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DIE PRODUKTION DES STÄDTISCHEN RAUMS DURCH MASSENMEDIALE ERZÄHLPRAKTIKEN: DER FALL NOWA HUTA Łukasz Stanek Dieser Aufsatz behandelt die massenmedialen Repräsentationen von Nowa Huta, einer nach dem Zweiten Weltkrieg vom sozialistischen Regime errichteten Stadt in Polen, und geht deren Wirkungen auf die Wahrnehmung, das Verständnis, den Um- bau, Gebrauch sowie den Aneignungen des städtischen Raums in den letzten fünf- zehn Jahren nach. 1 Da die nach 1989 in den Massenmedien herausgestellten Reprä- sentationen grundsätzlich aus der sozialistischen Epoche übernommen wurden, wird vor allem nach deren Persistenzen und Transformationen gefragt. Diese Fragestellung verlangt methodisch nach einer systematischen Betrach- tung des Verhältnisses zwischen den Repräsentationen des Raums und den Prak- tiken seiner Aneignung und Transformation. Eine Methode, die diesem Anspruch genügt, soll hier aus der Theorie der Produktion des Raums von Henri Lefebvre gewonnen werden. Nach Lefebvre werden Räume durch drei Formen von Praktiken hergestellt: Dabei handelt es sich erstens um die physische Transformation von Räumen, zweitens um Praktiken der Repräsentation von Räumen und drittens um Alltagspraktiken ihrer Aneignung. Die erstgenannten Praktiken wirken auf den wahrgenommenen Raum, die zweiten auf den gedachten Raum und die dritten transformieren Räume in gelebte „Räume der Repräsentation“. 2 Lefebvres Bestim- mung der Repräsentationen der Räume als deren institutionalisierte Konzeptuali- sierungen erfasst die hier untersuchten massenmedialen Repräsentation von Nowa Huta angemessen. 3 1 Die hier vorgestellten Überlegungen wurden zuerst auf der Konferenz „The Work of Stories“ am Massachusetts Institute of Technology (6. – 8. Mai 2005) vorgestellt. Ich danke mehreren Kollegen für hilfreiche Hinweise. Eine erste Fassung dieses Aufsatzes wurde unter Anleitung von Ewa Kuryłowicz (Technische Universität Warschau) ausgearbeitet. Das hier ausgebreitete Verständnis der Theorie Henri Lefebvre’s zur Produktion von Raum basiert auf einem For- schungsaufenthalt an der ETH Zürich unter Anleitung von Ákos Moravánszky und auf intensi- ven Gesprächen mit Christian Schmid. Ich danke Brent Batstra (TU Delft), Christine Boyer (Princeton University), Arie Graafland (TU Delft) und Patrick Healy (TU Delft) für ihre sorgfältige Lektüre und Hinweise. 2 Vgl. die Interpretation von Lefebvre’s Theorie der Produktion von Raum in: Łukasz Stanek, The theory of production of space by Henri Lefebvre (Manuscript, Department Architecture Theory ETH Zurich 2004). 3 Zu den „Repräsentationen des Raumes“ (auch als „mentaler Raum“ bezeichnet) zählt Lefebvre die von Planern und Städtebauern entworfenen Repräsentationen (Henri Lefebvre, The Pro- duction of Space, Oxford 1991, S. 38) ebenso wie philosophische (Vgl. Ebenda, S. 1–7) und wissenschaftliche Raumtheorien (Ebd., S. 107,8). Lefebvre betont die Gefahr von ideologis-

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dIe produKtIon deS StädtISchen raumSdurch maSSenmedIale erzählpraKtIKen:

der fall nowa huta

Łukasz Stanek

dieser aufsatz behandelt die massenmedialen repräsentationen von nowa huta, einer nach dem zweiten weltkrieg vom sozialistischen regime errichteten Stadt in polen, und geht deren wirkungen auf die wahrnehmung, das Verständnis, den um-bau, gebrauch sowie den aneignungen des städtischen raums in den letzten fünf-zehn Jahren nach.1 da die nach 1989 in den massenmedien herausgestellten reprä-sentationen grundsätzlich aus der sozialistischen epoche übernommen wurden, wird vor allem nach deren persistenzen und transformationen gefragt.

diese fragestellung verlangt methodisch nach einer systematischen Betrach-tung des Verhältnisses zwischen den repräsentationen des raums und den prak-tiken seiner aneignung und transformation. eine methode, die diesem anspruch genügt, soll hier aus der theorie der produktion des raums von henri lefebvre gewonnen werden. nach lefebvre werden räume durch drei formen von praktiken hergestellt: dabei handelt es sich erstens um die physische transformation von räumen, zweitens um praktiken der repräsentation von räumen und drittens um alltagspraktiken ihrer aneignung. die erstgenannten praktiken wirken auf den wahrgenommenen raum, die zweiten auf den gedachten raum und die dritten transformieren räume in gelebte „räume der repräsentation“.2 lefebvres Bestim-mung der repräsentationen der räume als deren institutionalisierte Konzeptuali-sierungen erfasst die hier untersuchten massenmedialen repräsentation von nowa huta angemessen.3

1 die hier vorgestellten Überlegungen wurden zuerst auf der Konferenz „the work of Stories“ am massachusetts Institute of technology (6. – 8. mai 2005) vorgestellt. Ich danke mehreren Kollegen für hilfreiche hinweise. eine erste fassung dieses aufsatzes wurde unter anleitung von Ewa Kuryłowicz (Technische Universität Warschau) ausgearbeitet. Das hier ausgebreitete Verständnis der theorie henri lefebvre’s zur produktion von raum basiert auf einem for-schungsaufenthalt an der eth zürich unter anleitung von Ákos moravánszky und auf intensi-ven gesprächen mit christian Schmid. Ich danke Brent Batstra (tu delft), christine Boyer (Princeton University), Arie Graafland (TU Delft) und Patrick Healy (TU Delft) für ihre sorgfältige lektüre und hinweise.

2 Vgl. die Interpretation von lefebvre’s theorie der produktion von raum in: Łukasz Stanek, the theory of production of space by henri lefebvre (manuscript, department architecture theory eth zurich 2004).

3 zu den „repräsentationen des raumes“ (auch als „mentaler raum“ bezeichnet) zählt lefebvre die von planern und Städtebauern entworfenen repräsentationen (Henri Lefebvre, the pro-duction of Space, oxford 1991, S. 38) ebenso wie philosophische (Vgl. ebenda, S. 1–7) und wissenschaftliche raumtheorien (ebd., S. 107,8). lefebvre betont die gefahr von ideologis-

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lefebvres theorie des „gedachten raums“ als eines aspektes des städtischen Raums (der also nicht nur dessen Reflex oder Symptom bildet) ist für die Untersu-chung von nowa huta, einer in engem zusammenhang mit massenmedialen reprä-sentationen gegründeten und entwickelten Stadt, besonders hilfreich. heute ist Nowa Huta weder eine administrativ noch räumlich klar fixierbare Einheit, sondern was die als „nowa huta“ bezeichneten fünf Bezirke von Kraków zusammenhält, ist eine reihe von repräsentationen, die stark in verschiedenen sozialen praktiken ver-wurzelt sind. darüber hinaus ist lefebvres Sensibilität für asynchrone entwicklun-gen der städtischen raume und für die persistenzen ihrer repräsentationen (die von sozialen praktiken weitergetragen werden, auch wenn ihre institutionellen und ide-ologischen Stützen verschwunden sind) sehr hilfreich für die analyse der Kontinu-ität und der transformationen der aus den Sozialismus stammenden repräsentati-onen von nowa huta.

die lefebvre’sche auffassung des raumes als durch heterogene soziale prak-tiken produziert, ermöglicht es, sowohl die legitimierenden als auch die subver-siven funktionen der räumlichen repräsentationen in den alltagspraxen in nowa huta unter dem Sozialismus zu untersuchen wie auch die mechanismen ihrer mo-bilisierung in den vielfältigen machtkonstellationen nach 1989 zu verstehen. In sei-ner „Kritik des alltagslebens“, dessen erster Band bereits 1947 veröffentlicht wurde, beschrieb lefebvre, wie solche repräsentationen, die mit dem ziel der Stützung der machtverhältnisse eingeführt wurden, die alltagspraktiken, den Sprachge-brauch, die nutzung der räume und die damit verbundenen erfahrungen durch-dringen.4 zugleich stellte er stets die möglichkeit einer völligen dominanz des raums durch politische oder ökonomische mächte in frage. daher untersuchte er auch die subversive momente in den alltagspraktiken und das emanzipatorische potential städtischer räume. diese allgemeine perspektive soll auch die hier vorge-nommene empirische untersuchung zu nowa huta leiten.

„die erste sozialistische Stadt in polen“ –die repräsentationen von nowa huta während des Sozialismus

der Bau von nowa huta, der „ersten sozialistischen Stadt in polen“, begann 1949 in umsetzung eines Beschlusses der sozialistischen regierung. die Stadt wurde 10 Kilometer entfernt von Krakau, der historischen hauptstadt polens, als unabhän-gige Industriestadt für die arbeiter des Stahlwerkes gebaut5 und bereits 1951 ein

chen mobilisierungen der repräsentationen des raumes (ebd., S. 44) und ihrer abhängigkeit von sozialen und ökonomischen Beziehungen (ebd., S. 3). repräsentationen des raumes sind institutionell verfasst da sie „gebunden sind an die produktionsverhältnisse“ und eine „‚ord-nung‘, die diese Verhältnisse herstellen“ (ebd., S. 33). Sie sind zudem systemisch, da sie die Beziehungen zwischen den „objekten und personen im repräsentierten raum“ einer „logik“ unterwerfen und daher einer Konsistenz bedürfen, obwohl diese stets in frage gestellt werden kann. (ebd.).

4 Henri Lefebvre, critique de la vie quotidienne, 3 Bände, paris 1947/62/81.5 der name der Stadt – nowa huta – bedeutet auf polnisch „neue Stahlwerke“.

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Bezirk von Krakau.6 der entscheidung zum Bau der neuen Stadt folgte eine mas-sive propagandakampagne in den staatlich kontrollierten und zensierten massen-medien. die gründe für die Standortwahl werden noch immer kontrovers disku-tiert, doch stimmt die historische forschung heute weitgehend darin überein, dass ökonomische wie politische gründe – das ziel, die Sozialstruktur der konserva-tiven Stadt Kraków zu verändern – eine rolle spielten.7 die ersten häuser wurden 1949 gebaut und das Stahlwerk offiziell als „Leninwerke“ 1954 eröffnet. Während der nachkriegsjahre kamen aus dem ganzen land, überwiegend jedoch aus länd-lichen regionen, viele junge leute nach nowa huta, die von den möglichkeiten zur ausbildung, arbeit und unterkunft angezogen wurden.

der Bebauungsplan für die Stadt beruhte auf dem in der planungstheorie der 1940er Jahren grenzüberschreitend maßgeblichen Konzept der nachbarschaftsein-heit (vgl. abb. 1). der nowa huta prägende architekturstil des sozialistischen re-alismus wurde in den 1960er Jahren zugunsten einer reduzierten Variante der städ-tebaulichen moderne aufgegeben.8

nach der politischen wende von 1989 sahen sich die Stahlwerke (seit 1990 „Sendzimir Stahlwerke“ benannt) massiven wirtschaftlichen problemen gegenüber, und das gebiet wurde zunehmend in zusammenhang mit Kriminalität und arbeits-losigkeit gebracht. Da die offizielle Statistik diese Verbindung nicht stützt,9 spre-chen Soziologen von einer „auffälligen differenz zwischen der Statistik und der Wahrnehmung der Einwohner“ und vom Mechanismus einer „self-fulfilling pro-phecy der sozialen Krise“.10 die folgende untersuchung soll zeigen, dass sowohl die Struktur wie die Inhalte der medialen repräsentationen von nowa huta zu die-sem mechanismus beigetragen haben.

6 nach der Verwaltungsreform von 1991 wurde nowa huta in fünf kleinere Bezirke (XIV, XV, XVI, XVII, XVIII) geteilt. nach den angaben der Stadtverwaltung in Kraków beträgt heute (2005) die einwohnerzahl dieser Bezirke 200.000, die Krakows insgesamt 800.000).

7 Vgl. Jacek Salwiński, decyzja o lokalizacji nowej huty pod Krakowem. Stan wiedzy, in: J.M Małecki (Hrsg.), Narodziny Nowej Huty: materiały sesji naukowej odbytej 25 kwietnia 1998 roku/Towarzystwo Miłośników Historii i Zabytków Krakowa, Kraków 1999, S. 77–94.

8 zur diskussion des städtebaulichen Konzeptes von nowa huta vgl. Stanisław Juchnowicz, nowa huta, a relict of the past or a chance for cracow, in: IX International Biennale of archi-tecture, Kraków 2002, S. 26–39; sowie Ilse Irion/Thomas Sieverts, neue Städte. experimenti-erfelder der moderne, Stuttgart 1991.

9 (Vgl. 03.03; 04.04; 04.11) (diese zahlen beziehen sich auf die Bibliographie der 700 ausge-werteten artiklel, die aus platzgründen in dem vorliegenden Band nicht nachgewiesen werden konnte und komplett verzeichnet ist in: Łukasz Stanek, the production of urban space by mass media storytelling practices: nowa huta as a case study, paper presented at the conference „the work of Stories“, massachusetts Institute of technology, 6–8 may 2005, siehe: http: / /web.mit.edu/comm-forum/mit4/papers/stanek.pdf.

10 Andrzej Bukowski, the diagnosis of Social Situation in nowa huta in the context of socio-therapy centers establishing – a paper presented at the „5th transnational meeting; demos – improving local democracy“ (Kraków, 15–17.05.2003)

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abb. 1: lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lücken-füller

die Bedeutung der medialen repräsentationen für die entwicklung von nowa huta ist am besten zu erfassen anhand der tatsache, dass der Bau der Stadt von diesen repräsentationen begleitet und sogar vorweg genommen wurde. dazu trug wesent-lich die typisierte geschichte über einen ankömmling bei, der, von den medienbe-richten über die „erste sozialistische Stadt“ angezogen, an ort und Stelle nichts als Schlamm vorfindet. Diese Geschichte – gleichzeitig persönlich und universell, in-dividuell und doch von jedem nachvollziehbar – war in der staatlich kontrollierten presse der späten 1940er und frühen 1950er Jahre omnipräsent und erreichte später, durch rituelle wiederholungen, den Status eines gründungsmythos. zugleich ent-hält diese geschichte bereits die problematik der repräsentation und deren wich-tigste themen, die in meisten späteren Berichten über die Stadt wieder auftraten: die massenmedien als träger der repräsentationen des raumes und deren rolle als rahmen für die erfahrung der Stadt. die geschichte thematisiert geradezu dra-matisch das problem des Verhältnisses zwischen der repräsentation und dem re-präsentierten, indem sie exemplarisch die Kluft zwischen dem glänzenden medi-alen Image der Stadt und dem Schlamm auf der Baustelle zeigt; genau diese distanz markierte den ort der mit nowa huta verbundenen emotionen: hoffnung, nostal-gie, unzufriedenheit, resignation oder wut. diese art von Berichten, die nowa huta als fortlaufende realisierung eines projektes darstellte, enthielt sowohl eine

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repräsentation der zukünftigen Stadt als auch eine legitimierung ihres gegenwär-tigen zustandes und sollte in den folgenden medienberichten über die Stadt immer wieder auftreten.11

Renata Siemieńska, deren Buch von 1969 „Nowe życie w nowym mieście“ („ein neues leben in einer neuen Stadt“) eine der ersten systematischen untersu-chungen über die medialen repräsentationen von nowa huta ist, wies darauf hin, dass die these, nowa huta sei „noch nicht eine sozialistische Stadt, sondern eine sozialistischen Stadt im werden“ bereits in den medienberichten der 1950er Jahre zu finden gewesen war.12 diese formulierung war eine reaktion auf den Kontrast zwischen den optimistischen privaten geschichten der erfolgreichen Verwandlung eines Bauern in einen Arbeiter, die die erste Phase der offiziellen Berichte über nowa huta bestimmte, und der schockierenden Beschreibung der Stadt als eines ortes von Verbrechen und promiskuität durch den poeten und parteimitglied adam Ważyk in seinem „Poemat dla dorosłych“ („Ein Gedicht für Erwachsene “) von 1955, dem ähnliche texte folgten. die unterscheidung zwischen dem projekt der Stadt und der dynamischen eigenlogik ihrer entwicklung erschien auch in einem text von tadeusz ptaszycki, dem planer von nowa huta, der 1952 in der Städte-bauzeitschrift „miasto“ („die Stadt“) schrieb: „die planer der Stadt nowa huta sehen in ihrem werk zwei formen der Stadt: eine prospektive form und eine form der Stadt im Bau mit allen einschränkungen bei den realen lebensbedingungen, eine Stadt, die ‚noch nicht da ist‘, aber lebt und sich selbst ausbildet.“13

Ważyks Darstellung der Einwohner von Nowa Huta als junger Bauern, die, von ihrer traditionellen umgebung getrennt, unfähig sind, unter den harten Bedingungen einer Baustelle sozial verantwortliches Verhalten zu entwickeln, beförderte eine reihe von Versuchen, die ursprünglichen optimistischen repräsentationen von nowa huta abzulösen. Seit dieser zeit wurde die entmythologisierung ein wich-tiges genre der Beschreibungen der Stadt: die populären repräsentationen werden kritisiert und als mythen zurückgewiesen, die auf wunschdenken, propaganda und oberflächlicher Betrachtung beruhen. Stattdessen wird die Beobachtung des „wirk-lichen“ nowa huta empfohlen, um die „essenz“ zu entdecken und sie neu darzu-stellen.14

darüber hinaus führten die Berichte aus den 1950er Jahren die Vorstellung ein, dass der hauptgrund für die soziale wirklichkeit in nowa huta in der Inkongruenz zwischen den lebensgewohnheiten der zuwanderer aus dem ländlichen raum und der entstehenden städtischen lebenswelt liege. nach einer erhebung von 1979 stammten zu dieser zeit immerhin 74% der einwohner von nowa huta ursprüng-

11 So schrieb Gorczyński (1977) in dem artikel „eine städtische utopie oder realität?“, dass nowa huta „noch nicht existierte“ und fragte, ob es „eine sozialistische Stadt würde“: Julian Gorczyński, Utopia miejska czy rzeczywistość?, in: L (26), S. 7

12 Renata Siemieńska, Nowe życie w nowym mieście, Warszawa 1969, S 48.13 Tadeusz Ptaszycki, fundamenty nowego miasta, in: „miasto“ 1952 (rok III), nr. 1., S. 10.14 die titel der artikel sprechen für sich: „wir kennen nowa huta nicht“, (Jerzy Steinhauf, nie

znamy nowej huty, in: dziennik polski 1969 (nr. 10), S. 5,7); „mythen und realität“ (Andrzej Czarski, Mity i rzeczywistość, in: DL (25.09.1975); „Wahrheit und Legende von Nowa Huta“ (Janusz Roszko, prawda i legenda o nowej hucie, in: K (30) 1976, S. 9).

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lich aus dem ländlichen raum, der die gewohnheiten, werte und wohnweisen der einwohner bestimmte. gleichzeitig war die Stadt unbestreitbar von industriellem charakter und das Stahlwerk der wichtigste arbeitgeber (der in den 1980er Jahren zusammen mit den zugehörigen unternehmen 80% der erwerbstätigen beschäf-tigte) und träger der sozialen Infrastruktur. daher wurde die aushandlung zwi-schen ländlichen und städtischen Verhaltensweisen sowohl in den repräsentationen wie in den sozialen praktiken in nowa huta eine der wichtigsten merkmale der Stadt. dies führte zu einer diskussion über die Besonderheiten des städtischen cha-rakters von nowa huta (der oft mit dem von Kraków kontrastiert wurde), dessen rhythmen sowohl von dem Stahlwerk als auch von den gewohnheiten der länd-lichen Bevölkerung geprägt wurden.

In der grünerzeit der Stadt in den 1950er Jahren wurde dieser Kontrast zwi-schen nowa huta und Kraków als differenz zwischen einer sozialistischen und einer kapitalistischen Stadt interpretiert. Wacław Ostrowski kontrastierte in einem artikel in der gleichen nummer von „miasto“, in der ptaszycki nowa huta präsen-tierte, die kapitalistische Stadt als auf Spekulation und Segregation gegründet, die sozialistische hingegen als zentral geplant und mit flächendeckend gleichwertigen Versorgungseinrichtungen ausgestattet. die Stadt fasste er auf als „eine form der Siedlung, die zum sozialen fortschritt beiträgt“, und zwar vermittels einer Intensi-vierung des sozialen lebens.15 dementsprechend wurde nowa huta, das größte Investitionsvorhaben des ersten Sechsjahresplans, sowohl als Symbol als auch als Instrument der transformation polens von einem postfeudal-bäuerlich geprägten zu einem sozialistischen land der arbeiter verstanden. Städtische lebensformen wurden gefördert und zum Beispiel den arbeitern in nowa huta die möglichkeit zum erlernen von fremdsprachen (vor allem russisch), zur ausübung verschie-dener Sportarten, sowie die internationale presse, ein modernes theater, Kino und ausstellungen moderner Kunst angeboten.16 die annahme städtischer lebensstile und kollektiver Konsummuster war also teil des entwurfs für nowa huta, dessen planer schrieb, dass nicht nur die Stadt durch die Bewohner zu bauen sei, sondern auch die Bewohner „in die Stadt hinein geformt“ werden müssten.17

In seinem Aufsatz über die politischen Aufladungen der Wohnräume im Polen der 1950er und 60er Jahre führt david crowly aus, dass dem Konsum per se weder oppositionelle noch legitimierende Bedeutungen zugeschrieben werden könnten, sondern „die Bedeutungen eher in diskursen um und über dinge und räume etab-liert und verhandelt“ würden.18 um diese Bedeutungen zu untersuchen, analysierte

15 Wacław Ostrowski, Kształtowanie przestrzenne miasta socjalistycznego, in: „Miasto“ 1952 (rok III), nr. 1, S. 1.

16 Alison Stenning, representing transformations/transforming representations: remaking life and work in nowa huta, poland, paper presented to weS 2001: „winning and losing in the new economy, university of nottingham (11–13.09.2001); http: / /www.nowahuta.info/pa-pers/wes2001.shtml, S. 6.

17 Ptaszycki, fundamenty, S. 11.18 David Crowley, warsaw Interiors: the public life of private Spaces, 1949–65, in: David

Crowley/Susan Reid, Socialist Spaces. Sites of everyday life in the eastern Bloc, oxford 2002, S. 188,9.

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crowley mit Bezug auf lefebvre polnische frauen- und lifestyle-zeitschriften die-ser periode. eine analogische durchsicht medialer Berichte über nowa huta aus dessen aufbauzeit zeigt deren warme Begrüßung jeden anzeichens von urbanität. die stetig ergänzten elemente städtischer Infrastrukturen – lampen, abfallkörbe, fahrzeuge der Straßenreinigung und vor allem die 1953 eröffnete Straßenbahn nach Kraków – wurden dargestellt als Belege für die besonderen Vorzüge des Sozialis-mus. In den 1990er Jahren sollte diese Verbindung städtischen lebens mit seiner Interpretation als ausdruck und zugleich legitimation der staatlichen Ideologie zu divergierenden perspektiven in den massenmedien führen: was externe Beobachter als merkmale eines sozialistischen „social engeneering“ werteten, betrachteten die meisten einwohner als moderne und emanzipatorische effekte von urbanität.

es ist bezeichnend für die einschränkungen, denen soziologische analyen un-ter sozialistischer Herrschaft unterworfen waren, dass Siemieńska in ihrem Buch die wichtigste auseinandersetzung zwischen repräsentationen nowa hutas in den 1960er Jahren nicht erwähnte: die Kollision zwischen dem Bild einer „atheisti-schen“ und einer „religiösen“ Stadt. nowa huta war zunächst ohne Kirchen geplant und gebaut worden, doch unter dem druck der einwohner entschied die Verwal-tung, in den späten 1950er Jahren, den Bau einer Kirche zu gestatten. die geneh-migung wurde aber 1960 zurück gezogen, und diese entscheidung rief eine reihe von unruhen und demonstrationen hervor, gegen die die Behörden hart vorgingen. auf diese als „Verteidigung des Kreuzes“ bekannt gewordenen ereignisse bezog sich Johannes paul II., der frühere erzbischof von Kraków, bei seinem Besuch der in der nähe von nowa huta gelegenen zisterzienserabtei von mogila 1979. In sei-ner Predigt sprach der Papst direkt die offizielle Repräsentation von Nowa Huta als „arbeiterstadt“ an, wies jedoch dessen gleichsetzung mit „sozialistisch“ und „athe-istisch“ zurück und sagte:

„die gegenwärtige problematik der arbeit (…) beruht (…) auf einer fundamentalen Kategorie: das ist die Kategorie der würde der arbeit und daher der würde des menschen. (…) diese fundamentale Kategorie (…) ist eine christliche Kategorie.“19

die predigt stärkte die Verbindung zwischen arbeitern und religion in nowa huta, die sich am klarsten in den Streiks und unruhen der 1980er Jahre niederschlug.

die mobilisierung der repräsentationen von nowa huta sowohl in legitimie-renden wie in subversiven städtischen Praktiken reflektierte und generierte Kontrast-begriffe, die häufig zur Beschreibung der Stadt verwandt wurden. Diese stammten

19 Karol Wojtyła, Kraków – Nowa Huta, 9 czerwca 1979 roku; Homilia Jana Pawła II w czasie Mszy św. Odprawiona przed opactwem oo. Cystersów w Mogile in: Jerzy Karnasiewicz, nowa Huta: Okruchy Życia i Meandry Historii, Kraków 2003, S. 44; vgl. auch: Karol Wojtyła, Kra-ków – Nowa Huta, 22 czerwca 1983 roku; Homilia Jana Pawła II w czasie konsekracji kościoła św. Maksymiliana Marii Kolbego, in: Karnasiewicz, nowa huta. nicht nur der papst, sondern auch die polnische katholische Kirche sah nowa huta als ort eines wichtigen Kampfes um Symbole; Kardinal Wyszyński, Primas der katholischen Kirche in Polen (1948–81), schrieb in einem Brief vom 25.3.1977 (zitiert bei Niward Karsznia, Powstanie parafii i budowa kościoła Matki Bożej Częstochowskiej w Nowej Hucie, Kraków 1994, S. 41), dass „es in Nowa Huta nicht um ein weiteres religiöses gebäude geht, sondern um das spirituelle gesicht der arbeit in polen“.

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zunächst aus der ursprünglichen Bestimmung der Stadt in der politischen termino-logie, so dass die „sozialistische Stadt“ als „proletarisch“, „atheistisch“, „jung“, „ge-sund“, „stark“, „modern“, „grün“ und „geräumig“ definiert wurde im Gegensatz zu Kraków, das als „bürgerlich“, „reaktionär“, „klerikal“, „alt“, „degeneriert“, „schwach“, „ärmlich“, „altmodisch“, „steinig“ und „heruntergekommen“ dargestellt wurde. di-ese zuschreibungen wurden zu einem gegensatz zwischen „Industriestadt“ und „großem dorf“ zugespitzt. auch repräsentationen, die lose mit dem hauptimage der „sozialistischen Stadt“ verbunden waren (zum Beispiel von nowa huta als „grü-ner Stadt“) waren in der Logik gegensätzlicher Begrifflichkeiten gefangen. So wurde zum Beispiel der Slogan der „grünen Stadt“ seit den 1970ern mit der diagnose einer von den Stahlwerken verursachten „ökologischen Katastrophe“ grundsätzlich be-stritten.20 die letztgenannten gegensätze wurden in den massenmedien formuliert, und deswegen müssten sie im offiziellen Diskurs ausgehandelt werden. Die Erklä-rungsansätze zur Versöhnung dieser widersprüche beruhten entweder auf der these von einem zeitlichen wandel (vom Bauern zum arbeiter) oder auf der marxistischen dialektik, nach der die widersprüche zwischen Stadt und land von einer neuen ländlich-städtischen sozialistischen gesellschaft überwunden worden seien.21 das netz dieser gegensätzlichen repräsentationen, in dem das hauptimage der „sozialis-tischen Stadt“ dominierte, wirkte nach 1989 fort, als die bis dahin subversiven re-präsentationen in die massenmedien eingang fanden.

die umkämpfte Stadt: repräsentationen von nowa hutain den lokalen massenmedien nach 1989

der wichtigste wandel in den diskursen über nowa huta nach 1989 lag in ihrer Pluralisierung. Der offizielle Diskurs wurde nicht einfach ersetzt durch den bis da-hin subversiven diskurs, wie das bei vielen anderen diskursen über kontroverse themen in polen nach 1989 geschah, sondern es kam zu einer Kollision der beiden diskurse in den lokalen medien. dazu kam, dass eine neue räumliche Spaltung auftrat, die quer zu der politischen Spaltung verlief: zwischen dem lokalen, von nowa hutas massenmedien geführten „inneren“ diskurs, und dem „äußeren dis-kurs“, den hauptsächlich die lokalpresse Krakóws und die mehrheit der überregi-onalen presse bestimmte. mit diesen diskursen verbanden sich weitere, berufsspe-zifische Diskurse (architektonische, soziologische, historische, geographische), die in die massenmedien vordrangen, und an bestimmte Institutionen gebundene dis-kurse, wie z. B. die von den Stahlwerken, lokalbehörden, verschiedenen Kultur-zentren bzw. -organisationen sowie mietervereinigungen geführten. eine aktive rolle in der diskussion um nowa huta spielten auch einige einzelpersönlichkeiten, deren Stimmen die orientierungspunkte der debatte markieren.22

20 Vgl. Jan Forowicz, potrzebny dzielnicy, potrzebny ludziom, in: r (27.07.1983); Przekrój, o nowej to hucie, 1984, S. 5.

21 Vgl.f.Z Wereksiej, Jubileuszowe obrachunki, in: wtK tygodnik Katolicki (no. 35) 1976, S.1,8.

22 Zu den aktivsten Teilnehmern der öffentlichen Diskussion um Nowa Huta gehörten: Stanisław

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283die produktion des städtischen raums durch massenmediale erzählpraktiken

die folgende untersuchung über die repräsentationen von nowa huta in den massenmedien nach 1989 konzentriert sich auf die lokalpresse, die im Vergleich zur überregionalen presse sensibler und schneller auf wandlungsprozesse reagierte und kontinuierlich über lokale themen berichtete. Besondere aufmerksamkeit wird dabei dem Wochenmagazin „Głos Nowej Huty“ („Die Stimme von Nowa Huta“) beigemessen, das 1957 als „Budujemy Socjalizm“ („wir bauen den Sozialismus“) gegründet wurde und seinen Namen 1991 änderte in „Głos Tygodnik Nowohucki“ („die Stimme – die wochenzeitschrift von nowa huta“).23 alle zwischen 1988 und 2003 erschienenen ausgaben des magazins wurden ausgewertet, was quantitative Vergleiche ermöglicht. andere Quellen stellten die Krakówer tageszeitungen „ga-zeta Krakówska“ and „dziennik polski“ (beide entstanden vor 1989) dar sowie die nach 1989 gegründeten „czas Krakówski“ und „gazeta w Krakówie“ (die Kra-kówer ausgabe der tageszeitung „gazeta wyborcza“). die örtlichen zeitschriften wurden verglichen mit anderen regionalen und fachzeitschriften, wie z. B. dem „Suplement“, sowie der überregionalen tageszeitung „rzeczpospolita“ und eini-gen artikeln der überregionalen wochenmagazine „przekrój“ und „polityka“.24

auf der grundlage einer untersuchung der in diesen publikationen seit 1989 bis heute veröffentlichen Artikel lassen sich fünf Themen identifizieren, um die sich die repräsentationen drehen: die sozialistische/antisozialistische Stadt, die religi-öse Stadt, die ländlich/städtische Gemeinde, die grüne Stadt und die konflikthafte Beziehung zu Kraków. alle diese themen stammen aus der sozialistischen periode und sind in die komplexen Beziehungen zwischen dem repräsentierten und den repräsentationen eingebunden, die in dieser periode etabliert wurden.

die sozialistische Stadt versus die antisozialistische Stadt

die repräsentation von nowa huta als einer „sozialistischen Stadt“ blieb auch in der diskussion über die Stadt nach 1989 zentral. die facetten dieser repräsentation wurden nuanciert, wobei unterschiedliche Sichtweisen nicht nur auf die reale Stadt, sondern auch auf das Konzept der „sozialistischen Stadt“ deutlich wurden. dabei wurde u.a. behauptet, dass nowa huta als sozialistische Stadt konzipiert war (aber

Juchnowicz (mitglied von tadeusz ptaszycki planergruppe für nowa huta und professor an der technischen universität Kraków), maciej miezian (director des nowa huta musems), Jan Franczyk (Herausgeber der örtlichen Wochenzeitung „Głos – Tygodnik Nowohucki“), Mieczy-sław Gil (einer der Führer der antisozialistischen Opposition in Nowa Huta), Niward Karsznia (Vorsteher von einer der gemeinden in nowa huta).

23 zwischen 1957 und 1991 gehörte die zeitschrift den Stahlwerken, 1991 wurde sie privatisiert und wird zur zeit nicht subventioniert, obwohl die Stahlwerke und die Bezirksbehörden meh-rere Seiten finanzieren um ihre Sicht der Dinge zu verbreiten (Information aus einem Interview mit dem herausgeber).

24 der aufsatz beschränkt sich dabei auf die untersuchung der gedruckten massenmedien und geht nicht auf die repräsentationen von nowa huta in filmen, von denen die wichtigsten die wochenschauen sind (99.40), noch auf diejenigen im Internet ein (00.01).

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284 Łukasz Stanek

scheiterte),25 oder tatsächlich eine solche Stadt war26 oder sogar noch eine sozialis-tische Stadt sei.27 was üblicherweise in den massenmedien unter nowa huta als sozialistischer Stadt verstanden wurde, ist die tatsache, dass sie auf Beschluss des sozialistischen regimes gebaut wurde, dass sie eine Stadt der arbeiter war (oder noch ist), die ihren sozialen aufstieg, ihr gemeinschaftsgefühl und eine gemeinsam verlebte Jugend dem sozialistischen Staat verdanken,28 oft nostalgisch gegenüber der Vergangenheit eingestellt sind29 und immer noch tendenziell links wählen.30 die Stadt wurde als Schauraum des Sozialismus verstanden, wo die geschäfte über ein reicheres angebot verfügten und die soziale Infrastruktur (vor allem in den alten Stadtteilen) besser als in anderen Städten war. ein anderer grund für die charakte-risierung von nowa huta als „sozialistische Stadt“ war die architektur des sozialis-tischen realismus (zuweilen als „sozialistische architektur“ benannt),31 der in eini-gen artikeln ein innerer zusammenhang zum totalitären System zugesprochen wird.32 die mehrheit der artikel, die sich dem oben so benannten „äußeren“ dis-kurs zuschreiben lässt, präsentieren die architektur der Stadt als ein „Kuriosum“ oder sprechen von einem „freiluftmuseum“, „experiment“ oder „themenpark“.33

der Begriff „sozialistische Stadt“ wird auch benutzt, um eine kurz gefaßte erklä-rung der Krise von nowa huta zu formulieren:34 die zerstörte umwelt als von der sozialistischen Ökonomie verursacht, die sozialen probleme und Kriminalität als von der sozialistischen organisation des städtischen lebens hervorgerufen, die ei-gentumskonflikte als aus den forcierten Enteignungsmaßnahmen des sozialistischen Staates resultierend.

diese facettenreiche repräsentation von nowa huta als „sozialistische Stadt“ wird von einer sehr starken und homogenen repräsentation der Stadt als einem der

25 Vgl. (89.19; 93.06; 99.23).26 Vgl. (96.22; 97.49; 01.03).27 Vgl. (96.11; 01.03).28 die „soziale förderung“ der arbeiter in nowa huta ist eine der unumstrittenen errungenschaf-

ten der Stadt; Vgl. (89.10; 98.18; 99.12).29 Vgl. (89.21; 95.35; 00.02; 00.10). die nostalgie bezieht sich natürlich nicht auf das totalitäre

regime, sondern auf die soziale Infrastruktur und die atmosphäre in der Stadt. doch wird die nostalgie oft verneint, Vgl. (00.02; 01.11).

30 Bei den wahlen von 2002 wurde der politisch links stehende Kandidat Jacek majchrowski von den einwohnern von nowa huta stark unterstützt. wahlstatistiken zeigen jedoch, dass diese weniger links als vielmehr extrem wählten, nämlich sowohl die äußerste linke als auch poli-tisch rechte parteien, die viele unterstützer haben.

31 (99.27))32 Vgl. (97.24; 00.17). Doch wurden die Behauptungen über den deterministischen Einfluss der

architektur auf das Verhalten der menschen auch verspottet, Vgl. (99.12).33 Vgl. (97.06; 99.23; 99.31; 01.03). tatsächlich existierte in nowa huta zeitweise ein ‚Socland‘

benannter themenpark, der die sozialistische realität simulierte (zur Simulation in nowa huta Vgl. Łukasz Stanek, Simulation or hospitality: ways out of the crisis of representation in a post-communist city, in: L. Frers/L. Meier (hrsg.), encountering urban places – Visual and mate-rial performances in the city, aldershot 2007). gleichzeit wurde diese Besonderheit der Stadt als touristischer anziehungspunkt gesehen (Vgl. 95.36, Stenning, representing transforma-tions, S. 14).

34 (96.12)

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285die produktion des städtischen raums durch massenmediale erzählpraktiken

wichtigsten zentren der antisozialistischen opposition in polen herausgefordert: der Stadt der Streiks, demonstrationen und aufstände.35 daher wurde oft das Sym-bol des Sozialismus in seiner transformation zum Symbol des antisozialismus dar-gestellt.36 diese repräsentation besitzt eine große glaubwürdigkeit, die von zahl-reichen lebensgeschichten und Berichten über die ereignisse der 1960er Jahre, den Streiks der 1980er Jahre und dem Tod von Bogdan Włosik, einem jungen, von einem geheimagenten ermordeten arbeiter, gestützt wird.

die atheistische oder eine religiöse Stadt

Im ersten masterplan von nowa huta waren keine Kirchen vorgesehen: atheismus war ein wichtiges Element in der offiziellen Repräsentation einer „sozialistischen Stadt“.37 dieser aspekt wurde nach 1989 in den massenmedien oft hervorgehoben; nowa huta wird bezeichnet als „Stadt ohne gott“ und als „atheistische Stadt“, in der die arbeiter „ohne gott leben sollten“.38 diese aussagen wurden allerdings in der regel als rhetorische figur verwandt, mit der ein harter Kontrast zwischen den Intentionen der Behörden und der wirklichkeit von nowa huta als einer „religiösen Stadt“ hervorgehoben wurde. nachdem die politische zensur abgeschafft worden war, begannen die medien dieses thema ausführlich zu behandeln.39 die Jahrestage der “Verteidigung des Kreuzes“ von 1960 (1990, 2000) wurden in den medien mit einer großen zahl privater geschichte und historischer analysen unterlegt.

gleichzeitig widerspricht die auffassung von nowa huta als einer „religiösen Stadt“ der weit verbreiteten wahrnehmung einer Krise der sozialen und moralischen werte in der Stadt und einer hohen Kriminalitätsrate. das Image einer religiösen Stadt wird sogar von katholischen priestern bestritten, die nicht nur unterstreichen, dass die these von einer besonderen religiosität ihrer gemeindemitglieder eine mythos ist,40 sondern auch zu der repräsentation von nowa huta als einer „atheis-tischen Stadt“ zurück kehren und die schlimmen auswirkungen der atheistischen, sozialistischen Ideologie auf das leben der einwohner hervorheben (z. B. mit Ver-weis auf die hohen zahlen von heiraten zwischen Jugendlichen und die hohen Scheidungsraten).41

35 Vgl. (89.19; 91.05; 91.14; 00.04; 01.41).36 Vgl. (89.19; 96.12).37 nicht jedoch für die einwohner, die nach Stenning „keinen widerspruch zwischen ihren re-

ligiösen Überzeugungen und dem aktiven aufbau des Sozialismus sahen“. Siehe: Alison Sten-ning, placing (post)socialism: the making and remaking of nowa huta, poland, in: european urban and regional Studies 7/2 (2000), S. 99–118, hier S. 105.

38 (01.13); (04.12) (91.06).39 Vgl. (89.19; 91.05; 95.11; 99.32; 00.04).40 (00.05)41 (92.52). nirward Karsznia, ein priester in nowa huta und Soziologe (Vgl. anmerkung 22)

behauptet, dass die sozialistisch-atheistische Ideologie eine entwicklung zu „antisozialen and unmoralischen Verhaltensweisen“ hervorgebracht habe und dass „einige ehen wegen der in-folge der neuen umgebung lockeren moral“ zerbrochen seien. Karsznia, Powstanie parafii i budowa kościoła Matki Bożej Częstochowskiej w Nowej Hucie, S. 35. So ermittelte er, dass

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ein großes dorf und eine Industriestadt

die strenge, emotionale religiosität ist in polen traditionell dem lande zugeschrie-ben. das ist, zusammen mit den vorgeblich engen nachbarschaftlichen Beziehungen in der Stadt,42 eines der argumente für die these, dass nowa huta immer noch ein „großes dorf“ ist.43 gleichzeitig wird die repräsentation von nowa huta als einer „Industriestadt“44 und einer Stadt der arbeiter – die zu den Verlierern der politischen und ökonomischen wende in polen zählen – ausgiebig herangezogen, um die sozi-alen probleme in der Stadt zu erklären.

die grüne Stadt und die Stadt der umweltkatastrophe

wenn einwohner von nowa huta zu den Qualitäten ihrer Stadt befragt werden, verweisen sie oft auf deren Grünflächen. Die Stadt wird zuweilen sogar als „Gar-tenstadt“ bezeichnet und als „Stadt der parks“.45 andererseits ist nicht einmal diese eigenschaft unumstritten, wenn auf angeblich politische oder militärische motive für die grünplanungen angespielt wird.46 Darüber hinaus wurden die Grünflächen seit dem ende der 1990er Jahre in den medien kontrovers diskutiert: dicht gereihte Bäume verschatteten die häuser, und ihre wurzeln zerstörten die unterirdische In-frastruktur; daher möchten einige Bewohner die Bäume beseitigt sehen, während andere sie verteidigen.

andererseits war die luftverschmutzung, die sowohl die gesundheit der ein-wohner als auch die Baudenkmäler von Kraków angreift, das erste gleich 1989 von den medien breit aufgegriffene thema.47 nach der restrukturierung und modern-sierung der Stahlwerke ging die Brisanz des problems zurück, doch auf der lokalen ebene – vor allem in der „grünen Schutzzone“ rund um die fabrik – ist es noch längst nicht gelöst.

zwischen 1956 und 1964 25% der ehen zerbrachen (Niward Karsznia, Życie rodzinne w Nowej Hucie. Obserwacje i rozwiązania, Kraków 1997, S. 35). Karsznia betrachtet die zeitgenössi-sche kapitalistische „Konsumideologie“ als in ihren auswirkungen auf die einwohner von nowa huta vergleichbar mit den sozialistischen, „materialistischen und laizistischen tenden-zen“ (ebenda, S. 12).

42 (Vgl. 96.14))43 (99.7).Vgl. Halszka Buczyńska, Czy Nowa Huta da się lubić?, ŻW (83) 1974, S. 5,6; Wereksiej,

Jubileuszowe obrachunki, 99.23; direkt bestrtitten in: 00.05.44 Vgl. (91.20; 92.05; 01.05). 45 (98.10, 01.8); (03.08).46 (97.12).47 einer der artikel beschrieb das Verhältnis von Kraków und nowa huta als einen Kreuzzug

(90.04), andere plädierten für eine „Versöhnung von nowa huta und der Stadt“ (91.23).

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287die produktion des städtischen raums durch massenmediale erzählpraktiken

Kraków und nowa huta: antagonismus oder Integration?

die in den medien von 1989 bis 1991 geführte diskussion, in der die ökologischen argumente für eine sofortige Schließung der Stahlwerke mit denen nach erhalt dieses für nowa huta wichtigsten arbeitsgebers hart aufeinander trafen, belebten auch den alten Konflikt zwischen Nowa Huta und Kraków neu, die in den 1980er Jahren noch als in der antisozialistischen allianz vereint schienen. die umwelt-kontroverse wurde bald mit den alten Konflikten um die politischen Gründe für die Standortwahl für nowa huta in der nähe Krakóws verbunden.48 In den 1990er Jahre gab es eine weit verbreitete tendenz, diese thematik mit den problematischen auswirken, die die enteignungen und die gründung der Stadt auf die regionale ländliche gesellschaft hatten, zu verbinden.49

nach 1989 wurde nowa huta verstärkt als „der tradition geraubt“ und „krimi-nell“ betrachtet, was einer Revision der früheren offiziellen Wertungen gleichkam. einst als „junge Stadt“ beschrieben, die der „pensionärsstadt Kraków eine zweite Jugend bescherte“,50 wurde nowa huta nun selbst als „pensionärsstadt“ bezeich-net.51 die lokalpresse von nowa huta beschuldigte daraufhin jene von Kraków einer desinformationspolitik über die Stadt.52 zugleich wurde aber auch der vor-gebliche gegensatz der beiden Städte bestritten und die zugehörigkeit von nowa huta zur Identität, Kultur, wirtschaft und politik Kraków’s betont.53 eine wichtige rolle spielten dabei die in nowa hutas massenmedien veröffentlichten Berichte über die reiche geschichte und Kultur des gebietes in der vor-sozialistischen zeit.

die ersetzung der früher den diskurs dominierenden politischen Spaltung (of-fiziell/subversiv) durch eine räumliche Spaltung (intern/extern) beruht auf einer Verschiebung der zentralen themen: wenn vor 1989 der gegensatz zwischen nowa huta und Kraków als beispielhaft für den gegensatz zwischen der sozialistischen und der antisozialistischen Stadt angesehen wurde, galt in den 1990er der letztere gegensatz als dem ersteren untergeordnet.

Im Vorangegangenen wurde Nowa Huta als eine umkämpfte Stadt identifiziert, deren repräsentationen von einem gravierenden mangel an übergreifendem Kon-

48 einer der artikel behauptet, dass „Kraków bestraft wurde“ wegen seines antisozialismus, „traditionalismus und bürgerlichen charakters“ (93.06), direkt im widerspruch dazu: (98.05). Seit dem ende der 1990er Jahre stimmt die mehrzahl der artikel darin überein, dass die gründe für die Standortwahl sowohl ökonomischer wie politischer natur waren.

49 „wer wird für nowa huta zahlen?“, ist der titel eines artikels (91.16), der sich auf die frage der Kompensation für enteignetes land konzentriert.

50 Jerzy Steinhauf, Druga młodość Krakowa, in: Dziennik Polski 1970 (no. 15), S. 4.51 Vgl. (91.01; 92.35); der wandel von einer „jungen“ zu einer „alten“ Stadt wurde auch in der

presse registriert, Vgl. (02.40).52 Vgl. (92.33; 92.49; 98.21). 53 Symptomatisch war hier zum Beispiel die aktion „aleja nadziei“ („allee der hoffung“) 2004,

als das jährliche Stadtfest von Kraków das erste mal in nowa huta gefeiert wurde. eine andere wichtige Entscheidung war die Rückverlegung des wichtigen Kulturzentrums „Łaźnia“ nach nowa huta (ebenfalls 2004).

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sens bestimmt war.54 fast alle repräsentationen standen in Konfrontation mit ihrem gegenteil,55 und es gab keine integrierende erzählung, die sie zu einem relativ kon-sistenten ganzen verband. die gegensätzlichen erzählungen, die sowohl im inter-nen wie im externen diskurs mobilisiert wurden, konnten sich auf eine ausreichende menge von argumenten, daten, erfahrungen und wahrnehmungen stützen. Seit-dem die marxistische dialektik und andere „große erzählungen“56als argumenta-tive methoden ausgedient hatten und die persistenz der meisten gegensätze eine erklärung nach dem muster einer zeitlichen transformation behinderten, 57 sehen sich die erzählungen gravierenden Schwierigkeiten gegenüber, mit den wider-sprüchlichen repräsentationen von nowa huta umzugehen. daher wurde diese ge-gensätze vermehrt als „paradoxien“ bezeichnet und damit die erklärungsprobleme rhetorisch zugegeben; nowa huta wurde nun zur „Stadt der paradoxien“, die „wi-dersprüchliche gefühle“ erzeugt und gegensätzliche meinungen auch unter fach-leuten, wie z. B. architekten.58 als „Stadt der paradoxien“ erscheint nowa huta als etwas nicht greifbares: ein apriori, ein Kuriosum, ein fehlgeschlagenes experi-ment.59

54 Waldemar Komorowski schrieb in einer neueren Studie dass gegen ende der 1990er Jahre selbst unter wissenschaftlern eher abwägende urteile über die kulturgeschichtlichen werte von nowa huta mit ideologisch begründeten positionen – kritischen wie apologetischen – kol-lidierten. (Waldemar Komorowski, Wartości kulturowe Nowej Huty. Urbanistyka i architek-tura, in: Salwiński, Sibilia 2005, S. 98; Vgl. „Dziedzictwo kulturowe Nowej Huty“ 1997 und Małecki (Hrsg.), Narodziny Nowej Huty: materiały sesji naukowej odbytej 25 kwietnia 1998 roku.)

55 es ist klar, dass einige der repräsentationen kontroverser diskutiert wurden (z. B. die soziali-stische gegen die antisozialistische Stadt, feindschaft oder Integration nach Kraków) als an-dere. So verbesserte sich z. B. die umweltsituation nach 1989 erheblich und die mehrheit der Einwohner stimmen in der positiven Bewertung der Grünflächen überein.

56 Vgl. Jean-François Lyotard, the postmodern condition: a report on knowledge, minneapolis 1984.

57 dieses muster gilt auch für die ökologische Situation, es auf politische und religiöse reprasen-tationen zu übertragen ist jedoch sehr viel schwieriger. Stenning, representing transforma-tions, S. 10,1, schreibt über die verschiedenen Identitäten von nowa huta, dass „es keine klare temporalität dieser Identitäten gibt.“

58 das Vorstehende nach (89.19); (99.40); Stenning, representing transformations, S. 10,1, (99.15) (02.42).

59 das Suchwort „Stadt der paradoxien“ ergibt bei google etwa 250 links zu webseiten von Städten, darunter wien, washington und mumbai. dieses ergebnis verweist darauf, wie eng verbunden die gegenwärtige theoretische debatte über Städteprobleme mit dem philosophi-schen projekt der dekonstruktion traditioneller (logischer und dialektischer) formen des um-gangs mit widersprüchen ist. zur kritischen diskussion über das Verhältnis von Städteproble-men und postmodernem diskurs vgl. Christine M. Boyer, cybercities. Visual perception in the age of electronic communication, new York 1996 (insbes. ende des Kapitels I); zur diskus-sion über künstlerische formen der auseinandersetzung mit den gegensätzen in nowa huta vgl. Łukasz Stanek/Piotr Winskowski, Ponowoczesne strategie w poprzemysłowym mieście, in the publication after the conference „Kraków i norymberga w kulturze europejskiej“, Międzynarodowe Centrum Kultury, December 2004.

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289die produktion des städtischen raums durch massenmediale erzählpraktiken

die art und weise, wie nowa huta in den medien repräsentiert wird, scheint wesentlich zu der oben erwähnten Krise beizutragen, die Soziologen als einen „scharfen Unterschied“ zwischen den offiziellen Statistiken und dem Bewusstsein der einwohner wahrnehmen.60 dabei geht es nicht nur um den Inhalt dieser reprä-sentationen, sondern auch um deren Strukturmerkmale, so z. B. um die Schwierig-keiten der weitergabe der grundlegenden erzählungen an die nachwachsenden ge-nerationen von einwohnern, inklusive des „gründungsmythos“ und der auf poli-tischen oppositionen beruhenden geschichten. der persönlich, emotional und ge-nerationell gebundene gründungsmythos kann von den jüngeren einwohner nicht geteilt werden, auch wenn sie oft eine nostalgie für solche kollektive erfahrung ausdrücken. auch die politischen gegensätze – vor allem jener zwischen Sozialis-mus und antisozialismus – sind von geringem wert für die Identitätsbildung für die jüngere generation.61 ein zweiter grund mag in den oben skizzierten formen der Konzeptualisierung nowa hutas liegen als einer Stadt, die permanent in ihren eige-nen repräsentationen gefangen bleibt: als ein mythos in erwartung seiner entfes-selung und als symbolischer ort. diese Konzeptualisierungen haben überdauert in den repräsentationen der Stadt, aber ihre Bedeutung hat sich in dem neuen poli-tischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontext radikal geändert. nowa huta als eine überholte repräsentation aufzufassen vermittelt das ungute gefühl einer Stadt ohne zukunft. wenn man nowa huta als einen mythos versteht, der wissenschaftlich entziffert werden sollt, fasst man die Stadt eher als kognitives pro-blem denn als tägliche umwelt. die Stadt als Symbol zu sehen bedeutet, das leben der einwohner ebenfalls als repräsentation anzusehen.62

60 Eine psychologische Studie über den Einfluss der Medien auf das Bewußtsein ihrer Leser würde den rahmen dieses aufsatzes sprengen. es bleibt jedoch die übereinstimmende mei-nung der zeitgenössischen Forscher festzuhalten, dass Medien einen bestimmenden Einfluss auf den wandel oder die festigung nicht nur der Verhaltensmuster der leser, sondern auch auf ihre maßstäbe zur Bewertung der wirklichkeit, Konzeptionen und diskurse haben, die die Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflussen (Tomasz Goban-Klas, media i komunikowanie masowe. teorie i analizy prasy, radia, telewizji i Internetu, warszawa 1999, S. 247). Im fall von nowa huta bestätigt sich diese these durch die ähnlichkeit der oben analysierten media-len repräsentationen von nowa huta mit den Images der Stadt, wie sie in Interviews mit den einwohnern deutlich werden. (Vgl. Dorata Gut, Nowa Huta w świadomości jej mieszkańców, in: J. Bujak/A. Zambrzycka – Steczkowska/R. Godula (hrsg.), Kraków – przestrzenie kul-turowe, Kraków 1993.

61 Vgl. Alison Stenning, Życie w przestrzeniach (post)socjalizmu: przypadek Nowej Huty, in: Jerzy Karnasiewicz, Nowa Huta: Okruchy Życia i Meandry Historii, Kraków 2003, S. 66–75; als Studie zum Identitätswandel der einwohner von nowa huta.

62 dies ist der grund, warum die einwohner vehement gegen jeden Versuch protestieren, die Stadt oder einen teil von ihr offensiv als sozialistische Stadt zu vermarkten, wie es historiker, politiker und fremdenverkehrs- und marketing-Institutionen verschiedentlich vorschlugen. die einwohner sahen sich dadurch „wie die affen im zoo“ behandelt. (00.2; vgl. Stanek, Sim-ulation or hospitality).

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290 Łukasz Stanek

die Instrumentalisierung der repräsentationen von nowa hutadurch praktiken der raumproduktion: die rosenallee

die analyse nowa hutas mit lefebvres theorie wirft die frage auf, wie die ange-führten repräsentationen sich auf andere praktiken der raumproduktion auswir-ken. dies verlangt ein theoretisches Konzept zum Verhältnis zwischen unterschied-lichen praktiken der raumproduktion. lefebvre gibt nur eine skizzenhafte Be-schreibung dieses Verhältnisses, das er „dialektisch“ nennt, jedoch von den klas-sischen dialektiken von hegel und marx abgrenzt. die meisten Interpreten lefebv-res versuchen sich an einer rekonstruktion von dessen dialektik, doch sind diese Versuche weder philosophisch überzeugend noch direkt anwendbar auf die städ-tische realität.63 Statt über die prinzipien der dialektik zu spekulieren schlägt die-ser aufsatz eine alternative Interpretation vor, die auf dem für lefebvres philoso-phie grundlegenden Konzept der praxis beruht.64 danach werden produkte be-stimmter praktiken der raumproduktion von anderen solchen praktiken als werk-zeuge benutzt. In dem hier diskutierten fall bekommen die medial produzierten repräsentationen des raums sowohl verschiedene instrumentelle rollen in ande-ren repräsentationen des raumes als auch in praktiken seiner physischen transfor-mation sowie in alltagspraktiken der aneignung von räumen. ein solcher ansatz erlaubt es zusammenhänge zu analysieren, die in den vorhandenen analysen über nowa huta übersehen oder vernachlässigt wurden.

die untersuchung der jüngeren Vergangenheit von nowa huta deckt eine Viel-falt solcher rollen auf. So wurden die repräsentationen instrumentell eingesetzt in entscheidungsprozessen, die zur umgestaltung des physischen raums führten (z. B. wurden die politischen repräsentationen als argument in der diskussion um städtische Kreditgarantien für die Stahlwerke65 und um Investitionen in den Stadt-

63 Vgl. Edward Soja, postmodern geographies, london 1989, Edward Dimendberg, henri lefe-bvre on abstract Space, in: Andrew Light/Jonathan Smith (hrsg.), the production of public space, lanham 1998; Rob Shields, lefebvre, love and Struggle, london1999; Christian Schmid, Stadt, raum und gesellschaft. henri lefebvre und die theorie der produktion des raumes (manuscript 2003); Stuart Elden, understanding henri lefebvre. theory and the pos-sible, london 2004; für eine diskussion über diese Interpretationen vgl. Stanek the theory of production of space by henri lefebvre. Soja’s Beitrag in, thirdspace. Journeys to los angeles and other real-and-Imagined places, oxford 1996, ist eher eine weiterentwicklung (oder mo-difikation) der Theorie Lefebvre’s als eine Interpretation.

64 David Harvey, the condition of postmodernity, oxford 1990, war einer der ersten der er-kannte, dass die drei aspekte des raum in lefebvre’s theorie nur in der sozialen praxis ver-bunden werden können. zur diskussion und Kritik von harveys Verständnis von lefebvre Vgl. Schmid, Stadt, raum und gesellschaft, und Stanek, the theory of production of space by henri lefebvre.

65 die gegner dieser Subventionen argumentierten, dass nowa huta als „feindlich gegenüber Kraków“ gegründet wurde, eine „rache Stalins“ sei (93.30, 99.57) und dass dessen Interessen scharf mit denen von Kraków divergierten (vgl. vor allem die offizielle „Stellungnahme des rates des 7. Bezirkes von Kraków“ vom 13.08.1993 in: 93.44). dies erwies sich als erfolgrei-ches Argument, denn der erste Beschluss über finanzielle Garantien für das Stahlwerk war ne-gativ (91.22; 91.30). der Stadtrat (?) von nowa huta widersprach dieser repräsentation mit

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291die produktion des städtischen raums durch massenmediale erzählpraktiken

teilen herangezogen).66 die medialen repräsentationen von nowa huta wurden anderen formen der raumrepräsentation angepasst: Sie dienten als reservoir für Straßenumbenennungen67 und formten die Behandlung architektonischer und urba-nistischer fragen in nowa huta.68 Sie bildeten einen wichtigen teil des architekto-

dem Image der antisozialistischen Stadt, die „der kommunistischen Indoktrination widerstand.“ (92.43, Vgl. 92.44, 92.48).

66 Vgl. (99.58, 91.08; 92.31; 00.18).67 die alten Benennungen nach sozialistischen helden, Institutionen und ereignissen wurden er-

setzt durch namen, die mit der antisozialistische geschichte bzw. mit unter dem sozialistischen regime tabuisierten perioden der polnischen geschichte verbunden waren. eine weitere Quelle für die Vergabe neuer namen war die vor-sozialistische geschichte des gebietes.

68 die repräsentation nowa hutas als einer Stadt die die sozialistische Ideologie „ausdrückte“ (Dariusz Kozłowski, less Ideology – more geometry, in: IX International Biennale of archi-tecture, Kraków 2002, S. 23) war grundlegend für die IX. Internationale Biennale der architek-tur in Krakow 2002, die unter dem motto: „weniger Ideologie – mehr geometrie“ stand. der einleitungstext behauptete, dass „die Stadt als einheit von ‚Ideologie‘ und ‚geometrie‘ gebaut wurde. die Ideologie verging während die geometrie noch ihrer Vervollständigung harrt. “ (ebenda, S. 5). diese Behauptungen bildeten den konzeptionellen rahmen für die mehrheit der im wettbewerb eingereichten Beiträge.

abb. 2: lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lücken-füller

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nischen Kontextes und beeinflussten so die Art und Weise, wie die Räume genutzt werden.69 eine eingehende auseinandersetzung mit allen einzelaspekten würden den rahmen dieses aufsatzes sprengen. Stattdessen soll im folgenden die rolle der repräsentationen in der wahrnehmung und nutzung eines ikonischen ortes in Nowa Huta näher betrachtet werden, der keinen offiziellen Namen besitzt, sondern gemeinhin als „Platz nach Lenin“ bekannt ist. Es ist eine Weitung der Aleja Róż (rosenallee), wo vor 1989 das lenindenkmal stand – ein weg, der den plac cen-tralny (zentraler platz) mit dem plac ratuszowy (rathausplatz) verbindet (vgl. abb. 2).

es ist wichtig vorauszuschicken, dass der ort nicht als städtischer platz geplant war und nach typologischen Kriterien auch kein solcher platz ist. die gebäude rundum sind ausschließlich wohnblöcke, deren eingänge zu den treppenhäusern von dem platz aus zugänglich sind. entsprechend dem ursprünglichen masterplan wurden vor den wohnblöcken rosengärten angelegt (vgl. abb. 3). ein foto von 1959 zeigt die gerade ausgeführte planung. das räumliche arrangement ist sym-metrisch zur hauptachse des ensembles angelegt, aber die wegeführung und die platzierung von Sitzbänken hebt die perpendikuläre richtung zu dieser achse her-vor. diese wege zu den hauseingängen sollen den rosengarten für die einwohner leicht zugänglich machen. der rosengarten war also als ruhiger ort zwischen zwei offiziellen Plätzen geplant, dem Zentralen Platz (der von einem nie realisierten The-ater abgeschlossen werden sollte) und, auf der anderen Seite, dem rathausplatz (der von dem ebenfalls nie gebauten rathaus abgeschlossen werden sollte).

weil die Behörden einen Bedarf für einen symbolischen platz sahen, der sich für politische feiern eignete, wurde der ort 1973 umgebaut, und das lenindenkmal wurde auf der achse des ensembles errichtet.70 die rosen wurden beseitigt und der ganze platz mit Steinplatten bedeckt. der rhythmus des ortes wandelte sich radi-kal: die langsamkeit des rosengartens wurde ersetzt durch eine überwachte leere – in der Nähe wurde ein Wachhäuschen gebaut –, unterbrochen durch offizielle massendemonstrationen und gewaltsame antisozialistische unruhen. durch die Beseitigung der diagonalen wege und die platzierung des denkmals auf der achse wurde dem ort eine klare axiale ausrichtung verliehen. da das theater und das rathaus nicht gebaut wurden, war dies der einzige ort im Stadtzentrum, der früh vollendet und urbanistisch definiert wurde.

69 die raumrepräsentationen bildeten zweifellos einen wichtigen teil des architektonischen Kontextes sowohl für die öffentlichen gebäude (vor allem die Kirchen) als auch für die wohn-bauten (wie z. B. den postmodernen wohnkomplex ‚na Skarpie‘, der von seinem planer als „protest gegen die architektur des sozialistischen realismus“ deklariert wurde (94.10)).

70 die planung wurde über einen wettbewerb entwickelt, den marian Konieczny gewann (Vgl. Maciej Miezian, Nowa Huta. Socjalistyczna w formie, fascynująca w treści, Kraków 2004, S. 85).

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das denkmal wurde verschiedentlich angegriffen, und einmal sprengte sogar eine Bombe einen fuß der Statue des revolutionsführers ab. Kurz nachdem die erste nicht-sozialistische regierung gebildet wurde (1989), wurde das denkmal von jun-gen leuten mit farbe beschmiert, die seine entfernung verlangten. unter diesem druck entschieden sich die Behörden zögerlich,71 das denkmal abzubauen und zu

71 es ist eine historische Ironie, dass die früheren führer der antisozialistischen opposition das lenindenkmal verteidigten um eine weitere Irritation der russischen Behörden zu vermeiden, deren truppen immer noch in polen stationiert waren (89.05).

abb. 3: lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lücken-füller

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versteigern (es wurde an einen themenpark in Schweden verkauft) (vgl. abb. 4). dennoch prägte das lenindenkmal weiterhin das Bild von nowa huta in der Öf-fentlichkeit. Der Dichter und Musiker Marcin Świetlicki schrieb 1997: „Wenn ich an nowa huta denke, sehe ich das lenindenkmal, obwohl es nicht mehr dort steht.“72 mit der Beseitigung des denkmals wurde der ort eines elementes beraubt, das ihn geprägt hatte. es brauchte daher erstmals einen namen und wurde üblicher-weise der „platz nach lenin“ oder „die leere nach lenin“ genannt. dieser name zeigt nicht nur die prägende Kraft des denkmals, sondern darüber hinaus vor allem auch, dass der ort als „platz“ angenommen wurde, trotz des fehlens von kommer-ziellen, kulturellen oder administrativen funktionen, die städtische aktivitäten ge-nerieren.73

abb. 4: lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lücken-füller

die einwohner und die lokale presse verlangten eine neugestaltung des ortes.74 die diskussion war nachhaltig geprägt von den massenmedialen repräsentationen von nowa huta, vor allem jenen des antagonismus zwischen Kraków und nowa huta, die als argumente benutzt wurden.75 als reaktion auf diese forderungen wurde eine

72 (97.12)73 zeitweise wurde zumindest eine der treppenhäuser eines benachbarten wohnblocks als laden

genutzt. 74 (96.13).75 den Kontext dieser forderung bildete eine breitere diskussion in den späten 1990ern in nowa

huta. die lokale presse registrierte eine rasche Verwahrlosung des Bezirkes, zu der die politik einer ungleichen Verteilung der Investitionen in der Stadt wesentlich beitrug (entsprechend ei-nem artikel von 1999 (99.01) brachte der Bezirk 35% des städtischen haushalts auf während

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neue planung erstellt und im Jahr 2001 realisiert. der innere teil des platzes wurde um drei Stufen abgesenkt, die durch Reihen von Steinsockeln flankiert wurden. In ihrer mitte, wo früher das lenindenkmal gestanden hatte, wurde ein erhöhtes ro-senbeet geschaffen, mit dem dieser geometrisch hervorgehobene ort für die Öffent-lichkeit unzugänglich wurde. gegenüber dem Blumenbeet wurde ein podium für „künstlerische aufführungen“ (wie der planer es formulierte) errichtet (vgl. abb. 5).76 auf diese weise wurde der Blick des Betrachters umgelenkt: er sollte in die entgegengesetzte Richtung schauen, als es die Teilnehmer der offiziellen Feiern vor dem lenindenkmal getan hatten. das war die einzige potentiell kritische Interven-tion in der planung, die ansonsten eng der geometrie der planung der 1950er Jahre folgte. die planer nannten den platz ein „forum“ und betrachteten ihn als attrak-tion für den ganzen Bezirk.77 Sie nahmen offensichtlich als gegeben an, was der Spitzname des ortes suggerierte: einen platz, an dem sich menschen versammeln. was dabei ausgeklammert wurde war, dass während des Sozialismus die menschen sich wegen administrativer einschränkungen an diesem ort versammelten, oder weil sie gegen diese einschränkungen protestieren wollten, was nach 1989 nicht länger der fall war.

abb. 5: lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lü

die neue planung erwies sich nicht als erfolgreich. außer den mitgliedern des Stadtrates78 standen ihr auch die einwohner von nowa huta sehr kritisch gegenü-ber.79 Viele Stimmen forderten mehr Grünflächen, und insbesondere mehr Rosen. 80

die Stadt nur 10% der mittel in den Bezirk investierte). daher wurden in der lokalen presse massive diskriminierungsvorwürfe erhoben, und die diskussion wurde von dem alten antago-nismus zwischen nowa huta und Kraków bestimmt.

76 (Vgl. 00.30, 00.37)) dem planer zufolge (Interview des autors mit dem architekten piotr ga-jewski) war die platzierung des Blumenbeetes motiviert von dem Versuch, eine im Verhältnis zu dem podium adäquate proportionierung des platzes zu erzielen.

77 (00.30).78 (01.39)79 Vgl. (01.37; 02.25; 02.28; 02.36). diese meinungen wurde in einem Interview des autors mit

Jan franczyk bestätigt (Vgl. fußnote 22).80 Vgl. (01.37; 02.25; 02.28).

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einige stellten fest, dass die beste lösung eine rückkehr zu der form des platzes sei, wie sie vor dem Bau des lenindenkmals bestanden hatte.81

die starke und einstimmige forderung nach mehr grün lässt sich nicht durch seinen mangel in der unmittelbaren umgebung erklären. Im gegenteil, die wohn-blöcke rund um den „platz“ haben großzügige parkartige Innenhöfe. zudem gibt es in unmittelbarer Nähe mit der Przyjaźni- (oder ‚Freundschafts-‘) Straße zwei Parks, und der Zentrale Platz liegt an den Überschwemmungsflächen der Weichsel mit ihrem einzigartigen, gesetzlich geschützten Ökosystem. die Sehnsucht nach grün an dem einzigen potenziell urbanen platz in der ganzen Stadt und die Kritik an dem vorgelegten entwurf kann daher nicht erklärt werden nach einem gebrauchsmodell des funktionalistischen Städtebaus, nach dem der gebrauch zur Befriedigung eines isolierten Bedürfnisses erfolgt, das von einem (zumeist physiologischen) mangel ausgeht. es ist klar, dass zur erklärung dieses Bedürfnisses nach grün ein anderes Konzept des gebrauchs herangezogen werden muss. lefebvres arbeiten bieten ein solches alternatives Konzept, das explizit in opposition zu funktionalistischen Konzepten formuliert wurde.

gebrauch ist, nach lefebvre, eine praxis der aneignung von raum, bei der die körperliche erfahrung hand in hand geht mit einer Interpretation. dieses Konzept ist inspiriert von einer Bemerkung nietzsches, die lefebvre in deutsch am ende des sechsten Kapitels der „la production de l’espace“ zitierte: „eure eignen Sinne sollt ihr zu ende denken“.82 lefebvres Konzept des gebrauchs ist eng verbunden mit seiner Definition der Räume der Repräsentation, verstanden als solche, „die gelebt werden durch die mit ihnen verbundenen Bilder und Symbole.“83 doch zei-gen seine Beschreibungen existierender räume der repräsentation (zum Beispiel der Innenräume einer Kathedrale oder einer modernen freizeiteinrichtung), dass sie nicht nur durch Symbole gelebt werden, sondern auch durch repräsentationen des raums. 84 es ist der gebrauch der räume der repräsentation, der die wahrgenom-menen, die gedachten und die gelebten aspekte des raums verbindet;85 ein raum der repräsentation wird erfahren (oder „gelebt“) durch seine wahrgenommene form und seine vorgestellte Bedeutung. lefebvre betont stets, dass keine der drei Komponenten, die in der erfahrung von raum beteiligt sind, eine unbedingte do-minanz über andere hat; alle drei verbinden eine relative abhängigkeit mit einer relativen autonomie.

der „platz“ in der rosenallee ist auch ein raum der repräsentation, an dem – während der politischen und kulturellen dominanz des sozialistischen regimes – der Besucher mit der beherrschenden repräsentation von nowa huta konfrontiert wurde: der einer sozialistischen Stadt. außer der entfernung des denkmals wurde dieser ort unmittelbar nach dem politischen wechsel von 1989 keinen größeren Veränderungen unterworfen. ein radikaler wandel war jedoch das ende der domi-

81 (01.37).82 Lefebvre, the production of Space, S. 399, Vgl. Friedrich Nietzsche, also sprach zaratustra,

in: „werke“ (II), frankfurt/main1972, S. 618.83 Lefebvre, la production de l`espace, S. 4984 für eine ausführlichere diskussion dieses aspekts von lefebvres theorie vgl. Stanek, the

production of urban space.85 Lefebvre, the production of Space, S. 220

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nanz einer repräsentation des raumes und die entfesselung einer Konkurrenz ver-schiedener repräsentationen von nowa huta. dies ist keine seltene Situation für räume der repräsentation die, wie lefebvre es fasst, keine „eindeutige“ Bedeu-tung, sondern „einen Horizont von Bedeutung haben: eine spezifische oder unend-liche Vielfalt von Bedeutungen, eine wechselnde hierarchie, in der bald die eine, bald die andere vorübergehend hervortritt, durch eine – und zugunsten einer – be-stimmten aktion“.86 diese „aktion“ ist nicht rein im situationistischen Sinn zu ver-stehen, sondern auch hinsichtlich rolle eines architektonischen entwurfs. es ist der architektonische entwurf, der zwischen verschiedenen konkurrierenden repräsen-tationen des raums vermittelt. ein derartiges Verständnis von architektonischer planung ist überraschend, doch klar präsent in den äußerungen der einwohner über den ort (sowohl bevor die neue planung präsentiert wurde als auch danach als Kri-tik an dem realisierten projekt). die analyse der repräsentationen von nowa huta ergibt, dass der einwohnerprotest gegen die planung zu verstehen ist als ein Verlan-gen nach dem aufbruch aus einer repräsentation von nowa huta – der repräsen-tation einer in der politischen opposition zwischen Sozialismus und antisozialis-mus gefangenen Stadt – durch die Herausstellung einer anderen einflussreichen repräsentation, nämlich der der „grünen Stadt“. letztere kann die erstere insofern ersetzen, weil sie sowohl weit verbreitet als auch die am wenigsten politisierte re-präsentation von nowa huta ist.87 wie wichtig für die formulierung dieser forde-rungen die medialen repräsentationen von nowa huta waren, lässt sich exem-plarisch daran zeigen, dass einer der artikel, die die neue planung kritisierten, illustriert war mit der reproduktion eines Bildes des rosengartens, das in den 1960er Jahren vor der errichtung des denkmals aufgenommen worden war (vgl. abb. 6).88

darüber hinaus ist das Votum für einen park statt für einen städtischen platz vielleicht als reaktion gegen das politisierte Verständnis von urbanität zu verste-hen, das die untersuchung der repräsentationen des raumes unter dem Sozialis-mus ergeben hat: Vor 1989 war in nowa huta „das urbane“ verbunden gewesen mit dem staatlichen projekt der „sozialistischen Stadt“, die mit der Industrialisie-rung, Modernisierung und kollektiven Konsum definiert wurde. Gleichzeitig trugen die repräsentationen des antisozialistischen nowa huta auch zu seinem städtischen charakter bei, da, auch wenn die motive der gegen das regime protestierenden auf aus dem ländlichen Kontext stammenden werten beruhten, doch die taktik der un-ruhen und demonstrationen gänzlich städtisch geprägt war. daher kann das Verlan-gen der anwohner nach einem park, ihr wunsch, jedes denkmal in der allee der rosen zu vermeiden und ihre zurückweisung der planung eines „paradeplatzes“, weniger als anti-urbanes gefühl denn als Versuch gelesen werden, „das Städtische“ von „dem politischen“ zu entkoppeln.89

86 Lefebvre, the production of Space, S. 22287 eine historische untersuchung des Konzeptes einer „grünen Stadt“ würde allerdings die Ver-

kürzung dieses Konzeptes durch das nationalsozialistische und das stalinistische regime erge-ben; die gründe dafür waren sowohl militärischer als auch ideologischer natur. (Vgl. Dietmar Reinborn, Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1996, S. 157).

88 (02.33)89 (96.13; 02.25)

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abb. 6: lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller - lückenfüller -

Selbst wenn zweifelhaft ist, ob eine solche entkoppelung möglich und wünschens-wert für nowa huta ist,90 so zeigte die analyse der rosenallee dass, nach dem fall des Sozialismus, die rollen der repräsentationen des raumes in den alltäglichen praktiken dem gegensatz von legitimierung oder opposition gegen das politische System entkommen. dies war nicht durch das aufkommen neuer repräsentationen des raumes bedingt – dieser artikel betont, dass in den 1990er Jahren die wichtigs-ten repräsentationen von nowa huta aus der sozialistischen Vergangenheit über-nommen waren –, sondern durch eine Verlagerung in den Kräfteverhältnissen in nowa huta. dabei wurde das duell zwischen dem regime und der opposition er-setzt durch multipolare Spannungen zwischen administrativen, politischen, kom-merziellen und kulturellen Kräften sowie verschiedenen gruppen von einwohnern. Vielleicht kann die zurückweisung der politischen repräsentationen der rosenal-lee, die in dem gegensatz zwischen Sozialismus und antisozialismus gefangen wa-ren, als ausdruck eines Verlangens verstanden werden, den städtischen alltag in nowa huta für eine neue Vielfalt von Bedeutungen zu öffnen.

90 Stanek, Simulation or hospitality.