Die Musiksprache Olivier Messiaens im „Quatuor pour la fin ... · 1939 wurde Messiaen zum...

26
Die Musiksprache Olivier Messiaens im „Quatuor pour la fin du Temps“ Stefan Geissbühler SHS Projekt, Master 1 Musik und Kunstgeschichte betreut durch: Georges Starobinsky und Nancy Rieben 2.4.2008

Transcript of Die Musiksprache Olivier Messiaens im „Quatuor pour la fin ... · 1939 wurde Messiaen zum...

Die Musiksprache Olivier Messiaens im „Quatuor pour la fin du Temps“

Stefan Geissbühler

SHS Projekt, Master 1Musik und Kunstgeschichte

betreut durch:Georges Starobinsky und Nancy Rieben

2.4.2008

...noch Ende.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 4

2 Musikalische Sprache Olivier Messiaens 52.1 Rhythmik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2.1.1 Rhythmen mit „valeurs ajoutées“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.1.2 Verlängerte oder verkürzte Rhythmen („rythmes augmentés ou diminués“) . . . . . . . . . . . . 52.1.3 Nicht umkehrbare Rhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.1.4 Rhythmische ostinati („pédales rhythmiques“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.2 Harmonik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.2.1 Spezielle Akkorde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.2.2 Kirchenfenstereffekt (effet de vitrail) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.2.3 Modi mit beschränkten Transpositionsmöglichkeiten („modes à transpositions limitées“) . . . 7

3 Quatuor pour la fin du temps 93.1 Historischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93.2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

3.2.1 Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103.2.2 Liturgie de cristal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113.2.3 Vocalise, pour l’Ange qui annonce la fin du Temps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123.2.4 Abîme des oiseaux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143.2.5 Danse de la fureur, pour les sept trompettes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163.2.6 Louange à l’Immortalité de Jésus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

4 Synthese 204.1 Religiöser Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204.2 Zeitlicher Aspekt - Rhythmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204.3 Klangfarben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214.4 Vogelgesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

5 Schluss 23

Quellenverzeichnis 24

A Zusammenstellung der Modi mit beschränkten Transpositionsmöglichkeiten 25

3

1 Einleitung

1 Einleitung

Im Rahmen des SHS Projektes vom zweiten Studien-jahr bin ich, durch den Komponisten Alban Berg, miteinem mir damals noch neuen Musikstil in Verbindunggekommen: der atonalen klassischen Musik. Ihre mirabsolut fremden Harmonien waren für mein Gehörunverständlich. Gerade deswegen hat sie mich faszi-niert und weckte mein Interesse, sie zu erforschen. Aufder Suche nach einem entsprechenden Komponistenstiess ich auf Olivier Messiaen. Seine vielfältigen musi-kalischen Techniken haben mich beeindruckt und ichhabe mich entschieden, diese anhand eines konkretenWerkes aufzuzeigen und zu untersuchen. Meine Wahlfiel auf das „Quatuor pour la Fin du Temps“ - Mes-siaen hat es unter den widrigsten Umständen, wäh-rend des zweiten Weltkrieges in einem Gefangenen-lager in Schlesien geschrieben und uraufgeführt. FürMessiaens Gesamtwerk ist es wahrscheinlich das Be-

deutendste, da seine folgenden Werken technisch aufdem Quartett aufbauen.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Einblick in Mes-siaens musikalische Sprache zu geben und anhand desQuartetts zu demonstrieren. Das Quartett für das Endeder Zeit wurde inspiriert von einem Ausschnitt aus derOffenbarung, Kapitel 10, wo der Engel der Apokalyp-se, seine Hand zum Himmel emporhebt und sagt: „Eswird keine Zeit mehr geben“.Die Analyse des Quartetts habe ich in zwei Abschnitteaufgeteilt: in eine rein beschreibende Analyse, die denhistorischen Kontext und die technische Analyse bein-haltet und eine Synthese, wo die wichtigsten Elemen-te aus Messiaens musikalischer Sprache zusammenge-stellt und diskutiert werden.

4

2 Musikalische Sprache Olivier Messiaens

2 Musikalische Sprache Olivier Messiaens

Messiaens musikalische Sprache ist geprägt von „im-possibilités“1: er hat eine Vorliebe für Zahlen, die sichnicht teilen lassen (Primzahlen), Rhythmen, die sichnicht umkehren lassen und Harmonien, die sich nurbeschränkt transponieren lassen. In diesem Kapitelmöchte ich die wichtigsten Techniken von Messiaen,die speziell im Quartett angewendet wurden, kurz er-läutern. Hierbei stütze ich mich auf Messiaens „Tech-nique de mon langage musical“ ([3]).

2.1 Rhythmik

2.1.1 Rhythmen mit „valeurs ajoutées“

Ein „valeur ajoutée“ ist ein Wert von kurzer Dauer, derin Form einer Note, Pause oder Punktierung das rhyth-mische Bild einer Gruppe verändern kann (Abb.: 1).Dieser Wert kann bei beliebigen Rhythmen angewen-det werden. Mit dieser Methode erreicht Messiaen un-ter Anderem eine Verfremdung der Metrik mit bewusstuneinheitlichen Taktlängen, oder verändert die Ge-samtlänge einer Rhythmischen Gruppe in eine Prim-zahl (z.B. Abb.: 2).

Abbildung 1: „valeur ajoutée“ in Form einer Note,Pause oder Punktierung ([2], p. II)

+

{ 5

Abbildung 2: Mit Hilfe von „valeursajoutées“ kann die Dauer einer rhyth-mischen Gruppe zu einer Primzahl (z.B.in Sechzehntel) umgewandelt werden.Dieses Beispiel stammt aus dem Quar-tett: VI, T. 1

2.1.2 Verlängerte oder verkürzte Rhythmen („ryth-mes augmentés ou diminués“)

Rhythmusfiguren können proportional exakt verlän-gert oder verkürzt werden: Abb.: 3. Häufig kommensolche Gruppen sukzessive vor (z.B. Satz VI, siehe3.2.5).

e q e q h q q. h. q.A X B

Abbildung 3: X: Ausgangsfigur; A: Ver-kürzt; B: Verlängert

Ebensogut können sie ungenau verlängert oder ver-kürzt werden mit einem „valeur ajoutée ou retraite“(Abb. 4).

Abbildung 4: Die Gruppe rechts ist ei-ne ungenaue Verkürzung der 3 Viertel.([2], p. III)

1vgl. [3]

5

2 Musikalische Sprache Olivier Messiaens

2.1.3 Nicht umkehrbare Rhythmen

Ein nicht umkehrbarer Rhythmus ist eine Gruppe vonNotendauern, die in ihrer Umkehrung identisch istzum ursprünglichen Rhythmus. Dazu braucht es einenZentralwert „valeur centrale“ - von beliebiger Dauer,der eine rhythmische Symmetrieachse bildet und iden-tische Extremalwerte. Aus jeder Rhythmusfigur lässtsich ein nicht umkehrbarer Rhythmus bilden, indemman die Originalfigur und dessen Umkehrung anein-anderhängt (Abb.: 5).

Abbildung 5: Entstehung nicht um-kehrbarer Rhythmen: Mit dem Balkenist die Ausgangsfigur markiert. Zusam-men mit ihrer Umkehrung (und Zu-sammenzug des letzten Wertes: Zen-tralwert +) wird daraus ein nicht um-kehrbarer Rhythmus. ([2], p. III)

2.1.4 Rhythmische ostinati („pédales rhythmiques“)

Wenn sich ein Rhythmus unabhängig von dessen Um-gebung (Rhythmus anderer Stimmen, Metrik) perma-nent wiederholt, spricht Messiaen von „pédale rhyth-mique“.

2.2 Harmonik

2.2.1 Spezielle Akkorde

Die verschiedenen Transpositionen der Akkorde wer-den in dieser Arbeit durchnummeriert von I-XII, aus-gehend von C.

Dominantakkord (accord sur dominante, ad) Erenthält alle Töne einer Dur-Tonart, ausgehend von derDominante (z.B. Abb.: 6).

Abbildung 6: Domi-nantakkord ad VIII

Dominantvorhaltsakkord (accord sur dominante ap-poggiaturé, da Der Dominantvorhaltsakkord enthälteinen doppelten vorhalt auf den Dominantakkord, wo-bei die beiden Vorhaltstöne einen Tritonus-Abstandzum Tonika-Grundton, respektive zum Dominant-Grundton bilden (Abb.: 7).

Abbildung 7: Domi-nantvorhaltsakkordda VIII

Resonanzakkord (accord de la résonance, ar) DasTonmaterial des Resonanzakkordes umfasst sämtlicheTöne einer Obertonreihe (bis zum 16. Oberton): Abb.:8. Diese Reihe besteht aus den temperierten Tönen,die durch natürliche Resonanz beim Erklingen einestiefen Grundtones ertönen. Beispiel: Abb.: 9.

Abbildung 8: Obertonreihe

Abbildung 9: Reso-nanzakkord ar I

6

2 Musikalische Sprache Olivier Messiaens

da-ad II da-ad XII da-ad IX da-ad IV da-ad II

Abbildung 10: Kirchenfenstereffekt über cis (des) (Aus [3], Ex. 204)

Quartenakkord (accord en quartes, aq) Der Quar-tenakkord entsteht durch Überlagerung von reinenund übermässigen Quarten. Beispiel: Abb. 11.

Abbildung 11: Quar-tenakkord

2.2.2 Kirchenfenstereffekt (effet de vitrail)

Eine beliebte Technik bei Messiaen: Akkordfolgen übereinen gemeinsamen Basston (Abb.: 10).

2.2.3 Modi mit beschränkten Transpositionsmög-lichkeiten („modes à transpositions limitées“)

Messiaens „modes à transpositions limitées“ bilden ei-ne Sammlung von Tonleitern, die nur eine beschränk-te Anzahl Transpositionen zulassen, bevor sie wiederin ihre Ausgangsleiter zurückfallen. Während sich dienicht umkehrbaren Rhythmen in horizontaler Rich-tung nicht umkehren lassen, verhalten sich diese Ton-leitern - bei der Transposition - ähnlich in vertikalerRichtung.Jeder Modus besteht aus mehreren, identischen Inter-vallschrittgruppen (Elementarbausteine). Im Anhang Afinden Sie eine Zusammenstellung sämtlicher Trans-positionen dieser Modi.

Modus 1 ist die Ganztonleiter. Sie ist zweimal trans-ponierbar. Der Elementarbaustein ist also ein Ganz-tonschritt (1). (Abb.: 12).

[

[

[ [

[ [

1

1 1 1

1 1

Abbildung 12: Modus 1

Modus 2 ist dreimal transponierbar. Sein Elementar-baustein besteht aus einem Halbtonschritt gefolgt voneinem Ganztonschritt ( 1

2 ,1). (Abb.: 13).[! 1[

[

[! 1

! 1

! 1

Abbildung 13: Modus 2

Modus 3 ist viermal transponierbar und wird aus 3Elementareinheiten (1, 1

2 , 12 ) gebildet. (Abb.: 14).[ 1 ! ! [

[ 1 ! !

1 ! !

Abbildung 14: Modus 3

7

2 Musikalische Sprache Olivier Messiaens

Modus 4 ist sechsmal transponierbar und wird aus 2Elementareinheiten ( 1

2 , 12 , 3

2 , 12 ) gebildet. (Abb.: 15).[ ! ! 1! ! [

! ! 1! !

Abbildung 15: Modus 4

Modus 5 ist sechsmal transponierbar und wird aus 2Elementareinheiten ( 1

2 ,2, 12 ) gebildet. (Abb.: 16).[ ! 2 !

[

! 2 !

Abbildung 16: Modus 5

Modus 6 ist sechsmal transponierbar und wird aus 2Elementareinheiten (1,1, 1

2 , 12 ) gebildet. (Abb.: 17).[ 1 1 ! ! [

1 1 ! !

Abbildung 17: Modus 6

Modus 7 ist sechsmal transponierbar und wird aus 2Elementareinheiten ( 1

2 , 12 , 1

2 ,1, 12 ) gebildet. (Abb.: 18).[ ! ! ! 1 ! [ ! ! ! 1 !

Abbildung 18: Modus 7

8

3 Quatuor pour la fin du temps

3 Quatuor pour la fin du temps

3.1 Historischer Kontext

Das Quartett für das Ende der Zeit wurde währenddes zweiten Weltkrieges geschrieben und ist eines derwenigen Stücke aus dieser Zeit, die bis heute interna-tional bekannt sind und regelmässig aufgeführt wer-den. Im Folgenden Kapitel wird der historische Kon-text dargestellt, dessen Kenntnis unentbehrlich ist fürdie anschliessende Analyse und Interpretation.

1939 wurde Messiaen zum Militärdienst aufgeboten.Aufgrund seines schlechten Sehvermögens war er fürden Aktivdienst untauglich und wurde bei den Sanitä-tern eingeteilt. Er diente zuerst in Sarralbe und späterin Verdun. Dort traf er den Cellisten Etienne Pasquierund den Klarinettisten Henri Akoka, mit denen er sichumgehend befreundete. Hier entwickelte er auch sei-ne Leidenschaft für Vögel und Vogelgesang. Währendden Wachen, die er zusammen mit Pasquier hielt, hater das Erwachen der Vögel studiert und deren Gesängetranskribiert.

Here near Verdun, the chorus of birds [...]inspired the composition that would laterbecome the third movement of a monu-mental work2

Messiaen hat bereits in Verdun das erste Stück - dasspäter der dritte Satz des Quartetts sein wird - „Abîmedes oiseaux“ für Klarinette konzipiert.Im Juli 1940, während des Blitzkrieges, wurden sie vonden Deutschen gefasst und nach Görlitz (Schlesien)ins Gefangenenlager Stalag VIII A transferiert, wo dasQuartett seinen Violinisten und Mitgefangenen, JeanLe Boulaire findet.In den ersten Wochen trafen immer mehr Gefangeneein und bald wurde das Essen knapp. Die Deutschenwaren nicht vorbereitet für eine derart hohe Zahl anGefangenen, die nun akut Hunger litten.

Als Frankreich im selben Jahr noch resignierte, hat sichparadoxerweise die Situation der französischen Gefan-genen verbessert: Frankreich musste jetzt mit Deutsch-land zusammenarbeiten. Um den Franzosen eine guteBehandlung der Gefangenen vorzumachen, haben dieDeutschen die Westeuropäer besser behandelt als dieAndern. Die Musiker hatten sogar Extrarechte: Sie wur-den von den härtesten Arbeiten dispensiert und beka-men Zeit zum Üben. Sie bildeten sozusagen das Aus-hängeschild für die deutschen Gefangenen.Trotzdem sind die widrigen Umstände nicht herunter-zuspielen. In Görlitz herrschte eine eisige Kälte unddas Essen war nach wie vor miserabel und knapp.Das Lager wuchs weiter und es wurde eine Baracke er-richtet, die nur für Theater, Konzerte und Filmvorfüh-rungen gedacht war. Sie war mit Instrumenten in mi-serablen Zuständen, Kostümen und diversen anderenRequisiten ausgerüstet. Regelmässig gabs Kammermu-sikkonzerte und andere Vorführungen. Es wurde einGefangenenorchester und eine Jazz-Gruppe gegrün-det.Auch wenn die Musiker bevorzugt wurden, Messiaenhätte nie komponieren können, wäre nicht ein musik-liebender deutscher Offizier, Albert Brüll, gewesen deres ihm ermöglichte. Er wies Messiaen eine leere Bara-cke zu um ungehindert arbeiten zu können und belie-ferte ihn mit Schreibzeug und Manuskripten.

If the Angel of the Apocalypse inspi-red Messiaen to compose, Monsieur Brüllcould be said to be the angel’s emissary,providing Messiaen with the means to rea-lize his artistic inspiration.3

Aufgrund der anfänglichen Abwesenheit des Klaviershat Messiaen zuerst ein Trio für Violine, Cello und Kla-rinette geschrieben, was später zum vierten Satz desQuartetts wird.

2[6], p. 113[6], p. 29

9

3 Quatuor pour la fin du temps

Das Klavier war, wie die übrigen Instrumente, in einemschlechten Zustand: einige Tasten konnten sich nichtvon selber wieder erheben, nachdem sie gedrückt wur-den. Wenigstens hatten nun alle vier ihr Instrumentzum Proben.Von diesem Moment an, war das Musiker-Quartettsehr beschäftigt. Sie gaben regelmässig Kammermusik-konzerte und übten für Messiaens „Quatuor pour la findu Temps“. Sie hatten vier Stunden Übungszeit nachden Arbeitsstunden. Doch die Umstände waren allesandere als ideal: Die Theaterbaracke war allen Gefan-genen zugängig und es war schwierig, wenn nicht un-möglich, einen ruhigen Moment zu finden. Ausserdem,war Messiaens Quartett im Stil absolut neu zu die-ser Zeit und verlangte den drei Anderen technisch so-wie musikalisch das Letzte ab. Nach einigen Monatenproben, war es dann schliesslich so weit: Die letztenAnpassungen waren vorgenommen und die Premierekonnte am 15. Januar 1941 im Stalag VIII A stattfinden.Als sich herumgesprochen hatte, dass eine Premiereeines bekannten französischen Komponisten im La-ger vorgeführt werden soll, haben sich die Billette imHandumdrehen verkauft.Die Theaterbaracke, welche im Maximum 400 Zu-schauer fasste, war voll:

The most diverse classes of society weremingled : farmers, factory workers, intel-lectuals, professional servicemen, doctors,and priests.4

Viele unter den Zuschauern hörten Kammermusikzum ersten Mal und die Ruhe im Saal zu erlangen warschwierig. Aber sie schafften es, und mehr noch:

Everyone listened reverently, with an al-most religious respect.5

Never before had I been listened to likethat. . . Even if these people knew nothingabout music, they readily understood thatthis was something special.6

3.2 Analyse

Das Thema des Quartetts stammt aus der Offenba-rung, Kapitel 10. Ein gewaltiger Engel, von einer Wolkebedeckt und mit einem Regenbogen über dem Haupt,steigt vom Himmel herab und verkündet das Ende derZeit:

„Je vis un ange plein de force, descendantdu ciel, revêtu d’une nuée, ayant un arc-en-ciel sur la tête. Son visage était com-me le soleil, ses pieds comme des colon-nes de feu. Il posa son pied droit sur lamer, son pied gauche sur la terre, et, setenant debout sur la mer et sur la terre, illeva la main vers le Ciel et jura par Celuiqui vit dans les siècles des siècles, disant:Il n’y aura plus de Temps; mais au jour dela trompette du septième ange, le mystèrede Dieu se consommera.“ (Apocalypse deSaint Jean, Chapitre X).7

Hierbei geht es nicht um eine bevorstehende Kata-strophe, sondern um den Stillstand der Zeit im po-sitiven Sinne ewigen Lebens. Um dies zu illustrieren,verwendet Messiaen eine spezielle, eigens entwickelte,musikalische Sprache, dessen wichtigste Elemente imFolgenden Kapitel, bei einer Auswahl an Sätzen her-ausgesucht und schliesslich thematisch zusammenge-führt werden.

3.2.1 Struktur

Ce „Quatuor“ comporte 8 mouvements.Pourquoi? Sept est le nombre parfait, lacréation de 6 jours sanctifiée par le sab-bat divin; le 7 de ce repos se prolonge dansl’éternité et devient le 8 de la lumière indé-fectible, de l’inaltérable paix.8

Acht Sätze - der heilige Sabbat wird verlängert undzu einem achten Tag, der kein Ende mehr nimmt - derStillstand der Zeit.Betrachtet man die Instrumentenkonstellation desQuartetts, finden wir eine interessante symmetrischeStruktur: Abb. 19. Betrachtet man den achten Satz alsVerlängerung des siebten, also wie ein „valeur ajouté“zu den vorangehenden Sätzen, erkennt man eine Sym-metrieachse um den vierten Satz. Diese Struktur istwie ein nicht umkehrbarer Rhythmus („rythme non-rétrogradable“): wenn wir die Konstellation umkehrenändert sich nichts.

4Messiaen, in [6], p. 635Pasquier, in [6], p. 696Messiaen, in [6], p. 697Préface von [2]8Messiaen, Préface von [2]

10

3 Quatuor pour la fin du temps

I II III IV V VI VII VIIIViolineKlarinetteVioloncelloKlavier

Abbildung 19: Instrumentenkonstellation

3.2.2 Liturgie de cristal

Entre 3 et 4 heures du matin, le réveil desoiseaux: un merle ou un rossignol solisteimprovise, entouré de poussières sonores,d’un halo de trilles perdus très haut dansles arbres. Transposez cela sur le plan reli-gieux: vous aurez le silence harmonieux duciel.9

Das Erwachen der Vögel: Amsel (Klarinette) undNachtigall (Violine) improvisieren zu den begleitendenHarmonien von Klavier und Violoncello, verloren inden Höhen der Bäume.Bereits im Préface erklärt Messiaen das unermüdliche,rhythmische Ostinato („pédale rythmique“10) der Kla-vierstimme. Dabei verwendet er eine, in seinen Wer-ken öfters vertretene rhythmische Formel, die sichaus drei Hindurhythmen zusammensetzt: râgavardha-na, candrakalâ und lakskmîca (Abb. 20). Alle drei Hin-durhythmen lassen sich mit Messiaens rhythmischerSprache, die kurz auch im Préface von [2] beschrie-ben ist, entwickeln. Der erste Teil, râgavardhana, be-steht aus drei Vierteln und mit deren Verminderung zudrei Achteln mit einem „ajout du point“; candrakalâentsprechend aus drei Achteln plus deren exakte Er-weiterung plus einem Sechzehntel als „valeur ajoutée“.lakskmîca verbindet zwei weitere Techniken, die Mes-siaen anwendet: arithmetische (1,2,3...) und geometri-sche (1,2,4,8...) Reihen: Zählt man die Länge der Notenin Sechzehnteln, erhält man die Folge 2-3-4-8, welchedie beiden Reihen kombiniert.

q q q e ek e e e e ek ek ek x e ek q hrâgavardhana candrakalâ lakskmîca

Abbildung 20: Rhythmische Formel der Klavier-stimme

Auch beim Violoncello lässt sich ein rhythmisches Os-tinato feststellen, das sich über 16.5 Viertel erstreckt(Abb.: 21).

h qk h h e e qk e e e e qk e e hAbbildung 21: Rhythmisches Ostinato im Violon-cello

Die Analyse der Harmonien bringt zwei weitere Osti-nati ans Licht: Im Klavier wiederholt sich eine Sequenzvon 29 Akkorden durchs Stück hinweg und beim Vio-loncello sind es lediglich 5 Töne, die sich ständig wie-derholen. Wenn wir noch die Länge des rhythmischenOstinatos betrachten, 13 Viertel, lässt sich unschwerMessiaens Vorliebe für Primzahlen herauslesen:

[...] une secrète prédilection pour les nom-bres premiers (5, 7, 11, etc.) [...]11

Betrachtet man die Harmonien im Detail, erkenntman in der ersten Hälfte des harmonischen Ostinatosim Klavier einen „effet de vitrail“ über F mit der Ak-kordfolge: da VI - ad VI - da IV - ad IV - da I - ad I -da VIII - ad VIII - Verm. Dominantseptakkord - G6,7 -Asmaj7 - A6,7,9 (Abb. 22).

9Olivier Messiaen zu I, im "Préface"von [2]10[2] Préface11[2], Préface

11

3 Quatuor pour la fin du temps

Abbildung 22: Effet de vitrail über den gemeinsamen Basston F ([2], QI T. 1ff)

Bleibt noch die Unterteilung Messiaens zu erwäh-nen, der den ersten Satz in 7 Teilabschnitte gliedert, dieallesamt die exakt gleiche Anzahl Takte aufweisen, bisauf den Letzten, Abschnitt G, der einen Takt mehr ent-hält. Diese Strukturierung erscheint mir wie ein Abbilddes ganzen Quartetts mit seinen 7 Sätzen, wovon sichder Letzte in die Unendlichkeit hinauszieht und zu ei-nem achten Satz wird.

3.2.3 Vocalise, pour l’Ange qui annonce la fin duTemps

La 1re et la 3e partie (très courtes) évo-quent la puissance de cet ange fort, coifféd’arc-en-ciel et revêtu de nuée, qui poseun pied sur la mer et un pied sur la terre.Le "milieu", ce sont les harmonies impal-pables du ciel. Au piano, cascades doucesd’accords bleu-orange, entourant de leurcarillon lointain la mélopée quasi plain-chantesque des violon et violoncelle.12

Der zweite Satz des Quartetts ist dreiteilig, von derForm A (T. 1-18) – B (T. 19-48) – A’ (T. 49-55). Mes-siaen illustriert in den Abschnitten A/A’ die Mächtig-keit und Stärke des Engels. Die Dynamik ist beschränktauf ff und fff und das Tempo wechselt zwischen „mo-déré“ und „joyeux“. In Kontrast hierzu steht der lang-samere Mittelteil in pp und ppp. Er beschreibt die Har-monie des Himmels mit sanften, sich wiederholendenAkkordfolgen im Klavier, als „gouttes d’eau en arc-en-ciel“ begleitend zum fast gregorianischen Gesang vonVioline und Violoncello.

Abschnitt A In der Harmonik von Abschnitt A über-wiegt der in [3] eingeführte „éffet de résonance in-férieure“ im Klavier (T. 1-11, die mit sfff betonten Ak-korde im Bass).

Abbildung 23: Takt 1: „éffet de résonance“(rot markiert) ([2], QII T1-2)

Wie Messiaen in [2] aber selber schon sagt, hat sein„éffet de résonance“ mit der natürlichen Resonanz nureinen entfernten Zusammenhang („Effets de pure fan-taisie, assimilables par une très lointaine analogie auphénomène de la résonance naturelle“13).In Takt 7 (Abb.: 24) verwendet Messiaen erstmals dasTonmaterial, was zu seinem später begründeten undoft verwendeten „accord à résonance contractée“ füh-ren wird (siehe [4]).

Abbildung 24: Takt 7: Fundamentzum später begründeten „accord à ré-sonance contractée“(vgl. Abb.: 25) ([2],QII T7).

12Olivier Messiaen zu II, im "Préface"von [2]13[2], p. 44

12

3 Quatuor pour la fin du temps

Die Septime E-d bildet die Komplementärtöne des Re-sonanzakkordes (ar III, ohne fis, a und c).

&

?

c

cKlavier

˙̇̇b ˙̇̇bb

˙̇˙˙## ˙̇̇˙b

!

!

!

!

Test

SG

Abbildung 25: E-d wird zu d’-e’ zusam-mengezogen und unterliegt beiden Ak-korden ([4]): rc III 1-2

In den Takten 8-11 findet man zweimal Messiaens „ac-cord sur dominante appogiaturé“ (da) als Vorhalt aufden „accord sur dominante“ (ad) (da-ad XII T. 8 undda-ad II T. 10). Die Dominantakkorde werden jeweilsnoch mit einem unteren Resonanzeffekt erweitert (sie-he Abb.: 26).

da - ad XII

Abbildung 26: Ausschnittaus T. 8: Dominantvorhal-takkord da XII zum Do-minantakkord ad XII, mar-kiert: unterer Resonanzef-fekt ([2], QII T8)

Die unisono Stimmen der Streicher bewegen sich aus-schliesslich im Modus 3,1. Das aufsteigende Motiv beider Klarinette enthält, aufeinanderfolgend, die Tönevom da/ad IV. Die Takte 12-18 enthalten die Hauptmo-tive des ersten Abschnitts, die auch in A’ wieder auf-genommen werden. Ein aufsteigender Lauf in Modus3,1 der Streicher (T. 12/13), gefolgt von versetzten Tril-lern bei Geige, Violoncello und schliesslich Klarinette

(T. 14/15), anschliessend kommt eine raketenartig auf-fahrende Blitzfigur („fulgurant“14) und eine Folge vonabsteigenden da-Akkorden über einen gemeinsamenBasston cis (resp. des), was Messiaen „effet de vitrail“nennt (Abb.: 27).

da II XII IX IV

Abbildung 27: Abfolge von Dominant-vorhaltakkorden mit einem „Effet de vi-trail“ über cis/des. ([2], QII T17)

Abschnitt B Im Gegensatz zu Teil A/A’ ist der Mittel-teil viel einheitlicher. Die „quasi gregorianischen Ge-sänge“ der Streicher in unisono werden begleitet vonsich wiederholenden, kontinuierlichen Akkordkaska-den des Klaviers. Die beiden Stimmen verhalten sichallerdings unabhängig voneinander. Während die Kla-vierstimme kontinuierlich in Sechzehnteln fortschrei-tet, scheint die synkopische Melodie der Streicher Takt-striche nicht zu beachten. Der Hörer verliert das Takt-gefühl, was Messiaen bewusst macht, um den Eindruckvon Zeiteinheiten zu verbannen. Die Klavierstimmesoll mit ihren unterschiedlichen Typen von Akkordendie verschiedenen Farben des Regenbogens darstellen(vgl. [4]). Sie lässt sich in zwei sich ähnelnde Abschnit-te unterteilen (T.19 - 34 und T. 34 - 48), die aus iden-tischen Bauteilen bestehen. Abb. 28 zeigt die beidenhäufigsten Bauteile.

14Musikalische Angabe Messiaens, [2]

13

3 Quatuor pour la fin du temps

{ { { {

Bauteil a Bauteil b

1 2 1 2

Abbildung 28: Die beiden am häufigsten auftreten-den Bauteile der Klavierstimme. ([2], QII T19 undT21/22)

Element a setzt sich zusammen aus einem „enchaî-nement d’accords“15, eingeführt in A (Tonmaterial derbeiden letzten Akkorde von T. 1) und absteigendenQuartenakkorden, bestehend aus reinen und übermäs-sigen Quarten (vgl. [3]). Das zweite Bauelement b be-steht aus einer Akkordfolge aus 4 Resonanz-Akkorden(Bauelement b-1: ar II - ar X (auf gemeinsamen Bass-ton des), ar XII - ar VII (auf b)) und 4 Parallelak-korde in Modus 2,2 (Bauelement b-2, vgl. [3], ex.222). Ausserdem kommen noch Akkordfolgen von 6-stimmigen Quartenakkorden (Abb. 29, [3] ex. 216) und8-stimmigen Resonanzakkorden (ar X-II, Abb. 29) vor(vgl. [4]). Den Abschluss bilden zwei ostinat wiederhol-te Akkorde in Modus 3,3 (Abb. 30) (vgl. [4]).

Abschnitt A’ Der Schlussabschnitt greift die Haupt-elemente des ersten Teils auf, allerdings in umgekehr-ten Versionen. Was in A aufsteigend war, erscheint nunabsteigend und umgekehrt. Auf den nun absteigendenLauf der Streicher in Modus 3,1 folgen die Triller: nach-einander Cello, Violine und Klarinette. Den Abschlussbildet eine abwärts bewegende Blitzfigur und eine auf-steigende Akkordfolge von Dominantvorhaltakkorden(da XI-IX-VI-I) mit einem „effet de vitrail“ über b.

{ {

aq ar X-II

Abbildung 29: Sukzession vonQuarten- (aq) und Resonanzakkor-den (ar) ([2], QII T31)

Abbildung 30: Akkorde inModus 3,3 ([2], QII T33)

3.2.4 Abîme des oiseaux

Clarinette seule. L’abîme, c’est le Temps,avec ses tristesses, ses lassitudes. Les oi-seaux, c’est le contraire du Temps; c’estnotre désir de lumière, d’étoiles, d’arcs-en-ciel et de jubilantes vocalises!16

„Abîme des oiseaux“ war der erste Satz des Quar-tetts, den Messiaen komponiert hatte und der noch vorder Gefangennahme, in Verdun zum ersten Mal vomKlarinettisten Henri Akoka gespielt wurde (siehe 3.1).Der Titel stammt aus einem Gedicht von Pierre Re-verdy: „Fonds secrets“ aus der Sammlung „Ferraille“,die Messiaen im Krieg bei sich trug ([4]). Wie das Ge-dicht, spricht auch das Stück von einer irdischen Trost-losigket, wie sie - auf Messiaens Gesamtwerk betrach-tet - selten vorkommt, aber den geschichtlichen Um-ständen entspricht. Inmitten dieser Trostlosigkeit, dem

15[3], ex. 24116Olivier Messiaen zu III, im "Préface"von [2]17Musikalische Angabe Messiaens, [2]18ibid.

14

3 Quatuor pour la fin du temps

Abgrund der Zeit, scheint aber noch ein kleiner Hoff-nungsschimmer in der Gestalt eines Vogels. Für Mes-siaen sind Vögel zeitlose Tiere, die es bereits vor Jahr-millionen gegeben hat. Sie stellen für ihn das „Gegen-teil der Zeit“ dar und deren Gesang die Musik Gottes.Das Stück kann in drei Abschnitte geteilt werden: A (T.1 - 13) - B (T. 14 - 29) - A’ (T. 30 - 44). Die beiden langsa-men Teile A stehen für die angesprochene Trostlosigket(„désolé“ 17) und im lebendigen Mittelteil kontrastiertder Vogel im Gegenzug („ensoleillé, comme un oiseau,très libre de mouvement“18). Das Stück besitzt keinebestimmte Metrik, die Takte haben keine feste Länge.Die Taktstriche unterteilen hier die einzelnen Melodie-phrasen.

Abschnitt A Die Melodie beginnt direkt mit der vonMessiaen als „cadence mélodique“19 bezeichneten Fi-gur (Abb. 31). Die Extremitäten der Figur bilden denvon Messiaen heiss geliebten Tritonus. Seine Vorliebezum Tritonus rührt von der natürlichen Resonanz her:

[...] une oreille très fine perçoit nettementun fa dièze dans la résonance naturelled’un ut grave. [...] Nous voici en présencedu 1er intervalle à choisir: la quarte aug-mentée descendante.20

Der Tritonus übernimmt im ganzen Stück eine vor-herrschende Rolle.

& 43Sopran ! ! !

& œ# œb œ œ œ ! ! !

& ! ! !

& ! ! !

& ! ! !

& ! ! !

& ! ! !

& ! ! !

& ! !

cadence[Komponist]

Abbildung 31: „Cadence mélodi-que“

Eine zweite „formule mélodique“, Takt 11, bildet Mes-siaens abgeändertes Thema von „Solveigs Lied“ aus„Peer Gynt“ von Edvard Grieg21 (siehe Abb. 32).

aus „Solveigs Lied“, E. Grieg Ausschnitt QIII, T11

Abbildung 32: „Formule mélodique“ von T. 11 imVergleich zum Ausschnitt von „Solveigs Lied“

Mit den „valeurs ajoutées / retraites“, will Messiaenbewusst die Metrik, respektive Zeit, verbannen. Häu-fig erscheint am Ende einer Figur eine verkürzte Note(„valeur retraite“, z.B: Abb. 33). Abschnitt A ist in Mo-dus 2,2 geschrieben, der auch in den übrigen Abschnit-ten dominiert (vgl. [5]).

+ +

Abbildung 33: +: „valeur retraite“([2], QIII T2)

Den Übergang von Abschnitt A zum Mittelteil bildetein langes und starkes crescendo auf dem einzelnenTon E. In einem Tempo von 44 für den Achtel dau-ert dies theoretisch 11s, was für einen Bläser sehr an-spruchsvoll ist.

Abschnitt B Der Mittelteil unterscheidet sich charak-terlich stark vom ersten Teil. Beim Hören fällt Einemunmittelbar der Wechsel vom tieferen Register ins hö-here, das erhöhte Tempo und die Verzierungen (Vor-schlagsnoten, Triller) auf - charakteristisch für Mes-siaens „style oiseau“. Harmonisch bewegt sich die Me-lodie hauptsächlich in Modus 2 und dessen Transposi-tionen, zudem kommt aber noch Modus 4 (T. 14-17, T.21/22), Modus 1 (T. 23), Modus 3 (T. 27-29) und Modus7 (Ende T. 17) vor. Da für Messiaen jeder Modus und je-de Transposition eine bestimmte Farbe bedeuten (vgl.[6]), ist also der Mittelteil viel farbenfroher.Ende Takt 17 finden wir ein absteigendes Arpeggioüber einen Dominantvorhaltakkord da X mit ansch-liessender Auflösung (Abb. 34) und in Takt 19 eine Mi-schung von Resonanzakkord (ar X) mit einem Quarten-akkord. Die Verbindung wird ermöglicht indem vomursprünglichen Resonanzakkord ar X das G in ein Fisumgeschrieben wurde. Der Quartenakkord startet vonebendiesem Fis aus (Abb: 35).

19[3], ex. 7620[3], p. 2121[3], ex. 80, 83

15

3 Quatuor pour la fin du temps

da X ad X{

Abbildung 34: Dominantvorhaltsakkord da Xmit anschliessender Auflösung zum ad X (Kla-rinette ist in B gestimmt) ([2], QIII T17)

{{ aq

ar X (fis anstatt g)

Abbildung 35: Kombinierter Resonanzakkordmit Quartenakkord ([2], QIII T19)

Erwähnenswert ist ausserdem Takt 25/26, wo eine Fi-gur über sämtliche Register der Klarinette das Ein-gangsmotiv, in einer kaum wiedererkennbaren Trans-formation, wiederholt (Abb. 36).

Abbildung 36: Transformiertes Ein-gangsmotiv ([2], QIII T25)

Abschnitt A’ Der dritte Abschnitt übernimmt wiederdie Hauptmotive des ersten - nur eine Oktave tiefer- und enthält zudem noch 2 Motive aus dem Mittel-teil, allerdings in umgekehrter Variation: T. 42/43 ent-spricht T. 25/26 und Beginn T. 44 entspricht T. 19.

3.2.5 Danse de la fureur, pour les sept trompettes

Rythmiquement, le morceau le plus ca-ractéristique de la série. Les quatre in-struments à l’unisson affectent des allu-res de gongs et trompettes (les six pre-mières trompettes de l’apocalypse suiviesde catastrophes diverses, la trompette duseptième ange annonçant consommationdu mystère de Dieu). Emploi de la valeurajoutée, des rythmes augmentés ou dimi-nués, des rythmes non rétrogradables. Mu-sique de pierre, formidable granit sonore;irrésistible mouvement d’acier, d’énormesblocs de fureur pourpre, d’ivresse glacée.Ecoutez surtout le terrible fortissimo duthème par augmentation et changementde registre de ses différentes notes, vers lafin du morceau.22

Der sechste Satz des Quartetts ist vor Allem einerhythmische Studie. Das Stück ist durchwegs unisonogeschrieben und erstreckt sich jeweils über eine Okta-ve (mit Ausnahme des Schlusses, ab T. 90). Die vier In-strumente sollen aber „in keiner Weise die Trompetender Apokalypse und die verschiedenen sie begleiten-den Katastrophen wiedergeben“23. Dies widersprächeder Grundidee des Quartetts. Es geht im Quartett nichtum eine Katastrophe, sondern viel mehr um eine Erlö-sung (von der Zeit).

Wie Messiaen bereits im Préface sagt, verwendet erhier diverse Elemente seiner rhythmischen Sprache.Durchwegs finden wir „valeurs ajoutées“ (z.B. T. 1:Abb.: 37, T. 4: Abb.: 38), „rythmes augmentés“ (T. 51,52:Abb.: 39), „rythmes diminués“ (T. 55: Abb.: 40) und„rythmes non rétrogradables“ (z. B: T. 26 - 39; Abb.:41). T. 26-32 ist äquivalent zu T. 33-39 vom Rhythmusher. Wir haben es also mit einem kurzfristigen rhyth-mischen Ostinato zu tun. Gleichzeitig zum rhythmi-schen, finden wir auch ein harmonisches Ostinato imgleichen Abschnitt zu 16 Tönen. Das harmonische Os-tinato wird sieben Mal wiederholt: für die sieben Trom-peten!

22Olivier Messiaen zu VI, im "Préface"von [2]23[4], p. 768

16

3 Quatuor pour la fin du temps

+

Abbildung 37: „Valeur ajoutée“ in Form eines zu-sätzlichen Sechzehntels ([2], QVI T1)

+

Abbildung 38: „Valeur ajoutée“ in Form einesPunktes („ajout du point“) ([2], QVI T4)

T. 51: T. 52:Ausgangsformel Verlängert

Abbildung 39: Verlängerte Rhythmen („rythmesaugmentés“ ([2], QVI T51/52)

T. 51: T. 55:Ausgangsformel Verkürzt

Abbildung 40: Verkürzte Rhythmen („ryth-mes diminués“) ([2], QVI T51/55)

e. q_x h q_x e. q e. q_e. e. qe e e. q_x e. e e xxe. e e xe e e. xxe xxxe. xxxe e xxxe. xxxexxxxxe. xxxxx

Abbildung 41: Sieben nicht umkehrbare Rhythmen(1 pro Takt) in T. 26-32

In T. 94-102 finden wir noch eine weitere, für Mes-siaen typische Technik, die wir bereits im dritten Satzangetroffen haben: eine Transformation des Hauptthe-mas (T. 1-4) in verlangsamtem Rhythmus und übermehrere Register („Augmentation et changement deregistre vont communiquer à ce thème une puissanceécrasante“24, siehe Abb.: 42).

3.2.6 Louange à l’Immortalité de Jésus

Large solo de violon, faisant pendant ausolo de violoncelle du 5e mouvement.Pourquoi cette 2e louange? Elle s’adresseplus spécialement au second aspect de Jé-sus, à Jésus-Homme, au Verbe fait chair,ressuscité immortel pour nous commu-niquer sa vie. Elle est tout amour. Salente montée vers l’extrême-aigu, c’estl’ascension de l’homme vers son Dieu, del’enfant de Dieu vers son Père, de la créa-ture divinisée vers le Paradis.25

Bereits aus den Titeln lässt sich ein Zusammen-hang zwischen den beiden Sätzen V und VIII erkennen.Während der fünfte Satz von Gottes Wort - als zweitePerson der Trinität - handelt, geht es im Achten umdie Inkarnation Jesu, der zu den Menschen hinabge-stiegen ist, um Gottes Wort zu verkünden. Er liess dieMenschen teilhaben an seinem Leben und ist nach sei-nem Tod zu Gott zurückgekehrt. Diese Auferstehungund Auffahrt Christi, und damit dessen Unsterblich-keit liegt dem achten und letzten Satz des Quartetts zuGrunde.

Das Tempo ist extrem langsam gewählt, wodurchMessiaen den Stillstand der Zeit suggeriert. Dieser Ef-

24[3], p. 2925Olivier Messiaen zu VIII, im "Préface"von [2]

17

3 Quatuor pour la fin du temps

fekt wird sogar noch verstärkt, durch die rhythmischeFigur der Begleitung, die auf jedem zweiten Ton faststehenbleibt (Abb. 43). Andererseits interpretiere ichdiese Figur auch als einen permanenten Herzschlag,als Anspielung auf die Unsterblichkeit Jesu.Das Stück ist eine Transkription des zweiten Teils sei-nes Orgelstücks "Dyptique", von 193026. Harmonischspielt sich das Stück grundsätzlich in Modus 2 und des-sen Transpositionen ab. Es hat die Form einer „phrasebinaire“27, bestehend aus vier Teilabschnitten: A (The-

ma, T. 1-6) - B (1. Kommentar, T. 7-15) - A (Thema, T.16-21) - B’ (2. Kommentar, T. 22-32). Während die bei-den Abschnitte des Themas exakt identisch sind, be-ginnt der 2. Kommentar zwar identisch zum ersten,steigt aber ab T. 24 tiefer ein, behält die Grundelemen-te des ersten Kommentars bei, bis er schliesslich ab T.27 endgültig auf ein neues Gleis wechselt und im ex-trem hohen Register der Geige endet. Dieser Aufstiegist sinnbildlich als Aufstieg Jesu zu Gott, respektive der„vergöttlichten Kreatur ins Paradies“28 zu verstehen.

26vgl. [4]27vgl. [3], ex. 133-13628Eigene Übersetung

18

3 Quatuor pour la fin du temps

T. 94-97: entspricht T. 1-2

T. 98-101: entspricht T. 3-4

T. 1-4

Abbildung 42: Transformierte Reprise des Eingangsthemas mit Register- und Rhythmuswechsel ([2], QVI T94-101)

Abbildung 43: Klavierbegleitung ([2], QVIII T1)

19

4 Synthese

4 Synthese

Wie aus dem „Préface“ Messiaens herauszulesen ist,prägen vier Elemente die Musiksprache des „Quatuorpour la Fin du Temps“: Religion, Zeit und Rhythmus,Klangfarben und Vogelgesang. Um die Hintergründeder Kompositionstechniken Messiaens zu verstehen,wird das Quartett als Ganzes - mit Hilfe der techni-schen Analyse - unter diesen vier Aspekten betrachtet.

4.1 Religiöser Aspekt

Messiaen war ein überzeugter Katholik. Es ist des-halb nicht überraschend, dass er beim Quartett voneinem religiösen Thema inspiriert worden war. Trotz-dem scheint der religiöse Aspekt nur eine sekundäreRolle zu spielen, neben dem Hauptthema und Mes-siaens ewigem Wunsch nach dem Stillstand der Zeit,was schon in früheren Werken thematisiert wurde.Vor dem Quartett hat Messiaen hauptsächlich Kirchen-musik, insbesondere Orgelmusik, komponiert. Kam-mermusik für den Konzertsaal war eine neue Heraus-forderung für ihn. Da dieses Zielpublikum der Theo-logie nicht unbedingt wohlgesinnt sein muss, hat sichMessiaen beim religiösen Aspekt auf eine illustrierendeRolle beschränkt:

Ich wollte nicht einen Kommentar zurApokalypse schreiben, sondern allein mei-nen Wunsch nach dem Stillstand der Zeitrechtfertigen29

Zudem hat Messiaen bewusst die Originalfassung derApokalypse, wo der Engel das Ende der Zeit verkündet,neu interpretiert. Er betrachtet das Ende der Zeit impositiven Sinne als einen Stillstand der Zeit, der Ewig-keit und nicht als Katastrophe oder Weltuntergang.

Trotzdem möchte ich an dieser Stelle noch ein paarreligiöse Symbole erwähnen. Ein relativ hoher Stellen-wert wird dem siebenfarbigen Regenbogen beigemes-sen, der in den Sätzen II und VII vorkommt. Der Re-

genbogen steht alttestamentarisch als Symbol für denBund Gottes mit den Menschen, als Zeichen des Frie-dens und Versöhnung.Ausserdem steht die Anzahl der Sätze für den achtenewigen Tag, der verlängerte göttliche Sabbat.

4.2 Zeitlicher Aspekt - Rhythmus

Messiaen bezeichnete sich selber als „Komponist undRhythmiker“30. Dies zeigt die zentrale Rolle, die derRhythmus in seiner Musik hat. Da er auf der einen Sei-te „rubato“ hasst und sich auf der anderen Seite ausden Fesseln der konventionellen Metrik befreien will,hat er eine neue rhythmische Sprache entwickelt. Hier-zu hat er ausführliche Zeit- und Rhythmus-Studien be-trieben. Seine Quellen reichen von griechischer Metriküber die indischen Decî-Tâlas bis zu westlichen Ent-wicklungen.Zeit ist das absolute Gegenteil der Ewigkeit. Alles waswir tun entwickelt sich mit der Zeit, inklusive derMusik. Der Musiker hat allerdings die Möglichkeitmit dem Rhythmus die Zeit(-dauern) zu beeinflussen.Rhythmus ist eine Aneinanderreihung von Zeitinter-vallen. Diese können beliebig zerstückelt und anderszusammengesetzt werden, so als würden wir uns wilddurch verschiedene Punkte der Zeit bewegen. Für Mes-siaen ist Zeit eine ununterbrochene Verwandlung vonZukunft in Vergangenheit. In der Ewigkeit gibt es die-se Begriffe nicht mehr. Um das Gefühl der Ewigkeit zuvermitteln hat Messiaen eine Reihe von Techniken ent-wickelt. Takt und Metrum sind bei einfacher Musik diedurchgehende Uhr. Diese werden bei Messiaen ersetztdurch eine kurze Note (z.B. Sechzehntel) und derenfreie Multiplikationen, zu kurz um als Schlag wahrge-nommen zu werden.Ein weiteres technisches Mittel um Ewigkeit zu ver-mitteln, sind Messiaens rhythmische und harmonischeOstinati. Der erste Satz des Quartetts ist das Para-

29Messiaen in [4]30[6], p. 52

20

4 Synthese

debeispiel: Cello und Klavier haben sowohl rhythmi-sche als auch harmonische Ostinati. Die Tatsache, dassMessiaen bei jenen Ostinati Primzahlenlängen unter-schiedlicher Grösse gewählt hat, bewirkt, dass es imVerlauf des Stücks niemals wieder zur Ausgangssituati-on der Ostinati kommt. Also ist es absolut unmöglich,die Ostinati beim alleinigen Zuhören zu erkennen. Be-rechnen wir die Gesamtdauer, die nötig ist, um allesin die Startposition zurückzubringen, erhalten wir (ro:rhythmisches Ostinato, ho: harmonisches Ostinato):

• Klavierstimme alleine:Länge ro: 13 Viertel mit 17 Noten, Länge ho: 29Akkorde.Das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV) von 17und 29 ist 439, d.h. 29 Wiederholungen des ro,also 29!13 = 377 Viertel.

• Cello alleine:Länge ro: 16.5 Viertel mit 15 Noten, Ein Zyklus istalso 16.5 Viertel

• Beide Stimmen zusammen:kgV von 16.5 und 377 ist 16.5!377 = 6220.5 Vier-tel

Mit einem Tempo von 54 Viertel pro Minute, ergäbedies eine Totallänge von 6220.5! 60/54 = 6911.7s, al-so ungefähr 2 Stunden. Satz I scheint also ein kleinesFragment von einem enormen Prozess zu sein.

Um die Begriffe Vergangenheit und Zukunft zu elimi-nieren, verwendet Messiaen Symmetrien. Seine nichtumkehrbaren Rhythmen sind ein Beispiel: Da siegleich lauten, wenn man sie rückwärts schreibt, wievorwärts. Bewegt man sich in diesen Rhythmen, istes, als wäre man gleichzeitig in der Zukunft und inder Vergangenheit, die also egalisiert und damit elimi-niert werden. Eine weitere Symmetrie fällt uns in derGrundstruktur des Quartetts auf, einerseits in der In-strumentenkonstellation, andererseits als achtseitigesPalindrom. Satz I und VIII können zusammengeführtwerden über deren Bild der Unendlichkeit: Satz I mitseinen verschränkten Ostinati und Satz VIII mit seinersubjektiven Unendlichkeit, der Unsterblichkeit der 2.Person der Trinität. Die Parallelen von Satz II und VIIliegen auf der Hand (Erscheinung des Engels) und SatzIII und VI können über deren Einstimmigkeit (uniso-no) in Verbindung gebracht werden.

Eine Anomalie im Bilde des Palindroms stellt aller-dings die Verbindung von Satz V und VIII dar. Beidessind extrem langsame Solostücke für Streicher mit Kla-vierbegleitung. Beide haben ihre Wurzeln in bestehen-den Werken und stellen die 2. Person der Trinität dar.In Satz V geht es um Gottes Wort und dessen Unend-lichkeit und in VIII um das fleischgewordene Wort, Je-sus Christus und dessen Unsterblichkeit. Satz V kannebensogut die Rolle eines Schlusssatzes übernehmen(vgl. [1]). Damit erreicht Messiaen ein weiteres Bild derUnendlichkeit: Ein Schlusssatz muss nicht das Endesein. Das Potential für weitere Sätze existiert immer. Esgibt kein endgültiges Ende.

Naheliegend für eine Vermittlung von Unendlichkeitist ein extrem langsames Tempo. Sowohl V, wie VIIIsind extrem langsam. Bei Satz V steht sogar „infinimentlent“31. Damit steht der ganze Zweite Teil des Quartettsbereits in der Unendlichkeit. Messiaen lässt damit dieZuhörer direkt Teil der Ewigkeit werden.

4.3 Klangfarben

Whenever I hear music, I see corre-sponding colours. Whenever I read music(hearing it in my mind), I see correspon-ding colours... The colours are wonderful,inexpressible, extraordinarily varied. As thesounds stir, change, move about, these co-lours move with them through perpetualchanges.32

Messiaen war ein Synästhesist. Während der Gefan-genschaft in Silesien, bei eisiger Kälte und Hungersnot,hatte er farbige Träume und Halluzinationen, die seineAkkordkaskaden und Harmonien inspirierten:

Dans mes rêves, j’entends et vois ac-cords et mélodies classés, couleurs et for-mes connues; puis, après ce stade transi-toire, je passe dans l’irréel et subis avecextase un tournoiement, une compénétra-tion giratoire de sons et couleurs surhu-mains. Ces épées de feu, ces coulées de la-ve bleu-orange, ces brusques étoiles: voilàle fouillis, voilà les arcs-en-ciel!33

31[2]32Messiaen, in [6], p. 5433Messiaen, dans [2], p. II

21

4 Synthese

Dies ist Messiaens Kommentar zu Satz VII. Farbi-ge Visionen hatte Messiaen erstmals im Gefangenenla-ger. Später hat er seine synästhetische Fähigkeit nochausführlicher untersucht und systematischer in seinenWerken eingesetzt. Zentral für seine Harmonien sindseine Modi mit limitierter Transpositionsmöglichkei-ten. Jeder Modus provoziert bei Messiaen ein bestimm-tes Farbspiel und jede einzelne Transposition des Mo-dus ruft ein komplett neues Spektrum hervor:

The first transposition of Mode 2 is de-fined like this: „blue-violet rocks speck-led with little gray cubes, cobalt blue, de-ep Prussian blue, highlighted by a bit ofviolet-purple, gold, red, ruby, and starsof mauve, black, and white. Blue vio-let is dominant.“ The same mode in itssecond transposition is totally different:„gold and silver spirals against a back-ground of brown and ruby-red vertical stri-pes. Gold and brown are dominant.“ Andhere’s the third transposition: „light greenand prairie-green foliage, with specks ofblue, silver, and reddish orange. Dominantis green.“34

4.4 Vogelgesang

Messiaen war einzigartig in seinen exaktenVogelgesang-Transkriptionen und deren Einbau in sei-nen Werken. Er reiste in der ganzen Welt umher, umVogelgesänge aufzuschreiben. Er versuchte, die Gesän-ge möglichst genau zu notieren. Doch selbstverständ-lich musste er die Transkriptionen noch den menschli-chen Fähigkeiten anpassen: normalerweise ist das Re-gister zu hoch und die Intervalle zu klein. Er transpo-nierte und skalierte die Transkriptionen bis sie spielbarwurden.Vogelgesang hat Messiaen zum ersten Mal in „La Na-tivité du Seigneur“ (1935) eingesetzt35. Während demersten Weltkrieg hat er systematisch Vogelgesänge stu-diert und notiert. Im Quartett hat Messiaen zum ers-ten Mal spezifische Vogelarten eingesetzt: Amsel undNachtigall.

Im dritten Satz stellt Messiaen die Vögel der Zeit ge-genüber. Vögel stehen für „dauerndes Licht, Sterne,Regenbogen, jubilierender Gesang“36. Die Vögel sindein Zeichen der Freiheit. Keine menschliche Musik hateine derart grosse Freiheit in den Melodien und Rhyth-men, wie Vogelgesang. Er ist absolut unbeirrt von derZeit.

34Messiaen, in [6], p. 5535citerischin, p. 5736Messiaen in [2] p. I, Eigenübersetzung

22

5 Schluss

5 Schluss

Nachdem ich nun ausgewählte Bereiche Messiaens„Quatuor pour la Fin du Temps“ technisch analysiertund anhand von vier für Messiaen charakteristischenmusikalischen Aspekten interpretiert habe, möchte ichnoch kurz auf den geschichtlichen Zusammenhangeingehen. Inwiefern hängt eigentlich das Thema desQuartetts mit den historischen Umständen zusam-men? Kennt man Messiaens Beschäftigungen und seinfrüheres Werk nicht, hat man allen Grund zur Annah-me, dass das Quartett als Antwort auf den Krieg unddie Gefangenschaft geschrieben wurde. Dass der Titel„...für das Ende der Zeit“ im Sinne von Ende des Krie-ges und Gefangenschaft und ewigen Friedens zu ver-stehen ist. Zieht man Messiaens langjähriges Studiumder Zeit und des Rhythmus’ in Betracht, sowie seinefrüheren Werke, erkennt man allerdings, dass er sichschon seit Langem mit dem Thema der Ewigkeit unddem Stillstand der Zeit auseinandergesetzt hat. Trotz-dem hat das Quartett und die damaligen Umstände invielerlei Hinsicht das Gesamtwerk Messiaens geprägt.Mehrere für Messiaen später charakteristische musika-lische Aspekte haben ihren Anfang zu jener Zeit ge-nommen, oder zumindest die Begeisterung des Kom-ponisten geweckt. Farbige Visionen und Halluzinatio-nen - während er in eisiger Kälte an Hunger litt -weckten die Begeisterung für Farben im Zusammen-hang mit Musik. Auch die Begeisterung für Vögel mussseinen Höhepunkt in der Kriegsgefangenschaft gehabthaben, wo Freiheit eine Obsession gewesen sein muss-

te. Die Freiheit eines Vogels in dessen Lebensweise so-wie dessen Gesängen, musste ein Traum Messiaens ge-wesen sein. Und dann...:

On 15 January 1941, Messiaen realized hisdream of the bird. Where all around himmen were making war, Messiaen, like abird, was making music.37

Neben den Schlussfolgerungen zum Stück selber,möchte ich aber auch noch generell zur musikalischenAnalyse Stellung nehmen. Was ist eigentlich der Sinneiner Analyse? Durch die musikalische Analyse wollenwir die Eigenheiten eines Stückes oder seines Kompo-nisten herauskristallisieren und deren Funktionen er-kennen und verstehen. Im Falle von Messiaen ist be-reits viel Vorarbeit geleistet worden. In seinen Einlei-tungen zu den Werken und seinen schriftlichen Ab-handlungen und Büchern enthüllt er uns die Geheim-nisse seiner musikalischen Sprache. So stellt sich Mes-siaens Musik als eine Schatztruhe voller verstecktermusikalischer Symbole heraus, die Einem beim blos-sen Zuhören der Musik verborgen bleiben. Gerade beiatonaler Musik, die keine universellen Regeln hat, istes absolut notwendig über die Techniken des entspre-chenden Komponisten Bescheid zu wissen, um dieMusik zu verstehen. In diesem Sinne ist die musikali-sche Analyse in einem gewissen Rahmen essentiell fürdas Verständnis.

37[6], p. 60

23

Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

[1] Paul Griffiths. Olivier Messiaen and the music of ti-me. Faber and Faber, London, 1985.

[2] Olivier Messiaen. Quatuor pour la fin du temps.pour clarinette en si bémol, violon, violoncelle etpiano. Editions DURAND, Paris, 1942.

[3] Olivier Messiaen. Technique de mon langage musi-cal. Alphonse Leduc, Paris, 1944.

[4] Aloyse Michaely. Die Musik Olivier Messiaens.Untersuchungen zum Gesamtschaffen. Verlag derMusikalienhandlung Karl Dieter Wagner, Hamburg,1987.

[5] David Morris. A semiotic investigation of mes-siaen’s ’abîme des oiseaux’. Music Analysis, 8, No.1/2.:125–158, 1989.

[6] Rebecca Rischin. For the End of Time. The Storyof the Messiaen Quartet. Cornell University Press,2003.

Diskographie

• Olivier Messiaen. Quatuor pour la Fin du Temps,(Kagan, Brunner, Gutman, Lobanov) - Live Clas-sics, 1984

24

A Zusammenstellung der Modi mit beschränkten Transpositionsmöglichkeiten

A Zusammenstellung der Modi mit beschränkten Transpositionsmöglich-keiten

Abbildung 44: Modi mit beschränkten Transpositionsmöglichkeiten ([4], p. 72)

25

Ewigkeit hat weder Anfang...