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Die Relevanz empirischer Beratungsforschung für den professionellen Austausch Prof. Dr. Wiltrud Gieseke „Über den Tellerrand“ Beratung in einer Gesellschaft im Wandel Johannes Guten-Universität Mainz 14.11.2019

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Die Relevanz empirischer Beratungsforschung für den professionellen Austausch

Prof. Dr. Wiltrud Gieseke„Über den Tellerrand“

Beratung in einer Gesellschaft im Wandel Johannes Guten-Universität Mainz

14.11.2019

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Agenda

I. Breite und Offenheit von Beratung

II. Theorienvielfalt

III. Forschungen zu Beratungsprozessen1.) Professionelle Praktik2.) Wissensvermittlung in Beratungsprozessen3.) Entscheidungsfindung4.) Die Rolle von Fragen in der Beratung5.) Emotionale Reflexivität6.) Entscheidungen für Partizipation an Weiterbildung7.) Regulative Beratung

IV. Zusammenfassung

V. Literatur

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I. Breite und Offenheit von Beratung

• Beratung wird in den verschiedensten institutionellen bzw. organisatorischen Kontexten angeboten und von differenten wiss. Disziplinen mit ihren je spezifischen Fragestellungen bedient

• Dieser Generalisierungsaspekt - was Lernen, Arbeiten, Organisieren betrifft - hat sie zu einer der beliebtesten Interventionsformen gemacht

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Beratung als professionelle Praktik

• Beratung verstehen wir als professionelle Praktik, die sich unterschiedlicher Theorien mit den dazugehörigen Methoden bedient, ihre Reichweite und auch Autonomie sind je nach institutionellen Kontexten unterschiedlich

• Die Qualitätsdiskussion im Berufsverband angebunden an die Heidelberger Arbeitsgruppe hat die Professionalisierungsdiskussion in das Qualitätsmanagement eingefügt. Die Abgrenzung zur Therapie scheint gelungen

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• Professionalität meint, dass subjektive Entscheidungsprozesse, auf der Basis von Wissen, Handlungskonzepten, als umgesetzte Praktiken möglich werden

• Beratung soll zur besseren subjektiven Entscheidung im Sinne der individuellen Perspektiventwicklung als Handlungsmöglichkeit dienen

• Beratung gilt als ein interaktives, beziehungs- und diagnostisch wirkendes Handlungsmuster, das sich auf das Subjekt konzentriert und auch als personenorientierte Beratung bezeichnet wird

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II. Theorienvielfalt

• Humanistische Ansätze der Beratung

• Ressourcenorientierte Ansätze

• Systemische Ansätze

• Entscheidungstheoretische Ansätze

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Beratung als Unterstützung für Entscheidungsprozesse

• Entscheidungen werden grundlagentheoretisch auf der Basis unterschiedlicher Theorien bestimmt

• Dabei macht es einen Unterschied, ob:

➢ die Personen sich ihrer Widersprüchlichkeiten in der Beschäftigung mit ihrer Situation oder ihrer Bildungsbiographie in der Beratung bewusst werden

➢ Die Beratung die Entscheidungen fokussiert indem in der Beratung unterschiedliche Kompetenzen benannt, gesammelt und diese zu einem Profil führen

➢ die Personen auf bestimmte Möglichkeiten für den Studien- bzw. Weiterbildungs-und Arbeitsmarkt fokussiert werden

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A) Im Besonderen: Entscheidungsprozesse

• Deskriptive und präskriptive Entscheidungstheorien im betrieblichen Kontext

• Beratungen werden zunehmend genötigt, besonders präskriptive Funktionen ökonomischer, betrieblicher Art für individuelle Beratung zu übernehmen

• Fremdgesteuerte Entscheidungen im Sinne von Steuerung verbleiben aber letztlich beim Individuum als Eigenentscheidung

• Heuristische Modelle, eher im Sinne intuitiven Handelns (Faustregeln)

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B) Im Besonderen: Emotionen und Kognitionen im Zusammenspiel bei Entscheidungen

• Befunde, die den subjektiven Entscheidungsprozess neurobiologisch betrachten, bestimmen die Emotionen als entscheidende Größe

• Entscheidungen sind grundlagentheoretisch ein komplexer emotional-kognitiver Prozess, der zum erweiterten Denken auffordert (Arbeitsgedächtnis)

• Emotionsmuster, wirksame Ambivalenzen, nicht vorhandenes Wissen werden in Beratungen zu wechselwirkenden Prozessen herausgefordert

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III. Forschungen zu Beratungsprozessen

• Interesse an Detailanalysen nimmt zu:

1. Faktische Praktiken

2. Wissen im Beratungsprozess

3. Die Rolle von Fragen im Beratungsprozess

4. Bearbeitung von Emotionsmustern

5. Reichweite von nachgefragter Beratung

6. Regulative Beratung als Steuerung

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1. Professionelle Praktik

• Beratung ist keine allgemein offene Gesprächssituation, sondern sie ist ein konstruiertes Setting, um einem Individuum einen Raum zu bieten, sich selbstreflexiv und/oder systematisch je nach Theoriemit seinen Entscheidungssituationen zu beschäftigen

• Es gibt implizite selten ausgewiesene inhaltliche Beratungsziele, wohl aber implizite Verlaufsziele, die dialogisch basiert sind und Durchlaufstationen markieren, die für Beratungsverläufe, was sowohl für die Wissensanteile als auch, was für die Beziehungsausgestaltung in der Beratung betrifft, charakteristisch sind. (Dialogmusteranalyse nach Kohli)

• Ergebnis einer empirischen Erschließung der alltäglichen Praktiken ist folgendes Verlaufschema:

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Dialogmusterspezifische kommunikative Teilziele mit inhaltlicher Schwerpunktsetzung

Gieseke/Stimm (2016). Praktiken der professionellen Bildungsberatung. Innensichten auf die Entscheidungsfindung im Beratungsprozess. Wiesbaden: Springer-Verlag, S. 179.14.11.2019 Prof. Dr. Wiltrud Gieseke 12

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Dialogmusterspezifische kommunikative Teilziele mit zugeordneten Sequenzmustern

Gieseke/Stimm (2016). Praktiken der professionellen Bildungsberatung. Innensichten auf die Entscheidungsfindung im Beratungsprozess. Wiesbaden: Springer-Verlag, S. 181.

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• Professionelles Handeln verlangt eine dialogische Beziehungsgestaltung im Sinne von Vertrauensbildung und Anerkennung

• Es setzt aber ebenso eine analytische Distanz voraus

• Ethisch verpflichtend ist der Respekt vor der eigenverantwortlichen Entscheidungsfindung des Individuums

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Beratung im Konglomerat von Einflussfaktoren und einflussnehmenden Betrachtungsebenen als professionelle Praktik

Gieseke/Stimm (2016). Praktiken der professionellen Bildungsberatung. Innensichten auf die Entscheidungsfindung im Beratungsprozess. Wiesbaden: Springer-Verlag, S. 264.

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Gelingen von fördernder Beratung zur Entscheidungsfindung

• Voraussetzung für Professionalität ist die Frage nach Spielräumen für den Beratungsprozess

• Grenzen sind:

a) institutionelle/organisatorische Übergriffe in Form von Steuerungen, Lenkungen, Vorgaben

b) individuelle Übergriffe durch Ratschlägec) Grenzen, die im Individuum selbst im Zusammenspiel von

Kognitionen und Emotionen und dem biographisch erworbenen Wissen und Emotionsmustern liegen

• Entscheidungen bleiben letztlich individuell zu verantworten und benötigen Zeit

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Lange Wege der Entscheidung

Abbildung: Gieseke,W. Entscheidungstheoretische Grundlagen der Beratung. In: Gieseke/Nittel (2016). Handbuch – Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag, S.108.

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Begrenzung oder Spezifik der Ziele von Beratung

• Es geht um die Verflüssigung des bisherigen Orientierungswissens

• Die Reichweiten der biographischen Folgen sind von unterschiedlicher Tiefe

• Nach einer Untersuchung von uns (Gieseke/Opelt2004)unterscheiden wir, was die Reichweite und Tiefe von Beratungsverläufen betrifft zwischen informativer, situativer und biographieorientierter Beratung

• Letztlich geht es darum, die Wissens- und Entscheidungsspielräume beim Individuum zu erweitern und dafür Unterstützung durch Wissen über den Fachgegenstand und durch einen Beziehungsaufbau in der Gesprächsführung zu realisieren

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2. Wissensvermittlung in Beratungsprozessen

➢ Forschungsfrage: Wie findet Wissensvermittlung in der Beratung statt? (Enoch, 2011)

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Modell: Enoch 2016, S. 509

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3. Entscheidungsfindung

• Es geht in vielen Fällen erst einmal darum, Wege zur Beratung zu finden

• Beratungsnachfragen gestalten sich unterschiedlich und fordern jeweils ein anderes Vorgehen

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Entscheidungstheoretischer Ansatz der Bildungsberatung

Abbildung: W. Gieseke : Orientierungsberatung. In: Gieseke/Nittel (2016). Handbuch – Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag, S.544.

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4. Die Rolle von Fragen in der Beratung

• Wirkung und Funktion von Fragen in der Beratung:

• Welche Fragen sind zu unterscheiden?

• Echte Fragen ( offene Fragen, geschlossene fragen, Spiegelungsfragen, Rangierfragen)

• Unechte Fragen (Mehrfachfragen, Suggestivfragen, rhetorische Fragen, rhetorische Fragefragmente, Frage als erzählerisches Stilmittel)

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• In der situativen Beratung gab es z.B. von 32 Fragen 22 unechte Fragen, von den 10 echten Fragen waren7 geschlossenen Fragen

• In einem Beispiel biografischer Beratung gehörten alle 37 gestellten Fragen zu den offenen Fragen, aber auch hier dominierten mit 19 die geschlossenen Fragen

• Auch im weiteren Beispiel situativer Beratung dominierte bei 40 Fragen mit einem Anteil von 32 die echten Fragen, aber auch hier 20 Fragen als geschlossene Fragen

• Quelle: Müller 2005, 2016

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5. Emotionale Reflexivität

• Rogers Ansatz personenorientierter Beratung und neurobiologische Befunde weisen den Emotionen einen besonderen Stellenwert für Entscheidungen zu

• Damasio: Somatische Marker als Resonanz im körperlichen, als physische Prozesse, nicht nur in realen Situationen, sondern auch in Als -Ob Situationen, also in Gegenüberstellungen von möglichen Verhaltensalternativen. (physiologisch begründet über verbale und nicht-verbal-emotionale Erzeugung von kompensatorischen Netzwerken)

• Beziehungsgestaltung deshalb wichtig für dialogische Zusammenarbeit

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Prozessverläufe und Praktiken zu Emotionsregulierung

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Modell: Schreyögg 2016, S. 531

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6. Entscheidungen für Partizipation an Weiterbildung

• Entscheidungen für Weiterbildungsverhalten weisen nach einer Vorstudie folgende Ergebnisse aus:

a) Situative Passgenauigkeit

b) Langfristige Qualifizierungskurse haben Begründungslöcher, keine Rückbindungen zu berufsbiographischen Entscheidungen, Sogwirkung durch Bildungsanzeigen, systemische Durchrationalisierung als Zuweisung

c) Emotionsmuster verweisen auf Begründungszusammenhänge, die nicht rekonstruiert werden können, wohl aber über Deutungsmusteranalysen erschließbar werden.

• Quelle: Gieseke 2016 (3. Auflage) S.199ff

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7. Regulative Beratung

• Beispiel Gutscheinberatung, zur Förderung von Bildungspartizipation:

➢ 90 % der Scheckinteressierten haben bereits klare Vorstellungen

➢ Verkoppelungen von Gutschein und Beratung führt zu Diskrepanzen zwischen Auftragsvergabe und Beratung

• (Käpplinger 2016)

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Empfehlungen

• Detailanalysen bieten sich an,

• um die komplexen Beratungsstrukturen sichtbar zu machen, wie sie sich in der Praxis realisieren;

• Empirisch begründete Theorien/Modelle sind auf die Hilfe der Praxis angewiesen, diese gibt es zur Zeit nur begrenzt.

• Dieses ist mittelfristig zum Nachteil einer weiterzuentwickelnden professionellen Praxis, da sich nicht ausreichend begründete Ansätze herausbilden können.

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Zukünftige Anforderungen

• Wenn entsprechende empirische Begründungen nicht entwickelt werden können, wird man wenig über den Einfluss von festen Emotionsmustern, neuen Interessen und Wissensverarbeitungsprozessen durch Beratung erfahren.

• Ohne unabhängige institutionelle Beratungsstrukturen kann sich schwierig ein Beratungsraum jenseits von Marketinginteressen und Steuerungsabsichten anderer Gruppen entwickeln.

• Gleichwohl besteht der Anspruch dass auch sogenannte Zwangsberatung nicht davon entlassen ist, ethische Grundlagen der Beratung zu beachten, das heißt, Offenheit und Entscheidungsspielräume zuzulassen.

• Bildung setzt ein aktives Individuum voraus und kann nur gelingen, wenn das Individuum die Aktivität übernimmt und nicht eingeordnet und unterworfen wird. Dieses führt letztlich zu Problemen ohne Gewinn auf allen Seiten.

• Dem hat sich Bildungs- und Berufsberatung zu stellen.

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VI. Zusammenfassung

• Bildungsberatung als Intervention

➢ verlangt atmosphärisch gesicherte soziale emphatische Gesprächssituation

➢ verlangt Auslegung eines differenzierten Wissensbegriffs

➢ verlangt Auswertung kognitiv-emotionaler Spannungsverhältnisse (biografisch konkret an individuellen Widersprüchlichkeiten)

➢ verlangt in den Emotionsmustern Anknüpfungspunkte zu finden

➢ verlangt implizit gelebtes Menschenbild, was Entscheidungen betrifft, bewusst zu machen

➢ Setzt unabhängige Beratungsstellen ohne Sonderauftrag voraus

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VII. Literatur• Damasio, A. R. (2005). Descartes Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München: List.• Damasio, A.R. (2000). Ich fühle, also bin ich: Die Entschlüsselung des Bewusstseins. München: List.• Enoch, C. (2011). Dimensionen der Wissensvermittlung in Beratungsprozessen: Gesprächsanalysen der beruflichen

Beratung. Wiesbaden: Springer-Verlag.• Enoch, C. (2016). Wissensvermittlung in Beratungsprozessen. In: Gieseke, W./ Nittel, D. (Hrsg.) (2016). Handbuch.

Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag.• Gieseke, W. (2016). Lebenslanges Lernen und Emotionen. Wirkungen von Emotionen auf Bildungsprozesse aus

beziehungstheoretischer Perspektive. 3. überarbeitete Auflage, Bielefeld: Bertelsmann-Verlag.• Gieseke, W. (2016). Entscheidungstheoretische Grundlagen der Beratung. In: Gieseke, W./ Nittel, D. (Hrsg.) (2016).

Handbuch. Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag.• Gieseke, W. (2016). Orientierungsberatung. In: Gieseke, W./ Nittel, D. (Hrsg.) (2016). Handbuch. Pädagogische

Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag.• Gieseke, W./ Stimm, M. (2016). Praktiken der professionellen Bildungsberatung. Innensichten auf die

Entscheidungsfindung im Beratungsprozess. Wiesbaden: Springer-Verlag.• Käpplinger, B. (2016). Gutscheinberatung – Regulative Beratung. In: Gieseke, W./ Nittel, D. (Hrsg.) (2016).

Handbuch. Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag.• Käpplinger, B./Klein, R. (2013). Beratung bei Weiterbildungsgutscheinen: Zwischen Prüfung, Information und

Entscheidungshilfe. In: Käpplinger, B./ Klein, R./Haberzeth, E. (Hrsg.). Weiterbildungsgutscheine – Wirkungen eines Finanzierungsmodells in vier europäischen Ländern. Bielefeld: Bertelsmann.

• Maier-Gutheil, C./ Nierobisch, K. (2015). Beratungswissen für die Erwachsenenbildung. Bielefeld: Bertelsmann-Verlag.

• Müller, A. (2005). Weiterbildungsberatung: Qualitative Analyse von Informations- und Prozessverläufen situativer und biographieorientierter Weiterbildungsberatungsgespräche. Berlin: Rhombos Verlag.

• Müller, A. (2016). Die Bedeutung von Fragen in der und für die Beratung. In: Gieseke, W./ Nittel, D. (Hrsg.) (2016). Handbuch. Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag.

• Rogers, C.R. (1997). Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag.• Schiersmann, Ch./ Weber, P. (2013). Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung. Eckpunkte und Erprobung eines

integrierten Qualitätskonzepts. Bielefeld: Bertelsmann-Verlag• Schreyögg, B. (2016). Emotionale Reflexivität und Beziehungsfähigkeit in der Beratung. In: Gieseke, W./ Nittel, D.

(Hrsg.) (2016). Handbuch. Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz-Verlag.

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