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1 INHALT 1. Die Maßnahme: Exposé........................... ................................................................................................ 1 2. Die Maßnahme: Inhalt und Form............................................................................................................... 5 3. Die Maßnahme: Neue Allianzen................................................................................................................ 7 4. Die Maßnahme: Initiative „Die Maßnahme“ ........................................................................................... 7 5. Die Maßnahme: Besetzung......................................................................................................................... 8 5a. Die Maßnahme: Dreihundert SängerInnen ............................................................................................. 8 5b. Die Maßnahme: Der „junge Genosse“ ............................................................................................................. 10 5c. Die Maßnahme: Vier AgitatorInnen.................................................................................................................... 11 5d. Die Maßnahme: Zehn MusikerInnen .................................................................................................................. 12 6. Die Maßnahme: Ästhetik .......................................................................................................................... 12 7. Die Maßnahme: Zeitplan .......................................................................................................................................... 14 8a. Die Maßnahme: Kraft der Stimmen im Prozess ............................................................................................. 14 8b. Die Maßnahme: Konfrontation ............................................................................................................................. 15 8c. Die Maßnahme: Aufführung ................................................................................................................................... 15 9a. Die Maßnahme: Inhaltliche Begleitung und Prototyp .................................................................................. 15 10. Die Maßnahme: Schluss ......................................................................................................................................... 18 11a. Die Maßnahme: Soziale Fantasie und Fortschritt ...................................................................................... 18 BESETZUNG DER ERSTE AGIGATOR (von dem/derselben Solist/in sind darzustellen: Der Leiter des Parteihauses, der Kuli, der Händler) DER ZWEITE AGIGATOR (Der zweite Kuli) DER DRITTE AGITATOR (Der Aufseher, der Polizist) DER VIERTE AGITATOR (Der junge Genosse Gemischter Chor ORCHESTER 3 Trompeten, 2 Hörner, 2 Posaunen, Klavier, Schlagwerk, 2 paar Pauken, große Trommel, kleine Trommel, Rührtrommel, Becken, Tamtam Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten Der Text stellt die Fassung von 1931 dar

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INHALT 1.DieMaßnahme:Exposé...........................................................................................................................1

2. Die Maßnahme: Inhalt und Form...............................................................................................................5

3. Die Maßnahme: Neue Allianzen................................................................................................................7

4. Die Maßnahme: Initiative „Die Maßnahme“...........................................................................................7

5. Die Maßnahme: Besetzung.........................................................................................................................8

5a. Die Maßnahme: Dreihundert SängerInnen.............................................................................................85b. Die Maßnahme: Der „junge Genosse“.............................................................................................................105c. Die Maßnahme: Vier AgitatorInnen....................................................................................................................115d. Die Maßnahme: Zehn MusikerInnen..................................................................................................................12

6. Die Maßnahme: Ästhetik..........................................................................................................................12

7. Die Maßnahme: Zeitplan..........................................................................................................................................148a. Die Maßnahme: Kraft der Stimmen im Prozess.............................................................................................148b. Die Maßnahme: Konfrontation.............................................................................................................................158c. Die Maßnahme: Aufführung...................................................................................................................................15

9a. Die Maßnahme: Inhaltliche Begleitung und Prototyp..................................................................................15

10. Die Maßnahme: Schluss.........................................................................................................................................1811a. Die Maßnahme: Soziale Fantasie und Fortschritt......................................................................................18

BESETZUNG DER ERSTE AGIGATOR (von dem/derselben Solist/in sind darzustellen: Der Leiter des Parteihauses, der Kuli, der Händler) DER ZWEITE AGIGATOR (Der zweite Kuli) DER DRITTE AGITATOR (Der Aufseher, der Polizist) DER VIERTE AGITATOR (Der junge Genosse Gemischter Chor

ORCHESTER

3 Trompeten, 2 Hörner, 2 Posaunen, Klavier, Schlagwerk, 2 paar Pauken, große Trommel, kleine Trommel, Rührtrommel, Becken, Tamtam

Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten

Der Text stellt die Fassung von 1931 dar

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P R O J E K T B E S C H R E I B U N G DIE MASSNAHME BRECHT/EISLER/DUDOW

1. Die Maßnahme: Exposé

“Die Maßnahme“ ist das erste gemeinsame

Meisterwerk Bertolt Brechts und Hanns Eislers. Seit

den durch sie initiierten Aufführungen in den 1930-er

Jahren ist das Werk nicht wieder mit einem Chor

von 300 SängerInnen auf die Bühne gebracht

worden. Brecht verfügte 1956 ein

Aufführungsverbot, das erst 1997 aufgehoben

wurde. Parallel nannte er „Die

Maßnahme“ sein Stück der Zukunft.

Philharmonie Berlin, 13.12.1930. Die Maßnahme. Text: Bertolt Brecht. Musik: Hanns Eisler. Inszenierung: Slatan Dudow. Berliner Arbeitersängerchor: Berliner Schubert-Chor, Gemischter Chor Groß-Berlin, Gemischter Chor Fichte. Dirigent: Karl Rankl. Einstudierung: Ernst Hermann Meyer, Karl Vollmer. Hauptsolist: A. M. Topitz. DarstellerInnen: Helene Weigel, Ernst Busch, Alexander Granach.

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So ist das Meisterwerk weithin unbekannt. Erarbeitet wird die erste Wiederaufführung mit

einem Chor von fast 300 SängerInnen.

In Anlehnung an Eisler und Brecht wird dabei zum ersten Mal wieder eine soziokulturelle

Ebene einbezogen. Während in der Uraufführung 1930 drei Berliner Arbeiterchöre sangen,

wird der aktuelle Chor von „Die Maßnahme“ einen Querschnitt der Gesellschaft heute bilden.

Es singen verschiedene Berliner Chöre, Laien aus diversen sozialen Institutionen Berlins,

SängerInnen in singulärer Initiative und ein Gebärdenchor.

Das Singen der Arbeiterlieder und ihrer künstlerischen Weiterentwicklungen wie „Die

Maßnahme“ ist seit 2014 ins bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes

aufgenommen, das Teil der innerstaatlichen Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens zur

Erhaltung des Kulturerbes ist: „Mit der musikalisch innovativen Aufnahme und

Weiterentwicklung der Arbeiterlieder durch Kurt Weill, Hanns Eisler und Bertolt Brecht

erreichten sie im deutschen Kulturraum eine hohe

künstlerische Entwicklungsstufe, die international

besondere Anerkennung erfahren hat. (...) Das Singen

der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung bietet ein

hervorragendes Beispiel dafür, wie Volkskultur in

Deutschland immer wieder aus fortschrittlichen und demokratischen Ansätzen heraus neu

gestaltet und interpretiert wurde. Sie sind über weite Strecken der deutschen Geschichte

verboten und unterdrückt worden und konnten nur unter schweren Bedingungen aufgeführt

werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Lieder der Arbeiterbewegung in

Deutschland zunächst wiederentdeckt und wieder erlernt werden.“ (Deutsche UNESCO-

Kommission e.V.)1

„Die Maßnahme“ wird als Dispositiv der Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt: warum

sind wir zusammen und wie? Wie steht das Individuum in der Gesellschaft? Was kann für den

Aufbau einer gerechten Gesellschaft getan werden? Ein Schwerpunkt liegt auf der

Auseinandersetzung mit und Forschung nach dem Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft.

Letztendlich geht es darum „nach einer besseren Möglichkeit“ zu fragen. (Die Maßnahme,

Fassung 1931, Kap.8)

1https://www.unesco.de/kultur/immaterielles-kulturerbe/bundesweites-verzeichnis/eintrag/singen-der-lieder-der-deutschen-arbeiterbewegung.html

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Die als Ganzes oder in großen Teilen beteiligten Chöre erarbeiten die Partitur mit ihrer

jeweiligen Chorleitung überwiegend autonom. An „Die Maßnahme“ sind neben den Chören

drei professionelle DarstellerInnen, eine Solistin, acht LaiendarstellerInnen und zehn

OrchestermusikerInnen beteiligt. Für die Proben der DarstellerInnen mit Solistin und für das

Orchester ist vor der Aufführung unabhängig von einander eine konzentrierte Proben-Phase

vorgesehen. Kurz vor der Aufführung werden alle Mitwirkenden zusammengeführt. So werden

die Voraussetzungen für die authentische Konfrontation aller am Aufführungsabend im

Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin Anwesenden mit den durch „Die

Maßnahme“ aufgeworfenen Fragen geschaffen.

Marcus Crome übernimmt die musikalische Leitung. Er dirigierte 1997 die erste offizielle

deutsche Wiederaufführung von „Die Maßnahme“ am Berliner Ensemble und hatte 2008 an der

Volksbühne Berlin die musikalische Leitung und Chorleitung inne. Die szenische Leitung

übernimmt Fabiane Kemmann. Sie leitet außerdem die Produktion. Barbara Nicolier

übernimmt die künstlerische Begleitung.

Im Juni 2014 wurde ein Prototyp der Wiederaufführung von “Die Maßnahme” auf die Bühne

gebracht. Die Lesung mit Klavier und Chor fand am historischen Originalschauplatz der

„Großen Diskussion“ des Stücks nach der Uraufführung 1930 statt – in der „Aula

Weinmeisterstraße“. Teile des Chors der werktätigen Volksbühne und einzelne SängerInnen

der ersten Wiederaufführung von 1997 am Berliner Ensemble sangen als Grundchor,

SängerInnen aus sechs verschiedenen Berliner Chören und ein Gebärdenchor kamen hinzu,

SchülerInnen aus 5. – 9. Klassen der Freien Waldorfschule Berlin Mitte in der

Weinmeisterstraße übernahmen die Sprechrollen. Im November 2015 wurde ein Multi-Chor-

Prototyp realisiert. Im Rahmen der größten Fachtagung in der Geschichte der

Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe kamen vier Chöre, einzelne SängerInnen und

Laien-DarstellerInnen zur Aufführung von Kap. V „Was ist eigentlich ein Mensch?“ als Lesung

mit Klavier und Chor auf dem Pariser Platz zusammen.

Die Auswertung der Prototypen auf gesellschaftlicher, künstlerischer, dramaturgischer,

ökonomischer und politischer Ebene hat eine solide Basis geschaffen, auf der die

Wiederaufführung von „Die Maßnahme“ in der originalen Besetzung mit 300 SängerInnen

entwickelt wird. Inhalt und Form der Arbeit sind dazu angelegt, die Mitwirkenden miteinander

agieren und sich miteinander auseinandersetzen zu lassen. Was mit dem Meisterwerk heute zu

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lernen ist, können nur der Arbeitsprozess und die Aufführung von „Die Maßnahme“ zeigen.

2. Die Maßnahme: Inhalt und Form

In „Die Maßnahme“ stehen drei Darstellerinnen und ein Sopran (/Tenor) dem großen

„Gemischten Chor“ gegenüber. Als die „vier AgitatorInnen“ haben sie in einer Extremsituation

ihren jüngsten Genossen mit dessen Einverständnis erschossen und in eine Kalkgrube geworfen.

Vom „Gemischten Chor“ aufgefordert dies zu rechtfertigen, stellen die Vier dar, wie sich der

„junge Genosse“ in verschiedenen

Situationen verhielt und wie er in

einer Extremsituation unbewusst zu

einer Gefahr für die gemeinsame

Arbeit wurde.

„Auch ihr jetzt denkt nach über

eine bessere Möglichkeit“ wendet

sich der „Gemischte Chor“ an die

Zuschauer (Fassung 1931, Kapitel

8/5). Das Lehrstück spitzt Aspekte

gesellschaftlicher Wirklichkeiten

zu, um sie zur kontroversen

Auseinandersetzung in den Raum zu stellen. Dementsprechend war „Die Maßnahme“ in den

1930-er Jahren umstritten und ist es bis heute. Das Lehrstück ist nicht dazu gemacht didaktisch

eine Lehre zu vermitteln wie es der Name suggeriert. Mit ihm entwickelten Brecht, Eisler und

ihre MitstreiterInnen eine neue demokratische Spielform. Brecht sieht im Spiel des Lehrstücks

eine „Übung.“ Eisler formulierte: „Jeder Sänger muss sich des politischen Gehalts seines

Vortrags bewusst sein und ihn auch kritisieren können.“

„Im Stück muss es entschieden werden aber es ist nicht gesagt, dass es richtig entschieden ist,

also im Sinne Brechts, sondern das Ergebnis ist es, was zur Diskussion gestellt werden soll.

Das ist ja der Ansatz des Lehrstücks,“ formuliert Peter Villwock über den Manuskripten

Brechts im Bertolt Brecht Archiv. So initiiert und strukturiert das Lehrstück einen Klavierauszug: Die Maßnahme, Lehrstück von Bertolt Brecht und Hanns Eisler, Fassung 1931, S.2 ©Schott Universal Music

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Auseinandersetzungsprozess in Bewegung für eine Vielzahl von Akteuren. Ziel ist die Bildung

politischer Urteilskraft, sozialer Handlungsfähigkeit und sozialer Phantasie. Als Form der

Auseinandersetzung für eine Vielzahl von Akteuren ist das Lehrstück in Vergessenheit geraten.

Zugrunde liegt die Fassung von „Die Maßnahme“ aus dem Jahr 1931.

„Vielleicht ist heute auch wieder so eine Situation wie 1930 als Brecht das Stück geschrieben

hat,“ sagt Peter Villwock, “man weiß, die Verhältnisse können so nicht bleiben und zwar

nirgendwo auf der Welt. Die eine Richtung geht zum Nationalismus und Faschismus, die

andere in Richtung des globalisierten Kapitalismus und beides ist nicht zukunftsfähig, das weiß

man, aber was man tun kann, weiß man nicht. Bisher gibt es die schönen Seelen, die

einfach einen grundsätzlichen Pazifismus verlangen oder es gibt die Agitatoren, die einfach zur

Waffe greifen und die anderen niederknallen und es gibt Idealisten die versuchen mit

friedlichen Mitteln etwas zu bewirken. Was aber da jetzt sinnvoll ist, das weiß man nicht. Wir

sind in einer ähnlichen Situation wie damals. Brecht war vielleicht sogar ein Stück weiter, er

hatte eine Theorie, von der er dachte, sie sei richtig. Wir haben Theorien, Betrachtungsweisen,

aber wie und worauf das hinauslaufen soll, wissen wir nicht. Man weiß eigentlich nur, so wie

es ist, kann es nicht bleiben. Ob die Situation, in der wir sind in absehbarer Zeit akut

weltrevolutionär wird oder ob es noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte so weiter trudelt, weiß

man nicht. Die Fragestellung ist jedenfalls brisant, auch für uns jetzt.“

Indem die Fragen des Meisterwerks in die Gegenwart geholt und an die Gegenwart gestellt

werden, wird das Lehrstück zum Dispositiv. Durch den Schwerpunkt auf der Frage nach der

gegenseitigen Verantwortung von Subjekt und Gesellschaft für einander rücken weitere

einfache Begriffe in den Fokus: Ich und Wir, Singularität, Vielfalt, Armut, Gerechtigkeit,

Wiederstand, Selbstbewusstsein, Einverständnis, Solidarität, Verantwortung, Frieden,

Unterdrückung, Zivilcourage, Gemeinschaft, Gemeingut, Dialektik, Kritik.

Das Projekt „Die Maßnahme“ löst strittige Fragen nicht in Lehren, sondern stellt sie in ihrer

Strittigkeit in den Raum. „Ändere die Welt, sie braucht es,“ gehört zu den bekanntesten Liedern

aus „Die Maßnahme“. Voraussetzung dafür ist es gemeinsam „nach einer besseren

Möglichkeit“ zu fragen.

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3. Die Maßnahme: Neue Allianzen Gegen Ende der 1920-er Jahre verließen Brecht, Eisler und ihre MitstreiterInnen den

geschlossenen Theater- und Musikbetrieb um außerhalb eingetretener Pfade nach neuen

Formen zu suchen. In dieser Zeit entstand die Form des Lehrstücks. Ihr Experiment- und

Übungscharakter erstreckt sich neben Probe und Aufführung auch auf die Suche nach neuen

soziopolitischen und ökonomischen Wegen und Wirksamkeiten für das Medium. „Die

Maßnahme“ ist die erste Zusammenarbeit Brechts und Eislers. Da heute die Arbeit mit dem

Lehrstück in seiner originalen Besetzung und Form keine Praxis vorfindet, müssen Wege des

Umgangs mit dieser Sonderform des Musik-Theaters neu erschlossen werden. Wer sind die

Stimmen von „Die Maßnahme“ heute? Eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem

Meisterwerk verlangt nach neuen Allianzen.

4. Die Maßnahme: Initiative „Die Maßnahme“

2

Musikalische Leitung: Marcus Crome (Berlin)

Szenische Leitung: Fabiane Kemmann (Berlin)

Künstlerische Begleitung: Barbara Nicolier (Paris)

Produktionsleitung: Fabiane Kemmann mit Katharina Husemann (Berlin)

2Philharmonie Berlin, 13.12.1930. Die Maßnahme. Text: Bertolt Brecht. Musik: Hanns Eisler. Inszenierung: Slatan Dudow. Berliner Arbeitersängerchor: Berliner Schuber-tChor, Gemischter Chor Groß-Berlin, Gemischter Chor Fichte. Dirigent: Karl Rankl. Einstudierung: Ernst Hermann Meyer, Karl Vollmer. Hauptsolist: A. M. Topitz. DarstellerInnen: Helene Weigel, Ernst Busch, Alexander Granach.

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5. Die Maßnahme: Besetzung

5a. Die Maßnahme: Dreihundert SängerInnen „Die Maßnahme“ gehört zu den bedeutendsten Kompositionen Hanns Eislers. Die Partitur

evoziert Elemente der klassischen und geistlichen Musik wie die Passionsoratorien Johann

Sebastian Bachs, sie enthält Anklänge an Händels Oratorium Israel in Ägypten, sie zitiert

Varieté-Musik der 20-er Jahre und Elemente des klassischen Jazz. Die Verwendung von

Eingangschor, Arien, Rezitativen, kanonischen und homophonen Chorsätzen ist im Vergleich

zu anderen Lehrstücken einmalig.

Eisler und Brecht komponierten und texteten das

Meisterwerk im Hinblick darauf, ein Stück zu

schreiben „für diejenigen, für welche es bestimmt ist,

und die alleine eine Verwendung dafür haben: von

Arbeiterchören, Laienspielgruppen, Schülerchören und

Schülerorchestern, also von solchen, die weder für

Kunst bezahlen, noch für Kunst bezahlt werden,

sondern Kunst machen wollen.“ In der Uraufführung

sangen drei Berliner Arbeiterchöre zum Teil mit

ungeschulten Stimmen und ohne Kenntnis von Notenschrift. Sie waren bis spät in die Nacht

beschäftigt, da die Mitglieder tags zum Teil arbeiteten. Die Uraufführung fand um Mitternacht

vom 13./14. Dezember 1930 in der ehemaligen Berliner Philharmonie in der Bernburger Straße

statt.

Die ArbeitersängerInnen-Bewegung zählte vor 1933 eine halbe Million SängerInnen. Nach

1945 gehörte sie zur zerstörten Vielfalt Berlins. Mit 300 SängerInnen wird das Projekt den

Aufführungen der ArbeitersängerInnen-Bewegung von 1930 zum ersten Mal wieder zumindest

nahe kommen.

Der „Gemischte Chor“ in „Die Maßnahme“ steht wie die DarstellerInnen im Spannungsfeld der

Auseinandersetzung mit den Fragen des Stücks. Er diskutiert, kommentiert, streitet sogar mit

Philharmonie Berlin, 13.12.1930. Die Maßnahme. Text: Bertolt Brecht. Musik: Hanns Eisler. Inszenierung: Slatan Dudow. Berliner Arbeitersängerchor: Berliner Schubert-Chor, Gemischter Chor Groß-Berlin, Gemischter Chor Fichte. Dirigent: Karl Rankl. Einstudierung: Ernst Hermann Meyer, Karl Vollmer.

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den DarstellerInnen und wendet sich auch an die Zuschauer. Der Chor nimmt verschiedene

gesellschaftliche Rollen ein, er singt aus der Perspektive der ausgebeuteten Reiskahnschlepper,

des Parteigerichts, der streikenden Arbeiter oder der „vier Agitatoren“.

Die Chöre erarbeiten die Partitur mit Ihren ChorleiterInnen an ihrem jeweiligen Probenort

unabhängig von einander. Auf diese Weise finden die Proben an verschiedenen öffentlichen

Orten Berlins teilweise gleichzeitig statt und es entsteht ein bewegliches Netzwerk. Im neu

gegründeten Projektchor der sozialen Einrichtung „Brückeladen“ der GEBEWO-sozialen

Dienste Berlin gGmbH werden sozial Benachteiligte und erfahrenere Laien-SängerInnen neben

der Chorleitung von qualifizierten SozialarbeiterInnen begleitet.

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5b. Die Maßnahme: Der „junge Genosse“ Es existiert ein Bericht von Fritz Sternberg, nach dem Bertolt Brecht dem „Blutmai“ am 1. Mai

1929 aus einem Fenster im Berliner Wedding zusah. Da die innenpolitische Lage aufgeheizt

war, kam es trotz Demonstrationsverbots in den Straßen zu Kundgebungen und Unruhen. Dabei

wurden viele Demonstranten und Passanten durch die Polizei getötet. Dem Bericht zufolge

erbleichte Brecht und sank auf einem Stuhl zusammen. Einige Zeit später finden sich in seinem

Notizbuch Aufzeichnungen, aus denen sich „Die Maßnahme“ entwickelte.

1. Manuskript BBA 448/96 Bertolt Brecht 1929; Manuskript BBA 448/96 Bertolt Brecht 1929 / 2. Transkription Dr. Peter Villwock ©Akademie der Künste Bertolt-Brecht-Archiv / 3. Bulgarien © Humanite.fr (Bildquelle auf Nachfrage)

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Der „junge Genosse“ reagiert spontan auf Elend, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, lässt sich

von Mitgefühl leiten, empört sich, begehrt auf und ist nicht in der Lage rein taktisch

vorzugehen. In einer entscheidenden Extremsituation handelt er ohne sich mit den „vier

Agitatoren“ abzustimmen. Zuletzt stimmt er ihnen darin zu, dass er die gemeinsame Arbeit

gefährde. Er gibt sein Einverständnis dafür – der Punkt wurde durch Brecht in den

verschiedenen Fassungen von „Die Maßnahme“ mehrmals umgearbeitet – durch sie erschossen

und in eine Kalkgrube geworfen zu werden.

Die möglichen Lesarten dieser Theatervorgänge und die daraus zu ziehende

Schlussfolgerungen waren zur Zeit der ersten Aufführungen von „Die Maßnahme“ umstritten

und sie sind es bis heute.

Die Figur des „jungen Genossen“ wird teilweise mit einer professionellen Sopranistin besetzt.

Sie verfügt über Erfahrung als Darstellerin und ist in der Lage sich in herausragender Weise

sprechend und singend als Teil der Vielfalt des „Gemischten Chors“ und in singulärer Initiative

Gehör zu verschaffen. Darüber hinaus wird die Figur des „jungen Genossen“ teilweise von drei

professionellen DarstellerInnen und Laien übernommen und unterstützt.

5c. Die Maßnahme: Vier AgitatorInnen

Die „vier Agitatoren“ berichten die Ereignisse um den „jungen Genossen“ vor dem

„Gemischten Chor“ und den Anwesenden im Rückblick - aus einer Zukunft, der Brecht und

Eisler 1930 hoffnungsvoll entgegensahen, die sie sich vorstellten und die sie nicht kannten.

Für die Proben der DarstellerInnen sind die SchauspielerInnen Hermann Beyer, Roch

Leibovizi und Almut Zilcher angefragt. Hinzu kommen bis zu 27 Laien-DarstellerInnen. Unter

den Mitwirkenden sind SchülerInnen der 6.-9. Klassen der Freien Waldorfschule Berlin Mitte

und die Obdachlosentheatergruppe RATTEN 07.

Vor der Aufführung finden gemeinsame Proben für professionelle DarstellerInnen und Laien-

DarstellerInnen statt.

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In der Uraufführung von „Die Maßnahme“ 1930 übernahm der junge Slatan Dodow die

szenische Leitung. In Anlehnung an die historische Präfiguration übernimmt Fabiane

Kemmann die szenische Leitung und Barbara Nicolier begleitet diesen Prozess.

5d. Die Maßnahme: Zehn MusikerInnen Das Orchester von „Die Maßnahme“ setzt sich aus drei Trompeten, zwei Hörnern, zwei

Posaunen, Klavier und Schlagwerk - zwei Paar Pauken, großer Trommel, kleiner Trommel,

Rührtrommel und Tamtam - zusammen. Ein großer Teil der MusikerInnen hat die Partitur in

einer Theaterbetrieb-internen Inszenierung von „Die Maßnahme“ in der Volksbühne 2008

vierzig Mal gespielt.

6. Die Maßnahme: Ästhetik „Aufführungen von „Die Maßnahme“ in der originalen Besetzung sind nötig, weil nur in ihnen,

in der Einheit von Bühne, Schauspiel und Musik, das komplexe Kunstwerk erkennbar

Klavierauszug: Die Maßnahme, Lehrstück von Bertolt Brecht und Hanns Eisler, Fassung 1931, S. 84 © Schott Universal

DarstellerInnen

Margarita Breitkreitz, Bernd Grawert Ole Lagerpusch, Matthias Rheinheimer

Sopran: Winnie Böwe

LaiendarstellerInnen: RATTEN 07, ChoristInnen.

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wird.“ (Vgl. Geleitwort BBA, S.1) Die heutige Aufführung

von „Die Maßnahme“ orientiert sich am Modell der

Uraufführung von 1930 - das in die Gegenwart geholt wird.

So ist das Projekt „Die Maßnahme“ Modell für die

Wiederaneignung des Lehrstücks in seiner originalen Form,

einer seit 1933-1945 zur „zerstörten Vielfalt“ zählenden

Sonderform des Theaters. Die Aufführung wird ästhetisch arm

gehalten, Rollen werden teilweise von Fragment zu Fragment, von Kapitel zu Kapitel

gewechselt. Vor allem die Sopranistin wird auf Grund ihrer stimmlichen und darstellerischen

Voraussetzungen in der Lage sein, eine singuläre Spur im Raum zu hinterlassen. Sie und die

anderen AkteurInnen zeichnen die flüchtige Spur der Aufzeichnungen Brechts durch die Zeit.

Die Freifläche in der Mitte des Kammermusiksaals der Philharmonie Berlin ist das

darstellerische Zentrum, das Orchester spielt dort, die Chöre singen ebenda und im Saal.

Sparsame Mittel des Kostüm- und Bühnenbilds, wie ein Podest zur Verstärkung der

Spielfläche und Masken, können zum Einsatz

kommen. Eine einfache Saalbeleuchtung ist

verabredet. Sprache, Rollen und Musik werden nicht

als Mittel zur Festschreibung von Figuren eingesetzt

sondern zur Erforschung und Konturierung der Frage

nach einer „besseren Möglichkeit“.

Philharmonie Berlin, 13.12.1930. Die Maßnahme. Text: Bertolt Brecht. Musik: Hanns Eisler. Inszenierung: Slatan Dudow. Berliner Arbeitersängerchor: Berliner Schubert-Chor, Gemischter Chor Groß-Berlin, Gemischter Chor Fichte. Dirigent: Karl Rankl. Einstudierung: Ernst Hermann Meyer, Karl Vollmer.

Schulaula Weinmeistersstraße, 14.06.2014. Die Maßnahme. Text: Bertolt Brecht. Musik: Hanns Eisler. Prototyp. Skizze: Barbara Nicolier. Musikalische Leitung: Marcus Crome. Mitarbeit: Fabiane Kemmann, Franziska K. Huhn.

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7. Die Maßnahme: Zeitplan

7a. Die Maßnahme: Kraft der Stimmen im Prozess

Seit Januar 2016 haben die Berliner Chöre die Partitur mit ihrer Chorleitung an ihrem eigenen

Probenort selbstständig und unabhängig von einander einstudiert. Dabei stehen die

Mitwirkenden der Initiative „Die Maßnahme“ und MitarbeiterInnen als AnsprechpartnerInnen

zur Verfügung. Im Januar und Februar fanden Treffen aller

ChorleiterInnen mit der Initiative „Die Maßnahme“ und

MitarbeiterInnen statt. Interessierten SängerInnen und

TeilnehmerInnen aus sozialen Einrichtungen stehen

vornehmlich zwei „Die Maßnahme“-Projektchöre offen: der

neu gegründete Chor des DEGEWO-Brückeladens

Schöneweide (DEGEWO-Brückeladen-Chor) und der 2014

gegründete Die Maßnahme-Projektchor, der ursprünglich aus

SängerInnen des Chors der werktätigen Volksbühne und

SängerInnen des Prototyps von „Die Maßnahme“ besteht.

Interessierte SängerInnen können sich darüber hinaus auf die mitwirkenden Chöre verteilen.

Die Parallelität der Proben und die Vielfalt der öffentlichen Räume an welchen sie stattfinden,

ist einer von mehreren Wegen im Prozess der Erarbeitung von „Die Maßnahme“ mit

öffentlichen Ressourcen zu experimentieren. Parallel zu den Proben der Chöre haben die

Mitglieder der Initiative „Die Maßnahme“ das Konzept verfeinert und die Vorstellung

vorbereitet. Für die Darstellerinnen und Darsteller findet vor der Aufführung eine konzentrierte

Proben-Phase statt. Die Proben des Orchesters finden in der Hochschule für Musik Hanns

Eisler Berlin unter der Leitung der Hochschule statt.

7b Die Maßnahme: Konfrontation Kurz vor der Aufführung kommen die Mitwirkenden zusammen: Am 19.03.2016 und

02./03.04.2016 treffen die verschiedenen Berliner Chöre im Foyer des Russischen Hauses der

Kultur und Wissenschaft um 10 Uhr aufeinander. In der zweiten Hauptprobe (HP2) kommen

die DarstellerInnen hinzu. In Generalprobe (GP) am 08.04.2016 treffen der große Gemischte

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Chor, das Orchester, DarstellerInnen und Solistin im Kammermusiksaal der Philharmonie

Berlin aufeinander.

So werden die Voraussetzungen für die einmalige, authentische Konfrontation aller Beteiligten

– des Gemischten Chores, des Orchesters, der DarstellerInnen, der Sopranistin und des

Publikums - mit den durch „Die Maßnahme“ aufgeworfenen Themen und Fragen in der

Aufführung am Abend des 08.04.2016 im Kammermusiksaal der Philharmonie geschaffen.

7c. Die Maßnahme: Aufführung Die Uraufführung von „Die Maßnahme“ fand um Mitternacht am 13./14. Dezember 1930 in

der ehemaligen Berliner Philharmonie in der Bernburger Straße statt. In Anlehnung an den Ort

der Uraufführung ist die Premiere vorbehaltlich am 8. April 2016 im Kammermusiksaal der

Philharmonie Berlin angesetzt.

8. Die Maßnahme: Inhaltliche Begleitung

Die inhaltliche Begleitung des Probenprozesses und der Aufführung von „Die

Maßnahme“ findet auf drei Ebenen statt:

In Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung, der Universität Leipzig und mit dem Brecht-,

Friedens- und Konfliktforscher Dr. Reiner Steinweg.3

1. Ausgehend von einem Experiment des „Grundchors“, welches „’Die Maßnahme’ als

Instrument politischer Bildung für Einheimische und Flüchtlinge“ heißen wird, wird die

Rosa Luxemburg Stiftung das Projekt inhaltlich begleiten. Dabei wird Wert auf das von

der Bundeszentrale für politische Bildung formulierte Kontroversitätsgebot gelegt.

2. „Die Maßnahme“ wird von Studierenden – voraussichtlich von der Universität Leipzig

unter der Leitung von Professor Heeg - inhaltlich begleitet. Barbara Nicolier und

3https://de.wikipedia.org/wiki/Reiner_Steinweg und http://www.friedenspaedagogik.de/archiv/publikationen_mit_beschreibung_2010/ein_leben_gegen_gewalt_reiner_steinweg_ueber_seinen_weg_zur_friedensforschung_dvd

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Fabiane Kemmann werden einen für Flüchtlinge und ehemalige Obdachlose offenen,

praktischen und theoretischen Workshop an der Universität geben, Studierende werden

sich an der Projektdokumentation beteiligen und eine Ausstellung zur „vergessenen

Opfergruppe“ der vernichteten Arbeiter(sängerInnen)-Bewegung vorbereiten, welche

die Aufführung von „Die Maßnahme“ am 8. April begleiten wird.

3. Der Brecht- und Friedensforscher Reiner Steinweg wird als eventuell auch während der

Aufführung Fragen stellender Laien-Darsteller in die Aufführung und so auch in den

Probenprozess der DarstellerInnen eingebunden. Er hat aus intensiver Forschung zum

Lehrstück als Sonderform des Theaters eine Methode zur Gewaltprävention entwickelt,

zahlreiche Publikationen dazu herausgegeben und ist der verdienteste Forscher speziell

zu „Die Maßnahme“. Im Anschluss an die Aufführung findet ein zweitätiger

Lehrstückkurs statt.

Die Förderung der inhaltlichen Begleitung ist bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und

Zukunft“ im Förderprogramm zur Erinnerung an NS-Zwangsarbeit und vergessene Opfer, beim

Bezirkskulturamt Mitte und bei der Landeszentrale für politische Bildung beantragt.

9. Die Maßnahme: Prototyp 14. Juni 2014

Am 14. Juni 2014 wurde am historischen

Originalschauplatz der „großen Diskussion“ nach der

Uraufführung 1930 ein Prototyp des Projekts „Die

Maßnahme“ aufgeführt. SchülerInnen der 6.-9.

Klassen der Freien Waldorfschule Berlin Mitte

übernahmen die Sprechrollen. Es sangen SängerInnen

des Chors der werktätigen Volksbühne und

SängerInnen in singulärer Initiative aus

sechsverschiedenen Berliner Chören. Die Lesung mit

Klavier und Chor wurde öffentlich gefördert von der Stiftung Pfefferwerk e.V. Eine

Aufzeichnung als DVD liegt vor.

Abb.: Welt am Abend, 15.12.1930 (BBA Theaterdokumentation 2141) ©Akademie der Künste Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv

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9b.DieMaßnahme:Multi-Chor-Prototyp11.November2015

Auf dem Pariser Platz experimentierten am 11. November 2015 im Rahmen der von der

Bundesarbeitsgemeinschaf Wohnungslosenhilfe veranstalteten Kundgebung „Solidarität statt

Konkurrenz - entschlossen handeln gegen Wohnungslosigkeit und Armut“ vier Chöre mit der

Möglichkeit spontan zusammen zu kommen: der GEBEWO-Brückeladen-Chor, der „Die

Maßnahme“-Grundchor, der Hard Chor ELLA und der Politchor. Hinzu kamen

TeilnehmerInnen der größten Fachtagung in der Geschichte des Bundesarbeitsgemeinschaft

Wohnungslosenhilfe unter dem Motto „Solidarität statt Konkurrenz – entschlossen Handeln

gegen Wohnungslosigkeit

und Armut“ und

Darstellerinnen der

Obdachlosentheatergruppe

RATTEN 07. Gemeinsam

setzten sie singend und

spielend ein Zeichen gegen

Armut, Wohnungslosigkeit

und jede Art der

Diskriminierung. Die

enorme menschliche

Vielfalt der Chöre und die

Spontaneität ihres

Zusammenkommens nach nur wenigen unabhängig organisierten Probenwochen wurden zum

Ausdruck von sozialer Fantasie und gelungener Integration. Im Mittelpunkt standen Text und

Musik aus „Kapitel V: Was ist eigentlich ein Mensch?“ Der unabhängige Chor-Prototyp war

gefördert aus Mitteln des Bezirksamts Mitte von Berlin, der Bundesarbeitsgemeinschaft

Wohnungslosenhilfe, des diakonischen Werks und der GEBEWO – soziale Dienste - Berlin

gGmbH.

Die Maßnahme, Kap. V Was ist eigentlich ein Mensch, Pariser Platz, 11.11.2015, Foto: Hilmar Franz

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10. Die Maßnahme: Schluss

10a. Die Maßnahme: Soziale Fantasie und Fortschritt

„Die Maßnahme“ ist – ähnlich der Meisterwerke etwa eines Aischylos oder Shakespeare – ein

Stück aus einer anderen Epoche, das nach einer zeitgemäßen Lesart und Herangehensweise

verlangt. Das Anliegen Bertolt Brechts, „wissenschaftlich einen Skandal zu organisieren“4

damit die „große Diskussion“ über gesellschaftliche Verhältnisse in Gang gesetzt wird, wurde

mit „Die Maßnahme“ in beeindruckender Weise verwirklicht.

Auch heute markiert das Meisterwerk wesentliche und hochaktuelle Einflussfaktoren

gesellschaftlicher Prozesse. Über den Inhalt hinaus ist „Die Maßnahme“ durch Fragen, welche

die komplexe Besetzung des Lehrstücks an die Gesellschaft der Gegenwart stellt, gerade in

unserer heutigen Situation ein Instrument der Innovation, das unbekannte Möglichkeiten des

Erkenntnisgewinns birgt.

Im Rahmen der Realisation des Projekts wird kulturelle Diskriminierung praktisch

durchbrochen und mit den Möglichkeiten von kreativer Nutzung öffentlicher Ressourcen

experimentiert. Indem das aufwendige Aufführungskonzept von 1930 in die Gegenwart geholt

wird, wird das komplexe Kunstwerk wieder erkennbar und Bertolt Brechts „Große

Diskussion“ wird aufgegriffen, neu initiiert und weitergeführt.5

Symbolisiert wird diese Verbindung durch die historischen Originalschauplätze des Projekts

„Die Maßnahme“6

Das Projekt ist prädestiniert dafür zum Modell der Wiederaneignung des Lehrstücks als

Instrument eines ganzheitlichen Auseinandersetzungsprozesses für eine Vielzahl von Akteuren

zu werden – zum Instrument der Auseinandersetzung mit individuellen und kollektiven

Handlungsmöglichkeiten, der Gesellschaftsanalyse, der sozialen Fantasie und des Fortschritts.

Gleichzeitig ist "Die Maßnahme" dazu konzipiert Modell für die Wiederverankerung der in

Deutschland kurz vor der Regression in den Nationalsozialismus gesamtgesellschaftlich

geführten Auseinandersetzung um gesellschaftliche und demokratische Werte im heutigen

öffentlichen Bewusstsein zu sein.

4BertoltBrecht5Vgl.ErdmutWizisla,GeleitwortBertoltBrechtArchivderAkademiederKünste,S.36Vgl. S. 21

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Die singulären Stimmen, welche „Die Maßnahme“ einstudieren, werden im Probenprozess in

kritischer und absehbar kontroverser Auseinandersetzung mit den Fragen von „Die Maßnahme7

aus ihrer Singularität heraus zu einem in Vielfalt/Vielstimmigkeit konzentrierten Klangkörper

vereint. Der gemischte Chor wird gegen Ende des Probenprozesses und in der Aufführung

durch DarstellerInnen und Solistin immer wieder mit singulären Stimmen konfrontiert. Am

Abend der Aufführung sind die Anwesenden in der Auseinandersetzung mit den Fragen von

„Die Maßnahme“ zur selbstständigen kritischen Auseinandersetzung und zu einem starken

gemeinsamen Erlebnis vereint.

In Anlehnung an Brecht und Eisler wird es wie 1930 zunächst eine Aufführung geben. Die

Intensivierung der Kooperation mit europäischen Partnern ist anvisiert, auch um eventuell in

einer Wiederaufführung die Fragen von „Die Maßnahme“ auf diese weitere Ebene zu bringen.

Inhalt und Form sind dazu angelegt, die Beteiligten miteinander agieren, sie miteinander nach

Heute fragen, sie Heute erkennen, Heute verändern und totalitären und diskriminierenden

Tendenzen jeder Art entgegentreten zu lassen.

7 Vgl. S.9