeit sozusagen DIE Voraussetzung für ein faires Verfahren darstellt.

Wie oben hergeleitet befinden sich im Schutzbereich von Art. 30 BV auch die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten. Eine Einordnung der rechtspre-chungsnahen Tätigkeiten in den Kernbereich bzw. zum Minimalstandard der richterlichen Unabhängigkeit, d.h. ein absoluter, nicht einschränkbarer Schutz der Gesamtheit dieser Tätigkeiten, wie bei der Rechtsprechung, ist nicht erforderlich, um den Anspruch des Einzelnen auf ein unabhängiges Ge-richt zu garantieren. Vielmehr wird dieser Individualanspruch durch den ab-soluten Schutz der eigentlichen Rechtsprechung im „Kern“ bereits hinrei-chend gewahrt. Aus diesem Grund geht der Schutz bezüglich der rechtspre-chungsnahen Tätigkeiten nur soweit nötig, um die Unabhängigkeit insgesamt zu gewährleisten, was bedeutet, dass eine Einteilung zum Schutzbereich ge-nügend ist. Wie vorne dargestellt, drängt sich aber die Ausdehnung der Un-abhängigkeit auf die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten im Grundsatz auf, da diese indirekt Auswirkungen auf die materielle Rechtsprechung haben. Eine absolute Geltung der Unabhängigkeit bezüglich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten, also eine Zuordnung zum Kernbereich, scheint hingegen nicht notwendig zu sein. Eine solche rechtfertigt sich auch nicht, da die rechtspre-chungsnahen Tätigkeiten für den Rechtssuchenden nicht gleich grundlegend

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Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

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sind wie die eigentliche Rechtsprechung. Auch für das Funktionieren des Rechtsstaates sind diese Tätigkeiten nicht gleich zentral.

Sollte im Einzelfall ein überwiegendes Interesse an einer Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Richters in einem Bereich bestehen, der nicht zur klassischen Rechtsprechung, sondern zur rechtsprechungsnahen Justizver-waltung gehört, sollen solche Eingriffe nicht von vornherein unzulässig sein. Die Zuordnung zum Schutzbereich ermöglicht eine diesbezügliche Interes-senabwägung und damit – wo nötig – einen Eingriff in die rechtsprechungs-nahe Justizverwaltung.

Ebenso spricht die Bedeutung der weiteren Verfahrensgarantien dafür, dass eine Abwägung mit diesen anderen Interessen, insbesondere den Verfah-rensgarantien der betroffenen Parteien, möglich sein muss.923 Auch wenn die Verfahrensgarantien nicht direkt den für sie nicht sachgerechten Kriterien nach Art. 36 Abs. 4 BV unterliegen, so schliesst dies die Berücksichtigung von öffentlichen Interessen oder der Verhältnismässigkeit im Einzelfall nicht aus.924 Verfassungsnormen regeln die Rechtsordnung eines Staates in ihrer Gesamtheit, weshalb sie nicht isoliert betrachtet werden dürfen; es ist ge-mäss dem Konzept der praktischen Konkordanz auf ein ganzheitliches Ver-fassungsverständnis abzustellen.925 Die Staatsorgane haben alle von der Sa-che berührten Verfassungsanliegen zu bedenken und diesen Anliegen auf dem Weg der Interessenabwägung, der „praktischen Konkordanz“, zu brei-test möglicher Wirksamkeit zu verhelfen.926 Bei den Verfahrensgarantien hat sich der Verfassungsgeber für ein Miteinander der entsprechenden Garantien entschieden: Es soll ein faires Verfahren erreicht werden. Es kann also nicht sein, dass der Verfassungsgeber eine kompromisslose Formulierung schaffen

923 Vgl. dazu S. 293 ff. 924 KIENER/KÄLIN, S. 91 und S. 119 ff.; SCHWEIZER, SGK zu Art. 36 BV, Rz. 7;

STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 6; vgl. auch HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rz. 869a, welche ausführen, dass die Abwägung verschiedener Interessen sich an den Grundsätzen von Art. 36 Abs. 3 BV zu orientieren habe.

925 Vgl. zum Konzept der praktischen Konkordanz vorne, S. 121 und TSCHANNEN, Verfassungsauslegung, S. 152.

926 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 4, Rz. 41.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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wollte; dies geht aus dem Text der Verfahrensgarantien der BV auch nicht hervor. Die Bestimmungen, welche die Verfahrensgarantien regeln, sind daher dem Konzept der praktischen Konkordanz zugänglich. Die Unabhän-gigkeit in rechtsprechungsnahen Tätigkeiten ist kein Selbstzweck und soll ein faires Verfahren ermöglichen. Keinesfalls soll es zusätzliche Spannungs-felder verursachen, indem sie anderen Verfahrensgarantien widerspricht bzw. diese verunmöglicht. Dies bedeutet nichts anderes, als dass im Einzel-fall eine Interessenabwägung vorgenommen werden kann. Demnach ist die Einschränkung der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten zumindest bei recht-lich gleichwertigen Rechtsgütern zulässig, aber auch rechtfertigungsfähig bzw. rechtfertigungsbedürftig.927

3. Umhüllende Unabhängigkeit von Art. 30 BV

Wie sich bei der näheren Betrachtung gezeigt hat, rechtfertigt es sich, die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten ebenfalls der richterlichen Unabhängig-keit von Art. 30 BV zu unterstellen. Sie befinden sich im Schutzbereich der Garantie, wie sie heute in Bezug auf die neuen Einflüsse, welche sich aus den gewandelten Selbstverwaltungskompetenzen ergeben, zu definieren ist. Andernfalls wäre die Unabhängigkeit des Gerichts nicht mehr umfassend gegeben und die Einflüsse auf die Rechtsprechung wären wegen der strikten Zuordnung zur Justizverwaltung nicht zu verhindern.

Art. 30 BV will die Unabhängigkeit der Rechtsprechung sichern, in dem das Gericht und die Richter umfassend unabhängig zu sein haben. Dies geschieht mittels der eben genannten Komponenten. Es ergibt sich, dass Art. 30 BV einen weiteren Schutzbereich bedingt als die Garantie der unabhängigen Rechtsprechung in Art. 191c BV, welche sich ausschliesslich auf die Recht-sprechung bezieht. Eine solche Definition der Schutzbereiche von Art. 30 BV ist unerlässlich, soll doch der Sinn und Zweck der Garantie, die Unab-hängigkeit der Rechtsprechung, geschützt werden. Damit statuiert Art. 30 BV eine die Rechtsprechung umhüllende Unabhängigkeit, mit welcher ver-sucht wird, jegliche Einflussmöglichkeiten, welche sachwidrig sind und mit

927 Vgl. SCHÜTZ, S. 227.

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Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

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dem konkreten Verfahren nichts zu tun haben, von vornherein auszuschlies-sen, seien diese Einflüsse nun von innerhalb oder ausserhalb der Justiz.

Der Anspruch auf ein unabhängiges Gericht ist demnach nicht absolut zu verstehen, jedenfalls nicht in Bezug auf die rechtsprechungsnahen Tätigkei-ten: Der Bereich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten bzw. die Organisati-on der Rechtsprechung befindet sich im Schutzbereich der Unabhängigkeit des Gerichts, weshalb eine Einschränkung und eine Leitung grundsätzlich möglich erscheinen. Im Sinne einer Abwägung mit anderen Verfahrensga-rantien kann der Schutzbereich eingeschränkt werden. Bedingung dafür ist allerdings, dass die Voraussetzungen einer Einschränkung gegeben sind, d.h. dass ein überwiegendes anderes Interesse gegeben ist.

Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung und (Ober-)Aufsicht C.

1. Aufsicht

Es stellt sich die Frage, ob dieser neu umrissene Bereich der rechtspre-chungsnahen Justizverwaltung, insbesondere die mittelbar der Rechtsfindung dienenden Tätigkeiten nur gerichtsintern oder auch für die Aufsichts- und Oberaufsichtsbehörden einer Überprüfung zugänglich ist.

Die Aufsicht durch die oberen Gerichtsinstanzen in der Schweiz ist heute eine sehr umfassende Kontrolle. Es gibt keinen Bereich ausserhalb der ei-gentlichen Rechtsprechung, der nicht von der Aufsichtsbehörde kontrolliert würde: Die Aufsicht umfasst ausserhalb der eigentlichen Rechtsprechung alle Bereiche, insbesondere die Gerichtsleitung, die Organisation, die Faller-ledigung sowie das Personal- und Finanzwesen. Die Möglichkeit der Auf-sichtsbehörde, die inneren betrieblichen und administrativen Vorgänge zu rügen, z.B. die ordnungswidrige Art der Ausführung, die ungleiche Ge-schäftsverteilung oder das Verschleppen von Fällen, stellt eine tiefgreifende Kontrolle sicher. Ebenso kann sie die beaufsichtigte Instanz zu ordnungsge-mässer unverzögerter Erledigung ermahnen, was ein Durchsetzungs- bzw. Führungsmittel darstellt.928 Demnach gehören die Bereiche der Geschäfts-

928 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 235.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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verteilung und der Geschäftslastbewirtschaftung in den Aufsichtsbereich.929 Damit zeigt sich, dass im heutigen System im Rahmen der Aufsicht auch der Teilbereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung überprüft wird.

Die Aufsicht begrenzt damit die Verwaltungsautonomie, indem der Zweck der Aufsicht in der Sicherstellung der gesetzmässigen, zweckmässigen und haushälterischen Aufgabenerfüllung besteht.930 Umgekehrt setzt auch die Verwaltungsautonomie der Aufsicht eine gewisse Grenze: Die Aufsicht soll nicht selbst die beaufsichtigten Gerichte lenken. Dies würde einen Eingriff in die Verwaltungsautonomie der entsprechenden Instanz bedeuten und wäre daher unzulässig. Die Führung des eigenen Gerichts soll und muss seine eigene Aufgabe sein.931

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die weitgehende Aufsicht, wie sie heute ausgestaltet ist, einen sehr umfassenden Eingriff in die Verwaltungsau-tonomie beinhaltet.

2. Oberaufsicht

Die Oberaufsicht in der Schweiz wird durch die Legislative wahrgenommen und umfasst wie vorne dargestellt nach der mittleren Position die Justizver-waltung und den äusseren Geschäftsgang der Gerichte; es geht um eine for-melle Rechtmässigkeitskontrolle.932 Insbesondere stellt die Oberaufsicht im

929 Vgl. vorne, S. 29 ff. Ebenso betrifft z.B. eine mögliche Rüge bei einer Verschlep-

pung eines Falles zumindest den Übergang zur Rechtsprechung, da es sich um eine mögliche Rechtsverzögerung handelt.

930 Vgl. Art. 2 Abs. 3 AufRBG. AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 31, führt aus, dass Justizverwaltung sich nur soweit ausdehnen kann, bis sie sich mit der Aufsicht schneidet. Die Aufsicht beschränkt die Justizverwaltung; wenn es anders wäre, hät-te Aufsicht keinen Sinn.

931 Es gibt aus diesem Grund auch nicht die Möglichkeit der oberen Instanz, Entschei-dungen eines Gerichts durch die eigenen zu ersetzen; vgl. TSCHÜMPERLIN, Auf-sicht, S. 240.

932 Vgl. vorne, S. 34 ff.; MASTRONARDI, SGK zu Art. 169 BV, Rz. 20. Nach TSCHÜM-PERLIN, Aufsicht, S. 235 gehört auch der Zugang zur Justiz in der Form von Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsbeschwerden dazu, welche dann aber den Graubereich der Rechtsprechung erreichen.

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Leitung und rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

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Sinne einer weitmaschigen Kontrolle sicher, dass die Justiz ihren verfas-sungsmässigen Pflichten nachkommt. Ebenso hat das Parlament auch vom Inhalt der Rechtsprechung Kenntnis zu nehmen: Dabei geht es nicht um die Beurteilung von Einzelurteilen durch die Legislative, sondern vielmehr um den zentralen Auftrag der parlamentarischen Aufsicht, zu prüfen, „ob die Gesetzgebung in der Erfahrung der Rechtsprechung taugt oder der Änderung zuzuführen sei.“933

Es ist somit festzustellen, dass zumindest die Geschäftsabläufe, die Ge-schäftskontrolle, die Auslastung und die Pendenzen aus dem Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung der Oberaufsicht unterliegen.

Auch hier lässt sich sagen, dass die Ausgestaltung der Oberaufsicht in der Schweiz relativ weit geht. So untersteht das Bundesgericht im Grundsatz derselben Oberaufsicht wie der Bundesrat und die Bundesverwaltung (Art. 169 Abs. 1 BV). Dies ist kritisch zu würdigen. Erstens geht es bei der Oberaufsicht um eine Tendenzkontrolle, welche nicht berufen ist, Details zu kontrollieren. Sie hat sich auf die Einhaltung der gesetzlichen Kriterien zu beschränken und dies in allgemeiner Weise zu überprüfen.934 Der Sinn der Oberaufsicht besteht ja im Grundsatz darin, festzustellen, ob die Gerichte Recht gesprochen haben und ob dies ohne allzu grosse Verspätung ge-schah.935

Zweitens stehen die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten unter dem Schutz von Art. 30 BV, weshalb die funktionelle Komponente zu beachten ist: Das Ein-mischungsverbot der anderen Staatsgewalten und die Weisungsfreiheit der Justiz gelten auch bezüglich der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten.936 Die Gefahr, dass auf dem Umweg über die rechtsprechungsnahen Tätigkeiten Einfluss auf die Rechtsprechung genommen wird, ist zu gross, als dass man zulassen könnte, dass sich die anderen Gewalten einmischen. Um eine Be-einträchtigung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu vermeiden, ist es

933 EICHENBERGER, Sonderheiten, S. 78. 934 Vgl. für das Bundesgericht Art. 26 Abs. 3 ParlG. 935 AUBERT, Kommentar zur aBV zu Art. 85, Rz. 184. 936 Vgl. S. 280.

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der Exekutive untersagt, in die betrieblichen Abläufe der Justiz einzugreifen, was durch Art. 188 Abs. 3 BV zusätzlich verankert wird.937 Im Ergebnis ist mit RASELLI in diesem Zusammenhang dafür zu plädieren, dass die recht-sprechungsnahen Tätigkeiten dem Einfluss von ausserhalb der Justiz entzo-gen bleiben. RASELLI will die Grenze des „unantastbaren Kernbereichs der Rechtsprechung in Bezug auf die Überprüfung durch die Legislative weit ziehen.“938 Neben den Entscheidungen selbst sollen alle „unmittelbar oder mittelbar der Rechtsfindung dienenden Tätigkeiten, mithin auch die gesamte Vorbereitung“, zu diesem Bereich gezählt werden: Somit wäre inbesondere auch der zur Instruktion und Begründung einer Entscheidung erforderliche Zeitaufwand Teil des Kernbereichs.939 Eine Überprüfung des Kernbereichs inklusive des ganzen zur Entscheidung führenden Prozesses durch die Ober-aufsicht führende Behörde ist damit ausgeschlossen.940

Drittens handelt es sich um eine doppelte Kontrolle: Bereits durch die Auf-sichtsbehörde wird der Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung umfassend kontrolliert, weshalb eine weitere Kontrolle durch ein Organ ei-ner anderen Staatsgewalt sich nicht rechtfertigt.

937 TSCHANNEN, Staatsrecht, § 40, Rz. 15.; vgl. S. 65 ff. und S. 251 ff. 938 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 24; vgl. für die Situation in Deutschland HABER-

LAND, S. 304. 939 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 24. 940 A.M. WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 24 am Ende, welcher die Thematisierung von

krassen und offensichtlichen Fehlleistungen in der Rechtsprechung durch die Auf-sichtsbehörde als „zurecht geduldete Befugnis“ bezeichnet; vgl. dazu auch die Aus-führungen zur Oberaufsicht, S. 30.

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Zwischenfazit: Drei-Kreise-Modell der Rechtsprechung und der Justizverwaltung

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VI. Zwischenfazit: Drei-Kreise-Modell der Rechtsprechung und der Justizverwaltung

Aus dem bisher in Teil 5 Dargestellten lässt sich ein Modell aus drei Kreisen herleiten. Die drei Kreise bilden die drei Begriffe der Rechtsprechung, der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung und der eigentlichen Justizverwal-tung ab.

Den ersten und kleinsten Kreis bildet der Kernbereich der richterlichen Un-abhängigkeit, nämlich die klassische Rechtsprechung. Dies ist der erste, innere Kreis, welcher nicht einschränkbar und absolut unantastbar ist.

Den ersten Kreis umschliessend folgt der zweite Kreis, welcher den Schutz-bereich der richterlichen Unabhängigkeit darstellt. Er besteht aus der recht-sprechungsnahen Justizverwaltung. Dieser Bereich ist im Grundsatz ein-schränkbar, wenn ein genügendes, überwiegendes Interesse eine Einschrän-kung der richterlichen Unabhängigkeit rechtfertigt.

Beide Kreise stehen unter dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit, wenn auch unterschiedlich stark: Der innere Kreis der Rechtsprechung ge-niesst einen absoluten Schutz, der äussere Kreis hingegen nur einen grund-sätzlichen, relativen Schutz.

Schliesslich – abseits der anderen beiden Kreise – folgt der dritte Kreis: Die eigentlichen Justizverwaltung, welche neben dem Finanz- und Personalwe-sen auch die Grundorganisation der Justiz umfasst. Dieser Kreis steht neben den beiden anderen Kreisen, da er im Gegensatz zu diesen nicht dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit untersteht; er ist weder Teil des Schutz-, noch des Kernbereichs der richterlichen Unabhängigkeit, jedoch unterstützt er deren Unabhängigkeit, indem die Justizverwaltung durch die Justiz selbst ausgeübt wird und so eine institutionelle Beeinflussung von aussen vermie-den wird.

Die graphische Darstellung des Drei-Kreise-Modells folgt auf der nächsten Seite.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Abb. 1: Rechtsprechung, rechtsprechungsnahe Justizverwaltung und Justizverwaltung dargestellt im Drei-Kreise-Modell

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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VII. Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

Übersicht A.

Im vorliegenden Kapitel werden verschiedene Einzelfragen im Bereich der innergerichtlichen Führung thematisiert. Zunächst wird die Wichtigkeit einer gewichteten Geschäftslast begründet (B.), danach geht es um die zentrale Frage der Verfahrensdauer und ihrer Beeinflussung durch eine innergericht-liche Führung (C.). Im Anschluss wird auf das umstrittene Gebiet der rich-terlichen Erledigungszahlen (D.) und das dafür notwendige Controlling (E.) einzugehen sein. Daran schliessen sich Überlegungen zur richterlichen Leis-tungsbeurteilung an (F.).

Grundvoraussetzung: Die gewichtete Geschäftslast B.

Im Folgenden geht es um die Ermittlung des durchschnittlichen Aufwandes je Fallkategorie mittels der gewichteten Geschäftslast.

Es ist eine Grundgegebenheit, dass nicht alle Fälle denselben Aufwand ver-ursachen.941 Um die Fallzuteilung und die Fallbearbeitung innerhalb des Gerichts bzw. innerhalb der Abteilungen möglichst gerecht auf die Richter aufzuteilen bzw. um eine zuverlässige Planung der notwendigen Ressourcen vornehmen zu können, ist es unerlässlich, dass das Gericht eine Vorstellung davon bekommt, wie viel Zeit ein Fall in einem Rechtsgebiet (bzw. in einer Fallkategorie) durchschnittlich beansprucht.942 Für diese Ermittlung gibt es verschiedene Methoden943: Die erste Variante ist eine Schätzung durch Rich-ter bzw. Gerichtsschreibende, welche in einer Befragung den Fällen/Fallka-tegorien einen Schwierigkeitsgrad zumessen sollen. Ebenso möglich ist die Variante der Statistik. Dabei wird ein durchschnittlicher Belastungswert aufgrund der Statistik (retrospektiv) erhoben. Als dritte Möglichkeit anerbie-tet sich eine Kombination der beiden ersten Varianten. Eine vierte Variante

941 BANDLI, Effizienz, Rz. 5; LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 61. 942 Vgl. auch MOSIMANN, Zürich, Rz. 7. 943 Vgl. LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 61.

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besteht in der Erhebung bzw. Verifizierung der erhobenen Werte bei ausge-wählten Richtern. Die genaueste, aber auch aufwendigste Variante ist dieje-nige der Messung. Dabei führen die Richter und Gerichtsschreibenden wäh-rend einer gewissen Zeit ein „Zeittagebuch“, wo sie jeweils die für einen Fall aufgewendete Zeit notieren. Diese Variante führt zu relativ genauen Ergeb-nissen, verursacht jedoch während der Erhebung einen erheblichen Aufwand für die Beteiligten.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei der gewichteten Ge-schäftlast lediglich um eine quantitative Erfassung handelt, deren Werte einer Erläuterung bedürfen.944 Heute wird noch nicht an allen Gerichten, insbesondere nicht am Bundesverwaltungsgericht, mit diesem Mittel gear-beitet und daher fehlen weitgehend vergleichbare Werte, welche dazu führen würden, dass man die durch die Fallkategorien ergebenden Zeitbelastungen für die Richter und die Gerichtsschreiber wenigstens annähernd einschätzen könnte. Dies ist bedauerlich, weil die wissenschaftliche Methodik dafür vor-läge.

Da die Gewichtung der Geschäftslast insbesondere die Fallzuteilung und die Fallführung betrifft, ist dieses Instrument eine Voraussetzung für eine effizi-ente und zielgerichtete Führung der rechtsprechungsnahen Tätigkeiten. Da-durch könnte die Falllast gerechter auf die Richter und ihre Gerichtsschrei-ber aufgeteilt werden und die Vergleichbarkeit innerhalb von Gerichten mit sehr unterschiedlichen Rechtsgebieten würde erleichtert. Auch liessen sich Aufwandspitzen besser einschätzen. Hier liegt für die Zukunft noch ein zent-rales Verbesserungspotential in der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung. Die gewichtete Geschäftslast ist, wie zu zeigen sein wird, auch für die Ein-schätzung einer angemessenen Verfahrensdauer und für die Erledigungszah-len von Bedeutung, ebenso wie für eine allfällige Beurteilung der Leistung der Richter.

944 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 63.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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Die Verfahrensdauer C.

1. Beurteilung innert angemessener Frist und Unabhängigkeit

a) Ausgangslage

Die Geschäftslast hängt von der Zahl der eingehenden Fälle ab. Die gesamte Verfahrensdauer ist sodann von zwei weiteren Faktoren abhängig, nämlich dem Umfang der personellen Ressourcen und der Zeit, welche für den ein-zelnen Fall von den damit befassten Personen aufgewendet wird. Auf die Anzahl der eingehenden Fälle hat das Gericht keinen Einfluss und die Aus-stattung mit personellen Ressourcen ist in der Regel ebenfalls fremdbe-stimmt (durch Vorgaben des Gesetzgebers bzw. durch das Budget) und lässt sich nicht so einfach ändern. Somit ist der Aufwand pro einzelnem Fall im Ergebnis entscheidend für die resultierende durchschnittliche Verfahrens-dauer.945

Die Verfahrensdauer betrifft den Bereich der Geschäftslastbewirtschaftung und damit die Rahmenbedingungen der Fallerledigung und fällt gemäss dem vorne dargestellten Drei-Kreise-Modell in den Bereich der rechtsprechungs-nahen Justizverwaltung.946 Sie befindet sich demnach im Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit, was bedeutet, dass die Unabhängigkeit dies-bezüglich einschränkbar ist, sollten überwiegende Interessen vorliegen.

Der Anspruch auf eine Beurteilung innert angemessener Frist nach Art. 29 Abs. 1 BV widerspricht unter Umständen der richterlichen Unabhängigkeit im Sinne der Freiheit, wann und wie zu entscheiden ist. Insbesondere bei grossen bzw. rechtlich schwierigen Fällen kann es sein, dass sich das Gericht für seine Entscheidung mehr Zeit nimmt, als objektiv „angemessen“ wäre.

Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn ein Gericht wegen der Falllast nicht mehr in der Lage ist, die pendenten Fälle innert angemessener Frist zu erle-digen oder wenn es für die Beurteilung eines Falles schlicht nicht die eigent-lich notwendige Zeit aufwenden kann. In solchen Fällen scheinen die beiden

945 MOSIMANN, Schweiz, S. 9. 946 Vgl. S. 272 ff.

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Prinzipien bzw. Ansprüche in einem Spannungsverhältnis zu stehen. Es ist demnach nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz abzuwägen, wel-ches Interesse als gewichtiger einzustufen ist.947

b) Abwägung der Interessen

Mit dem Anspruch auf eine Beurteilung innert angemessener Frist und der Unabhängigkeit des Gerichts stehen sich zwei Verfahrensgarantien gegen-über. Es ist zu untersuchen, wie sich einerseits die Wichtigkeit eines schnel-len Entscheides im Vergleich zum andererseitigen Interesse des Instruktions-richters bzw. des Spruchkörpers, Herrin des Verfahrens zu sein, verhält. Da es sich beim Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist um eine grundrechtlich durchsetzbare und klagbare Garantie handelt, welche im Üb-rigen als eine der wichtigsten Garantien für ein faires Verfahren überhaupt gilt und weil die Unabhängigkeit des Gerichts ihrem Sinn nach ebenfalls ein faires Verfahren garantiert, jedoch nicht um ihrer Selbst willen besteht, hat das Gericht in allen seinen Verfahren darauf zu achten, dass eine Beurteilung innert angemessener Frist erfolgt. Das Gericht darf den Grundsatz nicht aus-ser Acht lassen, dass eine „gute Justiz stets auch eine speditive sein soll“.948 Ein rasches Verfahren ist mindestens ebenso wichtig, wie die perfekte Lö-sung zu finden.949 Das Gericht ist also nicht gänzlich frei, wann es entschei-den will und es steht nicht im Belieben des Richters, wieviel Zeit er den Fällen widmet.950 Darauf, dass jedenfalls die nicht aussergewöhnlichen Fälle innert nützlicher Frist beurteilt werden, haben die Rechtssuchenden einen verfassungsmässigen Individualanspruch.951 Entsprechend dieser verfahrens-rechtlichen Vorgabe hat die Justiz bzw. hat das Gericht den Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist im Einzelfall zu respektieren: Es exis-tiert keine richterliche Unabhängigkeit, dies nicht zu tun. Die Unabhängig-

947 Vgl. vorne, S. 121. 948 MOSIMANN, Schweiz, S. 9; WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 6. 949 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 42. 950 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 40. 951 Vgl. MOSIMANN, Schweiz, S. 9.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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keit beschränkt sich darauf, im Rahmen einer „angemessenen Frist“ zu ent-scheiden. Hingegen werden bei der Prüfung, was eine angemessene Frist ist, natürlich auch die Eigenschaften des speziellen Falles berücksichtigt.952

c) Anspruch auf rechtliches Gehör

Wie vorne dargestellt, gewährleistet Art. 29 Abs. 2 BV das rechtliche Gehör. Insbesondere beinhaltet diese Garantie das Recht, am Verfahren teilzuneh-men und sich vor einem allfälligen Entscheid zu äussern.953 Durch eine Fest-legung von verbindlichen Maximalwerten für die Verfahrensdauer besteht eine gewisse Gefahr, dass das rechtliche Gehör, um Zeit zu sparen, verkürzt wird, indem beispielsweise anstelle eines zweifachen Schriftenwechsels nur noch ein einfacher durchgeführt wird.

Es kann nicht abgestritten werden, dass durch den Schriftenwechsel die Ver-fahrensdauer massgeblich mitbestimmt wird: Die Parteien bekommen Fris-ten, innert derer sie sich äussern können. Auch sind Fristerstreckungen mög-lich, welche ebenfalls die Verfahrensdauer beeinflussen. Hingegen haben sich die Parteien ihr Verhalten bei der Bestimmung der angemessenen Frist eines Verfahrens anrechnen zu lassen: Verlangt eine Partei also beispiels-weise verschiedene Fristerstreckungen, so kann sie im Nachhinein nicht rügen, die Prozedur habe zu lange gedauert. Das rechtliche Gehör muss ge-währleistet werden; die angemessene Frist eines Verfahrens bemisst sich in Berücksichtigung dieser Garantie.

952 Aufgrund der verschiedenartigen Verfahren und Schwierigkeiten ist eine angemes-

sene Frist einzelfallabhängig (vgl. vorne, S. 100 ff.); KAUFMANN, Rz. 16 verbindet mit dem Begriff der Unabhängigkeit jenen der Reflexion. Sie geht davon aus, dass sich die beiden Begriffe gegenseitig bedingen. Reflexion steht sodann mit der Effi-zienz in einem Spannungsfeld.

953 Vgl. vorne, S. 103.

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2. Führung im Bereich der Verfahrensdauer?

a) Groborganisation des Gerichts

Das Gericht bzw. der Spruchkörper ist so zu organisieren, dass eine zeitnahe Beurteilung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch möglich ist. Dies gilt umso mehr, als ein zwar „richtiges“ Urteil, welches zu spät kommt, dem Rechtsfrieden nicht (mehr) dient. Diese Vorgabe stellt eine Konkretisierung der Organisationsautonomie der Justiz dar, welche ihre Grundlage als Teil der Justizverwaltung in Art. 188 Abs. 3 BV hat. Soweit der Gesetzgeber diesbezüglich keine Vorgaben gemacht hat, ist die Organisationsautonomie Sache der Justiz bzw. der einzelnen Gerichte.954

Demnach fliesst aus dem Anspruch auf eine Beurteilung innert angemesse-ner Frist zunächst der Anspruch auf eine zweckmässige Organisation der Gerichte. Diese „Groborganisation“ betrifft die Finanz-, Personal- und auch die Organisationsautonomie in dem Sinne, dass genügend Mittel und Perso-nal zur Verfügung zu stellen sind, damit die Justiz funktionieren kann. Ver-pflichtet ist in diesen Bereichen vor allem der Gesetzgeber bzw. das Parla-ment, welches zunächst einen Grobrahmen der Organisation der jeweiligen Gerichte im Gesetz festzuhalten hat und mit der Budgethoheit über die „Aus-rüstung“ der Justiz entscheidet.955

b) Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

Bei der Organisation der Rechtsprechung befindet man sich im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung. Nach dem vorne Gesagten ist die rechtsprechungsnahe Justizverwaltung einer Führung zugänglich, da sie bei überwiegenden Interessen, z.B. der Beurteilung innert angemessener Frist, einschränkbar ist. Es ist demnach auch für den Bereich der rechtsprechungs-nahen Justizverwaltung sicherzustellen, dass das Verfahren zügig und rasch voranschreiten kann. Das Gericht insgesamt muss sicherstellen, dass die

954 Träger der Justizverwaltung sind ja die Gerichte, vgl. vorne, S. 79. 955 Vgl. vorne, S. 76.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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Verfahrensdauern „angemessen“ sind, will es seiner Verpflichtung zu einer Beurteilung innert angemessener Frist nachkommen.

Daraus ergibt sich indirekt der Anspruch, dass die Justiz ihre Geschäftslast mindestens so effizient zu bewirtschaften hat, dass eine Beurteilung innert angemessener Frist resultiert. Zunächst betrifft dies die Fallzuteilung. Geht ein neuer Fall ein, so ist dieser so schnell wie möglich einer Abteilung (nach Rechtsgebiet) und anschliessend durch den Abteilungspräsidenten einem (Instruktions-)Richter bzw. einem Spruchkörper zuzuteilen. In der Folge liegt die Verantwortung, das Verfahren materiell zügig zu führen, beim zu-ständigen Instruktionsrichter. Der verantwortliche Richter bzw. der Spruch-körper und falls vorhanden, das Leitungsorgan, sind dabei mittels geeigneter Instrumente zu unterstützen. Interne Instrumente im Sinne von regelmässi-gen Fristenkontrollen oder das Aufzeigen von Untätigkeitszeitspannen in den einzelnen Fällen durch das Informatiksystem können hilfreich sein. Die heutige Informatik erlaubt vielseitige Datenerhebungen und Statistiken, wel-che dem Richter bzw. den Leitungsorganen einen guten Überblick verschaf-fen. Eine periodische Überprüfung bzw. Kontrolle der Verfahrensdauern durch ein dafür geeignetes innerjustizielles Organ, z.B. die Abteilungspräsi-denten, erscheint sinnvoll und angebracht. Darauf wird noch einzugehen sein.956 Hingegen ist entgegen der Ansicht von MOSIMANN, welcher von einem kollegialen „Zuspruch“ ausgeht, zu empfehlen, dass eine interne Füh-rung im Bereich des Verfahrensablaufs institutionalisiert und verbindlich geregelt wird und zwar durch ein Leitungsorgan des Gerichts.957

Ebenfalls durch das überwiegende Interesse an einer Beurteilung innert an-gemessener Frist gedeckt sind z.B. verbindliche Maximalwerte, wie lange ein Verfahren für einen Fall einer bestimmten Kategorie (z.B. IV-Fall, AHV-Fall, Strafverfahren etc.) von der Einleitung des Verfahrens bis zum begrün-deten und versendeten Urteil höchstens am Gericht pendent bzw. hängig sein darf, welche gerichtsintern durch ein Leitungsorgan oder die Richter der

956 Vgl. dazu die Erkenntnisse aus den Kantonen und dem Bund, S. 323 ff. bzw.

S. 338 ff. 957 Vgl. dazu MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 52 bzw. MOSIMANN, Schweiz,

S. 15 und sogleich, S. 303 ff. bzw. S. 312 ff.

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Abteilung festgelegt werden. Ein solcher Maximalwert für eine Verfahrens-dauer zwingt die Richter dazu, die Verfahrensdauer ihrer Fälle im Auge zu behalten. Optimalerweise könnte mittels des Informatiksystems ein Warn-hinweis einprogrammiert werden, der immer dann auf einen Fall aufmerk-sam macht, wenn dieser über eine bestimmte Zeitspanne „liegen blieb“, in diesem Fall also keine (Instruktions-)Handlungen vorgenommen wurden oder wenn die Maximalfrist der Verfahrensdauer demnächst abläuft. Wird ein solcher Maximalwert einer Verfahrensdauer dennoch überschritten, so hat der zuständige Richter zu begründen, weshalb es nicht möglich war, den Fall innert der vorgesehenen Frist zu erledigen. Eine solche Begründung könnte darin liegen, dass es sich nicht um einen Durchschnittsfall der ent-sprechenden Kategorie (Fall von bedeutend grösserem Umfang, Komplexität etc.) handelt oder wenn persönliche Umstände dazu geführt haben, dass es für den Richter unmöglich war, die Frist einzuhalten (z.B. wegen längerer Krankheit etc.). Es liegt auf der Hand, dass solche Maximalwerte nur dann sinnvoll und möglich sind, wenn sie aufgrund von statistisch validen Daten für einen Durchschnittsfall einer bestimmten Kategorie ermittelt wurden.958 Durch die Festlegung solcher Werte und ein entsprechendes Frühwarnsys-tem, sei dies durch ein Leitungsorgan, die Informatik oder beides, würde das Bewusstsein am Gericht für das „Fallmanagement“ verändert, ohne dass wegen überschrittener Maximalwerte Konsequenzen zu befürchten wären; natürlich immer vorausgesetzt, dass die Maximalwerte noch innerhalb der angemessen Frist sind.

LIENHARD ist der Meinung, dass Fristenziele dazu führen könnten, dass Ver-fahren noch vor der Entscheidreife abgeschlossen bzw. nicht hinreichend begründet werden959 oder dass Werte zur Erledigungsart bzw. zu den Verfah-rensmodalitäten den Verfahrensgang in unzulässiger Weise beeinflussen könnten.960 Diese Gefahr erscheint m.E. als gering. Erstens sind die maxima-len Verfahrensdauern realistisch und machbar festzulegen, so dass sie im Normalfall auch erfüllt werden können, zweitens legen die Richter oder ihre

958 Vgl. dazu die Ausführungen zur gewichteten Geschäftslast, S. 293. 959 LIENHARD, Grundlagen, S. 467; MAIER, S. 59 und S. 184. 960 LIENHARD, Grundlagen, S. 467.

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Leitungsorgane diese Zeitspannen selbst fest und drittens ist wohl eine derar-tige „Beugung“ vor dem Druck einer Frist auch heilsam, damit Fälle eben gerade nicht liegenbleiben. Die Gefahr, dass liegengebliebene Fälle kurz vor Jahresschluss in aller Eile abgebaut werden, um die Statistik noch aufzubes-sern ist zumindest ebenso gross, wie jene, welche resultiert, wenn Verfah-rensdauern vorgegeben werden, wobei der Vorteil bei der Kontrolle der Ver-fahrensdauern aber darin liegt, dass sie laufend überprüft werden können und so die Gefahr einer Verletzung der Garantie von Art. 29 Abs. 1 BV minimie-ren.

Selbst wenn sich ein Richter vorab am Zeitfaktor orientieren würde, so ist der Entscheid, wieviel Aufwand bzw. Sorgfalt in einem Fall aufgewendet wird, rechtsprechungsnahe Justizverwaltung und mithin gerichtsintern kon-trollierbar. Eine solche Kontrolle findet bereits durch den Zweit- und Dritt-richter statt, weshalb die Gefahr, dass ein überhastetes oder zu wenig gut abgeklärtes Urteil gefällt wird, doch als gering bezeichnet werden darf.961 Diese vernachlässigbare Gefahr ist deshalb m.E. in Kauf zu nehmen. Über-dies wäre eine entsprechende Rüge im Rechtsmittelverfahren, z.B. bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, überprüfbar, wenn sie Einfluss auf die Rechtsanwendung haben sollte, sogar bis vor die letzte Instanz, weshalb das Interesse an einer internen Führung mit dem Ziel, die Verfahrensdauern bes-ser kontrollieren zu können, dasjenige des einzelnen Richters auf Eigenstän-digkeit überwiegt.

Die Europäische Kommission für die Effizienz der Justiz (CEPEJ) schlägt für die Bewältigung einer stets steigenden Geschäftslast folgendes vor: Zu-nächst werden Statistiken benötigt, die erlauben, die Ursachen der steigen-den Anzahl Fälle zu identifizieren. Anschliessend soll das Gericht seine ei-gene Organisation und seine internen Abläufe optimieren, beispielsweise durch eine Überprüfung von mehr Delegation an die Gerichtsschreiber, der Informatisierung von wiederholenden und zeitraubenden Tätigkeiten, durch

961 Bei Einzelrichterfällen stellt sich diese Problematik nicht, da die entsprechenden

Verfahrensgesetze Einzelrichter nur in Fällen vorsehen, in welchen die Rechtslage „offensichtlich“ ist; vgl. kritisch zu Einzelrichtern an Obergerichten MARTI A., Ein-zelrichter, Rz. 5 ff.

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eine interne und externe Fristsetzung für sämtliche Geschäfte, durch Zielver-einbarungen mit den Abteilungen bezüglich der Erledigungsdauer der Fälle und letztlich bei Pendenzenbergen eine eigentliche Projektorganisation, wel-che durch die Gerichtsleitung geführt wird.962

Der Anspruch der Parteien auf eine Beurteilung innert angemessener Frist, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass das rechtliche Gehör nicht verletzt wurde, ist damit als höher einzustufen als das Bestreben der Richter, die aus fachlicher Sicht einzig richtige Lösung zu finden. Richter dürfen ihre Entscheidung nicht über die angemessene Frist hinaus aufschieben, bis sie ihnen eingegeben wird.963 Somit kann festgehalten werden, dass die Respek-tierung des rechtlichen Gehörs eine gewisse Minimalgarantie darstellt be-züglich einer Untergrenze der Verfahrensdauer.

3. Priorisierung von Verfahren?

Unter den Problembereich der Verfahrensdauer gehört auch die Priorisierung von Verfahren. Zunächst ist davon auszugehen, dass eine solche – solange die übrigen Fälle ebenfalls innert angemessener Frist erledigt werden kön-nen – zulässig sein könnte, womit bereits die erste Bedingung für eine Prio-risierung genannt ist: Es müssen, auch wenn innerhalb des Gerichts Fälle prioriär behandelt werden, alle Fälle innert angemessener Frist behandelt werden. Auch stellt sich die Frage, wie es sich mit dem Gebot der rechtsglei-chen Behandlung verhält.

Mit TSCHÜMPERLIN ist davon auszugehen, dass konkrete „Vorgaben zum Geschäftsgang im Sinne von Prioritäten unter den Rechtsgebieten, die Prio-risierung einzelner Fälle oder Vorgaben von Fallzahlen pro Einheit“ durch ein innerjustizielle Aufsichtsbehörde ohne weiteres möglich sind.964 Steigt die Geschäftslast z.B. vorübergehend übermässig an, ohne dass dies vorher-

962 BÜHLER, Rz. 9; vgl. dazu ausführlich http://www.coe.int/t/dghl/cooperation/cepej/

default_fr.asp, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013, siehe unter dem Titel „Trav-aux“.

963 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 42. 964 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 237.

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sehbar war, so darf ein Gericht die Anhandnahme der Fälle von deren Dring-lichkeit oder Wichtigkeit abhängig machen und weniger zentrale Entscheide aufschieben.965 Es sind aber bei einer derartigen Situation unverzüglich ge-eignete Vorkehren zur Behebung der Überlastung zu treffen, weil chronische Überlastung oder strukturelle Mängel nicht vor dem Vorwurf der Rechtsver-zögerung bei einer überlangen Verfahrensdauer bewahren. Sie können eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen.966 Allerdings erfordern sie or-ganisatorische Massnahmen und treffen letztlich den Gesetzgeber.967

Hingegen dürften Gebührendifferenzierungen nach der Verfahrensgeschwin-digkeit (in Form von sogenannten „Expresschaltern“) kaum mit dem An-spruch auf rechtsgleichen Zugang zu Gerichten vereinbar sein.968

Erledigungszahlen D.

1. Ausgangslage

Die Geschäftslast eines Gerichts bzw. einer Abteilung hängt von der Zahl der eingehenden Fälle ab. Bereits aus der Verfahrensgarantie der Beurteilung innert angemessener Frist ergibt sich, dass die eingehenden Fälle innert nütz-licher Frist erledigt sein müssen.969 Setzt man die Anzahl der eingehenden und pendenten Fälle in Beziehung zu den personellen Ressourcen des Ge-richts, also zur Anzahl der Richter, auf welche die Fälle verteilt werden, so ergibt sich die anzustrebende Anzahl der Fälle, die ein Richter mit seinen Gerichtsschreibern idealerweise bearbeiten und entscheiden sollte, damit

965 Vgl. Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission, vom 4. Mai 2004,

VPB 68/2004 Nr. 123; Urteil des EGMR i.S. Süssmann gegen Deutschland, 20024/02 (1996) Ziff. 60; Urteil des EGMR i.S. Zimmermann und Steiner gegen Schweiz, Ser. A, Nr. 66, EuGRZ 1983, 482.

966 Vgl. MÜLLER/SCHEFER, S. 841; vgl. z.B. auch Urteil des EGMR Klein gegen Deutschland, 33379/96 (2000) Ziff. 43.

967 STEINMANN, SGK zu Art. 29 BV, Rz. 12; BGE 107 Ib 160 E. 3c. 968 LIENHARD, NPM, S. 43. A.M. Richli, S. 299 ff. 969 Vgl. dazu soeben, S. 295 ff.

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dem Gericht kein Pendenzenberg entsteht; es kann ermittelt werden, an wie vielen Urteilen ein Richter durchschnittlich pro Jahr mitwirken sollte.970

Nun stellen sich verschiedene Probleme: Erstens stellt sich die Frage der Verbindlichkeit einer allfälligen Vorgabe von Erledigungszahlen für Richter. Zweitens verursachen nicht alle Fälle denselben Aufwand, weshalb innerge-richtlich ein Ausgleich der Belastungen angestrebt werden muss, damit nicht eine ungleiche Verteilung der Geschäftslast resultiert. Dazu ist – wie vorne dargestellt – eine gewichtete Geschäftslast von besonderer Bedeutung.971

2. Verbindlichkeit von Erledigungszahlen für Richter

a) Problemstellung

Ideal funktioniert ein Gericht, wenn es in der Lage ist, die eingehenden Fälle innert kurzer Frist und „richtig“ zu entscheiden und abzuschliessen. Dafür müssen die pendenten und eingehenden Fälle im richtigen Verhältnis zu den sie behandelnden Richtern und Gerichtsschreibenden stehen. Wenn ein Ge-richt im Durchschnitt pro Jahr gleichviele Fälle erledigen kann, wie neue eingehen, so entsteht – unter der Annahme, dass die Fälle, die eingehen, un-gefähr denselben Aufwand verursachen wie jene, die erledigt werden – kein Pendenzenberg.

In der heutigen Situation, wo auch bei der Justiz gespart wird, stellt sich die Situation an manch einem Gericht jedoch so dar, dass es unvorhersehbare „Spitzen“ gibt an Neueingängen, d.h. dass die Neueingänge in gewissen Bereichen plötzlich Überhand nehmen und die pendenten Fälle mit dem verfügbaren Personalbestand nicht mehr gleich schnell erledigt werden kön-nen wie neue Fälle eingehen. Vor allem in solchen Situationen, in welchen sich ein Pendenzenberg anhäuft oder in denen ein solcher bereits entstanden ist und abgebaut werden soll, kommt die Forderung nach Erledigungszahlen auf.

970 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 57. 971 Vgl. vorne, S. 293.

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Diese Forderung verkennt jedoch zunächst das grundsätzliche Problem: Ers-tens ist die Anzahl der Neueingänge von Fällen nicht beeinflussbar und ein Gericht ist demnach so auszustatten, dass es auch mit einer schwankenden Geschäftslast umgehen kann. Denn wo ein Gericht über eine relativ lange Zeit nicht mehr in der Lage ist, gleichviele oder sogar mehr Fälle zu erledi-gen, als neue eingehen, dort besteht ein strukturelles Problem, sei dies, dass intern am Gericht die Ressourcen falsch verteilt sind, sei es, dass das Gericht insgesamt über zu wenig Ressourcen verfügt. Dieses Strukturproblem gilt es zu lösen, zunächst – falls die Ressourcen innerhalb falsch aufgeteilt sind – innerhalb, sodann ausserhalb des Gerichts, wenn nötig durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber und als ultima ratio auch durch eine Anpassung der finanziellen Vorgaben.972 Eine solche Anpassung der Strukturen braucht aber Zeit, weshalb sich die Justiz nicht darauf verlassen kann, dass innerhalb der nötigen Frist eine Lösung für ihre Überlastung gefunden werden kann. Daher – und weil eine Veränderung bei der Anzahl der Neueingänge auch kurzfris-tig immer wieder vorkommen kann – ist es unabdingbar, dass auch gerichts-intern über die eigene Effizienz bzw. den Umgang mit der Geschäftslast und den Eingangsspitzen nachgedacht und Lösungen gefunden werden. Ein ers-ter Lösungsansatz bildet die in Punkt C. vorgenannte Maximalverfahrens-dauer für „normale“ Fälle. Indessen wird dies in den wenigsten Fällen aus-reichen, weil damit ja noch nichts über die tatsächlich aufgewendete Zeit pro Fall und deshalb auch nichts über den realen Aufwand gesagt ist.

b) Betroffene Interessen

Grundsätzlich stehen sich bei den Erledigungszahlen das Interesse des ein-zelnen Richters auf Eigenständigkeit in seiner richterlichen Arbeit und das Interesse der Öffentlichkeit an einem insgesamt funktionierenden und effi-zienten Gericht gegenüber. Ein direktes Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer Beurteilung innert angemessener Frist liegt indessen bei den Erledi-gungszahlen für Richter nicht vor, da es hierbei um eine abstrakte Anzahl Fälle geht, welche erledigt werden soll. Die durch einen Richter aufgewen-

972 Denn nur, aber immerhin, hat der Gesetzgeber die Justiz mit den notwendigen

Mitteln auszustatten, vgl. vorne, S. 65 ff.

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dete Zeit pro Fall gehört nach dem Drei-Kreise-Modell in den Schutzbereich, d.h. zur rechtsprechungsnahen Justizverwaltung und ist damit grundsätzlich einschränkbar bzw. überprüfbar, da nicht zur Rechtsprechung gehörend. Somit ist davon auszugehen, dass die Unabhängigkeit grundsätzlich nicht vor Erledigungszahlen für Richter schützt. Es hat eine Abwägung zwischen den beteiligten, genannten Interessen stattzufinden.

Die Gerichtsschreibenden unterliegen der Beurteilung, nicht nur der qualita-tiven, sondern in der Regel auch der quantitativen; es werden sogenannte Leistungsziele vereinbart, die eine Bandbreite vorgeben, innert welcher sich ihre Erledigungszahlen zu bewegen haben.973 Berücksichtigt werden der An-stellungsgrad, die Erfahrung, sonstige Aufgaben etc. Bei Richtern steht eine solche lohnabhängige Leistungsbeurteilung jedoch von vornherein nicht zur Diskussion, da eine solche gemäss herrschender Lehre einen Eingriff in die Unabhängigkeit darstellen würde.974 Es geht einzig um die gerichtsinterne Zulässigkeit von Erledigungszahlen unter dem Gesichtspunkt der richterli-chen Unabhängigkeit.

Will ein Gericht seine Geschäftslast konstant halten, so ist es unabdingbar, dass die Richter ihren Beitrag an die Bewältigung der Geschäftslast, natür-lich je nach Beschäftigungsgrad, anteilmässig leisten. Dies spricht für Erle-digungszahlen für die einzelnen Richter.

c) Positionen in der Lehre

Gemäss LIENHARD kann den Leistungsvorgaben in Ressourcenvereinbarun-gen (namentlich die Anzahl der Urteile pro Richter und die Bearbeitungs-dauer) kein verbindlicher Charakter zukommen: Sie müssen als durch-schnittliche (also losgelöst von einem bestimmten Verfahren), für die Justiz-tätigkeit unverbindliche Planungswerte verstanden werden.975 WITTRECK

973 Vgl. für das Bundesgericht TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 92; vgl. für

das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich MOSIMANN, Zürich, Rz. 7. 974 RICHLI, S. 301; KIENER, Unabhängigkeit, S. 290; MOSIMANN, Leistungsbeurtei-

lung, Rz. 48. 975 LIENHARD, Grundlagen, S. 466 f.

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meint, der Vorbehalt, „Erledigungszahlen zu steigern, schliesst damit not-wendig die unzulässige Einwirkung auf die Entscheidfindung in sich und hat an ihrem Unwerturteil Anteil.“976

Auch RASELLI geht davon aus, dass sich der Zahlen-Faktor als schwierig erweist: Dürre Zahlen gäben ohne zusätzliches Insiderwissen keinen zu-reichenden Aufschluss über die Leistungserbringung eines Richters, da die Erledigungsstatistik nichts aussage über den objektiv erforderlichen Auf-wand des Verfahrens, über die Mitarbeit des Gerichtsschreibers oder über die Beteiligung des Kollegiums.977 Ein eigentlicher Zwang für Richter, sich vorab am Zeitindikator zu orientieren, berge die Gefahr, dass im Einzelfall nicht das Mass an Zeit und Aufwand, das angemessen und sachgerecht wäre, angewendet werde. Dabei stünden elementare Grundsätze der Rechtsstaat-lichkeit zur Disposition.978 Hingegen sollten die Gerichte selber eine perma-nente Qualitätskontrolle einrichten; es solle ein offener Diskurs innerhalb des Gerichts über Mängel in Arbeitsabläufen, in der Leitungsstruktur und Führungskultur stattfinden. 979 WALTER ist mit RASELLI soweit einverstan-den, wendet hingegen ein, ein solcher Austausch innerhalb des Gerichts stel-le sich nicht von selbst ein, weshalb die Schaffung von Gefässen wie z.B. Statistiken für das interne Controlling wichtig erscheine.980 Personenbezoge-ne Statistiken über die Anzahl der Referate und Mitwirkungen eines Richters und der Gerichtsschreibenden sind nach Ansicht der beiden Autoren not-wendig.981

TSCHÜMPERLIN hingegen ist anderer Meinung: Er meint, dass konkrete Vor-gaben zum Geschäftsgang im Sinne von Vorgaben von Fallzahlen pro Ein-heit durch eine innerjustizielle Aufsichtsbehörde ohne weiteres möglich sind und es Sache der Gerichtsleitung sei, „diese in geeigneter Form an die Abtei-lungen oder Kammern weiterzugeben und minimale Einzelziele für die Rich-

976 WITTRECK, Erledigungszahlen, Rz. 2. 977 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 20. 978 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 20; KIENER, Unabhängigkeit, S. 290 f. 979 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 29, m.H. auf VON BARGEN, S. 2531 ff. 980 WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 27. 981 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 29; WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 27.

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terinnen und Richter sowie die Gerichtsschreiber und Gerichtsschreiberinnen festzulegen.“982

Es kann deshalb festgestellt werden, dass die Positionen in der Lehre, mit Ausnahme von TSCHÜMPERLIN, sich eher skeptisch bzw. negativ zu Erledi-gungszahlen, solange diese verbindlich ausgestaltet werden sollen, äussern.

d) Abwägung der Interessen

Das Interesse an einer funktionierenden Justiz stellt ein sehr gewichtiges, öffentliches Interesse dar. Das Interesse des einzelnen Richters, keine Erle-digungszahlen erfüllen zu müssen bzw. eigenständig darüber zu entscheiden, wie viele Fälle er erledigt, scheint zwar auch wichtig, jedoch im Verhältnis zu einer funktionierenden Justiz eher weniger gewichtig zu sein. So ist der an einem Gericht tätige Richter zusammen mit seinen Richterkollegen dafür verantwortlich, dass dieses seine Tätigkeit auch richtig wahrnimmt.

Die Bedenken, die in der Lehre zu verbindlichen Erledigungszahlen geäus-sert werden, dürften dennoch und durchaus teilweise ihre Berechtigung ha-ben: Erstens muss für einen Richter im Zentrum seiner Arbeit immer der Anspruch stehen, innert angemessener Frist „richtig“ zu entscheiden. Zwei-tens soll seine Entscheidung auch in einem Rechtsmittelverfahren der Beur-teilung Stand halten und drittens sind Erledigungszahlen immer relativ. Die pro Fall verfügbare Zeit ist entscheidend davon abhängig, wieviele andere Fälle gleichzeitig eingehen bzw. schon pendent sind. Der notwendige Auf-wand in einem Fall darf jedoch nicht davon abhängig sein; der Richter muss dem Einzelfall jene notwendige Aufmerksamkeit und Zeit zukommen lassen, den dieser benötigt. Erledigungszahlen bergen zumindest die Gefahr, dass ein Richter, wenn er eine grosse Geschäftslast zu bewältigen hat, versucht,

982 TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 237; vgl. aber noch TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanage-

ment, S. 93, wo er im Jahr 2003 und im Zusammenhang mit dem Leistungslohn für Gerichtsschreibende, bezogen auf die Richter des Bundesgerichts noch ausführte: „Undenkbar sind Leistungsziele für die Mitglieder des Gerichts. Die richterliche Unabhängigkeit würde dadurch in Mitleidenschaft gezogen.“

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diesen notwendigen Aufwand zu minimieren.983 Dem ist zwar zunächst zu-zustimmen. Hingegen darf keinesfalls die Rede davon sein, dass sich ein Richter vorab und zunächst an der Zeit zu orientieren hätte: Wie LIENHARD richtig bemerkt, findet das Effizienzgebot seine Grenze an der Rechtsstaat-lichkeit, was bedeutet, dass die Effizienz niemals vordringlich sein kann und hinter der Rechtsstaatlichkeit zu bleiben hat.984 Damit darf ein Richter sich niemals vorab an den Zahlen orientieren. Die entsprechenden Erledigungs-zahlen sind „angemessen“ festzulegen, d.h. dass es für einen Richter im Nor-malfall ohne besondere Anstrengung möglich sein muss, in der genannten Zeitspanne die vereinbarte Anzahl von Fällen zu entscheiden. Richter stellen personalisierte Organe der Rechtspflege dar und unterstehen damit als ver-längerter Arm des Staates den verfassungsmässigen Prinzipien.985 Im Be-reich der Nicht-Rechtsprechung, demnach bei der Organisation der Recht-sprechung, welcher auch die Erledigungszahlen zuzurechnen sind, haben die Richter das Effizienz- und das Wirksamkeitsgebot bei ihrer Arbeit zu beach-ten: Sie unterstehen dem Leistungsprinzip. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Justiz ihre Aufgabe erfüllen kann.986 In diesem Sinne sind Erledi-gungszahlen zu befürworten.

Zuzustimmen ist dem Einwand, dass Zahlen ohne weitere Informationen nicht aussagekräftig sind. Dies kann von vornherein kein Grund für eine generelle Nicht-Zulässigkeit von Erledigungszahlen sein, es handelt sich aber um eine Frage der Ausgestaltung und Umsetzung. Es versteht sich von selbst, dass die entsprechenden Statistiken die weiteren Faktoren wie die Aufgabenteilung mit den Gerichtsschreibenden oder die Gewichtung der Geschäftslast unbedingt zu berücksichtigen haben, da sie sonst über keine Aussagekraft verfügen und keine Hilfe für die Gerichtsleitung darstellen. Einigkeit herrscht darüber, dass aussagekräftige Statistiken intern sehr wich-tig sind, damit ein internes Controlling allfällige Problembereiche, d.h. Ab-weichungen von den notwendigen Erledigungszahlen z.B. pro Einheit (Kam-

983 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 20. 984 LIENHARD, Grundlagen, S. 464; RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 19. 985 Vgl. vorne, S. 90 ff. 986 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 19.

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mer/Abteilung) erkennt und entsprechende Massnahmen frühzeitig in die Wege leiten kann. Dies ist für die Richter indessen nicht von Nachteil, im Gegenteil: Wird nämlich festgestellt, dass in einem Bereich die angestrebten Erledigungszahlen nicht erreicht werden, so können Entlastungs- bzw. Un-terstützungsmassnahmen angeordnet werden.

Demnach ist festzustellen, dass Erledigungszahlen für Richter durchaus zu-lässig und auch sinnvoll erscheinen, solange sie auf aussagekräftigen Statis-tiken beruhen. Sie tragen zur Einschätzung der Geschäftslast und zur gerech-ten Arbeitverteilung bei, was für den internen Frieden innerhalb der Gerichte ein nicht zu vernachlässigender Faktor betreffend die Motivation der Richter darstellt. Wichtig bei einer Festlegung der entsprechenden Erledigungszah-len ist, dass sie auf einer gewichteten Geschäftslast beruhen und dass auch alle anderen, wichtigen Faktoren miteinbezogen werden. Insbesondere ist hier die Arbeitsteilung der Richter mit ihren Gerichtsschreibenden einzube-ziehen.987

Da der Sinn und Zweck solcher Zahlen das Funktionieren des entsprechen-den Gerichts ist, sollten die Erledigungszahlen aber nicht als exakte Werte, sondern als Bandbreiten bzw. „Leitplanken“ eingesetzt werden. Die jeweili-gen Erledigungszahlen machen für die Richter den Aufwand einschätzbar und lassen eine gewisse Planung der Fälle bzw. der für sie aufzuwendenden Zeit zu.

Eine verbindliche Festlegung von Erledigungszahlen macht aber schon des-halb keinen Sinn und ist abzulehnen, weil sich innerhalb kurzer Zeit die Vo-raussetzungen ändern können. Die Erledigungszahlen sind vielmehr regel-mässig auf ihre Aktualität zu prüfen. Wird beispielsweise Mitte des Jahres festgestellt, dass die eingehenden Fälle zurückgehen, so rechtfertigt es sich eventuell, die Erledigungszahlen zu senken; im umgekehrten Fall muss aber auch auf einen Anstieg reagiert werden können; es sind im Sinne einer rol-lenden Planung Anpassungen vorzunehmen.

987 Vgl. dazu RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 29.

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Controlling E.

Nachdem festgestellt wurde, dass es sowohl für die Erreichung von ange-messenen Verfahrensdauern als auch für einen innergerichtlich fairen Belas-tungsvergleich unabdingbar ist, dass die Fälle gewichtet werden und nach-dem auch die Zulässigkeit von Bandbreiten von Erledigungszahlen für Rich-ter festgestellt wurde, bietet es sich an, ein innergerichtliches, führungsunter-stützendes Instrument in Betracht zu ziehen: das sogenannte „Gerichtscon-trolling“.988 Es geht dabei um die Rechenschaftsablage für eingesetzte Res-sourcen und die Zielerreichung.989 Es dient als führungsunterstützendes Instrument der innergerichtlichen Geschäftsleitung.990 Ein Controlling soll in der Lage sein, Abweichungen zwischen der Planung und dem tatsächlich Erreichten periodisch festzustellen, um nötigenfalls Anpassungen vorneh-men zu können. Werden also in einer Abteilung eines Gerichts die Erledi-gungszahlen in einem bestimmten, definierten Zeitraum nicht erreicht, so sollte dies mittels eines Controllings frühzeitig erkannt werden können.991 Demnach beinhaltet ein Controllingsystem die Erfassung der relevanten Daten, insbesondere die Erledigungs- und Pendenzzahlen an Fällen pro Richter, die durchschnittliche Verfahrensdauer, den Stand der Verfahren etc. Diese Erfassung ist notwendig, weil ein solches Controlling das effektivste Mittel ist, um eine Übersicht über die Geschäftslastbewirtschaftung der Ab-teilung bzw. des ganzen Gerichts zu bekommen und einen Belastungsaus-gleich durchführen zu können.

Für die gerichtsinterne Führung ist ein Controllingsystem jene unabdingbare Voraussetzung, die der Justiz die Möglichkeit gibt, von sich aus allfällige Schwachstellen zu erkennen und zu beheben. Es ist eine unabdingbare Kon-sequenz des Selbstverwaltungsrechts der Gerichte und eine notwendige Vo-

988 Teilweise wird auch von „Reporting“ gesprochen, vgl. MOSIMANN, Zürich, Rz. 8. 989 WIPFLI, S. 129; LIENHARD, Controlling, Rz. 8. 990 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 64. 991 Vgl. LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 64. Ebenso ist es aber auch die Grundlage

für die Oberaufsicht, vgl. für Deutschland kritisch bereits zur Datenerhebung SCHÜTZ, S. 346 ff.

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raussetzung für eine effiziente Justiz.992 In der heutigen Zeit, wo es kaum noch ein Gericht in der Schweiz geben dürfte, das „zuviel“ Zeit hat für die Erledigung der Fälle, dürfte es evident sein, dass ein Frühwarnsystem einge-richtet wird, welches die Leitungsorgane auf allfällige Engpässe in der Pla-nung bzw. auf nicht gerechte Arbeitsbelastungen aufmerksam macht. Des-halb erweist sich ein Controlling nicht nur als notwendig, es erscheint auch systemimmanent für eine effiziente Geschäftslastbewirtschaftung.993

Jedoch bedeutet dies gerade nicht, dass die Erkenntnisse aus dem Control-ling der Oberaufsichtsbehörde zur Kenntnis gebracht werden sollen.994 Klar nicht zulässig wäre es auch, die Information des Controllings darüber, wie viel Zeit ein Richter für einen bestimmten, einzelnen Fall aufgewendet hat, öffentlich zu machen. Dies bekannt zu machen, „liefe darauf hinaus, dass der Richter über die für die Vorbereitung eines Urteils aufgewendete Zeit den Parteien und der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig wäre und entspre-chend unter Druck käme. Dadurch würden seine Arbeitsweise und damit auch der Ausgang des Verfahrens durch prozessfremde Elemente beeinflusst und die Unabhängigkeit des Gerichts infrage gestellt.“995

Die Leistungsbeurteilung von Richterinnen und Richtern F.

1. Messung der richterlichen Arbeit?

In der Schweiz (noch) weitgehend unbekannt ist eine Beurteilung der Leis-tung der Richter. Während eine lohnwirksame Leistungsbeurteilung für die Gerichtsschreibenden unumstritten ist, handelt es sich bei der Beurteilung der Leistung der Richter noch immer um „Neuland“. Es stellen sich zwei

992 Vgl. LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 64. 993 Vgl. vorne, S. 83 ff. sowie S. 311 ff.; AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 48; vgl.

auch LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 65. 994 Vgl. dazu vorne, S. 287; LIENHARD, Controlling, Rz. 12. Für die Prüfung, ob die

Justiz als Ganzes funktioniert, reichen allgemeine statistische Angaben zur Bewäl-tigung der Geschäftslast und der dafür eingesetzten Ressourcen vollkommen aus.

995 BGE 137 I 1 E. 2.5.3. Ebensowenig ist diese Information an die Oberaufsichtsbe-hörde weiterzugeben. Weniger absolut (LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 68).

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Fragen: Erstens, warum braucht es eine Leistungsbeurteilung der Richter und zweitens, wenn es überhaupt eine braucht, durch wen und vor allem wie soll eine solche erfolgen?

2. Zulässigkeit der Leistungsbeurteilung

a) Im Allgemeinen

Sowohl MÜLLER als auch TSCHÜMPERLIN gehen davon aus, dass zumindest grundsätzlich Vorgaben zum ordnungsgemässen Gang der Justizgeschäfte zulässig sind.996 GASS spricht sogar von einer fehlenden Leistungs- und Qua-litätskontrolle der einmal gewählten Richterinnen und Richter.997 Das Ziel dieser geforderten Kontrolle wird in der Lehre – soweit ersichtlich – in der Effizienz bzw. der Qualität der Justiz erblickt.998

Tatsächlich ergeben sich keine grundsätzlichen Einwände gegen eine Leis-tungsbeurteilung der richterlichen Tätigkeit, insoweit eine solche die Recht-sprechung nicht betrifft, sich also ausschliesslich auf die anderen Bereiche bezieht. Eine solche inhaltliche Kontrolle wird selbstverständlich durch die richterliche Unabhängigkeit verunmöglicht.999 Hingegen spricht nichts dage-gen, die Bereiche der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung und der ei-gentlichen Justizverwaltung einer Leistungsbeurteilung zu unterziehen. Im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung ist jedoch zu beachten, dass eine Interessenabwägung vorzunehmen ist zwischen den verschiedenen, beeinträchtigten Interessen.

996 MÜLLER G., Festschrift, S. 552; TSCHÜMPERLIN, Aufsicht, S. 237. 997 GASS, Professionalisierung, S. 1149. 998 POLTIER, S. 1025; RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 19; MOSIMANN, Schweiz, S. 11. 999 Vgl. dazu MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 37 und vorne, S. 258 ff.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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b) Rechtsprechungsnahe Justizverwaltung

Im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung kann bezüglich der Tätigkeiten, welche sich im Schutzbereich befinden, eine Interessenabwä-gung mit anderen, gewichtigen Interessen vorgenommen werden.

Bei einer Leistungsbeurteilung der Richter stehen sich das Interesse an einer transparenten Justizleistung, der Zugänglichkeit von Informationen für die Aufsichtsbehörde und für die Wiederwahlbehörde einerseits sowie das Inte-resse des einzelnen Richters auf Wahrung seiner Unabhängigkeit anderer-seits in der Fallführung bzw. an einer Nichtbeurteilung seiner Fallführung, gegenüber.

M.E. ist das Interesse des einzelnen Richters an einer vollständigen Nicht-überprüfung seiner Tätigkeit im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizver-waltung nicht genügend stark, um eine Leistungsbeurteilung auszuschlies-sen. Die Justiz hat ihre Aufgabe nach den gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen; an der Kontrolle dieser Ausübung besteht ein öffentliches Interesse. Der Richter ist ein Organ der Rechtspflege und vertritt den Staat, weshalb er ver-pflichtet ist, dafür zu sorgen, dass das Gericht bzw. die Justiz ihre Aufgabe wahrnimmt. Er muss die Qualität und das Funktionieren der Rechtsprechung in seinen ihm zugeteilten Fällen garantieren; in diesem Sinne ist die Unab-hängigkeit eine Verpflichtung für jeden Richter.1000 Es ist davon auszugehen, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einer Leistungsbeurteilung ein über-wiegendes und daher überprüfbar ist. Ob bzw. in welcher Form die ermittelte Messung der richterlichen Arbeit der Oberaufsichtsbehörde zugänglich zu machen ist, ist allerdings eine andere Frage.1001

3. Methoden der Leistungsbeurteilung

Es stellt sich die Frage, wie die Leistung von Richtern gemessen werden kann. Ob taugliche Faktoren bestehen, um richterliche Arbeit zu messen bzw. welche dies sein könnten, ist Gegenstand einer Kontroverse in der Lite-

1000 Vgl. MOSIMANN, Schweiz, S. 7; POLTIER, S. 1018 f. 1001 Vgl. vorne, S. 287 f.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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ratur.1002 Konsens besteht einzig darüber, dass die Qualität der richterlichen Arbeit ein zentrales Kriterium der Beurteilung bildet.

a) Beurteilung mittels Erledigungszahlen?

Die einfachste Lösung wäre wohl eine Beurteilung über die erledigten Fälle, also anhand der Erledigungszahlen. Solche ergeben jedoch ohne zusätzliche Erklärungen keinen ausreichenden Aufschluss über die Leistungserbringung eines Richters, da die reinen Erledigungszahlen nichts aussagen über den objektiv erforderlichen Aufwand des Verfahrens, über die Mitarbeit des Ge-richtsschreibers, über die Beteiligung des Kollegiums, etc. Mithin sind reine Zahlenwerte für eine Beurteilung nicht brauchbar. Dennoch ist es gerade für die Aufsichts- und Oberaufsichtsbehörden verführerisch zu glauben, mittels Zeitindikatoren lasse sich Leistungserbringung kontrollieren. Dieser Zeitin-dikator ist aber besonders problematisch, da er nichts aussagt über die Quali-tät.1003 WITTRECK bemerkt, „dass Erledigungszahlen zumindest dann ein le-gitimes Kriterium für die Beurteilung richterlicher Tätigkeit darstellen, wenn sie erstens auf wirklich vergleichbaren Sachverhalten basieren und zweitens (wichtiger noch) als sekundär gegenüber der Qualität der Arbeit begriffen werden.“1004 Ebenso gibt WITTRECK zu Recht zu bedenken, dass Rechtspre-chung bzw. das Beschaffen der Entscheidungsgrundlagen Zeit kostet, was sich „negativ“ auf die Erledigungszahlen auswirkt.1005

Die Leistungsbeurteilung anhand der Quantität erscheint daher als ein denk-bar schlechtes Kriterium. Im Sinne der vorne dargestellten Erledigungszah-len ist ein gerichtsinternes Controlling zwar gut, um Anhaltspunkte für die Verteilung der Geschäftslast zu schaffen und um für einen gerechten Belas-tungsausgleich zu sorgen. Für eine Leistungsbeurteilung der Richter aber ist sie zumindest nicht als vordringliches Kriterium zu handhaben. Denn die fachlichen und menschlichen Stärken und Schwächen der Richter an einem

1002 Vgl. dazu die folgenden Ausführungen m.H. 1003 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 20. 1004 WITTRECK, Durchschnitt, S. 3291 f. 1005 WITTRECK, Erledigungszahlen, Rz. 2.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Gericht sollten sich ergänzen, und dabei sollte mindestens ebenso wichtig sein, dass qualitativ gute Urteile gesprochen werden. Das Abstellen auf den Durchschnitt ist auch faktisch untauglich, da Menschen unterschiedlich leis-tungsfähig sind. Es lässt sich diesbezüglich – wie in allen Berufen – eine natürliche Leistungsspreizung feststellen.1006 Die allenfalls daraus entstehen-den Probleme sind im Rahmen des Möglichen durch das Kollegium zu kom-pensieren.1007

b) Beurteilung mittels der Qualität der Entscheidung?

Bezüglich der Qualität der richterlichen Entscheidung stellt sich die Mes-sung ungleich komplizierter dar. Allgemein kann davon ausgegangen wer-den, dass drei Teilgehalte eines „guten Urteils“ vorliegen sollten: Es sollte erstens „korrekt“ sein, zweitens zum Rechtsfrieden beitragen und drittens innert nützlicher Frist ergehen.1008 Diese drei Teilgehalte bedingen demnach von den Richtern Fachkompetenz, soziale Kompetenz sowie Speditivität.1009

Wie vorne bereits dargestellt, ist die Korrektheit nicht zu messen: Diese stellt den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit dar und wird allen-falls durch ein Rechtsmittelverfahren überprüft. Bezüglich allfälliger Indika-toren für die Messung der Qualität der Leistung wie z.B. der Rechtsmittel-häufigkeit oder der Urteilsbeständigkeit ist ebenfalls Vorsicht geboten: Sie sind nur beschränkt aussagekräftig: Denn auch die obere Instanz ist „nur“ ein Gericht, weshalb nicht feststeht, dass bei einer Nichtbestätigung des Urteils dieses auch wirklich falsch war. Auch hängt die Anfechtungsquote von Fak-toren ab, die nicht in jedem Fall eruiert werden können bzw. verschiedener

1006 MOSIMANN, Schweiz, S. 13; WITTRECK, Durchschnitt, S. 3290. In Deutschland

wird das Problem dadurch gelöst, dass die Beurteilung der Richter dann diesbezüg-lich differenziert ausfällt, vgl. WITTRECK, Durchschnitt, S. 3292. Eine solche lohn-wirksame Methode ist in der Schweiz unbekannt.

1007 RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 30. 1008 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 36 und Rz. 38 f. 1009 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 45.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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Art sein können.1010 Ähnlich schwierig sind Werte wie der Kostendeckungs-grad oder die Verfahrensdauer.1011 Der einzige messbare Faktor bleibt damit die Urteilsfällung innert angemessener Frist.

4. Zuständigkeit zur Leistungsbeurteilung

Wie MOSIMANN zutreffend ausführt, benötigt eine formelle Beurteilung Vorgesetzte.1012 Dies schliesst per se Richter derselben Stufe von einer allfäl-ligen Beurteilung ihrer Kollegen aus, selbst wenn sie innerhalb des Gerichts mit Zusatzfunktionen versehen sind.1013 Eine Beurteilung durch einen primus inter pares würde wegen der fehlenden Hierarchie wohl nur beschränkt, wenn nicht überhaupt nicht akzeptiert und vor allem würde einer solchen Beurteilung die Legitimation fehlen.1014 Demnach fällt eine Beurteilung durch einen Richter der gleichen Stufe ausser Betracht.

Stattdessen könnte man sich theoretisch eine Beurteilung durch die Auf-sichtsbehörde denken. Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auch eine solche ausser Betracht, da ansonsten die Leistungsbeurteilung der Richter in die Hände desselben Organes gelegt würde wie die inhaltliche, materielle Überprüfung. So fände eine Vermischung statt, welche wohl zu Recht noch nie richtig angedacht wurde. Ebenso wäre dann das Problem der Beurteilung der Richter der zweiten Instanz noch nicht gelöst, für welche ja dieselbe Überlegung gelten muss, nämlich, dass eine Beurteilung durch gleichgestell-te Kollegen nicht in Frage kommen kann. Entsprechend ist diese Idee zu ver-werfen.

1010 Vgl. LIENHARD, Grundlagen, S. 468; GASS/STOLZ, S. 127; MOSIMANN, Leistungs-

beurteilung, Rz. 50. 1011 Vgl. dazu soeben, S. 295 ff. und S. 312 ff. 1012 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 49. 1013 A.M. WITTRECK, Durchschnitt, S. 3291, welcher davon ausgeht, dass es primär und

gerichtsintern dem Präsidium obliegt, dass Stärken sich entfalten können und Schwächen möglichst nicht zum Tragen kommen.

1014 MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 49.

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Eine Beurteilung durch die Oberaufsichtsbehörde kommt nur schon auf-grund der Gewaltenteilung nicht in Frage, da die Oberaufsicht eine Ten-denzkontrolle darstellt, welche die Leistung des einzelnen Richters nicht betrifft und auch nicht betreffen darf. Es geht nur darum, festzustellen, ob das Staatsorgan seine Arbeit erledigt.1015 Eine Beurteilung der Leistung der einzelnen Richter liegt nicht in der Kompetenz der Oberaufsichtsbehörde und würde die richterliche Unabhängigkeit im Kernbereich tangieren.

5. Fazit

Demnach ist festzustellen, dass eine Leistungsbeurteilung von Richtern zu-nächst für die Bereiche der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung und der eigentlichen Justizverwaltung zulässig erscheint. Zumindest der quantitative Teil lässt sich sodann ermitteln, wohingegen die eigentliche Krux der Leis-tungsbeurteilung bei der Messung der Qualität der richterlichen Arbeit be-steht. Bestenfalls lässt sich sagen, dass es diesbezüglich Überlegungen und Ansätze gibt, ein durchdachtes System gibt es jedoch nicht. Das grösste Manko der richterlichen Leistungsbeurteilung ist allerdings darin zu sehen, dass die eigentliche Korrektheit der Rechtsprechung, mithin die Daseinsbe-rechtigung der Justiz, nicht geprüft werden kann, womit der eigentlich wich-tigste Teil, nämlich die materielle Rechtsprechung, einer Beurteilung nicht bzw. nur im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens zugänglich erscheint. Es könnte mittels einer Leistungsbeurteilung bei den Richtern somit nur beur-teilt werden, was messbar ist. Diese Messung würde der richterlichen Tätig-keit allerdings bei Weitem nicht gerecht.1016

Demnach erscheinen formelle Leistungsbeurteilungen nicht mit der richterli-chen Tätigkeit vereinbar. Das einzige taugliche Mittel wäre keine eigentliche Leistungsbeurteilung für Richter im Sinne einer Note oder Zensur, sondern ein gerichtsinterner Austausch unter den Richtern, welcher darauf abzielt,

1015 Vgl. vorne, S. 30 ff. In Kantonen, welche ein unabhängiges Aufsichtsorgan ge-

schaffen haben, z.B. in Freiburg, müsste die Situation allerdings vertieft betrachtet werden.

1016 MOSIMANN, Schweiz, S. 13.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Gerichtsbehörde zu erhalten und zu fördern.1017 Dabei sollte gerichtsintern über die Geschäftslast und die Spedi-tivität diskutiert und Lösungen gefunden werden. Ein solcher Austausch sollte allerdings institutionalisiert sein, z.B. in Form von Pendenzensitzun-gen der Kammer oder Abteilung oder ein Leitungsorgan sollte eine entspre-chende Kompetenz erhalten und mittels eines Controllingsystems unterstützt werden. Die Qualitätskontrolle wird also zur gerichtlichen Selbstverantwor-tung. Eine lohnwirksame Leistungsbeurteilung von Richtern ist ausgeschlos-sen.1018

Vorgaben im Hinblick auf eine gleichmässige Anwendung des G.Gesetzes

Wie vorne dargestellt, wird im Bereich der Rechtsprechung die Entscheid-freiheit des Richters durch die richterliche Eigenständigkeit auch von innen geschützt.1019 Der Richter bzw. der Spruchkörper ist nicht verpflichtet, der bisherigen Rechtsprechung oder der herrschenden Meinung zu folgen. Der Richter bzw. der Spruchkörper ist weder horizontal noch vertikal an Wei-sungen gebunden.1020 Die richterliche Eigenständigkeit scheint wirksam ge-währleistet, da keine Befugnis zu internen Weisungen und dienstlichen Qua-lifikationen vorhanden ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die Recht-sprechung notwendigerweise nicht immer einheitlich sein wird. Eine Füh-rung in den Rechtsprechungseinheiten ist daher nur sehr bedingt möglich.1021 Es existiert demnach keine eigentliche Präjudizienbindung.1022

1017 MOSIMANN, Schweiz, S. 11. Informell findet eine Beurteilung der richterlichen

Arbeit natürlich durch das Richterkollegium, durch die anderen Gerichte oder durch die Anwaltschaft statt.

1018 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 93; MOSIMANN, Leistungsbeurteilung, Rz. 48; KIENER, Unabhängigkeit, S. 290.

1019 Vgl. vorne, S. 261. 1020 WALTER, Unabhängigkeit, Rz. 2. 1021 WIPFLI, S. 128; vgl. auch KLOPFER, Rz. 5. 1022 Vgl. HASENBÖHLER, S. 111, welcher ausführt, dass aus dem französischen Text des

ZGB hervorgeht, dass der historische Gesetzgeber der Judikatur keinen Rechtsquel-

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Eine solche Präjudizienbindung wäre indessen auch abzulehnen, da sie den Kernbereich der Rechtsprechung betrifft. Ein solcher Eingriff in die Ent-scheidfreiheit wäre unzulässig, da die richterliche Unabhängigkeit sicherstel-len will, dass der Richter selbst entscheidet. Im Bereich der Rechtsprechung ist somit keine Abwägung mit anderen Interessen möglich, weshalb eine gewisse Rechtsunsicherheit in Kauf zu nehmen ist. Hingegen sollen Präjudi-zien den Richter leiten, ohne dass er ihnen aber absoluten Gehorsam schul-det.1023

Immerhin weichen die schweizerischen Gerichte im Normalfall nicht von den eigenen Entscheiden und jenen der oberen Instanzen ab, wenn sie nicht triftige Gründe dafür haben. Sie messen den Entscheiden also trotzdem weit-gehend normative Kraft zu.1024 Damit ist die Rechtssicherheit wie die Rechtsgleichheit weitgehend gesichert, das einzelne Gericht hat aber im Einzelfall trotzdem die Möglichkeit, von den existierenden Präjudizien ab-zuweichen.

Auch die europäische Entwicklung geht in die Richtung einer sehr weitge-henden Unabhängigkeit auch von oberen Gerichtsinstanzen. Insbesondere im Report der Venedigkommission vom 16. März 2010 sowie in der Empfeh-lung des Europarates vom 17. November 2010 wird die Entscheidungsfrei-heit besprochen.1025 Der Report hält fest, dass bei einer Unterordnung der Richter in ihrer Tätigkeit unter die Gerichtspräsidenten oder die oberen In-stanzen die Unabhängigkeit beeinträchtigt werden könnte (Punkt 68-72). Die Empfehlung CM Rec 2010 (12) bestimmt in Punkt 22, dass die Unabhängig-keit der Justiz die Unabhängigkeit jedes einzelnen Richters bei der Aus-übung seiner Funktion voraussetzt. Die Richter sollen ihre Entscheide in vollständiger Unabhängigkeit und Unbefangenheit treffen und „pouvoir agir sans restrictions, influences indues, pressions, menaces ou interventions, directes ou indirectes, de la part d’une quelconque autorité, y compris les

lencharakter beimessen wollte, hingegen sie als Hilfsmittel bei der Urteilsfällung eingestuft wissen wollte.

1023 HASENBÖHLER, S. 111. 1024 HASENBÖHLER, S. 112. 1025 Vgl. dazu ausführlich vorne, S. 45 ff.

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Ausgewählte Bereiche der innergerichtlichen Führung

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autorités judiciaires elles-mêmes“. Die hierarchische Organisation darf die individuelle Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen. Auch die oberen Gerichte dürfen keine Weisungen erlassen, wie in einer spezifischen Angelegenheit zu entscheiden ist (Punkt 23).

Damit stellen die europäischen Texte mit aller Klarheit fest, dass es nicht angeht, aufgrund der Rechtssicherheit die Rechtsprechung der einzelnen Richter zu beeinflussen, auch nicht, wenn dieser Einfluss von innerhalb der Justiz kommt. Dieser Auffassung ist uneingeschränkt zuzustimmen, handelt es sich wahrscheinlich um einen der wichtigsten Punkte der richterlichen Unabhängigkeit, nämlich der Entscheidfreiheit.1026

In diesem Sinne ist der Auffassung des Bundesgerichts, wonach Weisungen genereller Natur zulässig sein sollen, „[…] sei es im Hinblick auf eine gleichmässige Anwendung des Gesetzes“ zu widersprechen.1027 Es ist aber auch festzuhalten, dass diese Rechtsprechung aus dem Jahr 1981 stammt und sich das Gericht heute wahrscheinlich nicht mehr in dieser Weise äussern würde.

Fazit bezüglich der ausgewählten Führungsbereiche H.

Im Bereich der innergerichtlichen Führung scheint zunächst als Vorausset-zung eines unabdingbar: Die Einschätzung der Geschäftslast. Eine solche ist für eine gute Justizverwaltung und eine leistungsfähige Fallbearbeitung Grundvoraussetzung, weshalb für eine Gewichtung zu plädieren ist. Im Be-reich der Verfahrensdauer scheint eine gerichtliche Führung notwendig und auch zulässig; im Sinne von verbindlichen Maximalwerten für „normale“ Fälle kann so verhindert werden, dass Fälle über Gebühr liegen bleiben. Ein darauf ausgerichtetes Controlling, welches die Richter und Gerichtsschreiber auf Inaktivitätsdauern aufmerksam machen, ist dabei von grosser Hilfe.

Bezüglich der Erledigungszahlen für Richter konnte festgestellt werden, dass solche grundsätzlich zulässig erscheinen, dass hingegen in der Praxis davon

1026 TSCHÜMPERLIN, Gerichtsmanagement, S. 106. 1027 Vgl. BGE 107 Ia 253 E. 3c in fine.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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auszugehen ist, dass fixe und verbindliche Erledigungszahlen keinen grossen Sinn ergeben: Sie sollten nicht als exakte und verbindliche Werte, sondern als Bandbreiten eingesetzt werden, weil es sich rechtfertigt, die Erledigungs-zahlen den allenfalls veränderten Gegenheiten der Falllast anzupassen. Es ist mithin eine begleitende, rollende Planung anzustreben.

Das gerichtsinterne Controlling ist eine notwendige Voraussetzung für die Rechtsprechungsgewährleistung.1028 Es soll die Richter in erster Linie unter-stützen, indem es Engpässe frühzeitig erkennt bzw. erkennen lässt und die wichtigsten Daten zur Verfügung stellt. Wichtig scheint aber, dass das Con-trolling im Alltag möglichst wenige Ressourcen beansprucht und dass klar ist, wozu sie dienen. Dann können sie den gerichtseigenen Bedürfnissen an-gepasst und entsprechend genutzt werden.1029

Eine Leistungsbeurteilung der Richter fällt ausser Betracht. Zwar wäre eine solche in Bezug auf die Quantität und die Rechtzeitigkeit der Entscheidung machbar, hingegen liegt das grosse Problem bei der eigentlichen Messung der richterlichen Leistung. Weil die Korrektheit der Rechtsprechung und da-mit der wichtigste Teil der richterlichen Leistungsbeurteilung nicht zugäng-lich ist, macht eine Beurteilung keinen Sinn, da sie sich auf wenige Bruchtei-le beschränken müsste. Auch bezüglich der beurteilenden Organe bestehen Fragen. Während Ober- und Aufsichtsorgane für eine Leistungsbeurteilung nicht tauglich erscheinen, fällt eine Beurteilung der Richter auf der gleichen Organisationsstufe mangels Legitimation ausser Betracht. Es ist demnach für eine gerichtsinterne Qualitätskontrolle zu plädieren und von einer Leistungs-beurteilung der Richter, zumal diese auch nicht lohnwirksam sein kann, ab-zusehen.

Schliesslich wurde bezüglich der Vorgaben auf eine gleichmässige Anwen-dung des Gesetzes festgestellt, dass in der Schweiz gesetzlich keine Präjudi-zienbindung besteht, dass die Justiz selbst jedoch eine solche faktisch prakti-ziert, auch weil Ausnahmen bei triftigen Gründen möglich sind. Indessen

1028 LIENHARD/KETTIGER, Geschäftslastbewirtschaftung, S. 416; LIENHARD/KETTIGER,

Absage, Rz. 18; BANDLI, Effizienz, Rz. 5; vgl. zur Qualität der Rechtsprechung auch VON BARGEN, S. 2533.

1029 Vgl. MOSIMANN, Zürich, Rz. 9.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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scheint auf der europäischen Ebene eine Bewegung in Richtung einer auch justizinternen Weisungsfreiheit zu bestehen. Diese ist positiv zu bewerten, da ein Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit des Richters nicht hinzuneh-men ist, auch nicht, wenn dieser Einfluss von innerhalb der Justiz kommt.

VIII. Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

Allgemeines A.

In diesem Kapitel soll nach der beschreibenden Darstellung in Teil 4 genauer auf die speziellen Regelungen bei den Leitungsinstrumenten und Leitungs-strukturen in den Kantonen eingegangen und diese sollen gewürdigt werden.

Gerichtsübergreifende Leitungsorgane B.

1. Aargau

Verglichen mit den anderen Kantonen verfügt der Kanton Aargau zur Zeit mit der Justizleitung über das Organ mit den weitgehendsten Kompetenzen bezüglich der Leitung der Justizverwaltung, der rechtsprechungsnahen Jus-tizverwaltung, wie auch der Aufsicht. Diese Art der innerjustiziellen Kon-trolle und Leitung ist die am stärksten ausgestaltete der gesamten, vorliegen-den Untersuchung; eine solche weitgehende Bestimmung findet sich in kei-nem anderen Kanton und auch nicht im Bund. Von grösster Bedeutung ist die Kompetenz der Justizleitung, die Gerichte mit Leistungsvorgaben, insbe-sondere in Bezug auf die Verfahrensdauer zu führen und für alle Gerichte Vorgaben bezüglich der Verfahrensdauer festzulegen und die Kontrolle be-züglich deren Einhaltung zu regeln. Es scheint sachgerecht, dass ein und dasselbe Organ die Planung der Tätigkeiten der Gerichte, deren Vertretung gegenüber den Behörden wie auch die Festlegung der Budgets kontrolliert. Es wird dem Leitungsorgan nicht nur eine umfassende Organisations- und Verwaltungskompetenz der gesamten Justiz zugeschrieben, es werden ihm

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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auch die notwendigen Mittel an die Hand gegeben, mit welchen es seine Aufgabe durchsetzen und kontrollieren kann.1030

Die Befugnis, über die betriebliche Organisation der einzelnen Gerichte in einem Reglement zu bestimmen und Vorschriften über die Verfahrensdauer zu erlassen bzw. diese mittels Weisungen durchzusetzen, gibt der Justizlei-tung nicht nur im Bereich der Justizverwaltung, sondern auch im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung eine umfassende, sehr weitgehende Kompetenz. Durch diese wird die Selbstverwaltung der einzelnen, erstin-stanzlichen Gerichte stark eingeschränkt.1031 Immerhin besteht durch die Zusammensetzung der Justizleitung, wo zwei von fünf Mitgliedern Bezirks-gerichtspräsidenten sind, ein Mitspracherecht.

Mit der Justizleitung werden die aargauischen Gerichte zu einer Einheit zu-sammengefasst: Die Justiz soll in Bereichen, die sie gesamthaft betreffen, einheitlich auftreten, insbesondere soll sie von den anderen Staatsorganen als Einheit wahrgenommen werden.

Die Justizverwaltung dient der Organunabhängigkeit, d.h. der Unabhängig-keit der Justiz von den anderen beiden Staatsgewalten Legislative und Exe-kutive. Dieses einheitliche Auftreten nach aussen bedingt eine gewisse Lei-tungskompetenz der oberen Instanzen.1032 Die Vorrangstellung bzw. die Lei-tungskompetenz zeigt sich in der Aufsichtsfunktion, welche den oberen Ge-richten zukommt und welche namentlich in Angelegenheiten der Justiz-verwaltung zum Tragen kommt.1033 Im Kanton Aargau zeigt sich dies mit der nun verwirklichten, umfassenden Leitung durch die Justizleitung. Den einzelnen Gerichten bleibt praktisch keine Freiheit in der Justizverwaltung mehr. Es handelt sich um ein „zentralisiertes“ Justiz-System. Ein solches System entspricht an sich nicht dem Grundgedanken in der Schweiz, wonach jeweils das unterste Organ eine Aufgabe übernimmt, sofern es dazu in der

1030 Vgl. BAUMANN, Rz. 9 ff. 1031 Vgl. dazu sogleich, S. 328 ff. 1032 KISS, S. 100. 1033 Vgl. für die Situation im Kanton Basel Landschaft KISS, S. 100 sowie vorne,

S. 177 ff.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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Lage scheint. Trotzdem und als Vorreiterin werden die Erfahrungen einer zentralen Justizorganisation für andere Kantone sowie für den Bund von grosser Bedeutung für die weitere Entwicklung der Justizverwaltung sein.

2. Basel-Landschaft

Im Kanton Basel-Landschaft ist die Geschäftsleitung das Leitungsorgan, welches die zentrale Justizverwaltung zu besorgen hat, wobei zumindest ein Mitglied aus einem erstinstanzlichen Präsidium mit im Gremium sitzt. Die Geschäftsleitung trägt letztlich die Verantwortung für eine funktionstüchtige und rechtskonforme Justizverwaltung und ist dem Landrat hierfür auch re-chenschaftspflichtig.1034 Auch hat die Geschäftsleitung eine Weisungsbefug-nis in administrativen Belangen, womit sie auch in die Justizverwaltung der erstinstanzlichen Gerichte eingreifen kann. Dennoch ist die in Basel-Land-schaft gewählte Form des Leitungsorgans bedeutend weniger einschneidend für die einzelnen Gerichte als jene im Kanton Aargau, was einem traditionel-len System entspricht: Es wird den einzelnen Einheiten so viel Freiheit wie möglich bei der Aufgabenerfüllung belassen. Die Leitungsaufgaben der Ge-schäftsleitung beschränken sich auf die wichtigsten Bereiche, sodass nur, aber immerhin jene Bereiche, welche die Justiz insgesamt betreffen, in die Zuständigkeit des Leitungsorgans fallen. Dieses Modell könnte als Zwi-schenmodell zwischen dem zentralistischen Aargauer Modell und dem Zür-cher Modell eingeordnet werden.

3. Zürich

Im Kanton Zürich gibt es zwar mit dem Plenarausschuss und der Verwal-tungskommission zwei gerichtsübergreifende Organe, eigentliches Leitungs-organ ist aber die Verwaltungskommission, welche aus den Präsidenten der obersten Gerichte besteht und damit gerichtsübergreifend ist. Sie bereitet die Geschäfte des Plenarausschusses vor und stellt die Vertretung der Justiz ge-genüber den anderen Staatsgewalten sicher. Diese Befugnisse gehen somit

1034 Vgl. KISS, S. 101.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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bedeutend weniger weit als jene in den Kantonen Aargau und Basel-Land-schaft und betreffen vor allem die Aussenwirkung der Justiz. Insbesondere kann die Verwaltungskommission keinen Einfluss auf die einzelgerichtliche Organisationsstruktur bzw. die Fallzuteilung der einzelnen Gerichte und damit keinen Einfluss auf die rechtsprechungsnahe Justizverwaltung neh-men. Der Kanton Zürich stellt somit das Beispiel für einen Kanton mit ge-richtsübergreifenden Leitungsorganen dar, welche jedoch keinen direkten Einfluss auf die Selbstverwaltung der einzelnen Gerichte haben. Damit be-steht im Kanton Zürich bezüglich der Justiz kein einheitlicher Auftritt und keine Koordination wie im Aargau oder in Basel-Landschaft. Indessen dür-fen die Umsetzung des CRG, welches für die Justiz ja erst seit dem 1. Januar 2011 gilt, und erste Erfahrungsberichte über die Anwendung der NPM-Ele-mente, insbesondere des Globalbudgets auf die Gerichte, mit Spannung er-wartet werden.

4. Bern

Im Kanton Bern heisst das Leitungsorgan „Justizleitung“ wie im Kanton Aargau und verfügt über zwei zentrale Aufgaben: Erstens die Vertretung der Justiz im Grossen Rat und zweitens die Koordination der Gerichtsverwal-tung im Kanton. Gebildet wird die Justizleitung aus den Präsidenten der obersten Gerichte sowie dem Generalstaatsanwalt, was eine gerichtsüber-greifende Konzeption bedeutet. Der Einbezug der Staatsanwaltschaft stellt eine bernische Spezialität dar.1035 Die Justizleitung ist für die drei klassi-schen Justizverwaltungsbereiche Personal-, Finanz- und Rechnungswesen verantwortlich, setzt dort strategische Leitlinien und führt darüber ein Con-trolling; sie erlässt dafür Weisungen und Reglemente.

Die Stellung der Justizleitung im Kanton Bern gleicht eher derjenigen im Kanton Aargau und Basel-Landschaft als jener in Zürich. Insbesondere be-züglich der Ressourcen und der Festlegung von Leistungszielen und damit im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung verfügt sie über um-

1035 Vgl. LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 86, welche von einer konzernar-

tigen Struktur sprechen.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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fassende Kompetenzen.1036 Sie nimmt die Steuerungs- und Führungsaufga-ben für die ganze Justiz wahr, insbesondere die Aufgaben, welche die Ge-setzgebung über die Steuerung von Finanzen und Leistungen der Justiz ein-räumt.1037 Schweizweit gesehen ist die Schaffung eines übergeordneten Lei-tungsorgans eine sehr „moderne“ Entwicklung, welcher Bern zusammen mit Aargau und Basel-Landschaft folgt. Ob sich die Justizverwaltung des Kan-tons Bern insbesondere in Bezug auf den Einsatz der NPM-Mittel, sprich der Produktegruppen und ihrer Budgets schliesslich bewähren wird, ist momen-tan noch nicht absehbar.

5. Verschiedenartige föderale Lösungen

Somit lässt sich festhalten, dass die Kantone, welche sich für eine Justizlei-tung entschieden haben, diese verschieden ausgestalten. Während der Kan-ton Aargau eine straffe Führung der einzelnen Gerichte, ja schon fast eine Zentralisierung auf dem gesamten Gebiet der Justizverwaltung eingeführt hat, insbesondere auch im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwal-tung, geht der Kanton Zürich am wenigsten weit. Basel-Landschaft und Bern nehmen mit einer gewissen Steuerung auch im Bereich der rechtsprechungs-nahen Justizverwaltung eine Zwischenstellung ein, wobei sich deren System jenem im Aargau annähert. Der Kanton Zürich belässt den einzelnen Gerich-ten am meisten Spielraum, da die Verwaltungskommission über keine kon-kreten Instrumente verfügt, um den Gerichten ihre Organisation oder ihre Verfahren zu diktieren. Es ist interessant zu beobachten, wie sich in den letzten Jahren die Justizverwaltungslandschaft in der Schweiz grundlegend gewandelt hat. Manche, vorwiegend kleinere Kantone, halten eine Änderung ihrer gesetzlichen Grundlagen bzw. ihrer Strukturen nach wie vor nicht für nötig, während andere die diversen Gesetzesrevisionen auf Bundesebene (v.a. die Einführung der einheitlichen Prozessgesetze StPO und ZPO), wel-che Anpassungen in der Justizlandschaft der Kantone bedingten, zum Anlass nahmen, ihre Systeme grundlegend zu überdenken. So sind die Kantone mit

1036 Vgl. dazu sogleich S. 331 ff. 1037 LIENHARD/KETTIGER, Selbstverwaltung, Rz. 87.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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ihren föderal ausgestalteten Justizsystemen Inspirationsquellen füreinander und möglicherweise auch für die Gerichte des Bundes, welche bezüglich der Justizverwaltung im Vergleich zu den Kantonen bedeutend weniger innova-tive Lösungen zeigen.

Leitung der einzelnen Gerichte C.

Bei der Leitung der einzelnen Gerichte lassen sich erwartungsgemäss Unter-schiede je nach Ausgestaltung der Stärke des zentralen Organs ausmachen.

1. Aargau

Die Geschäftsleitungen der einzelnen Gerichte im Kanton Aargau, d.h. die geschäftsführenden Präsidenten der erstinstanzlichen Gerichte sorgen für das Fristenmanagement und die Fristenkontrolle. Sie sind verantwortlich für den einwandfreien Betrieb der jeweiligen Justizbehörde. Damit besteht auf der eigentlichen Gerichtsstufe im Kanton Aargau keine tatsächliche Selbstver-waltungskompetenz mehr, sondern eher noch eine ausführende Justizverwal-tung. Diese hat die von der Justizleitung vorgegebene Planung der Tätigkei-ten, die Fristen bezüglich der Verfahrensdauer und die betriebliche Organi-sation allgemein umzusetzen und ist dafür verantwortlich, dass das jeweilige Gericht „einwandfrei“ funktioniert. Die Geschäftsleitungen der einzelnen Gerichte haben somit eher eine Controllingfunktion der eigenen Behörde inne während der Fokus der Justizverwaltung klar auf der Zentralisierung liegt.

2. Basel-Landschaft

Im Kanton Basel-Landschaft nehmen die Gerichte die Justizverwaltung selb-ständig wahr, soweit nicht andere Organe zuständig sind. Das Reglement über die Justizverwaltung enthält den Hinweis, dass die einzelnen Gerichte bzw. die Abteilungen die in ihren Bereichen anfallende dezentrale Justiz-verwaltung wahrnehmen. Im Kanton Basel-Landschaft besteht demnach eine echte Gerichtsverwaltung, nicht nur eine Umsetzung der Vorgaben des Lei-tungsorganes.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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3. Zürich

Im Kanton Zürich sind der Präsident des Obergerichts bzw. die Präsidenten der Bezirksgerichte für eine beförderliche Erledigung der Fälle zuständig. Damit wird den Gerichtspräsidenten eine umfassende Führungskompetenz auf der Stufe des Gerichts gegeben, welche sich in keinem anderen unter-suchten Kanton in dieser Klarheit findet. Der Fokus wird nicht auf ein zent-rales Organ, sondern auf die Stufe der einzelnen Gerichte gelegt.

4. Bern

Im Kanton Bern gibt es am Obergericht sowie am Verwaltungsgericht je eine gerichtsinterne Gerichtsleitung, welche für die Gerichtsverwaltung, ins-besondere die Festlegung der Leistungsziele und die Verabschiedung von Voranschlag, Aufgaben- und Finanzplan zuständig ist. Die Abteilungspräsi-denten des Ober- und des Verwaltungsgerichts haben ihre Abteilung zu füh-ren. Sie sind verantwortlich für die Fallzuteilung in ihrer Abteilung und für den Belastungsausgleich. Demnach existiert bezüglich der rechtsprechungs-nahen Justizverwaltung ebenfalls eine gewisse Führung. Diese wird in der Person der Abteilungspräsidenten vom selben Organ wahrgenommen, wel-ches für die einheitliche Rechtsprechung ihrer Abteilung zuständig ist. Da-mit üben die Abteilungspräsidenten sowohl eine Leitung der Verwaltungs-aufgaben, der rechtsprechungsnahen wie auch der rechtsprechenden Tätig-keiten aus. Damit bestehen für die oberen kantonalen Gerichte umfassende Leitungsstrukturen. Insbesondere ist bemerkenswert, dass die einzelnen Ab-teilungspräsidenten ihre Abteilung ausdrücklich zu führen haben. Hingegen bestehen für die Gerichtspräsidenten der erstinstanzlichen Gerichte bzw. der Gerichtsleitungen keine entsprechenden Regelungen, was angesichts der ge-nauen Regelung auf der Stufe der obersten Gerichte doch erstaunt.

5. Freiburg

In Freiburg obliegt den Berufsrichtern einer Gerichtsbehörde die Verwaltung ebendieser. Damit ist für die Justizverwaltung vollumfänglich das jeweilige Gericht bzw. jene Person, welche für ein Jahr in den administrativen Ange-legenheiten den Vorsitz führt, zuständig.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Pflichterfüllung der Richterinnen und Richter D.

Im Kanton Aargau haben die Geschäftsleitungen der einzelnen Gerichte für das Fristenmanagement und die Fristenkontrolle sowie die Pflichterfüllung der Richterinnen und Richter zu sorgen. Auch diese Kompetenz ist wie die übrigen Kompetenzen der einzelnen Gerichte eher als vollziehende Aufgabe anzuschauen, setzt doch das Leitungsorgan die Fristen und die Ziele fest. Dass das Fristenmanagement und die Fristenkontrolle auf derselben Kon-trollstufe angesiedelt sind wie die Kontrolle der Pflichterfüllung der Richter, macht durchaus Sinn, da dafür dieselben Informationen benötigt werden.

Im Kanton Zürich haben der Präsident des Obergerichts bzw. die Präsidenten der Bezirksgerichte die Pflichterfüllung der Mitglieder des Gerichts zu überwachen und für eine beförderliche Erledigung zu sorgen.

Der Kanton Bern hat ein jährliches Standortgespräch mit erstinstanzlichen Richtern eingeführt, welches vom Leiter der jeweiligen Justizeinheit durch-geführt wird. Es werden die allgemeine Situation, die Geschäftslast sowie Fach- und Verhaltenskompetenzen angesprochen und es werden persönliche Ziele festgesetzt.1038

Was unter der „Pflichterfüllung der Richter“ der Kantone Aargau und Zürich gemeint ist und wie genau diese Führungskompetenz zu verstehen ist, scheint momentan noch unklar1039. Im Kanton Bern scheinen hingegen ge-naue Vorstellungen davon zu bestehen, was ein Richter zu leisten hat, was auch mittels Einzelgesprächen durchgesetzt werden soll.1040 Dies ist ein rela-tiv hierarchisches System.1041 Diese Art der Leistungsbeurteilung ist, insbe-sondere, wenn sie ohne gesetzliche Grundlage geschieht und nur für die erst-instanzlichen Richter und durch gleichgestellte Richter ausgeübt wird, aus

1038 GRÜTTER, Rz. 10; MOSIMANN, Schweiz, S. 14; vgl. vorne, S. 220 ff. 1039 Vgl. Botschaft GR AG 08.222, S. 55 bzw. Vorlage 4611 ZH, wo nicht genauer

ausgeführt ist, was damit gemeint sein könnte. 1040 Indessen findet sich dafür keine gesetzliche Grundlage im Kanton Bern. 1041 MOSIMANN, Schweiz, S. 14.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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den vorne genannten Gründen abzulehnen.1042 Dasselbe gilt für den Kanton Aargau, wobei dort immerhin eine gesetzliche Grundlage für die Führung des Leitungsorgans besteht. Entsprechend ist die Entwicklung mit Vorsicht zu geniessen. Die gesetzliche Grundlage in Zürich ist ebenfalls sehr unbe-stimmt. Diesbezüglich würde man sich auf jeden Fall in allen drei Kantonen wenigstens eine konkretere gesetzliche Grundlage wünschen.

Finanzen und Steuerung E.

1. Zürich

Im Kanton Zürich unterstehen auch die Gerichte dem CRG, was eine Steue-rung nach NPM bedeutet. Die Justiz ist ebenfalls zu Sparsamkeit und Wirt-schaftlichkeit angehalten und untersteht der Globalbudgetierung sowie der Verbindung von Leistungen und finanziellen Mitteln. Die drei obersten Ge-richte haben dem Kantonsrat eine Übersicht über die „Entwicklung der Leis-tungen“ und Finanzen, einen Budgetentwurf sowie einen Bericht über ihre Tätigkeit samt Rechnung einzureichen. Auch eine ausgeglichene Rechnung ist in § 4 CRG gefordert. Nach § 4 Abs. 3 CRG wird bei einem Fehlbetrag dieser jährlich um mindestens 20 Prozent abgetragen. Die Unterstellung der Justiz des Kantons Zürich unter das CRG mittels des Verweises im GOG stellt – zusammen mit den Kantonen Aargau und Bern – eine bedeutende Neuigkeit in der schweizerischen Justizlandschaft dar. Die Anwendung des Begriffs der „Steuerung von Leistungen“ auf die Justiz oder die Global-budgetierung gab es bis anhin in dieser Form im Kanton Zürich nicht.

Die durch das CRG geforderte Verbindung von Leistungen und finanziellen Mitteln ist als problematisch einzustufen. Es geht es um einen Bereich, wel-cher die Rechtsprechung inhaltlich betreffen kann und mithin zur rechtspre-chungsnahen Justizverwaltung zu rechnen ist. Es hat also eine Interessenab-wägung zu geschehen. Der Gesetzgeber scheint dem Interesse an den Finan-zen ganz generell einen höheren Stellenwert beizumessen als der richterli-chen Unabhängigkeit, indem auch die Bedingung der ausgeglichenen Rech-

1042 Vgl. vorne, S. 312 ff.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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nung für die Justiz anwendbar erklärt wird. Insoweit eine direkte Verbindung von finanziellen Mitteln und einzelnen Urteilen bzw. Urteilskategorien vor-gesehen ist, ist eine solche Verbindung nicht hinzunehmen: Es würde für die Oberaufsichtsbehörde ersichtlich, wieviel ein Fall einer bestimmten Katego-rie im Schnitt „kostet“. Mithin soll aber nicht über die Kostenbudgetierung Einfluss auf die Rechtsprechung genommen werden, auch nicht indirekt. Ein Richter hat sich nicht am Budget zu orientieren. Dies schliesst kostenbe-wusstes Arbeiten aber natürlich nicht aus. Es handelt sich hierbei um eine Einflussnahme von Seiten der Legislative auf die rechtsprechungsnahe Jus-tizverwaltung. Eine solche ist zu vermeiden.1043 Indem das (Global-)Budget den Dienststellen zugeteilt wird und damit auch die finanzielle Effizienz der einzelnen Einheiten bzw. der Richter gemessen werden kann, werden falsche Anreize gesetzt: So können höhere Verfahrenskosten und eine geringere Qualität der Rechtsprechung gefördert werden, was nicht dem Sinn der Tä-tigkeit der Justiz entspricht.1044 Ebenfalls problematisch sind vollumfänglich kostendeckende Gebühren oder die bevorzugte Behandlung finanziell inte-ressanter Fälle.1045 Aus diesem Grund sind in jedem Fall sogenannte Pro-duktegruppenbudgets zu bevorzugen.1046

Zu fragen ist ausserdem, was der Begriff der „ausgeglichenen Rechnung“ für die Justiz bedeutet. Klar scheint, dass die Justiz nur über jene finanziellen Mittel verfügen kann, welche ihr bewilligt werden, notabene durch die Le-gislative. Soweit die Justiz die finanziellen Mittel, welche sie benötigt, um ihre Arbeit erledigen zu können, bekommt, ist zwar auf den ersten Blick alles in Ordnung. Auf der anderen Seite ist aber unklar, welche Einnahmen ein Gericht generiert. Dies werden vor allem die Einnahmen aus den Verfah-ren sein. Soll das Erfordernis der ausgeglichenen Rechnung nun bedeuten, dass die Zürcher Gerichte ihre Kosten durch die Einnahmen aus den Verfah-ren decken müssen oder müssen die Einnahmen nur die Kosten decken, wel-che nicht durch den Beitrag des Kantons gedeckt werden? Dass eine Justiz

1043 Vgl. vorne S. 278 ff. 1044 Vgl. MAIER, S. 184; LIENHARD, Grundlagen, S. 467 m.w.H. 1045 MAIER, S. 49; LIENHARD, NPM, S. 44. 1046 Vgl. LIENHARD, Grundlagen, S. 469 f.; MAIER, S. 298 und S. 309 ff.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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eigenständig kostendeckend tätig sein müsste, wäre eine völlige Neuigkeit in der schweizerischen Justizlandschaft. Bis anhin ging man davon aus, dass es bei der Justiz gerade nicht primär darum geht, kostendeckend zu arbeiten, weshalb auch Kostendeckungsgrade als problematisch angesehen werden, da sie zu höheren Verfahrenskosten und einer geringeren Qualität der Recht-sprechung führen können.1047 Auch im Sinne des Gleichbehandlungsgebots ist davon auszugehen, dass eine derartige Kostenorientierung keine positiven Auswirkungen auf den Rechtsfrieden haben wird. Bürger, welche nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen, haben unter Umständen schlechtere Chancen, dass das Gericht ihr Gesuch auf unentgeltliche Rechts-pflege bewilligt, wenn es Kostendeckungsgrade erreichen muss. Wird das Effizienzprinzip über das Rechtsstaatsprinzip gestellt, bzw. wird die Justiz einem derartigen finanziellen Druck ausgesetzt, dass sie sich so organisieren muss, dass sie wirtschaftlich arbeitet, so werden falsche Anreize gesetzt und es steht schliesslich die Rechtsstaatlichkeit in Frage.1048 Eine solche Ent-wicklung ist nicht zulässig.

Hier kann wohl nur ein Versehen des Gesetzgebers beim Verweis auf das CRG vorliegen. Vergleicht man Art. 70 Abs. 1 KV ZH zu den Grundsätzen der Verwaltung1049 und Art. 74 Abs. 1 KV ZH zur Rechtsprechung an den Gerichten, so wird klar, dass die Verfassung ausdrücklich nicht dieselben Handlungsgrundsätze für die Justiz anwenden will wie für die kantonalen Verwaltungsbehörden. Im Zusammenhang mit der Rechtsprechung werden diese Grundsätze nicht erwähnt, hingegen wird eine „verlässliche und rasche Rechtsprechung“ gefordert. Damit spricht sich die KV ZH in erster Linie für eine rechtmässige und die Rechtssicherheit gewährleistende, und nicht für eine primär effiziente Justiz aus, weshalb das Gesetz wohl zumindest teil-weise als nicht verfassungskonform bezeichnet werden muss; allenfalls böte sich eine verfassungskonforme Auslegung an.1050

1047 LIENHARD, Grundlagen, S. 467 m.w.H. 1048 Vgl. RASELLI, Unabhängigkeit, Rz. 20. 1049 Nach Art. 70 Abs. 2 KV sind dies: Rechtmässigkeit, Effizienz, Kooperation, Spar-

samkeit und Bürgerfreundlichkeit. 1050 Vgl. dazu ausführlich SCHMID zu Art. 74 KV, Rz. 5 f.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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2. Bern

Im Kanton Bern untersteht die Justiz sinngemäss dem FLG, d.h. die Justiz wird ebenfalls mittels WOV-Instrumenten gesteuert.1051 Die (oberen) Ge-richte legen jährlich ihre Leistungsziele fest und leiten daraus ihren Bedarf an Ressourcen ab. Für Voranschlag, Finanz- und Aufgabenplan werden „Produktgruppen“ gebildet (Zivil- und Strafgerichtsbarkeit; Staatsanwalt-schaft; Verwaltungsgerichtsbarkeit). Die Verantwortlichkeiten für diese drei Produktgruppen werden sodann jeweils dem obersten Gericht zugeordnet.

Das GSOG bestimmt ausdrücklich, dass die Führungsorientierung bzw. die Leistungsorientierung umfassend anwendbar, die Wirkungs- und Erlösorien-tierung hingegen nicht anwendbar sind.1052 Im Vortrag des Regierungsrates zum GSOG wird explizit darauf hingewiesen, dass die Formulierung von Wirkungszielen Aufgabe des Gesetzgebers sei; Aufgabe der Gerichtsbehör-den sei lediglich, mit ihrer Rechtsprechung zur Erreichung dieser Ziele bei-zutragen. Ebensowenig anwendbar sei eine Erlösorientierung auf die Justiz, insbesondere deshalb, weil eine sachgerechte Ertragsbewirtschaftung unter Beachtung des Verursacherprinzips bei Gerichtsverfahren nicht anwendbar sein könne; die Justiz habe ihren Bürgern unabhängig von deren finanziellen Leistungsfähigkeit zugänglich zu sein.1053

3. Fazit

Bezüglich der NPM-Steuerung der Justiz im Bereich der Finanzen erweist sich das System in Bern demnach als passender als jenes in Zürich, was schon aus der sinngemässen Anwendung des FLG im Vergleich zur Unter-stellung der Gerichte unter das CRG in Zürich hervorgeht. Auch das Schwei-gen der Materialien zum Begriff der ausgeglichenen Rechnung sowie zur per se-Unterstellung unter das CRG lassen vermuten, dass die Konsequenzen nicht eingehend erfasst wurden. Im Kanton Bern erscheint das System auf

1051 Vgl. vorne, S. 223 ff. 1052 Vgl. Tagblatt BE 2009, S. 22. 1053 Vgl. Tagblatt BE 2009, S. 22 und LIENHARD, Bern, S. 424.

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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Gesetzesebene im GSOG konkreter und damit fassbarer. Insbesondere be-züglich der Erlös- und der Wirkungsorientierung ist dem Kanton Zürich zu empfehlen, seine gesetzlichen Grundlagen de lege ferenda anzupassen. Bis dahin ist das derzeitige Gesetz jedenfalls verfassungskonform auszulegen.

Personalautonomie F.

Im Kanton Basel-Landschaft ist die Geschäftsleitung (des Kantonsgerichts) Anstellungsbehörde der Mitarbeitenden, auch der erstinstanzlichen Gerichte. Ebenso ist sie zuständig für die Bewilligung von Nebenbeschäftigungen.1054

Im Kanton Bern schliesslich gibt es die Stabsstelle für Ressourcen, welche auch für die Personaladministration zuständig ist. Jedoch liegt hier die Kom-petenz für die Anstellung der Gerichtsschreibenden und des Kanzleiperso-nals bei der Geschäftsleitung.1055

Es kann festgestellt werden, dass im Bereich der Personalautonomie in ver-schiedenen Kantonen teilweise eine gerichtsübergreifende Führung stattfin-det. Eine solche Führung schränkt die Personalautonomie der einzelnen Ge-richte ein; immerhin ist anzunehmen, dass die betroffenen Gerichte über ein Vorschlagsrecht für die Besetzung von freien Gerichtsschreiber- oder Kanz-leistellen verfügen und dass die Leitungsorgane nicht ohne Grund davon abweichen werden. Solange die Leitungsorgane als Hilfestellung für die einzelnen Gerichte dienen, ist gegen eine derartige Leitungsfunktion in Per-sonalangelegenheiten nichts einzuwenden. Auch in der Praxis wirft der Be-reich der Personalautonomie kaum Probleme auf.

Freiburg als Ausnahme G.

Der Kanton Freiburg stellt im Bereich der Leitungsstrukturen die Minderheit dar: Es gibt kein eigentliches, gerichtsübergreifendes Leitungsorgan. Die Verwaltung obliegt dem jeweiligen Gericht bzw. für das Kantonsgericht der

1054 Vgl. § 5, 8 und 9 Reglement über die Justizverwaltung. 1055 Vgl. Art. 39 GSOG. Dasselbe gilt für das Verwaltungsgericht sowie die erstinstanz-

lichen Gerichte, diese verfügen jeweils auch über eine eigene Geschäftsleitung.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Verwaltungskommission. Einzig im Bereich der Budgetkompetenz ist die Verwaltungskommission zuständig.

Würdigung H.

Der Bereich der Justizverwaltung erfuhr und erfährt seit den Achtzigerjahren eine grundlegende Veränderung. Initiiert durch die Totalrevision der Aar-gauer Kantonsverfassung, begannen die Kantone ihre Strukturen und Abläu-fe neu zu ordnen. In dieser Reformperiode wurde auch die Justiz Gegenstand von Reformüberlegungen. Diese mündeten in den meisten Kantonen in grös-seren Umstrukturierungen bezüglich der Justizverwaltung. Diese Entwick-lung scheint jedoch noch lange nicht abgeschlossen zu sein: Insbesondere die Einführung und die Umsetzung von NPM-beeinflussten Instrumenten wie Globalbudgets, Ressourcenverteilung oder die Zuordnung von Produk-ten und Mitteln in den Kantonen Bern und Zürich seit Anfang 2011 wird in nächster Zukunft die Justiz beschäftigen. Ebenso ist festzustellen, dass die Gesetzgeber wie auch die Gerichte selbst keine Scheu (mehr) haben, das Wort „Leitung“ oder „Führung“ im Zusammenhang mit der Justiz zu ver-wenden. Diese Entwicklung mitzuverfolgen wird auch in Zukunft spannend sein.

Die Tendenz geht in den modernisierten Kantonen zur zentralen Führung in Bereichen, die die ganze Justiz betreffen, jedoch mit föderalen Eigenheiten und diversen Ausgestaltungsformen, von sehr strikt bis relativ schwach und einer entsprechenden Ausgestaltung an den einzelnen Gerichten.

Im Zuge dieser Entwicklung werden auch die einzelnen Richter vermehrt in die Pflicht genommen. Während im Kanton Aargau und Zürich von der „Pflichterfüllung“ gesprochen wird, werden im Kanton Bern eigentliche Beurteilungsgespräche durchgeführt. Diese Tendenz ist kritisch zu betrach-ten, insbesondere deshalb, weil Leistungsbeurteilungen an den persönlichen Stärken und Schwächen nichts ändern können. Selbst wenn ein Richter nicht besonders sorgfältig, sondern schlicht langsam arbeiten sollte und deshalb unterdurchschnittlich viele Fälle erledigt, so muss er sich nicht vorhalten

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Beurteilung der Leitung in den ausgewählten Kantonen

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lassen, er erfülle seine Pflicht nicht.1056 Auch stellt sich die Frage, welches genau das Ziel dieser Standort-Gespräche sein soll. Soweit es nämlich darum geht, die faire und kollegiale gemeinsame Bewältigung der Geschäftslast zu garantieren, sind die Erledigungszahlen sowie die Maximalwerte bezüglich der Verfahrensdauer mit Abstand erfolgversprechender.1057

Bei der NPM-Steuerung wurde festgestellt, dass insbesondere das System im Kanton Zürich mit dem generellen Verweis auf das CRG unglücklich er-scheint, wird damit doch auch die Erlös- und Wirkungsorientierung für die Justiz anwendbar, was aber nicht die Idee des Verfassungsgebers war.

1056 WITTRECK, Erledigungszahlen, Rz. 5. Dann hat die Wahlbehörde schlicht den fal-

schen Richter gewählt. 1057 Vgl. MOSIMANN, Schweiz, S. 11 und die Ausführungen vorne, S. 295 ff. bzw.

S. 303 ff.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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IX. Beurteilung der Justizorganisation im Bund

Beurteilung der Situation am Bundesgericht A.

1. Besonderheiten der Justizverwaltung am BGer

a) Leitungsorgane

Das BGerR nennt das erste Kapitel im ersten Titel „Leitungsorgane“. Diese Überschrift stellt eine Neuschöpfung im schweizerischen Recht dar. Im BGG finden sich die Bestimmungen zu diesen Organen unter der Überschrift „Organisation und Verwaltung“. Beim BGerR handelt es sich um ein Reg-lement, welches vom Bundesgericht selbst, genauer vom Gesamtgericht, ver-abschiedet wurde.

BGG und BGerR regeln die Leitungsorgane und ihre Aufgaben relativ aus-führlich und genau: Die Aufgabenverteilung zwischen den Leitungsorganen wird klar strukturiert.1058 Auffällig ist die personelle Vermischung der ver-schiedenen Organe: So ist der Präsident des Bundesgerichts gleichzeitig auch Präsident des Gesamtgerichts sowie der Verwaltungskommission.

b) Führungsinstrumente und Geschäftslast

Bei den Statistiken bezüglich der Geschäftslast fällt die Diversifikation der Daten je nach Adressat auf. So gestaltet sich die Informationspolitik kaska-denhaft: Während intern eine sehr hohe Transparenz bezüglich „sensibler“ Daten besteht, verflacht sich die Aussagekraft der zur Verfügung gestellten Daten, je öffentlicher der Kreis der Adressaten wird.1059 Zugriff auf die in-ternen Daten haben die Abteilungspräsidenten sowie die Verwaltungskom-mission.

Intern steht der Gesamtgerichtsleitung sowie den Abteilungspräsidenten eine Fülle von Informationen zur Verfügung, insbesondere über die Dauer der

1058 Vgl. zu den einzelnen Leitungsorganen und ihren Aufgaben vorne, S. 139 ff. 1059 Vgl. vorne, S. 152 ff.

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Beurteilung der Justizorganisation im Bund

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Verfahren sowie die Anzahl der erledigten Dossiers der einzelnen Richterin-nen und Richter. Ein Zugriff der Abteilungspräsidenten auf diese Informati-onen ist wichtig für die Zuteilung der Fälle auf die einzelnen Richter. Ebenso wird dem Abteilungspräsidenten ermöglicht, sich einen Überblick über die wichtigsten Daten seiner Abteilung und seiner Richter zu verschaffen.

Auch die monatliche Redaktionskontrolle dient dem internen Controlling. Sie liefert wichtige Hinweise über bereits entschiedene, aber länger als 3 Monate nicht redigierte Urteile.1060

c) Trennung der Gerichtsverwaltung von der Rechtsprechung

Mit dem BGG wurde eine eigentliche Dreiteilung der Kompetenzen auf die Leitungsorgane Gesamtgericht, Präsidentenkonferenz und Verwaltungskom-mission vorgenommen. Im OG war noch das Gesamtgericht für die „Erledi-gung von Angelegenheiten, welche die Organisation oder die Verwaltung des Gerichts betreffen“ für zuständig erklärt worden. Der Entscheid, die Jus-tizverwaltung von der Rechtsprechung soweit möglich funktional zu trennen, wurde vom Gesetzgeber getroffen.

2. Beurteilung der Justizverwaltung am Bundesgericht

a) Stärkung der Justizverwaltung durch BV und BGG

Die ausdrückliche Festschreibung der Justizverwaltung in der BV zeugt vom Willen des Verfassungsgebers, die dritte Gewalt in ihrer Eigenständigkeit zu sichern und zu stärken. Mit Art. 13 BGG, welcher den Grundsatz der Selbst-organisation und Selbstverwaltung des Bundesgerichts festschreibt, trat 2007 gestützt auf den neuen Art. 188 Abs. 3 BV eine neuartige Bestimmung in Kraft, welche die allgemeine Gerichtsautonomie des höchsten Schweizer Gerichts massgebend stärkt. Es scheint der allgemeine Konsens der Regie-rung und des Parlaments zu sein, dass die schweizerische Justiz auf Bundes-ebene so eigenständig wie möglich arbeiten soll. Die Bestimmung in Art. 13

1060 Vgl. vorne, S. 152 ff.

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BGG dient auch der Fortsetzung der beim Bundesgericht bereits in den Neunzigerjahren begonnenen Reorganisation zur Effizienzsteigerung durch die Professionalisierung des Gerichtsmanagements. Im Bericht über Zwi-schenergebnisse der Evaluation der neuen Bundesrechtspflege wird nun be-reits eine „spürbare“ Entlastung des Bundesgerichts attestiert.1061

Es lässt sich somit feststellen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der neuen rechtlichen Grundlagen grossen Wert auf eine umfassende gesetzliche Grundlage der Justizverwaltung legte. Insbesondere geht die heute geltende Fassung von Art. 188 Abs. 3 BV inhaltlich über den unter dem OG gelten-den Zustand hinaus.1062 Im Bereich der Justizverwaltung wurde mit der Jus-tizreform ein wichtiger Schritt in Richtung der auch gesetzlich ausdrücklich festgehaltenen justiziellen Selbständigkeit gemacht.

b) Klare Aufteilung der Kompetenzen der Leitungsorgane und die

Trennung von Rechtsprechung und Justizverwaltung

Sowohl das BGG als auch das BGerR beschäftigen sich ausführlich mit den Leitungsorganen und ihren Aufgaben. Das Bundesgericht nahm die Reform seiner gesetzlichen Grundlagen zum Anlass, eine umfassende Nachführung bzw. Neuordnung vorzunehmen. Am ausführlichsten regelt das BGG die Verwaltungskommission in Art. 17 BGG. Die Verwaltungskommission scheint ihre Rolle gefunden zu haben. Von grosser Wichtigkeit ist, dass die Verwaltungskommission als Organ akzeptiert und als Ansprechperson und als Vertreterin gegen aussen wahrgenommen wird. Daher ist darauf zu ach-ten, dass der Präsident der Verwaltungskommission, welcher gleichzeitig Präsident des Bundesgerichts sowie des Gesamtgerichts ist, über grösstmög-liche Akzeptanz und Ansehen verfügt und die Anliegen der Justiz als seine eigenen betrachtet und entsprechend verteidigt.

Das Präsidium des Gerichts erfüllt seine Aufgabe m.E. sehr gut. In den letz-ten Jahren wurde das Bundesgericht vermehrt auch öffentlich wahrgenom-men. Die explizit gesetzlich festgehaltene Möglichkeit der Wiederwahl des

1061 Bericht Evaluation, 4838 und 4843. 1062 Botschaft Totalrevision, 4247; KISS/KOLLER, SGK zu Art. 188 BV, Rz. 29.

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Beurteilung der Justizorganisation im Bund

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Präsidiums soll die Funktion des Präsidiums stärken und die Dauerhaftigkeit der Führung gewährleisten sowie die Konstanz in der Führung erhöhen.1063 Damit besteht eine grössere Chance, auch über die relativ kurze Amtsdauer von zwei Jahren die Kontinuität und damit das Führungswissen zu wahren. Dadurch wird der Wandel in der Vorstellung der Besetzung des obersten Gremiums des Bundesgerichts sichtbar: Bisher wurde in einem steten Wech-sel alle zwei Jahre das Präsidium und Vizepräsidium in der Rangfolge der Anciennität neu bestellt. Neu wird der Führungsaufgabe, welche das Amt mit sich bringt, mehr Gewicht beigemessen. Diese soll auch von der Recht-sprechungsaufgabe klar getrennt sein.1064 Es ist anzunehmen, dass dies ein sehr vorausschauender Entscheid des Gesetzgebers war, welcher in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird.

Gleichzeitig soll die Beschränkung der Wiederwahlmöglichkeit der Macht-brechung dienen sowie eine zu grosse Distanz von der Rechtsprechung als eigentlicher richterlicher Tätigkeit verhindern.1065 Die Zuteilung des Präsi-denten zu einer Abteilung ist hingegen kritisch zu würdigen: Die präsidiale Aufgabenerfüllung ist schon zeitlich schwer vereinbar mit der Tätigkeit als Richter, es sei denn, man nehme Funktionsstörungen im Arbeitsablauf der Abteilung in Kauf. Dies soll und kann auf Dauer jedoch nicht der Sinn des Amtes eines Gerichtspräsidenten sein. Es wäre wünschenswert, dass der Präsident zumindest von der Tätigkeit als Richter einer Abteilung umfassend entlastet wird. Es ist jedoch auch möglich, dass die Funktion des Präsidiums eine Vollzeitstelle einnehmen könnte. Diesfalls müsste eine Suspension von den Aufgaben eines normalen Abteilungsrichters möglich sein.

Für die Durchführung von Plenarsitzungen des Gesamtgerichts besteht seit dem Erlass der erforderlichen Reglemente nur noch selten Anlass, etwa ein

1063 Botschaft Totalrevision, 4283. 1064 Parlamentarische Debatte zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, Frühjahrsses-

sion 2005, AB 2005 S 119. 1065 Bericht zu den Normvorschlägen der Arbeitsgruppe Bundesgerichtsgesetz vom

16. März 2004, abrufbar unter http://www.bj.admin.ch/content/bj/de/home/themen/ staat_und_buerger/gesetzgebung/abgeschlossene_projekte0/bundesrechtspflege. html, zuletzt besucht am 14. Oktober 2013, S. 8 f.

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Mal pro Jahr. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass die Bedeutung des Gesamt-gerichts, des an sich obersten Organs des Bundesgerichts stark nachgelassen hat und sich heute neben der Wahlkompetenz im Wesentlichen auf die Ver-abschiedung des Geschäftsberichts beschränkt. Diese Entwicklung entspricht der durch das Gesetz und das Reglement vorgesehenen neuen Kompetenz-verteilung und der gewollten Entlastung der einzelnen Richter von verwal-tungstechnischen Aufgaben. Ebenso ist die Entscheidung, kleinere und ins-besondere andere Organe als die Gesamtheit der Richter mit solchen Aufga-ben zu betrauen, sehr zu begrüssen.

Die bereits umschriebene Trennung der Kompetenzen von Präsidentenkonfe-renz und Verwaltungskommission sollte eine spürbare Entlastung des ein-zelnen Richters von den Nicht-Rechtsprechungsaufgaben bringen. Diese Trennung von Rechtsprechung und Justizverwaltung erfährt eine gewichtige Einschränkung, indem der Präsident des Bundesgerichts neben dem Ge-richtspräsidium auch den Vorsitz im Gesamtgericht und in der Verwaltungs-kommission führt. Er ist damit Präsident von drei der vier Leitungsorgane; einzig in der Präsidentenkonferenz hat er nur beratende Funktion und Stim-me. Diese starke Einbindung des Gerichtspräsidenten soll eine einheitliche Führung des Bundesgerichts sicherstellen. Durch die Personalunion des Prä-sidenten der wichtigsten Leitungsorgane wird der Informationsfluss zwi-schen letzteren und eine einheitliche inhaltliche Linie der entsprechenden Organe gefördert. Jedoch ist schwer erkennbar, warum der Gerichtspräsident nicht auch den Vorsitz in der Präsidentenkonferenz innehaben sollte.

c) Unklarheiten bei der Präsidentenkonferenz

Ursprünglich war eine Präsidentenkonferenz gar nicht vorgesehen, sie wurde erst durch die Arbeitsgruppe Bundesgericht eingefügt, weshalb sich das Par-lament nicht mit der entsprechenden BGG-Bestimmung beschäftigte. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Aufgaben und die Stellung der Präsiden-tenkonferenz bis heute relativ unklar geblieben sind. URSPRUNG/RIEDI HU-NOLD vertreten die Ansicht, dass ein Abteilungspräsident in der Präsidenten-konferenz „seine persönliche Meinung“ vertrete und bei wichtigen Entschei-dungen „die Meinung des Abteilungskollegiums einholen werde“. Weiter sei das Abteilungspräsidium nicht an Instruktionen gebunden: das Organ heisse

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Beurteilung der Justizorganisation im Bund

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ja Präsidenten- und nicht Abteilungskonferenz. Weiter bezeichnen sie die Präsidentenkonferenz als „Konsultativorgan“.1066

Die Präsidentenkonferenz hat die Aufgabe, koordinationsbedürftige Themen aufzugreifen und diese der Behandlung durch die Vereinigten Abteilungen zuzuführen. Auch die Kompetenz zum Entscheid von Präjudizien und Pra-xisänderungen liegt bei den Vereinigten Abteilungen. Diese Aufgabentei-lung erscheint ambivalent, da diese Zweiteilung träge und alles andere als zwingend erscheint, würde doch mit der Präsidentenkonferenz ein kleines und kompetentes Organ zur Verfügung stehen, welches einfacher zu einer Entscheidung gelangen könnte. Der Entscheid des Gesetzgebers erscheint unglücklich. So wollte man einerseits mit der Schaffung von Verwaltungs-organen die Richter von justizverwaltungstechnischen Fragen entlasten; nun schafft man aber andererseits mit der Vereinigung der betroffenen Abteilun-gen ein Organ, welches sehr aufwendige Verfahren generiert und relativ träge funktioniert. Dies erscheint wenig effizient und insbesondere deshalb nicht angebracht, weil die Präsidentenkonferenz generell für die Koordinati-on der Rechtsprechung verantwortlich zeichnet. Der Entscheid des Gesetz-gebers, alle Richter einzubinden, scheint aus der falschen Sorge erwachsen zu sein, den Abteilungspräsidenten keine besondere Stellung zu verschaffen und sie als primus inter pares zu belassen. Vertrauen in die Abteilungspräsi-denten wäre jedoch angebracht. Im Sinne der angestrebten Entlastung der Richter von zeitaufwendigen Aufgaben und der konsequenten Zuteilung der Koordinationskompetenz an die Präsidentenkonferenz hätte sich eine auch auf die Präjudizien und Praxisänderungen erstreckende Kompetenz der Prä-sidentenkonferenz geradezu aufgedrängt.

Die Einschätzung von URSPRUNG/RIEDI HUNOLD erscheint nicht nachvoll-ziehbar: Weshalb sollte ein „Leitungsorgan“ geschaffen werden, wenn es dann doch nur die Rolle eines „Konsultativorgans“ einnehmen soll und die Abteilungspräsidenten dort ihre persönliche Meinung vertreten würden? Denn die vom Gesetz klar umschriebene Aufgabe ist eine sehr wichtige: Die Koordination der Rechtsprechung unter den Abteilungen. Eine solche ist von vornherein nur möglich, wenn ein Abteilungspräsident seine Abteilung ver-

1066 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 16, Rz. 4.

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tritt. Ebenso ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber wollte, dass die Präsiden-ten der Abteilungen auch in dieser Funktion an der Konferenz teilnehmen und nicht als „normale“ Richter. Andernfalls ist eine Koordination der Rechtsprechung über die Abteilungen hinweg unmöglich und das Organ der Präsidentenkonferenz wäre sinnlos, weil aufgabenlos. Auch die Begründung, dass das Organ Präsidenten- und nicht Abteilungskonferenz heisse, vermag nicht zu überzeugen. Im Gegenteil lässt sich argumentieren, dass gerade die Bezeichnung als Präsidentenkonferenz darauf hindeutet, dass der Gesetzge-ber die Präsidenten in ihrer Funktion als Präsidenten ihrer Abteilung in die Konferenz berufen hat. Eine Abteilungskonferenz würde sodann eine Mit-wirkung aller Richter der Abteilung im Organ implizieren.

Der Ausführung von URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, „dass die Präsidentenkon-ferenz ausserdem dem „Gedankenaustausch“ diene, welcher sich auch auf die Abteilungsführung beziehe“1067, kann ebenfalls nur bedingt zugestimmt werden: Die Aufgabe der Präsidentenkonferenz besteht gemäss Gesetz in der Erarbeitung der Koordination der Rechtsprechung. Ein Gedankenaustausch der Präsidenten in Bezug auf ihre Abteilungsführung ist weder im Gesetz noch im Reglement vorgesehen, während ein Gedankenaustausch in Bezug auf die Rechtsprechung durchaus im Sinne des Gesetzes ist. Es ist den Auto-ren zuzustimmen, dass sich die Präsidenten in der Praxis höchstwahrschein-lich über beides austauschen. Ein solcher Austausch ist von grossem Nutzen für die Abteilungen und aus diesem Grund sehr begrüssenswert. Ebenfalls ist festzuhalten, dass als Gefäss für einen solchen Austausch unter den Abtei-lungspräsidenten die Präsidentenkonferenz durchaus das richtige Gremium darstellt.

d) Die Abteilungspräsidenten als „inoffizielle“ Leitungsstruktur

Die abschliessende Aufzählung der Leitungsorgane in BGG und BGerR lässt darauf schliessen, dass sowohl der Gesetzgeber als auch das Bundesgericht selbst die Regelung der Justizverwaltung als wichtig ansahen und daher eine umfassende gesetzliche Regelung der vier Leitungsorgane schufen.

1067 URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 16, Rz. 5.

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Die Regelung der Abläufe innerhalb des Gerichts, die Bewältigung des Ar-beitsalltags in den Abteilungen, war hingegen nicht vordringlich, da das Ge-richt ja bereits vor der Gesetzesreform bestand. Aus dieser Perspektive lässt sich erklären, warum Gesetz und Reglement die Abteilungspräsidenten in ihrer Funktion als Präsidentenkonferenz als „Leitungsorgan“ bezeichnen, die Stellung und die Aufgaben der einzelnen Abteilungspräsidenten jedoch nur rudimentär umschreiben: Bei der Aufzählung der Befugnisse wird in Gesetz und Reglement auf die grosse Bedeutung der Präsidenten als Instruktions-richter und für die Bildung der Spruchkörper der Abteilung eingegangen. Zwar äussern sich BGG und BGerR nicht zur Rolle der Abteilungspräsiden-ten bei der Leitung der Abteilung bzw. ihrer Richter; aus der Zuständigkeit zur Zuteilung der Fälle und Referate auf die einzelnen Richter der Abteilung ergibt sich jedoch, dass der Abteilungspräsident faktisch über eine wichtige Führungsposition verfügt. Gesetzlich oder reglementarisch festgelegt ist eine solche Führungsposition hingegen nicht. Es finden sich keine aussagekräfti-gen Bestimmungen, weder im Gesetz noch in den Reglementen. Ebenso gel-ten die Abteilungspräsidenten nicht als (Leitungs-)Organe. Diese Diskrepanz von faktischer Leitung und rechtlicher Nichtregelung erstaunt umso mehr, als die Abteilungspräsidenten verantwortlich sind für die Geschäftslastbe-wirtschaftung und die Rechtsprechung ihrer Abteilung. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die bereits vorhandenen Strukturen auch im Gesetz ihren Nie-derschlag gefunden hätten, zumindest aber im BGerR aufgenommen worden wären, welches ja von den Richtern selbst erlassen wurde. Warum dies nicht geschehen ist, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Es lässt sich aber denken, dass es das Bundesgericht schlicht nicht für nötig befunden hat, im Reglement festzuschreiben, was in der alltäglichen Praxis funktioniert.

Die Abteilungspräsidenten stellen demnach mit ihren Aufgaben die Schnitt-stelle zwischen Rechtsprechung und Justizverwaltung dar, ihre Aufgaben sind rechtsprechungsnaher und gleichzeitig verwaltender Natur. Auf der Stufe der Abteilungen findet sich demgemäss eine Auflösung der durchge-henden Trennung von Rechtsprechungs- und Verwaltungsaufgaben auf der Ebene der Leitungsorgane. Während auf Stufe des Gerichts die Trennung von Rechtsprechung und verwaltenden Tätigkeiten durchaus ihre Berechti-gung hat, ist eine solche auf der Stufe der Abteilungen wenig sinnvoll: Das Amt des Abteilungspräsidenten beinhaltet insbesondere die Geschäftszutei-lung und die Beaufsichtigung der Geschäftslastbewirtschaftung. Durch die

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Fallzuteilung auf „seine“ Richter hat der Abteilungspräsident indirekt Ein-fluss auf die Spruchkörper und damit auf die Rechtsprechung. Auf der ande-ren Seite ist ein Grossteil seiner Aufgaben verwaltender Natur. Insofern ist die Trennung von Rechtsprechung und verwaltenden Tätigkeiten auf der Stufe der Abteilungspräsidenten weder realistisch noch sinnvoll. Im Gegen-teil ist es sehr zu begrüssen, dass auf der Stufe der Abteilungen ein Lei-tungsorgan besteht, welches die Schnittstelle für Rechtsprechung und Justiz-verwaltung bildet. Für die Erfüllung der Aufgaben sind die Abteilungspräsi-denten auf ein umfassendes Wissen bezüglich der Belastungssituation und der Fähigkeiten der einzelnen Richter angewiesen. Es empfiehlt sich daher de lege ferenda, die wichtige Position der Abteilungspräsidenten und ihrer faktischen Verantwortung auch in den rechtlichen Grundlagen zu verankern und ihnen ihre Arbeit durch entsprechende Führungskompetenzen zu er-leichtern.

Durch das Zugänglichmachen der entsprechenden Statistiken erhält der Ab-teilungspräsident Einblick in sensible Daten: Er kann insbesondere die „Pro-duktivität“ der einzelnen Richter anhand der Fallzahlen erkennen. Daher ist von grösster Bedeutung, dass der Abteilungspräsident über eine hohe Aner-kennung und über den grösstmöglichen Respekt und die Akzeptanz seiner Richter verfügt. Das Klima muss von gegenseitigem Vertrauen und Ver-ständnis geprägt sein, damit ein Abteilungspräsident in der Lage ist, Einfluss auf die Richter zu nehmen. Der Umstand der bis heute ungewichteten Statis-tiken zur Geschäftslast verlangt vom Abteilungspräsidenten sodann, dass er sich selbst einen Überblick über den hypothetischen Aufwand der jeweiligen Fälle verschafft, oder dass er mit den entsprechenden Richtern in stetigem Kontakt bezüglich ihrer Arbeitsbelastung steht. Bei einer Selbsteinschätzung der Richter besteht aber auch die Gefahr, dass die subjektive Wahrnehmung der eigenen Belastung nicht objektiv ist und sich jemand über- oder auch unterschätzt. Dass die Einschätzung durch den Abteilungspräsidenten, zu-sammen mit der Fallverteilung und den weiteren administrativen Arbeiten, einen enormen Aufwand bedeutet, welcher kaum mittels Entlastung von eigenen Fällen ausgeglichen werden kann, darf hier angenommen werden. Damit ist das Amt des Abteilungspräsidenten von vornherein ein Amt, wel-ches mit einer erhöhten Arbeitsbelastung einhergeht.

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Bezüglich einer allfälligen zu erlassenden gesetzlichen Regelung ergibt sich aus dem Grundsatz der Justizverwaltung, dass das Gericht über eine eigen-ständige Organisationskompetenz verfügt, wenn das Gesetz sich nicht äus-sert. Art. 27 BGerR besagt sogar ausdrücklich, dass sich die Abteilungen vorbehältlich Gesetz und Reglement selbst organisieren. Aus diesem Grund-satz lässt sich eine Kompetenz der jeweiligen Abteilung ableiten, in ihrem Reglement eigenständige Regelungen bezüglich der Stellung des Abteilungs-präsidenten aufzustellen. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, dass eine Rege-lung für das gesamte Gericht, welches die Stellung aller Abteilungspräsiden-ten einheitlich regeln würde, zu bevorzugen wäre, weil damit einheitliche Aufgaben für alle Abteilungspräsidenten festgelegt werden könnten.

e) Geschäftslast, Statistiken und ihre Gewichtung

Die Geschäftslastbewirtschaftung am Bundesgericht zeigt sich als einge-spielter Vorgang. Bei der Zuteilung der Fälle haben die Abteilungspräsiden-ten einen grossen Einfluss auf die Rechtsprechung und gleichzeitig auf die Arbeitslast der einzelnen Richter. Die Statistiken, die intern für die Gerichts-leitung und die Abteilungspräsidenten zugänglich sind, geben Auskunft über alle wichtigen Kennzahlen. So kann ein Abteilungspräsident insbesondere in Erfahrung bringen, wer von seinen Richtern wieviele pendente Fälle hat und in welchem Verfahrensstadium diese sich befinden. Ebenso kann er einse-hen, wieviele Fälle die einzelnen Richter bereits erledigt haben. Diese In-formationen sind von Bedeutung für eine faire und gleichzeitig der jeweili-gen Belastung angemessene Geschäftslastverteilung und eine allfällige Leis-tungsbeurteilung der Richter. Da jedoch die Fälle am Bundesgericht nicht in einem System der gewichteten Geschäftslast erfasst werden, wird das Bild der in der Statistik erledigten oder pendenten Fälle immer ein unvollständi-ges, wenn nicht gar ein verzerrtes sein: Die Fälle werden erstaunlicherweise nicht gemäss ihrem tatsächlichen bzw. annehmbaren Aufwand erfasst, son-dern es erscheinen alle Fälle als „ein“ Fall. Dies bedeutet, dass ein Abtei-lungspräsident anhand der vorliegenden Zahlen nicht einschätzen kann, wie stark seine Richter belastet sind. Da in den Kantonen das Instrument der

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gewichteten Geschäftslast teilweise eingesetzt wird, ist erstaunlich, dass das Bundesgericht bis anhin über kein solches System verfügt.1068 Das „langfris-tig angelegte Projekt zur internen Gewichtung der Fälle wurde mangels zu-verlässiger Grunddaten vorläufig eingefroren“.1069 Dennoch ist das Grund-problem weiter existent: Nicht alle Fälle verursachen denselben Aufwand. Um die Fallzuteilung bzw. die vorhandenen Ressourcen sachgerecht auf die Abteilungen und die einzelnen Richter aufzuteilen, bedarf es aber zwingend einer Vorstellung, wie viel Zeit ein Fall in einer Fallkategorie eines Rechts-gebietes durchschnittlich beansprucht. Eine solche Einschätzung ist insbe-sondere wichtig für die Erhaltung des guten Arbeitsklimas innerhalb des Gerichts.1070 Bis anhin basierte die Einschätzung der Geschäftslast am Bun-desgericht auf der von LIENHARD als Variante eins der aufgeführten Schät-zung.1071

Normalerweise vermögen gewichtete Statistiken ein genaueres Bild der Fälle zu vermitteln als ungewichtete. Bereits eine Einteilung in vergleichbare Fallkategorien wäre ein erster Schritt zu einer besseren Einschätzung des voraussichtlichen Arbeitsaufwandes. Es wäre wünschenswert, dass das oberste Gericht die Einführung eines solchen Systems ins Auge fassen wür-de. In jedem Fall sind die heute bereits vorhandenen Statistiken und die darin enthaltenen Informationen für die Justizverwaltung des Bundesgerichts von Bedeutung. Die schon beschriebene kaskadenförmige Information (je öffent-licher das Publikum, desto allgemeiner die Statistik) erscheint sinnvoll und angemessen.

1068 Vgl. den Geschäftsbericht des Jahres 2010 des Bundesgerichts, abrufbar unter

http://www.bger.ch/index/federal/federal-inherit-template/federal-publikationen/ federal-pub-geschaeftsbericht.htm, S. 10.

1069 Vgl. vorherige Fussnote. 1070 Vgl. für die verschiedenen Arten einer Gewichtung der Geschäftslast LIENHARD,

Justizmanagement, Rz. 61 ff. 1071 LIENHARD, Justizmanagement, Rz. 61 und Rz. 62.

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f) Mangelhafte Führungsinstrumente

Am Bundesgericht gibt es zwar Führung, insbesondere werden die Leitungs-organe und ihre Aufgaben in den rechtlichen Grundlagen eingehend gere-gelt. Hingegen werden den Leitungsorganen keine handfesten Instrumente zur Hand gegeben, mit welchen sie allenfalls Fehlentwicklungen begegnen oder solchen vorbeugen könnten. Generell werden nur die von den Organen zu erfüllenden Aufgaben dargestellt, es wird aber nirgendwo gesagt, wie diese Aufgaben zu erledigen sind. Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers lässt sich – zumindest teilweise – durch die Sorge um die Unabhängigkeit der dritten Gewalt erklären. Insbesondere auf der Stufe der Abteilungen wäre eine Führung durch die Abteilungspräsidenten, welche auch gesetzlich ver-ankert werden könnte, sehr wünschenswert.

g) Controllingverordnung

In der Literatur wird vereinzelt die Bestimmung der Richterstellenverord-nung zum Controlling kritisiert. Sie wird als zumindest unangebrachter, wenn nicht sogar unzulässiger Eingriff in die Selbstverwaltung des Bundes-gerichts angeschaut.1072

LIENHARD hingegen geht davon aus, dass das konstruktive Verhältnis zwi-schen Bundesgericht und Parlament für das Zustandekommen des gemein-samen Controlling-Konzepts durchaus beachtlich war. Dieses wurde im Rah-men einer gemeinsamen Arbeitsgruppe erarbeitet. Er ist der Ansicht, dass es sich beim Controllingkonzept um ein „wohlverstandenes kooperatives Ge-waltenteilungsverhältnis“ handelt.1073

1072 NAY, Bundesgericht, S. 569 f., wobei sich seine Aussage auf die noch anders lau-

tende Fassung des Entwurfs zur Verordnung bezog; URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, BGG-Kommentar zu Art. 13, Rz. 5.

1073 Vgl. LIENHARD, Controlling, Rz. 14 ff. Insbesondere hebt LIENHARD hervor, dass durch die abgestufte Informationspolitik dem Spannungsverhältnis der verschiede-nen Verfassungsvorgaben optimal Rechnung getragen wird (LIENHARD, Control-ling, Rz. 15 ff).

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Gemeinsam mit RHINOW/SCHEFER ist davon auszugehen, dass es sich hier-bei um eine bedenkliche Entwicklung handelt. Wie bereits vorne umschrie-ben, geht die Ausgestaltung der Oberaufsicht in der Schweiz ziemlich weit, denn eigentlich hat die Oberaufsicht als Tendenzkontrolle keine Details zu kontrollieren.1074 Würde gemeinsam mit Raselli dafür plädiert, die Grenze des unantastbaren Kernbereichs weit zu ziehen, so wäre ein Controlling in der Form, wie es heute besteht, zumindest nicht mehr zulässig. Eine Über-prüfung des Kernbereichs inklusive des ganzen zur Entscheidung führenden Prozesses durch die Oberaufsicht führende Behörde wäre dann nicht mehr möglich. Im Grundsatz ist aber unbestritten, dass die Bundesversammlung im Rahmen der heutigen Oberaufsicht eine moderne und effiziente Ge-schäftstätigkeit vom Bundesgericht erwarten darf.1075 Hingegen muss zu-mindest der Entscheid über die konkreten Massnahmen dem Bundesgericht selbst zustehen, da dies einen fundamentalen Anteil seiner Selbstverwal-tungskompetenz betrifft.1076 Da die Controllingverordnung die nähere Aus-gestaltung dem Gericht überlässt, bleibt sie im Rahmen der Verfassung.1077

3. Fazit

Mit der heutigen Anzahl Richter weist das Bundesgericht eine führbare Grösse auf, bei der die Einheit der Rechtsprechung gewährleistet bleiben kann.1078 Auch erscheint das Bundesgericht gut organisiert und verwaltet. Es lässt sich feststellen, dass die Umsetzung der Justizverwaltung am Bundes-gericht den heutigen Anforderungen entsprechend verwirklicht wurde. Das Bundesgericht hat trotz der hohen Falllast und den hohen Erwartungen einen Weg gefunden, um damit umzugehen. Insbesondere wurden die Leitungsor-gane im Bundesgerichtsreglement ausführlich geregelt.

1074 Vgl. für das Bundesgericht Art. 26 Abs. 3 ParlG sowie vorne, S. 280. 1075 Vgl. auch Bericht Modernes Management, 7641 ff. 1076 Vgl. RHINOW/SCHEFER, Rz. 2916 und FELBER, Richterbild, S. 438. 1077 RHINOW/SCHEFER, Rz. 2916. Hingegen könnte man die Frage nach der genügenden

gesetzlichen Grundlage durchaus stellen. Nur schon im Sinne der Transparenz würde es sich empfehlen, das Controlling im BGG festzuhalten.

1078 KOLLER, BGG-Kommentar zu Art. 1, Rz. 127.

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Beurteilung der Justizorganisation im Bund

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Das Bundesgericht verfügt über eine extrem flache Führungshierarchie. Auf der Ebene der Bundesrichter stehen alle Richter auf der gleichen Stufe als „pari“.1079 Auch der Bundesgerichtspräsident ist einer unter Gleichen, jedoch hat er durch das Präsidium in drei von vier Leitungsorganen eine spezielle Stellung: Sein Wissen soll die Kontinuität in der Geschäftsleitung sowie in der Justizverwaltung sicherstellen.

Eine sachgerechte Führung des Gerichtsbetriebs benötigt ein aussagekräfti-ges Kontrollsystem. Die Verwaltungskommission und die Abteilungspräsi-denten verfügen intern über die notwendigen Daten, um das interne Control-ling sicherzustellen. Hingegen fehlen Führungsinstrumente vor allem auf der Ebene der Abteilungen. Das Fehlen gesetzlicher Grundlagen zu einer Lei-tung auf der Ebene der einzelnen Abteilungen lässt sich dadurch erklären, dass die Abteilungspräsidenten nicht als Leitungsorgane des gesamten Ge-richts zu qualifizieren sind. Dies sollte indessen kein Grund sein, um auf derjenigen Stufe, die sich am besten für eine konkrete, die rechtsprechungs-nahe Justizverwaltung betreffende Führung eignet, eine entsprechende Lei-tungsstruktur mit Führungsinstrumenten zu schaffen. Eine gesetzliche bzw. eine Regelung im Reglement wäre sehr begrüssenswert. Die Wichtigkeit des internen Controllings ist nicht zu unterschätzen, insbesondere bei einem höchstinstanzlichen Gericht.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das Bundesgericht die Zeichen der Zeit erkannt hat und sich eingehend um Transparenz und Effizienz sowohl gegen innen wie auch gegen aussen bemüht.

Beurteilung der Situation am Bundesverwaltungsgericht B.

1. Besonderheiten der Justizverwaltung am BVGer

a) Organe

Am Bundesverwaltungsgericht gibt es lediglich „Organe“, es wird weder auf Gesetzes-, noch auf Reglementsebene von Leitungsorganen gesprochen wie

1079 AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 25.

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beim Bundesgericht. Eine Führungsstruktur ist nicht vorgesehen. Der Präsi-dent des BVGers führt den Vorsitz im Gesamtgericht sowie in der Verwal-tungskommission.

b) Trennung der Gerichtsverwaltung von der Rechtsprechung

Mit der Dreiteilung der Kompetenzen auf Gesamtgericht, Verwaltungskom-mission und Präsidentenkonferenz wurde die Gerichtsverwaltung von der Rechtsprechung funktionell getrennt: Die Verwaltungskommission kümmert sich ausschliesslich um die Gerichtsverwaltung, während die Rechtspre-chung bzw. deren Koordination der Präsidentenkonferenz zugeordnet wurde. Das Gesamtgericht steht in der Hierarchie der Organe an erster Stelle. Seine Aufgaben scheinen sich jedoch hauptsächlich auf die Genehmigung des Ge-schäftsberichts zu beschränken.

c) Stellung und Aufgaben der Abteilungspräsidenten

Die Abteilungspräsidenten werden im VGG wie auch im VGR lediglich ganz am Rande erwähnt. Eine Befassung mit den Aufgaben der Abteilungs-präsidenten oder ihrer Stellung innerhalb der Abteilung sucht man verge-bens. Aus der – im Vergleich zur Regelung der Abteilungspräsidenten – aus-führlichen Bestimmung zu den Aufgaben der Kammerpräsidenten lässt sich immerhin ein Rückschluss auf die Aufgaben der Abteilungspräsidenten zie-hen, sind sie doch gleichzeitig Kammerpräsidenten einer Kammer ihrer Ab-teilung. So findet Art. 25 Abs. 5 VGR auch auf die Abteilungspräsidenten Anwendung.

2. Beurteilung der Justizorganisation am BVGer

a) Starke Justizverwaltung auf Ebene des gesamten Gerichts

Hinsichtlich der Justizverwaltung des BVGers lässt sich festhalten, dass diese auf der Ebene des Gerichts umfassend geregelt und gesichert ist. Der Eigenständigkeit in Sachen Verwaltung wurde bei der Schaffung des Ge-richts 2007 grosse Aufmerksamkeit gewidmet. Entsprechend verfügt das BVGer über fundierte Regelungen der Justizverwaltung.

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Beurteilung der Justizorganisation im Bund

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b) Das Gesamtgericht

Bei der Zusammenführung der ehemaligen Rekurskommissionen in das neue Gefäss eines einheitlichen Gerichts mit verschiedenen Abteilungen und Rechtsgebieten war das Organ des Gesamtgerichts unverzichtbar. Es hat als Gefäss für den richterlichen Austausch in den ersten Jahren des Bestehens mitgeholfen, eine Einheit zu formen. Damit hat das Gesamtgericht eine her-ausragende Bedeutung für die Konstituierung des Bundesverwaltungsge-richts eingenommen. Nun scheint jedoch diese erste Phase der Konstitutie-rung und der Einheitsfindung des Gerichts zu Ende zu gehen. Entsprechend stellt sich die Frage, wie sich die Position des Gesamtgerichts in Zukunft darstellen wird. Das Bedürfnis nach Sitzungen wird sich wohl eher abschwä-chen, weshalb sich eine Verminderung der Bedeutung des Gesamtgerichts abzeichnet. Als Wächterin über die allgemeine Situation des Gerichts und als Gefäss für den Austausch unter den Richtern wird das Gesamtgericht jedoch nach wie vor seine wichtige, wenn auch teilsweise informelle Rolle behalten.

Der Meinung von RYTER, wonach das Gesamtgericht durch seine Aufgaben „zum massgeblichen, weil richtungsweisenden Leitungsorgan“ wird, kann damit aber nicht – mehr – gefolgt werden.1080 Diese Leitungsfunktion hatte das Gesamtgericht in der ersten Phase der Konstituierung und des Zusam-menwachsens zweifellos inne, zumindest, was die verwaltungstechnische Seite beim Aufbau des Gerichts betraf, für die Zukunft ist aber eine gegen-teilige Einschätzung wahrscheinlicher. Ein Zurückgehen der Bedeutung des Gesamtgerichts ist indessen zu begrüssen: Die wichtigsten Grundlagen für das Funktionieren des Gerichts wurden mittlerweile geschaffen. Ebenso behält das Gesamtgericht mit der Wahlkompetenz und der Verabschiedung des Geschäftsberichts einen grossen Einfluss bei den wichtigen Entschei-dungen. Die Verlagerung von Verwaltungsaufgaben auf bedeutend kleinere Organe, welche aus wenigen Richtern bestehen, deren Aufwand für die Jus-tizverwaltung bei der Zuteilung von Fällen Rechnung getragen werden kann, kommt der gewollten Entlastung der Richter von administrativen Aufgaben entgegen. Auch scheint klar, dass das Gesamtgericht mit seinen mehr als

1080 Vgl. RYTER, S. 65.

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siebzig Richtern als zu gross und schwerfällig und damit als ungeeignet er-scheint, alltägliche Verwaltungsentscheidungen zu treffen.

c) Die Präsidentenkonferenz

Die Präsidentenkonferenz des Bundesverwaltungsgerichts hat gemäss den rechtlichen Grundlagen klare Kompetenzen. Ihre Hauptaufgabe, nämlich die Koordination der Rechtsprechung, erscheint auf den ersten Blick wichtig und umfassend. Jedoch werden zwei sehr wichtige Bereiche der Rechtspre-chung der Kompetenz der Präsidentenkonferenz entzogen: Bei Entscheiden über Praxisänderungen oder Präjudizien sind die jeweiligen Abteilungspräsi-denten zuständig. Sollten mehrere Abteilungen davon betroffen sein, so ist ein Beschluss der Vereinigung der betroffenen Abteilungen notwendig. Durch diese Regelung fallen genau die zwei bedeutsamsten Bereiche einer koordinierten Rechtsprechung von Anfang an nicht in die Kompetenz der Präsidentenkonferenz.1081

Führt man sich vor Augen, dass es sich beim Bundesverwaltungsgericht um ein Gericht handelt, welches aus einer Vielzahl von Kommissionen zusam-mengefügt wurde, so wird klar, welch wichtige Rolle die Präsidentenkonfe-renz im Zusammenspiel der Leitungsorgane wahrnehmen könnte.1082 Statt-dessen mehr als siebzig Richter über Praxisänderungen und Präjudizien ent-scheiden zu lassen, erscheint wenig durchdacht. Es würde sich anbieten, der Präsidentenkonferenz umfassendere Kompetenzen zuzugestehen.

d) Die Abteilungspräsidenten

Die Abteilungspräsidenten sind zuständig für die Verteilung der Geschäfte innerhalb ihrer Abteilung. Dabei benutzen sie den sogenannten „Bandlimat“, ein elektronisches Geschäftszuteilungsprogramm. Durch die Möglichkeit, manuelle Änderungen in der Zuteilung vorzunehmen, haben die Abteilungs-präsidenten eine verantwortungsvolle Aufgabe. Es ist Sache der Abteilungs-

1081 Vgl. dazu die Ausführungen beim Bundesgericht, S. 143 ff. 1082 RYTER, S. 67 f.

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präsidenten, für die Ausgleichung der Geschäftslast zu sorgen: Diesfalls haben sich die zuständigen Abteilungspräsidenten zu verständigen. Bei Mei-nungsverschiedenheiten entscheidet der Präsident des Gerichts. Diese Kom-petenz des Gerichtspräsidenten ist indessen nicht nachvollziehbar, da bei Fragen der Geschäftslast normalerweise die Verwaltungskommission zu-ständig ist. Auch bei dieser Grenzfrage zwischen Rechtsprechung und Jus-tizverwaltung wäre es wünschenswert, wenn die Verwaltungskommission bei Meinungsverschiedenheiten entscheiden könnte. Neben der Stellung und den Aufgaben in Bezug auf die Rechtsprechung wird jedoch weder im Ge-setz noch im Reglement auf weitere Aufgaben der Abteilungspräsidenten eingegangen.

Die fast vollständige Nichtregelung der Abteilungspräsidenten im VGG lässt den Schluss zu, dass bei der Konstituierung des Gerichts schlicht nicht daran gedacht wurde, dass die Abteilungspräsidenten eine grössere Führungsver-antwortung übernehmen könnten, da die grosse Herausforderung zunächst darin bestand, ein einheitliches Gericht zu schaffen. Der Fokus bei der Ent-stehung des BVGers lag denn auch auf einer möglichst umfassenden Rege-lung der Organe des Gesamtgerichts und der Verwaltungskommission. Da-neben wollte der Gesetzgeber dem neuen Gericht bzw. seinen Abteilungen eine grösstmögliche Organisations- und Verwaltungsfreiheit belassen.

Die Konsequenz dieser Nichtregelung ist, dass die Abteilungspräsidenten, obwohl sie faktisch die zentrale Führungsfunktion in ihrer Abteilung aus-üben könnten und sollten, weder über Entscheidungsbefugnisse in formalen Fragen noch über eine Weisungskompetenz gegenüber den anderen Richtern verfügen. Wichtige Entscheidungen werden von den Richtern gemeinsam mittels Kammer- oder Abteilungsbeschlusses gefällt und können nicht ein-seitig durch den Präsidenten angeordnet werden. Die Kompetenzen der Ab-teilungspräsidenten liegen primär im administrativen und im personellen Bereich. Genau wie beim Bundesgericht ist diese Tatsache bedauernswert; man würde sich eine nicht nur faktische Führungsstruktur auf Abteilungs-ebene wünschen, insbesondere deshalb, weil es sich beim Bundesverwal-tungsgericht um das grösste schweizerische Gericht handelt und weil die

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Materien am Bundesverwaltungsgericht sehr vielfältig sind, weshalb eine Führung auf Abteilungsstufe noch wichtiger wäre.1083

e) Die Führungsinstrumente

Die rechtlichen Grundlagen äussern sich nicht zu allfälligen Führungsin-strumenten des Bundesverwaltungsgerichts. Hingegen hat das BVGer im Rahmen der Aufsicht durch das Bundesgericht einen Geschäftsbericht zu erstellen, welcher Auskunft über verschiedene Parameter gibt, insbesondere auch über die Gerichtsleitung und die Geschäftslastbewirtschaftung. Ebenso existiert ein gerichtsinternes Controlling, welches die notwendigen Daten zur Verfügung stellt.1084

3. Fazit

Das Bundesverwaltungsgericht existiert seit 2007. Es ist damit noch sehr jung. Ebenso handelt es sich nicht um ein organisch gewachsenes, sondern aus verschiedenen Institutionen zusammengefügtes Gericht. Dazu kommt, dass bei der Beratung der Gesetze BGG und VGG in den Räten oft nur die Organisationsstruktur des Bundesgerichts thematisiert wurde, und diese für das Bundesgericht gefundenen Lösungen dann ebenso ins VGG übernom-men wurden.1085 Es vermag daher kaum zu erstaunen, dass das Gericht und seine Mitarbeiter sich zunächst in der neuen Struktur zurechtfinden mussten und nicht alles von Anfang an reibungslos funktionieren konnte.1086

Bei der Schaffung des BVGers wurde das Augenmerk vor allem auf die gemeinsamen, abteilungsübergreifenden Organe gelegt, lag doch die grösste Herausforderung darin, aus den vielen eigenständigen Rekurskommissionen ein einheitliches, funktionsfähiges Gericht entstehen zu lassen.

1083 Vgl. für das Bundesgericht soeben, S. 344 ff. Es sei auf diese Ausführungen sinn-

gemäss auch für das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. 1084 Vgl. BANDLI, Effizienz, Rz. 5. 1085 BANDLI/KUHN, S. 38. 1086 Vgl. BANDLI/KUHN, S. 36.

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Beurteilung der Justizorganisation im Bund

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Das Gericht stellt mit seinen mehr als siebzig Richtern das grösste Gericht in der Schweiz dar. Auch hat das BVGer Fälle aus verschiedensten Rechtsge-bieten zu beurteilen, was eine einheitliche Rechtsprechung schwierig macht. Sodann gestaltet sich eine gerechte und effiziente Aufteilung der notwendi-gen Ressourcen auf die Abteilungen relativ kompliziert, zumal die behandel-ten Fälle bis heute nicht im Sinne einer gewichteten Geschäftslast erfasst werden und daher nicht objektiv bestimmt ist, wieviel Aufwand bzw. Res-sourcen ein Fall einer bestimmten Fallkategorie benötigt. Eine solche ge-wichtete Geschäftslast ist dem Bundesverwaltungsgericht wärmstens zu empfehlen.

Im Allgemeinen erscheint das Gericht gut organisiert und verwaltet. Aller-dings verfügt das BVGer über eine sehr flache Führungshierarchie. Dies erscheint bei einem Gericht dieser Grösse problematisch, insbesondere auf der Stufe der relativ grossen und sehr heterogenen Abteilungen würde man sich eine effektive und auch gesetzlich verankerte Leitung wünschen. Das Fehlen dieser gesetzlichen Grundlagen lässt sich aus der primären Optik des Gesetzgebers, die Einheit des Gerichts durch gemeinsame Organe zu för-dern, erklären. Ebenso würde eine Hervorhebung der Abteilungspräsidenten das Prinzip der Gleichheit und der Kollegialität der Richter in Frage stellen. Dies wollte der Gesetzgeber offensichtlich nicht.

Ein Gericht dieser Grösse benötigt auch auf Abteilungsebene eine eigent-liche Führung. Das vorhandene Kontrollsystem sollte von den Leitungsorga-nen wie auch von den Abteilungspräsidenten dazu genutzt werden, die Daten und Statistiken, welche zur Verfügung stehen dafür zu gebrauchen, dass die notwendigen Erledigungszahlen definiert und erreicht werden. M.E. ist am Bundesverwaltungsgericht eine Gewichtung der Geschäftslast und eine ent-sprechende Aufteilung der Ressourcen unbedingt notwendig, da durch die Unterschiedlichkeit der Fälle ein Vergleich bei der Fallerledigung heute kaum möglich erscheint und dadurch auch nicht ersichtlich ist, ob die Abtei-lungen richtig organisiert sind, d.h. ob sie mit der notwendigen Anzahl Rich-ter und Gerichtsschreiber besetzt sind.1087

1087 Gl.M. BANDLI, Effizienz, Rz. 5.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Nun, da das Gericht seit fast sieben Jahren besteht und die alltäglichen Ab-läufe geregelt und eingespielt sind, wäre es an der Zeit, die Organisation am Bundesverwaltungsgericht neu zu strukturieren. Dabei sollte insbesondere auch die Führung auf Stufe der Abteilungen überdacht und allenfalls neu gestaltet werden.

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Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht

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X. Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht

Das Bundesgericht als Beispiel A.

In der Folge soll anhand des Bundesgerichts beispielhaft eine Möglichkeit einer verstärkten Führung dargestellt werden. Es handelt sich dabei um einen Vorschlag für die Umsetzung bei ungefähr gleich grossen oder grösseren Gerichten. Bei sehr kleinen Gerichten stellt sich die Frage nach der grund-sätzlichen Notwendigkeit einer formellen Führung.1088

Im Folgenden soll die Idee einer kaskadenhaft ausgestalteten Führungsver-antwortung, demnach einer Führungskaskade dargestellt werden. Insbeson-dere sollen die verschiedenen „Organe“ je in ihrem Bereich einen Teil der Führungsverantwortung übernehmen und so zu einer effizienten und guten Rechtsprechung beitragen. Dabei soll ähnlich dem Subsidiaritätsprinzip der jeweils „kleinsten“ Einheit die grösstmögliche Führung und Verantwortung gegeben werden.

Führung durch den Vorsitzenden des Spruchkörpers als erste B.Stufe der Kaskade

Weder im BGerR noch im BGG findet sich eine Bestimmung zum Vorsit-zenden des Spruchkörpers (Referenten). Hingegen folgt aus Art. 32 Abs. 1 BGG, dass der Abteilungspräsident normalerweise die Instruktion der Ver-fahren durchführt.1089 Das Gesetz spricht also ausdrücklich von einer Leitung des Verfahrens bis zum Entscheid. Neben dieser Verantwortung für den Pro-zess könnte der Referent auch eine Führungsaufgabe in Bezug auf die weite-

1088 Vgl. Fn. 837. 1089 „Der Präsident oder die Präsidentin der Abteilung leitet als Instruktionsrichter

beziehungsweise Instruktionsrichterin das Verfahren bis zum Entscheid; […].“ Diesfalls wäre der Abteilungspräsident auch Referent. Der Abteilungspräsident kann diese Aufgabe aber auch an einen anderen Richter delegieren, was in der Pra-xis rege genutzt wird, weil die Anzahl der Verfahren schlicht zu gross ist, als dass der Abteilungspräsident selbst alle Fälle führen könnte.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

360

ren Richter des Spruchkörpers haben: Insbesondere sollte er darum bemüht sein, dass alle Richter die Fälle so rasch wie möglich behandeln und dass das Beschleunigungsgebot eingehalten wird. In der heutigen Situation verfügt der Referent über keine bzw. nur informelle Möglichkeiten, um seine Mit-richter zur Eile anzuhalten.

Eine rechtliche Grundlage, wonach dem Referenten eine solch wichtige lei-tende Funktion zugestanden wird, besteht zur Zeit nicht. Heute haben die Präsidenten der Abteilungen zu den Sitzungen einzuladen, falls eine mündli-che Beratung stattfindet.

De lege ferenda wäre dem Bundesgericht die Aufnahme einer entsprechen-den Bestimmung ins Bundesgerichtsreglement zu empfehlen, z.B., dass das Instruktions- wie auch das weitere Verfahren unter der Leitung des Vorsit-zenden des Spruchkörpers steht. Ein eigentliches Weisungsrecht scheint hin-gegen nicht notwendig.1090 Ebenso könnte man sich alternativ vorstellen, dass die Abteilung sich selbst gewisse Fristen setzt, welche bei der Behand-lung eines Falles einzuhalten sind. Werden diese überschritten, so könnte der Vorsitzende des Spruchkörpers auf der schnellstmöglichen Behandlung des Falles bestehen. Ein rechtlich durchsetzbarer Zwang ist jedoch abzulehnen.

Führung durch die Abteilungspräsidenten als zweite Stufe der C.Kaskade

Eine gewisse faktische Führung innerhalb der Abteilungen am Bundesge-richt besteht durch die Abteilungspräsidenten.1091 Die Abteilungspräsidenten haben die Zuteilung der Fälle und Referate auf die einzelnen Richter, die Bildung der Spruchkörper und die Aufgaben in der Instruktion wahrzuneh-men. Eine Führungsperson sollte – wie bereits mehrfach dargestellt – auch über entsprechende Führungsmittel verfügen, damit sie im Falle eines Pen-denzenberges geeignete Massnahmen treffen kann, um entgegenzuwirken.

1090 Vgl. sogleich die Kaskaden zwei und drei, wonach die Verfahrenszeiten durch die

Präsidentenkonferenz festgelegt und durch die Abteilungspräsidenten zu kontrollie-ren sind.

1091 Vgl. vorne, S. 148 ff. und S. 344 ff.

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Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht

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Die Zuteilung der Fälle und Referate auf die einzelnen Richter der Abteilung bedingt den Zugriff auf gewisse Führungsinformationen wie Belastungs-situation, pendente Fälle, usw. Die Abteilungspräsidenten haben Zugriff auf diese Führungsinformationen. Die Berechtigung, auf diese sensiblen Daten zuzugreifen, war somit gewollt und indirekt wird den Abteilungspräsidenten damit eine Führungsposition zugestanden: Sie haben eine eigentliche Füh-rungsaufgabe in Bezug auf die Fallverteilung und damit indirekt auch auf die Arbeitsbelastung der einzelnen Richterpersonen inne. Mit AESCHLIMANN ist somit davon auszugehen, dass „jeder Abteilungspräsident […] für den Ein-satz der Richter und Mitarbeiter mit Zielvorgaben arbeiten und über die jeweilige Belastung in differenzierter Weise auf dem Laufenden sein muss.“1092

Im Sinne einer einheitlichen Stellung und öffentlich sichtbarer Struktur wäre eine umfassende und vor allem schriftliche Regelung der Kompetenzen der Abteilungspräsidenten empfehlenswert. Die Abteilungspräsidenten des gan-zen Gerichts sollten dieselben Aufgaben haben, da in allen Abteilungen die-selben Führungsbedürfnisse bestehen. Auch sollten die Aufgaben der Abtei-lungspräsidenten in allen Abteilungen gleich sein, damit sie über dasselbe Mass an Führung verfügen. Die Autonomie der Abteilungen stösst hier an ihre Grenzen. Mit einer Bestimmung im Reglement wären Stellung und Auf-gaben klar geregelt und die Abteilungen hätten alle eine Führungssperson mit einheitlichen Aufgaben. Das Bundesgerichtsreglement bietet sich dafür geradezu an, da dort auch alle anderen wichtigen Bestimmungen zur Organi-sation, der Rechtsprechung und zu den Leitungsorganen zu finden sind. Das Gesamtgericht könnte mittels Änderung des Bundesgerichtsreglements nach Art. 15 Abs. 1 lit. a BGG die Führungsaufgaben und die Stellung der Abtei-lungspräsidenten genauer regeln.

Der grossen Verantwortung der Abteilungspräsidenten gegenüber der Abtei-lung wie auch gegenüber den einzelnen Richtern entsprechend, sollten Durchsetzungsmechanismen, insbesondere eine Weisungskompetenz bezüg-lich der Fallzuteilung bzw. der Fallbehandlung eingeführt werden. Da die Zeit, in der ein Fall bei einem Richter pendent liegt, ebenfalls die weitere

1092 AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 53.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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Zuteilung der Fälle beeinflusst, sollte der Abteilungspräsident zumindest die Möglichkeit haben, von den Richtern Rechenschaft darüber zu verlangen, weshalb ein Fall noch nicht behandelt wurde, falls eine gewisse Zeit lang eine Inaktivität bestand.1093

Es erscheint nicht zweckmässig, dass das Amt des Abteilungspräsidenten zur Zeit eine grosse Verantwortung für die Geschäftslastbewirtschaftung bein-haltet, ihm aber keine griffigen Mittel zur Seite gestellt werden, auf welche er im Fall von Konflikten zurückgreifen könnte. Bis anhin ist der Abtei-lungspräsident auf das Wohlwollen seiner Kollegen und die eigene Überzeu-gungskunst angewiesen, was dieses wichtige Amt relativ unattraktiv erschei-nen lässt.1094

Bei der Fallzuteilung durch den Abteilungspräsidenten handelt es sich zu-nächst um einen Akt im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung, wobei die Zuteilung an sich einen Verwaltungsakt darstellt.1095 In diesem Bereich ist eine direkte Beeinflussung der Rechtsprechung relativ unwahr-scheinlich,1096 weswegen die richterliche Unabhängigkeit bei der Abwägung, ob eine solche Weisungsbefugnis des Abteilungspräsidenten einzuführen ist, zurückstehen kann.

Das Argument, dass alle Richter auf derselben Stufe stehen, ist hier nicht beachtlich: Auch dieses bezieht sich auf die Stellung der Richter in der Rechtsprechung, d.h. dass unter anderem im Spruchkörper alle dieselbe Stimme haben, egal ob sie als Erst- oder Drittrichter amten. Ausserdem hat der Abteilungspräsident eine faktische Führungsfunktion und die Verantwor-tung für seine Abteilung inne, weshalb er in Bezug auf die Fallzuteilung gerade nicht wie alle anderen Richter zu behandeln ist. Er hat als Abtei-lungspräsident eine andere Aufgabe bzw. Rolle als die übrigen Richter.

1093 Insbesondere sollte er dies bei den Referenten erfragen können. 1094 A.M. AESCHLIMANN, Justizreform, Rz. 25. 1095 Vgl. aber vorne, S. 274 ff. 1096 Natürlich bleibt aber die Problematik des Vorverständnisses. Diese besteht indessen

auch bei einer Fallzuteilung durch einen Automaten bzw. durch eine andere Person als den Abteilungspräsidenten, weswegen darauf nicht weiter einzugehen ist.

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Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht

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Da sich weder im BGG noch im BGerR eine diesbezügliche Regelung fin-det, liegt es aufgrund der Organisationsautonomie im Belieben jeder einzel-nen Abteilung, ob sie ihrem Abteilungspräsidenten in ihrem Abteilungsreg-lement dieses Weisungsrecht einräumen möchte. Empfehlenswert wäre al-lerdings, de lege ferenda bei einer allfälligen Regelung der Stellung und der Aufgaben der Abteilungspräsidenten mittels Gesamtgerichtsreglement die vorne umschriebene Führungs- und allenfalls Weisungsbefugnis für alle Ab-teilungspräsidenten festzuschreiben. Eine Regelung auf der Stufe des Geset-zes wäre hingegen nicht angebracht, da es sich dabei letztlich um eine Ein-schränkung der Organisationsautonomie des Gerichts durch den Gesetzgeber handeln würde.

Führung durch die Präsidentenkonferenz als dritte Stufe der D.Kaskade

Die Präsidentenkonferenz des Bundesgerichts verfügt über gewisse Zustän-digkeiten in Bezug auf die Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hat explizit jene Verwaltungsaufgaben, welche unter altem Recht bei der Präsidenten-konferenz lagen, auf die Verwaltungskommission verschoben. Es fragt sich, ob die Präsidentenkonferenz in Bezug auf den neuen Bereich der rechtspre-chungsnahen Justizverwaltung mit einer Führungs-, einer Kontrollkompe-tenz oder einer Kompetenz zum Erlass von Richtlinien der Präsidentenkon-ferenz betraut werden könnte.

Art. 16 BGG regelt die Präsidentenkonferenz. Der Artikel zählt die Zustän-digkeiten der Konferenz abschliessend auf.1097 Nach Art. 16 Abs. 2 lit. b BGG ist sie zuständig für die Koordination der Rechtsprechung, vorbehält-lich der Fälle in Art. 23 BGG. Da der Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung keine Präjudizien oder Praxisänderungen nach Art. 23 BGG betrifft, ist die Präsidentenkonferenz demnach grundsätzlich nicht kompetent. Eine solche Kompetenz erscheint jedoch deshalb sinnvoll, da es

1097 Sie ist nach Art. 16 Abs. 2 lit. a bis c BGG zuständig für den Erlass von Weisungen

und einheitlichen Regeln für die Gestaltung der Urteile, für die Koordination der Rechtsprechung vorbehältlich Art. 23 BGG und für die Vernehmlassung zu Erlass-entwürfen.

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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bei der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung um Abläufe geht, die mit der Entscheidfindung zusammenhängen oder indirekt einen Einfluss auf sie ha-ben können, auch wenn die Tätigkeit an sich verwaltender Natur ist.

Auf der Stufe der Leitungsorgane verfügt zudem kein anderes Organ über eine entsprechende Kompetenz wie die Präsidentenkonferenz, da diese ja gerade aus den Abteilungspräsidenten besteht. Zwar haben das Gesamtge-richt und die Verwaltungskommission gesamtgerichtliche Aufgaben, jedoch befassen sie sich mit rein verwaltungstechnischen Fragen. Aus diesem Grund böte sich eine Kompetenz der Präsidentenkonferenz an, wobei dafür aber eine Gesetzesänderung notwendig wäre.

Die Präsidentenkonferenz kann sich zu Rechtsfragen, die alle Abteilungen betreffen, in der Form von Thesen äussern und sie wird dies insbesondere bei Verfahrensfragen tun. Ein zumindest entsprechendes Vorgehen könnte man sich auch für den Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung vorstellen, insbesondere da die Präsidentenkonferenz auch die Verfahrens-fragen zu ihrem Kompetenzbereich zählt.

Ein solches Modell würde eine verstärkte Position des Abteilungspräsiden-ten – wie sie oben vorgeschlagen wurde – voraussetzen. Dadurch liesse sich eine umfassende Kompetenz im Bereich der abteilungsübergreifenden Fra-gen der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung denken. Es böte sich an, die Präsidentenkonferenz mit der Regelung von einheitlichen Vorgaben zu be-trauen, z.B. dem Erstellen von einheitlichen Regeln bezüglich der Verfah-rensdauer oder Weisungen zur durchschnittlichen Verfahrensdauer in einer bestimmten Fallkategorie, zur durchschnittlichen Dauer eines bestimmten Verfahrensstadiums (bspw. vom Eingang eines Falles bis zur Verhandlung, zwischen der Verhandlung und der zugestellten Urteilsbegründung, etc.). Ebenso könnte die Präsidentenkonferenz durch das Gesamtgericht mittels Reglement ermächtigt werden, die Kontrolle über die Geschäftslastbewirt-schaftung in den einzelnen Abteilungen zu überwachen. Diesbezüglich müsste das Reglement vorsehen, dass die Präsidentenkonferenz von den Re-ferenten und Abteilungspräsidenten Auskunft und Begründung verlangen könnte und allenfalls über ein Weisungsrecht verfügen würde.

Die Präsidentenkonferenz wäre als einziges bereits existierendes Organ, welches eine Verbindung zwischen den Abteilungen in Bezug auf die Recht-

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Vorschlag einer kaskadenartigen Führung am Bundesgericht

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sprechung zum Gegenstand hat, am besten geeignet, eine koordinierende Rolle und eine Kontrolle auch im Bereich der Führung der Abteilungen vor-zunehmen und sicherzustellen. Die heute eher mit wenigen Aufgaben ausge-lastete Präsidentenkonferenz scheint für diese Aufgabe prädestiniert.

Gesamtgericht als letzte Stufe der Kaskade E.

Im vorliegend vorgestellten Modell würde das Gesamtgericht keine eigenen Kompetenzen bezüglich einer Führung erhalten, da sowohl die Führung als auch die Kontrollaufgaben bereits auf die unteren Stufen verteilt sind. Eben-so sprechen die Grösse dieses Organs und seine Zusammensetzung dagegen, da es zu gross ist für effiziente Entscheidungen. Das Gesamtgericht ist zu-ständig für den Erlass von Reglementen bezüglich der Organisation und Verwaltung des Gerichts. Auch wählt das Gesamtgericht die Abteilungsprä-sidenten.1098 Dementsprechend könnte das Gesamtgericht von seiner Kompe-tenz Gebrauch machen und ein Reglement über die Stellung und die Aufga-ben der Referenten, der Abteilungspräsidenten sowie der Präsidentenkonfe-renz erlassen bzw. der Einfachheit halber das bestehende Bundesgerichts-reglement anpassen. Das neu vom Gesamtgericht geänderte BGerR könnte z.B. wie oben vorgeschlagen vorsehen, dass die Abteilungspräsidenten von den Richtern ihrer Abteilung Rechenschaft darüber verlangen können, wes-halb ein Fall noch nicht behandelt wurde, falls eine gewisse Zeit lang eine Inaktivität bestand. Allenfalls könnte sogar ein generelles Weisungs- und Kontrollrecht bezüglich der Fallbewirtschaftung in ihrer Abteilung einge-führt werden. Für die Präsidentenkonferenz könnte ein solches Reglement – nach der Gesetzesänderung – vorsehen, dass sie gemeinsame Regelungen zur rechtsprechungsnahen Justizverwaltung in der Form von Weisungen zu erlassen hat, also bspw. Bestimmungen über die maximale Verfahrensdauer, die Begründungszeit oder andere Parameter. Solche Zahlen wären jeweils als Richtwerte bzw. als Bandbreiten auszugestalten.1099 Weiter könnte die Präsi-

1098 Vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. a BGG. 1099 Zum Teil gibt es sehr umfangreiche Fälle, die nicht innerhalb dieser „Normalfris-

ten“ erledigt werden können. Im Durchschnitt gleicht sich dies aber wieder aus,

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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dentenkonferenz mit der Kontrolle der Geschäftslastbewirtschaftung in den Abteilungen betraut werden.

Zusammenfassung F.

Es wurde eine Führungskaskade vorgeschlagen, in welcher die jeweils kleinstmögliche Einheit die höchstmögliche Verantwortung übertragen be-kommen soll. Insbesondere die Führung durch die Abteilungspräsidenten soll keine rein faktische mehr sein; ihre wichtige Führungsrolle soll mit ge-eigneten Führungsinstrumenten ergänzt werden, insbesondere durch die Ein-führung einer Rechenschaftspflicht der Richter über die Fortschritte in der Fallbearbeitung und einer Weisungsbefugnis für den Abteilungspräsidenten. Sollte sich ein Richter nicht an die gemachten Vorgaben halten, so müsste der Abteilungspräsident ihm einen Fall entziehen und neu zuteilen können. Die Stellung der Abteilungspräsidenten und ihre Aufgaben sollten im Bun-desgerichtsreglement festgeschrieben werden. Auf der Stufe der Leitungsor-gane verfügt die Präsidentenkonferenz zwar nach BGG über die Kompetenz der Koordination der Rechtsprechung. Unter diesen Begriff fällt die recht-sprechungsnahe Justizverwaltung aber nicht, weshalb eine Gesetzesänderung anzustreben und die neuen Kompetenzen der Präsidentenkonferenz (z.B. Re-gelung von abteilungsübergreifenden Fragen der rechtsprechungsnahen Jus-tizverwaltung, Erstellen von Weisungen oder Regelungen zur durchschnittli-chen Verfahrensdauer, Kontrolle der Führung der Abteilungen) festzuschrei-ben wäre.

weshalb es sich rechtfertigt, durchschnittlich einhaltbare Fristen zu setzen. Am bes-ten eignen sich Bandbreiten, vgl. vorne, S. 295 ff.

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Ergebnisse

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XI. Ergebnisse

Es werden im Folgenden die Ergebnisse von Teil 5 dargestellt.

Es wurde festgestellt, dass die Schweizerische Justiz auch in Zukunft unter einem hohen Leistungsdruck stehen wird: Die Falllast steigt bzw. verharrt auf einem sehr hohen Niveau und die Ressourcen nehmen bestenfalls nicht ab. In diesem Umfeld ist eine Steigerung der Effizienz wünschenswert. Die Gerichte in Bund und in den Kantonen versuchen dieser Situation mit einer stärkeren Leitung bzw. sogenannten Leitungsinstrumenten zu begegnen. Welche Bereiche der Justiz von einer allfälligen Führung wie stark betroffen wären und wie eine solche Führung ausgestaltet sein müsste, um verfas-sungskonform zu sein, war Gegenstand dieser Untersuchung.

Im Bereich der Rechtsprechung müssen allfällige Auswirkungen einer Füh-rung auf ebendiese vermieden werden. Es wurde festgestellt, dass im Kern-bereich der Unabhängigkeit, welche die Rechtsprechung bildet, keine Füh-rung zulässig ist.

Im Bereich der Justizverwaltung präsentiert sich die Situation bei der Fi-nanzautonomie und bei der Personalautonomie relativ unproblematisch. Diesbezüglich kann festgehalten werden, dass bereits eine relativ starke Füh-rung besteht und eine Umsetzung des NPM teilweise, d.h. je nach kantona-len Eigenheiten, Fakt geworden ist.

Im Schnittbereich von Rechtsprechung und Justizverwaltung wurde festge-stellt, dass eine Abgrenzung der Begriffe Rechtsprechung und Justizverwal-tung nicht trennscharf möglich ist: Der Bereich der Organisationsautonomie, insbesondere die Unterbereiche der Geschäftsverteilung und der Geschäfts-lastbewirtschaftung, befinden sich im Schnittbereich der beiden Begriffe. Dieser Bereich, welcher als rechtsprechungsnahe Justizverwaltung bezeich-net wird, umfasst verwaltende Tätigkeiten, die jedoch einen Bezug bzw. einen Einfluss auf die Rechtsprechung haben (können). Die Dissertation untersuchte diese Tätigkeiten in Bezug auf eine allfällige Leitung gesondert und kam zum Schluss, dass sich die rechtsprechungsnahe Justizverwaltung im Schutzbereich von Art. 30 BV befindet, was bedeutet, dass eine Ein-schränkung dieser Tätigkeiten nur dann möglich ist, wenn ein überwiegen-des Interesse angenommen werden kann. Der Bereich der rechtsprechungs-

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Teil 5: Leitung und ihre Verfassungsmässigkeit

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nahen Justizverwaltung kann somit einem justizinternen Kontrollorgan zu-gänglich gemacht werden. Die Zugänglichmachung zu einer Art von Füh-rung und Kontrolle durch ein Organ innerhalb des entsprechenden Gerichts erscheint hinsichtlich einer geforderten „effizienten“ Justiz wünschenswert. Ob im Einzelfall eine solche Einschränkung tatsächlich vorgenommen wer-den soll, ist eine Abwägungsfrage und lässt sich nicht verallgemeinert be-antworten. Jedenfalls aber konnte eine abstrakte Abwägung der sich wider-sprechenden Interessen vorgenommen werden. In der Dissertation wurde dies für die Bereiche der Verfahrensdauer, der Erledigungszahlen, des Con-trollings sowie einer Leistungsbeurteilung für Richter getan.

Ebenso wurden die Leitungssysteme in den fünf untersuchten Kantonen gegenübergestellt. Es zeigt sich trotz der föderalen Eigenheiten eine klare Tendenz zu einer zentralisierten Leitung, auch wenn diese unterschiedlich umfassend ausgestaltet ist. Am Beispiel des Bundesgerichts wurde sodann die Führung durch gerichtseigene Organe „durchgespielt“. Es hat sich ge-zeigt, dass eine innergerichtliche, stufen- bzw. kaskadenförmige Führung möglich und sinnvoll wäre.

Vergleicht man die rechtlichen Grundlagen der Justizverwaltung in Bund und ausgewählten Kantonen, so stösst man praktisch überall auf Bestim-mungen zu Organen, die mit der Justizverwaltung betraut sind.

Hingegen fehlen in vielen Fällen ausführliche Grundlagen zu den Mitteln bzw. zu den Kompetenzen, mit denen diese Justizverwaltung organisiert und durchgesetzt werden soll; die Bestimmungen lassen meistens Kompetenz-normen vermissen, aus denen sich Führungsmittel und Verantwortlichkeiten ergeben würden.

Die Situation heute kann deshalb wie folgt aufgezeigt werden: Die Verwal-tungs- und Rechtsprechungsorgane an den Gerichten sind vorhanden, die Aufgaben sind (meist) verteilt. Allerdings gibt es nicht überall konkrete Re-gelungen, wie die entsprechenden Organe ihre Aufgaben wahrzunehmen haben. Eine effektive Führung im Sinne einer Leitung oder Kontrolle inner-halb der Abteilungen, der Gerichte oder gerichtsübergreifend gibt es heute nur vereinzelt und meist nur in Bezug auf bestimmte Bereiche, allen voran bei den Finanzen.

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Ergebnisse

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So bleibt es faktisch jedem Gericht bzw. zumindest aber der Justiz der ein-zelnen Kantone und des Bundes selbst überlassen, wie die Organisation von Verwaltung und Rechtsprechung umgesetzt wird. Wegen der richterlichen Unabhängigkeit räumt man den einzelnen Richtern, Spruchkörpern und Ab-teilungen ein weites Ermessen ein. Diese Feststellung gilt umso mehr für den (noch) sensibleren Bereich der Rechtsprechung.

Die heute existierende Justizverwaltung hat sich bewährt, jedoch wird der Druck auf die Justiz in der Zukunft eher noch zunehmen. Daher scheint es sinnvoll, bereits heute Verbesserungsmöglichkeiten in der Justizverwaltung aufzuzeigen und eine Diskussion darüber anzuregen, damit die Umsetzung zeitnah beginnen kann, ohne dass die richterliche Unabhängigkeit oder ande-re verfassungsmässige Grundsätze beeinträchtigt werden.

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Teil 6 Thesen

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Dissertation werden zum Schluss in 13 Thesen zusammengefasst.

1. Die Justiz in der Schweiz wird heute massgeblich vom Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit beherrscht. Dieses Prinzip sichert die unabhängige Rechtsprechung; damit soll jegliche Einmischung in die Rechtsfindung verhindert werden.

2. Die Justizverwaltung stellt weder Rechtspflege noch Rechtsetzung dar und soll die sachlichen und personellen Voraussetzungen für die Rechtsprechung schaffen. Sie umfasst drei Bereiche: die Organisa-tionsautonomie, die Finanzautonomie und die Personalautonomie. Jus-tizverwaltung und richterliche Unabhängigkeit gehören zusammen und ergänzen sich: Als Durchbrechung der funktionellen Gewaltentei-lung benötigt die Justizverwaltung die Rechtfertigung durch die rich-terliche Unabhängigkeit.

3. Die Justizverwaltung im Bund ist umfassend geregelt. Mit dem Bun-desgerichtsreglement wurde eine ausführliche Grundlage für die Jus-tizverwaltung geschaffen. Insbesondere wurden die für die Justizver-waltung notwendigen Leitungsorgane eingeführt. Aufgrund der fla-chen Führungshierarchie insbesondere bei den Abteilungen fehlen aber notwendige Führungsmittel.

4. Im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung kann festge-halten werden, dass auf der Stufe der Abteilungen der Gerichte des Bundes eine eher schwache Führung besteht. Dies steht im Zusam-menhang mit dem bisherigen Verständnis der richterlichen Unabhän-gigkeit bzw. ihrer Auslegung und dem Selbstverständnis der Richter.

5. Die Aufsicht und die Oberaufsicht im Bund stellen sehr weitgehende und umfassende Prüfungen dar. Insbesondere die Überprüfung der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung schränkt die Verwaltungs-autonomie der Justiz erheblich ein.

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Teil 6: Thesen

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6. Die Justizverwaltung in den Kantonen weist eine Vielzahl von Rege-lungen auf. Die kantonale Justiz war in den letzten Jahren und Jahr-zehnten verschiedentlich Gegenstand von Reformen. Die Entwicklung scheint indessen noch nicht abgeschlossen zu sein, insbesondere wur-de in mehreren Kantonen die Einführung von NPM-Instrumenten be-schlossen. Auch zeigt sich eine Tendenz zur Einführung eines überge-ordneten Leitungsorgans, welches die gemeinsamen Belange der Jus-tiz regelt. Ebenso zeigt sich klar, dass der Begriff der Leitung im Zu-sammenhang mit der Justiz nunmehr zur kantonalen verfassungsrecht-lichen Normalität gehört und dass die Effizienz der richterlichen Arbeit als Voraussetzung für eine „gute“ Justiz gilt.

7. Der vermehrte Spardruck, dem in der Schweiz neben den anderen Staatsorganen auch die Gerichte unterliegen, führt zum berechtigten Anliegen nach einer effizienten Justiz und einer wirkungsvollen Jus-tizverwaltung, sowohl in Bund als auch in den Kantonen. Dabei sind funktionsfähige Führungsstrukturen eine notwendige Voraussetzung für eine effiziente Justiz.

8. Solange die Bemühungen um funktionsfähige Führungsstrukturen die richterliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen, sind sie nicht zu beanstanden, sondern im Gegenteil zu begrüssen.

9. Für eine Beurteilung, ob das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit durch die Führung bzw. ihre Instrumente respektiert wird, ist eine ge-naue Definition der Begriffe der Rechtsprechung und der Justizver-waltung vorzunehmen. Dabei kann festgestellt werden, dass sich die Bereiche der Geschäftsverteilung und der Geschäftslastbewirtschaf-tung im Schnittbereich der beiden Begriffe der Rechtsprechung und der Justizverwaltung befinden, da sie beide Elemente aufweisen. Die-ser Bereich ist als rechtsprechungsnahe Justizverwaltung zu bezeich-nen. Es ergibt sich daraus ein Drei-Kreise-Modell.

10. Im Bereich der Justizverwaltung präsentiert sich die Forderung nach einer verstärkten Führung weitgehend unproblematisch. In den Berei-chen der Finanz- und Personalautonomie besteht schon heute eine re-lativ starke Führung.

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Teil 6: Thesen

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11. Im Bereich der Rechtsprechung ist eine Führung durchwegs abzu-lehnen: Eine solche würde die richterliche Unabhängigkeit tangieren. Eine Einflussnahme auf den Spruchkörper oder den einzelnen Richter in Bezug auf den Inhalt des Entscheides auch von innerhalb der Justiz muss kategorisch ausgeschlossen werden.

12. Im Bereich der rechtsprechungsnahen Justizverwaltung wird hingegen dargestellt, dass eine Interessenabwägung vorzunehmen ist, da sich diese Tätigkeiten im Schutzbereich von Art. 30 BV befinden. So wird bei der Abwägung festgestellt, dass grundsätzlich von der Zulässigkeit von Erledigungszahlen auszugehen ist, sofern diese als Bandbreiten ausgestaltet sind. Als zulässig werden auch Vorgaben bezüglich der Verfahrensdauer von Fällen betrachtet. Ein Controlling ist sowohl für die Erreichung der Verfahrensdauer als auch für die Erledigungszah-len von grösster Wichtigkeit: Es soll den Leitungsorganen, den Rich-tern und Gerichtsschreibern die benötigten Daten zur Verfügung stel-len.

13. In jedem Fall jedoch ist es unerlässlich, dass die Justiz unbesehen der Sparbemühungen über die für eine ordnungsgemässe Rechtspflege notwendigen Mittel verfügt. In der Pflicht ist hier der Gesetzgeber.

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Lebenslauf

Persönliche Daten

Vorname, Nachname Madeleine Keel

Geburtsdatum 6. September 1980

Bürgerort Rebstein (SG) und St. Gallen

Nationalität Schweizerin

Ausbildung

2007 – 2014 Doktorandenstudium in Rechtswissenschaft, Univer-sität St. Gallen (HSG)

2007 Anwaltspatent des Kantons St.Gallen

2000 – 2004 Studium der Rechtswissenschaften an der Universi-tät Fribourg (Freiburg i.Ue.), Lizenziat der Rechts-wissenschaften mit den Zusatzabschlüssen „bilin-gue“ und „Europarecht“

1996 – 2000 Kantonsschule am Burggraben, St. Gallen, Maturität Typus E

1993 – 1996 Katholische Kantonssekundarschule Gallus (Maitle-Flade)

Berufstätigkeit

seit 2012 Gerichtsschreiberin am Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, Kammer 1

2007 – 2012 Assistentin am Lehrstuhl für Staats- und Verwal-tungsrecht von Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller, Insti-tut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis der Universität St. Gallen (IRP-HSG)

2007 – 2008 qualifizierte juristische Sachbearbeiterin bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersu-chungsamt St. Gallen

2006 Auditorin bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau

2005 – 2006 Auditorin am Kreisgericht St. Gallen

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