Die Pause - HyperWerk · erfreut. Eine Transformation der Pause in ein anderes Medium drängte sich...

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Die Pause Vilfroy Philippe Quindici Institut HyperWerk Wir, wir selbst sind die Methode!

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Die PauseVilfroy PhilippeQuindiciInstitut HyperWerk

Wir, wir selbst sind die Methode!

Diplomdokumentation Philippe Vilfroy/Quindici

Zeitraum2015-2016

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Prolog

Was ist die Pause?

Ich, ich selbst bin die Methode

Prozess

Reflexion

Fazit

Quellen

Dank

Inhaltsverzeichnis3

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Pausenlos scheint unsere Gesellschaft unter Strom zu stehen. Immer schneller und reibungsloser laufen unsere Arbeits- und Produktionsabläufe. Während die verwendete Technologie durch ihre Komplexität kaum noch nachvollziehbar ist, wird ihre Benutzeroberfläche mehr und mehr bedie-nerfreundlich. Ununterbrochen prasseln neue Informationen auf uns ein, die wir verarbeiten müssen. Ein immerwährender Prozess, in dem wir uns stetig zu einer kontinuierlichen Gesellschaft1 entwickeln. In der Schweiz scheint dieses System zu passen: im Land der Uhren haben sich die Menschen an reibungslose Zeitabläufe gewöhnt – die Schweiz hat sich zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt entwickelt. Während in anderen Staaten Europas eine zum Teil bittere Arbeitslosigkeit vorherrscht, agiert die Schweiz geschickt im neoliberalen System. Aber was ist die Kehr-seite unserer Leistungsgesellschaft?Eine Studie der SECO aus dem Jahr 2009 vermerkt, dass rund ein drittel aller Befragten Frauen und rund die Hälfte der Männer unter starker psy-chischer und nervlicher Anspannung am Arbeitsplatz leiden. Der Philo-soph Byung-Chul Han beschreibt in seinem Buch Psychopolitik (2014) den heutigen westlichen Menschen als ein sich in Freiheit wähnendes Wesen, dass sich von äusseren Zwängen befreien konnte, sich nun aber durch Leistungs- und Optimierungszwang sich selbst unterwirft.2 Aber ist dieser Optimie-rungszwang überhaupt notwendig?Laut Stefan Klauser3 wird sich unser Leben in absehbarer Zeit durch ex-ponentielle Entwicklung der Computertechnologien radikal ändern. Dies würde dazu führen, dass in den nächsten zehn Jahren ein Grossteil der heutigen Arbeitsplätze überflüssig sein wird.Wie gehen wir damit um? Meine Diplomarbeit entstand in der Zeit, als sich die Schweizer Bevölkerung mit der Frage auseinandersetzte, ob sie ein bedingungsloses Grundeinkommen möchte. Genau wie die Initiative «6 Wochen Ferien für alle»4 wurde auch der Wunsch nach einem bedingungs-losen Grundeinkommen eindeutig abgelehnt. Die Inhalte der beiden Vorlagen unterscheiden sich zwar grundsätzlich, sie haben jedoch eine gemeinsame Forderung. Mehr Zeitfreiheit. Angesichts der unsicheren Wirtschaftslage in Europa darf die Ablehnung solcher Vorlagen nicht verwundern. Trotzdem hätten die Abstimmungen zu einer Auseinandersetzung im Umgang mit der Zeit führen können. Anhand des Begriffes der «Pause» setze ich mich mit der Frage auseinander, wie gut der Mensch das Nichtstun noch erträgt. Die Forderung nach Pausen und nach Unterbrechung scheint trotz Ablehnung der genannten Initiativen ein aktu-elles Thema zu sein. Zeitknappheit und Zeitmangel sind populäre Begriffe in unserer getakteten Lebenswelt. Wie würden wir «Digital Natives»5 mit mehr Zeit umgehen? Online-Flucht oder zurück zur Natur? Sind wir doch im Begriff uns die Zeit stets kurz zu halten und unliebsame Wartezeiten

Prolog

1 Muri, Gabriela: Pause aus alltagskultureller Sicht. Frankfurt am Main: Campus Verlag GmbH 2004. S. 183-195.2 Han, Byung-Chul: Psychopolitik Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main: S. Fischer 2014. S. 09-13.3 Stefan Klauser, Project Leader „Digital Society“, Computational Social Sciences COSS, ETH, Vortrag an der Not Established Tagung4 Eidgenössische Schweizerische Volksinitiative «6 Wochen Ferien für alle» 11.März 20125 Thomas, Michael: Deconstructing Digital Natives: Young People, Technology, and the New Literacies. New York. Routledge 2011

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mit unseren Smartphones zu überbrücken. Die Pause scheint dabei zu einem Sehnsuchtsbild geworden zu sein, die wir zwar fordern, in Wahrheit aber schlecht ertragen. Die Sehnsucht nach Ruhe, Stille und Einsamkeit ist am Ende nur noch ein romantisches Bild in unserer Vorstellung – ein Blick weg von der Industriegesellschaft, die unsere Umwelt bedroht und uns einnimmt. Die Pause, der Stillstand oder die Unterbrechung sind immer die erste Re-aktion auf eine scheinbar ausweglose Situation. So startete ich die Auseinandersetzung mit der Pause sowie dem Versuch, komplexe Inhalte zu verstehen und neue Impulse zu setzen. Mit dem Ziel meine eigene Arbeit, meine Umwelt und mein Leben besser lernen, verste-hen und reflektieren zu können. Als Prozessgestalter erhoffte ich mir auch, in der Pause eine Schnittstelle zu finden, die zu einem Paradigmenwechsel führen kann.

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Der Begriff der Pause hat verschiedene Bedeutungszusammenhänge. Grundsätzlich beschreibt er ein zwischenzeitliches Phänomen der Auszeit und der Unterbrechung einer Tätigkeit. In der alltagskulturellen Darlegung steht er für eine kurzzeitige Unterbrechung der Arbeitstätigkeit in Form einer Ruhepause. Die Schulpause6 oder die Mittagspause sind bekannte Ausdrücke. Diese werden wiederum mit einer Handlung aufgefüllt und dienen dem sozialen Austausch, der Verpflegung und der Erholung. Die Schulpause ist aber auch eine Erziehungsmassnahme. Durch die Regelmäs-sigen und kurzen Unterbrechungen wird den Kindern Pünktlichkeit und Verbindlichkeit im Alltag vermittelt. Die Pause kann in dieser Form nicht als Moment der Nicht-Handlung bezeichnet werden.Ganz anders verhält es sich mit der Pause im Theater und in der Musik7. Die Pause bezeichnet hierbei eine Unterbrechung des Stücks, die mit Schwei-gen oder Stille aufgefüllt wird – ein wichtiges dramaturgisches Element, welches sich seit dem 19. Jahrhundert etablierte. Die Wirkung der Pause als stiller Moment wird zur Schärfung der Aufmerksamkeit des Publikums verwendet. Die Wirkung der Stille lässt sich damit begründen, dass der Mensch sich im Zuge der modernen Gesellschaft an eine permanente akus-tische Berieselung gewöhnt hat. Durch die Entwicklung einer modernen Zeitordnung hat sich auch die Pause gewandelt. Vor der Industrialisierung war das Alltagsgefüge durch äussere Umstände bedingt und abhängig von den Jahreszeiten noch sehr dynamisch. Die Pause konnte dadurch über mehrere Stunden andauern8. Während der Industrialisierung war die Pause Teil der politischen Forde-rung der Arbeiterschaft. Die Pause entwickelte sich zu einer Sprache der Bedürfnisse9. Das Recht auf eine bezahlte Unterbrechung der Arbeit und bezahlte Ferientage waren das angestrebte Ergebnis; dieses hat somit zu unserem heutigen Verständnis von Freizeit und Erholung beigetragen.In der Zeitdebatte ist die Pause als Teil der Dialektik von Zeitfreiheit und Zeitzwang weiterhin ein Thema. Die Theorie, dass arbeitsfreie Zeit nicht als autonom betrachtet werden kann, wird darin beschrieben, dass wir uns durch die Mechanismen der Zeitkontrolle nicht mehr von äusseren, sondern von inneren Zwängen getrieben selbst kontrollieren10. Auch die Di-alektik der Fest- und Feierkultur11 spielt in Bezug auf die Pause eine weitere wichtige Rolle. Der Wechsel zwischen einer alltäglichen (Arbeitsalltag) und ausseralltäglichen Ordnung (Ferien, Feste und Feier) gilt als sinnstiftend für unser Leben12. Durch die Popularisierung der Freizeitkultur wurde die Freizeit Teil der ökonomischen Logik. Die Aufweichung der Ruhezeiten in der Nacht und an Sonntagen führen dabei weiter zu einer kontinuierlichen und pausenlosen Gesellschaft.Gründe dafür sind der Anspruch an ein kontinuierliches Dienstleistungs-angebot und die Intensivierung der Freizeitaktivitäten, die ebenfalls zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden sind. Es entsteht eine Zer-splitterung der gemeinsamen Frei- und Arbeitszeit. Durch Computerarbeit

Was ist die Pause?

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6Muri 2004., Die Schulpause S. 122-1247 Elzenheimer, Regine: Pause. Schweigen, Stille. Dramaturgien der Abwesehnheit im postdra-matischen Musik-Theater. Würzburg. Verlag Königshausen & Neumann GmbH 2008. S. 17-228 Muri 2004., Die Verbreitung normativer Zeitordnung in Alltag. S. 75-809 Ebd., 99-10710 Ebd., 125-13811 Ebd., 205-20912 Ebd., 160-127

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und Kommunikationsmöglichkeiten, die von zu Hause aus getätigt werden können, wird der Alltag weiter individualisiert. Dies alles führt zur Annah-me, dass diese jüngste Entwicklung unsere Zeitvorstellung und Zeitdiszipli-nierung verändert hat. Die Beschleunigung der Prozesse und die geforderte Pünktlichkeit gelten als vermeintlichen Verursacher einer individuellen Zeitkrise13. Dieser Effekt wird verstärkt durch den schwindenden staatli-chen und religiösen Einfluss auf unseren Alltag.Pausen sind deshalb ein wichtiger Bestandteil der neugeführten Debatte um die Zeithygiene geworden. Individuelle «Zeitinseln» sollen helfen, unserem Dasein einen Lebenszweck zu vermitteln. Die Abwechslung einzelner Tä-tigkeiten wie kurze monotone Arbeit, obligatorischer Sozialdienst, Ich-Zeit, Sport- und Kulturaktivitäten sorgen für die nötige Sinnstiftung im Leben14. Während die sozialpolitische Debatte in die Richtung von mehr Zeitfreiheit und Selbstbestbestimmung innerhalb der Arbeitszeit geführt wird, setzt die Werbeindustrie auf mehr Freizeit, Vergnügen und Konsum. Gerade die Möglichkeit, Konsum- und Medienangebote pausenlos zu nutzen, macht die Endloszeit unserer Medienkultur sichtbar15. Der Wunsch nach einer Pause und mit ihr aus dem Zeitrhythmus auszutreten, umschreibt aber nur unsere individuelle Erwartungshaltung16. Der Begriff der Pause steht zwischen dem Konstrukt der Dialektik von Zwang und Freiheit. Ein neuer Umgang mit der Pause als zwischenzeitlicher Moment könnte zu einem neuen Umgang mit der Zeitknappheit führen.

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13 Ebd., 262-267 14 Ebd., 278-28115 Ebd., 273-27516 Ebd., 286-288

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Um im Rahmen des Jahresthemas eine Methode zu entwickeln, habe ich eine intensive Selbstreflexion unternommen. Anhand der theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Pause gelang es mir, diverse Rück-schlüsse auf Erlebnisse meiner Vergangenheit zu ziehen. Mit dem Studium am HyperWerk löste ich mich von meinem alten Berufsbild. Als Mechani-ker ging ich einem geregelten Alltag nach, der wenig individuelle Freiheiten zuliess. Sich Zeit zu nehmen oder sich in einem Thema zu verlieren war die grösste gelebte Freiheit in meinem Studium am HyperWerk - «Nimm dir doch mal drei Jahre Zeit». Die Möglichkeit meine Zeit frei einzuteilen wurde zum experimentellen Nährboden dieser Arbeit – vergleichbar mit einem Sabbatical.Nachdem ich meine Ausbildung als Polymechaniker abgeschlossen hatte, arbeitete ich vierzehn Monate lang am Fliessband. Dabei lernte ich, wie man sich dem Diktat vorgegebener Zeiteinheiten entzieht, sich Freiraum schafft, indem man Pausen verlängert, ohne dass es der Arbeitgeber merkt. Diese Tricks dienten dem sozialen Austausch zwischen uns Arbeitern, was half, Abwechslung in den Alltag zu bringen und die Arbeitszeit kurz zu halten. Diese Situation erweckte bei mir jedoch Unbehagen und Trau-rigkeit. Weshalb entwickelt der Mensch Taktiken, seine Arbeitszeit zu verkürzen? Eine identische Schilderung las ich während meiner Recherche in einem sozial-anthropologischen Text über das Arbeits- und Pausenver-halten von Fabrikarbeitern. Die Arbeit ist so ausgerichtet, damit gerade genügend Abwechslung in den Arbeitsintervallen vorhanden ist, um die Achtsamkeit zu erhalten. Durch mein Studium fand ich Anschluss in der Kultur- und Designbranche und somit ein Arbeitsfeld, welches näher an meinen persönlichen Interessen anknüpft. Dies verschaffte mir vorerst eine grosse Befriedigung. Durch meine Recherche taten sich jedoch Zweifel über den Wert von Kultur- und Freizeitangeboten auf. Immerhin gaben 50% der Schweizerbevölkerung17 an, dass sie aus Zeitmangel kulturellen Angeboten nicht nachkommen können. Die Vielfalt des kulturellen Angebots könnte selbst Grund für die pausenlose Gesellschaft sein. Im Interview mit dem Musiker und Konzertveranstalter Etienne Abelin erfuhr ich ausserdem, was es bedeutet, wenn man seinen Beruf auf das kreative Arbeiten ausrichtet. Sieben Tage pro Woche durchzuarbeiten ist keine Seltenheit. Im Gegenzug zu einer starr geregelten Arbeitszeit ist es Abelin möglich, seine Arbeits- und Freizeit flexibel und selbstständig einzuteilen. Dies kann jedoch zu einer immer geringeren Abgrenzung von Arbeits- und Freizeit führen. An diesem Punkt stellt sich mir als Prozessgestalter die Frage, ob im kreativen Arbeiten eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit realistisch ist?

Ich selbst bin die Methode

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17 Quelle BFS-ESRK 2016

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Der Weg in die Selbstständigkeit scheint von Selbstoptimierungszwängen gepflastert zu sein. Auch meine Recherche zeichnet eher ein pessimisti-sches Bild der modernen Gesellschaft. Meine Methode sollte deshalb eine positive und optimistische Antwort auf die Frage im Umgang mit der Zeit sein. Erste Anhaltspunkte fand ich in der dramaturgischen Ausführung der Pause im Theater, die zumindest eine zeitweilige Auseinandersetzung einer konstitutiven Zeiterfahrung vermittelt. Damit konnte ich zumindest inhaltlich mehr anfangen als mit dem esoterischen und spirituellen Verlan-gen nach Stille, die sich in der letzten Zeit einer zunehmenden Beliebtheit erfreut. Eine Transformation der Pause in ein anderes Medium drängte sich auf, zumal ich endlich die theoretische Ebene verlassen wollte.

Die SitzbankWährend meiner Diplomarbeit verstarb mein Grossvater im Alter von 93 Jahren. Ein letzter gemeinsamer Moment im engsten Familienkreis auf ei-ner Bank im Oltner Stadtpark wurde zum Wendepunkt in meinem Arbeits-prozess. Die Parkbank erhielt durch das Ereignis eine seltsame Bedeutung für mich. Die Sitzbank und das Sitzen haben in unserem Kulturverständnis eine lange Tradition. Die Sitzbank bietet darüber hinaus einen Ort der gemeinsamen Rast und des Verweilens; sie wurde zu meiner persönlichen Metapher für eine zeitlose Pausenkultur. Fortan dokumentierte ich Sitz-bänke des öffentlichen Raumes mit ihrem Ausblick. Dadurch entstand eine seltsame Analogie, die nicht immer zu passen schien. Öffentliche Bänke sind stets robust gebaut. Die Bänke im Park entsprechen oft einem indivi-duellen Design und die sich bietende Aussicht wirkt konstruiert.Hingegen wirken Sitzbänke am Wegrand öfters willkürlich platziert, wor-aus oft eine spannungsreiche Aussicht resultiert. Diese Sammlung diente mir als inspirationsquelle und bewegte mich zum Bau einer eigenen Sitzbank. Daraus entstanden neue Handlungsspielräume.

Wabi-Sabi als Ansatz zum Bau meiner SitzbankIn der Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit und meiner nichtre-ligiösen Haltung suchte ich nach einem weltlichen, poetischen Umgang mit dem Thema «Zeit». Der Begriff Wabi-sabi18 entstammt zwar aus der chinesischen Zen-Kultur, er beschreibt jedoch eine spezifische Art der Schönheit, die sich durch Merkmale wie Schlichtheit, Einfachheit und Selbstgenügsamkeit beschreiben lässt. In einem Vergleich oberflächlicher Merkmale von Wabi-Sabi und dem Begriff der Moderne entdeckte ich span-nende Ansätze, die ich bis anhin vermisste. Die Philosophie des Wabi-Sabi beschreibt in seiner darstellenden Form ästhetische Ideale als schlicht, kunstlos, bäuerlich und grob. Die Objekte verstehen sich als Einzelstücke und suggerieren in ihrer schlichten Gestaltung das Bild eines Objektes, dass keiner alternativen Bauweise bedarf und in sich richtig gebaut ist. Die Objekte dürfen zudem Abnutzung und Fehler aufweisen, die uns auf unsere

Prozess

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18 Koren, Leonard: Wabi-Sabi. for Artists, Designers, Poets & Philosophers. P.O. Box 608 , Poin Reyes, CA 94956, USA. Imperfect Publishing 1994

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eigene Vergänglichkeit und Unvollständigkeit hinweisen. Durch die Prak-tizierung dieser Philosophie suchten die Japaner einen Umgang mit ihrem von Umweltkatastrophen geprägten Alltag.

Meine SitzbankDie Planung und Umsetzung der Bank viel mir relativ leicht. Die Sitzbank sollte die Merkmale der Philosophie des Wabi-Sabi aufweisen und deshalb nur aus einem einzigen Material, nämlich Holz bestehen. Das stellte mich vor eine besondere Herausforderung in ihrer Konstruktionsweise; ich ent-warf selbst eine Holzsteckverbindung. Auf einem Hebewagen befestigt wurde die Bank mobil, und ich reiste damit an verschiedenste Orte. Mit meiner Bank suchte ich das Gespräch mit Menschen im öffentlichen Raum und führte darauf Interviews durch und besuchte meine Freunde damit. Die Sitzbank war ein ideales Medium, um über die Zeit zu sprechen. Besonders ältere Menschen verfielen oft in nostalgisches schwärmen, wenn ich sie nach ihrer persönlichen Vorstellung zur Pause und den Umgang mit der Zeit befragte. Das Leben in der Erin-nerung schien sich dabei nicht in einen linearen Strang, sondern in vielen Schichten zu bündeln. Hingegen führte ich mit meinen Freunden sehr ge-genwartsbezogene Gespräche; ich zeichnete gemeinsame Momente auf der Bank auf, da ich die Idee verfolge, aus meiner Arbeit ein dokumentarisches Werk zu machen. Die geführten Interviews halfen mir im Prozess, das ge-eignete für die Dokumentation meiner Arbeit zu finden. Durch das Erlebnis mit meinem Grossvater, die selbstgebaute Sitzbank und die Momente mit meinen Freunden fügte sich Stück für Stück eine Geschichte zusammen. In meiner persönlichen Auffassung empfinde ich es als deprimierend, immer nur Bruchstücke aus dem Leben meiner Mitmenschen zu erfahren. Noch weniger wusste ich über meinen Grossvater. Seine Geschichte ist zu Ende. Das Einzige was bleibt sind Fotos, Notizen und die Bücher, die er gelesen hat. Hinter ihm verblasst auch das Bild meiner Vorfahren und ihrer Ge-schichte. Die Bank als vergängliches Objekt entpuppte sich als Schnittstelle in meiner Auseinandersetzung über die Zeit, die Pause, die Vergänglichkeit und das Momenthafte.

Die Sitzbank als LangzeitprojektViele Bekanntschaften äusserten den Wunsch nach einer eigenen Pau-senbank. So entstand eine Liste von Menschen, für die ich vor dem Ende meines Studiums eine Sitzbank fertigen soll. Da es bis dahin nicht meine Idee war, das Objekt als kommerzielles Produkt zu vermarkten und meine Arbeit primär eine Auseinandersetzung mit der Zeit ist, versuchte ich diese beiden Dinge zu verknüpfen. Das Objekt der Bank hat einen Eigenwert erhalten und fungiert als verbindendes Symbol zwischen mir und dem Abnehmer. Die Bank soll ein Versprechen durch die Zeit sein. Das Verspre-chen beinhaltet, dass ich den Besitzer der Bank alle fünf Jahre portraitiere

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und ihn in einem Gespräch nach seiner aktuellen Lebenssituation befra-ge. Das Projekt dauert genau 25 Jahre und besteht aus 12 Bänken und 60 Portraits. Meine Diplomarbeit warf viele Fragen über die Zeit auf. Mein Projekt übersteigt somit den zeitlichen Rahmen meines Diploms. Ich gehe in diesem Sinne mit der Zeit innerhalb eines von mir definierten Rahmens. Zusammengefasst ist meine Methode, mit fünfjährigen Pausen die von mir bearbeitete Thematik stets neu zu betrachten und zu analysieren. Somit ist es mir möglich, durch Unterbrüche, sprich Pausen, Veränderungen und Wandel in Bezug auf das Thema zu dokumentieren.

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Meine Arbeit führte lange Zeit in eine unbestimmte Richtung. Das Studium am HyperWerk lebt vom experimentellen und schnellen Entwerfen. Davon habe ich mich lange Zeit distanziert. Das viele Lesen und die Behauptung eine Arbeit über das Pausieren zu machen, liess mich selbst an einer solchen Schule zum Sonderling werden. Im Umgang mit theoretischen Texten fehlte mir eine klar definierte Methode. Die Gespräche mit meinem Coach führ-ten manchmal auch zu Missverständnissen, weil ich mein Vorhaben lange nicht definieren wollte. Zu lange ging ich zu vielen Interessen zeitgleich nach, da ich den Anspruch hatte, mit möglichst vielen verschiedenen Me-dien zu arbeiten. Auf eine externe Diplom-Betreuung verzichtete ich und suchte auch nicht die Teamarbeit. Es kostete mich viele Nerven und persön-liche Überwindung, das Thema über einen so langen Zeitraum fokussiert am laufen zu halten. Es entstanden unzählige Gedanken und Nebenprojek-te die ich hier nicht erwähnt habe, weil sie mit der Arbeit als solches nichts mehr zu tun haben. Doch auch jeder dieser Gedanken trug ein Stück zum Endergebnis bei. Am Ende hat es sich ausbezahlt, nicht voreilig in eine Pro-duktionsphase überzugehen. Die Materialrecherche für das Holz der Bänke gehörte zum vergnüglichen Teil meiner Arbeit. Das erlangte Wissen über Holzpreise, Verarbeitungsprozesse, Qualitätsmerkmale und Eigenschaften des Materials war ein lehrreicher Nebeneffekt. Die Produktion der Bänke sowie des dazugehörigen Drehbuches dauert zum Zeitpunkt noch an.Rückblickend betrachtet würde ich heute diverse Arbeitsprozesse metho-disch anders angehen. Im Nachhinein würde ich früher festlegen, welche spezifischen Medien ich während meiner Arbeit verwende. Ein Vergleich mit der Masterarbeit von Valerie Notter, die ebenfalls vom Begriff der Pause ausgegangen ist, zeigte mir jedoch, dass ich auch durch eine weniger me-thodische Arbeitsweise zu einer ähnlich breiten Diskursfähigkeit über die Pause und ihre verwandten Themen gelang. Als Nebenprodukt bleiben mir eine Handvoll Notizbücher und unzählige digitale Schreibversuche sowie einige experimentelle Versuche. Ich bin davon überzeugt, dass gerade auch diese Nebenprodukte einen Grossteil zum Endprodukt beigetragen haben. Als letztes bleibt noch zu erwähnen, dass ich mir mehr Pausen im Projekt hätte eingestehen solle, vielleicht eine Woche Ferien oder zwei.

Reflexion

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Die Pause als Begriff hat mir geholfen, mich in meinem Arbeitsprozess als Gestalter neu zu positionieren. Seit dem physischen Umsetzten eines Objek-tes, das überall und jederzeit aufgestellt werden kann, ist es mir gelungen, in der Öffentlichkeit mein Thema dem Menschen näher zu bringen und zu einer Debatte zu führen. Das Thema war für mich voller Widersprüche, die von einem Feld der Möglichkeiten in ein anderes führte. Die Umkehr der grossen Zeitdebatte in ein persönliches Projekt ist mein Versuch, mit dem Erlernten umzugehen. Diese Arbeit warf für mich mehr Fragen auf als sie letztlich beantwortete. Diese Fragen werden mich in meinem Langzeitprojekt weiterhin beschäfti-gen. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dieses Langzeitprojekt weiterzu-führen und somit die Suche nach persönlichen Antworten zum Begriff der Zeit und der Pause in meinem Leben fortzusetzen.

Fazit

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Quellenverzeichnis

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Dank

Literatur:Muri, Gabriela: Pause aus alltagskultureller Sicht. Frankfurt am Main: Campus Verlag GmbH 2004Han, Byung-Chul: Psychopolitik Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main: S. Fischer 2014Koren, Leonard: Wabi-Sabi. for Artists, Designers, Poets & Philosophers. P.O. Box 608 , Poin Reyes, CA 94956, USA. Imperfect Publishing 1994Elzenheimer, Regine: Pause. Schweigen, Stille. Dramaturgien der Abwesehnheit im postdra matischen Musik-Theater. Würzburg. Verlag Königshausen & Neumann GmbH 2008 Han, Byung-Chul: Duft der Zeit. Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens. Bielefeld. transcript Verlag 2009Thoreau, Henry D.: Tagebuch 1. Berlin. MSB Matthess & Seitz Berlin Velagsgesellschaft GmbH 2015Seneca: Von der Kürze des Lebens. München. Verlag C. H. Beck oHG 2005 Eickhoff, Hajo: Himmelsthron und Schaukelstuhl. Die Geschichte des Sitzens. München. Carl Hanser Verlag 1993Rosa, Hartmut: Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung: Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik. Berlin. Shurkamp Verlag 2012

Magazine:brand eins. Schwerpunkt Geschwindigkeit. Hamburg. brand eins Medien AG Heft 12 Dezember 2015

Web-Link:25. Oktober 2015 https://www.ted.com/talks/stefan_sagmeister_the_power_of_time_off?lan-guage=de17. Juli 2016 http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/16/02/03/dos/05.par-sys.12233.downloadList.52570.DownloadFile.tmp/kulturundfreizeitverhaltende.pdf5. Juli 2016 http://pau-se.li/valerie-notter-de-rabanal/27. Juli 2016 https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/26877.pdf18. Juni 2016 http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Emplo-yment.pdf18. Juni 2016 ftp://ftp.zew.de/pub/zew-docs/gutachten/Kurzexpertise_BMAS_ZEW2015.pdf12. Mai 2016 http://www.alotofsorrow.com/14. Mai 2016 http://www.standard-time.com/index2_de.php27. Mai 2016 http://bloch23781.com/home/category/news/14. August 2016 http://www.kinder-von-golzow.de/

Andrea Iten für die Begleitung meiner Arbeit

Ralf Neubauer, Larissa Fehr, André Vilfroy, Silvan Rechtsteiner, Heimo Ganz, Christoph von Arx, Peter Jäggi, Silvan Rechtsteiner, Daniel Nikles, Romain Tièche, Etienne Abelin, Etienne Abelin, Al Imfeld, Valerie Notter, Noel Michel, Yannick Tinguely, Marie Luise Lehner, Etienne Abelin, Al Imfeld und Valerie Notter und Christof Meyer.Meinen Eltern und Grosseltern für die finanzielle Unterstützung, meinen Freunden für so vieles, meinem Institut dem HyperWerk, meinem Jahrgang den Quindici, dem Staat und Jesus

Fachhochschule NordwestschweizHochschule für Gestaltung und Kunst

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