Die mikroskopische Kolitis - FAM · einer mikroskopischen Kolitis nicht von einer glutenfreien...
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Mittlerweile konnte eindeutig nachgewiesen
werden, dass die Erkrankung wesentlich
häufiger auftritt als früher angenommen. Der
Gipfel der Inzidenz der kollagenen Kolitis
findet sich bei Frauen in der siebten Dekade
und beträgt 27 Erkrankte pro 100.000 Frauen
und Jahr. Die Inzidenz jeder einzelnen Form
(kollagene oder lymphozytäre Kolitis) ent-
spricht der Inzidenz des M. Crohn, und die
Summe der Inzidenzen beider Formen der
mikro skopischen Kolitis entspricht der Inzi-
denz der Colitis ulcerosa (Olesen 2004).
Sowohl Daten der Mayo Klinik aus dem Jahr
2004 als auch ein detailliertes Register der
Region Örebro (Schweden, 2006) dokumen-
tieren eine kontinuierliche Zunahme der Er-
krankung in den letzten 20 Jahren mit einem
Anstieg um den Faktor fünf bis zehn (Abbil-
dung 1). Auch am Pathologischen Institut im
Klinikum Wels wurde im Verlauf von 1995 bis
2005 die Diagnose „Mikroskopische Kolitis“
zunehmend häufiger gestellt (Abbildung 2).
Die mikroskopische Kolitis:Eine unterschätzte Erkrankung?Die mikroskopische Kolitis:Eine unterschätzte Erkrankung?
verfasst vonAndreas Kirchgatterer und Christian Bunte
Abteilung für Innere Medizin V, Schwerpunkt Gastroenterologie und Akutgeriatrie Klinikum Wels-Grieskirchen
Die mikroskopische Kolitis ist charakterisiert
durch das Auftreten einer chronischen,
wässrigen Diarrhoe vorwiegend bei Patienten
im mittleren Lebensalter. Endoskopisch lässt
sich ein Normalbefund erheben, aber histolo-
gisch sind typische Veränderungen sichtbar.
Der Begriff der mikroskopischen Kolitis wur-
de 1980 in den USA mit tatkräftiger öster-
reichischer Beteiligung (Prof. Dr. G. Krejs) ge-
prägt. Bei der Erstbeschreibung wurde von
einer chronischen Diarrhoe mit unbekannter
Ursache gesprochen. Heute beinhaltet die
Definition der mikroskopischen Kolitis zwei
Formen, nämlich die kollagene Kolitis und die
lymphozytäre Kolitis.
Typisches Zeichen der kollagenen Kolitis ist
bei der histologischen Untersuchung das
verdickte subepitheliale Kollagenband
(Lindström 1976). Pathognomonisch für die
lymphozytäre Kolitis ist der Nachweis eines
intra- und subepithelialen lymphozytären
Infiltrats (Lazenby 1989).
In den ersten Jahren seit Entdeckung bzw.
Beschreibung der Erkrankung ging man von
einem seltenen Auftreten aus, und noch in
den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts
waren nur spärliche epidemiologische Daten
verfügbar. Analysen aus Spanien und Island
zeigten Inzidenzen zwischen 1 und 5 Patien-
ten pro 100.000 Einwohner und Jahr mit
einem Erkrankungsgipfel zwischen 50. und
70. Lebensjahr.
Einleitung
Epidemiologie
Abbildung 2: Deutliche Zunahme der Frequenz der Diagnose „Mikroskopische Kolitis“ am Institut für Patholo-gie im Klinikum Wels von 1995 bis 2005
Abbildung 1: Zunahme der Inzidenz der mikroskopischen Kolitis an der Mayo Klinik seit 1985
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Offen bleibt, ob es sich tatsächlich um eine
Zunahme der Inzidenz der Erkrankung han-
delt oder ob durch eine gestiegene ärztliche
Aufmerksamkeit die Erkrankung häufiger
diagnostiziert wird.
Die Ätiologie der mikroskopischen Kolitis ist
derzeit noch nicht eindeutig geklärt. Es ist
fraglich, ob immer die gleichen Faktoren/Aus-
löser eine Rolle spielen. Gesichert scheinen
eine genetische Prädisposition sowie eine
Häufung bei Frauen (Faktor 2:1 bis 9:1).
Daten zum Nachweis einer Assoziation mit
bestimmten HLA-Antigenen sind inkonklusiv.
Unter den möglichen pathogenetischen
Mechanismen sind ein abnormer Kollagen-
Metabolismus (Typ VI), eine Imbalance von
Fibrogenese und Fibrolyse und ein Einfluss
bakterieller Toxine zu nennen. Daten einer
hochsignifikanten Häufung der lymphozytären
Kolitis im Sommer und Herbst lassen an eine
infektiöse Ursache denken (71 Pat.; LaSala
2005). Auch medikamentöse Auslöser stehen
zur Diskussion, ein kausaler Zusammenhang
mit der Einnahme von nichtsteroidalen Anti -
rheumatika (NSAR), dem Antidepressivum
Sertralin oder dem Protonenpumpeninhibitor
Lansoprazol wurde mehrfach beobachtet.
Ätiologie und Pathogenese
Weiters wurde vereinzelt eine Assoziation
zwischen mikroskopischer Kolitis und Zöliakie
beobachtet. Patienten mit mikroskopischer
Kolitis wiesen in 6 % (Baert 1999) bzw. 17 %
(Olesen 2004) eine begleitende Zöliakie auf.
Somit sollte an das zusätzliche Vorliegen
einer mikroskopischen Kolitis gedacht wer-
den, wenn eine glutenfreie Diät bei Zöliakie
versagt (allerdings profitieren Patienten mit
einer mikroskopischen Kolitis nicht von einer
glutenfreien Ernährung).
Die mikroskopische Kolitis stellt eine der
wesentlichen Differentialdiagnosen einer
chronischen Durchfallserkrankung (Dauer
über 4 Wochen) dar, wobei die beiden Unter-
formen (kollagene und lymphozytäre Kolitis)
durch das klinische Erscheinungsbild nicht zu
unterscheiden sind. Aktuelle Daten sprechen
dafür, dass bei etwa 10-20 % der Patienten
mit chronischer Diarrhoe eine mikroskopische
Kolitis für die Symptomatik verantwortlich ist.
Die Klinik der mikroskopischen Kolitis ist ge-
prägt durch das Auftreten einer chronisch
wässrigen, nichtblutigen Diarrhoe mit einem
Stuhlvolumen bis 2.000 ml/Tag bzw. meist
4-10 Stuhlgängen pro Tag. Die Diarrhoe tritt
auch in der Nacht auf und kann von einem
beträchtlichen Gewichtsverlust begleitet
Klinik
sein. Die Symptome können kontinuierlich
oder intermittierend auftreten. Die klinische
Präsentation ist insgesamt variabel (Abb. 3),
Begleitsymptome wie Übelkeit, unspezifische
abdominelle Schmerzen oder Leistungsein-
buße können sich ebenfalls manifestieren.
Manchmal findet sich eine Assoziation mit
Zöliakie, chronisch entzündlichen Darmer-
krankungen, Diabetes mellitus oder Schild-
drüsenerkrankungen. Sporadisch ist eine Mit-
beteiligung des Dünndarms oder aber eine
begleitende Oligoarthritis zu beobachten. Der
Langzeitverlauf ist relativ günstig, es ist
weder ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs,
M. Crohn oder Colitis ulcerosa noch eine er -
höhte Mortalität zu befürchten.
Die Laborbefunde sind meist unspezifisch,
gelegentlich findet man eine leichte Anämie
oder eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindig-
keit. Nicht selten sind Autoantikörper wie
Rheumafaktoren oder antinukleäre Antikör-
per nachweisbar, für die Diagnosestellung ist
dies jedoch unerheblich. Die Stuhldiagnostik
hat vorwiegend Bedeutung für den Nachweis
von pathogenen Keimen.
Der entscheidende diagnostische Schritt ist
die Durchführung der Koloskopie mit Ent-
nahme von Stufenbiopsien. Der makroskopi-
sche Befund ist meist normal, selten sind ein
Schleimhautödem oder -erythem oder auch
eine vulnerable Schleimhaut festzustellen.
Die Biopsien dürfen sich nicht auf Rektum
oder Sigma beschränken, sondern müssen in
allen Abschnitten vorgenommen werden, um
eine hohe diagnostische Aussagekraft zu er-
zielen. Falls sich die Biopsien nur auf das Rek-
tum beschränken, ist mit bis zu 70 % falsch
negativen Resultaten zu rechnen, und wenn
nur in Rektum und Sigma biopsiert wird, sind
immerhin noch bis zu 40 % der Untersu-
chungen falsch negativ. Die höchsten Nach-
weisraten sind im Colon transversum und
Colon ascendens zu erzielen, und nur die
Kombination von Biopsien aus möglichst
Labor und Diagnose
Abbildung 3: Die klinische Präsentation der mikroskopischen Kolitis kann sehr variabel sein
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allen Kolonabschnitten (Stufenbiopsien) er-
laubt eine sichere Diagnosestellung. Es ist
darauf zu achten, dass ohne Biopsie der
Kolonschleimhaut die Fehldiagnose Reiz -
darm syndrom gestellt werden könnte.
Wesentliches histologisches Zeichen der
kollagenen Kolitis ist die deutlich vermehrte
subepitheliale Kollagenablagerung. Während
normalerweise die Kollagenschicht zwischen
1 und 3 µm misst, ist für die kollagene Kolitis
eine Dicke von 10-100 µm beweisend. Der
typische Befund bei der lymphozytären Ko-
litis ist die Vermehrung von intraepithelialen
Lymphozyten (> 20 pro 100 Epithelzellen;
normal 3-5 pro 100 Epithelzellen)
Bis vor wenigen Jahren existierten zur
Pharmako therapie der mikroskopischen Koli-
tis keine großen randomisierten Studien, son-
dern nur retrospektive Berichte oder Analysen
mit kleiner Patientenzahl. Mittlerweile ist die
Wirksamkeit des topischen Steroids Budesonid
(Budosan?) durch drei kontrollierte Studien
(Baert 2002, Miehlke 2002, Bonderup 2003)
gut abgesichert, was Besserung von klini-
scher Symptomatik, histologischem Befund
und auch Lebensqualität betrifft (Cochrane
Database 2007). Zu empfehlen ist ein Thera-
piebeginn mit 9 mg pro Tag, eine Behand-
lungsdauer von 6 bis 8 Wochen ist als zeit -
liche Untergrenze anzusehen.
Therapie
Meist kommt es innerhalb von ein bis zwei
Wochen zu einer günstigen klinischen Ent-
wicklung, und nach 4 bis 6 Wochen ist ein
Großteil der Patienten (80-90 %) beschwerde -
frei. Die notwendige Behandlungsdauer ist
noch nicht eindeutig geklärt, es laufen derzeit
mehrere kontrollierte Studien, um diese Frage
zu beantworten. Aufgrund einer relativ hohen
Rezidivrate ist man meist gut beraten, nach
dem Erreichen der Beschwerdefreiheit mit
einer Erhaltungsdosis von 3 bis 6 mg pro Tag
(oder jeden zweiten Tag) über zumindest ein
bis zwei Jahre fort zusetzen, um auch lang -
fristig eine effektive Symptomkontrolle zu er-
zielen.
Anzumerken ist noch, dass im Verlauf der
mikroskopischen Kolitis spontane Remissio-
nen möglich sind und „Allgemeinmaßnah-
men“ wie Verzicht auf nichtsteroidale Anti -
rheumatika, Absetzen von Lansoprazol so -
wie die bedarfsorientierte Einnahme von
Loperamid (Imodium?) ratsam sind.
Falls eine Therapie mit Budesonid und
Loperamid unwirksam bleibt, kann auf
Reservestrategien wie 5-Aminosalizylsäure
(3x 500 mg/Tag), Prednisolon (0,5 bis
1,0 mg/kg/Tag), Cholestyramin (4 g/Tag) oder
Wismuth zurückgegriffen werden.
Bei fehlendem Ansprechen auf die angeführ-
ten Behandlungsoptionen sollte die Diagnose
kritisch hinterfragt werden und andere, mög-
liche Auslöser einer chronischen Diarrhoe
nochmals bedacht werden (wie z. B. Zöliakie,
Hyperthyreose, Vipom oder Karzinoid).
Es existieren nur wenige Daten zum Lang-
zeitverlauf der mikroskopischen Kolitis. Es ist
wahrscheinlich, dass bei 50-70 % der Pati-
enten eine komplette Remission erzielt wer-
den kann, während etwa jeweils 10-20 % der
Patienten einen Verlauf mit Rezidiven oder
eine persistierende Diarrhoe erleiden.
Die mikroskopische Kolitis ist sicherlich eine
unterschätzte Erkrankung, da sie deutlich
häufiger auftritt als bisher angenommen.
Die Inzidenz der mikroskopischen Kolitis
entspricht annähernd der der klassischen
chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
(Colitis ulcerosa und M. Crohn).
Die vier wesentlichen Merkmale der Erkran-
kung sind chronische Diarrhoe, mittleres
Lebensalter, normale Endoskopie und typi-
sche Histologie (Abb. 4). Wichtigster Rat-
schlag ist, wie in vielen Bereichen der Inneren
Medizin, das „daran denken“ und die Durch-
führung von Stufenbiopsien bei der Endosko-
pie. Erfreulicherweise steht mit Budesonid
eine wirksame Therapie zur Verfügung.
Danksagung:Prim. Dr. Walter Höbling (Pathologisches Institut
im Klinikum Wels-Grieskirchen) hat dankens-
werterweise die Zahlen zur Diagnosehäufigkeit
der mikroskopischen Kolitis für den Zeitraum
1995 bis 2005 zur Verfügung gestellt.
Literatur bei den Autoren
Korrespondenzadresse:Prim. Dr. Andreas Kirchgatterer
Abteilung für Innere Medizin V, SchwerpunktGastroenterologie und Akutgeriatrie
Klinikum Wels-Grieskirchen4710 Grieskirchen, Wagnleithnerstraße 27
Tel.: 0043-7248-601-2000Fax: 0043-7248-601-2009
E-mail: [email protected]
Prognose
Zusammenfassung
Abbildung 4: Die wesentlichen klinischen Merkmale der mikroskopischen Kolitis
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