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Die Produktivittswirkung von Augmented Reality in der Unikatfertigung 141
Die Produktivittswirkung von Augmented Reality in der
Unikatfertigung
Axel Friedewald, Philipp Sebastian Halata, Nikolaj Meluzov,
Hermann Ldding
Institut fr Produktionsmanagement und technik, Technische Universitt Hamburg
Die Unikatfertigung ist oftmals von einem hohen Anteil manueller Arbeit geprgt. Ein
wesentlicher Anteil der Mitarbeiterzeit dient der Informationsbeschaffung. Der Beitrag
zeigt auf, wie Augmented Reality dazu beitragen kann, den Aufwand fr die Informations-
beschaffung zu senken und die Produktivitt zu steigern.
1 Einleitung
Neben dem Anlagenbau ist in Deutschland insbesondere der Schiffbau von der Unikatpro-
duktion geprgt: Die deutschen Werften spezialisieren sich im internationalen Wettbewerb
auf kundenindividuelle Spezialschiffe, Luxusyachten und Kreuzfahrtschiffe. Eigner und
Passagiere erwarten stndig neue, einzigartige Attraktionen. Kreuzfahrtschiffe werde heute
beispielsweise mit Aussichtsgondel, Autoscooter oder Fallturm ausgestattet, so dass auch
Nachbauten desselben Schiffstyps einen hohen Anteil von Modifikationen aufweisen. Die
Kunden erwarten, dass sie nach Auftragserteilung und teilweise sogar nach Baubeginn noch
gravierende nderungen vornehmen drfen. Durch die Vielzahl der zu verbauenden Kom-
ponenten entsteht eine hohe Komplexitt, die sich im CAD-Modell bzw. den daraus abge-
leiteten 2D-Zeichnungen widerspiegelt. Die Fertigungs- und Montagezeichnungen stehen
wegen des hohen Arbeitsaufwands hufig erst spt zur Verfgung und enthalten oftmals
nicht alle Informationen, die fr die Durchfhrung der Arbeitsaufgabe erforderlich sind. Es
wird daher eine Lsung bentigt, die dem Werker die Informationen aufwandsarm und
anwenderfreundlich zur Verfgung stellt.
Die Lsungsidee ist eine digitale Arbeitsunterlage, die den Werker schrittweise durch den
Arbeitsprozess fhrt und ihm die bentigten Informationen anzeigt, beispielsweise mit
Hilfe eines Augmented-Reality-Tablets. Der Nachweis der Einsatzberechtigung fr diese
Technologie und des erreichten Verbesserungspotentials soll im Folgenden durch eine
systematische Produktivittsanalyse fr verschiedene Szenarien der Unikatproduktion
erbracht werden.
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2 Produktivittsanalyse der klassischen Fertigung
2.1 Generischer Arbeitszyklus
Um Verbesserungspotenziale in Arbeitsprozessen der Unikatfertigung aufdecken und
erschlieen zu knnen, wurde eine Produktivittsanalyse auf der Grundlage eines
generischen Arbeitszyklus entwickelt, der sowohl in direkten als auch in indirekten
Bereichen der Produktion einsetzbar ist (Tietze, Ldding 2013). Er bildet die Grundlage,
um unterschiedliche Ttigkeiten in einen idealtypischen Ablauf einordnen und dadurch
systematisch Produktivittspotenziale ableiten zu knnen. Der Arbeitsablauf fr die
direkten Bereiche umfasst die Phasen
- Informationsbeschaffung und -verarbeitung,
- Material- und Hilfsmittelbeschaffung,
- Bauteil- und Bauplatzvorbereitung,
- Durchfhrung und
- Nachbereitung.
Fr die indirekten Bereiche ist er analog anwendbar und wird um die Phase
Informationsweitergabe ergnzt. Fr die Datenerfassung kommen entweder Multimoment-
aufnahmen oder Zeitaufnahmen zum Einsatz, die sich durch spezifische Erfassungs-
hilfsmittel wie Tablet-, Smartphone- oder Desktop-Applikationen untersttzen lassen
(Tietze, Ldding 2014). Die (Arbeits-)Produktivitt, definiert als das Verhltnis von Output
zu Input eines Prozesses (Bokr06), kann dann aus der bezahlten Arbeitszeit und dem Ist-
Abgang ermittelt werden. Fr die Analyse der Produktivitt ist insbesondere die Verteilung
der Arbeitszeit relevant, weil der Abgang in der Regel vorgegeben ist.
2.2 Produktivittspotenzial der direkten Bereiche
Die Analyse von zwlf Werftbereichen im Schiffbau hat ergeben, dass der
Informationsversorgung eine Schlsselrolle zukommt: Die Werker verbringen hufig mehr
Zeit damit, die erforderlichen Informationen zu sammeln, als sie fr die eigentliche Durch-
fhrung der Arbeit bentigen (Abb. 1; Ldding, Friedewald 2014). In der
Informationsbeschaffung verursacht die konventionelle 2D-Konstruktionszeichnung einen
groen Teil des Aufwands: Erstens sind in den Zeichnungen eine Vielzahl an Informationen
auf begrenztem Raum komprimiert, so dass es schwierig ist, die erforderlichen
Informationen zu finden. Zweitens knnen nicht alle erforderlichen Mae eingezeichnet
werden, so dass der Werker die fehlenden Mae mit einem Lineal in der Zeichnung
abnehmen mu. Und drittens sind komplizierte, dreidimensionale Sachverhalte in der
Zeichnung nur schwer erkennbar, so dass die Mitarbeiter der Fertigung oftmals Wege ins
Meisterbro in Kauf nehmen, um sich am Bildschirm oder mit zustzlichen Ausdrucken
des Bildschirminhalts einen rumlichen Eindruck der Arbeitsaufgabe zu verschaffen.
Die Produktivittswirkung von Augmented Reality in der Unikatfertigung 143
Abbildung 1: Produktivittspotenziale im Schiffbau (Auswertung von 12 Werftbereichen mit
ca. 11.500 Stichproben (Ldding, Friedewald 2014)
2.3 Produktivittspotenzial der indirekten Bereiche
Die konventionelle Informationsversorgung mit Zeichnungen verursacht auch in den
indirekten Bereichen hohe Aufwnde: Aus den umfangreichen CAD-Modellen sind
Zeichnungen abzuleiten und um Informationen zu ergnzen, die fr die sptere Fertigung
und Montage erforderlich sind. Besonders aufwndig ist die grtenteils manuelle
Erstellung der Bemaungen zwischen den Bauteilen.
Eine Analyse des Aufwands in der Arbeitsvorbereitung ergab, dass fr die Erstellung der
oben beschriebenen, vor Ort eingesetzten komplexen 2D-Zeichnungen etwa 40 Prozent der
Arbeitszeit bentigt werden. Auch der Druck und die Verteilung der Zeichnungen ist mit
einem verhltnismig hohen Aufwand verbunden. Anders als in der Serienproduktion
knnen die genannten Aufwnde nicht auf eine Vielzahl von Produkten umgelegt werden.
3 Digitale Arbeitsunterlage
3.1 Augmented Reality
Augmented Reality (AR) ermglicht es, Zusatzinformationen wie Geometrie- und
Metainformationen in eine reale Umgebung einzublenden (Azuma 1997). Das AR-System
erzeugt eine grafische Ausgabe ber ein Anzeigemedium, z. B. eine AR-Brille oder einen
Tablet-Computer. Fr die Informationsversorgung in der Produktion haben AR-Gerte
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gegenber konventionellen Papierzeichnungen wesentliche Vorteile (van Krevelen,
Poelman 2010): Sie knnen dreidimensionale Geometrien besser veranschaulichen und
darber hinaus bietet AR die Mglichkeit, die Bauteilgeometrien am richtigen Ort und in
der richtigen Orientierung in die Realitt einzublenden. Vor dem Hintergrund einer bisher
eingeschrnkten Verfgbarkeit praxistauglicher AR-Brillen eignen sich Tablet-Computer
wegen des geringen Gewichts, hoher Rechenleistung und vielfltiger Schnittstellen
besonders als AR-Hardware fr den industriellen Einsatz (Bauernhansl, ten Hompel und
Vogel-Heuser, 2014).
3.2 Zeichnungsfreie Informationsversorgung
Die im Forschungsprojekt PROSPER entwickelte Digitale Arbeitsunterlage soll eine zeich-
nungsfreie Informationsversorgung vor Ort ermglichen.
Das Hauptaugenmerk bei der Entwicklung lag auf dem Bedarf der Werker, die relevanten
Informationen schnell finden und aufnehmen zu knnen und dadurch die komplexe Ar-
beitsaufgabe schneller zu verstehen (Halata, Friedewald, Ldding, 2014). Um dies zu er-
mglichen, wurden verschiedene Alternativen entwickelt, um die fr den jeweils nchsten
Arbeitsschritt erforderlichen Informationen anzuzeigen: ein CAD-Modus stellt die Informa-
tionen anhand eines 3D-Modells bereit, ein AR-Modus blendet die Informationen in die
Umgebung ein (Abb. 2). Die Datenversorgung erfolgt ber Konnektoren aus unterschied-
lichen Quellen, die derzeit vor Arbeitsbeginn angestoen wird. Die Anzeigefunktion wird
durch Werkzeuge zur Datenaufbereitung und effizienten Nutzung der Anwendung erwei-
tert.
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Abbildung 2: Einsatz der Digitalen Arbeitsunterlage (AR-Modus)
3.3 Augmented-Reality-Modus der Digitalen Arbeitsunterlage
Der Bildschirm der Digitalen Arbeitsunterlage (Abb. 3; Halata et al. 2015) zeigt das Live-
bild der Kamera und blendet zustzliche Geometrieinformationen ein. Fr die geometrisch
korrekte Anzeige der Informationen sind derzeit noch Marker in der Arbeitsumgebung
anzubringen und einzumessen. Am rechten Bildschirmrand kann der Werker aus der Bau-
teilliste das Bauteil auswhlen, dessen Geometrie die Software anzeigt. Ergnzend lassen
sich Zusatzinformationen wie Rohrdurchmesser oder Einbauanleitungen abrufen. Am
linken Bildschirmrand lassen sich ber eine Inhaltsauswahl weitere Informationen zuschal-
ten: Beispielsweise knnen alle weiteren zu verbauenden Teile oder der gesamte Inhalt des
Arbeitspakets angezeigt werden, um den endgltigen Zustand darzustellen. Die Bemaung
fr die ausgewhlte