Die mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion II · Mineral Trioxid Aggregate (MTA), zur Verfügung....

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Die mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion II Dokumentation anhand von Fallbeispielen Ein Beitrag von Priv.-Doz. Dr. Robert Kirmeier, MSc, München In der modernen Zahnmedizin stellt die mikrochi- rurgische Wurzelspitzenresektion bei sehr guten Ausheilungsraten in vielen Fällen eine ausgewie- sene Therapiealternative zur Zahnentfernung dar. Die im zahnärztlichen Alltag am häufigsten an- zutreffenden pathologischen Veränderungen des Knochens sind apikale Läsionen (Abb. 1a bis c). Diese entzündlichen Prozesse an der Wurzelspitze werden durch die Infektion des Wurzelkanalsys- tems oder Anteilen davon verursacht. Bakterien und deren Toxine können über den Apex und die Ramifikationen in das periapikale Gewebe gelan- gen und führen zu Entzündung, Zerstörung des periapikalen Parodontiums sowie einer Osteolyse [1,2]. Meistens handelt es sich dabei histologisch um ein periapikales Granulom oder eine radikuläre Zyste. Beide Entitäten lassen sich letztendlich nur histologisch sicher differenzieren [3,4]. Auch mit den heutigen mechanischen und chemi- schen Aufbereitungstechniken ist bei der Wurzel- kanalbehandlung die Elimination aller Noxen im geometrisch komplexen System des Wurzelkanals, insbesondere im apikalen Drittel, nicht immer voll- ständig möglich [5-8]. Aufgrund der häufig in Ra- mifikationen, Isthmen und im Bereich des apikalen Deltas des bereits vorbehandelten Wurzelkanalsys- tems persistierenden pathogenen Besiedlung aus unterschiedlichen Keimen (u. a. Prevotella interme- dia, Porphyromonas endodontalis, Porphyromonas gingivalis, Fusobacterium nucleatum und Aktino- myceten) können sich sowohl akute, zum Teil sehr schmerzhafte, als auch chronisch fortschreitende apikale Knochenläsionen entwickeln. Diese sind bei fehlender klinischer Symptomatik häufig röntgeno- logische Zufallsbefunde mit zum Teil erheblichen Ausmaßen von mehreren Zentimetern [9,10]. Führt eine Wurzelkanalbehandlung oder Revision des Kanalsystems nicht zu einer apikalen Aushei- lung, ist ein chirurgischer Zahnerhalt bei geeigneter Indikation eine Therapieoption, um durch die Eli- mination der infizierten Wurzelspitze eine dauer- hafte apikale Ausheilung zu erreichen. Entwicklung der mikrochirurgischen Wurzelspitzenresektion Die klassische Wurzelspitzenresektion (WSR), oder auch Wurzelspitzenamputation, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Partsch beschrie- ben und stellt weiterhin das am häufigsten ein- gesetzte chirurgische Verfahren zum Zahnerhalt dar [11]. Klassischerweise wird dabei ein Bogen- schnitt für den Zugang gewählt und nach Frei- legen des Operationsfeldes das Entzündungsgewebe sowie die Wurzelspitze in starker Winkelung von circa 45 Grad entfernt. Dabei wird entweder die Abb. 1a: Präoperatives Röntgenbild des Zahns 46 Abb. 1b: Unmittelbar postoperatives Röntgenkontrollbild Abb. 1c: Kontrollröntgenbild nach vier Monaten | BZB Juni 18 | Wissenschaft und Fortbildung 54

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Die mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion IIDokumentation anhand von Fallbeispielen

Ein Be i t rag von Pr iv. -Doz. Dr. Rober t K i rmeier, MSc, München

In der modernen Zahnmedizin stellt die mikrochi-rurgische Wurzelspitzenresektion bei sehr guten Ausheilungsraten in vielen Fällen eine ausgewie-sene Therapiealternative zur Zahnentfernung dar.

Die im zahnärztlichen Alltag am häufigsten an-

zutreffenden pathologischen Veränderungen des

Knochens sind apikale Läsionen (Abb. 1a bis c).

Diese entzündlichen Prozesse an der Wurzelspitze

werden durch die Infektion des Wurzelkanalsys-

tems oder Anteilen davon verursacht. Bakterien

und deren Toxine können über den Apex und die

Ramifikationen in das periapikale Gewebe gelan-

gen und führen zu Entzündung, Zerstörung des

periapikalen Parodontiums sowie einer Osteolyse

[1,2]. Meistens handelt es sich dabei histologisch

um ein periapikales Granulom oder eine radikuläre

Zyste. Beide Entitäten lassen sich letztendlich nur

histologisch sicher differenzieren [3,4].

Auch mit den heutigen mechanischen und chemi-

schen Aufbereitungstechniken ist bei der Wurzel-

kanalbehandlung die Elimination aller Noxen im

geometrisch komplexen System des Wurzelkanals,

insbesondere im apikalen Drittel, nicht immer voll-

ständig möglich [5-8]. Aufgrund der häufig in Ra-

mifikationen, Isthmen und im Bereich des apikalen

Deltas des bereits vorbehandelten Wurzelkanalsys-

tems persistierenden pathogenen Besiedlung aus

unterschiedlichen Keimen (u. a. Prevotella interme-

dia, Porphyromonas endodontalis, Porphyromonas

gingivalis, Fusobacterium nucleatum und Aktino-

myceten) können sich sowohl akute, zum Teil sehr

schmerzhafte, als auch chronisch fortschreitende

apikale Knochenläsionen entwickeln. Diese sind bei

fehlender klinischer Symptomatik häufig röntgeno-

logische Zufallsbefunde mit zum Teil erheblichen

Ausmaßen von mehreren Zentimetern [9,10].

Führt eine Wurzelkanalbehandlung oder Revision

des Kanalsystems nicht zu einer apikalen Aushei-

lung, ist ein chirurgischer Zahnerhalt bei geeigneter

Indikation eine Therapieoption, um durch die Eli-

mination der infizierten Wurzelspitze eine dauer-

hafte apikale Ausheilung zu erreichen.

Entwicklung der mikrochirurgischen Wurzelspitzenresektion Die klassische Wurzelspitzenresektion (WSR), oder

auch Wurzelspitzenamputation, wurde bereits

Ende des 19. Jahrhunderts von Partsch beschrie-

ben und stellt weiterhin das am häufigsten ein-

gesetzte chirurgische Verfahren zum Zahnerhalt

dar [11]. Klassischerweise wird dabei ein Bogen-

schnitt für den Zugang gewählt und nach Frei-

legen des Operationsfeldes das Entzündungsgewebe

sowie die Wurzelspitze in starker Winkelung von

circa 45 Grad entfernt. Dabei wird entweder die

Abb. 1a: Präoperatives Röntgenbild des Zahns 46

Abb. 1b: Unmittelbar postoperatives Röntgenkontrollbild

Abb. 1c: Kontrollröntgenbild nach vier Monaten

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bereits vorhandene Wurzelfüllung freigelegt oder

der Kanal intraoperativ von orthograd abgefüllt.

Eine genauere Inspektion der Wurzelkanäle erfolgt

nicht. Die Erfolgswahrscheinlichkeit, durch diesen

Eingriff eine Ausheilung zu erlangen, liegt bei ledig-

lich 59 Prozent (95 % CI 55 bis 63 %) [13].

Mit der Einführung des Operationsmikroskops in

der Endodontie Ende der 1990er-Jahre gelang es

durch die Entwicklung einer technisch wesentlich

verbesserten Operationsmethode, der mikrochirur-

gischen Wurzelspitzenresektion, die Erfolgsraten

um das 1,58-Fache auf 94 Prozent (95 % CI 89 bis

98 %) zu steigern [12]. Der Schlüssel des Erfolgs liegt

dabei zum einen in der verbesserten Visualisierung

der Resektionsfläche und damit der Identifizierung

von Isthmen und zusätzlichen Kanälen des Systems

sowie Wurzelrissen, und zum anderen in der api-

kalen bakteriendichten Obturation des Kanalsys-

tems. Zusätzlich gelingt es heute durch den Einsatz

von mikrochirugischem Instrumentarium, die Re-

sektionshöhle sehr klein zu halten. Auch für den

Zugang zum Operationsfeld werden heute verän-

derte Schnittführungen gewählt [13]. Um mit die-

ser chirurgisch-endodontischen Maßnahme eine

zuverlässige Ausheilung zu erzielen, sind sowohl

die Fallauswahl als auch die technisch-operativen

Voraussetzungen von großer Bedeutung.

FallauswahlDer Entscheidungsfindung sollte selbstverständlich

immer eine sorgfältige klinische und röntgenolo-

gische Untersuchung vorausgehen. Bei der klini-

schen Untersuchung wird insbesondere auch auf

eine sorgfältige Taschensondierung zum Ausschluss

einer Paro-Endo-Läsion sowie die Sensibilitäts-

prüfung der Nachbarzähne zur Detektion etwaiger

(zusätzlicher) Pulpanekrosen Wert gelegt.

Die Indikationsstellung folgt anerkannten Kriterien

und wird in enger Abstimmung mit dem Patienten

durchgeführt. Eine Indikation für eine WSR besteht

nur, wenn die endodontische Erstbehandlung und

die Revision nicht erfolgreich waren oder eine suf-

fiziente prothetische Versorgung mit Stiftaufbau

einer Revision entgegensteht [14]. Bei persistieren-

der Schmerzsymptomatik, unter anderem apikaler

Druckdolenz, kann trotz klinisch und radiologisch

einwandfreier Wurzelkanalfüllung eine chirurgisch-

endodontische Behandlung als Alternative zur

orthograden Revision in Betracht gezogen werden

[14]. In Ausnahmefällen besteht bei mehrwurzeli-

gen Zähnen die Möglichkeit einer Hemisektion be-

ziehungsweise Wurzelamputation, um den Entzün-

dungsherd zu beseitigen [15]. Als eher experimen-

tell wird der Erhaltungsversuch durch intentionelle

Extraktion, extraorale WSR mit retrograder Obtu-

ration und anschließende Replantation angesehen

[16]. Zähne, deren parodontaler Knochenabbau

schon zu weit fortgeschritten ist, das Vorliegen einer

ungünstigen Kronen-Wurzel-Relation, eine Fraktur

des Zahns oder auch eine ungünstige prothetische

Wertigkeit können mögliche Gründe sein, sich für

eine Extraktion zu entscheiden [17,18].

Auch die voraussichtliche Zugänglichkeit und Ein-

sehbarkeit des Operationsgebiets während des Ein-

griffs sollte in die Entscheidungsfindung einfließen.

So können die Lage der Wurzel zu anatomischen

Strukturen, wie zum Beispiel Nerv-Gefäß-Bündel

im Unterkieferseitenzahnbereich oder Oberkiefer-

gaumen, ungünstige Knochenverhältnisse, wie zum

Beispiel eine sehr ausgeprägte Linea obliqua, so-

wie Wurzelinklinationen oder -überlagerungen den

Eingriff erschweren bis unmöglich machen. Vor-

erkrankungen des Patienten sowie die Medikation

können eine interdisziplinäre Abklärung notwendig

machen und die Entscheidung beeinflussen. Nicht

zuletzt sollte die Belastungsfähigkeit des Patienten

abgeschätzt werden. Als prognostisch günstig ha-

ben sich zudem eine präoperative Symptomfreiheit

sowie ein röntgenologisch geringer Läsionsdurch-

messer von < 5 mm bei qualitativ bestmöglicher

Wurzelfüllung erwiesen [19]. Für Nachresektionen

gilt eine generell schlechtere Prognose [20].

OperationsvorbereitungDie Patienten sollten nach Möglichkeit 24 Stunden

vor dem operativen Eingriff über die Operation,

Vor- und Nachteile, möglichen Risiken und die

Notwendigkeit einer radiologischen Verlaufskon-

trolle aufgeklärt werden. Eine perioperative Anti-

biose ist auf keinen Fall routinemäßig einzusetzen

[21], sondern auf Fälle mit ausgedehnten fortge-

leiteten Entzündungen und entsprechender klini-

scher Symptomatik wie starken Schmerzen und

Schwellungen oder auf anderweitig allgemein-

medizinisch bedingte Notwendigkeiten beschränkt.

WeichgewebszugangDie mögliche Schnittführung sollte bereits bei der

Planung des Eingriffs bedacht werden. Der Schnitt

sollte immer auf knöcherner Unterlage gesetzt wer-

den, damit die Naht nicht über der Resektionshöhle

zu liegen kommt und eine optimale Erweiterbarkeit

und Übersicht gewährleistet sind. Vertikale Schnitte

werden bevorzugt, da Gefäße, Nerven-, Kollagen-

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und elastische Fasern zum Zahnfleischrand aus-

laufen und dadurch die Traumatisierung verringert

werden kann. Um Rezessionen möglichst gering zu

halten, sollte der Schnitt am Zahnfleischrand lateral

der Zahnmitte im rechten Winkel gesetzt werden.

Die Bogenschnitttechnik nach Partsch kommt

heutzutage aufgrund der Narbenzüge, mäßigen

Übersichtlichkeit und mangelhaften Erweiterbar-

keit immer weniger zur Anwendung. Am gebräuch-

lichsten sind die paramarginale Schnittführung

nach Ochsenbein-Lübke (Abb. 2a und b) und der

Zahnfleischrandschnitt nach Nowak-Peter (Abb. 3a

und b). In beiden Fällen sollte der Schnitt mit de-

finiertem Druck gesetzt werden, um Schleimhaut

und Periost in einem zu durchtrennen. Danach wird

der Weichteil-Periost-Lappen mit einem möglichst

scharfen Papillenelevator abpräpariert.

Bei der paramarginalen Schnittführung nach Och-

senbein-Lübke wird in der attached Gingiva ein

Schnitt in einem Winkel von 45 Grad im Abstand

von maximal 2 bis 3 mm vom Zahnfleischrand ge-

setzt, um die Blutversorgung der Gewebeanteile auf-

rechtzuerhalten. Die vertikale mesiale und distale

Entlastung sollten parallel zueinander verlaufen.

Notwendig dabei ist die Schonung der marginalen

Gingiva. Hierauf ist insbesondere bei der vorausge-

henden Taschensondierung zu achten.

Der Zahnfleischrandschnitt nach Nowak-Peter wird

mesial, distal oder an beiden Enden vertikal in das

Vestibulum entlastet. Dieses Verfahren bietet den

Vorteil einer guten Erweiterbarkeit bei Vorliegen

einer bereits durch die Knochenhaut perforieren-

den Osteolyse oder Zyste sowie bei einer wahr-

scheinlichen intraoperativen Kiefer- oder Nasen-

höhleneröffnung.

Darstellung der WurzelspitzeIst der entzündliche Defekt bereits durch den Kno-

chen durchgebrochen, gestaltet sich das Auffinden

der Wurzelspitze relativ einfach. Bei sehr dünnen

Knochenverhältnissen kann man den Apexbereich

mit einer spitzen Sonde abtasten und bricht dabei

leicht durch die ausgedünnte Kortikalis in den auf-

zusuchenden Hohlraum durch. Besonders schwierig

kann sich das Aufsuchen der betroffenen Wurzel-

spitze bei sehr dicken Knochenschichten, wie zum

Abb. 2a und b: Paramarginaler Schnitt nach Ochsenbein-Lübke

Abb. 3a und b: Zahnfleischrandschnitt nach Nowak-Peter

a

a

b

b

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Beispiel im Unterkieferseitenzahnbereich, oder der

palatinalen Wurzelspitze der ersten Oberkieferprä-

molaren gestalten.

Falls notwendig, wird die Wurzelspitze durch das

Abtragen des kortikalen Knochens mit Rosenboh-

rern unterschiedlicher Größe oder einem ultra-

schallgetriebenen Handstück unter ständiger Küh-

lung mit einer ausreichenden Menge an steriler

isotonischer Kochsalzlösung freigelegt. Durch die

Anwendung mikrochirurgischer Instrumente kann

der knöcherne Zugang auf wenige Millimeter be-

schränkt werden [22,23].

Nach Auffinden der Wurzelspitze wird das Granu-

lationsgewebe unter Einsatz von Exkavator und

Handscaler gründlich entfernt und für die histo-

logische Untersuchung entsprechend aufbewahrt.

WurzelspitzenresektionFür eine erfolgreiche Ausheilung wird empfohlen,

die letzten 3 mm der Wurzelspitze zu kappen, da da-

durch circa 98 Prozent der Ramifikationen und circa

93 Prozent der lateralen Kanäle mitentfernt werden

[24,25]. Das Abtragen der Wurzelspitze erfolgt in

der Regel mit einem Fissurenbohrer. Die Resektions-

fläche wird dann mit einer birnenförmigen Fräse

geglättet. Die Resektionsfläche sollte leicht nach

bukkal um etwa 3 bis 10 Grad anguliert sein, um

die Wurzelfüllung kontrollieren zu können.

Die Inspektion der so vorbereiteten Resektions-

fläche sollte erst nach einer suffizienten Blutstillung

erfolgen. Blutungen, die an der Weiterführung der

Operation hindern, können je nach Schwere durch

Kompression mit Wasserstoff, Epinephrin-Pellets,

Aluminiumchlorid oder Einbringen von Knochen-

wachs in die Resektionshöhle erreicht werden

(Abb. 4a und b). Etwaige selten auftretende pul-

sierende arterielle Blutungen kann man durch

Kompression (wie z. B. Verklopfen) stillen. Um eine

Wurzelfraktur auszuschließen oder zusätzliche

Seitenkanäle beziehungsweise Isthmen erkennbar

zu machen, wird die Resektionsfläche mit Methylen-

blau angefärbt. Bei vorhandener Fraktur muss der

Zahn extrahiert werden (Abb. 4c bis 6).

Aufbereitung des Wurzelkanals von retrogradBei bestehender (suffizienter) orthograder Wur-

zelfüllung wird die Wurzel von retrograd mittels

Ultraschallspitzen bis zu einer Tiefe von 3 bis 4 mm

aufbereitet. Zusätzliche Kanäle oder Isthmen wer-

den ebenso zugänglich gemacht. Eine Überprüfung

Abb. 4a: Zustand unmittelbar nach der Resektion

Abb. 4b: Blutstillung mit Aluminium- chlorid

Abb. 4c: Anfärben mit Methylenblau zur Detektion eines zweiten (lingualen) Wurzelkanals

Abb. 5a bis c: An Resektionsflächen zeigt sich nach Anfärben mit Methylenblau a) ein sicherer Ausschluss eines Risses – der Eingriff kann wie geplant fortgeführt werden, b) ein Isthmus, der von retrograd mit aufbereitet werden kann oder c) eine Fraktur – dieser Zahn ist nicht erhaltungsfähig.

a b c

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kann mit Mikrospiegel und Röntgenbildern durch-

geführt werden.

Retrograde Füllung des WurzelkanalsDer Kanal muss vor der Obturation gesäubert und

getrocknet werden. Unter den zahlreichen retro-

graden Füllungsmaterialien können folgende Subs-

tanzen den Anforderungen (siehe Kasten „Anforde-

rungen an ein retrogrades Füllmaterial“) gerecht

werden: Aus dem Bereich der Zinkoxid-Eugenol-

Zemente findet insbesondere der sogenannte IRM-

Zement (Intermediate Restorative Material, Dent-

sply, USA) Anwendung. Er verfügt über ein sehr gu-

tes Abbinde- und Randverhalten, eine geringe Lös-

lichkeit und einfache Handhabung. Der Gebrauch

von Super-EBA (Bosworth, USA) als retrogrades Füll-

material wurde erstmals im Jahr 1978 beschrieben

[26]. Er bietet ein ebenso gutes Abbindeverhalten

und ist durch seine gute Gewebeverträglichkeit

dem Zinkoxid-Eugenol-Zement überlegen [27,28].

Seit den 2000er-Jahren steht ein weiteres Material,

Mineral Trioxid Aggregate (MTA), zur Verfügung.

Trotz seiner anspruchsvolleren Verarbeitbarkeit und

der langen Abbindezeit ist es aufgrund der hohen

Biokompatibilität eine sehr gute Wahl [29]. Auch

weist es gegenüber Super-EBA eine Überlegenheit

hinsichtlich der Randdichtigkeit auf [30,31]. Neuere

Füllmaterialien aus der Klasse der Biokeramiken für

dentale Anwendungen zeigen zumindest im Tier-

versuch im Vergleich zu MTA bei der histologischen

Auswertung eine noch bessere Ausheilung, die rönt-

genologisch jedoch nicht evident ist [32].

Nach retrograder Füllung ist es entscheidend, dass

das überschüssige Füllmaterial abhängig von der

Beschaffenheit mittels rotierenden Instrumenten,

Exkavatoren, scharfen Löffeln oder einem mit iso-

toner Kochsalzlösung getränkten Pellet vollständig

aus der Resektionshöhle entfernt wird. Durch ein

unmittelbares postoperatives Röntgen kann die ap-

plizierte Füllung überprüft werden (vgl. Abb. 1b).

Wundverschluss und NachsorgeDie Wundränder werden spannungsfrei über in-

taktem Knochen mit Einzelknopf,- Papillen- oder

Matratzennähten verschlossen. Um den siebten

postoperativen Tag können die Nähte entfernt

werden. Eine Röntgenkontrolle nach circa vier

Monaten zur Beurteilung der Ausheilung ist sinn-

voll (vgl. Abb. 1c).

Komplikationen und KomplikationsmanagementGute anatomische Kenntnisse, eine gute Übersicht

über das Operationsfeld und eine Vergrößerungs-

hilfe erleichtern den operativen Eingriff in seiner

Durchführung und senken das Risiko für Kompli-

kationen. Im Unterkiefer sind die Gefährdung des

Mandibularkanals beziehungsweise des Nervus

mentalis seltene, aber mögliche Komplikationen, die

bereits bei der OP-Planung bedacht werden sollten

und häufig die Indikation zur Anfertigung einer digi-

talen Volumentomografie begründen. Insbesondere

bei der Resektion der Unterkieferprämolaren muss

die Austrittsstelle des Nervus mentalis dargestellt

und der Nerv intraoperativ durch ein entsprechendes

Instrument geschützt werden. Bei erfahrenen Ope-

rateuren ist dies ein seltenes Vorkommnis [33].

Wird der Mandibularkanal eröffnet oder der Ner-

vus mentalis traumatisiert, wird die Gabe von Ste-

Abb. 6: Der Zahn 11 zeigt nach Anfärben mit Methylenblau eine Längsfraktur. Der Zahn ist nicht erhaltungsfähig.

Anforderungen an ein retrogrades Füllmaterial

· einfache, feuchtigkeitsunabhängige Handhabung

· Biokompatibilität

· Röntgenopazität

· Formkonstanz

· Stabilität (nicht resorbierbar)

· Kondensationsfähigkeit

· bestmögliche Randständigkeit und Abdichtung

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roiden, zum Beispiel Prednisolon (Decortin) 20 mg,

10 mg, 5 mg, in täglich abfallender Dosierung

empfohlen [34], die eine Ödembildung und damit

verbundene Kompression des Nerven vermeiden

soll. Eine medikamentöse Therapie wie Vitamin B-

Komplex, Zink und Nukleotide ist für die Nerven-

regeneration nach Traumatisierung wissenschaft-

lich noch nicht belegt [35,36].

Für den Oberkiefer ist präoperativ die Lagebezie-

hung der Kiefer- und Nasenhöhle zur Wurzelspitze

zu bedenken. Bei einer Kieferhöhleneröffnung

während einer Resektion im Oberkieferseitenzahn-

bereich wird möglichst eine sofortige Abstopfung

dieser mit Gaze durchgeführt. Die (seltene) Eröff-

nung der Nasenhöhle durch Resektion im Front-

zahnbereich wird im Anschluss an den Eingriff

durch einen sofortigen Verschluss versorgt.

Eine persistierende oder postoperativ auftretende

Infektion ist meist durch Schwellung, Rötung und/

oder Fistelung gekennzeichnet. Die Nachbehand-

lung erfolgt symptombezogen (Inzision, Antibiotika-

gabe). Nach Abklingen der Entzündung muss der

Eingriff revidiert oder eine Zahnentfernung ange-

strebt werden.

ZusammenfassungDer Zahnerhalt mittels mikrochirurgischer Endo-

dontie stellt heute einen Eingriff dar, der sich durch

die verbesserte Visualisierung des Operations-

gebiets mittels Mikroskop gepaart mit einem kleine-

ren knöchernen Zugang sowohl für den Behandler

vorhersagbarer gestaltet als auch für den Patienten

in der Folge weniger schmerzhaft ist. Daher ist die

mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion bei sehr

guten Ausheilungsraten in vielen Fällen eine ausge-

wiesene Therapiealternative zur Zahnentfernung.

Korrespondenzadresse:Priv.-Doz. Dr. Robert Kirmeier, MSc

Fachzahnarzt für OralchirurgieKreuzstraße 16, 80331 München

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