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Die Regel von Bayes und der subjektive

Wahrscheinlichkeitsbegri

Anna GarrechtBoris Trupka

Ausarbeitung zum Vortrag im Blockseminar Stochastik(Wintersemester 2008/09, Leitung PD Dr. Gudrun Thäter)

Zusammenfassung: Unser Vortrag bildet die Einführung in das Seminar. Wir waren ge-spannt, was sich hinter dem Thema verbirgt. Als Einstieg in unser Thema zeigen wir, wowir auf Statistik im Alltag stoÿen und welche Tücken sich dahinter verbergen können. InAnlehnung an diese Tücken, die mit dem Verständnis der Wahrscheinlichkeitstheorie zusam-menhängen, stellen wir das Konzept von Riemer vor. Dieses enthält ebenso Kritik an der Be-handlung statistischer Fragestellungen in der Schule. Im weiteren Verlauf geht es vorwiegendum natürliche Intuitionen und deren Überprüfungen mit Hilfe eines wiederholt durchgeführtenExperiments bzw. mit Hilfe von mathematischen Berechnungen. Wir waren uns nicht sicher,auf welchem Wissensstand sich die anderen Seminarteilnehmer benden und haben daherBegrie der Wahrscheinlichkeitstheorie wiederholt, wodurch die Formel von Bayes hergelei-tet werden soll. So umfasst unser Vortrag leicht verständliche Experimente, deren Ausgängeintuitiv vorausgesagt werden sollen, sowie mathematische Hintergründe, mit denen die pri-mären Intuitionen überprüft und eventuell revidiert werden können. Nach der Herleitung undAnwendung der Formel von Bayes, geben wir zum Schluss einen Ausblick auf den Umgangmit statistischen Werkzeugen, mit welchen z.B. in der Wirtschaft gerechnet wird.

Inhaltsverzeichnis

1 Motivation 41.1 Sind Männer oder Frauen die besseren Autofahrer? . . . . . . . . . . . 41.2 Statistik im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . 5

2 Der subjektive Wahrscheinlichkeitsbegri 52.1 Primäre Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.2 Sekundäre Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.3 Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.4 Der subjektive Wahrscheinlichkeitsbegri . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.5 Eine heuristische Begründung der subjektiven Wahrscheinlichkeit . . . 7

3 Realisierung des Konzepts nach Riemer 73.1 N-facher Münzwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

3.1.1 Weg 1 über Intuition und experimentelle Versuche . . . . . . . . 83.1.2 Weg 2 über die Binomialverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 93.1.3 Der induktive und deduktive Weg im Vergleich . . . . . . . . . . 10

3.2 Zusammensetzung einer Urne schätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103.2.1 A priori Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113.2.2 Formale, wahrscheinlichkeitstheoretische Berechnung . . . . . . 113.2.3 Gegenüberstellung der beiden Vermutungen . . . . . . . . . . . 13

3.3 Fazit der beiden Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

4 Die Regel von Bayes und Intuition 134.1 Exkurs: Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . 14

4.1.1 Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144.1.2 Denitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144.1.3 Laplace-Experimente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154.1.4 Kombinatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154.1.5 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . 164.1.6 Bedingte Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164.1.7 Totale Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174.1.8 Formel von Bayes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

4.2 Iterierte Anwendung der Bayesschen Regel . . . . . . . . . . . . . . . . 184.2.1 Intuitive Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184.2.2 Deduktive Verfahrensweise mit Hilfe der Bayesschen Formel . . 204.2.3 Vergleich der beiden Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

4.3 Testen von Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

5 Resümee 24

2

Abbildungsverzeichnis

3.1 Baumdiagramm 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93.2 Baumdiagramm 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Tabellenverzeichnis

1 Werte der Durchfallquote Männer/Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Wahrscheinlichkeitsverteilung der primären Intuition . . . . . . . . . . 83 Wahrscheinlichkeitsverteilung nach Experiment . . . . . . . . . . . . . 84 Der induktive und deduktive Weg im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . 105 Auswertung der Schülergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Wahrscheinlichkeitsverteilung der 1. Vermutung . . . . . . . . . . . . . 127 Wahrscheinlichkeitsverteilung der 2. Vermutung . . . . . . . . . . . . . 128 Gegenüberstellung der beiden Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . 139 Bezeichnungen der Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . 1410 Kombinatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1611 Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit erste Ziehung weiÿ . . . . . . . . 1812 Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit zweite Ziehung weiÿ . . . . . . . 1913 Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit dritte Ziehung weiÿ . . . . . . . 1914 Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit vierte Ziehung weiÿ . . . . . . . 1915 Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit fünfte Ziehung rot . . . . . . . . 2016 Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2117 Lebensdauer der Lampen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2218 Auszug der Student t-Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3

1 Motivation

1.1 Sind Männer oder Frauen die besseren Autofahrer?

Durchfallquote spricht für Frauen am Steuer

Untersuchungen ergaben eine 25%igeDurchfallquote der Männer bei dem Versuch

den Autoführerschein zu erwerben.Die der Frauen lag nur bei 20%!

Liest man diesen ktiven Zeitungsartikel, neigt man leicht dazu, die Aussage zu ver-allgemeinern. Es entsteht das Bild, dass Frauen aufgrund eines ruhigeren Fahrstils o.ä.die Prüfung leichter bestehen als Männer. Dies ist jedoch ein Trugschluss, denn dieAussage wurde aufgrund der folgenden Tabelle getroen:

Männer Frauenbestanden gesamt Quote bestanden gesamt Quote

Tag 1 1 1 0% 7 8 12,5%Tag 2 2 3 33,3% 1 2 50%∑

3 4 25% 8 10 20%

Tabelle 1: Werte der Durchfallquote Männer/Frauen

Kennt man die Hintergründe der Daten, muss man die vorschnell entstandene Mei-nung revidieren. Es geht um zwei Prüfungstage einer Fahrschule. Am ersten Tag trittein Mann an und besteht. Nur sieben von acht Frauen bestehen an diesem Tag. Amnächsten Tag erlangen zwei von drei Männern ihren Führerschein und nur eine vonzwei Frauen. Betrachtet man jeden Tag für sich, schneiden jeweils die Männer besserab. Erst bei der Kombination der beiden Tage spricht die Quote für die Frauen. DiesesPhänomen nennt man das Simpson-Paradoxon. So kann man Daten in einem falschenLicht erscheinen lassen.1

1.2 Statistik im Alltag

Ein Mittel der modernen Medien aktuelle, vergangene oder zukünftige Ereignisse aus-zudrücken, sind Statistiken in Form von Diagrammen, Prozentangaben oder einfachnur Mengenangaben. Für jede Aussage wird ein passendes Schaubild gefunden, um dieentsprechenden Aussagen zu unterstreichen. Jedoch können hier durch Verschweigen zuGrunde liegender Faktoren oder geschicktes Zusammennehmen der gewünschten Werte(siehe Simpson-Paradoxon) die Aussage in eine gezielte Richtung gelenkt werden. Da-her sollten zur objektiven Auswertung immer bedacht werden, was hinter einer Aussagestecken kann.2

1vgl. [6]2vgl. [2], S. 9

4

1.3 Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Schule

Die Fähigkeit, Statistiken richtig zu interpretieren, muss allerdings erlernt werden.Dagegen beschränkt sich der Schulunterricht nach Riemer zum gröÿten Teil auf dasformale Herleiten von Axiomen, womit im Anschluss ganz formal Wahrscheinlichkeitenexplizit berechnet werden. Diese werden stur als einzig korrekte Lösung akzeptiert, oh-ne darüber ein Wort zu verlieren, dass die Binomialverteilung auch nur ein Modell istund dass daher auch bei diesem mengentheoretischen Formalismus die genauen Wahr-scheinlichkeiten immer noch verborgen bleiben.Mit anderen Worten ist dieser Unterrichtsvorgang rein deduktiv, wobei praktische An-sätze zum induktiven Lernen bereits im Keim erstickt werden.

Riemer bedauert vor allem, dass dieser Formalismus im Schulunterricht die Intuitionentscheidend abgewertet hat. Demnach werden in der Schule die Theorie der Kombina-torik und der Laplace-Wahrscheinlichkeit zum Leidwesen der Intuition überbewertet.Er stellt des weiteren fest, dass weder in der Unter- noch in der Mittelstufe von Hy-pothesen gesprochen wird und kritisiert daran vor allem, dass die subjektiven Wahr-scheinlichkeiten in der Regel überhaupt nicht thematisiert werden.Als logische Konsequenz aus dieser Situation treten bei den Schülern in der Test- undSchätztheorie schwerwiegende Verständnisschwierigkeiten auf, die sich nur mit viel Ar-beit beheben lassen. Um diese Lücken zu schlieÿen, favorisiert Riemer einen problem-orientierten Zugang zur Stochastik bzw. zur Statisik, der bereits in unteren Klassenohne groÿe mengentheoretische Vorkenntnisse durchgeführt werden kann.3

2 Der subjektive Wahrscheinlichkeitsbegri

Um der weiteren Argumentation von Riemer folgen zu können, müssen hier einige Be-grie näher erläutert werden. Zuerst wird erklärt, was in diesem Kontext mit Intuitioneigentlich gemeint ist und wie ausgehend davon der Kernbegri der subjektiven Wahr-scheinlichkeit zu verstehen ist.

2.1 Primäre Intuition

Jeder Mensch hat aufgrund seiner alltäglichen (Vor-)Erfahrungen Intuitionen. Riemerstellt fest, dass solche Intuitionen auch schon sehr früh bei Kindern im Alter von 4 Jah-ren vorhanden sind - wenn auch nur in Ansätzen ausgeprägt. Diese Intuitionen werdenbei jeder neuen Erfahrung stetig weiterentwickelt. Jedoch sind diese ersten Erfahrungenmit Zufällen und Wahrscheinlichkeiten lediglich auf vom Kind erlebte konkrete Hand-lungen beschränkt. Sie stammen also aus der individuellen (subjektiven) Einschätzungder Kinder, so wie die Kinder sie dem Alltag entnehmen.Um jedoch später schwer korrigierbare Fehlintuitionen zu vermeiden, plädiert Riemerdazu, stochastische Denkweisen schon sehr früh in der Primarstufe gezielt einzusetzenund denkt dabei unter Verzicht auf jeden formalen Apparat4 an gute Spiele5.

3vgl. [3], S.16-184vgl. [3], S. 525vgl. [3], S. 52

5

Dadurch sollen die ersten, primären Intuitionen der Kinder, die eben ohne systema-tische Schulung durch langfristigen Kontakt mit der Realität erworben wurden, indie richtige Richtung geleitet werden. Den schon sehr frühen Einstieg in die Welt derWahrscheinlichkeiten ab der Primarstufe hält er auch deshalb für sinnvoll, da seinerMeinung nach Schüler spontan bereit sind, subjektive Wahrscheinlichkeitsverteilungenzu formulieren. Ebenfalls sind sie oen dafür, nach Kenntnisnahme von Indizien6, diesich zum Beispiel aus mehrfach durchgeführten Experimenten ergeben, ihre Hypothe-sen zu revidieren und neu zu formulieren.

2.2 Sekundäre Intuition

Diese neue Einsicht, die aus systematischen Lehr- und Lernprozessen erworben wird,ermöglicht es den Schülern, die engen, endogenen Grenzen ihrer persönlichen Betrach-tung zu überschreiten und globalere Sichtweisen anzunehmen. Ihre primären Intuitio-nen werden also hinterfragt und anschlieÿend an die neuen Erfahrungen so angepasst,dass sie den experimentellen Ergebnissen nicht widersprechen.7 Auch die neuen Hy-pothesen werden nach weiteren Versuchen immer wieder revidiert bis sie fast mit denrelativen Häugkeiten übereinstimmen. Dadurch bekommen sie nach Riemer den Cha-rakter wissenschaftlicher Wahrheiten8; d.h. die subjektiven Wahrscheinlichkeiten sindobjektiv geworden.9

2.3 Modellierung

Modelle dienen allgemein der Vereinfachung von gegebenen Tatsachen und helfen, Pro-bleme zu lösen, die sich auf reelle Situationen beziehen.In der Stochastik bzw. Statistik sind nach Fischbein daher Baumdiagramme eine idealeLernmethode, um sekundäre Intuitionen zu begründen. Schlieÿlich visualisieren sie dieProblematik und vereinfachen so die Fragestellung. Die Wahrscheinlichkeitsbäume sindauch daher heuristisch geschickt, weil sie in sich konsistent sind und deren Bedeutungfür die Schüler induktiv leicht zu erschlieÿen ist. Sie regen nach Fischbein eektivesDenken an und schaen bei den Schülern ein aktives Verständnis.10

2.4 Der subjektive Wahrscheinlichkeitsbegri

Wahrscheinlichkeiten sind prinzipiell nur plausible Vorhersagen für ein eintreendes Er-eignis. Scheid deniert somit die Wahrscheinlichkeit als beste Schätzung (Voraussage)für die zu erwartende relative Häugkeit in einer langen Versuchsreihe11. Der subjek-tive Wahrscheinlichkeitsbegri wird daher auch nicht nur auf feststehende Grenzwerterelativer Häugkeiten reduziert, sondern hat seine Natur in formulierten Hypothesen,die gegenüber der Wahrscheinlichkeitstheorie von Laplace gleichberechtigt sind.

6vgl. [3], S.537vgl. [3], S.18 und S.218vgl. [3], S.539vgl. [3], S.4110vgl. [3], S. 55-5711vgl. [3], S.26

6

Ein entscheidender Unterschied zu dem frequentistischen Wahrscheinlichkeitsbegri istdie Tatsache, dass bei der Gleichverteilung von Einzelereignissen in der Regel vonSymmetrien ausgegangen wird, während relative Häugkeiten im Allgemeinen nur an-nähernd diese Symmetrie aufweisen.12

2.5 Eine heuristische Begründung der subjektiven Wahrscheinlichkeit

Riemer begründet den Einsatz der subjektiven Wahrscheinlichkeit im Unterricht heu-ristisch (altgr.: heurísko: ich nde; heuriskein: (auf-)nden, entdecken), da manüber sie mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen kommt.13

Dieser Ansatz ist daher tragbar, da, wie bereits im Verlauf der Ausarbeitung deutlichwurde, auch über die Laplace-Wahrscheinlichkeit niemals die exakte Lösung eines Ex-periments vorauszusehen ist, sondern lediglich beste Schätzungen für den Ausgang desVersuchs prognostiziert werden können.

3 Realisierung des Konzepts nach Riemer

Wie in Kapitel 2 schon geschildert wurde, geht Riemer davon aus, dass bereits jungeSchüler durchaus in der Lage sind, intuitiv spontane verwertbare (a priori) Hypothesenaufzustellen und zu begründen.14

Demnach zieht er dem mengentheoretischen Formalismus eine induktive Lernmetho-de als Einstieg in die Stochastik vor, wodurch der zentrale durch Alltagssituationengeprägte subjektive Wahrscheinlichkeitsbegri weiterentwickelt werden soll. Durch ak-tives Schätzen, Diskussion über im Unterricht formulierte Hypothesen und die even-tuelle Revision bzw. Verfeinerung dieser Vermutungen sollen die Schüler ein tieferesVerständnis für das Gebiet der Stochastik erlangen.15

Auch Bruner favorisiert die Lernmethode, den Schülern zuerst ein intuitives Verständniszu vermitteln, bevor sie mit den formalen Deduktionsmethoden der Stochastik bekanntgemacht werden.16

Im Klartext soll im Unterricht bereits ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten entwickeltwerden, indem zuerst über die gegebene Situation diskutiert wird. Von dieser Basis aussollen erste subjektive Hypothesen formuliert werden. Durch eine endlich lange Ver-suchsreihe wird im Anschluss der frequentistische Wahrscheinlichkeitsbegri themati-siert. Am Ende eines n-mal durchgeführten Vorgangs sollen die spontan geäuÿertenHypothesen kritisch hinterfragt werden und gegebenenfalls revidiert werden. Danachwerden neue (a posteriori) Hypothesen aufgestellt, die sich mit den Ergebnissen desExperimentes vereinbaren lassen .Jedoch muss auf folgendes hingewiesen werden: Auch die Hypothese nach einem be-liebig oft durchgeführten Vorgang ist immer noch nicht ohne jeden Zweifel richtig; dierelative Häugkeit ist also keine allgemeingültige Lösung. Allerdings muss auch betont

12vgl. [3], S.26-2713vgl. [7]14vgl. [3], S.1815vgl. [3], S.16-1716vgl. [3], S.55

7

werden, dass man auch durch simples Ausrechnen mittels stochastischer Algorithmenkeine 100% verlässliche Lösung erhält.17

Was oftmals nicht explizit formuliert wird, ist die Tatsache, dass auch die Laplace-Hypothese nicht unangreifbar ist, schlieÿlich liefert sie auch nur eine - wenn auchplausible- Annahme für den Ausgang eines Versuchs.18 Daher stellt Riemer fest, dassneben ihr auch andere Hypothesen verwertbar sind und ihre Berechtigung haben.19

3.1 N-facher Münzwurf

Eine faire Münze wird viermal geworfen. Es stellt sich die Frage nach der Wahrschein-lichkeit, dass kein einziges Mal Kopf, einmal Kopf, zweimal Kopf, dreimal Kopf bzw.viermal Kopf geworfen wird.20

3.1.1 Weg 1 über Intuition und experimentelle Versuche

Um diese Frage innerhalb des Seminars zu beantworten, soll das Ergebnis zuerst intui-tiv geschätzt werden.

Primäre Intuition:

Nach kurzer Bedenkzeit einigt man sich auf folgende Wahrscheinlichkeitsverteilung ei-ner Seminarteilnmehmerin:

0 1 2 3 4Intuition 0,05 0,25 0,4 0,25 0,05

Tabelle 2: Wahrscheinlichkeitsverteilung der primären Intuition

Betrachtet man die Verteilung der Seminarteilnehmerin, sieht man, dass sie die Gleich-verteilung berücksichtigt und daher die Werte symmetrisch angeordnet hat.

Frequentistische Wahrscheinlichkeitsverteilung:

Im Anschluss geben wir das Ergebnis aus einem 200-mal durchgeführten Experimentan.21 Dies führt zu folgender Häugkeitsverteilung:

0 1 2 3 4Experiment 0,055 0,245 0,405 0,235 0,06

Tabelle 3: Wahrscheinlichkeitsverteilung nach Experiment

Revidierte Intuition:

Da die Werte der primären Intuition und die des Experiments schon sehr nahe beiein-ander liegen, kann auf eine weitere Revision der Wahscheinlichkeiten verzichtet werden.

17vgl. [3], S.1718vgl. [3], S.2219vgl. [3], S.20 und S.2220vgl. [3], S.2021vgl. [3], S.21

8

Die Ursache für diese guten Werte kann man wohl darauf zurückführen, dass die pri-märe Intuition bei Studenten schon so verfeinert ist, dass solche einfachen Fragen sehrgenau beantwortet werden können. Für den Unterricht in der Schule ist allerdings zuerwarten, dass aufgrund mangelnder Erfahrung die primären Intuitionen der Schülerrediviert werden müssen.

3.1.2 Weg 2 über die Binomialverteilung

Wir konstruieren ein Baumdiagramm mit insgesamt 16 unterschiedlichen Pfaden undberechnen nun explizit die jeweiligen Ereignisse:

Abbildung 3.1: Baumdiagramm 1

Da beide Einzelereignisse K und Z gleich wahrscheinlich sind, ergibt sich für dieEreignisse A := viermal Kopf bzw. B := kein einziges mal Kopf folgende Wahr-scheinlichkeiten:

P (A) = P (B) = (12)4 = 0, 0625

Aufgrund der Tatsache, dass je Ereignis C := einmal Kopf, D := zweimal Kopfund E := dreimal Kopf jeweils mehrere Pfade möglich sind, kommt für die Berech-nung der zugehörigen Wahrscheinlichkeiten der Binomialkoezient ins Spiel.

Es ergeben sich folgende Pfade:

Ereignis C : ZZZK, ZZKZ, ZKZZ, KZZZ⇒ 4 Möglichkeiten

Ereignis D : ZZKK, ZKKZ, KKZZ, KZKZZKZK, KZZK⇒ 6 Möglichkeiten

Ereignis E : ZKKK, KZKK, KKZK, KKKZ⇒ 4 Möglichkeiten

9

Dadurch ergeben sich folgende Wahrscheinlichkeiten:

P (C) =(41

) (12

)4= 0, 25

P (D) =(42

) (12

)4= 0, 375

P (E) =(43

) (12

)4= 0, 25

3.1.3 Der induktive und deduktive Weg im Vergleich

0 1 2 3 4Intuition 0,05 0,25 0,4 0,25 0,05

Experiment 0,055 0,245 0,405 0,235 0,06Revidierte Intuition 0,05 0,25 0,4 0,25 0,05Binomialkoezient 0,0625 0,25 0,375 0,25 0,0625

Tabelle 4: Der induktive und deduktive Weg im Vergleich

Die Tabelle zeigt vor allem, dass die Ergebnisse der (revidierten) intuitiven Wahr-scheinlichkeiten nur geringfügig von den Wahrscheinlichkeiten abweichen, die mittelsBinomialverteilung ermittelt wurden. Da von einer fairen Münze ausgegangen wird,d.h. Kopf und Zahl sind gleichwahrscheinlich, wird von den Schülern in der Regel auchintuitiv eine symmetrische Wahrscheinlichkeitsverteilung angenommen, obwohl das ex-perimentelle Ergebnis nur in den seltensten Fällen eine solche Symmetrie aufweisenwird. Ebenso ist die Binomialverteilung dieses Laplace-Experimentes symmetrisch,d.h.: P (ω)= P (4-ω).

3.2 Zusammensetzung einer Urne schätzen

Gegeben ist jetzt eine Urne mit roten (r) und weiÿen (w) Kugeln. Allerdings ist nichtbekannt, wie viele rote bzw. weiÿe Kugeln in dieser Urne sind. Pro Versuch werden (mitZurücklegen) 4 Kugeln herausgeholt. Nach den experimentell durchgeführten Ergebnis-sen der relativen Häugkeitsverteilungen soll die Zusammensetzung intuitiv geschätztwerden. Drei verschiedene Schülergruppen führten dieses Experiment 100-mal durchund notierten das folgende Ergebnis:22

keine rote eine rote zwei rote drei rote vier roteGruppe I 0,2 0,35 0,30 0,15 0,0Gruppe II 0,17 0,48 0,17 0,12 0,06Gruppe III 0,21 0,38 0,34 0,07 0,0

Gesamtauswertung 0,1933 0,4033 0,27 0,1133 0,02

Tabelle 5: Auswertung der Schülergruppen

22vgl. [3], S.22-23

10

3.2.1 A priori Intuition

Angesichts der experimentellen Ergebnisse kann nun eine symmetrische Verteilung aus-geschlossen werden. Jedoch lässt sich als Grundhypothese, die sich mit allen Ergebnis-sen der drei Gruppen deckt, festhalten:

Die Urne enthält wohl mehr weiÿe als rote Kugeln.

In Anlehnung an die relative Häugkeitsverteilung der Experimente werden nun zweiHypothesen aufgestellt:

1.Vermutung : ein Viertel ist rot, der Rest ist weiÿ2.Vermutung : ein Drittel ist rot, der Rest ist weiÿ

3.2.2 Formale, wahrscheinlichkeitstheoretische Berechnung

Die beiden oben formulierten (a priori) Vermutungen können nun rechnerisch hinter-fragt bzw. veriziert werden. Die Konstruktion eines Wahrscheinlichkeitsbaums hilftdabei, die verschiedenen, denkbaren Möglichkeiten der Anordnung für jedes Ereignisdurch die insgesamt 16 Pfade zu visualisieren.

Abbildung 3.2: Baumdiagramm 2

Somit können die einzelnen Wahrscheinlichkeiten der Ereignisse mit der Binomialver-teilung leicht berechnet werden:

11

1.Vermutung : ein Viertel ist rot, der Rest ist weiÿ

P (keine rote) =(40

) (34

)4= 0, 3164

P (eine rote) =(41

) (14

) (34

)3= 0, 4219

P (zwei rote) =(42

) (14

)2 (34

)2= 0, 2109

P (drei rote) =(43

) (14

)3 (34

)= 0, 0469

P (vier rote) =(44

) (14

)4= 0, 0039

ω 0 1 2 3 4∑

ωB4, 1

4(ω) 0,3164 0,4219 0,2109 0,0469 0,0039 1

Tabelle 6: Wahrscheinlichkeitsverteilung der 1. Vermutung

2. Vermutung : ein Drittel ist rot, der Rest ist weiÿ

P (keine rote) =(40

) (23

)4= 0, 1975

P (eine rote) =(41

) (13

) (23

)3= 0, 3951

P (zwei rote) =(42

) (13

)2 (23

)2= 0, 2963

P (drei rote) =(43

) (13

)3 (23

)= 0, 0988

P (vier rote) =(44

) (13

)3= 0, 0123

ω 0 1 2 3 4∑

ωB4, 1

3(ω) 0,1975 0,3951 0,2963 0,0988 0,0123 1

Tabelle 7: Wahrscheinlichkeitsverteilung der 2. Vermutung

12

3.2.3 Gegenüberstellung der beiden Vermutungen

Im Folgenden werden die Ergebnisse aus den Experimenten und die aus den Vermu-tungen miteinander verglichen.

ω 0 1 2 3 4∑

ωrelative Häugkeiten 0,1933 0,4033 0,27 0,1133 0,02 1(nach 300 Versuchen)

1. Vermutung 0,3164 0,4219 0,2109 0,0469 0,0039 1(Verhältnis 1:3)2. Vermutung 0,1975 0,3951 0,2963 0,0988 0,0123 1(Verhältnis 1:2)

Tabelle 8: Gegenüberstellung der beiden Vermutungen

Folgerung:

Die zweite Vermutung lässt sich mit dem Ergebnis der relativen Häugkeiten gut ver-einbaren. Die erste Vermutung weicht dagegen stark von dem Versuchsergebnis ab undkann daher verworfen werden.

3.3 Fazit der beiden Beispiele

Anhand dieser beiden Beispiele soll deutlich geworden sein, dass der subjektive Wahr-scheinlichkeisbegri durchaus tragfähig ist. Auch wenn die verschiedenen Wahrschein-lichkeitsbegrie prinzipiell unterschiedliche Ansätze gehen, decken sich die Ergebnisseder weiterentwickelten subjektiven Wahrscheinlichkeit weitestgehend sowohl mit derfrequentistischen Wahrscheinlichkeit, die sich aus den relativen Häugkeiten ergibt, alsauch mit der Laplace-Wahrscheinlichkeit. Der Vorteil an dem subjektiven Wahrschein-lichkeitsbegri ist jedoch vor allem der, dass durch seine Verwendung statistischesDenken vorbereitet wird. Somit ist er auch für das Verständnis der Bayesschen Formelwichtig, was im nächsten Kapitel deutlich werden soll.23

Ziel wird es im weiteren Verlauf der Arbeit dann sein, Riemers Vorschlag zu untermau-ern, selbst die Bayessche Formel bei geeigneter Darstellung schon in unteren Stufeneinzusetzen, da sie entscheidungstheoretische Grundgedanken vorbereitet.24

4 Die Regel von Bayes und Intuition

Wenn auch im Anfangsstudium der Wahrscheinlichkeitstheorie die Laplacesche Theorienoch gut verständlich ist, so stöÿt sie doch auf einem höheren Niveau an ihre Grenzen,denn während der objektivistische Wahrscheinlichkeitsbegri an Urne und Glücksradorientiert ist, braucht die Formel von Bayes den subjektiven Wahrscheinlichkeitsbegri,der in den vorangegangenen Kapiteln thematisiert wurde.25

Bei der Anwendung der Bayesschen Formel dienen a posteriori Wahrscheinlichkeitenvorheriger Revisionen als a priori Wahrscheinlichkeiten späterer Revisionen. Im Verlauf

23vgl. [3], S.2624vgl. [3], S.5025vgl. [3], S.16

13

der Versuchsreihe sollen daher Entscheidungen gefällt werden, die auch das Risiko einerFehlentscheidung in Kauf nehmen.26

4.1 Exkurs: Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie

Um zu gewähren, dass alle Seminarteilnehmer den gleichen Wissensstand haben, sollhier kurz ein kleiner Exkurs in die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorie einge-schoben werden, um damit die Formel von Bayes deduktiv herzuleiten.

4.1.1 Wahrscheinlichkeitstheorie

Aus der Kombinatorik und der mathematischen Statistik wird das Teilgebiet der Sto-chastik zusammengesetzt. Diese wird mengentheoretisch formuliert und auf axiomati-schen Vorgaben aufgebaut. Ereignisse werden als Mengen aufgefasst und dem Eintreteneines Ereignisses wird eine Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 zugeordnet.

4.1.2 Denitionen

In der Wahrscheinlichekeitstheorie werden folgenden Bezeichnungen festgelegt:

Ω Menge aller möglichen Ereignisse:Stichprobenraum

unmögliches EreignisA EreignisA σ - Algebra

P (Ω) Potenzmenge(Ω,A, P ) Wahrscheinlichkeitsraum

Tabelle 9: Bezeichnungen der Wahrscheinlichkeitstheorie

Denition: (Wahrscheinlichkeitsverteilung)Eine Abbildung P von P(Ω) in [0, 1] heiÿt Wahrscheinlichkeitsverteilung / Wahrschein-lichkeitsmaÿ, falls gilt:

1. P(Ω) = 1

2. P (A) ≥ 0 für alle A

3. P (A ∪B) = P (A) + P (B) für alle disjunkten A,B 27

Bemerkung:

Zwei Mengen A und B heiÿen disjunkt, falls sie kein gemeinsames Element besitzen.

26vgl. [3], S.3227vgl. [1], S.2-3

14

Denition: (σ - Algebra)Sei Ω 6= . Eine Familie A von Teilmengen von Ω heiÿt σ - Algebra, wenn gilt:28

1. Ω ∈ A

2. A ∈ A ⇒Ac ∈ A

3. A1, .., An∈ A ⇒∪An ∈ A

4.1.3 Laplace-Experimente

Unter einem Laplace-Experiment versteht man ein Zufallsexperiment mit der Annah-me, dass dessen Ausgänge alle gleichwahrscheinlich sind.29

Traditionelles Beispiel hierfür ist der faire Würfel. Bei einem Wurf ist jede Zahl gleich-wahrscheinlich zu würfeln, nämlich jeweils 1

6. Sei:

|A| := Anzahl der günstigen Möglichkeiten und|Ω| := Anzahl aller Möglichkeiten.

Dann gilt allgemein für die Wahrscheinlichkeit eines Laplace Experiments:

P (A) = |A||Ω|

Beispiel: zweimaliges WürfelnSei A das Ereignis, dass die Augensumme der beiden Würfe 8 ergibt, also gilt:

Ω = 1, 2, 3, 4, 5, 62

A = (2, 6), (6, 2), (5, 3), (3, 5), (4, 4)

Anzahl der günstigen Fälle: |A| = 5Anzahl aller möglichen Fälle: |Ω| = Ω2 = 36

P (A) = |A||Ω| = 5

36= 0, 14

4.1.4 Kombinatorik

Die Kombinatorik beschäftigt sich mit der Bestimmung der Zahl möglicher Anordnun-gen von unterscheidbaren oder nicht unterscheidbaren Ereignissen die mit oder ohneBeachtung der Reihenfolge berechnet werden.30

28vgl. [1], S.12829vgl. [1], S.530vgl. [1], S.9

15

mit Zurücklegen ohne Zurücklegen

in Reihenfolge nr n(n− 1)..(n− r + 1)

ohne Reihenfolge(

n+r−1r

) (nr

)Tabelle 10: Kombinatorik

Beispiel: Lotto 6 aus 49Sei |A| die Anzahl der Möglichkeiten 6 verschiedene Zahlen aus 49 zu kombinieren. DasZiehen erfolgt ohne Zurücklegen und ohne Reihenfolge:

|A| =(496

)= 13.983.816

4.1.5 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung

In den Wahrscheinlichkeitsverteilungen wird angegeben, wie sich die möglichen Zufalls-ergebnisse verteilen. Sie stellt das Gegenstück zur Häugkeitsverteilung dar, die sichaus der Analyse von Messwerten ergibt. Es wird zwischen diskreten und stetigen Ver-teilungen unterschieden.Diskrete Verteilungen konzentrieren sich auf endliche oder abzählbare Mengen. Bei-spiele für diskrete Verteilungen sind die Binomialverteilung und die hypergeometrischeVerteilung. Sie beschreiben die Anzahl der Erfolge beim Ziehen aus einer Urne mit undohne Zurücklegen.

4.1.6 Bedingte Wahrscheinlichkeit

Die bedingte Wahrscheinlichkeit ist die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Er-eignisses A unter der Bedingung dass B bereits eingetreten ist. Sie wird mit P (A|B)bezeichnet.

Denition:

Seien A und B zwei Ereignisse und P (B) > 0, dann ist die bedingte Wahrscheinlichkeitvon A gegeben B deniert durch:

P (A|B) :=P (A ∩B)

P (B)(4.1)

Beispiel: Ziehen aus einer UrneAus einer Urne mit 5 Kugeln (2 weiÿe und 3 schwarze) wird zweimal gezogen. Gegebensind die Ereignisse A und B:

16

A := zweite Kugel ist schwarzB := erste Kugel ist weiÿ

Den Kugeln werden Nummern zugeordnet: weiÿe Kugeln: 1,2 schwarze Kugeln 3,4,5

A ∩B = (1, 3), (1, 4), (1, 5), (2, 3), (2, 4), (2, 5)B = (1, 2), (1, 3), (1, 4), (1, 5), (2, 1), (2, 3), (2, 4), (2, 5)

⇒ |A ∩B| = 6

|B| = 8

⇒ P (A|B) =P (A ∩B)

P (B)=

625825

=6

8=

3

4

4.1.7 Totale Wahrscheinlichkeit

Denition:

B1, B2... heiÿt Zerlegung von Ω, wenn die Bk disjunkt sind und⋃

k Bk = Ω. Für jedeZerlegung und jedes Ereignis A gilt:

P (A) =∑

k

P (A|Bk)P (Bk) (4.2)

Beispiel: Ziehen von zwei Karten aus einem Skatblatt

Wir betrachten folgende Ereignisse:

A := Ass im 2. ZugB1 := Ass im 1. ZugB2 := kein Ass im 1. Zug

Mittels Formel (4.1) können wir die Wahrscheinlichkeit von A nun leicht berechnen:

P (A) = P (A|B1)P (B1) + P (A|B2)P (B2) =331

432

+ 431

2832

= 18

4.1.8 Formel von Bayes

Wir greifen das Beispiel aus 4.1.7 noch einmal auf und stellen die Frage: Wie groÿ istdie Wahrscheinlichkeit im ersten Zug ein ein Ass zu ziehen, wenn im zweiten ein Assgezogen wurde? Oensichtlich gilt:

P (B1|A)=P (B1∩A)P (A)

= P (A|B1)P (B1)P (A|B1)P (B1)+P (A|B2)P (B2)

=331

432

18

= 0, 097

17

Die hier verwendete Idee lässt sich ganz allgemein formulieren. Aus den Formeln (4.1)und (4.2) folgt für jedes Element Bi einer Zerlegung von Ω, dass:

P (Bi|A) =P (Bi)P (A|Bi)∑k P (Bk)P (A|Bk)

(4.3)

4.2 Iterierte Anwendung der Bayesschen Regel

Wir wollen folgendes Beispiel betrachten: Es werden 3 Tüten mit roten und weiÿenKugeln in folgender Weise gefüllt.

Tüte I: alle Kugeln sind weiÿTüte II: 75% sind weiÿ, 25% rotTüte III: 25% sind weiÿ, 75% rot

Aus einer dieser Tüten werden (mit Zurücklegen) Proben entnommen. Die Aufgabe istes nun mit einer möglichst geringen Irrtumswahrscheinlichkeit Prognosen aufzustellen,welche Tüte gewählt worden ist. Zu Beginn wird dabei davon ausgegangen, dass a priorijede Tüte gleichwahrscheinlich ist, also wird jede Tüte zu 33,3% gezogen.

4.2.1 Intuitive Prognosen

Erste Ziehung: Das erste Mal wird eine weiÿe Kugel gezogen.

Tüte I scheint am wahrscheinlichsten zu sein, Tüte III wird eher als unwahrscheinlicheingeordnet. Nach kurzer Beratung einigt man sich innerhalb der Gruppe auf folgendesubjektive Wahrscheinlichkeitsverteilung:

Farbe Tüte I Tüte II Tüte III0,33 0,33 0,33

w 0,5 0,375 0,125

Tabelle 11: Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit erste Ziehung weiÿ

18

Zweite Ziehung: Das zweite Mal wird wieder eine weiÿe Kugel gezogen.

Damit verstärkt sich die Annahme, dass die Kugeln aus Tüte I stammen, aber auchdie Wahrscheinlichkeit für Tüte II steigt. Die Möglichkeit, dass aus Tüte III die Kugelngezogen wurden, wird dagegen noch geringer. Man einigt sich auf folgende Wahrschein-lichkeitsverteilung:

Farbe Tüte I Tüte II Tüte III0,33 0,33 0,33

w 0,5 0,375 0,125w 0,55 0,4 0,05

Tabelle 12: Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit zweite Ziehung weiÿ

Dritte Ziehung: Auch das dritte Mal wird eine weiÿe Kugel gezogen.

Dies weist immer mehr auf Tüte I bzw. II hin. Dass aus Tüte III dreimal hinter-einander eine weiÿe Kugel gezogen wird, scheint jedoch sehr unwahrscheinlich zu sein,was zu der neuen Wahrscheinlichkeitsverteilung führt:

Farbe Tüte I Tüte II Tüte III0,33 0,33 0,33

w 0,5 0,375 0,125w 0,55 0,4 0,05w 0,57 0,41 0,02

Tabelle 13: Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit dritte Ziehung weiÿ

Vierte Ziehung: Die vierte Kugel ist weiÿ.

Man könnte nun geneigt sein anzunehmen, dass am Anfang Tüte I ausgewählt wurde.Allerdings scheint auch noch Tüte II denkbar zu sein, die Wahrscheinlichkeit, dass dieProben trotz allem aus Tüte III stammen, ist mittlerweile verschwindend klein. Diekorrigierte Verteilung ist deshalb:

Farbe Tüte I Tüte II Tüte III0,33 0,33 0,33

w 0,5 0,375 0,125w 0,55 0,4 0,05w 0,57 0,41 0,02w 0,62 0,37 0,01

Tabelle 14: Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit vierte Ziehung weiÿ

19

Wenn man sich jetzt in Anbetracht der Ziehungen für Tüte I entscheidet, bleibt jedochimmernoch eine subjektive Irrtumswahrscheinlichkeit von knapp 40%. Um jedoch si-cher zu sein, wird eine weitere Proben entnommen.

Fünfte Ziehung: Unerwartet wird im fünften Zug eine rote Kugel gezogen.

Die schon sicher geglaubte Vermutung, dass aus Tüte I gezogen wurde, kann damitzu 100% ausgeschlossen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass am Anfang Tüte I aus-gewählt wurde, ist also 0. Da jedoch anscheinend deutlich mehr weiÿe als rote Kugelnin der Tüte sind, liegt folgende Wahrscheinlichkeitsverteilung nahe:

Farbe Tüte I Tüte II Tüte III0,33 0,33 0,33

w 0,5 0,375 0,125w 0,55 0,4 0,05w 0,57 0,41 0,02w 0,62 0,37 0,01r 0 0,8 0,2

Tabelle 15: Ergänzung mit der Wahrscheinlichkeit fünfte Ziehung rot

Die Entscheidung für Tüte II wäre immer noch mit einer subjektive Irrtumswahrschein-lichkeit von 20% belegt. Um die intuitiv erfolgten Wahrscheinlichkeitsverteilungen zuüberprüfen, werden nun im Anschluss mit der Formel von Bayes die Wahrscheinlich-keitsverteilungen nach jedem Zug explizit berechnet.

4.2.2 Deduktive Verfahrensweise mit Hilfe der Bayesschen Formel

Revision nach Bayes:

Exemplarisch für die Rechnungen in diesem Beispiel wird nun die Wahrscheinlichkeitfür die einzelnen Tüten nach der ersten Ziehung (Kugeln ist weiÿ) errechnet. Dazuvereinbaren wir folgende Abkürzungen:

A := Kugel ist weiÿ (w)B1:= Kugel stammt aus Tüte I (I)B2:= Kugel stammt aus Tüte II (II)B3:= Kugel stammt aus Tüte III (III)

20

⇒ P (w) = P (w|I)P (I) + P (w|II)P (II) + P (w|III)P (III)

= 1 · 1

3+

3

4· 1

3+

1

4· 1

3=

8

12

P (I|w) =P (w|I)P (I)

P (w)=

13812

=1

2

P (II|w) =P (w|II)P (II)

P (w)=

312812

=3

8

P (III|w) =P (w|III)P (III)

P (w)=

112812

=1

8

4.2.3 Vergleich der beiden Ergebnisse

Errechnet man nun sukzessive die bedingten Wahrscheinlichkeiten mit Hilfe der Formelvon Bayes, ergibt sich folgende Gegenüberstellung:

persönliche Intuition Revision nach BayesFarbe Tüte I Tüte II Tüte III Tüte I Tüte II Tüte III

0,33 0,33 0,33 0,33 0,33 0,33w 0,5 0,375 0,125 0,5 0,375 0,125w 0,55 0,4 0,05 0,615 0,346 0,39w 0,57 0,41 0,02 0,695 0,294 0,011w 0,62 0,37 0,01 0,757 0,239 0,004r 0 0,8 0,2 0,0 0,964 0,036

Tabelle 16: Gegenüberstellung

Die Gegenüberstellung zeigt, dass die intuitiv aufgestellten Vermutungen relativ deut-lich von den explizit berechneten Ergebnissen abweichen. Wenn man sich nach dergezogenen roten Kugel für Tüte II entscheidet, liegt die Irrtumswahrscheinlichkeit da-für nur noch bei 3,6%. Somit ist das Risiko sich zu irren ausreichend klein und manentscheidet sich für Tüte II.

Folgerung:

Die starke Abweichung der intuitiven und formalen Ergebnisse ist auf die Komplexi-tät der Versuchsentwicklung zurückzuführen. Natürlich ist die Intuition der Studentendank gewisser Erfahrungen mit einfachen, wahrscheinlichkeitstheoretischen Experimen-ten wie dem n-fachen Münzwurf geschult, wodurch sie auch für einfache Fragestellungenplausible Vermutungen aufstellen können, die den jeweiligen Versuchsergebnissen nichtwidersprechen.

21

Jedoch oenbaren sich bei zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung bzw.bei nicht kanonisierten Aufgabentypen auch bei den Studenten erhebliche Dezite inder Schätztheorie, die die Realität verzerren. Diese Fehlintuitionen sind auch nichtweiter verwunderlich, da ja die Studenten selbst in der Schule Opfer des von Riemerkritisierten Zustands waren und somit auch kein Gefühl dafür entwickeln konnten.

4.3 Testen von Hypothesen

Wer Entscheidungen zu treen hat, weiÿ oft erst im Nachhinein, ob seine Entschei-dung richtig war. Die Unsicherheit eine Entscheidung zu treen, beinhaltet immer einegewisse Fehlerwahrscheinlichkeit. Der Hypothesentest gibt uns eine Richtlinie für dieWahl einer Alternativentscheidung. Wir treen unsere Entscheidung auf der Grundlagedessen, was wir für richtig erachten. Dies wird die Nullhypothese genannt. Die Alter-nativentscheidung wird Alternativhypothese genannt. Das Testen von Hypothesen istimmer ein Vorgang, den man in mehrere Schritte unterteilen kann:

1. Formulierung der Null- und der Alternativhypothese, H0 bzw. HA

2. Spezikation des Signikanzniveaus

3. Berechnung der Testgröÿe

4. Denition des Ablehnungsbereichs

5. Selektion der passenden Hypothese

Beispiel: Lebensdauer von Lampen31

Ein Betrieb stellt Glühbirnen her. Bei einer Qualitätskontrolle bekam man die fol-genden Lebensdauern von zehn zufällig ausgewählten Lampen:

Lampe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10Lebensdauer in Stunden 1051 1051 903 877 1094 1008 923 866 987 957

Tabelle 17: Lebensdauer der Lampen

1. Formulierung der Null- und der Alternativhypothese:

Der Hersteller behauptet, dass die Lebensdauer seiner Lampen nicht kürzer als 1000Stunden ist. Daher ist die Nullhypothese, dass der Mittelwert der Lampen gröÿer gleich1000 Stunden ist:

H0 : µ ≥ 1000HA : µ < 1000

31vgl. [8]

22

2. Spezikation des Signikanzniveaus:

Die Aussage soll auf einem Signikanzniveau von α = 5% geprüft werden.

3. Berechnung der Testgröÿe:

Aufgrund der Fragestellung handelt es sich bei diesem Test um einen Student t-Test.Die dazugehörige Testgröÿe errechnet sich aus:

T =x− µ0

S√n

wobei:

x : = Mittelwertµ0 : = zu testender Vergleichswert

S : =√

1n−1

∑i(xi − x)

Mit den Werten aus dem Beispiel erhält man die Testgröÿe -1,13.

4. Denition des Ablehnungsbereichs:

α = 0,05n = 9 −1, 83

Tabelle 18: Auszug der Student t-Verteilung

Ein Auszug der Tabelle der Student t-Verteilung zeigt, dass der Wert, mittels des ge-gebenen Signikanzniveaus und des gegebenen Freiheitsgrades (n-1), −1, 86 beträgt.

5. Selektion der passenden Hypothese:

Da der Wert der Student t-Verteilung kleiner ist als der der Testgröÿe, wird die Hypo-these angenommen.

23

5 Resümee

Das Hauptziel des Vortrag war es klar zu machen, dass primäre Intuition schon sehrfrüh geweckt und immer wieder verbessert werden muss. Als zentrales Prinzip desRiemerschen Konzepts kann also festgehalten werden, dass subjektive Wahrscheinlich-keiten revidiert werden, indem man sie mit relativen Häugkeiten abstimmt und intui-tiv so angleicht, dass die revidierte Hypothese mit dem Ergebnis des Experiments gutvereinbar ist. Das praktische, induktive Handeln in der Form von aktiver Formulierungvon Vermutungen steht dabei für Riemer im Vordergrund der Wahrscheinlichkeitstheo-rie. Denn theoretische Erklärungen allein reichen nicht aus, bei den Schülern ein Gefühlfür statistische bzw. stochastische Probleme zu entwickeln.Die Arbeit hat zudem ergeben, dass der mengentheoretische Formalismus bei der An-wendung der Bayesschen Formel eher hinderlich ist, wogegen subjektive Wahrschein-lichkeiten mit zunehmender Erfahrung objektiv werden können. Deshalb gilt es, bereitssehr früh durch geeignete Spiele ein intuitives Verständnis für wahrscheinlichkeitstheo-retische Fragestellungen zu fördern - am besten bevor in die formale Wahrscheinlich-keitstheorie eingestiegen wird. Riemers Ziel ist es dabei jedoch nicht, die Theorie derStatisik bzw. Stochastik durch eine rein intuitive und damit subjektive Betrachtung zuersetzen. Vielmehr soll der subjektive Wahrscheinlichkeitsbegri ergänzend zu der for-malen Wahrscheinlichkeitsberechnung parallel eingesetzt werden, um ein Gefühl dafürzu entwickeln.

Literatur

[1] Krengel, Ulrich. Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik.Vieweg Verlag. Wiesbaden 2003.

[2] Kütting, Herbert. Beschreibende Statistik im Schulunterricht.BI-Wissenschaftsverlag. Mannheim 1994.

[3] Riemer, Wolfgang. Neue Ideen der Stochastik.BI-Wissenschaftsverlag. Mannheim 1985. S.15-62 (Kapitel 1+2).

[4] Riemer, Wolfgang. Stochastische Probleme aus elementarer Sicht.BI-Wissenschaftsverlag. Mannheim 1991.

[5] Wolpers, Hans (Hrsg.) / Tietze, Uwe-Peter / Klika, Manfred. Mathematik-unterricht in der Sekundarstufe II. Didaktik der Stochastik. Vieweg Verlag.Braunschweig/ Wiesbaden 2002.

Weitere Quellen

[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Simpson-Paradoxon

[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Heuristisch

[8] http://www.statlab.uni-heidelberg.de/people/johannes/Statistik-0/blatt11.pdf

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