Die Pflanzenzelle und ihre Eignung zu physikalisch-chemischer Protoplasmaforschung

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486 Sammelreferate Die Pflanzenzelle und ihre Eignung zu physikalisch-ehemiseher Protoplasmaforschung l~eferat yon Hans Pfei~fer~ Bremen Eingeg~ngen am 26. Juni 1931 , Es ist bekannt, wie fast zugleich neben den yon der Botanik ausgehenden physikalisch-chemischen Untersuchungen bei H. DE VINES und W. PrEr'~Et~ auch schon solche an roten BlutkSrperchen haupts/~chlich durch H. J. HA~- BVI~GE~ einhergehen. In der Folgezeit zeigt sich sogar ein besonders nach- haltiger EinfluB der 9E V~IES-VA~'T HorFschen Lehre und der erg/~nzend hinzutretenden elektrocheniischen Dissoziationstheorie yon S. A~HE~IUS auf die Physiologie hinsichtlich Leukozyten, Lymphbildung und Resorption, Muskel- und Nervent/~tigkeit und Driisensekretion, auf die Pathologie (Chemie der ZirkulationsstSrungen, 0demgenese), Pharmakologie (Narkose, Desinfek- tion), Bakteriologie, Histologie und experimentelle Embryologie (J. LoEss kiinstliche Parthenogenese), aber auch auf die Chirurgie (intravenSse und hypodermatische Infusion, lokale An/~sthesie) und klinisehe Medizin (5, S. 15f.). Mit Recht kann H. SC~ADE hervorheben, da$ sich mit der zunehmenden Zahl der Ergebnisse die Fruchtbarkeit physikaliseh-che-mischer For-- schung fiir die Medizin immer klarer und eindringlicher gezeigt hat und heute vielleicht ein grol~er Tell der zu erwartenden Fortschritte auf eben diesem Gebiete gelegen ist, so da$ wit ,,an der Sehwelle einer neuen, der molekularpathologischen Aera der Medizin stehen". Da liegt nun die Frage nahe, ob dieErforschung der physikalischen Chemie der Pflanzen- z elle neben allen jenen Zielen ihre Bedeutung etwa schon verloren hat. DaB das dennoch heute noch nicht der Fall ist und vielleicht niemals eintreten wird, mSchte die nachfolgende Betrachtung der Unterschiede pflanzlicher yon tierischen Zellen zu zeigen suchen. Bei der Besch~ftigung mit diesen Fragen hat sieh allerdings bald heraus- gestellt, dab eine ersch6pfende Darstellung des Themas, wom6glich unter kritischer Sichtung der heute schon gesichert scheinenden l~esultate der physikalischen Chemie pflanzlichen Protoplasmas, auf engem Raume nicht mOglich ist. Es muir daher geniigen, dab nur einige der haupts/ichlichsten Fragen kurz angedeutet werden. Indessen m6chte auch auf diese Weise die

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Die Pf lanzenzel le und ihre Eignung zu phys ikal i sch-ehemiseher Protoplasmaforschung

l~eferat yon Hans Pfei~fer~ Bremen

Eingeg~ngen am 26. Juni 1931

,

Es ist bekannt, wie fast zugleich neben den yon der Botanik ausgehenden physikalisch-chemischen Untersuchungen bei H. DE VINES und W. PrEr'~Et~ auch schon solche an roten BlutkSrperchen haupts/~chlich durch H. J. HA~- BVI~GE~ einhergehen. In der Folgezeit zeigt sich sogar ein besonders nach- haltiger EinfluB der 9E V~IES-VA~'T HorFschen Lehre und der erg/~nzend hinzutretenden elektrocheniischen Dissoziationstheorie yon S. A~HE~IUS auf die Physiologie hinsichtlich Leukozyten, Lymphbildung und Resorption, Muskel- und Nervent/~tigkeit und Driisensekretion, auf die Pathologie (Chemie der ZirkulationsstSrungen, 0demgenese), Pharmakologie (Narkose, Desinfek- tion), Bakteriologie, Histologie und experimentelle Embryologie (J. LoEss kiinstliche Parthenogenese), aber auch auf die Chirurgie (intravenSse und hypodermatische Infusion, lokale An/~sthesie) und klinisehe Medizin (5, S. 15f.). Mit Recht kann H. SC~ADE hervorheben, da$ sich mit der zunehmenden Zahl der Ergebnisse die F r u c h t b a r k e i t p h y s i k a l i s e h - c h e - m i s c h e r For-- s c h u n g fi ir die M e d i z i n immer klarer und eindringlicher gezeigt hat und heute vielleicht ein grol~er Tell der zu erwartenden Fortschritte auf eben diesem Gebiete gelegen ist, so da$ wit ,,an der Sehwelle einer neuen, der m o l e k u l a r p a t h o l o g i s c h e n Ae ra der Medizin stehen". Da liegt nun die Frage nahe, ob dieErforschung der p h y s i k a l i s c h e n C h e m i e de r P f l a n z e n - z e l le neben allen jenen Zielen ihre Bedeutung etwa schon verloren hat. DaB das dennoch heute noch nicht der Fall ist und vielleicht niemals eintreten wird, mSchte die nachfolgende Betrachtung der Unterschiede pflanzlicher yon tierischen Zellen zu zeigen suchen.

Bei der Besch~ftigung mit diesen Fragen hat sieh allerdings bald heraus- gestellt, dab eine ersch6pfende Darstellung des Themas, wom6glich unter kritischer Sichtung der heute schon gesichert scheinenden l~esultate der physikalischen Chemie pflanzlichen Protoplasmas, au f e n g e m R a u m e nicht mOglich ist. Es muir daher geniigen, dab nur einige der haupts/ichlichsten Fragen kurz angedeutet werden. Indessen m6chte auch auf diese Weise die

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Berechtigung der physiko-ehemischen Untersuchung pflanzlicher Zellen und deren Eignung fiir richtig gew~hlte Fr~gestellungen ausreichend begrfindet werden kSnnen, selbst wenn bier manche dem Verf. besonders nahe liegende Gedankeng~nge mehr in den Vordergrund geriickt werden und manche andere 9eiten des Problems ganz unberiicksichtigt bleiben.

II.

Der yon dem Botaniker H. v. ~r ffir den Intmlt der Pflanzenzelle geprhgte, urspriinglich morphologische B e g r i f f des P r o t o p l a s m a s , der durch TH. SCHWAS~, FERDINA_ND COIIN und MAx 9CHUI, TZE auch auf tierische Zellen ausgedehnt wurde, ist in seiner heutigen Anwendungsweise eigentlich eine A b s t r a k t i o n. In Wirkliehkei~ gibt es nur die Protoplasten der lebenden Einzelorganismen sowoM pflanzlicher, als auch tierischer ZugehSrigkeit (6, 9 . if.). AuchwennwirvonmeehanischenGesichtspunktenaus dasProtoplasma als materielles 9vstem behande]n, so ]iegt ebenso eine 9chema.tisierung zu eben jener einseitigen Analyse vor. Am weitesten mag diesen Gedanken R. FICK fortgefiihrt haben, der ein , , I n d i v i d u a l p l a s m a " annimmt, das ,,durch bestimmte Atomgruppen oder gar nur durch spezifisehe Ste]lungen yon Atomen in den Molek,:iien determiniert" ist (vgl. auch 8, S. 10, 221). ~icht ganz so weir gehen noch neuerdings RITTER (13, 9. 123) und CmLD (2, S. 17). Wegen der spezifisehen Besonderheiten in der Organisation der Lebewesen und ihrer jeweiligen, zum Teil noeh untereinander verschiedenen Protopla, sten kSnnte man also zu vSlliger Ablehnung des Abstrahierens auf einen im Idealfall nirgends realisierten Typus des Protoplasmas gelangen.

Aber neben den auch yon uns keines~egs iibersehenen, in vielen F~tllen bestimmt sehr tiefgreifenden Differenzen (6~ S. 2), die wir auch teilweise noch zu diskutieren haben werden, bemerken wir doeh gewisse grundlegende (Jber- einstimmungen, die die Anna hme und Verwendung der begrifflichen Ab- straktion wohl rechtfertigen kSnnen. Freilieh beschreiben wir die gemeinsamen Charaktere der einzelnen Protoplasten gewShnlieh allgemein als so]che der Lebensfunktion, indem wir etwa mit W. Ro u x von 8 oder evtl. 9 Elementar- funktionen oder Selbstleistungen des Protoplasten oder der lebenden Ma,+,erie (Dissimilation, E~kretion, Ver's Ausscheidung, Aufnahme, Assi- milation, Waehstum, Bewegung, Vermehrung, Vererbung und evtl. Ent- wickhmg) sprechen (vgl. 6, S. 1). Indessen erfassen wir damit mehr das Ver - m S ge n , als das W e s e n des Begriffsinhaltes. In letzterer Hinsicht pflegen die Autoren im Protoplasma m e i s t e n s ,,'~ viscous hyaline liquid" zu sehen. Es tr i t t typisch auf in Form zellul~rer Einheiten mit je einem Kern resp. deren mehrerer. 9owohl in morphologischer (6, 9.12) a]s aHch in chemiseher Hinsicht (6, S. 22; 8, S. 16f.) liegen bestimmte grnndlegende Vorstelhmgen fiber das typisehe Verhalten vor, die wir trotz aller Unbestimmtheiten als Inhalt des Protoplasmabegriffes betrachten kSnuen.

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I I I .

Nicht die geringsten Schwierigkeiten ergeben sich dabei, wenn wir einmal die Merkmale der pflanzlichen und tierischen Zelle (als Typus ge- nommen) miteinander vergleiehen. Is t es sehon sehwer, am Protoplasma beider ]~eiehe jeweils ffir sieh gemeins~mle Eige~tiimliehkeiten aufzufinden, so waehsen die Sehwierigkeiten sehier uniiberwindlieh, sobald wit Zellen sot. systematiseh h6herer Pflanzen und Tiere einander gegenfiberstellen, und ers~ am Grunde des Systems zeigen die Vertreter beider Gruppen v e r - m i t t e l n d e l J b e r g a n g s - u n d Z w i s e h e n s t u f e n . Dadurehwird i rmerha lb bestimmter Grenzen der grundlegende Untersehied einer pflanzliehen und einer Zelle aus dem K6rper h6ehst organisierter Wirbeltiere in seinem Wesen graduell, und diese Voraussetzung gestaltet die Problemkreise um das Proto- plasma und sein Lebensverhalten reeht einheitlieh. Wenigstens in den Grund- zfigen sind. die Funktionen dureh weite Reihen der beiderlei Organismen die gleiehen, ob aueh die Einriehtungen, an welche jene Funktionen geknfipft sind, also die B a u p l g n e de r O r g a n i s m e n , mannigfaeh variieren. Gerade die Eigenart der morphologisehen Organisation der Pflanzenzelle gibt ja erst den Anla[~ zu der Frage, ob die Ausffihrung physiko-ehemiseher Studien fiber das Verhalten ihrer Protoplasten lohnend ist.

Sehon auf den ersten Bliek zeigt die Pflanzenzelle reeht erhebliehe Allgemeinuntersehiede, die ihr abet in praktisch-methodiseher Hinsicht zu- weilen sogar eine gewisse Oberlegenheit vor der animalisehen versehaffen. Vor allem pflegen die Pflanzenzellen an Grfge die tierisehen zu iibertreffen. Aueh sind erstere bei immerhin reeht variabler Funktion naeh ziemlieb gut iibereinstimmendem B a u p l a n e erriehtet. Die hgufig bemerkenswert gut siehtbare Str6mungsbewegung best immter Plasmaphasen gegen ruhende Zell- bestandteile liefert, wie viele Untersuehungen ergeben haben (6, S. 51f.), einen relativ einfaehen Magstab ffir die weehselnden physiologisehen und Kolloidzustgnde. Mindestens teilweise erklgrt sieh aus dem Charakter als ,, o f f e n e " , dauernd unausgewaehsene Formen die {Jberlegenheit des Pflanzen- organismus hinsieht.lieh der Erzeugung von Neubildungen jeglieher Art, und sieher vermag die in der Organisation begrfindete Sonderung von e m b r y o - n a l e n u n d D a u e r g e w e b e n (12, S. 346) bei der Pflanze manehe experi- mentelle Untersuehungen, beispielsweise fiber progressive und regressive Differenzierung, sehr zu erleiehtern (12, S. 346). I m fibrigen erklgren sieh fast alle Untersehiede der Pflanze in der pathologisehen I-Iistogenese aus der in maneher ttinsieh~ untersuehungsteehniseh naehteiligen f e s t e n Z e l l w a n d und aus dem Fehlen leieht versehiebbarer Zellen und flfissiger Gewebe, sowie aus der sehweren gesorbierbarkeit nekrotisierter Elemente (9, S. 1196). Dem- entspreehend ist der Begriff der ,,Entzfindung" hier nieht anwendbar, und ebenso fehlen der Pflanze Metastasen, Malignitgt u. dgl.

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IV.

Fiir die physikaliseh-chemisehe Beurteilung des Verhaltens pflanzlichen Protoplasmas yon ganz hervorragender Bedeutung ist der kaum schon geniigend untersuchte Energiehaushalt . Soweit ich sehe, diirften lebende Pflanzen und Tiere potentielle Energie verbrauchen und kinetische, die teilweise als W~rme auftritt, erzeugen. Gegenfiber der tierischen vermag die Pflanzenzelle zu- gestrahlte Energie in potentielle Form zu bringen, doch scheint mir nicht erwiesen, dab sie in grundsi~tzliehem Gegensatze zum Tiere die aufgenommene kinetische Energie bei dem eigenen energetischen Bedarfe verwerten kanu. Eher kSnnen wir auch hier eine Analogie in der Funktion tierischen und pflanz- lichen Protoplasmas in der Weise annehmen, dab auch die chlorophyllfiihrende Pflanzenzelle ihren spezifischen Lebensstoffwechsel aus der beim Abbau spann- krafthaltiger Substanzen entstehenden Energie bestreitet. Den Grundumsatz ihres Stoffwechsels und vielleicht auch den Aufwa.nd fiir einen bestimmten Leistungszuwachs (etwa bei der Verlagerung der ChlorophyllkSrner) kSnnte sie aus der in Form chemischer Spannkr~fte vorhandenen potentiellen Energie ent.nehmen und dabei die F~higkeit erlangen, auftreffende kinetische Licht- energie in potentie]ler Form zu speichern. Die dac~ureh ermSglichten Assi- milate mSchten dann bis zu einem gewissen Teile zur Energiebelieferung des eigenen Zellen]ebens, zu gr5Berem Anteile aber als Reservestoffe gespeichert werden.

Bei solcher Auffassung des EnergiehaushaItes wiirde der Untersehied zwischen tierischem und pflanzlichem Protoplasma haupts/ichlieh q u a n t i - t a t i v - g r a d u e l l werdem wobei die Lebenss allgemein in - - mit positiver W/~rmetSnung einhergehenden - - Dissimilationsprozessen bestehen, welche alsdann zur Arbeitsleistung in mannigfach verschiedener Form (auch zur Assimilation und Ns miter llegativer W~rmetSnung be- f~i.higen. D u r c h g r e i f e n d bleibt dann freilieh de r Untersehied, dab die ehlorophyllha]tige Pflanzenzelle infolge spezifischer pbtsmatischer Leistungen (und wohl auch Einriehtungen) zur Transformation zugeffihrter kinetischer i~) potentielle Energie bef~higt ist. Worauf diese abweiehende Eigentiimlieh- keit beruht, seheint mir nicht leieht zu erk]s zu sein. Gewisse verbreitete Unterschiede in dem Vorkommen bestimmter Ionen (6, S. 25f. ; 8, S. 20 u. a..) reichen jedenfalls zum Verst/~ndnis jenes Gegensatzes nicht aus.

V,

Mit grS~erer Sicherheit kSnnen wir vermittelnde Obergs bei einem auf den ersten Blick flmdamentalen Gegensatze beider Organismenreiehe erkennen. Ver]/~uft n/imlich bei systematiseh hSheren Tieren die Oifferen- z ierung unter v511igem oder meistens teilweisem P o t e n z v e r l u s t e (wodurch alle oder h~ufiger zahlreiche Zellen unipotent werden), so finden wit bei den

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Pflanzen die Einzelzelle sieh ohne Potenzverlust differenzieren, d .h . jedes Element beh/t]t den unentwiekelten Determinantenkomplex (das ,,Totalkeim- plasma" i. S. yon W. R o v x , seine ,,gesamte Metas t ruktuc" naeh ]~ISCttER- WASELS 4, S. 1231, 1247), welcher die vollkommene St ruktur zu liefern vermag. Als Beispiel erinnern wir etwa an gewisse Lebermoose, an welchen sehon H. V6CI~TI~G aus hoch differenzierten, aber noeh waehstumsfAhigen Geweben je nach dem vom Exper imenta tor zugewiesenen Orte Zellen beinahe jedes Bauplanes erzielte. Hier und in vielen s gelegenen Fallen ws also (tie Wirkungsbrei te der ~uBeren Faktoren (Morphosen) zu fast unerwarteter H6he, und der hohe Grad von Regenerationsf~higkeit kann der~trtig viel- gestaltige Formbildungsprozesse ausl6sen, dab irrtiimlieh fast die gesamte Entwieklung yon Morphosen abh~ngig erscheint. Dieser Differenzierungs- modus der O m n i p o t e n z d e r Z e l l e n bleibt nun nieht auf die Pflanze beschr~Lnkt, sondern finder sich auch bei Stentor (WALTE]~ VOI(~T), Medllsen (A. LANG, CHUN) und der Cestode Moniezia (Muskelzellen durch Fibrillen- aufl6sung zu Spermatogonien; CH. M. CUlLD), angenfihert ferner bei N'emer- t inen (J. NUSBAU~) und Polyehaeten und welter abgesehwgcht bei Crusta- Been, nur noeh a ngedeutet endlich in sehr jugendlichen Entwicklungsstadien selbst bei Fischen (Bindegewebe aus Epithe]) und H f h n e r e m b r y o n e n (Regene-

r a t i o n des A~ges; H. PRZlBRAM), n immt also mit fortschreitender Ent- wicklungsh6he ab (4, S. 1255).

Dot" ~ngagebenen Totipotenz der Pflanzenzelle widerspricht H. MIEIIE (11) mit der Ann~hme eines ~llein zu embryon~ler Entwicklung befi~higten, indeasen erst un dem exp~rimentellen Befunde erkennb~ren, sog. , ,Archipl~sma". Den mit diesen beg~bten Zellen (Archon ten) hauptss der Urmeristeme, des Cambiums und Pericambiums stehen die iibrigen ohne Archiplasma ( E r g o p 1 a s t e n ) gegeniiber. Es wird ~lso ithnlich wie im TierkOrper zwischen einem keimplasm~tischen und einem somatischen Antei]e des Organismus unterschieden. Zu den mehrfach yon E. Ki?STER (S. auch Ber. Oberhess. Ges. f. N~tur- u. Heilkd. Giegen, 11, 1927) angestellten kritischen Betrachtungen der ~ufgeworfenen Frage (10, S. 30) vermag ich neue Gesichtspunkte nicht hinzuzufiigen. Doch scheint mir die Annahme, dub infolge ,,iniiqualer" (nach MIEI~E: ,,heterogener") Teilungen die Zellen zur Entwicklung ihrer Potenzen verschiedene ~ugere Bedingungen vor*~uszusetzen, zur Beibeh~ltung der friiheren Auff~ssung der Totipotenz der Pflanzen- zelle hinsichtlich der yon MIEi~E vorgetr~genen Beispiele einschl, der betriiblichen Er- gebnisse bot~nischer Gewebeziichtung (ll, S. 23) vorlaufig auszureichen.

Ubertr iff t also die Pf]anzenze]le die tierische insoweit an Wandlungs- verm6gen, als ihr die Speziet~t der letzteren fehlt, so b]eibt sie doch hinsicht- lieh der Differenzierungsm6gliehkeiten ihres Protoplasmas welt zurfiek (9, S. 1196). Trotzdem braueht die eehte, ohne Teilung yon Zellen erfolgende Metaplasie nieht so unbedeutend zu sein, wie noeh KiisWEtr meint, ob aueh welt besser als Metaplasien des Zellinhaltes solche der Membranen bek 'mnt sind. I n dieser Beziehung ergibt sieh erneut die Berechtigung der Forderung FR. W:EBEI~S naeh einer , , p r o t o p l a s m a t i s c h e n Pf lanzenanatomie" (16, S. 302).

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VI.

Noch manche andere Differenzen in den Eigentiimlichkeiten pflanzlicher und tierischer Zellen kSnnten bier erwghnt werden, und dabei wiirde sich nach unserer l~berzeugung immer wieder zeigen, wie sigh ein anfangs deutliches Unterscheidungsmerkmal bei genauerer Untersuchung a~ls ein fl iel ,~endes U b e r l e i t G n a,n irgendeiner Stelle des Systems der Organismen heralls- stellt (13). Wir verweisen nur noch kurz auf die soeben ausffihrlieh bearbeitete Frage der G e s c h l e c h t l i c h k e i t (7~ S. 29, 38, 65 u. a.) oder auf die Unstimmig- keiten, die sich bei A nnahme der These (1, S. 18f., 85f.) ergeben, da$ tierische Zellen nur im diploiden, pflanzliche aueh im hnploiden K e r n z u s t a n d e z u r V e r m e h r u n g schreiten, jene Tetragameten, letztere Tetrasporen bilden. Die yon BSi~E~ (1, S. 86, 89) zugegebenen Ausnahmen vor allem der Sporozoen und der pennaten Diatomeen stehen indessen, selbst wenn wir voraussetzen, dab uns die noch zahlreich ausstehenden Spezialuntersuchungen keine die Theorie sprengenden (~berr~schungen bringen werden, durchaus nicht ganz vereinzelt da (weitere Beispiele s. in G. TISC, HLERS ,,Allgemeine Pflanzen- karyologie").

Wie tiefgreifend sich indessen trotz der vielleicht nirgends vSllig fehlenden vermittelnden Uberg~nge manche der angefiihrten oder sonst noeh vorhandenen Unterschiede der pflanzlichen und tierischen Zelle auszuwirken vermSgen, er- kennen wir beispielsweise beimVergleich ihrer Eignung zu Ziiehtungsversuehen. Naehdem J. LOEB die Wachstumsf~higkeit tierischer und G. ~yIABERLANDT ein UberlebGn pflanzlieher Gewebefragmente erwiesen h~tten, ist R. G. HA~I~I- so~ das Anlegen echter Gewebekulturen geglfickt, und seitdem sind ffir die Zfichtung tieriseher Gewebe unter Ffihrung h~uptsi~chlich yon A. CAR~EI~, Rtt. ERDMA~N, A. FISCHER, G. LEVI, FR. D E ~ T H , T. S. P. STRAiNGEWAYS U. V. a. neben den Grundlagen der Technik zahlreiche hervorragendG Resultate erarbeitet worden (3, S. 982), w~hrend die Versuche mit isolierten Pflanzen- zellen eingestandenermal.~en bislang hSchstens einige Teilungen oder ein sehr geringes ~ktives Wachstum, in den meisten F/illen sogar nur eine gewisse Zeit des ~berlebens und" vielfach eine baldige Nekrose betreffen (10, S. 28, 32; 15, S. 370). Sehr viel giinstiger liegen die Verh/iltnisse freilich hinsichtlich der Kul tur abgetrennter Organe, wie Embryonen (E. HANN~(~), Wurzelspitzen (W. J. I~OBBI~S) Usw. Die G r i i n d e fi ir d a s V e r s a g e n der Pflanzenzelle ffihrt U~EnL~ (15, S. 373f.) teils auf bier schon erw/~hnte Orga~nisations- unterschiede (Unbeweglichkeit der Protoplasten in der sie umschlieSenden 1Vfembran, aus der sie nur passiv zu iso|ieren sind, Fehlen der yon tierisehen Geweben her bekannten Medien u. dgl.), teils auf unsere Unkenntnis hin- sichtlich der angenommenen Korrelationer~ zwisehen be~iachbarten Zellen, hin- sichtlieh der Besehaffenheit der freien Zelloberfl/~che (Benetzung, Wasser- stoffionenkonzentration) o./~. zuriick, und K~STE~ (10, S. 32f.) diskutiert die bei kiinftigen Versuchen zu beachtenden Gesichtspunkte bei der Auswahl und

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Behandlung des Materials, ohne daft dadurch in der Zwischenzeit fiir den Stand der methodisehen MSgliehkeiten mit pflanzlichen Zellen eine wesentliehe Besserung eingetreten w/ire.

VII.

Ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen mit der Gewebeziiehtung hat sich die Pflanzenzelle zu physikaliseh-ehemisehen Protol~lasmauntersuehungen oft als hervorragend geeignet erwiesen. Mit besten Erfolgen finder heute schon eine teils der Protozoenphysiologie entlehnte, teils selbstgndig ausgebaute V e r s u c h s t e c h n i k Anwendung. Aufier den am h~ufigsten ausgefiihrten Versuchen der Plasmolyse, Zentrifugierverlagerung des Zellinhaltes, Narkoti- .~ierung, Vitalf~rbung, Belichtung einzelner Zellbestandteile o. a. hat man sich erfolgreich auch der yon der physikalischen und Kolloidchemie eingefiihrten Methoden (Kataphorese, B~ow~sche Molekularbewegung, Lichtbrechung, Oberfl/ichenspannung, Permeabilit/~t, Viskosit/~t u. v. a.), vielfach nach be- sonderer Anpassung an die Eigenart des Objektes, bedient und weiter elektro- metrische, azidimetrische, ultra- und polarisationsmikroskopische Arbeits- weisen fiir die Untersuchung der Pflanzenzelle geschaffen. Nicht einmal der feste EinschluB der Protoplasten innerbalb eigener Membranen hat die An- wendbarkeit der mikrurgischen (mikrodissektorischen) Technik zu operativen Eingriffen oder zur Mikroinjektion der Einzelzel|e (R. C~A~BE~S, T. P~TE~FI, K. B~L_~f~, K. HOFLEa u. a.) ausgeschlossen. Fiir die Beurteilung des Kolloid- zustandes (z. B. Viskosit/~t) ist weiterhin die Erscheinung des Fadenziehens (J. Jocm~rs) gerade aach pflanzlicher Protoplasten schon friih herangezogen worden (Fro WEBER). Vielfach hat insonderheit das Verhalten gegeniiber physikalisch- und kolloidchemischen Versuchseingriffen die enge V e r w a n d t - s c h a f t des p f l a n z l i c h e n m i t d e m t i e r i s c h e n P r o t o p l a s m a wahr- scheinlich gemacht. Wit denken dabei auBer an die W/s der verschiedensten Zellen (J. B~tILEI~_DEK) auch an die permeabilit/~tserhOhende Wirkung yon Saponinen (FJ~. BOAS, L. KOFL~R), an Vitalf/irbungseinfliisse auf die Dissimilation (W. AI~ACrr), an pharmakologisehe und Giftwirkungen wie an den Einflufi verschiedener Strahlungen und erw/s hierzu auch den universellen Charakter des mitogenetischen Strahlungseffektes (A. Gu~- WITSGn). Weiter kSnnten wir aber auch erinnern an die dehydratativen Kolloid- ver~tnderungen mit dem Altern (12, 348; in 13bereinstimmung mit den Ver- h/~ltnissen an der tierischen Zelle, s. 14, S. 269) und die Dispersitatsverringerung (und AnnS~herung an den isoelektrischen Punkt der Zellampholyte) als Begleit- erscheinung der Differenzierung (12, S. 349), ferner an die physiologischen Kausalbeziehungen der Teilung zum Proliferationswachstum yon Zellen tieri- scher Sarkome (A. Fise~s~) und zu ihrer Funktion etwa an Nierenzellen (K. PEr iiberhaupt an die schrittweise Analyse der anscheinend grofienteils gegens/~tzlichen Bedingungen yon Teilung (einschl. Keimung) und Wachstum beispielsweise yon Pollen (It. P s m r s ~ ) u. v. a. mehr.

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VI I I .

Trotz dieser und vieler anderer (~bereinstimmungen oder Ahnlichkeiten pflanz]icher und tierischer Protoplasten mul~ indessen nachdriicklichst vor einer vorschnellen Generalisierung gewarnt werden (12, S. 346). Doch ist ja die (~bertr,~gbarkeit ma.ncher an der Pflanzenzelle ermittelter Befunde auf das animale Protoplasma hier nieht im einzelnen zu diskutieren. Vielmehr sollten nur - - unter Wiederholung der schon zu Zeiten G. BERTKOLDS ver- tretenen Ansicht einer W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t der Protoplasten durch das ganze Organismenreich - - der Grad der (Jbereinstimmung gepriift und die Stellung botanischer Untersuchungen innerhalb des gesamten Forsehungs- gebietes der physikalischen Chemie des Protoplasm~s yon einem - - freilich subjektiven - - Standpunkte her beleuchtet werden. Der Berichterstatter h~lt die E i g n u n g der P f l a n z e n z e ] l e zu solchen Versuchen fiir e r w i e s e n und zum Teil gerade wegen bestimmter Organisationsmerkmale des Materials bier fiir vereinfa.cht und e r l e i c h t e r t . So mSchte er denn auch die Anwendung der )/[ethoden der physikalischen Chemie auf die Pflanzenzelle lind die Er- arbeitung an das Objekt besonders angepal~ter Untersuchungsverfahren t e i l s um der Ergebnisse selbst wi]len, t el l saber auch wegen der anders und zuweilen einfacher gelegenen Versuchsbe(lingungen des Materia]s und unter Vergleich mit entsprechenden Befunden an animalen und menschlichen Zellen fiir wiinschenswert ansehen. Es ist daraus zu folgern, dal~ ein sparer einmal gebildetes Inst i tut zur Anwendung und Erprobung der neuen Forschungs- richtung auch dann unter seinen Untersuchungszielen die Pflanzenzelle zu berticksiehtigen haben wird, wenn ibm (vielleieht aus praktischen l~iicksichten) vorwiegend Aufgaben der klinischen Medizin, Pharmakologie, Pathologie und Zellphysiologie gestellt werden sollen. Mindestens wiirde die Einrichtung einer botanischen Abteilung notwendig sein, indem eine solche nicht allein die Beantwortuag neuer Fragestellungen yon jenen Disziplinen her ermSglichen, sondern best immt auch Anregungen zuriickgeben wiirde - - wie denn auch getreu ihrem Programm die Zeitschrift , ,Protoplasma" von Anfang an gerade das Zusammenarbeiten ,,aller (sich mit dem Zellinhalte beschs biologischen Disziplinen mit kausaler Fragestellung" ganz in dem gleichen Sinne erstrebt hat. Also n i c h t zu w e i t e r e r S p e z i a l i s i e r u n g wird die Beriicksichtigung auch der Pflanzenzelle wie bei den bisherigen Untersuchungen gefordert, sondern um gerade der ~ls unzweckm/i~ig erkannten Zersplitterung auf dem Gebiete der physikalischen Chemie des Protoplasmas ausreichend e~,tgegenzuwirken.

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